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What’s in a name? Die Kontroverse um die Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde

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2019
Herausgegeben von
Christoph Antweiler, Michi Knecht, Ehler Voss und Martin Zillinger
What’s in a
Name?
Die Kontroverse um
die Umbenennung
der Deutschen
Gesellschaft für
Völkerkunde
boasblogs.org
Print-ISSN 2698-6086
Online-ISSN 2698-6094
DOI 10.18716/kups/10000
Die boasblogs papers werden unter der Creative
Commons-Lizenz CC BY-NC-ND veröffentlicht.
Die boasblogs papers führen die Diskussionen der
boasblogs thematisch zusammen und stellen die
Beiträge zum Herunterladen bereit.
Die boasblogs greifen aktuelle Themen rund um
die ethnologischen Wissenschaften auf, fragen
nach der öffentlichen Rolle und gesellschaftlichen
Relevanz ethnologischen Wissens und laden zu
kontroversen Diskussionen ein. Im Sinne einer
Public Anthropology sollen die boasblogs wissen-
schaftliche Erkenntnisse einer breiteren Öffent-
lichkeit zugänglich machen und einen kritisch-
konstruktiven Beitrag zu aktuellen gesellschaftli-
chen Debattenleisten leisten, sowie gesellschaft-
liche Beziehungen auf verschiedenen politischen,
sozialen und alltäglichen Ebenen mitgestalten.
Die gesamte Blogserie wird organisiert und he-
rausgegeben von Christoph Antweiler, Michi
Knecht, Ehler Voss und Martin Zillinger. Die ein-
zelnen Blogs werden von unterschiedlichen
und unabhängigen Redaktionen herausgegeben
und betreut. Vorschläge für neue Themen und
Redaktionsteams werden fortlaufend erbeten an:
info@boasblogs.org
Die boasblogs und die boasblogs papers werden
nanziert und unterstützt von dem Sonderfor-
schungsbereich Medien der Kooperation an der
Universität Siegen, dem Institut für Ethnologie
und Kulturwissenschaft (IFEK) an der Universität
Bremen, der Zeitschrift für Kulturwissernschaften
(ZfK), dem Global South Studies Center (GSSC) an
der Universität zu Köln und dem Institut für Orient-
und Asienwissenschaften (IOA) der Universität Bonn.
Webseite: boasblogs.org
Kontakt: info@boasblogs.org
Umschlaggestaltung: studio-stg.com
Innengestaltung und Satz: Sebastian Randerath
@ 2019 Bonn, Bremen, Köln, Siegen: boasblogs
Empfohlene Zitierweise:
Antweiler, Christoph, Michi Knecht, Ehler Voss &
Martin Zillinger (Hg.) 2019. What’s in a Name? Die
Kontroverse um die Umbenennung der Deutschen
Gesellschaft für Völkerkunde. boasblogs papers 1.
Bonn, Bremen, Köln, Siegen: boasblogs.
4 You name it! Momentaufnahme einer Debat-
te um das Selbstverständnis einer Disziplin
Christoph Antweiler, Michi Knecht, Ehler
Voss und Martin Zillinger
6 Umbenennung der Deutschen Gesellschaft
für Völkerkunde e.V. in Deutsche Gesell-
schaft für Sozial- und Kulturanthropologie
e.V. am 6.10.2017 in Berlin Hansjörg Dilger,
Birgitt Röttger-Rössler, Olaf Zenker
12 Ethnologie – eine Begriffsfalle
Werner Schiffauer
14 Die Umbenennung: Moralisches Schulter-
klopfen und Geschichtsvergessenheit
Dieter Haller
18 Warum die Umbenennung der DGV in
DGSKA ein Fehler war Thomas Bierschenk
24 Ich gebe auf... Ethnologen sind und bleiben
ein segmentärer Haufen Carola Lentz
27 Die bereinigte DGV Bernhard Streck
29 Teilnehmende Namensgebung
Thomas Widlok
31 Von Menschen und (ethnischen) Gruppen:
Die Entscheidung für „Sozial- und Kultur-
anthropologie“ wirft überfällige Fragen an
unsere Disziplin neu auf Hansjörg Dilger
37 Die Geschichtsverdrängung der Ethnologen
als gesellschaftliches Problem
Han F. Vermeulen
45
„...unsere Gesellschaft den veränderten
Verhältnissen anzupassen...
Katja Geisenhainer
51
Name und Benanntes. (Un)disziplinierte
Verschiebungen Richard Rottenburg
55 Namensänderung als Exorzismus und
Glaubensbekenntnis Peter Schröder
58 Ich habe nichts gegen Sozial- und Kultur-
anthropologInnen, einige meiner besten
FreundInnen sind Sozial- und Kulturan-
thropologInnen Moritz Ege
64 Das Flurgespräch als ethnographisches
Feld Simon Holdermann, Christoph Lange,
Julian Schmischke & Souad Zeineddine
77 Autor*innen
Inhalt
4 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
You name it! Momentaufnahme
einer Debatte um das Selbst-
verständnis einer Disziplin
Christoph Antweiler, Michi Knecht,
Ehler Voss und Martin Zillinger
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es verschiedene
Versuche, die 1929 als „Gesellschaft für Völker-
kunde“ (GV) gegründete und sich seit 1938 „Deut-
sche Gesellschaft für Völkerkunde“ (DGV) nennen-
de Fachgesellschaft umzubenennen.1 Regelmäßig
scheiterten die Abstimmungen am nicht erreich-
ten Quorum. Im Oktober 2017 waren dann erstma-
lig die formalen Voraussetzungen erfüllt, und eine
deutliche Mehrheit stimmte auf der Mitgliederver-
sammlung während der DGV-Tagung an der Freien
Universität Berlin für eine Umbenennung des Ver-
eins in „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kul-
turanthropologie“ (DGSKA).
Die Umbenennung wurde sowohl in ihrem Vor-
feld als auch „after the fact“ von weitreichenden
Debatten um das Selbstverständnis des Fachs be-
gleitet. Vor der Versammlung, die den Namen än-
derte, hatte sich in einer internen Mailingliste der
Institutsleitungen eine Mehrheit für den Namen
„Deutsche Gesellschaft für Ethnologie“ ausgespro-
chen. Studierende und Nachwuchswissenschaft-
ler*innen hingegen fühlten sich allem Anschein
nach eher von einer allgemeinen Sozial- und Kul-
turanthropologie angezogen, die sich (nicht nur)
dem Namen nach an einer internationalen „Anthro-
pology“ orientiert. Als „überfällig“ kommentierte
auch ein eminenter Fachvertreter der englisch-
sprachigen Anthropology während der DGV-Ta-
gung in Berlin die Umbenennung. Drei Tage vor der
Entscheidung erschien von ihrer ehemaligen Vor-
sitzenden Carola Lentz ein Beitrag in dem boasblog
„Kulturrelativismus und Aufklärung“, in dem sie
schreibt, sie könne sich vorstellen, die Ethnologie
1 Diese hatte sich bei ihrer Gründung noch explizit gegen ras-
sentheoretische Ansätze ausgesprochen, ihre erste Umbenen-
nung dann aber mit dem zeitgleichen Ausschluss jüdischer
Mitglieder der Gesellschaft verbunden, unter ihnen auch
Franz Boas. Über die Details dieses Vorgangs geben Briefe von
Franz Termer an die Verwaltung für Kunst- und Kulturange-
legenheiten der Hansestadt Hamburg und an die Mitglieder
der dann bereits „Deutschen“ Gesellschaft für Völkerkunde
sowie ein offener und ein persönlicher Brief von Franz Boas
Auskunft, die sich im Archiv des MARKK Museum am Rothen-
baum in Hamburg, benden.
in einer übergreifenden Kultur- und Gesellschafts-
wissenschaft aufgehen zu lassen.2 Hat die Umbe-
nennung in „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und
Kulturanthropologie“ genau diese Wendung im-
plizit schon vollzogen? Zu welchen Zukunftsaus-
richtungen im Fach gibt die Umbenennung Anlass?
Laufen wir mit der Umbenennung Gefahr, den
Kern der ethnologischen Methode – die lang an-
dauernde Feldforschung – zu verwässern, weil sie
den Aspekt der Fremdheitserfahrung zugunsten
einer allgemein verstandenen Kultur- und Sozial-
anthropologie in den Hintergrund drängt? Kann
diese Wendung dazu beitragen, die traditionelle
Aufteilung in Inlands- und Auslandskunde, Volks-
und Völkerkunde zu überwinden, die vor allem im
deutschsprachigen Raum die ethnologischen Wis-
senschaften trennt?
Zugleich scheint die Internationalisierung des
Namens für manche Fachvertreter*innen längst
überwundene Geister der deutschen Anthropo-
logie heraufzubeschwören. Karl-Heinz Kohl etwa
weist in seinem Beitrag zum boasblog „Wie weiter
mit Humboldts Erbe?“ darauf hin, dass der deut-
sche Begriff der Sozialanthropologie gegen Ende
des 19. Jahrhunderts von sozialdarwinistischen
Rassentheoretikern geprägt worden war.3 Zu-
dem sei auch die englische „Social Anthropology“
durch den Kolonialismus hoch belastet, so dass ein
Fach dieses Namens in vielen klassischen außer-
europäischen Forschungsgebieten der Ethnolo-
gie auf Misstrauen stoße. Leiden die Mitglieder,
die nach der Entscheidung für den neuen Namen
der Gesellschaft erleichtert jubelten, tatsächlich
an „Geschichtsvergessenheit“, wie es Karl-Heinz
Kohl unterstellt? Oder diskreditiert dieser Vorwurf
lediglich all die sehr gegenwärtigen Impulse und
Interessen, die sich mit der Namensänderung ver-
binden, wie etwa: „Wir wollen verstanden werden
und nicht immer wieder einen anachronistisch er-
scheinenden Namen erklären müssen“; „Wir wollen
aktuelle Entwicklungen abbilden und international
anschlussfähig sein“; „Wir dürfen die bundesweit
sinkenden Studierendenzahlen nicht ignorieren“?
2 Lentz, Carola 2017. Vielstimmigkeit, Differenzpolitik und
Konikte…, in: Kulturrelativismus und Aufklärung. https://
boasblogs.org/de/kulturrelativismus/vielstimmigkeit-diffe-
renzpolitik-und-konikte/ (24.09.2019).
3 Kohl, Karl-Heinz 2017. Kollateralschäden. Eine Polemik, in:
Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische Sammlungen
neu denken. https://boasblogs.org/de/humboldt/kollateral-
schaeden-eine-polemik/ (24.09.2019).
5Christoph Antweiler, Michi Knecht, Ehler Voss & Martin Zillinger
Aufgrund drängender Nachfragen haben wir als
Herausgeber*innen der boasblogs Vertreter*innen
dieser Diskussion dazu eingeladen, die bisher eher
informell gehaltene Debatte auch nach der Ab-
stimmung in einem Blog noch einmal öffentlich
aufzubereiten – nicht, um damit eine erneute Um-
benennung anzustoßen, sondern (i) um das Spek-
trum der Positionen zu dokumentieren und nach-
vollziehbar zu machen und (ii), um die Karten auf
den Tisch zu legen, wie wir in unseren unterschied-
lichen Kontexten Fachbenennung und Fachidenti-
tät miteinander verbinden (werden), und wie wir
unsere Wissenschaft auch jenseits von Namensge-
bungen wissenschaftlich interdisziplinär und ge-
sellschaftlich besser in den Dialog bringen können.
Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass die
Debatte über die Namensänderung der DGV, wie
jede Debatte, nicht nur unterschiedliche Stim-
men zusammengeführt, sondern auch ein „Außen“
Nicht-Beteiligter produziert hat. Auch wenn die
hier versammelten Stimmen äußerst aufschluss-
reich sind, ist das Spektrum der Positionen, das
wir dokumentieren können, am Ende leider doch
nicht so breit ausgefallen, wie wir es ursprünglich
erhofft hatten. Nach unserer Einschätzung sind
sowohl Nachwuchswissenschaftler*innen (um die
wir uns sehr bemüht haben) etwas unterrepräsen-
tiert als auch internationale Perspektiven. Man-
che Vertreter*innen der Disziplin reagierten auf
die Einladung, ihre Positionen zu publizieren, ab-
lehnend bis genervt. Dass die Debatte um die Na-
mensänderung der DGVin ihren Augen provinziell
erschien, weil sie aus internationaler Perspektive
wenig Neues und wenig Erkenntnispotential zu
bieten hatte und sich ihrer eigenen Provinzialität
im Sinne einer fehlenden Reexion zu wenig be-
wusst gewesen sei, ist eine Position, die wir eher
am Telefon gehört und in Emails kommuniziert
bekamen, jedoch weniger in den veröffentlichten
Blogbeiträgen nden sie hätte ausformuliert
werden müssen, um sie für die Diskussion frucht-
bar machen zu können.
Alle Beiträge, die wir zur Namensgebungs-
Debatte veröffentlichen konnten, erscheinen hier
mit einer Ausnahme4 als das erste einer Serie von
Arbeitspapieren, die aus den Kontroversen in den
boasblogs zusammengefasst und online wie off-
line zur weiteren Diskussion zur Verfügung ge-
stellt werden. Alle hier wiedergegebenen Beiträge
4 Mark Münzel zog zu unserem Bedauern seinen Blogbeitrag
für diese Veröffentlichung zurück.
wurden zwischen April und Juli 2018 für den bo-
asblog „What’s in a Name – Was bedeutet die
Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für
Völkerkunde in eine Deutsche Gesellschaft für So-
zial- und Kulturanthropologie?“ verfasst und suk-
zessive veröffentlicht. Allen Beitragenden danken
wir noch einmal herzlich für ihre Mitarbeit. Hinzu-
gefügt haben wir einen Text aus der „Zeitschrift für
Ethnologie“, in dem die damaligen Vorsitzenden
der nun umbenannten Fachgesellschaft den Vor-
lauf der Umbenennung sowie den Abstimmungs-
prozess beschreiben. Wir danken den Autor*innen
sowie dem Reimer Verlag für die freundliche Ge-
nehmigung des Abdrucks.
Wir danken insbesondere dem Global South Stu-
dies Center an der Universität zu Köln, dem Son-
derforschungsbereich Medien der Kooperation an
der Universität Siegen, dem Institut für Ethnologie
und Kulturwissenschaft und dem Forschungsver-
bund Worlds of Contradiction an der Universität
Bremen sowie der Redaktion Siegen/Nordwest
der „Zeitschrift für Kulturwissenschaften“ für die
Unterstützung der boasblogs seit ihrer Gründung
im Jahr 2016, damals noch unter dem Namen „De-
bating Anthropology – Streitbare Ethnologie“. Für
tatkräftige Unterstützung in den letzten Jahren
danken wir Peter Gillessen, Benedicta Grothaus,
Annkatrin Mariele König, Sebastian Randerath,
Özge Sahin, Julian Schmischke, Sonja Schöpfel,
Leonie van Dreuten und Jenany Vethanayagam.
Es gibt nur die publizistische Freiheit, die wir uns
nehmen. Seit der ersten Diskussion in dem boas-
blog „Kulturrelativismus und Aufklärung“, der auf
einen Zeitungsartikel in der „Süddeutschen Zei-
tung“ reagierte, haben eine Vielzahl an Sozial- und
Kulturanthropolog*innen nicht nur zur Umbenen-
nung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkun-
de, sondern auch zur Zukunft ethnographischer
Sammlungen, zur Relevanz der Ethnologie aus der
Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchs und zu-
letzt zum „Ende der Aushandlungen“ Stellung be-
zogen und diskutiert.
Wir wünschen den boasblogs immer wieder
neue, wache, streitbare und lustvolle Diskussio-
nen, die aus den unterschiedlichen Ecken unse-
res Faches angestoßen und redaktionell betreut
werden. Wir freuen uns jederzeit über Vorschläge
für Diskussionsthemen und Redaktionsteams an:
info@boasblogs.org.
6 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Umbenennung der Deutschen
Gesellschaft für Völkerkunde
e.V. in Deutsche Gesellschaft
für Sozial- und Kulturanthropo-
logie e.V. am 6.10.2017 in Berlin1
Hansjörg Dilger, Birgitt Röttger-Rössler,
Olaf Zenker
Im Rahmen der Jahrestagung „Zugehörigkeiten:
Affektive, moralische und politische Praxen in ei-
ner vernetzten Welt“, die von 4.-7. Oktober 2017 an
der Freien Universität Berlin stattfand, stimmten
die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Völ-
kerkunde e.V. mehrheitlich für die Umbenennung
des Fachverbands in Deutsche Gesellschaft für So-
zial- und Kulturanthropologie e.V. Innerhalb der
Fachgesellschaft war die Debatte über eine mög-
liche Umbenennung des Verbands dabei seit Jahr-
zehnten geführt worden. Doch waren erstmals bei
der Mitgliederversammlung am 6. Oktober 2017 in
Berlin die formalen Voraussetzungen für die Sat-
zungsänderung geschaffen worden: das Erreichen
des Quorums, d.h. die Anwesenheit eines Viertels
aller stimmberechtigten Mitglieder2, welches sich
hier gleichzeitig mit der für eine Satzungsänderung
erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit verknüpfte.3
1 Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift für Ethnologie
142 (2017): 133–140, der Zitierstil wurde angepasst.
2 Die Gesellschaft zählte zum Zeitpunkt der Abstimmung 731
Mitglieder.
3 Der folgende Kurzbericht thematisiert die Umbenennung
der Fachgesellschaft am 6.10.2017 und leistet somit keine
umfassende Aufarbeitung der Geschichte des Fachver-
bands oder der Disziplin insgesamt. Wir verweisen in diesem
Zusammenhang insbesondere auf den Artikel von Carola
Lentz und Silja Thomas 2015: Die Deutsche Gesellschaft für
Völkerkunde. Geschichte und aktuelle Herausforderungen.
Zeitschrift für Ethnologie 140: 225–53 sowie auf die Arbeiten
von Hans Fischer 1990: Völkerkunde im Nationalsozialismus.
Aspekte der Anpassung, Afnität und Behauptung einer wissen-
schaftlichen Disziplin. Berlin: Dietrich Reimer Verlag, Thomas
Hauschild 1995: Lebenslust und Fremdenfurcht: Ethnologie im
Dritten Reich. Frankfurt am Main: Suhrkamp, Werner Peter-
mann 2004: Die Geschichte der Ethnologie. Wuppertal: Peter
Hammer Verlag und Bernhard Streck 2000: Ethnologie und
Nationalsozialismus. Gehren: Dr. Reinhard Escher Verlag zur
Geschichte des Fachs unter besonderer Berücksichtigung sei-
ner Verstrickungen im Nationalsozialismus. Für die Anfänge
der Völkerkunde bzw. der Ethnographie im 18. Jahrhundert
siehe Han Vermeulen 2015: Before Boas: The Genesis of Ethno-
graphy and Ethnology in the German Enlightenment. Lincoln:
University of Nebraska Press.
Fachhistorischer Kontext
Die Fachgesellschaft wurde 1929 in Leipzig als
„Gesellschaft für Völkerkunde“ gegründet und ver-
sammelte zum damaligen Zeitpunkt sowohl Völ-
kerkundlerInnen als auch EthnologInnen4, die sich
mit der Gründung des Fachverbands als eigen-
ständige – wenngleich durch vielfältige Ansät-
ze geprägte – Disziplin etablieren wollten.5 Unter
dem Einuss des nationalsozialistischen Regimes
benannte sich die Fachgesellschaft sodann 1938,
ebenfalls in Leipzig, in Deutsche Gesellschaft für
Völkerkunde (DGV) um6 – kam danach jedoch erst
1946 in Frankfurt am Main wieder zusammen, um
bei dieser Fachtagung neue Wege für den Verband
und die Disziplin in der Nachkriegszeit auszuloten.
Sowohl bei der Fachtagung in Frankfurt am Main
1946 als auch bei den nachfolgenden DGV-Konfe-
renzen blieb die explizite Auseinandersetzung der
Disziplin bzw. der Fachgesellschaft mit ihren na-
tionalsozialistischen – ebenso wie mit ihren kolo-
nialen – Verstrickungen weitgehend ausgeblendet.
Gleichzeitig etablierte sich das Fach jedoch seit den
1960er Jahren wieder zunehmend stark an den Uni-
versitäten der BRD, wobei sowohl in diesem Kon-
text als auch innerhalb der DGV der „Wunsch nach
4 Bei der Fachbezeichnung Ethnologie handelt es sich um
eine Rückübersetzung des deutschen Begriffs Völkerkun-
de, der Ende des 18. Jahrhunderts in Analogie zur Erdkunde
eingeführt und insbesondere für die Benennung von Museen
verwendet wurde. Ethnologie spielte als Fachbezeichnung
vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – bei
der Benennung der ersten Fachgesellschaften (vgl. Fußnote
5), aber auch der sich langsam etablierenden universitären
Disziplin – eine Rolle, wurde an den Universitäten jedoch erst
ab den 1920er Jahren, und dann vor allem nach dem 2. Welt-
krieg, prominent verwendet, Vgl. Karl-Heinz Kohl, 2012 [1993]:
Ethnologie - die Wissenschaft vom kulturell Fremden: Eine
Einführung. 3. Neubearbeitete Auage. München: C.H. Beck:
15. Inhaltlich betont die Fachbezeichnung Ethnologie nach
Karl-Heinz Kohl – stärker als die Völkerkunde – den „Grad der
Unterscheidung von [fremden Kulturen] in bezug auf unsere
eigene“ und stellt ein wichtiges „Entscheidungskriterium für
die Ausgrenzung des besonderen Gegenstandsbereichs der
Ethnologie“ dar (ibid.: 27; Kursivsetzung im Original).
5 Völkerkundliche Interessen und Themen waren bis dahin in
den entsprechenden Sektionen der Gesellschaft für Anthro-
pologie, Ethnologie und Urgeschichte (gegründet 1870) bzw.
des Deutschen Geographentags (seit 1882) vertreten worden
Vgl. Carola Lentz und Silja Thomas, 2015: Die Deutsche Ge-
sellschaft für Völkerkunde. Geschichte und aktuelle Heraus-
forderungen. Zeitschrift für Ethnologie 140: 228. Prägend für
die Geschichte des Fachs bzw. der Fachvereinigung ist zudem
die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte, die 1869 gegründet wurde und mit der die DGV
– und nunmehr die DGSKA – die Zeitschrift für Ethnologie
herausgab bzw. herausgibt.
6 Ebd. S. 230
7Hansjörg Dilger, Birgitt Röttger-Rössler & Olaf Zenker
Normalisierung und Öffnung“ sowie das Bestreben,
„an internationale wissenschaftliche Trends anzu-
knüpfen“7 im Vordergrund standen.8
Einen Teil der Auseinandersetzungen über die
Positionierung und Ausrichtung der Disziplin in
den nachfolgenden Jahrzehnten bildeten gleich-
zeitig Debatten zur Umbenennung des Fachver-
bands. In dieser Hinsicht spielten nicht nur die
problematischen Verknüpfungen zwischen Teilen
der völkerkundlichen Theoriebildung und For-
schung mit rassenideologischem und völkisch-na-
tionalistischem Gedankengut des 19. und frühen
20. Jahrhunderts eine Rolle, sondern auch die Tat-
sache, dass im deutschsprachigen Raum Institute
und Studiengänge mit der Bezeichnung „Völker-
kunde“ sukzessive umbenannt wurden und heute
gar nicht mehr existieren.9 Unter Wissenschaftle-
rInnen und Studierenden des Fachs gab es zudem
entweder keine bzw. eine zunehmend negative
Identikation mit dem Begriff der Völkerkunde,
und auch in der Öffentlichkeit bzw. innerhalb an-
derer akademischer Disziplinen war die Bezeich-
nung problematisch konnotiert (vgl. Abb. 1). Mehr-
fache Bestrebungen für einen Namenswechsel der
DGV – zum Beispiel in Deutsche Gesellschaft für
„Ethnologie“ (1960er Jahre) oder „Kulturanthropo-
logie“10 – fanden innerhalb des Verbands jedoch
keine ausreichende Unterstützung.
Vorbereitung der Umbenennung und Abstim-
mung am 6.10.2017
Der Berliner Vorstand war sich dieser komplexen
fachhistorischen und -politischen Situation sehr
bewusst, als er sich nach seiner Wahl 2015 in Mar-
burg entschied, den Schritt der Umbenennung des
Fachverbands erneut in Angriff zu nehmen. Er be-
7 Ebd. S. 240
8 Zur Geschichte des Fachs in der Bunderepublik zwischen
1945 und 1990 auch Dieter Haller 2012: Die Suche nach dem
Fremden: Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik
1945-1990. Frankfurt am Main: Campus Verlag; für die Ge-
schichte der Volkskunde an den Akademien der Wissenschaf-
ten in der DDR nach 1972 Blanka Koffer 2014: Kulturanalyse
und Kulturarbeit. Volkskunde an den Akademien der Wissen-
schaften der DDR und der ČSSR nach 1972. Unveröffentlichte
Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin.
9 Die mit der Disziplin verbundenen Museen rmieren an vie-
len Standorten hingegen weiterhin als Völkerkundemuseen.
10 Vgl. Carola Lentz und Silja Thomas 2015: Die Deutsche Ge-
sellschaft für Völkerkunde. Geschichte und aktuelle Heraus-
forderungen. Zeitschrift für Ethnologie 140: 225–53.
reitete den Weg zur Abstimmung in der Mitglie-
derversammlung 2017 entsprechend sorgfältig vor
und brachte sein Vorhaben der Namensänderung
zum einen bei zwei Treffen der InstitutsleiterInnen
in Bonn (Juni 2016) und Hamburg (Juni 2017) sowie
bei weiteren Treffen von ProfessorInnen in Leip-
zig (Juli 2016) und Köln (Juli 2017) ein, die in den
vorangegangenen 5-10 Jahren neu berufen worden
waren. Da alle diese Treffen vor allem von Profes-
sorInnen besucht wurden, warb der Vorstand bei
diesen Zusammenkünften zudem intensiv dafür,
die Diskussion in die Institute hineinzutragen und
dort eine breite Debatte zur intendierten Umbe-
nennung zu initiieren.
Der Antrag auf Namensänderung wurde weiter-
hin in den DGV-Mitteilungen Nr. 49 vom Mai 2017
angekündigt und dort durch ein erstes Grund-
lagenpapier des Vorstands für die intendierten
Diskussionen begleitet.11 Alle in diesen und ande-
ren Fachdiskussionen artikulierten Argumente für
bzw. gegen jede der drei Namensoptionen – „Völ-
kerkunde“, „Ethnologie“, „Sozial- und Kulturanth-
ropologie“ – wurden schließlich in ein erweitertes
Handout aufgenommen, welches bei der Mitglie-
derversammlung in Berlin am 6.10.2017 als Grund-
lage für die Diskussion bzw. Entscheidungsndung
diente und den Mitgliedern zu Beginn der Tagung
ausgehändigt wurde (siehe Abb. 1).
Im Rahmen der Mitgliederversammlung selbst
wurde das Handout durch den Vorsitzenden,
Hansjörg Dilger, kurz vorgestellt, wobei er zusam-
menfassend deutlich machte, dass es vielfältige
fachhistorische als auch fachpolitische Pro- und
Contra-Argumente in Bezug auf jede der angeführ-
ten Namensalternativen gibt und dass eine völli-
ge Übereinstimmung unter den Mitgliedern da-
her nicht zu erreichen sei. Gleichzeitig hatten die
Eindrücke aus den Diskussionsforen der voran-
gegangenen beiden Jahre deutlich gemacht, dass
die Gegen-Argumente beim Namen „Völkerkunde
signikant überwogen und es zugleich viele gute
Gründe für die Umbenennung in jede der beiden
anderen vorgeschlagenen Bezeichnungen gab (sie-
he Abb. 1).
11 Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde e.V. 2017: Mit-
teilungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. 49:
12–14. Online unter: https://www.dgska.de/wp-content/
uploads/2017/06/DGV-Mitteilungen_49_web_300dpi.pdf
(17.08.2019).
8 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Abstimmung zur Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V.:
Handout für Mitgliederversammlung am 6.10. an der Freien Universität Berlin
a) Beibehaltung des Namens Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde e.V. (DGV)
Pro
Contra
Historische Kontinuität: Begriff „Völkerkunde“
ist seit 1771 in Gebrauch, d.h. lange vor dem
späten 19. & frühen 20. Jhdt. (siehe rechte
Spalte); Begriff war prägend für frühe Debatte
über ethnographia und ethnologia
Verknüpfungen zwischen völkerkundlicher
Theoriebildung & Forschung mit
rassenideologischem und völkisch-
nationalistischem Gedankengut des 19. und
frühen 20. Jahrhunderts
Debatte über „indigene Völker“ zeigt, dass der
Begriff „Völker“ heute auch positiv konnotiert &
an Fachdebatten anschlussfähig sein kann
als heute; aktuell: Erstarken nationalistischer
und völkischer Ideologien in Deutschland &
Europa, die den „Volks-/Völker“-Begriff –
erneut – unhaltbar machen
Aufarbeitung der eigenen
hochd
iversen
Fachgeschichte ist unabhängig vom gewählten
Namen
Völkerkunde hat heute
keine
Entsprechung
mehr an universitären Instituten und deren
Studiengängen sowie an
Forschungseinrichtungen und
Vereinen/Gesellschaften des Fachs
Fehlende bis negative Ide
ntifikation mit dem
Begriff unter WissenschaftlerInnen und
Studierenden des Fachs & damit Mangel an
integrierendem Potenzial insbesondere für
jüngere Fachgenerationen
Stark negative Assoziationen mit dem Begriff in
der Öffentlichkeit (aktuell: Humboldt Forum)
Negativ
-
Potenzial für öffentliche Positionierung
der Fachgesellschaft bzw. von
FachvertreterInnen und damit für Fach- &
Identitätspolitik (z.B. Lächerlichmachen bei
öffentlichen Medienauftritten als
„VölkerkundlerIn“)
Debatte über „indigene Völk
er“ als nur
ein
thematischer Arbeitsbereich unserer Disziplin;
lokale Begriffe haben zudem oft andere
Konnotation als die „Völker“ in Deutschland
b) Deutsche Gesellschaft für Ethnologie e.V. (DGE)
Pro
Contra
Kontinuität zur mehrheitlichen Bezeichnung de
r
Universitäts-Institute und Studiengänge
(„Einheitlichkeit“)
Begriff der Ethnie im kolonialen Kontext (analog
zu Volk) problematisch besetzt
Mehrheitliche Bezeichnung in Einführungs
-
&
Standardwerken des Fachs
Ethnologie nominell nichts anderes
als
Völkerkunde; Umbenennung somit rein
„symbolischer Akt“
Zeitschrift für
Ethnologie
von der
Fachgesellschaft mit herausgegeben
In der öffentlichen Wahrnehmung
und in
benachbarten Disziplinen der Sozial- und
9
Abb. 1: Handout zur Mitgliederversammlung am 6.10.2017, in dem die Argumente, die für bzw. gegen jede der drei Namensoptio-
nen für die Fachgesellschaft sprechen, aufgeführt wurden. © Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie e.V.
Hansjörg Dilger, Birgitt Röttger-Rössler & Olaf Zenker
Geisteswissenschaften
(teils) bis heute mit
exotisierenden Ansätzen und (u.a.) kolonialen
Perspektiven assoziiert
Differenzierte Debatte (über „ethnische
Gruppen“ hinaus) hat das Fach in der heutigen
Form mit seinen vielfältigen Gegenständen und
Ansätzen (neu) positioniert
Öffentlich & akademisch
anerk
annt:
starke
Nachfrage nach „ethnologischer Expertise“;
wichtig für Identitäts- und Fachpolitik
Bezeichnung
ist anschlussfähig in
französischsprachige Regionen (éthnologie);
historische Tradition der ethnology u.a. in GB
Betont Spezifizität der
deutschsprachigen
Fachtradition
c) Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA)
Pro
Contra
Reflektiert
epistemologisch
-
theoretische
Herangehensweise jenseits des Ethnienbegriffs
(Menschen in sozialen & kulturellen Bezügen;
transkulturelle Ansätze)
Fokus auf „den Menschen“ entspricht nicht
unserem Fachgegenstand (= „kulturelle
Gruppen“) und negiert, dass wir uns auch mit
„nicht-menschlichen“ Wesen beschäftigen
Internationale Anschlussfähigkeit an
Social
u
nd
Cultural Anthropology
Sozialanthropologie als Teilgebiet physischer
Anthropologie hatte Blütezeit in der Nazizeit
mit Rasseforschung
Der europäische ‚Dachverband’ EASA trägt
ebenfalls die Social Anthropology im Namen
„Anthropologie/
Anthropology
“ bspw. an
afrikanischen Universitäten stark mit
Kolonialzeit assoziiert
Interdisziplinäre Anschlussfähigkeit (sowohl in
Richtung der Geistes- als auch der
Gesellschaftswissenschaften)
Kulturanthropologie wird aktuell von vielen
Instituten & Studiengängen der Europäischen
Ethnologie als neue Bezeichnung gewählt
Verbindung
von
Sozial
-
und
Kultur
anthropologie
kann andere Konnotationen und Geschichten
der Begriffe (siehe rechte Spalte) überlagern
Sammelbezeichnungen der DFG umfassen auch
die Europäische Ethnologie
Das für unser Fach zuständige Fachkollegium
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
hat SKA als Sammelbezeichnung
Gefahr der begrifflichen Unschärfe
& fehlender
Wiedererkennungswert in der Öffentlichkeit
(d.h. mögliche fachpolitische Schwächung)
SKA könnte geeignetes Forum für Debatte über
diverse Fachbezeichnungen & -Debatten sein
10 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Im Anschluss an die Einführung des Tages-
ordnungspunkts „Antrag auf Satzungsänderung“
wurde von Seiten der Mitglieder kein Bedarf für
Nachfragen oder Meinungsaustausch angemel-
det, weshalb die Versammlung direkt zum Abstim-
mungsverfahren überging (zum Abstimmungs-
verfahren siehe DGSKA Mitteilungen 2018: 12-14).
Das zunächst erhobene schriftliche Meinungsbild
machte dabei deutlich, dass es zum einen eine gro-
ße Mehrheit für die beantragte Namensänderung
gab (198 Ja-Stimmen gegenüber 15 Stimmen, die
sich für die Beibehaltung des Namens „Völkerkun-
de“ aussprachen), und zum anderen, dass die Na-
mensoption „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und
Kulturanthropologie e.V.“ die stärkste Unterstüt-
zung als Alternativbezeichnung erhielt (110 Stim-
men für „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und
Kulturanthropologie e.V.“ gegenüber 88 Stimmen
für „Deutsche Gesellschaft für Ethnologie e.V.“).12
Da die Namensoption „Deutsche Gesellschaft für
Sozial- und Kulturanthropologie e.V.“ somit die
stärkste Unterstützung im Rahmen des Meinungs-
bilds erhalten hatte, wurde im zweiten Schritt
12 3 Stimmen wurden für ungültig erklärt, es gab 0 Enthaltungen.
– ebenfalls schriftlich – über diesen Namen bzw.
die damit einhergehende Satzungsänderung ab-
gestimmt (vgl. Abb. 2).13 Bei dieser Abstimmung
wurde der Antrag auf Änderung der Satzung („Um-
benennung der Deutschen Gesellschaft für Völ-
kerkunde e.V. in Deutsche Gesellschaft für Sozial-
und Kulturanthropologie e.V.“) mit 167 Ja-Stimmen
gegenüber 37 Nein-Stimmen (bei 11 Enthaltungen
und 1 ungültiger Stimme) mit der erforderlichen
Zweitdrittel-Mehrheit angenommen. Damit hatte
sich der Fachverband im Rahmen der Mitglieder-
versammlung vom 6.10.2017 in Deutsche Gesell-
schaft für Sozial- und Kulturanthropologie e.V.
umbenannt.
13 Es waren für jeden Fall des Ergebnisses des schriftlichen
Meinungsbildes – also auch für eine mögliche Mehrheit für
„Deutsche Gesellschaft für Ethnologie e.V.“ – Stimmzettel
vorbereitet und beim Eintritt zur Mitgliederversammlung
ausgehändigt worden.
Abb. 2: Stimmzettel zum Antrag auf Satzungsänderung bei der Mitgliederversammlung der ethnologischen Fachgesellschaft am
6.10.2017 in Berlin;© Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie e.V. (Foto: Timur Kiselev).
11Hansjörg Dilger, Birgitt Röttger-Rösler & Olaf Zenker
Einschätzung der Umbenennung und Ausblick
Im Rückblick ist es – auch aus unserer Sicht als
Vorstand, der die Umbenennung der Fachgesell-
schaft in Berlin initiiert hat – eher überraschend,
dass sich die anwesenden Mitglieder mehrheitlich
für die Bezeichnung Sozial- und Kulturanthropo-
logie entschieden. Schließlich tragen die meis-
ten universitären Institute im deutschsprachigen
Raum den Namen Ethnologie im Titel;14 und einer
der auch im Handout zur Mitgliederversammlung
am 6.10.2017 aufgelisteten Haupteinwände gegen
die Teilbezeichnung „Sozialanthropologie“ war,
dass dieser Name nicht allein als Äquivalent für die
britische – kolonialhistorisch ebenfalls belastete –
Social Anthropology steht, sondern in Deutschland
insbesondere den für den Rassenkundler Hans F.K.
Günther 1930 geschaffenen Lehrstuhl an der Uni-
versität Jena bezeichnete.15
Gleichzeitig gab es aus Sicht der BefürworterIn-
nen der favorisierten Namensoption jedoch auch
gute Gründe, sich für die Verknüpfung der Be-
zeichnungen Sozial- und Kulturanthropologie zu
entscheiden. Hierbei ist nicht allein ausschlagge-
bend, dass dieser Name das Fach in Deutschland
international sichtbarer und anschlussfähiger an
die Disziplinen der Social und Cultural Anthropo-
14 Vgl. Homepage der Deutschen Gesellschaft für Sozial-
und Kulturanthropologie: https://www.dgska.de/links/
(17.08.2019).
15 Vgl. Karl-Heinz Kohl 2012 [1993]: Ethnologie - die Wissen-
schaft vom kulturell Fremden: Eine Einführung. 3. Neubearbei-
tete Auage. München: C.H. Beck.
logy im anglophonen Raum machen kann.16 Auch-
mehrten sich im deutschsprachigen Raum in den
letzten Jahrzehnten Institute und Lehrstühle, die
die Bezeichnung „Sozialanthropologie“ bzw. „So-
zial- und Kulturanthropologie“ wählten17 und da-
mit eine eigene Tradition unter diesem Fachnamen
etablierten, ohne dabei unter den Verdacht der
Nähe zur Rassenkunde des frühen 20. Jahrhun-
derts zu geraten. Bei der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft wiederum ist die Ethnologie seit
mehreren Jahren innerhalb des Fachkollegiums
106 mit der Teilbezeichnung Sozial- und Kultur-
anthropologie beheimatet, ohne dass sich aus der
Disziplin heraus signikante Kritik formiert hätte.
Auch wenn nicht alle Mitglieder mit dem mehr-
heitlich beschlossenen neuen Namen unseres
Fachverbandes einverstanden sind, so sollte dies
der Bereitschaft, gemeinsam kritisch über die Viel-
falt theoretischer, methodologischer sowie fach-
historischer und -politischer Perspektiven unserer
Disziplin zu diskutieren, keinen Abbruch tun. Wir
hoffen, dass auch künftig alte und neue Mitglieder
unseres Verbands in einem konstruktiven, genera-
tionsübergreifenden Austausch die Entwicklungen
innerhalb der Disziplin debattieren und die Rolle
des Fachs in der Gesellschaft sowie der weiteren
akademischen Landschaft aktiv konturieren.
16 So trägt insbesondere der europäische Dachverband die
Bezeichnung European Association of Social Anthropologists.
17 Oder auch in der Reihenfolge „Kultur- und Sozialanthro-
pologie“ wie am entsprechenden Institut in Wien und beim
Fachgebiet in Marburg.
12 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Ethnologie – eine Begriffsfalle
Werner Schiffauer
10. April 2018
Als ich hörte, dass der Vorstoß einer Namensände-
rung der Disziplin von „Völkerkunde“ in „Ethnolo-
gie“ abgelehnt und stattdessen die Umbenennung
in „Sozial- und Kulturanthropologie“ beschlossen
wurde, war ich mehr als erleichtert. Zum einen war
mir der Umbenennungsvorschlag in Ethnologie
schon deshalb als absurd erschienen, weil man den
Begriff des „Volkes“ (nur eben als Fremdwort) wei-
ter als Bezeichnung des Fachgegenstandes führen
wollte. Dies deckt sich aber keineswegs mehr mit
dem, was inhaltlich in dem Fach passiert. An den
meisten Instituten und Lehrstühle wird das Fach
als Wissenschaft von der kulturellen und sozia-
len Formung des Menschen gelehrt – mit anderen
Worten: als Sozial- und Kulturanthropologie.
Problematisch am Begriff der Ethnologie ist ja
zunächst, dass der Hypostasierung des Begriffs
„Ethnos“ Vorschub geleistet wird. Mir ist durchaus
bewusst, dass die Mehrheit der Fachvertreter dies
ablehnt und einen konstruktivistischen Begriff des
Ethnos bejaht – also Fremd- und Selbstethnisie-
rungsprozesse analysiert (auch wenn der ontologi-
cal turn hier möglicherweise eine erneute Wende
einleitet). Dennoch entfaltet die Fachbezeichnung
als solche eine performative Wirkung: Schließlich
benennt sie einen Gegenstand, der zu erforschen
ist. Und dies setzt sich immer wieder durch – wie
der sprichwörtliche Wassereck auf der Wand,
den man vergeblich zu übertünchen sucht.
Das hatte gerade auf meinem Arbeitsgebiet,
der Migrationsforschung, weitgehende Implika-
tionen. Die erste und folgenreichste ist nach wie
vor, dass das im Begriff Ethnos mitschwingende
Ordnungsprinzip der Identikation von sozialer
Gruppe, Raum und Kultur sich nach wie vor in der
regionalen Ausrichtung unserer Institute wieder-
spiegelt (wenn auch in der verallgemeinerten Form
der Kulturräume). Dies erschwert es effektiv trans-
nationale Phänomene systematisch zu analysieren
und führte dazu, dass die Ethnologie sich effektiv
aus der Migrationsforschung verabschiedete. Da
die regionale Ausrichtung sich in der Besetzungs-
politik niederschlägt, setzt sich ein Anthropologe,
der seine Habilitation auf Forschungen zu Ghanai-
schen Migranten in der Türkei gründet systema-
tisch zwischen die Stühle. Er/Sie wird weder für
einen Lehrstuhl mit dem Schwerpunkt Afrika noch
für einen mit dem Schwerpunkt „Vorderer Orient“
berufbar sein. Die Folge ist, dass in der Ethnolo-
gie die Migrationsforschung zwar noch in studen-
tischen Lehrforschungsprojekte eine Rolle spielt;
jede_r ambitionierte_r Nachwuchswissenschaft-
ler_in aber gut beraten ist, spätestens bei der
Promotion die Untersuchung von Migrationspro-
zessen bleiben zu lassen. Ich selbst konnte mich
nur mit Aussichten auf Erfolg auf einen Ein-Perso-
nen-Lehrstuhl an einer Kulturwissenschaftlichen
Fakultät bewerben, der eben nicht regional aus-
gerichtet war. In die von der Ethnologie geöffnete
Lücke stießt die Europäische Ethnologie (also die
gewandelte Volkskunde) vor – und konnte dies,
weil sie die Einwanderung nach Europa analysiert.
Die transkontinentale Migration (etwa von Indien
in die Golfstaaten; von Afrikanern in die Türkei
oder nach China) blieb ein Außenseiterthema.
Der von dem Begriff mitgeschleppte Ballast führ-
te auch zu problematischen Weichenstellungen in
der Migrationsforschung selbst. Allzu oft bestand
der Beitrag der „Ethnologen“ in der Erstellung von
ethnic community studies. Damit wurde, wie Gerd
Baumann überzeugend gezeigt hat, das den Alltag
und die Lebenswelt bestimmende komplexe Netz
zwischen Angehörigen unterschiedlicher ethni-
scher Gruppen ausgeblendet. Schlimmer noch:
Das Festhalten an der Gleichsetzung von ethni-
scher Gruppe, Kultur und Identität, das auch die
ethnic community studies mit sich schleppten,
unterstützte Alterisierungs- und damit Ab- und
Ausgrenzungsprozesse.1 Es kommt dazu, dass die
Fachbezeichnung auch ein Signal nach außen setzt.
Immer wieder wird in interdisziplinären Arbeits-
zusammenhängen die Erwartung an die „Ethnolo-
gen“ herangetragen, den „Faktor ethnische Kultur“
zu untersuchen und zu erklären, welche kollekti-
ven Werthaltungen etwa Modernisierungsprozes-
sen im Wege stehen oder Radikalisierungsprozesse
fördern. Nicht, dass die Bezeichnung Kultur- und
Sozialanthropologie vor diesen Ansinnen schützen
würde – aber in Frankfurt/Oder konnten wir uns
wenigstens auf sie berufen um zu erklären, dass es
uns um die Analyse von Verwaltungen, Unterneh-
men oder Migrationsprozessen ging.
1 Baumann, Gerd 1996. Contesting Culture. Discourses of Iden-
tity in Multi-ethnic London. Cambridge: Cambridge University
Press.
13Werner Schiffauer
Es stimmt natürlich, dass wir uns untereinander
– wie in der Auseinandersetzung um die Fachbe-
zeichnung auch schon festgestellt – gegenseitig
oft als „Ethnologen“ ansprechen. Dabei spielt un-
sere Fachgeschichte (und damit unsere Lesebio-
graphien) als Auseinandersetzung mit den außer-
europäischen Ethnien eine Rolle. In ihr wurden
die wesentlichen begrifichen und methodischen
Werkzeuge entwickelt, die heute unser Kennzei-
chen sind: Die intensive Feldforschung und die
anthropologische Deutungskunst (ich tendiere die
Abfolge der theoretischen Ansätze – Diffusionis-
mus, Funktionalismus, Struktur-Funktionalismus,
Strukturalismus, Symbolische Anthropologie, mar-
xistische Anthropologie, Writing Culture – weniger
unter dem Ansatz einer fortschreitenden Wissen-
schaftsentwicklung zu sehen, als unter dem der
Ausdifferenzierung einer Kunstlehre der Inter-
pretation). Wenn wir uns auf diesem Hintergrund
als „Ethnologen“ ansprechen, dann in dem Wissen,
dass wir dies in Anführungszeichen tun, nämlich
als Wissenschaftler, die nicht mehr über Ethnien
forschen, sondern über Bürokratien, Unterneh-
men, Polizeiapparate, Migrationsprozesse etc.
aber dies mit unseren spezischen Zugängen.
Dies erklärt auch, warum wir das Wort „Ethnogra-
phie“ auch weiter gerne in Untertiteln verwenden.
Wenn wir „Ethnographien“ des Labors, des Innen-
ministeriums oder der Islamischen Gemeinde Milli
Görüş vorlegen, dann ergibt sich von selbst, dass
wir den Begriff „Ethnographie“ metaphorisch ver-
wenden. Noch ein Wort zur Fachgeschichte: Ja –
alle Bezeichnungen sind problematisch. Und ich
glaube auch nicht, dass uns die Doppelung Sozial-
und Kulturanthropologie aus dem Dilemma rettet.
Wir müssen uns dem schwierigen Erbe reexiv zu-
wenden und den kolonialistischen, rassistischen
und nationalsozialistischen Hintergrund unserer
Disziplin aufarbeiten. Es wäre aber heillos, hier zu
gewichten und eine Hierarchie der Schuld aufzu-
machen. Da nun alle Fachbezeichnungen prob-
lematisch sind, sollten wir die bitter notwendige
Reexion von der Frage der Selbstbezeichnung
abkoppeln – und hier die Bezeichnung wählen, die
am wenigsten missverständlich in Bezug auf den
Gegenstand ist.
14 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Die Umbenennung: Morali-
sches Schulterklopfen und
Geschichtsvergessenheit
Dieter Haller
17. April 2018
Kurz vor der Umbenennung der DGV in DGSK
konnte ich in Bochum die Umbenennung meines
Lehrstuhles, der die „Sozialanthropologie“ zur
Denomination hatte, in „Ethnologie“ erwirken. In
Berlin geschah nun genau das Umgekehrte. Ich
hätte nie gedacht, dass sich in meinem geliebten
Fach einmal Gleichgültigkeit gegenüber faschis-
tischen Bezügen, neoliberale Anbiederei an den
angelsächsischen Zeitgeist, moralische Selbst-
überhebung und schlichte Wurschtigkeit siegreich
die Hände reichen. Aber der Zeitgeist weht eben
rechts, und selbst die, die sich als Vertreter einer
progressiven Haltung verstehen, sehen manchmal
nicht, wessen Handwerk sie da besorgen. So wie
die siegreichen Umbenenner der Berliner Tagung
– wahrscheinlich bei bester Absicht – wahrschein-
lich nicht merken wollten, dass sie kolonialistische
und faschistische Bezüge mit der getroffenen Wahl
zur Umbenennung würdigen. Auch ich hadere des-
halb mit mir, ob ich aus einer solchen Gesellschaft
austreten soll. Noch habe ich so viel Vertrauen in
meinen Berufszweig, dass ich unterstelle, die meis-
ten Umbenenner hätten nicht gewusst, was sie da
tun. Aber auch das ist schon ein Armutszeugnis für
Wissenschaftler, die nichts mehr wissen von ihrer
fachlichen Vergangenheit und wohl auch nichts
wissen wollen. Sensibilität gegenüber rechten Dis-
kurshegemonien ist heute wohl „so twentieth cen-
tury“, vielleicht auch deshalb hat sich auf der Ta-
gung die Vorstellung von Identität als Bekenntnis
durchgesetzt. Wie ich höre, habe es während der
Mitgliederversammlung keine inhaltliche Debatte
um die Umbenennung gegeben.
Anders als die m. E. nach von falscher politischer
Korrektheit – bei gleichzeitiger historischer Blind-
heit – getriebene Mehrheit der DGV-Tagungsteil-
nehmer gehe ich nicht von einer Fachidentität als
Bekenntnis aus, sondern davon, dass Identität sich
vor allem daraus speist, was man konkret tut. Ich
folge damit also dem Ansatz von „identity as prac-
tice“ anstatt von „identity as discourse and identi-
cation“.
Ich möchte mit meinem Beitrag im Blog an die
Argumentation des Kollegen Kohl2 anknüpfen und
um jene Aspekte anreichern, die die Fakultät und
das Rektorat in Bochum davon überzeugten, dass
Ethnologie die richtige Bezeichnung ist für das,
was mein Lehrstuhl vertritt – und in der Praxis si-
cherlich die der meisten Lehrstühle des Faches in
Deutschland. Der Bochumer Antrag auf Umbenen-
nung, den ich zusammen mit der bisher sogenann-
ten „Sektion für Sozialpsychologie und Sozialan-
thropologie“, der ich administrativ zugeordnet bin,
stellte, basierte auf folgenden Argumenten:
Fachhistorisch sind sowohl die Bezeichnungen
Sozialanthropologie wie auch Kulturanthropologie
sehr viel problematischer als der Begriff Ethnolo-
gie. Historisch sind die Inhalte und Ansätze eines
vormals im deutschsprachigen Raume bestehen-
den Faches Sozialanthropologie als auch allein
schon dessen Bezeichnung hochgradig belastet, da
sie eng mit der rassebiologischen Bevölkerungs-
planung und der Eugenik, sowie mit Rassenfor-
scherinnen und -ideologinnen wie Eugen Fischer,
Ilse Schwidetzky-Roesing und Wilhelm Emil Mühl-
mann verbunden sind. Für Fischer bezeichnete So-
zialanthropologie die „Lehre von den Beziehungen
zwischen den anthropologischen Merkmalen und
den sozialen Gruppen, denen ihre Träger angehö-
ren (historische Anthropologie, Eugenik, Krimi-
nalanthropologie, Rassenhygiene usw.)“.3 Bis zum
Ende der NS-Zeit hatte die Sozialanthropologie
im deutschen Sprachraum „eine Steuerungsfunk-
tion sowohl im Bereich der staatlichen Gesund-
heitsdienste, als auch bei der Vorbereitung und
Durchführung eugenischer Massnahmen.“ Die
Sozialanthropologie setzte „auf den Staat, um der
vorgeblichen ‚Degeneration‘ der Bevölkerung ent-
gegenzuwirken.4
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich an der
Verknüpfung von Biologie und Gesellschaft nichts
geändert: „Gegenstand der S., so das von Schwi-
detzky-Roesing – Schülerin des führenden NS-Ras-
seideologen, Egon von Eickstedt – mitherausgege-
bene Fischer Lexikon Anthropologie5 von 1959 „sind
2 Kohl, Karl-Heinz 2017. Kollateralschäden. Eine Polemik, in:
Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische Sammlungen
neu denken. https://boasblogs.org/de/humboldt/kollateral-
schaeden-eine-polemik/ (24.09.2019).
3 Sigrist, Christian 1995. Sozialanthropologie, in: Joachim
Ritter & Karlfried Gründer (Hg.). Historisches Wörterbuch der
Philosophie, Bd. IX: 1122-1126.
4 ebd.
5 Heberer, Gerhard, Gottfried Kurth & Ilse Schwidetzky-Roesing
15Dieter Haller
die Wechselbeziehungen zwischen der biologischen
Beschaffenheit der Menschen und den Sozialvorgän-
gen.“ Die zentralen Begriffe der Sozialanthropologie
sind noch immer Auslese (Selektion) und Siebung.
Die biologische Determinierung der sozialen
Gesellungsformen steht auch im Werk des Völker-
kundlers und Soziologen W. E. Mühlmann bis zum
Kriegsende explizit, danach implizit, im Mittel-
punkt.6 Als ausgewiesener Rasseforscher vertrat er
vor Kriegsende nationalsozialistische Positionen zur
Beziehung zwischen Rasse und Kultur. Auch Mühl-
mann arbeitete in der Nachkriegszeit inhaltlich ge-
nauso weiter wie zuvor, er verstand es jedoch, sein
wissenschaftliches Instrumentarium in neue und
unverdächtige Begrifichkeiten zu überführen: aus
dem vormals biologischen Rassebegriff wurde ein
soziologischer, „aus ‚Umvolkung und Volkwerdung‘
wurden ‚ethnische Assimilation und Ethnogenese‘“.7
Mühlmann, der institutionell versuchte, Soziologie
und Ethnologie zusammenzubringen, nahm zwar in
den 1960er Jahren die britische Social Anthropology
und die soziologische Analyse von ‚Naturvölkerkul-
turen‘ auf, allerdings mit zwei entscheidenden Un-
terschieden zur „echten“ (= britischen) Social An-
thropology: er selbst arbeitete nie als Feldforscher
und er behielt seine rassentheoretischen Grundla-
gen immer bei.
Mein Bochumer Vorgänger Helmut Nolte, Pro-
fessor für Sozialpsychologie und -anthropologie,
war sicherlich kein Vertreter dieser Richtungen,
allerdings führte auch er seinen sozialanthropolo-
gischen Tätigkeitsbereich auf eine bioafne Weise
fort, die sowohl national als auch international nach
dem Krieg – bis eben auf Schwidetzky-Roesing
kaum mehr gepegt wurde. Er knüpfte auch an
diese Tradition an, indem er die Bereiche der bio-
logischen (z. B. K. Lorenz, I. Eibesfeldt) Anthropo-
logie mit der philosophischen (z. B. A. Gehlen und
H. Plessner), der historischen Anthropologie und
der Ethnologie (z. B. C. Geertz) kombinierte. Die
britische Social Anthropology spielte bei ihm jedoch
überhaupt keine Rolle.
1959. Das Fischer Lexikon – Anthropologie. Frankfurt am Main:
Fischer.
6 Westphal-Hellbusch, Sigrid 1959. The Present Situation of
Ethnological Research in Germany. American Anthropologist 61:
848-865.
7 Herbert, Ulrich 2010. Der deutsche Professor im Dritten
Reich. Vier biographische Skizzen, in: Karin Orth & Willi
Oberkrome (Hg.). Die DFG 1920-1970. Forschungsförderung im
Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Stuttgart: Franz
Steiner Verlag, 483-503.
Es ist mir unbegreiich, wie sich mein Fachver-
band einen solch faschistisch kontaminierten Begriff
aneignen kann, wohl im Brustton der Überzeugung,
dass er unbelasteter sei als der der Ethnologie oder
der Völkerkunde. Warten wir ab, ob nun auch der An-
trag gestellt werden wird, etwa das Max-Planck-In-
stitut in Halle in Wilhelm-Emil-Mühlmann-Institut
umzubenennen (der wollte nämlich die Fachvereini-
gung einmal in Kulturanthropologie, ein andermal
in Sozialanthropologie umbenennen lassen.8 Folge-
richtig jedenfalls wär’s.
Die Bezeichnung „Kulturanthropologie“ ist bei
weitem nicht so vorbelastet wie die der Sozialan-
thropologie, aber er hat mit dem, was Franz Boas
Cultural Anthropology nannte, heute in der Praxis
wenig zu tun. Vielmehr ist es ein Begriff, der für
allerlei kulturwissenschaftliche Studienwege ver-
wendet wird, die mit den Grundlagen der Ethno-
logie, insbesondere der langanhaltenden Feldfor-
schung und dem mühevollen Vor-Ort-sein, kaum
etwas zu tun haben. Vielmehr bewegt man sich
hierzulande als Kulturanthropologin in der Traditi-
on der britischen Cultural Studies der 1980er Jah-
re, die alles Mögliche und mit Vorliebe Texte un-
tersuchen – am allerwenigsten aber das Humane
am Menschen. Sigmar Gabriel hat einmal gesagt,
der Platz der SPD sei dort, wo es brodelt; da, wo
es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt. Dort
ist m. E. auch der Platz der Ethnologie (ähnlich ar-
gumentiert auch Howell).9 Von den Kulturanthro-
pologInnen macht das aber kaum jemand, vielmehr
gefällt man sich darin, ohne ethnologische Basis
zu Bhabheln, zu Agamben und zu Butlern, das ist
ja auch viel angenehmer als sich an den Herd mit
einer Familie zu setzen und mit ihnen über ein Jahr
lang Kohlsuppe zu löffeln. Der Ethnosbegriff trägt
der Tatsache Rechnung, dass die meisten Men-
schen auf diesem Globus sich nach ethnischen
Kategorien zuordnen und die Ethnologie die ein-
zige Disziplin ist, die sich diesem Befund schwer-
punktmäßig zuwendet. Werner Schiffauer spricht
in seinem Beitrag davon, dass mit Ethnologie der
„Hypostasierung des Begriffs ‚Ethnos‘ Vorschub
geleistet wird“, auch wenn „die Mehrheit der Fach-
vertreter dies ablehnt und einen konstruktivisti-
schen Begriff des Ethnos bejaht“. Das ist für mich
8 Haller, Dieter 2012. Die Suche nach dem Fremden. Geschichte
der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945-1990. Frankfurt am
Main: Campus.
9 Howell, Signe 2017. Two or three things I love about ethno-
graphy. HAU. Journal of Ethnographic Theory 7, 1: 15-20.
16 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
genau ein Grund dafür, warum es notwendig ist,
Ethnologie als Bezeichnung beizubehalten. Wir
dürfen diese konstruktivistische Herangehenswei-
se nicht räumen in einer Zeit, in der die Identitären
sich des Begriffes zu bemächtigen versuchen, um
ihre kruden Vorstellungen pseudowissenschaftlich
zu untermauern.
Im Zuge einer falsch verstandenen Internatio-
nalisierung wird „Ethnologie“ heute für ein Fach
benutzt, das in Großbritannien als Social Anthro-
pology und in der in dieser Wissenschaft interna-
tional führenden Nation, den USA, als Cultural An-
thropology bezeichnet wird. Beide Fächer wenden
sich jedoch in der Forschungspraxis demselben
Gegenstand wie die Ethnologie zu, nämlich der
kulturellen Prägung des Gesellschaftlichen. Woll-
te man sich ernsthaft internationalisieren, müsste
man sich terminologisch entweder an die Leitna-
tion anlehnen und das Fach in Cultural Anthro-
pology umbenennen, so wie das auf der DGV-Ta-
gung 1977 in Büdingen vorgeschlagen wurde (auch
damals übrigens mit der Absicht, Anschluss an die
US-amerikanische Disziplin zu nden). Oder aber
man verwendete eine inhaltlich korrekte Form:
Cultural and Social Anthropology (auf Englisch).
Genau für diesen Sachverhalt gibt es in Deutsch-
land aber bereits eine altbewährte und eigene
Bezeichnung, die sich ihrer selbst nicht schämen
muss und sich nicht der imperialistisch veroch-
tenen US-amerikanischen Cultural Anthropology
und der im Kolonialismus verwurzelten britischen
Social Anthropology anzudienen versucht: Ethno-
logie. Sie merken an meiner Wortwahl hoffentlich
die Ironie: Natürlich waren und sind die meisten
Cultural Anthropologists und Social Anthropolo-
gists weder Imperialisten noch Kolonialisten – ge-
nauso wenig wie die allermeisten Ethnologen. Die
aber werden auf der DGV-Tagung 2017 in toto ab-
gewatscht, weil sie vermeintlich Böses im Schilde
führen. Im Zuge der Anbiederungen an eine ver-
meintlich globalisierte und damit entkulturalisier-
te Wissenskultur (die aber in Wahrheit sehr wohl
kulturell, nämlich anglonormativ geprägt ist), ori-
entiert man sich in der Gegenwart deshalb hier-
zulande lieber mehr und mehr an der dortigen Be-
grifichkeit der anthropology und übersetzt dies
dann als Anthropologie ins Deutsche – so als gäbe
es in unserer Sprache keine bereits bestehenden,
spezisch konnotierten Bedeutungen des Anthro-
pologiebegriffs. Würde man Social Anthropology
nicht wörtlich, sondern aus der Arbeitspraxis her-
aus übersetzen, dann hieße sie nicht Sozialanthro-
pologie, sondern Ethnologie. Dies zeigte sich z. B.
deutlich, als die Professur für Sozialanthropologie
an der RUB 2004 ausgeschrieben wurde: die Fakul-
tät lud ausschließlich Bewerber aus der Ethnologie
ein.
Darüber hinaus gibt es auch epistemologi-
sche Gründe, um sich der Bezeichnung „Sozial-
und Kulturanthropologie“ zu verweigern. In der
US-Tradition setzt sich das Fach Anthropology aus
den vier Feldern Linguistics, Archaeology, Cultural
Anthropology und Physical Anthropology zusam-
men. Im Deutschen jedoch besitzt „Anthropologie“
eine ganz andere Bedeutung: Es bezeichnet keine
einheitliche Disziplin, sondern ist vielmehr Zusatz
für verschiedene Fächer, die sich dem Wesen des
Menschen zuwenden – und zwar zumeist unab-
hängig von seiner spezischen kulturellen Prägung
(wie etwa in der pädagogischen, der psychologi-
schen oder der philosophischen Anthropologie).
Fast alle Vertreterinnen der amerikanischen Cul-
tural Anthropology, der britischen Social Anthro-
pology und deutschen Ethnologien wenden sich
aber in erster Linie den kulturspezischen Formen
der (in erster Linie gesellschaftlichen) Daseinsbe-
wältigung zu, das Interesse sowohl an physischer
Anthropologie, Archäologie und dem Wesen des
Menschen ist dem ganz klar nachgelagert. Letz-
teres hängt übrigens von den Ontologien ab, die
den verschiedenen Kulturen der Welt zu Grunde
liegen, ist damit also selbst nur vor einer kulturel-
len Folie zu verstehen. Denn ist anthropos – der
Mensch – alleiniger Erkenntnisgegenstand in einer
Ontologie, in der beispielsweise Wesenheiten wie
Naturerscheinungen und Geister einen Personen-
charakter besitzen, den sie mit homo sapiens tei-
len? Mit der sprachlichen Fixierung auf „anthro-
pos“ entwerten wir genau jene Gruppen („ethnoi“),
über deren Kosmologien wir als Einzige überhaupt
forschen.
Eine weitere Gemeinsamkeit der Ethnologie mit
allen anderen internationalen anthropologies, also
auch der britischen Social Anthropology und der
amerikanischen Cultural Anthropology, besteht
in einer gemeinsamen und eindeutigen Schwer-
punktsetzung: Diese liegt ganz klar in der Erarbei-
tung tiefer Kenntnisse über konkrete Lebenszu-
sammenhänge (sie ist also ethnologisch); auf dieser
Grundlage werden Kulturvergleiche angestellt und
in induktiver Weise Beiträge zur Theoriebildung
geleistet. Das Aufstellen von Theorien über das
Wesen des Menschen (also das anthropologische
Moment) ist dem in der Arbeitspraxis der meisten
17Dieter Haller
Fachvertreter ganz klar nachgelagert (womit ich
in keinster Weise etwa die Arbeiten des Kollegen
Antweiler kritisieren möchte, die ich immer für
wichtig, sinnvoll und extrem anregend empnde).
Man kehrt heute diese Beziehung zwischen Empi-
rie und Theoriebildung in der Praxis um, wenn die
Arbeit mit dem Begriffszusatz „anthropologie“ ver-
sehen wird.
Bei solchen Umbenennungen handelt es sich
um terminologische Kosmetik, denn in der wis-
senschaftlichen Praxis steht auch bei den „neuen“
Sozialanthropologen (die gar nichts mit der bio-
logischen Vergangenheit zu tun haben) die Er-
forschung konkreter Lebenszusammenhänge im
Vordergrund, das (und somit anthropologisch zu
nennende) Interesse am Wesen des Menschen ist
auch hier eindeutig nachgelagert. Es fröstelt mich.
Ich bin alt geworden und offensichtlich ein Relikt
vergangener Zeiten. Wer hätte das gedacht. Es
ist kalt geworden in unserem Land. Diskreditier-
te Begriffe kehren zurück, erobern unseren Alltag,
dringen in Nischen ein, aus denen sie ihre Wirkung
subkutan entfalten, aus denen sie unser Denken
lenken. Im Moment stehen die Spieglungen des Ei-
genen im Vordergrund, es geht nach rechts. Hoffen
wir, dass sich das bald wieder ändert.
18 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war
Thomas Bierschenk
24. April 2018
Früher Nachmittag des 6. Oktobers 2017, Hörsaal 1a
der sog. Rost- und Silberlaube der Freien Universi-
tät Berlin: Aus einigen Ecken des Hörsaals ertönen
verhaltene Freudenschreie, Menschen haben Trä-
nen in den Augen, manche fallen sich mit einem
‚endlich geschafft‘ in die Arme. Was war passiert?
Hatte die Europäische Union gerade in Brüssel
bekanntgegeben, aufgrund der bei der Eröffnung
der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völ-
kerkunde (DGV) am Vortag geäußerten fulminan-
ten Kritik ihre Flüchtlingspolitik umzuwerfen und
die Vorschläge der in Berlin versammelten Ethno-
loginnen für eine humanere Flüchtlingspolitik zu
übernehmen? Hatten die deutschen Bundesländer
beschlossen, Ethnologie als Schulfach einzufüh-
ren, sodass die vielen anwesenden jungen Ethnolo-
gen jetzt sichere Berufsperspektiven hatten? Hatte
die Fußball-Frauenmannschaft der ‚großen‘ DGV
(V für Völkerkunde) gerade die der kleinen dgv (v =
Volkskunde) zweistellig geschlagen?
Nichts von alledem. Vielmehr hatte sich die
‚große‘ DGV gerade in DGSKA umbenannt – ein
Zungenbrecher, der sich in Deutsche Gesellschaft
für Sozial- und Kulturanthropologie auöst. Aus-
zusprechen irgendwie wie Degeskáa. Jüngere und
sich jung fühlende Menschen verbinden mit dem
Kürzel vielleicht eine Gesellschaft, die sich einer
besonderen Musikrichtung widmet. Ich assoziie-
re mit DGSKA eine Sondereinheit der Polizei, oder
eine Unterabteilung in der Brüsseler EU-Bürokra-
tie, oder eine deutsche Gesellschaft für Knochen-
markspenden. Und wie soll man das Ding über-
haupt aussprechen?
Im ersten Wahlgang (technisch gesehen, wenn
meine Erinnerung mich nicht täuscht, nur ein
‚Stimmungsbild‘), in dem mehrere Alternativen
zur Abstimmung standen, stimmten 110 Anwesen-
den (55%) für SKA, 88 für Ethnologie. Berücksich-
tigt man noch die 15 Stimmen aus diesem ersten
Wahlgang, die für die Beibehaltung des Begriffs
Völkerkunde abgegeben worden waren, dann war
die Entscheidung also denkbar knapp. (Im zweiten
Wahlgang, als es nur noch um ein für oder gegen
SKA ging, erhielt SKA 167 Stimmen.) Anwesend
waren ca. 30% der DGV-Mitglieder (216 von 731).
Mit anderen Worten hatten 15% der Mitglieder der
DGV die Umbenennung herbeigeführt.
Für viele Anwesende war der Vorgang anschei-
nend höchst bedeutungsvoll. Im Rauschen der
Twitter-Nachrichten, die die Abstimmung kom-
mentierten, waren Sätze zu lesen wie ‚endlich die
Last der Vergangenheit abgeschüttelt‘, ‚endlich die
Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich das Fach
mit seiner Geschichte auseinandersetzen kann‘,
‚ein längst überfälliger Schritt‘, ‚Glückwünsche zur
Ankunft im 21. Jahrhundert‘. Auf Facebook plädierte
jemand dafür, das Fach ‚sprachlich an die Zukunft
anpassen‘. Manche der Twitter-Nachrichten waren
auch mit dem Hashtag #Umbenennung versehen,
passend dazu, dass Berlin aktuell eine Hochburg
von Umbenennungskampagnen ist.
Dass die Umbenennungsdiskussion intensiv per
Twitter vorbereitet und begleitet wurde, habe ich
allerdings erst im Nachhinein bemerkt. Wie die
meisten Fachvertreter war ich erst kurz vor der
Tagung in die Debatte einbezogen. Unser Medi-
um war der E-Mail-Verteiler „alleInstitute“. Über
diesen hatte Dieter Haller am 18. September, drei
Wochen vor der Berliner DGV-Tagung, mitgeteilt,
dass es ihm „nach langen Kämpfen“ gelungen sei,
seine Bochumer Professur für Sozialanthropo-
logie in Professur für Ethnologie umzubenennen,
und welche Gründe ihn dazu bewogen hatten. In
der durch diese Mitteilung losgetretenen Debatte
sprach sich die große Mehrheit derer, die sich zu
Wort meldeten, für eine Umbenennung der DGV
in Gesellschaft für Ethnologie aus. Damit blieben
die Fachvertreter aber anscheinend unter sich. Die
weniger etablierten Anhänger einer Umbenen-
nung organisierten sich, von den meisten Fachver-
tretern unbemerkt, eher über Twitter, und riefen
dort ihre Anhänger zur Abstimmung auf. ‚#dgv2017
Breaking News: condence high that quorum will
be reached!‘, konnte man da am Mittag des 6. Ok-
tober zum Beispiel lesen.
Zwischen 2015 und 2017 waren 102 neue Mitglie-
der in die Gesellschaft aufgenommen worden, 83
hatten sie verlassen. Bekanntlich kann man Mit-
glied der DGV (jetzt DGSKA) werden, wenn man
vier Semester Ethnologie studiert hat – ein Stu-
dienabschluss ist nicht erforderlich.
Noch kurz vor der Tagung wurde diese Zielgrup-
pe vom Berliner Vorstand auf Facebook umworben
– dort hatte jemand angefragt, ob er als „als einfa-
cher Student überhaupt Mitglied“ sei und abstim-
men dürfe („wenn ja, dann komme ich sofort“). Es
ist mir nicht bekannt, wie viele Mitglieder der DGV
19Thomas Bierschenk
überhaupt einen Studienabschluss haben, und wie
sich das bei den seit 2015 neu hinzugekommenen
Mitgliedern darstellt.
Die Vermutung drängt sich auf, dass Berliner
Studentinnen und Studenten der Ethnologie (jetzt:
„Berliner Kultur- und Sozialanthropologen und
-anthropologinnen“), die meisten erst seit kurzem
Mitglied in der Gesellschaft und wahrscheinlich
noch wenig mit dem Fach und seiner Geschichte
vertraut, erheblichen Anteil an der Entscheidung
hatten.
Ich weiß auch nicht, ob das vom Berliner Vor-
stand so gewollt war – die Berliner hatten ihr In-
stitut ja erst zwei Jahre zuvor entsprechend um-
benannt – oder ob ihnen mangels politischer
Erfahrung die Diskussion einfach entglitt.
Dass ‚im Fach‘ zuvor eine breite Diskussion
stattgefunden habe – wie vom Vorstand unter-
strichen – sehen vielleicht nicht alle so. Nach mei-
ner Wahrnehmung hatte sich diese Diskussion auf
zwei vorausgegangene Geschäftsführer-Tagungen
beschränkt, an der ja nur wenige Professorinnen
teilnehmen, sowie ein Treffen der neuberufenen
Professoren. Dabei war die Stimmung eher für ‚Eth-
nologie‘. Ich hatte dem Vorsitzenden der DGV am
23. September 2017 vorgeschlagen, die im Vertei-
ler „alleInstitute“ bis Anfang Oktober auaufenden
Beiträge über die Homepage der DGV öffentlich
zu machen. Das wollte er aber wegen des „damit
verbundenen Aufwands“ nicht. Das stattdessen auf
der Tagung verteilte, und mit wahrscheinlich mehr
Aufwand hergestellte Handout, das die stattgefun-
dene Diskussion zusammenfassen sollte, empfand
ich als parteiisch zugunsten DGSKA. In Berlin selbst
fand dann überhaupt keine Diskussion mehr statt;
das wäre allerdings auch kaum möglich gewesen.
Man hätte jedoch durchaus zuvor eine Mitglieder-
befragung organisieren können – bei der sicher
weniger wichtigen Entscheidung über das neue
Logo wurde das jüngst auch so gemacht. Apropos
Twitter: Es ist anscheinend üblich geworden, bei
Tagungen per Twitter hysterische Schnipsel aus
Vorträgen und Arbeitsgruppen-Diskussionen der
gespannt wartenden Weltöffentlichkeit mitzutei-
len, manchmal mit dem Vorspann „breaking news“,
oder auch (hoffentlich ironisch gemeint) „live leaks
of the latest and hottest stuff from the #dgv2017“.
Hier ein paar Beispiele:
„R. Rottenburg: practices happen in interstitial ti-
me-spaces and make the present #DGV2017“ (man
hört förmlich das mitgedachte ‘wow!!!’)
„C. Lentz: get away from the picture of our inter-
locutors as victims“
„Michael Schönhuth highlights: check with other
professionals to open up your blind spots/young
scholars change habitus about ethics #DGV2017“
„Power, war and violence reveal the constructed
nature of time and space“
„Roman Loimeier compares disciplinary history
with cyclical/generational ancestor worship/de-
construction. Streck: yes, cosmology! #dgv2017“
Drängende Fragen wie:
„Löst ‚Infrastrukturierung‘ das Konzept der
Assemblage in den #STS ab? #DGV2017“
blieben allerdings meist unbeantwortet, ebenso
wie die ethnologische Twitter-Gemeinde Men-
schen mit ihren persönlichen Dilemmata, z. B.:
„I’m still undecided between workshop 9 on #STS
and number 4 on embodied belonging #dgv2017“
unverständlicherweise alleine ließ.
Ich war übrigens bei der Recherche zu diesem
Text höchst erfreut, mich selbst zitiert zu sehen:
„Th. Bierschenk sees refugee crisis as a windfall
for anthropology. And touches (provocatively, hah!)
on crisis of representation. #dgv2017“.
Allerdings leider ohne den Zusatz ‚breaking
news‘. Ebenso blieb die Zahl der Retweets dieser
Sensationsnachricht bescheiden. Ich tröstete
mich damit, dass sie bei den anderen Tweets auch
meist unter 3 blieb.
Warum halte ich die getroffene Entscheidung
für falsch, und warum wäre, wenn schon Umbe-
nennung, eine in ‚Gesellschaft für Ethnologie‘ (also
mit gleichzeitiger Streichung des ‚deutsch‘) besser
gewesen?
Eine essentialistische Namensdebatte kann keine
eindeutigen Ergebnisse produzieren
Überraschend war, wie essentialisierend diese De-
batte gerade von Anhängern einer Umbenennung
geführt wurde. Es wurde so getan, als könne es
eine Bezeichnung geben, die das ‚Wesen‘ unseres
Faches eindeutig abbildet. Das halte ich für einen
bürokratischen Namensfetischismus, wie er sich
auch in manchen anderen Umbenennungsdebat-
ten widerspiegelt. Poststrukturalistische Texte
werden heute im Ethnologiestudium anscheinend
nicht mehr gelesen. Vielmehr wurde so getan, als
sei mit der Umbenennung die Geschichte des Fa-
ches quasi entsorgt. Manche Befürworter von SKA
verstiegen sich sogar zu der Behauptung, erst mit
20 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
der Umbenennung sei die Voraussetzung dafür ge-
geben, dass sich das Fach mit seiner Geschichte
auseinandersetzen könne – angesichts der breiten
Literatur, die deutsche Ethnologen zur Geschichte
des Faches, auch den sehr problematischen Sei-
ten, verfasst haben, entweder Ignoranz oder Un-
verschämtheit. In Wirklichkeit haben alle drei zur
Wahl gestellten Namensvarianten ganz erhebliche
Nachteile: Völkerkunde und Ethnologie wegen des
Volksbegriffes, Sozial- und Kulturanthropologie
dagegen wegen der damit formulierten Unschär-
fe: Untersucht die SKA wirklich ‚den‘ Menschen in
seinen sozialen und kulturellen Bezügen‘, wie man-
che Teilnehmer der Debatte behaupteten? Oder
den ‚Menschen an und für sich‘, wie das dann auf
einer studentischen Facebook-Seite rezipiert wur-
de? Dazu werden sicher andere Beiträgerinnen zu
diesem Blog noch was zu sagen haben.
Wenn aber eine identitäre Logik in der Namens-
frage nicht weiterhilft, dann kann es eigentlich nur
zwei Kriterien bei der Entscheidung geben: das der
Vermittelbarkeit in die Öffentlichkeit, und das der
internen Kohärenz in der Begriffsverwendung –
beides spricht für den Begriff Ethnologie.
Die Entscheidung ist in der Öffentlichkeit nicht
vermittelbar
Für ein Fach, dass sich seit mindestens 50 Jahren
den Kopf darüber zerbricht, was eigentlich seine
Rolle in der postkolonialen Wissenschaftsgemein-
de sein sollte, muss der Gesichtspunkt der Vermit-
telbarkeit in die Öffentlichkeit der entscheidende
Gesichtspunkt sein. Ich erinnere mich daran, wie
ich vor einigen Jahren einigen jungen und smarten
Bankern der KfW erklärte – ich hatte gerade einige
der bahnbrechenden Aufsätze von Han Vermeulen
gelesen10 –, dass der Begriff der Völkerkunde im 18.
Jahrhundert von deutschen Wissenschaftlern er-
funden worden sei und damals, mit dem Synonym
Ethnologie, eine Art vergleichende und nichtnor-
mative historische Soziologie und Weltwissen-
schaft bezeichnete. Völkerkunde war ein Kind der
10 Vermeulen, Han F. 2006. The German Invention of Völker-
kunde: Ethnological Discourse in Europe and Asia, 1740-1798,
in: Sara Eigen & Mark Larrimore (Hg.). The German Inven-
tion of Race. Albany, NY: State University of New York Press:
123-145. Siehe jetzt ausführlich dazu: Vermeulen, Han F. 2015.
Before Boas. The Genesis of Ethnography and Ethnology in the
German Enlightenment. Lincoln, NE, Nebraska University
Press.
Göttinger Aufklärung und verstand sich, lange vor
den Evolutionisten des 19. Jahrhunderts und lan-
ge vor Boas und Malinowski, als Wissenschaft des
empiriegestützten diachronen und synchronen
Gesellschaftsvergleichs. Die Fachbezeichnung ver-
wies also auf ein Programm, mit dem sicher viele
von uns sehr viel anfangen können. Liest man Ge-
org Forsters „Reise um die Welt“, ein Buch, das die-
sem Paradigma verpichtet ist, ist man erstaunt,
wie modern, zum Teil fast postmodern, dort vieles
formuliert ist. ‚Diesen Schatz (diesen Markenna-
men Völkerkunde oder Ethnologie, TB) werden Sie
doch hoffentlich nicht aufgeben’, war die Reaktion
meiner Gesprächspartner. Die Firma Volkswagen
würde sich ja auch nicht umbenennen, obwohl
bei ihr der Volksbegriff, anders als bei der DGV,
tatsächlich aus der Nazizeit stammt. Und was ist
eigentlich mit dem altehrwürdigen Kampied der
Arbeiterbewegung – an wen sollen die Signale jetzt
gesendet werden, wenn es die Völker nicht mehr
sein dürfen?
Die Umbenennung der DGV erfolgte just zu ei-
nem Zeitpunkt, zu dem sich in der Öffentlichkeit
ein gewisses Verständnis dafür herausgebildet hat-
te, was unter Ethnologie zu verstehen ist – nicht
zuletzt in der sogenannten Flüchtlingskrise, die ja
das Thema der DGV-Tagung darstellte (weshalb der
Berliner Senat ja auch nicht den Wissenschaftsse-
nator zur Begrüßung geschickt hatte, wie er es bei
den Biologen sicher gemacht hätte, sondern den
Ausländerbeauftragen). Wie selbstverständlich der
Begriff der Ethnologie mittlerweile in der Öffent-
lichkeit ist, zeigte sich noch am gleichen Abend an-
lässlich der Diskussion zum Humboldt-Forum, die
unter dem Titel „Ethnologie im Humboldt Forum“
angekündigt war, und in der es um die „Positio-
nierung der ethnologischen Sammlungen und die
Rolle der Ethnologie in der Gestaltung des Hum-
boldt Forums“ ging. Folgerichtig sprach dann auch
keine der anwesenden Ethnologinnen, auch nicht
der Vorsitzende der DGSKA, von Sozial- und Kul-
turanthropologie; alle wurden als Ethnologen vor-
gestellt, und bezeichneten sich auch selbst so. Und
die ‚Ethnologie‘ erhielt von Wolfgang Schäffner ein
dickes Lob: die Kulturwissenschaften hätten sich in
den letzten Jahren sehr ‚ethnologisiert‘ (und nicht
‚sozial- und kulturanthropologisiert‘), was er offen-
sichtlich positiv bewertete. Die TAZ prognostizierte
in ihrem Tagungsbericht, was auch schon in der An-
kündigung der Tagung vorausgesetzt worden war:
dass ‚ethnologische‘ Perspektiven am Humboldt Fo-
rum eine wichtige Rolle spielen würden.
21Thomas Bierschenk
Dass die Ethnologie Interessantes zu sagen hat,
aber ein Problem damit hat, sich in der Öffent-
lichkeit darzustellen, el allerdings auch der TAZ
auf. Bezeichnenderweise missverstand ja auch die
Kanzlerin der FU Berlin, die die Tagung eröffnete,
in ihrer Begrüßung konsequent deren etwas hoch-
gestochenen Titel – sie machte mehrmals aus den
‚affektiven Praxen‘ solche, die ‚effektiv‘ sind. Es
lässt sich voraussagen, dass die Medien weiterhin
den Begriff Ethnologie verwenden werden, und
dass dieser auch die internen Debatten dominie-
ren wird.
Die Umbenennung vergrößert die begrifiche
Inkohärenz im Fach
Eine Umbenennung in DGE hätte auch die Do-
minanz des Ethnologie-Begriffes innerhalb des
Faches widergespiegelt. Der fachinterne Sprach-
gebrauch wird vom Begriff Ethnologie dominiert,
und wird es, so wage ich zu behaupten, noch lange
bleiben. Im ersten Newsletter der neu so benann-
ten DGSKA kommen die Begriffe Ethnologie oder
ethnologisch über 70 Mal vor, und damit fast drei-
mal so häug wie der Begriff Anthropologie. Die
von der Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift
heißt weiterhin „für Ethnologie“; der größere Teil
der Institute nennt sich ‚für Ethnologie‘, ebenso
die Museen. Alle in den letzten 20 Jahren erschie-
nenen deutschsprachigen Einführungswerke ins
Fach sprechen von Ethnologie. Und was machen wir
in Zukunft in unseren Lehrveranstaltungen mit den
Bindestrich-Ethnologien: wie werden stark nach-
gefragte Teilgebiete wie Organisationsethnologie
oder Entwicklungsethnologie, die gerade auf die
auch außerakademischen Kompetenzen von Eth-
nologinnen verweisen, in Zukunft genannt? Heißen
unsere Methodenkurse jetzt ‚Sozialanthropogra-
phie‘? Das könnte zu Verwechslungen führen, denn
unter Anthropographie versteht z. B. der Merriam
Medial Dictionary „a branch of anthropology dea-
ling with the distribution of humans as distinguis-
hed by physical character“. Dass manchmal auch Tä-
towierer als Anthropographen bezeichnet werden,
macht die Sache nicht einfacher. Muss sich jetzt der
bfe (Bundesverband freiberuicher ethnolog_in-
nen e.V./bfe) nicht auch umbenennen? Was ist mit
der Facheinheit 106-01 der DFG („Ethnologie/Euro-
päische Ethnologie“). Und wie gehen wir damit um,
dass der Begriff der Kulturanthropologie bereits
von der ehemaligen Volkskunde angeeignet wurde,
und ist es sinnvoll, dass wir jetzt den Begriff der Eth-
nologie der ‚Europäischen Ethnologie‘ überlassen?
Die Umbenennung war inkonsequent
Darüber hinaus war die Umbenennung inkonse-
quent. Denn während der Volks-Begriff für man-
che Anhänger der Umbenennung anscheinend ein
rotes Tuch darstellte, störte sich niemand an dem
Begriff ‚deutsch‘, der – anders als der Volks-Begriff
– nun tatsächlich ein nationalsozialistisches Erbe
darstellt. Bekanntlich wurde die Gesellschaft für
Völkerkunde erst 1938 in ‚Deutsche Gesellschaft für
Völkerkunde‘ umbenannt.
Die Gesellschaft in eine für ‚Sozial- und Kulturan-
thropologie‘ umzubenennen (und nicht entweder
Kulturanthropologie oder Sozialanthropologie zu
wählen), war dagegen ein Kompromiss, um weiteren
identitär geprägten Debatten zu entgehen. Insofern
können wir uns also auf zukünftige Umbenennungs-
debatten freuen, aufgrund von Anträgen, das K vor
das S zu setzen (DGKSA statt DGSKA), oder entwe-
der K oder S zu streichen. Ich werde mich dann auch
bei Twitter anmelden.
Die Umbenennung löst die ohnehin poröse Grenze
zu den Kulturwissenschaften, zur Volkskunde
(neudeutsch meist ebenfalls Kulturanthropologie)
und zur Soziologie weiter auf.
Von Anhängern der Umbenennung in SKA wur-
de argumentiert, dass Ethnologinnen heute nicht
mehr zu kulturell denierten Gruppen forschten.
Es gehe um die „Beschreibung des (!) in Gesellschaft
lebenden Menschen“, darum, „den Menschen als
Menschen zu verstehen“, um „menschliches Sein in
all seinen sozialen und kulturellen Bezügen“ (alles
Zitate aus der Debatte auf dem Verteiler „alleInsti-
tute“). Letzteres wurde dann von einer Studentin
umformuliert in „das Menschliche in seinen sozia-
len und kulturellen Dimensionen“. Ich weiß nicht,
ob das ein Alleinstellungsmerkmal der Ethnologie
sein kann – versuchen nicht alle Kultur- und So-
zialwissenschaften, Menschen (im Plural!) in ihren
sozialen und kulturellen Bezügen zu verstehen?
Also die Kulturanthropologie, vulgo Volkskunde,
die Kulturwissenschaften, die Soziologie, die Ge-
schichtswissenschaften oder auch die philosophi-
sche Anthropologie? Das würde dann weniger für
eine Umbenennung als für die Auösung der DGV/
22 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
DGSKA und den Anschluss an die Deutsche Gesell-
schaft für Soziologie sprechen. In der DGS gibt es
ja bereits eine Sektion „Entwicklungssoziologie
und Sozialanthropologie“, in die könnten doch alle
DGSKA-Mitglieder einfach eintreten. Epistemolo-
gisch würde einiges dafür sprechen, universitäts-
politisch allerdings weniger.
Mit der Umbenennung geht die analytische Leit-
differenz der ‚relativen Fremdheit‘ tendenziell
verloren
Einen großen Nachteil der Aufgabe des Ethnos-Be-
griffes sehe ich darin, dass damit die für eine mo-
derne Ethnologie, auch die der Zukunft, immer
noch konstituierende, analytische Leitdifferenz
der ‚relativen Fremdheit‘ tendenziell verloren geht.
Die langandauernde Feldforschung in fremdkultu-
rellen und fremdsprachlichen Kontexten als Basis
einer quasi existentiellen Fremdheitserfahrung
ist ohnehin aus verschiedenen Gründen auf dem
Rückzug, und es dominieren zunehmend kurzfris-
tige Forschungsformate at home.11 Als einen In-
dikator dafür sehe ich den Wandel im Charakter
der European Association for Social Anthropology.
Einst gegründet als europäisches Gegengewicht
zur amerikanischen Kulturanthropologie, ist sie
zunehmend zu einer Vereinigung von Ethnologin-
nen aus aller Welt geworden, die über Europa for-
schen.
In der Praxis forschen Ethnologen allerdings
doch meist über Gruppen, deren jeweilige Lebens-
welten, und die Differenz zwischen Innen- und
Außenperspektiven – mögen das transhumante
Hirten in Westafrika, Migranten in Deutschland,
Richter in Benin, Kapverder in Kanada, oder Sied-
ler am Tschadsee sein. Dabei haben Ethnologinnen
die anspruchsvolle Aufgabe, Differenzierungspro-
zesse zu beschreiben und Differenzen zu analy-
sieren, ohne sie zu ‚verandern‘, d. h. ohne sie als
grundsätzlich ‚inkommensurable‘ Fremdheit miss-
11 Siehe dazu ausführlicher Bierschenk, Thomas, Matthias Krings
& Carola Lentz 2013. Was ist ethno an der deutschsprachigen Eth-
nologie der Gegenwart?, in: Thomas Bierschenk, Matthias Krings
& Carola Lentz (Hg.). Ethnologie im 21. Jahrhundert. Berlin: Reimer:
7-34; auf Englisch auch online abrufbar als Thomas Bierschenk,
Matthias Krings & Carola Lentz 2015. Anthropology in the twen-
ty-rst century: a view of, and from, Germany. Working Papers
of the Department of Anthropology and African Studies of the
Johannes Gutenberg University Mainz 160, unter: https://publica-
tions.ub.uni-mainz.de/opus/volltexte/2015/4066/pdf/4066.pdf
(24.09.2019).
zuverstehen. Dafür scheint mir ein reektierter
Ethnos-Begriff immer noch geeigneter zu sein als
der der Anthropologie.
Die Umbenennung stellt eine Verbeugung vor
dem anglophonen Ausland dar und ist damit ein
weiterer Schritt in der Selbst-Subalternisierung
der deutschsprachigen Ethnologie
Dass die amerikanische cultural anthropology,
und die britische social anthropology den Umbenen-
nungswunsch inspirierten, liegt auf der Hand. Eine
Teilnehmerin der Debatte auf „alleInstitute“ hoffte,
die Umbenennung erlaube dem Fach, „Ansätze aus
den USA und GB zu vereinenwas die Frage auf-
wirft, wie das gehen soll, und bei Teilnehmern der
Debatte den Widerspruch produzierte, dass das
doch eine sehr enge Sicht auf das globale ethno-
scape sei. Hinter dem Umbenennungswunsch stand
ganz offensichtlich das Bedürfnis, im Ausland besser
lesbar zu werden. Dabei ging es aber keineswegs um
die Gesellschaften, in denen sich deutsche Ethno-
loginnen immer noch vorwiegend bewegen, also die
des Globalen Südens. Es ging in erster Linie um die
USA. Sich als Kulturanthropologen zu bezeichnen,
erspart einem deutschen Ethnologen einen gewis-
sen Erklärungsaufwand gegenüber amerikanischen
Kollegen.
Dabei wurde in Bezug auf die USA allerdings et-
was missverstanden. Schon vor der Umbenennung
hatte sich die DGV auf Englisch irreführend German
Anthropological Association genannt, offensichtlich
in Analogie zur American Anthropological Associa-
tion (AAA). Eine Übersetzung als German Ethnologi-
cal Society wäre treffender gewesen. Anders als die
DGV ist die AAA ein Fachverband, dem wiederum
einzelne gelehrte Gesellschaften angehören kön-
nen. Neben der cultural anthropology umfasst die
AAA, als Ausdruck der Boas’schen Vier-Felder-Leh-
re, auch die physische Anthropologie sowie die Lin-
guistik und die Vor- und Frühgeschichte. Das Pen-
dant zur deutschen DGV/DGSKA ist also nicht die
AAA, sondern die American Ethnological Society, ge-
gründet 1842 und Herausgeberin der hochrangigen
Zeitschrift American Ethnologist. Die AES, ihrerseits
Mitglied der AAA, behält allerdings wie selbstver-
ständlich und mit großem Selbstbewusstsein ihren
historisch überlieferten Namen bei. Wenn die Um-
benennung also eine Verbeugung vor dem großen
Bruder USA war, dann beruhte das auf einem pein-
lichen Missverständnis.
23Thomas Bierschenk
In den afrikanischen Ländern, in denen ich
mich auskenne, nennt man sich dagegen besser
nicht anthropologue, weil der Begriff für viele Ge-
sprächspartner koloniale Assoziationen hat. Mit
anderen Worten, vor die Wahl gestellt, im imperia-
listischen Zentrum oder in der Peripherie besser
lesbar zu werden, hat sich die deutsche Ethnolo-
gie gegen die Peripherie entschieden. Auf die Af-
rikaner kommt es hier ja auch nicht an, die Musik
spielt bekanntlich woanders. Hier scheint mir ein
offensichtlicher Zusammenhang mit der berui-
chen Situation der Generation zu bestehen, die die
Umbenennung letztlich getragen hat, und deren
Karriereaussichten zunehmend davon abhängen,
auf Englisch zu publizieren, vorzugsweise in den
großen amerikanischen Zeitschriften.
Dabei ließe sich durchaus die Frage stellen, was
in einem Zeitalter uneindeutiger Identitäten ei-
gentlich dagegen spricht, dass sich eine deutsche
Ethnologin, um vor Ort ‚lesbar‘ zu sein, in den USA
cultural anthropologist, in Großbritannien social
anthropologist und in Togo sociologue nennt?
Ich muss mit einem persönlichen Bekenntnis
enden: In meiner Jugend war ich auch einmal an
einer Umbenennungskampagne beteiligt. In der
Oberstufe wollten wir unser Trierer Gymnasium,
das 1896 nach dem preußischen König Fried-
rich Wilhelm III. benannt worden war (seit seiner
Gründung im 16. Jahrhundert hatte es zuvor ver-
schiedene Namen getragen), nach seinem berühm-
testen Schüler, Karl Marx, benennen. Die Initiative
wurde vom Establishment abgeschmettert, aber
heute erinnert wenigsten eine Schrifttafel am
Schulgebäude an Karl Marx, und die Schule macht
gerne mit seinem Namen Werbung, indem sie
diesen nämlich auf Etiketten mancher Weine der
Lage „Friedrich-Wilhelm-Gymnasium“ verwendet.
Der Konikt wurde also sozusagen nach der Logik
des Spätkapitalismus gelöst. Karl Marx war in der
Zwischenzeit ja ohnehin etwas aus der Mode ge-
kommen. Möglicherweise wird die rezente Renais-
sance des Marxismus den Umbenennungskonikt
wiederaueben lassen. Obwohl ich daran zweife-
le: Trier ist nicht Berlin. In Mainz bin ich übrigens
nicht Professor für Ethnologie, sondern für „Kultu-
ren und Gesellschaften Afrikas“, das haben meine
Vorgänger so gewollt. Das hat damit zu tun, dass,
historisch gesprochen, meine Professur sozusagen
die Soziologie innerhalb der Ethnologie vertritt,
die im Mainzer Institut für Soziologie organisier-
ten Soziologen in den 1970er Jahren den Begriff
der Soziologie jedoch für sich monopolisieren
wollten. „Kulturen und Gesellschaften Afrikas“ ist
also eine Art Deckname: ganz à la Parsons gedacht,
versteckt sich in der Kultur die Ethnologie, in der
Gesellschaft die Soziologie. Darüber könnte man
natürlich lange diskutieren. Ich war so respektvoll,
an dieser Denomination nur Nuancen zu ändern,
nämlich die ursprüngliche Bezeichnung ‚Kultur
und Gesellschaft‘ in den Plural zu setzen. Wenn
mich anglophone oder frankophone Ausländer fra-
gen, was ich mache, spreche ich je nach Kontext
von anthropology, oder von Modern African Stu-
dies, in Afrika gerne auch von sociologie, oder auch
mal von socio-anthropologie. Mein Institut heißt
‚für Ethnologie und Afrikastudien‘. Das ‚Institut für
Anthropologie‘, das es – mit einer durchaus un-
rühmlichen Vergangenheit – an meiner Universität
auch gab, wurde bei der Neuordnung des Fachbe-
reichs Biologie gerade aufgelöst. Für die Poststelle
der Universität hat das den Vorteil, dass sie jetzt
weiß, dass bei einer Adresse, in der von anthropo-
logy oder anthropologie die Rede ist, nur die Ethno-
logie gemeint sein kann.
24 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Ich gebe auf... Ethnologen sind
und bleiben ein segmentärer
Haufen
Carola Lentz
01. Mai 2018
Nach der Umbenennung der DGV in Deutsche
Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie
und nicht, wie ich gehofft hatte, (Deutsche) Ge-
sellschaft für Ethnologie, resigniere ich, was die
Erfolgschancen meiner bisher hartnäckig auf vie-
len Baustellen betriebenen „namenspolizeilichen“
Aufklärungsarbeit betrifft. Lohnt es sich noch, Stu-
denten, Journalisten, Wissenschaftsverwaltungen,
Fachbereichs-Sekretärinnen, Pressereferentinnen
und neugierigen Kollegen aus anderen Fächern
zu erklären, dass Anthropologie und Ethnologie
im deutschen Sprachraum eben nicht die glei-
chen Traditionen haben und dass man nicht ohne
Weiteres unsere Fachbezeichnung aus dem oder
in das Englische übersetzen kann? Wie überzeu-
gend sind solche geduldigen und oft durchaus mit
„ach so, ich verstehe“-Ausrufen quittierten Ver-
suche noch, wenn die eigene Fachgesellschaft ge-
nau diese Übersetzungsproblematik fortschreibt?
Für mich ist die DGV-Tagung 2017 eine verpasste
Chance, hier mehr Klarheit zu schaffen. Da wäre es
mir sogar fast lieber, der Name „Völkerkunde“ wäre
geblieben. Seine Fortschreibung lässt sich Fach-
fremden gegenüber doch sehr viel besser erläutern
als die Umbenennung in Sozial- und Kulturanthro-
pologie, die aufwändige Erklärungsmanöver nötig
macht.
Aber welche Folgen hat die Umbenennung denn
nun voraussichtlich? Die Ethnologen sind und
bleiben nun mal ein segmentärer Haufen. Thomas
Bierschenk12 hat völlig Recht: Die Namensände-
rung der Fachgesellschaft wird nichts am Wild-
wuchs der Fachbezeichnungen in den Instituten,
Studiengängen und Förderinstitutionen oder bei
den individuellen Selbstbezeichnungen unter Kol-
legen, in interdisziplinären Kontexten und in der
breiteren Öffentlichkeit ändern. Werner Schiffau-
er meint, dass Fachbezeichnungen „performative
12 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18–23.
Wirkung“ entfalten.13 Ich fürchte, das ist mehr
Wunschgedanke als Beschreibung der Realität.
Und seine Analyse, dass „transkontinentale Mi-
gration … ein Außenseiterthema“ in der Ethnologie
blieb, weil der Ethnos-Begriff im Namen Ethnolo-
gie dazu führt, dass wir immer noch soziale, räum-
liche und kulturelle Grenzen in eins setzen, halte
ich für überzogen. Essentialistische Ethnos- und
Kulturbegriffe sind seit vielen Jahren nachhaltig
kritisiert worden, und die Fachbezeichnung, egal
ob Völkerkunde oder Ethnologie, hat niemanden
wirklich davon abgehalten, grenzüberschreitende
Austausch- und Machtbeziehungen zu untersu-
chen; das zeigt schon ein Blick auf die Themen von
zahlreichen ethnologischen Tagungen oder von
Forschungsprojekten am Max-Planck-Institut für
ethnologische Forschung.
Seit gefühlt dreißig Jahren versuche ich in mei-
nen Vorlesungen und Seminaren, die Irritationen
der Studierenden bezüglich der Fachbezeichnun-
gen aufzuklären, die sich bei ihnen unweigerlich
nach der Lektüre des ersten Einführungsbuchs
oder schon bei der Wahl des Studiengangs, der
Durchsicht der Lehrveranstaltungstitel oder gar
einem Studienortwechsel eingestellt haben. Aber
nicht nur die Studierenden sind regelmäßig ver-
wirrt, auch gestandene Wissenschaftler wissen
nicht, dass und wie Anthropologie, Völkerkunde
und Ethnologie, ethnology und cultural anthro-
pology, social anthropology und Sozialanthropo-
logie zusammenhängen oder sich unterscheiden.
Aktuelles Beispiel waren meine Bemühungen, den
Rektor des Wissenschaftskollegs davon zu über-
zeugen, dass mein in Amerika arbeitender ethno-
logischer Kollege, mit dem ich am Wissenschafts-
kolleg an einem Buchprojekt arbeite, dasselbe Fach
vertritt wie ich; er wurde eingangs in der deut-
schen Fellow-Liste als Anthropologe und in der
englischen als anthropologist aufgeführt, ich als
Ethnologin und ethnologist. Jetzt sind wir beide als
Ethnologen bzw. anthropologists aufgelistet. Da-
mit bleibt die Problematik der „four eld“-Struktur
der anthropology in den USA zwar ausgeklammert,
auf die Dieter Haller ganz richtig hingewiesen hat;14
aber tatsächlich setzen unserer ethnologischen
13 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Schiffauer, Werner 10.04.2018. Ethnologie – eine Begriffsfalle,
12–13.
14 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
25Carola Lentz
Kollegen dort das „cultural“ nur dann vor ihre all-
tägliche Selbstbezeichnung, wenn die Unterschei-
dung von den „physical anthropologists“ oder den
„linguistic anthropologists“ klar gemacht werden
muss.
In meinen Einführungsveranstaltungen für die
Studierenden erkläre ich dann immer wieder,
dass Fachbezeichnungen wissenschaftspolitische
Kampfbegriffe sind. Im Idealfall wollen und kön-
nen sie eine Disziplin nach innen einigen, vor al-
lem aber nach außen als ein eigenständiges und
darum symbolische und materielle Anerkennung
verdienendes Forschungsfeld positionieren. Die-
se Grenzziehung erfolgt in der – und ist geprägt
durch die – bereits vorhandene Wissenschafts-
und Fächerlandschaft. Weil deren Geschichte
nun einmal in verschiedenen Sprachräumen und
Ländern unterschiedlich ist, hat „dasselbe“ Fach
unterschiedliche Namen. Und in Deutschland war
nun mal zur Zeit der universitären Institutionali-
sierung der Ethnologie (oder Völkerkunde, wie sie
sich damals meist nannte) Ende des 19. Jahrhun-
derts die Anthropologie, die biologisch fundier-
te (Natur-)Wissenschaft vom Menschen, eine der
wichtigen Disziplinen, zu der sich die Völkerkunde
positionierte. Die Geographie war die zweite Dis-
ziplin, von der sich die Ethnologen/Völkerkund-
ler – nicht alle, aber doch eine wachsende Zahl
– unterscheiden wollten. Die Gesellschaft für Völ-
kerkunde wurde 1929 nicht zuletzt in aktiver Ab-
grenzung von der Deutschen Anthropologischen
Gesellschaft gegründet (vgl. dazu den Beitrag von
mir und Silja Thomas zur Geschichte der DGV15).
„Sozialanthropologie“ war um 1900 ein Etikett,
das Sozialdarwinisten prägten, und wer Nähe zur
„Anthropologie“ betonte und in den 1930er Jahren
sich als Sozialanthropologe bezeichnete, stand den
Rassehygienikern nahe. Darauf haben Bernhard
Streck, Karl-Heinz Kohl und andere Fachhistoriker
in verschiedenen Diskussionen aufmerksam ge-
macht, und auch Dieter Haller hat das in seinem
Blog-Beitrag16 nochmals ausführlich dargelegt.
Dass die britische „social anthropology“ wiederum
sich eher in Grenzziehung gegenüber und teilweise
Kooperation mit der Soziologie (und nicht der An-
15 Lentz, Carola & Silja Thomas 2015. Die Deutsche Gesell-
schaft für Völkerkunde. Geschichte und aktuelle Herausforde-
rungen. Zeitschrift für Ethnologie 140: 225-253.
16 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
thropologie) entwickelt hat, ist vielleicht weniger
bekannt. Noch komplizierter wird es, wenn man
die Interaktionen zwischen der französischen So-
ziologie und britischen „social anthropology“ be-
trachtet und bedenkt, dass in Frankreich „ethnolo-
gie“ eher eine volkskundliche Disziplin bezeichnet,
„anthropologie“ dagegen „unsere“ Ethnologie.
Aber wer schaut schon auf Frankreich …? Dass die
britische „social anthropology“ ihr Prol in Ausei-
nandersetzung mit der amerikanischen „cultural
anthropology“ geschärft hat und das sogar schon
vor dem Zweiten Weltkrieg, erst recht aber seit
der amerikanischen „Writing Culture“-Debatte,
weiß zumindest die Gründergeneration der Euro-
pean Association of Social Anthropologists (und
eben nicht „Social and Cultural Anthropologists“!)
nur allzu gut. Die beiden nun in der Bezeichnung
der deutschen Fachgesellschaft zu verschwistern,
ist zumindest bemerkenswert. Wer weiß, vielleicht
zieht die europäische Gesellschaft ja noch nach?
Nun könnte man betonen, dass eine Rücküber-
setzung und Kombination von „cultural anthro-
pology“ und „social anthropology“ ins Deutsche
größtmögliche Gemeinsamkeit und Pluralität stif-
ten und helfen kann, sich von problematischen Ver-
gangenheiten zu distanzieren. Schließlich hat es in
der Fachgeschichte in allen Ländern immer wieder
Umbenennungen gegeben. Und selbstverständlich
ist die Geschichte der Fachbezeichnungen weit
komplexer als hier angedeutet, denn auch die Wis-
senschaftslandschaften, in denen sich die Ethno-
logie zu positionieren versuchte, haben sich immer
wieder verändert. Außerdem war und ist das Tem-
po dieser Namens-Veränderungen aus den unter-
schiedlichsten internen und externen Gründen in
verschiedenen Disziplinen unterschiedlich. Reak-
tionen benachbarter Fächer auf Umbenennungen
ihrer „Abgrenzungspartner“ erfolgten manchmal
verzögert, sogar um Jahrzehnte. Und dann unter-
scheiden sich auch noch die Konstellationen in den
einzelnen Universitäten; je nachdem, in welche
Fachbereiche oder Fakultäten und in welche über-
greifenden Architekturen von Studiengängen un-
sere Disziplin eingebaut wird, bekommt sie einen
anderen Namen. Und schließlich reagieren ver-
ändernde Fachbezeichnungen nicht nur auf Um-
bauten in den Wissenschaftslandschaften in einem
Land, sondern agieren und argumentieren grenz-
überschreitend. Die lange Geschichte der Bezie-
hungen zwischen Volks- und Völkerkunde und die
wechselvollen Umbenennungen der Volkskunde in
Empirische Kulturwissenschaften, Kulturanthro-
26 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
pologie, europäische Ethnologie und dergleichen
mehr wären hier ein eindrückliches Beispiel. Mark
Münzel hat das in zwei Vorträgen bei Workshops
der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde und
bei der DGV eindrucksvoll dargelegt (2009, 2011).
Aber Münzel hat in einem Überblick über die
im Mai 2017 im deutschsprachigen Raum ver-
wendeten Benennungen von Instituten, Museen
und Studiengängen auch gezeigt, dass von 99 Be-
nennungen immerhin 49, also die Hälfte, schlicht
„Ethnologie“ verwendeten. Völkerkunde kam nur
noch im musealen Kontext vor (16 Mal), Sozial-
und Kulturanthropologie ganze vier Mal, dagegen
immerhin zehn Mal Kultur- und Sozialanthropo-
logie und acht Mal Sozialanthropologie ohne wei-
teren Zusatz. Da wäre es dann doch, wie Thomas
Bierschenk argumentiert17, hilfreich gewesen, den
Trend hin zu „Ethnologie“ auch durch die Benen-
nung der Fachgesellschaft zu fördern.
Ein Trost bleibt: Namen – und schon gar nicht
der Name einer nicht allzu mächtigen Fachge-
sellschaft – entfalten letztlich nicht wirklich und
schon gar nicht automatisch sehr große Wirk-
mächtigkeit. Jedenfalls nicht, wenn sie so vielge-
staltig auftreten, wie es die Bezeichnung unseres
Forschungsfeldes und unserer Studiengänge tun.
Fachnamen sind, wie oben erläutert, Instrumente
der Grenzziehung und Positionierung in der wis-
senschaftlichen Landschaft und beim Kampf um
Ressourcen und Ansehen. Sie können nach innen
einigen und nach außen Wahrnehmungen lenken.
Aber offensichtlich gibt es keine sanktionsbewehr-
ten Begriffspolizisten, die bei einem segmentä-
ren Haufen wie dem unseren einen gemeinsamen
17 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18–23.
Namen durchsetzen könnten. Und so wichtig ist
Nicht einmal die Logik der von Evans-Pritchard so
treffend analysierten segmentären Opposition –
sich gegenüber externen „Feinden“ intern wenigs-
tens temporär zusammenzuschließen – greift an-
scheinend in der bunten Ethnologen-Landschaft
im deutschen Sprachraum. Insofern wird die Um-
benennung der DGV in DGSKA keine dramatischen
Folgen haben. Weder wird sie Kooperationen mit
anderen sozial- und kulturwissenschaftlichen Pro-
jekten und Fachverbänden verhindern noch wird
sie die inhaltliche Ausrichtung unserer künftigen
Forschung und Lehre tatsächlich steuern. Insofern
war meine Hoffnung, eine umbenannte Fachgesell-
schaft könnte zur Vereinheitlichung der Nomen-
klatur beitragen und die Kommunikation in der Öf-
fentlichkeit erleichtern, von vornherein illusionär.
Es bleibt also beim geduldigen Geschäft des Er-
läuterns, was die Disziplin tut und kann und wel-
che Geschichte sich in den verschiedenen Be-
zeichnungen sedimentiert hat. Und ich werde mich
weiterhin in der deutschsprachigen Öffentlichkeit
als Ethnologin bezeichnen und im Englischen als
anthropologist und so weiter. Und ich werde auch
weiterhin darauf dringen, dass zumindest dort, wo
eine Fachbezeichnung in Artikeln und Einträgen
über mich aktenkundig wird, meine Selbstbezeich-
nung als Ethnologin übernommen wird. Von mir
aus lasse ich mich auch gern Sozialwissenschaft-
lerin oder Kulturwissenschaftlerin nennen, aber
nicht Kultur- und Sozialanthropologin, was dann
gern bequem zu Anthropologin verkürzt wird.
Ganz aufgegeben habe ich also vielleicht doch
noch nicht…
27
Die bereinigte DGV
Bernhard Streck
08. Mai 2018
Die Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde (DGV)
heißt jetzt Deutsche Gesellschaft für Sozial- und
Kulturanthropologie (DGSKA). Aus einem drei-
buchstabigen Kürzel ist ein fünfbuchstabiges ge-
worden. War ersteres so eingängig und handlich,
dass es mit der unheimlichen Großschwester
Volkskunde (mit ihren diversen Umbenennungen,
die sich aber wohl nicht so unmissverständlich ab-
kürzen ließen) geteilt werden musste (dgv), bedarf
die neue Abkürzung langer Erläuterungen und ver-
harrt auch dann noch im Unklaren. Gewiss kann
die Aufstockung von drei auf fünf Buchstaben als
Fortschritt und Akt der Ausdifferenzierung aus-
gelegt werden, zumal das moderne Leben auch
immer komplizierter wird und DGSKler einfach
besser in die neue digitale Umwelt passen als die
schlichten DGVler. Doch es sind mit der Kritik an
diesem Schritt als nicht ausreichend begründeter
Anpassungsleistung an den sich international ver-
stehenden anglophonen Okzidentalisierungstrend
Schwächen offenbar geworden, die mit den mu-
tigen Taten eines Adolf Bastian als Gründer des
Faches oder Fritz Krause als Gründer des Fach-
verbands überhaupt nicht vergleichbar sind. Der
Mangel an Geschichtskenntnissen im eigenen Fach
wurde in letzter Zeit häug angemahnt. In diesem
Essay soll die Umbenennung ethnologisch inter-
pretiert werden, als Akt der Selbstreinigung, der
jede Kultur imperativisch zu folgen hat.
Das Verständnis von Kultur als Säuberungszwang
war in der lateinischen Etymologie schon angelegt:
Wer panzen will, muss Unkraut jäten. Pege (cul-
tura) ist immer mit Vernichtung all dessen verbun-
den, was den Garten stört. Diese Aufgabe kommt nie
zum Abschluss, weil Unkraut nachwächst. Kultur
lebt nur in der permanenten Revolution (für radika-
le) oder Reformation (für gemäßigte Denker). Sol-
che Gedanken wurden in der französischen Sozial-
wissenschaft von Roland Barthes, Jean Baudrillard
bis zu Bruno Latour entwickelt. Das Streben nach
Sauberkeit – früher moralischer, heute eher funk-
tioneller (Baudrillard) – hat die Kultur von der Natur
geerbt. Schlangen häuten sich regelmäßig, Katzen
putzen sich täglich, Bäume werfen (nicht nur im
Herbst) Überüssiges ab. Der moderne Mensch rei-
nigt sich selbst mit einem bisher nie dagewesenen
Aufwand an Wasser und Chemikalien, er desin-
ziert seine Umgebung (einschließlich der Kranken-
haustüren) immer sorgfältiger und poliert sein Auto
bis zur Blendung des neidischen Betrachters. Dass
seine Umgebungsnatur, von der er anfänglich den
Putzwahn abgeschaut hat, dabei zugrunde geht,
wird dabei in Kauf genommen. Sauberkeit ist der
höchste Wert in allen Kulturen, in der modernen
Welt wird selbst zwischen sauberem und schmut-
zigem Krieg unterschieden, wobei immer die Maß-
stäbe des Siegers angelegt werden. Bashar al-Assad
muss der Einsatz von chemischen Waffen nachge-
wiesen werden, damit er – auch nach Befriedung
fast ganz Syriens – als Verlierer dasteht.
Kehren wir zur Umbenennung der ehrwürdigen
Gesellschaft für Völkerkunde zurück und begreifen
wir sie als Reinigungsakt. Der Hinweis auf Anpas-
sung an internationale Terminologie offenbart den
Rückstand, den der deutsche Geist beim Verstehen
fremder Sinnzusammenhänge aufweist und den er
aufzuholen hat. Die Reinigungsmittel müssen also
aus dem fortschrittlichen angloamerikanischen
Westen kommen. Sie heißen Sozialanthropologie
und Kulturanthropologie. Dass diese aus der pa-
ternalistischen Handhabung von Indianerreser-
vaten hervorging und jene hauptsächlich die kos-
tensparende indirect rule im britischen Weltreich
abzustützen hatte, spielt nur noch unter Fachge-
schichtlern eine Rolle. Im Vergleich zur gründlich
und nachhaltig kontaminierten Völkerkunde (weil
hier „völkisch“ und die damit verbundenen Erzübel
assoziiert werden können) sind die beiden neuen
Etiketten sauber und eignen sich bestens für das
überfällige Reinigungsvorhaben.
Die Ethnologie begann mit der Neugier auf
scheinbar unsaubere Kulturen. Johann Gottfried
Herder sprach von „unpolizierten Nationen. De-
ren „wildes Denken“ störte das abendländische
Geistesleben aus prinzipiellen Gründen (manchmal
war auch eine Befruchtung spürbar wie bei Rous-
seau, bei Schopenhauer oder Nietzsche), und der
Ethnologie kam so etwas wie die Rolle einer Ver-
mittlungsagentur zu. Sie erläuterte den Weltkultu-
ren die Wildkulturen, z. B. mit dem Nachweis, dass
auch akephale Dorfgemeinschaften sich um Sau-
berkeit bemühen, den Dorfplatz regelmäßig keh-
ren und den Abfall in den Busch werfen. Trotzdem
geriet eine solche Wissenschaftsdisziplin mit ihrer
Sympathie für primitive Reinigungsgemeinschaften
zwangsläug ins Hintertreffen gegenüber allen an-
deren, dem Fortschritt zuarbeitenden Forschungs-
richtungen. Die im modernen Sinne unzulänglichen
28 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Sauberkeitsvorstellungen, mit deren Übersetzung
sich Ethnographen herumplagten, blieben gleich-
sam an ihnen haften. Im interdisziplinären Kontext
galten Ethnologen gerne als „die mit den Giftpfei-
len“, also unsauberen Kampfmitteln, wie sie Verlie-
rer anwenden. Das soll offenbar nunmehr ein Ende
haben.
Der Fachverband DGV hat sich gereinigt und den
„international“ üblichen Hygiene-Standards an-
gepasst. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Prozess in
den noch rückständigeren Ländern, wo Ethnologen
oder Ethnographen sich noch so nennen, nach-
geholt wird. Für diese peripheren Regionen ist der
Berliner Schritt von 2017 ein Vorbild – wie überhaupt
Berlin, von dem in der Vergangenheit so viel Elend
auf die Welt ausgegossen wurde, heute als Leitstern
im Aufbau des internationalen Sozialstaats ohne
Grenzen leuchtet: Überall auf der Welt sollen die
gleichen Wertvorstellungen, Versorgungsstandards
und Säuberungspraktiken Gültigkeit bekommen. So
will es die Neue Weltordnung, die mit der Gründung
der Vereinigten Staaten von Amerika dem Erdball
implantiert wurde und seither sukzessive um sich
greift. Heute ist Deutschland – wegen seines frühe-
ren Falls in den rassistischen Reinigungswahn – ein
besonders beissener Modernisierungsagent.
Die deutsche Völkerkunde war mit ihrer Leiden-
schaft für Differenzen, die sie betulich beschrieb
und aufwändig ausstellte, bei der angesagten
Weltreinigung eher ein Bremsklotz. Sie argumen-
tierte immer gleich kulturrelativistisch und zu-
letzt trat sie mit ihren Leitbegriffen Autonomie
und Souveränität in der neuen Einheitswelt eher
für Parallelgesellschaften ein als für einheitliche
Hygiene-Standards und universale Ansprüche. Die
im neuen Firmenschild ausgewiesene Sozialanth-
ropologie wird den weltweit gültigen Menschen-
rechten verpichtet sein und die Kulturanthropo-
logie der Religionsfreiheit. Es wird dann nur noch
um Relativismus unter einheitlicher Kontrolle ge-
hen können. Es wird niemanden mehr geben, der
sich für das unter den Teppich Gekehrte interes-
siert, der auf die Nacht-, Rück- und Unterseiten
menschlichen Zusammenlebens achtet und der
Zweifel an der Identität zwischen vordergründi-
ger Evidenz und hintergründiger Wahrheit zulässt,
weil er aggressive von rezessiven Sinnsystemen
unterscheiden gelernt hat. Ethnologie als die Wis-
senschaft von den eigenständigen Wegen zur ge-
sellschaftlichen Selbstpege scheint sich selbst zu
Tode gereinigt zu haben.
29
Teilnehmende Namensgebung
Thomas Widlok
15. Mai 2018
Seltsam bei der Diskussion um die Namensände-
rung ist, wie vor allem Gegner der Umbenennung
auf fachfremde Argumente zurückgreifen. Da geht
es um Etymologie, viel Geschichte, auch National-
geschichte, um Hochschulpolitik und mitunter sehr
stark rückwärtsgewandt um die Suche nach einer
reinen, essentialistisch aufgefassten „Urform“ hin-
ter den einzelnen Namen. In diesem Beitrag möchte
ich als Alternative ausprobieren, was passiert, wenn
wir hingegen den Werkzeugkasten unserer eigenen
Disziplin anwenden, also beispielsweise die teilneh-
mende Beobachtung. Ich werde durchgängig das
ethnographische Präsens verwenden:
Es ist 1986 und in meiner Tasche ist ein Studen-
tenausweis der Uni Münster, darin ist als Hauptfach
„Völkerkunde“ eingetragen. Das geht so in Ord-
nung, denn an der Tür unseres Instituts steht auch
„Seminar für Völkerkunde“ und in den „Blättern
zur Berufskunde“, die ich vom Arbeitsamt bei der
Studienberatung bekommen habe, heißt es auch
„Völkerkundler (Ethnologe)“. Als Nebenfächer ste-
hen in meinem Ausweis noch „Philosophie, Kath.
Theologie, Germanistik, Soziologie, Politikwissen-
schaften, Psychologie“.
Im Studentensekretariat fragen sie etwas mür-
risch, ob ich mich nicht entscheiden könne, aber
dagegen tun können sie nichts. Ich kann mich tat-
sächlich in dieser Hinsicht schlecht entscheiden.
Als Prof. Schott mich beim ersten Gespräch fragt,
weshalb ich denn Völkerkunde studieren wolle, ant-
worte ich, das sei wenigstens ein Fach, in dem man
etwas über die Verbindungen zwischen den Le-
bensbereichen lernt. Er ndet die Antwort gut und
wohl auch, dass ich sein Seminar „Wirtschaft und
Religion“ direkt als Beispiel nenne. Und es gibt viele
Studis, die das Fach gut nden, denn hier geht es um
Feldforschung statt um verstaubte Bücher und Ge-
schichte. Wir treten hier an, die Welt zu verbessern,
indem wir uns um die Beziehung von Wirtschaft und
Religion am Beispiel der Bulsa und Lyela kümmern,
Seminare mit Medizinern über Gesundheit in Afrika
besuchen und Seminare mit der Indologie, wo wir
die armen Indologen manchmal bemitleiden, die
nur über die Herkunft von Wörtern in alten Texten
brüten, während es bei uns ja um die gesellschaft-
liche Praxis in Gegenwart und Zukunft geht.
Plus ça change … ? Seitdem diese Studienbeschei-
nigung ausgestellt wurde, ist der Studiengang in
Münster von „Völkerkunde“ in „Kultur- und Sozial-
anthropologie“ umbenannt worden, die Fachschaft
heißt im BA jetzt „KuSA“ statt „Ethnologie“ und den
Fachbereich „Alte und Außereuropäische Sprachen
und Kulturen“, in dem ich Fachschaftsvertreter war,
gibt es unter der Bezeichnung auch nicht mehr –
Nebenfächer im Magister-Studiengang bekanntlich
ebenso wenig.
Abb. 3: Thomas Widloks Immatrikulationsbescheinigung der Uni-
versität Münster im WS 1985/86 (Foto: Thomas Widlok).
Im Jahr meiner Einschreibung trete ich auch in
die DGV ein, die ihre Tagung in Köln hat. Da tritt als
Keynote Speaker unter anderem Michael Agar auf,
der über Wittgensteins Sprachspiele in Interviews
mit dem österreichischen Präsidenten Waldheim
vorträgt. Eingeladen wurde er, glaube ich, von Tho-
mas Hauschild, bei dem ich ein Jahr später ein Se-
minar mit Texten aus der aktuellen amerikanischen
Kulturanthropologie mache. Und ich sehe im Re-
chenzentrum auf einem monochromen Bildschirm
meine allererste E-Mail, die aus Kent kommt, wo-
hin eine Gruppe von „early adopters“ um Thomas
Schweizer gute Kontakte unterhält. Das Fach hat
also vielleicht einen altmodischen Namen, aber es
ist trotzdem herrlich breit und international aufge-
stellt, von den Bulsa und den Lyela in Burkina Faso
(„ehemals Obervolta“) über die amerikanisch aufbe-
reiteten Österreicher Waldheim und Wittgenstein
30 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
bis zu E-Mails, die quasi zeitgleich sowohl in Eng-
land als auch in Deutschland auf dem Bildschirm
erscheinen. Konsequenterweise exmatrikuliere ich
mich zwei Jahre später aus den Fächern „Philoso-
phie, Kath. Theologie, Germanistik, Soziologie, Poli-
tikwissenschaften, Psychologie“, gehe nach England
an die London School of Economics und setze al-
les auf eine Karte, da steht einfach „Anthropology“
drauf. Auf meinem Masterzeugnis steht „Social An-
thropology“, meine Promotion ist in „Anthropology“,
auf meiner Habilitationsurkunde steht später „In
Litteris Ethnologiae“, auf meinem ersten Lehrstuhl
„Anthropologie van de Pacic“ und auf meiner jet-
zigen Professur-Designation „Kulturanthropologie
Afrikas“. Für mich ist das alles ein Fach, weitläug
und vielseitig, es bereitet mir keine Identitätsprob-
leme – wichtig ist mir, dass der Inhalt mir hilft, die
Welt zu verstehen, egal unter welcher Überschrift.
Oktober 2017 in Berlin. Ich blicke etwas gelang-
weilt auf den Zettel, der die Argumente für und
gegen eine Umbenennung der Deutschen Gesell-
schaft für Völkerkunde zusammenfasst. Die meis-
ten Argumente habe ich in den letzten 30 Jahren
schon einmal gehört. Gute Gründe gibt es in allen
Teilen der Tabelle, aber für mich ist die Sache klar,
da ich nur für das stimmen brauche, was ohnehin
auf meiner Dissertationsurkunde und auf meinem
Arbeitsvertrag steht. Richtig befremdlich nde ich
die Rückwärtsgewandtheit und Geschichtsbesof-
fenheit mit der eine scheinbare „Geschichtsver-
gessenheit“ im Fach beklagt wird. Man überbietet
sich mit irgendwelchen Funden aus frühen Zeiten,
wo die jetzt vorgeschlagenen Begriffe in negativen
Kontexten auftauchen. Da geht es um die Herkunft
von Namen statt um die Pragmatik von Sprach-
spielen. Das fände nicht nur Wittgenstein seltsam,
sondern das muss eigentlich jeden wundern, der
ein Fach betreibt, das immer betont, wie wichtig es
ist, was Menschen aus den althergebrachten Kul-
turgütern und Namen machen, die sie vornden,
wie sie innovativ aus Fehlern lernen und wie ihr
Tun davon erfüllt ist, was sie erreichen wollen.
Jetzt kommt die Abstimmung. Ich blicke mich
um und merke, dass viele Gegner der Umbenen-
nung nicht im Saal sind. Das ist gut für das Ergeb-
nis, aber schade für die danach einsetzende Dis-
kussion, denn sie verpassen was jetzt geschieht. In
dem Moment, als das Ergebnis bekannt gemacht
wird, scheint ein zentnerschwerer Stein von den
Herzen der Meisten im Saal zu fallen. Geradezu
euphorischer Applaus, vor allem bei den Jüngeren.
Liminalität und communitas verbreiten sich, die
Welt scheint sich zu öffnen und der Horizont der
Möglichkeiten scheint auf einmal breiter zu wer-
den. Es ist wie oft in einer Situation der teilneh-
menden Beobachtung: Für die, die nicht dabei sein
konnten, versuche ich das Erlebte in einem eth-
nographischen Bericht festzuhalten. Mir scheint,
das Abstimmungsergebnis hätte auch schon zur
DGV-Tagung von 1986 gepasst, aber wichtiger ist,
was jetzt kommt, was wir daraus machen. Nächs-
te Woche iege ich nach Namibia, Botswana und
Zimbabwe. An der University of Namibia arbeiten
sie gerade daran, ein neues Fach zu etablieren, das
es dort so noch nie gegeben hat, es soll „Anthro-
pology“ heißen – ein Name, der uns mit ihnen ver-
binden wird.
31
Von Menschen und
(ethnischen) Gruppen
Die Entscheidung für „Sozial- und Kulturanth-
ropologie“ wirft überfällige Fragen an unsere
Disziplin neu auf
Hansjörg Dilger
22. Mai 2018
Als der Blog zur Umbenennung unseres Fachver-
bands an den Start ging, vermutete ich, dass sich
nun zunächst vor allem diejenigen äußern würden,
die vom Ausgang der Abstimmung in Berlin ent-
täuscht waren. In der Tat haben bislang vor allem
diejenigen FachvertreterInnen gebloggt, die die bei
der Mitgliederversammlung 2017 zur Abstimmung
stehende Alternativbezeichnung „Ethnologie“ be-
vorzugt hätten und die die Bezeichnung „Sozial-
und Kulturanthropologie“ zum Teil in Bausch und
Bogen verdammen. Im Nachhinein wird hier jetzt
fachhistorisch gegraben und geschärft und mit
Blick auf die angeblich wenig mit der Geschichte
unserer Disziplin vertrauten, in Berlin anwesenden
DGV/DGSKA-Mitglieder erklärt, dass die getrof-
fene Wahl ein gravierender Fehler war. Nicht nur
wird damit sehr zügig über die Tatsache hinweg-
argumentiert, dass in Berlin ein in der Satzung un-
serer Fachgesellschaft verankerter und durch den
Vorstand intensiv vorbereiteter Prozess in seiner
demokratischen Mehrheitsentscheidung münde-
te18. Auch stellten die wenigsten Beiträge bislang
die Frage, welche vielschichtigen fachhistorischen,
fachpolitischen und inhaltlichen Gründe die Mit-
glieder in Berlin vermutlich für ihre Entscheidung
hatten – und warum alleine teils essentialistisch
anmutende Verweise auf die historische Konnota-
tion der zur Wahl stehenden Fachbezeichnungen
nicht ausreichen, um diese Entscheidungsprozes-
se nachzuvollziehen.
18 Dilger, Hansjörg, Birgitt Röttger-Rössler und Olaf Zenker
2017. Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für Völker-
kunde e.V. in Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturan-
thropologie e.V. am 6.10.2017 in Berlin. Zeitschrift für Ethno-
logie 142 (2); Dilger, Hansjörg 23.01.2018. Mehr Ethnologie ins
Humboldt Forum! Zeit für eine sozial- und kulturanthropo-
logische Intervention, in: Wie weiter mit Humboldts Erbe?
Ethnographische Sammlungen neu denken, https://boasblogs.
org/de/humboldt/mehr-ethnologie-ins-humboldt-forum/
(24.09.2019).
In diesem Beitrag stelle ich die These auf, dass
die bislang von den KritikerInnen der Berliner Ent-
scheidung vorgebrachten Argumente für die Be-
zeichnung „Ethnologie“ (und gegen „Sozial- und
Kulturanthropologie“) einen zentralen Aspekt ver-
nachlässigen: die Tatsache nämlich, dass der Be-
griff Ethnologie es in den Augen vieler Fachvertre-
terInnen nicht – und anscheinend noch weniger
als „Sozial- und Kulturanthropologie“ – vermocht
hat, eine überzeugende Kongruenz zwischen
den epistemologisch-konzeptuellen Neuorien-
tierungen unseres Fachs der letzten Jahrzehnte
einerseits, und der Bezeichnung unserer Fachge-
sellschaft andererseits, herzustellen. Wie Dieter
Haller19 schreibt, speist sich Fachidentität „vor al-
lem daraus (…), was man konkret tut“; doch bildet
anscheinend genau die Bezeichnung „Ethnologie“,
anders als Haller es vermutet, eben diese täglichen
Praktiken unserer Disziplin in Forschung, Lehre
und Lernen nicht mehr hinreichend ab. Insbeson-
dere kreiert die „Begriffsfalle Ethnologie“20 dabei
eine kontinuierliche Diskrepanz innerhalb der täg-
lichen Praktiken unserer Disziplin, die die Wahl-
entscheidungen in Berlin meines Erachtens zent-
raler motiviert hat als die beharrlich-belehrenden
Hinweise auf die ‚richtigen‘ Konsequenzen, die aus
der Fachgeschichte zu ziehen gewesen wären. Be-
vor ich dieses Argument jedoch weiter vertiefe,
möchte ich ein paar Anmerkungen zu den hier zu-
letzt veröffentlichten Blogtexten machen.
Die Blogdebatte zur „Umbenennung“ als affekti-
ve Aufmerksamkeitsökonomie
In den letzten Wochen haben die KritikerInnen des
Wahlausgangs in Berlin wichtige Hinweise darauf
gegeben, warum „Sozial- und Kulturanthropolo-
gie“ nicht die ‚perfekte‘ Bezeichnung für unseren
Fachverband sein konnte und welche Gründe für
„Ethnologie“ gesprochen hätten. Schwer wiegt
hier insbesondere, dass „Sozialanthropologie“ –
wenn der Name denn als Äquivalent für die briti-
sche Social Anthropology gedacht wird – ebenjene
kolonialen Verstrickungen unserer Fachgeschichte
19 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
20 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Schiffauer, Werner 10.04.2018. Ethnologie – eine Begriffsfalle,
12–13.
32 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
betont, denen die GegnerInnen der Bezeichnung
„Völkerkunde“ entgehen wollten. Des Weiteren
steht „Sozialanthropologie“ in Deutschland selbst
für eine Fachbezeichnung, die Ende des 19. Jahr-
hunderts von sozialdarwinistischen Rassentheo-
retikern geprägt wurde und die Anfang der 1930er
Jahre den Lehrstuhl des Rassenkundlers Hans F. K.
Günther in Jena betitelte.21 Schließlich – und hier
wird überzeugend der Bogen zur Gegenwart ge-
schlagen – ist „Ethnologie“ der in der Öffentlich-
keit etablierte Begriff: Mit dieser Wahl hätte die
Fachgesellschaft daher endlich eine direkte Ver-
bindung zwischen der Mehrzahl unserer Instituts-
bezeichnungen an den Universitäten einerseits,
und der Wahrnehmung unserer Tätigkeiten in
der Gesellschaft andererseits herstellen können,
wohingegen Sozial- und Kulturanthropologie als
„nicht vermittelbar“ erscheint.22
21 Kohl, Karl-Heinz 19.12.2017. Kollateralschäden. Eine Pole-
mik, in: Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische
Sammlungen neu denken, https://boasblogs.org/de/hum-
boldt/kollateralschaeden-eine-polemik/ (24.09.2019).
22 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18-23.
Alle die hier vorgebrachten Einwände sind nach-
vollziehbar und sie sind, ebenso wie eine Vielzahl
weiterer Pro- und Contra-Argumente, die jede der
drei Bezeichnungen Völkerkunde, Ethnologie und
Sozial- und Kulturanthropologie auf sich vereinigt,
in einem Handout zur Mitgliederversammlung in
Berlin aufgelistet worden.23 Dieses Handout ver-
weist nicht nur darauf, dass „Sozial- und Kultur-
anthropologie“ in der Wahrnehmung ihrer Unter-
stützerInnen in der Tat eine höhere internationale
Sichtbarkeit hat und eine direktere Verbindungs-
linie zu den heutigen Disziplinen der Social und
Cultural Anthropology im anglophonen Raum her-
stellt als „Ethnologie“. Auch haben im deutschspra-
chigen Raum in den letzten Jahrzehnten immer
wieder einzelne Institute und Lehrstühle mit der
Bezeichnung „Sozialanthropologie“ bzw. „Sozial-
und Kulturanthropologie“24 ihre eigene Tradition
unter diesem Fachnamen etabliert und wurden
zu keinem Zeitpunkt der Nähe zur Rassenkunde
23 Dilger, Hansjörg, Birgitt Röttger-Rössler, Thomas Stodulka
et al. (Hg.) 2018. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für
Sozial- und Kulturanthropologie e.V. 50.
24 Oder auch „Kultur- und Sozialanthropologie“ wie am
Institut in Wien sowie beim Fachgebiet in Marburg.
Abb. 4: Auszählung der Stimmzettel bei der Abstimmung zur Umbenennung der DGV e.V. am 06.10.2017 in Berlin (Foto: Timur Kiselev).
33
des frühen 20. Jahrhunderts verdächtigt. Schließ-
lich ist unser Fach bei der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft seit mehreren Jahren innerhalb des
Fachkollegiums 106 mit der Teilbezeichnung So-
zial- und Kulturanthropologie25 beheimatet – ohne
dass sich aus der Disziplin heraus signikante Kri-
tik formiert hätte. Inwiefern dieses für die Mitglie-
derversammlung umfassend vorbereitete Handout
daher nun als „parteiisch“ gewertet werden kann,
erschließt sich mir nicht und eine solche Wertung
wird im entsprechenden Blogbeitrag von Thomas
Bierschenk26 auch nicht weiter begründet: Nicht
zuletzt gab es in diesem Handout deutlich mehr
Argumente gegen „Sozial- und Kulturanthropo-
logie“ (6) als gegen „Ethnologie“ (3) – wohingegen
sich die Pro-Punkte (jeweils 7) die Waage hielten.
Aber vielleicht ist es ja genau dieses spekulative
Andeuten von Argumenten, das der eigenen Positi-
onierung innerhalb des Blogs Nachdruck verleihen
und die Aufmerksamkeit von all denjenigen auf sich
ziehen soll, die bislang davon ausgegangen waren,
dass bei der Mitgliederversammlung in Berlin de-
mokratisch-informiert abgestimmt wurde? Soll
sich im Nachhinein etwa die Vermutung aufdrän-
gen, der Wahlausgang in Berlin sei Ergebnis eines
undurchsichtigen Prozesses, der am Ende dazu ge-
führt habe, dass die Ethnologie sich ‚selbst zu Tode
gereinigt hat‘?27
Nicht viel anders kann ich mir die teils abenteu-
erlichen Schlussfolgerungen dieser Blogtexte er-
klären, die meines Erachtens mit mitunter hilos
wirkenden Mitteln ihre Position unterstreichen.
Angeführt wird hier nicht nur die „historische Un-
kenntnis und Ignoranz“ sowie die „Geschichtsver-
gessenheit“ und voreilige „Political Correctness“
der in Berlin anwesenden Mitglieder, die vor al-
lem die jüngere, sich nun selbst ‚moralisch auf die
Schulter klopfende‘ Generation dazu getrieben
habe, sich von der Bezeichnung Völkerkunde zu
trennen.28 Auch wird kritisiert, dass die Mehrheit
25 Deutsche Forschungsgemeinschaft 2019. Fachkollegien.
https://www.dfg.de/dfg_prol/gremien/fachkollegien/
liste/index.jsp?id=106.
26 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18–24.
27 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Streck, Bernhard 08.05.2018. Die bereinigte DGV, 27-29.
28 Kohl, Karl-Heinz 19.12.2017. Kollateralschäden. Eine Pole-
mik, in: Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische
Sammlungen neu denken, https://boasblogs.org/de/hum-
boldt/kollateralschaeden-eine-polemik/ (24.09.2019).
der ethnologischen InstitutsleiterInnen in einem
E-Mail-Forum wenige Wochen vor der Abstim-
mung für „Ethnologie“ als Bezeichnungsalternative
votiert habe und diese Mehrheitsmeinung in Ber-
lin nicht berücksichtigt wurde. Thomas Bierschenk
verknüpft diesen Punkt zudem mit der Einschät-
zung, dass die „weniger etablierten Fachvertreter“
im Vorfeld und während der Tagung über Twitter
zur Abstimmung aufriefen und das Ergebnis dort
ausgiebig feierten.
Was aber soll mit einer solchen Gegenüberstel-
lung von Kommunikationsforen konkret gesagt
werden? Dass die im Oktober 2017 circa 100 Fol-
lower bei Twitter den Wahlausgang entscheidend
mitbestimmten, obgleich von ihnen vermutlich nur
geschätzte 10-15 de facto bei der Tagung anwe-
send (und von diesen nicht einmal alle DGV-Mit-
glieder) waren? Dies würde die Wirkmacht von
Twitter im ethnologisch-wissenschaftlichen Kon-
text Deutschlands deutlich überschätzen – unsere
Fachgesellschaft ist nicht Donald Trump!
Problematischer nde ich allerdings noch, dass
in der hier vorgenommenen Kontrastierung mit
keinem Wort erwähnt wird, dass ein E-Mail-Forum
von InstitutsleiterInnen und ProfessorInnen kein
demokratisches Forum der Fachkommunikation
darstellt. Die sozialen Medien mögen ihre eigenen
Probleme der Kommunikation haben – aber zumin-
dest waren die Twitter29- und Facebook30-Seiten
der DGV/DGSKA im Zusammenhang mit der Ber-
liner Mitgliederversammlung für alle Statusgrup-
pen der Gesellschaft potenziell einseh- und nutz-
bar und auch die Schreibenden des E-Mail-Forums
hätten über Facebook ihre Einschätzungen öffent-
lich teilen können.
Noch extremer zugespitzt wird die Kritik an der
Berliner Entscheidung dann allerdings in denje-
nigen Beiträgen, die den Wahlausgang mit einem
„Rechtsruck“ (der Fachgesellschaft? des Fachs ins-
gesamt? des Berliner Vorstands als Initiator der
Wahl?) assoziieren. Dieter Haller31 schreibt etwa,
dass mit dem Einschluss von „Sozialanthropologie“
in die Bezeichnung des Fachverbands ‚kolonialisti-
sche und faschistische Bezüge gewürdigt‘ wurden
29 Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie.
Twitter-Prol https://twitter.com/SozKultAnthro
30 Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropo-
logie. Facebook-Prol https://www.facebook.com/-DGSKA.
GermanAnthropologicalAssociation
31 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–18.
Hansjörg Dilger
34 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
und es ‚in unserem kalt gewordenen Land‘, ‚nach
rechts gehe‘. Bernhard Streck32 wiederum bemüht
den im Nationalsozialismus genutzten Begriff der
„Säuberung“, um eine Parallele zwischen der Um-
benennung in Berlin und der Etablierung einer
„neuen Weltordnung“ herzustellen, „die mit der
Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika
dem Erdball implantiert wurde und (die) seither
sukzessive um sich greift.“ Berlin – und Deutsch-
land insgesamt sei „ein besonders beissener
Modernisierungsagent“, der „überall auf der Welt
die gleichen Wertvorstellungen, Versorgungsstan-
dards und Säuberungspraktiken“ implementiere.
Auf einem Blog kann und soll man seine Argu-
mente sicher zuspitzend formulieren – dies ist Teil
der affektiv-medialen Aufmerksamkeitsökonomie,
in der wie uns gegenwärtig benden33 und in der
nun auch die Ethnologie ihren Platz sucht. Aller-
dings frage ich mich, wer mit der Keule des „Fa-
schismus“ und des „Rechtsrucks“ eigentlich getrof-
fen werden soll: der demokratische Prozess, den
unser Fachverband durchlaufen hat? Die Mitglie-
der, die in Berlin anwesend waren und angeblich
‚falsch‘ gestimmt haben? Die Institute und Lehr-
stühle, die diese Bezeichnung ebenfalls im Namen
führen? Oder schließlich das DFG-Fachkollegium
mit der Teilbezeichnung „Sozial- und Kulturanth-
ropologie“, in dem unsere Disziplin beheimatet ist?
Als „etablierte FachvertreterInnen“ sollten wir uns
doch überlegen, welche „Kollateralschäden34 wir
mit solchen Zuspitzungen auf öffentlichen Blogs
für den kollegialen Umgang – und darüber hinaus!
– bewirken und welche Art des demokratisch-par-
tizipativen Diskurses wir innerhalb unserer Fach-
gesellschaft befördern möchten.
…Warum nun aber nicht Ethnologie, sondern So-
zial- und Kulturanthropologie?
Oben habe ich geschrieben, dass der Name „Eth-
nologie“ – sowohl als disziplinäre Bezeichnung als
auch in der Art und Weise, wie der Kern des Fachs
lange Zeit deniert wurde heute eine signikante
32 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Streck, Bernhard 08.05.2018. Die bereinigte DGV, 27-28.
33 Reichert, Ramón 2013: Die Macht der Vielen: Über den neu-
en Kult der digitalen Vernetzung. Bielefeld: transcript.
34 Kohl, Karl-Heinz 19.12.2017. Kollateralschäden. Eine Pole-
mik, in: Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische
Sammlungen neu denken, https://boasblogs.org/de/hum-
boldt/kollateralschaeden-eine-polemik/ (24.09.2019).
Diskrepanz dazu aufweist, wie wir das Fach in täg-
liche Praktiken von Lehre, Forschung und Lernen
übersetzen. Insbesondere beziehe ich mich dabei
auf drei Punkte, die in ihrem Zusammenspiel zei-
gen, dass die Bezeichnung „Sozial- und Kulturan-
thropologie“ einige dieser Diskrepanzen nicht nur
überwinden, sondern gleichzeitig wichtige Debat-
ten zur konzeptuellen und (inter-)disziplinären
Positionierung unseres Fachs (neu) anstoßen kann:
1. Bei der Fachbezeichnung Ethnologie handelt
sich um eine Rückübersetzung des deutschen Be-
griffs Völkerkunde, der Ende des 18. Jahrhunderts
in Analogie zur Erdkunde eingeführt und zunächst
insbesondere für die Benennung von Museen ver-
wendet wurde.35 An den Universitäten selbst etab-
lierte sich die Bezeichnung dann erst ab den 1920er
Jahren – vor allem aber nach dem 2. Weltkrieg, als
(zumindest in der BRD) ein neu anwachsendes „In-
teresse am Exotischen und Fremden“ – zusammen
mit „Krisen und (…) Unbehagen am Eigenen“ – oft
ausschlaggebend für den Weg in das Fach wur-
den.36 Inhaltlich betonte die Fachbezeichnung Eth-
nologie damit lange Zeit nicht nur einen deutlich
stärkeren Fokus auf Prozesse der Theoriebildung
in der universitären Disziplin als in der (musealen)
Völkerkunde. Vor allem denierte sich das Fach in
zentraler Weise über den „Grad der Unterschei-
dung von [fremden Kulturen] in Bezug auf unsere
eigene“, welcher ein wichtiges „Entscheidungskri-
terium für die Ausgrenzung des besonderen Ge-
genstandsbereichs der Ethnologie“ darstellte.37
Aus der heutigen Fachperspektive – und in einer
globalisierten, durch postkoloniale Verechtungen
gekennzeichneten Welt – machen solche klaren
(oder auch nur ‚graduellen‘) Abgrenzungen zwi-
schen dem Eigenen und dem Fremden wenig Sinn.
Dies haben gerade EthnologInnen in den letzten
Jahren wiederholt betont, die über das Fach hinaus-
reichende Debatten zur Dezentrierung und Multi-
plizität von Perspektiven mit angestoßen und da-
bei die vielschichtige Positionalität und Reexivität
von Forschenden selbst als zentral für den Prozess
35 Kohl, Karl-Heinz 2012 [1993]. Ethnologie – die Wissenschaft
vom kulturell Fremden: Eine Einführung. 3. Neubearbeitete
Auage. München: C.H. Beck.
36 Haller, Dieter 2012. Die Suche nach dem Fremden: Geschich-
te der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945-1990. Frankfurt
am Main: Campus Verlag.
37 Kohl, Karl-Heinz 2012 [1993]. Ethnologie – die Wissenschaft
vom kulturell Fremden: Eine Einführung. 3. Neubearbeitete Auf-
lage. München: C.H. Beck.
35
der Wissensproduktion betont haben. Der Grund,
auf dem EthnologInnen mit Gewissheit zwischen
dem Fremden und dem Eigenen unterscheiden, ist
somit schwankend geworden – und wir haben ihn
selbst zum Schwanken gebracht. Doch haben wir
sowohl unseren Studierenden als auch der Öffent-
lichkeit überzeugend vermittelt, warum „Ethnolo-
gie“ trotzdem weiterhin die ‚richtige‘ Fachbezeich-
nung ist? Und wie sind wir mit den Diskussionen
über fachliche Abgrenzungen zu anderen benach-
barten Sozial- und Kulturwissenschaften umge-
gangen, die in den letzten Jahren ebenfalls brüchig
geworden sind – abgesehen davon, dass wir sie auf
unbestimmte Zeit aufgeschoben haben?
2. Der zweite Punkt, der Fragen an den Begriff
„Ethnologie“ aufwirft, ist die durch ihn vermittel-
te Annahme, dass wir uns vornehmlich mit „Grup-
pen“ beschäftigen. Natürlich tun wir dies in gewis-
ser Weise, da wir davon ausgehen, dass Menschen
immer in sozialen und kulturellen Bezügen leben
und durch diese geprägt werden. Gleichzeitig
steht heute aber ebenso fest, dass solche Gruppen
(nicht nur die ethnischen) nicht a priori gegeben
sind, sondern dass Menschen sie – einschließlich
ihrer sozialen Hierarchien und vielschichtigen kul-
turellen Differenzierungslinien – immer wieder
neu herstellen und durch alltägliche Interaktionen
und Praktiken verfestigen. Hier steht damit nicht
nur im Fokus, wie Differenzen zwischen diesen
(oder innerhalb dieser) Gruppen und Gemeinschaf-
ten entstehen oder mit Blick auf Abhängigkeiten
und Machtdynamiken in einer verochtenen Welt
reiziert werden. Auch untersuchen wir, wie solche
Differenzierungslinien – wie Geschlecht, Sexuali-
tät, Alter, Klasse, Ethnizität u. a. m. – die Körper von
Menschen selbst durchdringen, sie multipel veror-
ten, und unser Handeln und Denken situativ prägen.
In einer solchen Perspektive stehen Menschen mit
ihren jeweiligen Erfahrungen, Körperlichkeiten
und Handlungsorientierungen im Mittelpunkt un-
seres Fachinteresses, ebenso wie deren vielschich-
tige Einbindungen in soziale und kulturelle Prozes-
se. Selbstverständlich lässt sich jetzt einwenden,
dass erst die Ethnologie „Ethnizität“ als eine von
Menschen gemachte Konstruktion entlarvt hat
und dies angesichts von Rassismen und „Fremden-
furcht“ in der heutigen Zeit ein Grund sei, an sol-
chen Errungenschaften der Disziplin festzuhalten.
Aber reicht dies als konzeptueller Anspruch für
die (Um-)Benennung einer Fachgesellschaft aus?
Ebenso können KritikerInnen des Begriffs „So-
zial- und Kulturanthropologie“ einwenden, dass
die Fokussierung auf das menschliche Sein die
nicht-menschliche Welt (Tiere, Objekte, Geister
etc.) ausschließt. Aber ist dies in den internatio-
nalen anthropologischen Wissenschaften tatsäch-
lich der Fall – und sind nicht auch die Beziehungen
zwischen menschlichem Sein und nicht-mensch-
licher Umwelt immer durch soziale und kulturelle
Prozesse vermittelt und können letztlich nur über
diese Referenz verstanden werden?38
3. Schließlich drängt sich die Frage auf, welche Fol-
gerungen wir aus den ersten beiden Punkten für die
Positionierung unseres Fachs gegenüber anderen
sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen
– und insbesondere gegenüber der Europäischen
Ethnologie (früher Volkskunde) – ableiten. Gerade
wenn man „eigen“ und „fremd“ als eine stets aus-
zuhandelnde Relation begreift, ist eine primär auf
geographischen Grenzziehungen fußende Tren-
nung zwischen den Disziplinen an den Universitä-
ten problematisch. In einem ausgezeichneten Fo-
rum der DGV-Mitteilungen im Jahr 200639 wurde
die Beziehung zwischen „Völker- und Volkskunde
(respektive Empirische Kulturwissenschaft, Eth-
nologie, Europäische Ethnologie, Kultur- und So-
zialanthropologie)“ von insgesamt vier Fachvertre-
terInnen ausgelotet, um hierüber zu einer neuen
wechselseitigen Standortbestimmung zu gelangen.
Betont wurden hier – trotz der spezischen Fach-
traditionen – vor allem die gemeinsamen inhaltli-
chen, theoretischen und methodischen Anliegen
der Disziplinen40, die oft zugunsten strategischer
Überlegungen (universitäre Stellenbesetzungen,
Ressourcenverteilungen) zurückgestellt werden.41
Globalisierung und Migration – und generell die
„vielfältigen und komplexen Verechtungen und
38 Mir ist bewusst, dass dieser Aspekt komplexer zu disku-
tieren ist als es in diesem Blogtext möglich ist. Ich verweise
daher auf Ansätze der Multispecies Ethnography sowie der
Science and Technology Studies, die heute innerhalb der
Sozial- und Kulturanthropologie fest etabliert sind.
39 Schlee, Günther, Richard Rottenburg, Jacqueline Knörr
et al. (Hg.) 2006. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für
Völkerkunde e.V. 36.
40 Kaschuba, Wolfgang 2006. Fremde Nähe – nahe Fremde?,
in: Günther Schlee, Richard Rottenburg, Jacqueline Knörr et
al. (Hg.). Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Völker-
kunde e.V. 36: 11-13.
41 Hauschild, Thomas 2006. Volkskunde und Völkerkunde, in:
Günther Schlee, Richard Rottenburg, Jacqueline Knörr et al.
(Hg.). Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde
e.V. 36: 4-6.
Hansjörg Dilger
36 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Beziehungen zwischen Menschen in allen Konti-
nenten“42 – lassen aus einer solchen Perspektive
den bis heute bestehenden „deutschen Sonder-
weg“ der „Unterscheidung zwischen einer Ethnolo-
gie Europas und andern regionalen Spezialisierun-
gen (sei es in der Ethnologie oder in benachbarten
Wissenschaften) vollkommen obsolet erscheinen.
Mit diesem Beitrag spreche ich mich nicht für
eine voreilige Zusammenführung der beiden Eth-
nologien an den Universitäten im deutschspra-
chigen Raum aus – oder aber negiere deren spe-
zische Fachtraditionen seit dem 19. Jahrhundert
(einschließlich der Zeit zwischen 1945 und 1989).
Allerdings halte ich es für höchste Zeit, dass beide
Fächer ihre gegenseitige Standortbestimmung neu
aufnehmen und dabei auch den Blick auf andere
benachbarte Disziplinen wie die Soziologie oder
die Area Studies richten. Wie die jüngste Diskussion
über völkerkundlich-ethnologische Museen zeigt,
sind wir an den universitären Instituten nur unzu-
reichend dafür vorbereitet, dass solche Debatten
mit großer Vehemenz in die Öffentlichkeit dringen
und von dort aus wieder auf uns zurollen43. Vor un-
seren Augen werden lang etablierte, eng mit unse-
rer Fachgeschichte verbundene Dichotomien (zwi-
schen „Westen“ und „Nicht-Westen“, „Globalem
42 Dracklé, Dorle 2006. Zur Ethnologie Europas in Deutsch-
land, in: Günther Schlee, Richard Rottenburg, Jacqueline
Knörr et al. (Hg.). Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für
Völkerkunde e.V. 36: 7-9.
43 Dilger, Hansjörg 23.01.2018. Mehr Ethnologie ins Humboldt
Forum! Zeit für eine sozial- und kulturanthropologische Inter-
vention, in: Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische
Sammlungen neu denken, https://boasblogs.org/autor/hans-
joerg-dilger/ (24.09.2019).
Süden“ und „Globalem Norden“) neu verhandelt
– und historisch aufgebaute Abgrenzungen zwi-
schen Kontinenten, Fachkulturen und Institutio-
nen werden von den unterschiedlichsten Seiten
aus auf den Prüfstand gestellt. Als Disziplin können
wir zusehen, wie uns solche Prozesse überrollen –
oder aber wir gestalten sie proaktiv mit und setzen
gleichzeitig notwendige inhaltlich-konzeptuelle
Impulse sowohl gegenüber der gesellschaftlichen
Öffentlichkeit als auch in unsere Nachbardiszipli-
nen hinein.
Mit ihrer Umbenennung in Deutsche Gesell-
schaft für Sozial- und Kulturanthropologie hat un-
ser Fachverband das Fenster für alle diese Debat-
ten neu aufgestoßen. Die DGSKA sollte daher ein
Dachforum für Diskussionen werden, die die auf
diesem Blog aufgezeichnete Mischung zwischen
inhaltlichen, fachpolitischen und fachhistorischen
Fragen aufarbeiten und die programmatischen
Fragen an unsere Disziplin als „übergreifende Kul-
tur- und Gesellschaftswissenschaft“44 neu eruie-
ren. Bei aller Streitbarkeit sollten wir dabei jedoch
nicht vergessen, dies in respektvoller Weise zu tun
und die Anliegen aller Generationen unseres wei-
terhin so notwendigen Fachs in die Diskussion ein-
zubeziehen!
44 Lentz, Carola 03.10.2017. Vielstimmigkeit, Differenzpoli-
tik und Konikte…, in: Kulturrelativismus und Aufklärung,
https://boasblogs.org/kulturrelativismus/vielstimmigkeit-
differenzpolitik-und-konikte/ (24.09.2019).
37
Die Geschichtsverdrängung
der Ethnologen als gesell-
schaftliches Problem
Han F. Vermeulen
29. Mai 2018
Nomen est omen / Der Name ist Programm
(contra Stocking 1971)
Die Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für
Völkerkunde (DGV) in Deutsche Gesellschaft für So-
zial- und Kulturanthropologie (DGSKA) erscheint mir
undemokratisch, unüberlegt und unhistorisch. Als
relativer Außenseiter, in den Niederlanden ausge-
bildeter Ethnologe, der sich mit der Geschichte der
Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie be-
schäftigt und seit 1991 in Deutschland forscht, war ich
immer beeindruckt vom demokratischen Gehalt des
deutschen Vereinslebens. Am 6. Oktober 2017 wurde
in Berlin zwar konform der Satzung gewählt, und das
Quorum erreicht, aber die Art und Weise, in dem es
zu dieser Wahl kam und das Ergebnis sind unbefrie-
digend. Ich schließe mich Thomas Bierschenk45 und
seiner Analyse an, der bemerkt, dass nur 30% der
DGV-Mitglieder bei der Wahl anwesend waren (216
von 731) und dass damit nur „15% der Mitglieder der
DGV die Umbenennung herbeigeführt“ haben. (Zum
Vergleich: Die SPD brauchte im März 2018 ein Mit-
gliedervotum, um die erwünschte Mehrheit für die
Teilnahme an der vierten Großen Koalition zu errei-
chen. Ungefähr 400.000 Mitglieder, auch im Ausland,
wurden per Post oder Mail angeschrieben und das
Ergebnis, 66,6% für Teilnahme, war aussagekräftig.)
Auch das Prozedere, die Umbenennung in den
Rahmen einer Wahl ohne Möglichkeit zur Diskus-
sion zu setzen, war unbefriedigend. Wie ich erst
dem Protokoll der Versammlung entnahm, hatte der
DGV-Vorstand beim Versenden der Einladungen zur
Mitgliederversammlung vom 29. August 2017 eine
zweijährige Kampagne zur Mobilisierung der Unter-
stützung eines Namenswechsels in beschränkten
Kreisen hinter sich: Gespräche in Bonn (Juni 2016)
und Hamburg (Juni 2017) mit den Direktoren der eth-
nologischen Institute und in Leipzig (Juli 2016) und
45 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18–23.
Köln (Juli 2017) mit neuberufenen Professoren der
Ethnologie. Bei diesen Gelegenheiten wurden die
Teilnehmer aufgefordert, die Diskussionen an ihren
Instituten weiterzuführen und eine Debatte anzu-
regen.46 Kein Wunder, dass es im Hörsaal der FU zu
einer Durchbruchstimmung von vor allem jungen
DGV-Mitgliedern kam, die Namensänderung zu voll-
ziehen, gleichgültig welche Gegenargumente Kol-
legen hätten oder welche Folgen sie sehen würden.
Denn wie die Reaktionen nach der Umbenennung
zeigen, waren in dem vorab geführten Diskurs eine
Vielzahl etablierter EthnologInnen nicht einbezogen
oder davon nicht in Kenntnis gesetzt worden. Es ging
nur darum, genügend Quorum und die erforderliche
„Mehrheit“ zu erreichen.
Obwohl die DGV eine AG „Fachgeschichte: Ge-
schichte der Ethnologie/History of Anthropology“
hat, wurden Historiker der Ethnologie nicht zu der
Namensänderung konsultiert. Das ist signikant. Of-
fensichtlich zeigt die aktuelle Generation von Posi-
tionsinhaberInnen in Deutschland nur wenig Inter-
esse an der Geschichte ihres Faches und möchte sich
so weit wie möglich von der Vergangenheit distan-
zieren.
Die Motivation zur Umbenennung war nur teil-
weise nachvollziehbar. Im „Denkanstoß zur Um-
benennung“ der DGV gab der Vorstand zwei Argu-
mente: es sei 1) auf die „komplexen Verknüpfungen
zwischen völkerkundlicher Theoriebildung und For-
schung mit rassenideologischem und völkisch-na-
tionalistischem Gedankengut des 19. und frühen 20.
Jh.“ zu verweisen; und 2) zu bemerken, dass Fach-
vertreterInnen „heute nicht mehr klar abgrenzbare
soziale und kulturelle Kollektive, die bis zur Mitte
des 20. Jh. als ´Völker´ und seitdem vorrangig als Eth-
nien bezeichnet wurden“ erforschen, sondern sich
Fragestellungen widmen, „die Menschen in ihren
kulturellen, sozialen, ökonomischen und politischen
Bezügen in den Fokus rücken, wobei ethnische Zu-
gehörigkeit nur noch eine Kategorie neben anderen
wie sozialer Status, Geschlecht, Alter oder religiöse
Selbstverortung darstellt, die menschliches Handeln
prägen“.47
46 DGV-Vorstand 2018. Protokoll der Mitgliederversammlung
der DVG e.V. am 6.10.2017, in: Hansjörg Dilger et al. (Hg.) Mit-
teilungen der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturan-
thropologie e.V. 50: 5-18 (hier S. 13).
47 DGV-Vorstand 2017. Völkerkunde ad acta? Ein Denkanstoß
zur Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für Völker-
kunde e.V., in: Hansjörg Dilger et al. (Hg.). Mitteilungen der
Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde 49: 12-14 (hier: S. 12).
38 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Das zweite Argument ist korrekt: die Ethnologie,
oder sociocultural anthropology, wie man das Fach
oft zusammenfasst, um schulische Unterscheidun-
gen zwischen der britischen „Social Anthropology“
und US-amerikanischen „Cultural Anthropology“ zu
vermeiden, hat ihren Fokus seit 1945 in der Tat er-
weitert und ist breiter orientiert als die frühere Völ-
kerkunde. Hierüber besteht kein Zweifel und diese
Annahme stößt offensichtlich auf eine breite Zustim-
mung, auch in der deutschsprachigen Ethnologie.
Unterstellungen
Von der Richtigkeit des ersten Arguments bin ich
weniger überzeugt. Stimmt es, dass es zwischen
völkerkundlicher Theoriebildung und Forschung im
19. und frühen 20. Jh. „komplexe Verknüpfungen“
mit rassenideologischem und völkisch-nationalisti-
schem Gedankengut gegeben hat? Auch wenn der
Begriff „komplexe Verknüpfungen“ bewusst vage ist,
und es stimmen würde, dass es solche Verknüpfun-
gen gegeben hat, sollte man das der Gesamtethnolo-
gie unterstellen? Wäre das ein ausreichender Grund,
das Fach umzubenennen?
In seinem Buch In Defense of Anthropology argu-
mentiert Herbert S. Lewis, dass die Annahme, dass
„Ethnologen oft im Dienste der Kolonialstaaten ar-
beiteten“ wenigstens für Nordamerika und Großbri-
tannien nicht gültig ist. Bereits Talal Asad hat darauf
hingewiesen: „the role of anthropologists in maintai-
ning structures of imperial domination has, despite
slogans to the contrary, usually been trivial“48. Lewis
erinnert uns daran, dass die Mehrheit der kleinen
aber wachsenden Gruppe von “anthropologists” vor
1940 in den USA arbeitete und als sie nach dem Zwei-
ten Weltkrieg in anderen Teilen der Welt forsch-
te, die Länder bald unabhängig wurden (India 1947,
Indonesien 1949, in Afrika 1958-1963), so dass sie zu
spät kamen „to guide the imperialists in their misru-
le“. US-“anthropologists” erfüllten nicht das Prol des
für den Kolonialisten arbeitenden Wissenschaftlers
und ihre Ideen, vor allem der Studenten von Boas,
waren nicht diejenigen „that are usually cited as pro-
ducts of, or facilitating, colonialism“49. Das gleiche
48 Asad, Talal 1991. Afterword: From the History of Colonial
Anthropology to the Anthropology of Western Hegemony, in:
George W. Stocking, Jr. (Hg.). Colonial Situations. Madison, WI:
University of Wisconsin Press: 314-324 (hier S. 314).
49 Lewis, Herbert S. 2014. In Defense of Anthropology: An In-
vestigation of the Critique of Anthropology. New Brunswick, NJ:
Transaction Publishers (hier S. 80-81).
gilt für Großbritannien. Obwohl das Land ein riesen
Kolonialreich exploitierte, und es unbezweifelbar ist,
dass professionelle, in Großbritannien ausgebildete
“anthropologists” in den Kolonien geforscht haben,
vor allem in Afrika und Ozeanien, gab es vor etwa
1930 keine „professional anthropologists and when
they did come upon the scene they were not sup-
ported by grants from colonial treasuries nor, with
rare exceptions, were they employed by colonial go-
vernments“50. Lewis analysierte sie alle, vor und nach
Malinowski und Radcliffe-Brown, und folgerte, dass
Asad Recht hatte: „The role of British anthropology
in maintaining colonialism has been trivial at best.
The same is even truer for American anthropology“51.
Der Grund warum viele Ethnologen annehmen, dass
„anthropology the child of colonialism“ war, ist, dass
dieser Trope in den Zeitgeist der Protestbewegungen
der späten 1960er Jahre passte (ebd.) und von deren
Schülern unkritisch übernommen wurde. Seitdem
herrscht eine „culture of accusation“.
Diese Thesen sollte man für andere Kolonialmäch-
te, wie Frankreich, Portugal, Spanien, Belgien, den
Niederlanden, Russland usw., testen. Und natürlich
auch für Deutschland. Obwohl das deutsche Kolo-
nialreich kurzlebig war (1884-1919), war es 1914 nach
dem britischen und französischen Überseekolonial-
reich ächenmäßig das drittgrößte, und gemessen
an der Bevölkerungszahl nach den niederländischen
Kolonien das viertgrößte. Arbeiteten dort Ethnolo-
gen im Dienste der Kolonialisten? Haben Ethnolo-
gen als Berater oder Gutachter für die Kolonialver-
waltung gearbeitet und wurden sie dafür bezahlt?
Wenn ja, was haben sie genau gemacht, erforscht,
beschrieben und berichtet? Das alles ist kaum er-
forscht. Zwar analysierte Hans Fischer52 die Verbin-
dungen zwischen Ethnographie und Kolonialismus
während der Hamburger Südsee-Expedition, er-
forschte Volker Harms53 die Beziehungen zwischen
ethnographischen Sammlungen und Kolonialismus,
Thomas Theye54 die ethnographische Fotographie
50 ebd. (hier S. 80-81).
51 ebd. (hier S. 80-81).
52 Fischer, Hans 1981. Die Hamburger Südsee-Expedition. Über
Ethnographie und Kolonialismus. Frankfurt am Main: Syndikat.
53 Harms, Volker 1984. Das historische Verhältnis der deut-
schen Ethnologie zum Kolonialismus. Zeitschrift für Kultur-
austausch 34, 4: 401-41; Harms, Volker 1988. Kolonialhandel
und Völkerkundemuseum, in: Volker Plagemann (Hg.). Übersee.
Seefahrt und Seemacht im deutschen Kaiserreich. München:
C.H. Beck.
54 Theye, Thomas 1989 (Hg.). Der geraubte Schatten. Die
Photographie als ethnographisches Dokument. München/Lu-
39
in der Kolonialzeit, Beatriz Heintze55 deutsche For-
schungsreisende in Afrika und gibt es die Fallstudien
von Susanne Zantop56, Andrew Zimmerman57, Glenn
Penny58 und Rainer Buschmann59. Aber ein Gesamt-
bild steht noch aus und das Thema fehlt z. B. in der
Ausstellung „Deutscher Kolonialismus“ im Deut-
schen Historischen Museum in Berlin.60
Die „Verknüpfungen“ zwischen Völkerkunde und
„rassenideologischem und völkisch-nationalisti-
schem Gedankengut“ während der Nazizeit (1933-
1945) sind weit besser erforscht. Seit etwa 30 Jahre
wird das Thema Ethnologie und Nationalsozialismus
intensiv erarbeitet (z. B. Braun, Bohm, Dostal, Fischer,
Geisenhainer, Gingrich, Harms, Kreide-Damani, Ku-
lick-Aldag, Linimayr, Mende, Michel, Mischek, Preuß,
Pützstück, Rohrbacher, Spöttel, Voges). Es gab Sam-
melbände61, manche Protagonisten wurden sehr gut
erforscht62, und es war wiederum Hans Fischer, der
am tiefsten gegraben hat.63 Aber es fehlt ein Gesamt-
bild und zu allgemeinen Aussagen, wie „belastet“ die
deutschsprachige Ethnologie in toto war, kann man
deswegen kaum kommen.
zern: C.J. Bucher.
55 Heintze, Beatrix 1999. Ethnographische Aneignungen. Deut-
sche Forschungsreisende in Angola. Frankfurt am Main: Verlag
Otto Lembeck.
56 Zantop, Susanne 1997. Colonial Fantasies: Conquest, Family,
and Nation in Precolonial Germany, 1770-1870. Durham, NC:
Duke University Press.
57 Zimmerman, Andrew 2001. Anthropology and Antihuma-
nism in Imperial Germany. Chicago/London: University of
Chicago Press.
58 Penny, H. Glenn 2002. Objects of Culture: Ethnology and
Ethnographic Museums in Imperial Germany. Chapel Hill, NC:
University of North Carolina Press.
59 Buschmann, Rainer F. 2009. Anthropology’s Global Histories:
The Ethnographic Frontier in German New Guinea, 1870-1935.
Honolulu: University of Hawai’i Press.
60 Deutsches Historisches Museum (Hg.) 2017. Deutscher
Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart.
Berlin: Deutsches Historisches Museum.
61 Gerndt, Helge 1987 (Hg.). Volkskunde und Nationalsozia-
lismus. München: Münchner Vereinigung für Volkskunde;
Hauschild, Thomas (1995) (Hg.). Lebenslust und Fremdenfurcht.
Ethnologie im Dritten Reich. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Verlag; Streck, Bernhard (2000) (Hg.). Ethnologie und Natio-
nalsozialismus. Gehren: Escher Verlag.
62 Geisenhainer, Katja 2002. „Rasse ist Schicksal“. Otto Reche
(1879-1966) – ein Leben als Anthropologe und Völkerkundler.
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.
63 Fischer, Hans 1990. Völkerkunde im Nationalsozialismus.
Aspekte der Anpassung, Afnität und Behauptung einer wissen-
schaftlichen Disziplin. Berlin/Hamburg: Dietrich Reimer Verlag.
Fischer gibt Listen von Ethnologen, die belastet oder beteiligt
waren oder verfolgt wurden.
Deshalb gibt es auch keinen Grund für eine gesi-
cherte Einstufung der Ethnologie in beide Perioden
und hat man bloß eine Vermutung über die „Ver-
knüpfungen“. Eine Vermutung taugt jedoch nicht als
Grund für eine wissenschaftliche Proländerung.
In seinem Handout nennt der DGV-Vorstand nur
drei Argumente für das Beibehalten des Namens Völ-
kerkunde, und sieben dagegen. Bierschenk64 nennt
diese Stellungnahme mit Recht „parteiisch zuguns-
ten DGSKA“. Als Pluspunkte des Namens Völkerkun-
de wurden betont: „Historische Kontinuität: Begriff
Völkerkunde‘ ist seit 1771 in Gebrauch, d. h. lange vor
dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert; [der] Be-
griff war prägend für frühe Debatten über ethnogra-
phia und ethnologia“ und [die] „Debatte über ‚indige-
ne Völker‘ zeigt, dass der Begriff ‚Völker‘ heute auch
positiv konnotiert & an Fachdebatten anschlussfähig
sein kann“.65 Der dritte Pluspunkt („Aufarbeitung der
eigenen – hochdiversen – Fachgeschichte ist unab-
hängig vom gewählten Namen“) gilt für alle Namens-
varianten, ist also nicht spezisch für oder gegen die
Völkerkunde einzusetzen.
Wenn man bedenkt, dass die Völkerkunde oder
Ethnologie bereits im 18. Jahrhundert, also lange
vor dem Nationalsozialismus und lange vor der Be-
gründung der Social und Cultural Anthropology, von
deutschsprachigen Historikern, Naturwissenschaft-
lern, Linguisten und Geographen geprägt und prak-
tiziert wurde und sich im 19. Jahrhundert zu einer
breiten Tradition entwickelte,66 ist diese Argumenta-
tion unhistorisch.
64 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18-23.
65 DGV-Vorstand 2017. Abstimmung zur Umbenennung der
Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. Handout für Mit-
gliederversammlung am 6.10. an der Freien Universität Berlin, in:
Dilger, Hansjörg et al. (Hg.). Mitteilungen der Deutschen Gesell-
schaft für Sozial- und Kulturanthropologie e.V. 50, 2018: 19-20.
Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers: Abb. 1,
S. 8-9.
66 Vermeulen, Han F. 2006. The German Invention of Völker-
kunde: Ethnological Discourse in Europe and Asia, 1740-1798,
in: Sara Eigen & Mark Larrimore (Hg.). The German Invention
of Race. Albany, NY: State University of New York Press, 123-
145; Vermeulen, Han F. 2008. Göttingen und die Völkerkunde:
Ethnologie und Ethnographie in der deutschen Aufklärung,
1710-1815, in: Hans Erich Bödeker, Philippe Büttgen & Michel
Espagne (Hg.). Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen
um 1800. Wissenschaftliche Praktiken, institutionelle Geo-
graphie, europäische Netzwerke. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für
Geschichte 237), 199-230; Vermeulen, Han F. 2015. Before Boas:
The Genesis of Ethnography and Ethnology in the German
Enlightenment. Lincoln/London, NE: University of Nebraska
Press.
Han F. Vermeulen
40 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Ethnographie und Ethnologie im 18. und
19. Jahrhundert
Die Ethnographie wurde im frühen 18. Jahrhun-
dert von dem Historiker und Forschungsreisenden
Gerhard Friedrich Müller (1705-1783) als ethnogra-
phisches Programm für die Beschreibung aller si-
birischen Völker formuliert (Völker-Beschreibung,
1740) und von ihm und anderen ausgeführt. Viele
Völker Sibiriens wurden beschrieben, ihr Kultur-
gut wurde gesammelt und an die Kunstkamera in
St. Petersburg geschickt. Diese umfassende und
vergleichende Ethnographie geschah im Rahmen
einer zunehmenden Kolonisierung der russischen
Teile Nordasiens, aber die Forscher waren nicht im
Dienst der Kolonialverwaltung, sondern der Aka-
demie der Wissenschaften, und das Forschungs-
programm wurde nicht zum Nutzen dieser Art Be-
schreibung für die Kolonialverwaltung betrieben,
sondern um einen Vergleich dieser Völker unterein-
ander wie auch mit den Völkern anderer Erdteile zu
erreichen. Müller sah diese Forschung als Beitrag an
einer „ganz allgemeinen Völker-Beschreibung“ aller
Völker des Erdkreises.67
67 Müller, Gerhard Friedrich 2010. Ethnographische
Schriften I. Bearbeitet von Wieland Hintzsche & Alek-
sandr
Christianovič Elert. Halle: Verlag der Franckeschen
Als der Historiker August Ludwig Schlözer (1735-
1809), der bei Müller Assistent war und in Göttingen
Professor für allgemeine und nordische Geschichte
wurde, 1771-1775 die Völkerkunde als Wissenschafts-
zweig in den akademischen Diskurs einführte, plat-
zierte er sie neben Weltkunde (Chorographie), Erd-
kunde (Geographie) und Staatenkunde (Statistik).
Es ist undeutlich, welche Rolle Schlözer bei der
Prägung des Begriffs „ethnographia“ (1767 belegt)
spielte, aber klar ist, dass er die Völkerkunde mit
der Ethnographie gleichsetzte und (wie Müller) ein
Programm vorlegte, um alle Völker der Erde zu be-
schreiben und miteinander zu vergleichen.68
Als der slowakische Historiker Adam František
Kollár (1718-1783) 1781 in Wien den Begriff Ethnolo-
gie einführte und 1783 die „ethnologia“ zum ersten
Mal denierte, erweiterte er Schlözers Programm,
so wie Schlözer dies mit Müllers Programm getan
hatte, und schloss nicht nur „die Ursprünge, Spra-
chen, Sitten und Institutionen verschiedener Völ-
Stiftungen zu Halle (Quellen zur Geschichte Sibiriens und
Alaskas aus russischen Archiven VIII, hier S. 5); Müller, Ger-
hard Friedrich 2018. Ethnographische Schriften II. Bearbeitet
von Wieland Hintzsche & Aleksandr Christianovič Elert. Halle:
Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle, Harrassowitz
Verlag in Kommission (Quellen zur Geschichte Sibiriens und
Alaskas aus russischen Archiven XI).
68 Siehe Fussnote 66.
Abb. 5: Die Reiseroute durch Sibirien von Gerhard Friedrich Müller während der Zweiten Kamtschatka-Expedition (1733-1743).
Karte aus Vermeulen 2015, Before Boas: The Genesis of Ethnography and Ethnology in the German Enlightenment: 150.
41
ker“ in seine Denition ein, sondern auch „[deren]
Vaterland und die alten Wohnsitze mit der Absicht
…, die Volksstämme und Völker ihrer [eigenen] Zeit
richtiger beurteilen zu können.69
Das Objekt dieser Völkerkunde oder Ethnolo-
gie, das nicht „das Volk“ oder „das völkische“, son-
dern die Völkervielfalt, die Pluralität der Völker,
aller Völker, widerspiegelte, war ein völlig ande-
res Objekt als das der etwa gleichzeitig geprägten
„Menschenrassen“, die von der naturhistorischen
Forschung (Buffon, Blumenbach, Cuvier, usw.) the-
matisiert wurden. Die Ignoranz über die Wurzeln
der Ethnographie und Ethnologie im deutsch-
sprachigen Raum herrscht nicht nur in Deutsch-
land. Auch George W. Stocking Jr. (1928-2013), der
bekannteste „historian of anthropology“, wusste
bis kurz vor seinem Tod nichts von der deutschen
Tradition und ihrer internationalen Bedeutung.
Obwohl in Berlin geboren, fokussierte Stocking in
seiner Forschung ausschließlich auf englische und
französische Quellen. Sein Artikel über die Umbe-
nennung der Ethnological und Anthropological So-
cieties in das Anthropological Institute70 ist einsei-
tig, weil er die Beiträge der deutschen Quellen für
Tylor c.s. außer Acht gelassen hatte – sowohl aus
Mangel an Sprachkenntnissen, als auch, weil die
Frühgeschichte der deutschen Ethnologie noch zu
wenig bekannt war – trotz Beiträge von u. a. Hans
Fischer, Justin Stagl und Britta Rupp-Eisenreich,
teilweise auch auf English.71
Der Relativismus von Georg Forster, Herder und
Franz Boas, der Anti-Rassismus von Adolf Bastian
und Boas in Berlin und New York, Bastians Konzept
der „geistigen Einheit der Menschheit“, bis hin zu
der Tatsache, dass Fritz Kramer et al. eine ree-
xive Ethnologie formulierten, bevor dies Clifford
und Marcus72 taten, sind alles Ereignisse der Eth-
nologie, die nicht mit dem Verdacht „komplexer
Verknüpfungen mit rassenideologischem Gedan-
kengut“ abgetan werden können. Die universalis-
tischen und relativistischen Ansätze im 18. und 19.
69 Siehe Vermeulen, Han F. 2015. Before Boas: The Genesis of
Ethnography and Ethnology in the German Enlightenment.
Lincoln/London, NE: University of Nebraska Press: 315-316.
70 Stocking, George W. Jr. 1971. What’s in a Name? The Origins
of the Royal Anthropological Institute, 1837-1871. Man (n.s.) 6,
3: 369-390.
71 Stagl, Justin 1995. A History of Curiosity: The Theory of Travel
1550-1800. Chur/New York: Harwood Academic Publishers.
72 Clifford, James & George E. Marcus (Hg.) 1986. Writing
Culture: The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley, CA:
University of California Press.
Jahrhundert werden von den Gegnern der “Völker-
kunde” ignoriert.
Ethnologie im gesellschaftlichen Rahmen
Der DGV-Vorstand lässt sich von diesen Gegnern
intimidieren und benutzt ihre Argumente unre-
ektiert als Grundlage für Wissenschaftspolitik!
Zugegeben, der Vorstand hat de bon coeur gehan-
delt. Kurzsichtig aber gut gemeint. Während er in
dem Denkanstoß die „positiven Konnotationen“
der Ethnologie im deutschen öffentlichen Leben
erwähnte,73 betonte er in dem Handout die „stark
negativen Assoziationen“ von Völkerkunde in den
Medien, insbesondere in Verbindung zu Diskussio-
nen über das Humboldt Forum.74 Die Sammlungen
des unter Bastian im Zentrum Berlins zwischen
1869 und 1886 gegründeten und nach dem Zweiten
Weltkrieg in Dahlem wiedereröffneten Ethnologi-
schen Museums werden ein zentraler Bestandteil
dieses Forums sein, zusammen mit Sammlungen
des Asiatischen Museums. Der für 2019 geplan-
te Umzug hat politische Aktivisten veranlasst, die
Ethnologie wegen ihrer Rolle im deutschen Über-
seekolonialismus und Nationalsozialismus zu kri-
tisieren und die Völkerkunde insgesamt als eine
„koloniale Wissenschaft“ abzustempeln, die „deko-
lonisiert“ werden muss.
Dazu kommt der jüngste Aufschwung von Popu-
lismus in Deutschland, Österreich, Ungarn usw., in
dem die Ideen vom “eigenen Volk” und von “völ-
kischen Bewegungen” zunehmend von politisch
Rechten instrumentalisiert werden. Der Vorstand
erwähnte diesen Faktor erst in seinem Handout:
„Erstarken nationalistischer und völkischer Ideo-
logien in Deutschland & Europa, die den ‚Volks-/
Völker‘-Begriff … unhaltbar machen.75
Um sich von solchen Verbindungen zu distanzie-
ren, gefangen zwischen Anschuldigungen der poli-
tisch Linken und Aneignungen der politisch Rech-
73 DGV-Vorstand 2017. Völkerkunde ad acta? Ein Denkanstoß
zur Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für Völker-
kunde e.V., in: Hansjörg Dilger et al. (Hg.). Mitteilungen der
Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. 49: 12-14.
74 DGV-Vorstand 2017. Abstimmung zur Umbenennung der
Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. Handout für Mit-
gliederversammlung am 6.10. an der Freie Universität Berlin,
in: Hansjörg Dilger et al. (Hg.). Mitteilungen der Deutschen
Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie e.V. 50, 2018:
19-20. Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Abb. 1, S. 8-9.
75 ebd.
Han F. Vermeulen
42 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
ten, mobilisierte der DGV-Vorstand eine vorwiegend
junge Gruppe von deutschsprachigen EthnologIn-
nen, um für „Sozial- und Kulturanthropologie“ zu
stimmen: „Wir müssen das Quorum erreichen“. (Der
Widerstand der österreichischen Mitglieder gegen-
über der Tatsache, dass der erst im Nationalsozialis-
mus eingeführte Begriff „deutsch“ im neuen Namen
beibehalten wurde, wurde ignoriert.)
Obwohl diese Kombination von Fremdwörtern
auf Deutsch sperrig klingt, folgten die Mitglieder
in Berlin dem Vorschlag, Völkerkunde durch beide
angelsächsische Begriffe zu ersetzen und britische
Sozialanthropologie mit amerikanischer Kulturan-
thropologie zu kombinieren. Das war eine Weiter-
führung der Universitätspolitik an der FU in Berlin,
wo das Institut für Ethnologie am 15. Juli 2015 seinen
Namen in Institut für Sozial- und Kulturanthropo-
logie änderte. Nach fast 250 Jahren wurde der Be-
griff Völkerkunde, 1771-1775 in Göttingen eingeführt,
2015-2017 in Berlin abgeschafft.
Während Namensänderungen politische Ideo-
logien widerspiegeln und nicht nur in Deutschland
eine nationale Praxis sind, scheinen sie in Berlin
endemisch zu sein. Der Literaturhistoriker Victor
Klemperer erwähnte im März 1946 Pläne, „mehr als
1.000 der 8.000 Straßennamen Berlins“ umzubenen-
nen, z. B. die Umbenennung des Carola-Platzes über
Adolf-Hitler-Platz zum Karl-Liebknecht-Platz.76 Die-
ser Wandel reektiert die Wende vom Liberalismus
zum Nationalsozialismus und Kommunismus. Heute,
im Zeitalter des Neoliberalismus, der Globalisierung
und des radikalen Nationalismus, scheint es unter
der jungen Generation der deutschen Ethnologen
einen starken Drang zu geben, die Idee einer Völker-
kunde loszuwerden und sich von der Geschichte des
Faches zu distanzieren.
Man versteht, dass es nicht leicht ist, sich pro-
fessionell in einer sich schnell verändernden Welt,
voller gravierender Probleme, mit den Menschen
und ihren Gruppierungen zu beschäftigen. Die Ta-
gung in Berlin wies auch klar aus, dass die deutsch-
sprachige Ethnologie momentan weitgehend auf
soziokulturelle Identitäten ausgerichtet ist. Das ist
kein Wunder, weil die Neuorientierung der deutsch-
sprachigen Ethnologie ab 1945 begann und die Um-
benennung der Ethnologie in den Niederlanden
bereits 1953 erfolgte.77
76 Klemperer, Victor 2003. Das Tagebuch 1945-1949. Hg. von
Harald Roth. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag.
77 Vermeulen, Han F. 2002. Contingency and Continuity: An-
thropology and Other Non-Western Studies in Leiden, 1922-
Dennoch wird mit SKA nicht das ganze Feld abge-
deckt und hat die Namensänderung unerwünschte
Nachteile. Erstens werden deutsche Medien und
Verlage den Begriff Ethnologie weiterhin gerne be-
nutzen wollen: Ethnographie und Ethnologie sind
in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft
etablierte Begriffe, wie auch in vielen Teilen Euro-
pas, Asiens, Amerikas usw. Zweitens lässt die Um-
benennung die ethnologischen Museen in der Luft
hängen. Das ist ein wichtiges Thema für das Hum-
boldt Forum, das Diskussionen über Kolonialismus
und Dekolonialisierung, dialogische Kommunika-
tionsformen, Provenienzforschung, die Rückgabe
von kulturellem Erbe usw. anregt.78 Drittens hat
die Abschaffung des Begriffs Völkerkunde und der
damit verbundenen Vorstellung von „indigenen
Völkern“ Konsequenzen für angewandte Ethnolo-
gen und NGOs, die mit indigenen Völkern arbeiten,
um deren Rechte zu schützen. Viertens wird der
neue Name nicht der historischen Ethnologie ge-
recht, die im 20. Jahrhundert zu den Kennzeichen
der deutschsprachigen Völkerkunde gehörte79 und
eine noch bestehende Forschungstradition andeu-
tet. Fünftens wird die Bedeutung der Ethnographie
nicht berücksichtigt. Und schließlich ist es unhis-
torisch und unethisch, nur diese eine gegenwarts-
und zukunftsgerichtete Orientierung zu fördern,
die viele andere Forschungsfragen nicht abdeckt,
und eine 280-jährige Wissenschaftstradition als
“belastet” auszuklammern.
Historizität und Pluralismus
Meine These: es ist unhistorisch und unnötig. Eine
alternative Strategie wäre es, den Namen aus his-
torischen Gründen beizubehalten, mehr und noch
intensivere Versuche zu unternehmen, die Beteili-
gung von Anthropologen und Ethnologen in kolo-
nialen und nationalsozialistischen Praktiken zu un-
tersuchen (das heißt, bei der DFG auch Forschung
2002, in: Han F. Vermeulen & Jean Kommers (Hg.) Tales from
Academia: History of Anthropology in the Netherlands. Part 1.
Nijmegen: NICCOS/Saarbrücken: Verlag für Entwicklungs-
politik, 95-182 (hier S. 109).
78 Kohl, Karl-Heinz 06.09.2017. Dies ist Kunst, um ihrer selbst
willen. Die Zeit 37; Kohl, Karl-Heinz. 19.12.2017. Kollateralschä-
den. Eine Polemik, in: Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethno-
graphische Sammlungen neu denken, https://boasblogs.org/
de/humboldt/kollateralschaeden-eine-polemik/ (24.09.2019).
79 Haller, Dieter 2012. Die Suche nach dem Fremden. Geschich-
te der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945-1990. Frankfurt
am Main: Campus Verlag.
43
zuzulassen, die nicht nur auf Feldforschung grün-
det!), und vor allem gegenüber sowohl radikalen
Nationalisten als auch politischen Aktivisten deut-
lich zu machen, was es ist, das Ethnologen heutzu-
tage tun: Untersuchung der sozio-kulturellen Di-
versität und Einheit.80
Die Gesellschaft wird seit einiger Zeit in inof-
zieller Übersetzung als „German Anthropological
Association“ (GAA) geführt – nach dem Vorbild
der American Anthropological Association (AAA)
und der European Association of Social Anthropo-
logists (EASA). Grund ist die Hervorhebung ihrer
Identität als Fachverband, der sie werden sollte,
im Kontrast zu einer gelehrten Gesellschaft, die
sie nicht mehr ist. Genauso kann man den Namen
“Deutsche Gesellschaft für Ethnologie” beibehal-
ten und im Englischen die Übersetzung zwischen
Klammern: „German Association for Social and
Cultural Anthropology“ stellen. Im Inland Ethno-
logie und EthnologInnen, im Ausland Social and
Cultural Anthropology.
Noch besser wäre die Idee einer Gesamtanth-
ropologie81 und das Programm der International
Union of Anthropological and Ethnological Scien-
ces (IUAES). Begründet in Brüssel 1948, zurück-
gehend auf internationale Tagungen in London
1934 und Kopenhagen 1938, stellt die IUAES ganz
klar anthropologische und ethnologische Wissen-
schaften nebeneinander. Aus historischer Sicht
sollte man sich die Anthropologie oder Ethnolo-
gie auch nicht als ein Fach vorstellen, sondern als
eine Fakultät von Fächern, a bundle of disciplines.
Anthropologie und Ethnologie sind hier angesagt,
auch um die unheilvolle Trennungvon Volks- und
Völkerkunde, von europäischer und außereuro-
päischer Ethnologie auf einer höheren Ebene auf-
zulösen. Deshalb wäre ich dafür, die DGV/DGE/
DGSKA in eine umfassende Gesellschaft für Ethno-
logie und Anthropologie (GEA) umzugestalten. Ca-
rola Lentz82 hatte am 3. Oktober 2017 völlig Recht
damit, die „Vielstimmigkeit“ in der anthropologi-
schen und ethnologischen Fachwelt zu betonen.
80 Antweiler, Christoph 2016. Our Common Denominator:
Human Universals Revisited. Oxford/New York: Berghahn.
81 Bierschenk, Thomas, Matthias Krings & Carola Lentz 2016.
World Anthropology with an Accent: The Discipline in Germa-
ny since the 1970s. American Anthropologist 118, 2: 364-375.
82 Lentz, Carola 03.10.2017. Vielstimmigkeit, Differenzpoli-
tik und Konikte…, in: Kulturrelativismus und Aufklärung,
https:boasblogs.org/kulturrelativismus/vielstimmigkeit-
differenzpolitik-und-konikte/ (24.09.2019).
Die Geschichte der Ethnologie und Anthropo-
logie zeigt, dass Namensänderungen oft Paradig-
menwechsel andeuten. Wie das Forschungspro-
gramm im vorliegenden Fall aussieht, wurde nicht
bekannt gegeben. Die Beiträge des Vorsitzenden
der in DGSKA umbenannten DGV, Hansjörg Dil-
ger, an diesem und am dem Blog über das Hum-
boldt-Forum83 enthalten eher Ansätze eines sol-
chen Programms.
Nachwort (19.11.2019)
Anderthalb Jahre nach der Online-Fassung die-
ser kritischen Stellungnahme denke ich noch im-
mer, dass die Umbenennung der DGV in DGSKA in
Berlin im Oktober 2017 ein Fehler war – genauso
wie Thomas Bierschenk in seinem Beitrag schrieb.
Ausserdem war sie unnötig, unhistorisch und
nur halbdemokratisch. Man hätte locker den Na-
men Ethnologie beibehalten können – und damit
die Lösung des MPI in Halle (Saale) übernehmen:
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung
auf Deutsch und Max Planck Institute for Social
Anthropology auf Englisch. Das war eine gute Ent-
scheidung im Jahr 1999. Die Ethnologie ist eine
Gruppenwissenschaft, ob man das Objekt nun Völ-
ker, Nationen, Ethnien oder Gesellschaften nennt.
Eine Umbenennung ändert an der Sache nichts.
Es geht mir auch nicht um den Namenswech-
sel an sich. In der Geschichte des Faches hat es
Dutzende solcher „name changes“ gegeben. Der
Putsch, den der damalige DGV-Vorstand vor zwei
Jahren in Berlin durchführte, zuerst die Instituts-
leiter*innen zu engagieren, danach die Mitglieder
zu informieren und dann die Doktorand*innen zur
Wahl zu mobilisieren, ist nur eine weitere und re-
lativ späte Entwicklung im breiten Feld der anthro-
pologischen und ethnologischen Wissenschaften
(wie sich die IUAES mit recht sieht). Abgesehen von
diesem nur scheinbar demokratischen Verfahren
83 Dilger, Hansjörg 2018. „Mehr Ethnologie ins Humboldt
Forum! Zeit für eine sozial- und kulturanthropologische Inter-
vention“ in: Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische
Sammlungen neu denken, https://boasblogs.org/de/hum-
boldt/mehr-ethnologie-ins-humboldt-forum/ (08.05.2018);
Dilger, Hansjörg 2018. „Von Menschen und (ethnischen) Grup-
pen. Die Entscheidung für „Sozial- und Kulturanthropologie“
wirft überfällige Fragen an unsere Diszipline neu auf“ in:
What’s in a name – Wofür steht die Umbenennung der Deut-
schen Gesellschaft für Völkerkunde?, https://boasblogs.org/
whatsinaname/von-menschen-und-ethnischen-gruppen/
(22.05.2018).
Han F. Vermeulen
44 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
stört mich vor allem die Respektlosigkeit gegen-
über der Tradition der Ethnographie/Ethnologie/
Völker- und Volkskunde, die über 280 Jahre hinweg
konstant empirische Forschung, das heißt Ethno-
graphie, betrieb – auch wenn das manchmal oder
sogar regelmäßig zu zweifelhaften oder sogar kri-
minellen „Verknüpfungen ... mit rassenideologi-
schem und völkisch-nationalistischem Gedanken-
gut“ führte.
Mit solchen Argumenten das ganze Fach anzu-
klagen und die Völkerkunde bzw. Ethnologie ihren
Gegnern zu überlassen, ist kurzsichtig und verant-
wortungslos. Ich habe damals die Vermutung geäu-
ßert, dass der Berliner Vorstand die Umbenennung
aus der Angst heraus ankurbelte, sich konstant
gegen „Anschuldigungen der politisch Linken und
Aneignungen der politisch Rechten“ verteidigen
zu müssen; und ich meine immer noch, dass die
Umbenennung in dem Wunsch beseelt war, sich
von solcherlei Druck zu befreien. Ja, der Vorstand
hat auch positive Motive genannt, man wolle das
Feld erweitern und neben der „ethnischen Zuge-
hörigkeit” auch den “sozialen Status, Geschlecht,
Alter oder religiöse Selbstverortung” erforschen.84
84 Siehe Fussnote 47.
Das ist jedoch eine scheinbare Gegenüberstellung:
in der vornationalistische Periode war die Ethno-
graphie/Ethnologie eine umfassende Wissenschaft
aller Aspekte aller Völker und Nationen der Erde.
Man sollte sich das mal vergewissern: es hat sehr
viele Ansätze im breiten Feld dieser Wissenschaft
gegeben, sowohl gute als auch schlechte, und das
Gesamte macht die Forschungstradition aus. Versu-
che, das Negative auszuklammern, führen zu einer
Verdrängung, niemals zu einer Aufarbeitung.
Nun hat die DGSKA vor zwei Jahren einen Sprung
nach vorn gemacht. Prima, kurzsichtig aber mutig.
Man versteht den Wunsch vieler Institutsleiter*in-
nen, ihr Fach zu erneuern. Das ist wichtig, ohne
Zweifel. Aber kann man erneuern, ohne die Tradi-
tion zu kennen? Meine Einsicht, dass Namenswech-
sel meist auch Programmwechsel beinhalten, und
mein Aufruf, dass die Anreger dieses Paradigmen-
wechsels sich mit so einem Programm erkennbar
machen sollten, sind bislang nicht aufgegriffen wor-
den. Wenigstens ist klar, dass der Bedarf an histori-
scher Aufarbeitung der Geschichte der Ethnologie,
der Anthropologie und der SKA durch diese Umbe-
nennung nicht weniger geworden ist.
45
„...unsere Gesellschaft den
veränderten Verhältnissen
anzupassen...“
Katja Geisenhainer
12. Juni 2018
Nicht nur gegen, sondern auch für eine Umbenen-
nung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkun-
de wurde fachhistorisch argumentiert. Ein neuer
Name für die Gesellschaft sollte als ein Zeichen
der Distanzierung zur eigenen Disziplingeschich-
te verstanden werden, da etwa „die Völkerkunde
einen nicht unerheblichen Anteil an der wissen-
schaftlichen Produktion und Legitimierung von
„Rassen-Theorien85 gehabt habe. Im Gegenzug
dazu beinhaltete die Kritik an der Namensände-
rung wiederholt den Vorwurf, es handele sich bei
denjenigen, die eine Umbenennung befürworten,
um jene, so z. B. Dieter Haller86, „die nichts mehr
wissen von ihrer fachlichen Vergangenheit und
wohl auch nichts wissen wollen“.
Bevor ich genau hier ansetze, auch auf die Ge-
fahr hin, als „geschichtsbesoffen“ bezeichnet zu
werden, wie es in dem Beitrag von Thomas Wid-
lok87 heißt, möchte ich mich jedoch noch zu dem
Blogbeitrag des Kollegen Han Vermeulen88 äu-
ßern. Zum Thema „deutschsprachige Ethnologie
und Kolonialismus“ liegen neben den angeführten
doch ein paar mehr Studien vor. Ingeburg Win-
kelmann schrieb beispielsweise 1966 in Ostberlin
ihre Doktorarbeit zu diesem Thema, und 1983 er-
schien das Buch von Manfred Gothsch über „Die
deutsche Völkerkunde und ihr Verhältnis zum Ko-
lonialismus“, um zwei frühe Arbeiten zu nennen.
Weitere Studien folgten, z. B. in jüngerer Zeit von
Fiedler, Förster, Stoecker oder im Sammelband,
85 Vorstand und Beirat der DGV e.V. 2017. Völkerkunde ad
acta? Ein Denkanstoß zur Umbenennung der Deutschen
Gesellschaft für Völkerkunde e.V., in: Hansjörg Dilger, Birgitt
Röttger-Rössler, Olaf Zenker et al. (Hg.). Mitteilungen der
Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. 49: 12-14.
86 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
87 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers: Wid-
lok, Thomas 15.05.2018. Teilnehmende Namensgebung, 29-30.
88 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Vermeulen, Han F. 29.05.2018. Die Geschichtsverdrängung der
Ethnologen als gesellschaftliches Problem, 37-44.
herausgegeben von Brigitte Templin und Gottfried
Böhme – dies sind nur Beispiele. Erwähnt seien in
diesem Zusammenhang auch die Studien, die u. a.
in Museen und im Rahmen von Projekten durch-
geführt werden, nicht zuletzt im Kontext von „Pro-
venienzforschung in ethnologischen Sammlungen
der Kolonialzeit“ (so der Titel einer Tagung im
vergangenen Jahr). Auch im Blog „Wie weiter mit
Humboldts Erbe? Ethnographische Sammlungen
neu denken“, nden sich Hinweise zu laufenden
Arbeiten. Da, wie Erhard Schüttpelz89 es ausdrück-
te, die „deutsche Kolonialgeschichte mit ihren eth-
nologischen Träumen und Alpträumen“ nicht 1914
endete, sondern 1945, ließe sich eine längere Li-
teraturliste aufstellen, die ebenfalls dem zweiten
von Han Vermeulen angesprochenen Komplex, na-
mentlich Ethnologie und Nationalsozialismus zu-
zuordnen wäre.90 Zweifellos ist hier noch sehr viel
zu erforschen bzw. auch immer wieder zu revidie-
ren, und es wird stets auch offene Fragen geben.
Aufgrund von umfangreichen, detaillierten und
differenzierten Studien in den vergangenen drei
Jahrzehnten explizit zu Ethnologie und National-
sozialismus können wir aber durchaus in Bezug auf
jenen Themenkomplex zu den allgemeinen Aus-
sagen kommen, dass ein Großteil der Völkerkund-
lerinnen und Völkerkundler, die in jener Phase im
„Deutschen Reich“ geblieben sind, kolonialrevisio-
nistisch eingestellt waren und sich entsprechend
nicht selten in Eigeninitiative engagierten. In der
Hoffnung auf neue Positionen und Betätigungs-
felder strebten sie in der Regel auch die Zusam-
menarbeit mit Parteifunktionären an, die ihrerseits
Völkerkundler in ihre Kolonialpläne einbezogen.
Nahezu niemand hat eine angebotene Forschungs-
förderung durch den NS-Staat ausgeschlagen.
Vor allem diejenigen, die ein Amt innehatten, ko-
operierten in irgendeiner Form mit dem System,
wenn auch in ganz unterschiedlichem Ausmaß,
89 Schüttpelz, Erhard 24.10.2017. Was für ein Wirbel. Zwei-
ter Teil: Ein Besuch im Souvenirladen, in: Wie weiter mit
Humboldts Erbe? Ethnographische Sammlungen neu denken,
https://boasblogs.org/de/humboldt/was-fuer-ein-wirbel-2/
(24.09.2019).
90 Leider wird die an sich lobenswerte Bibliographie zu
diesen und verwandten Themen (http://www.ethno-im-ns.
uni-hamburg.de/literatur.htm) schon seit einigen Jahren
nicht mehr vollständig aktualisiert. In den letzten Jahren sind
zahlreiche weitere wichtige Studien publiziert worden. In
Kürze wird außerdem ein Sammelband zum Thema Ge-
schichte der Wiener Völkerkunde in der NS-Zeit erscheinen,
herausgegeben von Andre Gingrich und Peter Rohrbacher, für
den rund 40 österreichische und deutsche Autorinnen und
Autoren Beiträge verfasst haben.
46 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
d. h. manche nur minimal, andere umso williger. Das
gilt wohl für Gelehrte aller Disziplinen, die unter
dem NS-Regime weiter ihren Beruf ausüben konn-
ten. Vollkommen unabhängig davon, wie man sich
zu der Umbenennung der ehemaligen DGV stellt,
kann es m. E. nicht sein, die Verstrickungen des Fa-
ches mit der NS-Diktatur in Frage zu stellen. Das
wäre fatal. Ganz abgesehen davon, erscheint es mir
unrealistisch, eine Disziplin als eine Einheit zu be-
greifen und von der Ethnologie zu sprechen. Ohne
dies als Apologetik zu verstehen, sollte selbstver-
ständlich jede einzelne Person, ihr Lebensverlauf,
ihre Studien, ihr Netzwerk, ihr Handeln und in
diesem Kontext auch die jeweiligen Beweggründe
vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rah-
menbedingungen, unter Berücksichtigung des zur
Verfügung stehenden Handlungsspielraums sowie
auch die absehbare Tragweite ihres Tuns betrach-
tet werden. Um sich von dem teils anbiedernden,
teils vollkommen überzeugten Verhalten unserer
akademischen Vorfahren in jener düsteren Ära
zu distanzieren, kann das Studium bzw. die The-
matisierung der Fachgeschichte m. E. durchaus
aufrichtiger sein als eine Namensänderung. Der
Vorwurf der „Rückwärtsgewandtheit“ bekräftigt
diesen Gedanken nur.
Zu den oben bereits angedeuteten dunklen Sei-
ten der Fachgeschichte habe ich wiederholt publi-
ziert und in diesem Zusammenhang habe ich auch
konstatiert, dass es in Deutschland in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts nur äußerst wenige
Personen in der Völkerkunde gab, die Aspekte der
physischen Anthropologie bzw. der „Rassenkunde
komplett außer Acht gelassen hatten. Im Folgen-
den möchte ich jedoch mal eine Gegenbewegung
in den späten 1920er/frühen 1930er Jahren und
damit eine lichtere Seite hervorheben, die eben
genau die Geschichte der Gesellschaft für Völker-
kunde betrifft bzw. mit dieser eng zusammenhängt
und von daher als Ergänzung des Artikels von Ca-
rola Lentz und Silja Thomas über die „Deutsche
Gesellschaft für Völkerkunde. Geschichte und ak-
tuelle Herausforderungen91 zu verstehen ist.
Wir gehen zurück in das Jahr 1926, als in Leipzig
diskutiert wurde, wer das Ethnographische Semi-
nar als ältestes akademisches Institut seines Fa-
ches im deutschsprachigen Gebiet nach dem Tod
91 Lentz, Carola & Silja Thomas 2015. Miszellen der Ethno-
logiegeschichte: Die Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde.
Geschichte und aktuelle Herausforderungen. Zeitschrift für
Ethnologie 140: 225-253.
Karl Weules übernehmen soll. Favorisiert wurde
der Leiter des Museums für Völkerkunde Ham-
burg, Georg Thilenius. Als dieser absagte, ent-
schied man sich in Leipzig für die Berufung des
Anthropologen und Völkerkundlers Otto Reche.
Seine anthropologischen Studien empfand man
als „glückliche Ergänzung seiner völkerkundlichen
Tätigkeit“.92 Darüber hinaus war seine rassistische
Auffassung bekannt, ebenso die Durchdringung
seiner Schriften von diesem Gedankengut, da man
auch auf seinen publizierten Vortrag anlässlich der
Gründung der Wiener Gesellschaft für Rassen-
pege hinwies. Fritz Krause als Interimsleiter des
Ethnographischen Seminars, des Staatlich-Säch-
sischen Forschungsinstituts für Völkerkunde und
des Museums für Völkerkunde zu Leipzig äußerte
schon zeitig seine Bedenken gegenüber einer Be-
rufung Reches. Krause hatte bereits im Juli 1926 an
den Leipziger Stadtrat geschrieben, Reche gelte als
„Vorkämpfer auf neuen Wegen in der Vererbungs-
forschung“, während er selbst sich bemühe, „die
Völkerkunde aus ihrer bisherigen Bindung an die
Naturwissenschaften zu lösen und zur Kultur-
und Geisteswissenschaft auszubauen“.93 Die Ämter
wurden schließlich getrennt, Reche wurde Leiter
des akademischen und des Forschungsinstituts
und Krause übernahm das Museum.
Reche personizierte also in Leipzig eine Völ-
kerkunde mit rassistischem Unterbau und stand
mit dieser eindeutig formulierten Orientierung
Krause gegenüber. Dass sich Krause nun in der fol-
genden Zeit für die Emanzipation der Völkerkunde
engagierte, hängt m. E. eben auch genau mit jener
Situation in Leipzig zusammen. Als er im März 1929
zur Gründung einer Gesellschaft für Völkerkunde
aufrief, widmete er sich bereits im ersten Absatz
des Blattes der Loslösung der Völkerkunde von
den Naturwissenschaften, darunter namentlich
der Zoologie und physischen Anthropologie, was
92 Universitätsarchiv Leipzig (UAL), PA 831; Dekan der Philo-
sophischen Fakultät, Julius Bauschinger, 23.7.1926, an das
Sächsische Ministerium für Volksbildung Dresden.
93 Stadtarchiv Leipzig, Kap. 4, Nr. 32, Bd. 2; Krause an Stadt-
rat Barthol, 20.7.1926. Zur Berufung Reches vgl. Geisenhainer
2002, 148-154; Geisenhainer 2014, 304-306; Geisenhainer,
Katja 2002. Rasse ist Schicksal, in: Otto Reche (1879-1966) –
Ein Leben als Anthropologe und Völkerkundler. (Beiträge zur
Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Reihe A,
Band 1). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.; Geisenhainer,
Katja 2014. Nachwort, in: Katja Geisenhainer, Lothar Bohr-
mann & Bernhard Streck (Hg.). 100 Jahre Institut für Ethno-
logie der Universität Leipzig. Eine Anthologie seiner Vertreter.
Leipzig: Universitätsverlag: 295-326.
47
im Klartext eine Trennung der Völkerkunde von
der „Rassenkunde“ bedeutete. Dies war ein we-
sentlicher Schritt in der Geschichte der Disziplin,
den Krause gegen Widerstände auch innerhalb des
Faches unternahm. „Aufgabe und Ziel“ der Gesell-
schaft denierte er vor rund 90 Jahren folgender-
maßen: „Pege und Förderung der Wissenschaft
der Völkerkunde in jeder Hinsicht, nämlich der
allgemeinen Ethnologie wie der speziellen Ethno-
graphie der einzelnen Erdgebiete mit Einschluß
Europas und unter Berücksichtigung aller Zeit-
perioden. Und zwar unter Fühlungnahme mit den
kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen, wie
Soziologie, vergleichender Religions-, Rechts- und
Sprachwissenschaft, Völkerpsychologie u.a.94 In
der Gesellschaft für Völkerkunde wollte man also
den Blick auf außereuropäische wie auf europäi-
sche Gebiete lenken. Die Auswahl der relevanten
Nachbardisziplinen liegt nicht so fern der Deni-
tion, die heute auf der Homepage der Gesellschaft
(jetzt Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kultur-
anthropologie) zu nden ist: „Die Gegenstandsbe-
reiche […] umfassen die sozialen, wirtschaftlichen,
politischen und religiösen Organisationsformen
sowie die Norm- und Wertsysteme, die mensch-
liches Handeln motivieren“.95 Zu den Mitgliedern
der ersten Stunde zählten auch Fachvertreter
aus dem Ausland, wie etwa Franz Boas, Edward E.
Evans-Pritchard, Paul Rivet, George Henri Rivière,
Wilhelm Koppers und Wilhelm Schmidt.
Krause setzte sich jedoch nicht nur innerhalb
Deutschlands für die Loslösung der Völkerkun-
de von der physischen Anthropologie ein; dass er
sich gleichfalls auf internationaler Ebene der Tren-
nung jener Verbindung widmete, ist bei Lentz und
Thomas bereits erwähnt96 und soll im Folgenden
detaillierter dargestellt werden. Kurz zur Vorge-
schichte: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde
regelmäßig ein Congrès international d’Anthro-
pologie et d’Archéologie préhistoriques abgehal-
ten. Dies spiegelt das Interesse der damaligen Zeit
wieder, u. a. ein umfassendes Bild der Mensch-
heitsgeschichte schreiben zu wollen. Dement-
sprechend trafen sich in Deutschland Fachgelehr-
94 UAL, IEUL, ReVI; „Aufruf zur Gründung einer Gesellschaft
für Völkerkunde“, März 1929.
95 https://www.dgv-net.de (12.06.2018).
96 Lentz, Carola & Silja Thomas 2015. Miszellen der Ethno-
logiegeschichte. Die Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde.
Geschichte und aktuelle Herausforderungen, in: Zeitschrift für
Ethnologie 140: 225-253.
te in der 1869 gegründeten Berliner Gesellschaft
für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Was nun die internationalen gemeinsamen Tagun-
gen dieser Disziplinen betraf, kam es im Frühjahr
1931 zur Trennung der Prähistorie von der Anth-
ropologie und bereits im August desselben Jahres
fand in London ein eigener International Congress
of Prehistoric and Protohistoric Sciences statt.
Bereits zuvor war über die weitere Entwicklung
und „die Frage des sachlichen Aufgabenbereiches
des Kongresses“ diskutiert worden97. Fritz Krause
nahm als Ehrenmitglied des Royal Anthropological
Institute of Great Britain and Ireland und korres-
pondierendes Mitglied der Wiener Anthropologi-
schen Gesellschaft sowie der Societé des Améri-
canistes de Paris98 aktiv Anteil an den Debatten, in
welchem Rahmen nun künftig mit Kolleginnen und
Kollegen aus der Ethnologie, Anthropologinnen
und Anthropologen international tagen sollten und
inwiefern dies gemeinsam mit der Ethnologie ge-
schehen soll. Während Krause die Mitglieder der
frisch gegründeten Gesellschaft für Völkerkunde
zu dieser Thematik befragte, unternahm unab-
hängig von ihm in Wien Pater Wilhelm Schmidt
eine ähnliche Umfrage unter seinen Kollegen vor
Ort. Wie Krause plädierte auch Schmidt für einen
eigenen Internationalen Kongress für Ethnologie.
Laut Krause hatten sich von 180 Mitgliedern der
Gesellschaft 54 an der Umfrage beteiligt und sich
von diesen Personen 38, d. h. rund 70% denitiv für
einen eigenen Internationalen Kongress für Eth-
nologie ausgesprochen. Als Begründung wurde u.
a. angegeben: „Insbesondere haben E und A völlig
getrennte Entwicklungsrichtungen eingeschlagen,
so daß ihre Verbindungen in Widerspruch steht
zur inneren Entwicklung beider Wissenschaften“.99
In der Zeitschrift „Man“ hatte Krause 1932 seine
Umfrage vorgestellt und seinen Standpunkt erneut
dargelegt: „In the autumn of 1929 an Ethnological
Society (die Gesellschaft für Völkerkunde) was es-
tablished with the aim of promotion the science
in all countries which take an active part in the
advancement of mankind; and especially, in those
countries where this science still stands in histo-
97 Krause, Fritz 1933. Bericht über die Frage der Schaffung
eines Internationalen Ethnologen-Kongresses, in: Mitteilungs-
blatt der Gesellschaft für Völkerkunde 1: 2-8.
98 Wolfradt, Uwe 2011. Ethnologie und Psychologie. Die Leipzi-
ger Schule der Völkerpsychologie. Berlin: Reimer.
99 Krause, Fritz 1933. Bericht über die Frage der Schaffung
eines Internationalen Ethnologen-Kongresses, in: Mitteilungs-
blatt der Gesellschaft für Völkerkunde 1: 2-8.
Katja Geisenhainer
48 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
rical connections with other sciences, to release it
from those connections and set it on its own feet,
so that it may develop freely in accordance with its
own aims. […] Almost all those whom I asked said
they preferred, and would welcome, a purely ethno-
logical congress.100
Unmittelbar anschließend in dieser Ausgabe von
„Man“ erläuterte auch Schmidt seine Gedanken zu
jenem Thema. In Wien sei das Verhältnis der Ethno-
logie zur Prähistorie enger als zur physischen Anth-
ropologie. Er sähe jedoch die Ethnologie mit ihrer
Konzentration auf lebende Völker auf einem Cong-
ress of Prehistoric and Protohistoric Sciences nicht
ausreichend repräsentiert. Schmidt schlug vor, dass
sich im Abstand von zwei Jahren Fachgelehrte der
Ethnologie, Anthropologie und Prähistorie zu ei-
nem jeweils eigenen Kongress auf internationaler
Ebene treffen sollten: „[…] ethnology, anthropolo-
gy, and prehistory are independent sciences, with
their own elds of research, their own methods and
equipment, and their own workers. But the more
fully these three sciences of man have become
conscious of their individuality and independence,
the more fruitfully and spontaneously should they
be able to cooperate, without forfeiting their in-
dependence.101 Auf den Tagungen der jeweiligen
Disziplinen, so Schmidt, sollte es eine Sektion ge-
meinsam mit den jeweils anderen beiden Fächern
geben. Nach seiner Empfehlung sollte man nach
den Tagungen der einzelnen Disziplinen zwei Jahre
später, also alle acht Jahre zu einem gemeinsamen
Kongress für Ethnologie, Anthropologie und Urge-
schichte zusammenkommen.
Krause und Schmidt waren sich durchaus be-
wusst, dass sie mit vielen ihrer anglophonen Kolle-
gen nicht konform gingen. 1932 hatte John Myres im
Kontext jener Diskussionen geschrieben: „Our Bri-
tish colleagues have been, for many years, a ‘happy
family’ within a single Institute, and are accustomed,
like most of our countrymen, to a few large compo-
site congresses, divided into several sections; and
they would probably prefer to support a single Con-
gress for Anthropology and Ethnology combined.102
Auch unter den deutschsprachigen Kolleginnen
und Kollegen gab es selbstverständlich Gegen-
100 Krause, Fritz 1932. International Congresses for
Anthropology and Ethnology. Man 32: 81-82.
101 Schmidt, Wilhelm 1932. Congresses, Ethnological and
Anthropological. Man 32: 83.
102 Myres, John L. 1932. An International Congress for
Anthropology and Ethnology. Man 32: 10-12.
stimmen, wie jene von Thilenius, der für eine enge
Zusammenarbeit der physischen Anthropologie
und der Völkerkunde eintrat und daher von Beginn
an schon gegen die Gründung der Gesellschaft
für Völkerkunde gewesen war. Im Anschluss an
eine Aussprache von „Anthropologen und Ethno-
logen aus verschiedenen europäischen Ländern“
in London im September 1931 hatte sich Thilenius
in einer Umfrage insbesondere ein Bild von dem
allgemeinen Interesse an künftigen internatio-
nalen Kongressen gemacht103. Aus den Akten des
Hamburger Museums geht darüber hinaus hervor,
dass sich manche Gelehrte explizit dem Vorschlag
Schmidts anschlossen und die meisten sich auch
zum Verhältnis der Disziplinen zueinander äußer-
ten. Einige wünschten sich wieder die Beteiligung
der Prähistorie, andere sprachen sich, wie Krause
und Schmidt, für eine Separierung der Ethnologie
von der physischen Anthropologie aus, darunter
Bernhard Ankermann (Berlin), A.L. Sera (Naples),
Henri Théodore Fischer (Utrecht), Raffaele Pettaz-
zoni (Rom), Lucian Scherman und Heinrich Ubbe-
lohde-Doering (München).104 Auch Franz Boas, des-
sen aufklärerische Studien und Stellungnahmen
gegen Rassismus wohl bekannt sind, legte keinen
Wert auf die Einbeziehung der physischen Anth-
ropologie und äußerte sich folgendermaßen: „An
effort should be made to place in the program of
the Congress these two items, ((1) the distribution
of physical types in so far as they throw light on the
history of people, (2) the problem of the relation
of bodily and mental characteristics) excluding the
purely biological aspect of anthropology. The se-
paration of prehistoric archaeology and ethnolo-
gy seems to me of a similar kind … I believe that
the two should be kept together, provided undue
emphasis upon earliest prehistoric times can be
avoided If we could have a general congress of
ethnology and prehistoric archaeology every ve
years our purpose would be adequately served.
Then I should let the physical anthropologist do
whatever they like.105
103 Krause, Fritz 1933a. Bericht über die Frage der Schaffung
eines Internationalen Ethnologen-Kongresses, in: Mitteilungs-
blatt der Gesellschaft für Völkerkunde 1: 2-8.
104 Archiv des Museums für Völkerkunde Hamburg (MfVH),
1001-1, Nr. 1454; aus „Extracts from correspondences with
colleagues unable to attend the conference at Basel“ in April
1933, o.D.
105 MfVH, 1001-1, Nr. 1454; aus „extracts from corresponden-
ces with colleagues unable to attend the conference at Basel“
in April 1933, o.D.
49
Die konstituierende Versammlung für den Inter-
nationalen Kongress fand schließlich vom 20. bis
zum 22. April 1933 in Basel statt, rund zweiein-
halb Monate nachdem Hitler zum Reichskanzler
ernannt worden war. Nach Krauses Ausführun-
gen traten nun auf diesem Treffen er und Wilhelm
Koppers „als einzige der Anwesenden für mög-
lichste Selbständigkeit der Ethnologie“ ein. Ge-
meinsam hätten sie für die Umsetzung des Planes
von W. Schmidt plädiert, „obwohl uns von vorn-
herein klar war, daß wir damit nicht durchdringen
würden“.106 Wie erwartet, stimmte die Mehrheit für
einen gemeinsamen Internationalen Kongress für
Anthropologie und Ethnologie, der alle vier Jahre
stattnden sollte. Krauses Engagement war offen-
sichtlich Anlass für Thilenius, auch im Namen der
Anthropologen Eugen Fischer und Theodor Molli-
son, noch am 30. April 1933 einen Brief an Krause
zu verfassen. Darin warf Thilenius ihm vor, sich auf
jener Zusammenkunft in Basel nicht an die „inter-
nationale Sitte“ gehalten zu haben, „daß die Dele-
gierten eines Landes als Einheit auftreten.107
Die Beschäftigung mit Biographien bedeutet
auch immer, Unstimmigkeiten auszuhalten und
Schwarz/Weiß- oder Gut/Böse-Raster beiseite zu
legen. Wie eingangs erwähnt, gibt es wohl keinen
Fachvertreter, der im „Dritten Reich“ seine Stelle
und gleichzeitig eine vollkommen weiße Weste be-
halten konnte. Speziell gegen Krause wird immer
wieder sein Artikel angeführt, mit dem er das Fach
in seiner Bedeutung gegenüber dem NS-Regime
hervorheben wollte.108 Dies war auch die Schrift,
aus der Eva Lips in den Weihnachtstagen 1950 zi-
tierte, als sie für die Entlassung Krauses plädier-
te. Außerdem habe Krause, so Eva Lips, schon 1932
einer „von ihm inspirierten Naziclique“ angehört,
„die die Hitlersche ‚Ideologie’ und Rassenlehre vor-
bereitend vertrat“.109 Zweifellos war Krauses Artikel
eine Anbiederung an das NS-Regime; in die Partei
trat er nicht vor 1933, allerdings 1937 ein,110 und er
106 Krause, Fritz 1933. Die Begründung eines „Internationalen
Kongresses für Anthropologie und Ethnologie, in: Mitteilungs-
blatt der Gesellschaft für Völkerkunde 2: 1-3.
107 MfVH, 1001-1, Nr. 1454; Thilenius, 30. April 1933, an Krause.
108 Krause, Fritz 1934. Die Bedeutung der Völkerkunde für
das neue Deutschland, in: Mitteilungsblatt der Gesellschaft für
Völkerkunde 3: 1-12.
109 UAL, PA 114; Eva Lips: „Gutachten über Fritz Krause, ehe-
mals Professor für Völkerkunde in Leipzig“, 25. Dezember
1950.
110 Wolfradt, Uwe 2011. Ethnologie und Psychologie. Die Leipzi-
sprach sich gegenüber Franz Termer gegen die Be-
teiligung von Franz Boas an einem Sammelwerk
aus.111 Krause war jedoch sicher kein Vertreter einer
„Rassenlehre“. Er pegte weiterhin Kontakt zu sei-
nem Kollegen, dem Sinologen Eduard Erkes, nach
dem dieser als SPD-Mitglied denunziert und ent-
lassen worden war;112 und Krause gehörte 1939 zu
den nur ganz wenigen Personen, die sich explizit
für Marianne Schmidl einsetzten, als diese bereits
ihre Stelle verloren und massiv unter den Repres-
salien der Nationalsozialisten zu leiden hatte.113
Für unser Thema lässt sich zusammenfassen,
dass es in Deutschland ausgehend von Fritz Krau-
se und der Gesellschaft für Völkerkunde Bestre-
bungen gab, sich nicht zuletzt von der physischen
Anthropologie und damit von der „Rassenkunde“
zu lösen. In Österreich traten die Gesellschafts-
mitglieder Wilhelm Schmidt und Wilhelm Koppers
für die Eigenständigkeit der Ethnologie ein und zo-
gen in jenem Punkt mit Krause an einem Strang.
International scheiterten diese Bemühungen auch
an der „happy family“ in Großbritannien und dem
four-eld-approach der Kollegen aus den USA. In-
teressanterweise sprach sich auch Boas, der als ein
Begründer dieses Ansatzes gesehen wird, für einen
von der physischen Anthropologie unabhängigen
internationalen Kongress für Ethnologie aus – viel-
leicht aus Kenntnis der zahlreichen rassistischen
Ansätze innerhalb jener Disziplin. Selbst unter
Würdigung aktueller seriöser humanbiologischer
oder neurowissenschaftlicher Forschungsergeb-
nisse wird hoffentlich die ehemalige DGV, jetzt
DGSKA, an dieser frühen Errungenschaft festhalten.
Die Umbenennung der Deutschen Gesellschaft
für Völkerkunde in Deutsche Gesellschaft für So-
zial- und Kulturanthropologie im Herbst 2017
sollte u. a. den veränderten Fragestellungen im
Fach gerecht werden. Das Wort „Völkerkunde“ sei
außerdem negativ belegt, da mit „Volk“, „Völker“
und „Völkerkunde“ Kolonialismus und rassistische
Festschreibungen assoziiert würden. Gerade im
ger Schule der Völkerpsychologie. Berlin: Reimer: 223.
111 Fischer, Hans 1990. Völkerkunde im Nationalsozialismus.
Aspekte der Anpassung, Afnität und Behauptung einer wissen-
schaftlichen Disziplin. Berlin, Hamburg: Reimer.
112 Archiv des Grassi-Museums Leipzig (MVL/SES), Brief-
wechsel Jahrgang 1936, Krause, 16. Dezember 1936, an Hei-
ne-Geldern und allgemein Nachlass Fritz Krause.
113 Geisenhainer, Katja. Verfolgung, Deportation und Tod im
KZ – Die letzten Lebensjahre von Marianne Schmidl, in: Andre
Gingrich & Peter Rohrbacher (Hg.). Geschichte der Wiener
Völkerkunde in der NS-Zeit. Im Druck.
Katja Geisenhainer
50 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Blogbeitrag von letzter Woche hat Mark Münzel
noch einmal auf durchaus positive Konnotationen
des Begriffs „Völker“ hingewiesen. Voller Hoffnung
wurde etwa auch das 1. Manifest gegen die Wehr-
picht und die militärische Ausbildung der Jugend
im Oktober 1930, u. a. unterschrieben von Albert
Einstein, Siegmund Freud, Thomas Mann und Ste-
fan Zweig, an die „Völker der Welt“ gerichtet.114
Dass der nun bevorzugte Begriff „Sozialanthropo-
logie“ in Deutschland eine keineswegs rühmliche
Geschichte hat, erwähnten hier bereits Karl-Heinz
Kohl,115 Dieter Haller116 und Mark Münzel.117
Vorschläge, den Zusatz „Deutsche“ im Namen
der Gesellschaft zu streichen, wurden hingegen
ignoriert, obwohl jenes nationale Attribut – auch
dies wurde schon mehrmals angeführt – erst 1938
und zwar denitiv in Folge des sogenannten An-
schlusses Österreichs an das nationalsozialistische
„Deutsche Reich“ hinzugenommen wurde. So hatte
Termer am 15. Juli 1938 an die Mitglieder geschrie-
ben: „Nachdem der Anschluss von Österreich an
das Deutsche Reich vollzogen worden ist, steht
auch unsere Gesellschaft für Völkerkunde vor neu-
en Aufgaben im geeinten Grossdeutschland. Ich
nehme dies zum Anlass, unsere Gesellschaft den-
veränderten Verhältnissen anzupassen und schla-
114 „Völker der Welt, beschließt: Fort mit der Militarisierung!
Fort mit der Wehrpicht! Erzieht die Jugend zur Menschlich-
keit und zum Frieden!“
115 Kohl, Karl-Heinz 2017. Kollateralschäden. Eine Polemik, in:
Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische Sammlungen
neu denken. https://boasblogs.org/de/humboldt/kollateral-
schaeden-eine-polemik/ (24.09.2019).
116 Vgl. Münzel, Mark 2018. Ich heisse Bub, in: What’s In A
Name? Wofür steht die Umbenennung der Deutschen Gesell-
schaft für Völkerkunde?, https://boasblogs.org/whatsinana-
me/ich-heisse-bub/ (24.09.2019).
117 Vgl. Münzel, Mark 2018. Ich heisse Bub, in: What’s In A
Name? Wofür steht die Umbenennung der Deutschen Gesell-
schaft für Völkerkunde?, https://boasblogs.org/whatsinana-
me/ich-heisse-bub/ (24.09.2019).
ge daher vor, sie neu zu benennen als Deutsche
Gesellschaft für Völkerkunde.118 Dass fast 80 Jahre
später auf der Tagung 2017 nicht die Gelegenheit
genutzt wurde – wie bei der Gründung der Gesell-
schaft im Jahr 1929 – wieder auf das „Deutsche“ zu
verzichten, ist allein schon gegenüber den öster-
reichischen Mitgliedern ein Affront. Eigentlich ist
es sehr bedauerlich, dass das, was wir nun als aus-
führliche Beiträge zum Thema „Umbenennung“ im
Internet lesen dürfen, nicht bereits vor der Berli-
ner Tagung auf einer eigens dazu einberufenen Zu-
sammenkunft ausgetauscht werden konnte, etwa
in Form von Referaten und sich anschließenden
Diskussionen und Dialogen. Die Umbenennung der
Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde in Deut-
sche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropo-
logie im Herbst 2017 wurde kaum hinreichend fun-
diert in einem solchen Rahmen debattiert. Auf der
Mitgliederversammlung war eine derartige Aus-
sprache nicht mehr möglich. Vor dem Hintergrund
des hier Dargestellten wirkte auch der große Jubel
befremdlich, der nach Verkündung des neuen Na-
mens auf der Versammlung und in ähnlicher Form
nochmals am Abend im Anschluss an die Eröffnung
des Konferenzfestes zu hören war.
118 UAL, IEUL, Re XIII (Herv. im Orig).
51
Name und Benanntes
(Un)disziplinierte Verschiebungen
Richard Rottenburg
10. Juli 2018
Warum wurde die Bezeichnung ‚Völkerkunde‘ ei-
gentlich nicht 1969 bei der Tagung der Deutschen
Gesellschaft für Völkerkunde in Göttingen durch
die Bezeichnung ‚Ethnologie‘ ausgetauscht, wo-
nach die damaligen politischen und inhaltlichen
Verschiebungen doch stark verlangten?119 Und wa-
rum wurde der Wechsel von ‚Ethnologie‘ zu ‚Anth-
ropologie‘ nicht in den 80er Jahren vollzogen, als
massive politische und methodische Verschiebun-
gen dahin drängten? Warum erfolgt die Umbenen-
nung der Disziplin erst heute, im Jahr 2018, wo sie
vielen ihrer Mitglieder lange überfällig, und eini-
gen bereits ein wenig veraltet, hinterherhinkend
erscheint? Für andere Mitglieder artikuliert sich
in der Umbenennung indes eine bedauernswerte
Mischung aus historischem Unwissen und einem
fehlgeleitetem Verständnis der politischen Rele-
vanz des Faches und seines Namens.
Man kann sich diesen Fragen durch die Erzäh-
lung einer langen und verzweigten Geschichte nä-
hern, oder man springt zu einer knappen Antwort
über: Der beste Schutz gegen Namensänderungen
mit einer gezwungenermaßen begrenzten Plausi-
bilitätsdauer besteht darin, gleich beim alten Na-
men zu bleiben und ihn mit neuen Bedeutungen
auszustatten. Tatsächlich ist eine solche Entwick-
lung seit den 1960er Jahren dort zu beobachten, wo
sich Ethno als Präx entweder mit -methodologie
oder mit -graphie verbindet. Niemand käme ohne
Weiteres auf die Idee, die von Harold Garnkel be-
nannte Ethnomethodologie mit einer Kunde von
Völkern und Stämmen in Verbindung zu bringen.
Wenn in der Soziologie von Ethnographie die Rede
ist, ist damit eine vergleichsweise genau denier-
te Methode gemeint, für die verunsicherte Ethno-
logen und Ethnologinnen ein Patent reklamieren
und in Form von Zitationen kassieren möchten.
Dies gelingt jedoch nicht so recht, weil die Eth-
119 Braukämper, Ulrich 2002. Trauma einer Ethnologen-Gene-
ration? — Die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völ-
kerkunde in Göttingen 1969. Zeitschrift für Ethnologie 127, 2:
301-319.; Kramer, Fritz W. 2016. Abschied von der Nachkriegs-
ethnologie. Der Fall der DGV-Tagung von 1969. Paideuma 62:
223-241.
nographie freilich so viele Ursprünge hat wie ein
Fluss Quellen.120 Und, wer weiß, vielleicht setzen
sich bald für das irreführende Präx Ethno auch
hier treffendere Substitute durch, die schließlich
schon vorliegen, wie zum Beispiel Praxeographie121
und spezieller Technographie.122 Ursache zur Skep-
sis liefert die Verwendung des Präxes zum Bei-
spiel in ‚Ethnomedizin‘ oder ‚Ethnobotanik‘ – deut-
licher kann man kaum diskriminieren und unter
der Hand der ‚Medizin‘ oder ‚Botanik‘ ohne dem
Präx universelle Geltung zuschreiben.
Statt eine kurze Antwort zu geben oder eine lan-
ge, verwickelte Geschichte zu erzählen, kann man
sich diesen Fragen auch wissenschaftshistorisch
und wissenschaftsanthropologisch durch eine Be-
obachtung zweiter Ordnung nähern und damit
klare Antworten bis auf Weiteres vermeiden, allen-
falls Möglichkeiten aufzeigen.
Der Kanon der Disziplinen, wie wir ihn kennen,
festigte sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts; Mi-
chel Serres spricht von der Ära der X-ologie: Geo-
logie, Soziologie, Biologie, usw. Zur selben Zeit
wurden Datensammlungen zum Herzstück sowohl
der Natur- als auch der Geisteswissenschaften und
es etablierte sich die Vorstellung, dass man einzel-
ne Dinge besser analysieren kann, wenn man sie
im Kontext einer von der Sache her bestimmten
Sammlung vergleichbarer Dinge (Gesteinsproben,
Schmetterlinge, Gräser oder Masken) oder ver-
gleichbarer Daten (etwa Patientenakten) sieht. Die
Entstehung der Statistik (von „Sta[a]t-is-tik“, ana-
log zu Hermeneu-tik oder Kyberne-tik), aber auch
die der systematischen Sammlung im Bereich der
Botanik, Zoologie, Geologie, Anthropologie usw.
gehören in diesen Zusammenhang.
Mit den Disziplinen bilden sich deren diverse Inf-
rastrukturen und Forschungstechnologien heraus,
die das disziplinäre Arbeiten ermöglichen. In dem
Maße, in dem sie als Infrastruktur wirksam wer-
den, verschwinden sie im Hintergrund, erschei-
120 Hirschauer, Stefan & Klaus Amann 1997. Die Befremdung
der eigenen Kultur: zur ethnographischen Herausforderung so-
ziologischer Empirie. Frankfurt am Main: Suhrkamp; Kalthoff,
Herbert, Stefan Hirschauer & Gesa Lindemann (Hg.). 2008.
Theoretische Empirie: zur Relevanz qualitativer Forschung.
Frankfurt am Main: Suhrkamp.
121 Schmidt, Robert 2012. Soziologie der Praktiken: konzeptio-
nelle Studien und empirische Analysen. Berlin: Suhrkamp.
122 Rammert, Werner 2008. Technographie trifft Theorie.
Forschungsperspektiven einer Soziologie der Technik, in:
Herbert Kalthoff, Stefan Hirschauer & Gesa Lindemann (Hg.).
Theoretische Empirie. Zur Relevanz qualitativer Forschung.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 341-367.
52 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
nen fraglos gegeben und führen auf diese Weise
die Sinnentlastung (Hans Blumenberg) herbei, für
die sie gebraucht werden. Laurent Thévenot wür-
de hier von Investitionen in Formen sprechen.
Zur Festigung dieser aufwendigen und kostspie-
ligen Wissensinfrastrukturen gehören nicht nur
Bibliotheken mit ihren Katalogen und Klassika-
tionen, fachspezische Zeitschriften, Berufsver-
bände, Sammlungen (heute insbesondere digitale
Datenbanken), sondern Ausbildungsgänge, Finan-
zierungen, Karrierepfade, Zertikate, öffentliche
Darstellungen und Wahrnehmungen. In diesem
Zusammenhang bilden sich zudem Fachsprachen
und eigene Denkstile mit ihren impliziten episte-
mologischen und ontologischen Selbstverpich-
tungen heraus.
Schließlich führt das Arbeiten innerhalb dieser
Strukturen zu disziplinär unterscheidbaren For-
men des Habitus, der jeweils distinkte Empnd-
lichkeiten, Affekte und Weisen der Selbstreektion,
Kritik und Ironie hervorbringt. Die Menschen, die
zu den Wissensinfrastrukturen gehören, in ihnen
arbeiten, sie am Laufen halten, sie interpretieren
und manipulieren, identizieren sich am Ende als
X-ologen oder zumindest wird ihnen diese Iden-
tität beharrlich zugeschrieben. In einigen Fällen
geht die Identikation soweit, dass man von einer
Art Genophilia sprechen kann, wenn es heißt „an-
thropology, our beloved discipline, oder von einem
Werte- und Deutungskonsens, wenn es etwa heißt
„we in STS have always argued that …“. Wer hier
aneckt, muss mit heftigen Reaktionen rechnen.
Disziplinen als Wissensinfrastrukturen bzw. als
Gemengelagen von Formen sind die unverzichtba-
re Voraussetzung für grundlegende Einsichten in
die Art und Weise, in der die Welt funktioniert. Man
kann über CRISPR/CAS9 nur mitreden, wenn man
bis zu einem bestimmten Grad versteht, worum es
geht und nur daran mitarbeiten, wenn man die mo-
lekularbiologischen Voraussetzungen beherrscht.
Man kann aber auch nur insofern daran arbeiten,
als sämtliche der anderen aufgezählten Elemente
der Infrastruktur und Forschungstechnologie der
Molekularbiologie gegeben sind. Das gleiche gilt
für alle anderen Disziplinen, auch wenn es zutrifft,
dass sich geisteswissenschaftliche Konzepte leich-
ter in Alltagssprache übertragen und sich schwie-
riger von Metaphern unterscheiden lassen. Wer
zum Beispiel Konzepte wie metapragmatischer
Diskurs, Autopoiesis, Agencement, Heterotopie
oder Rhizom und ihre theoretischen Einbindungen
nicht kennt, kann sie zwar alltagsprachlich erklärt
bekommen. Doch werden in diesen Erklärungen
erstens andere Konzepte auftauchen, die dassel-
be Problem verursachen, und zweitens kann eine
laufende Debatte nur vertieft werden, wenn sie –
für eine Weile jedenfalls – auf diesen Konzepten
aufbaut. Offenkundig wird dieser Sachverhalt im
Zuge der Einübung in das Lesen und Schreiben von
Fachtexten im Rahmen universitärer Ausbildung
oder bei der öffentlichen Vorstellung geisteswis-
senschaftlicher Erkenntnisse. Der Blick von Novi-
zen und Laien bringt gelegentlich überraschende
und wertvolle Einsichten zu Tage, aber im Regelfall
erkennen uneingeweihte Blicke nicht ausreichend,
worum es gerade geht, welche Punkte man kritisch
in Frage stellen kann, und wo dies im gegebenen
Kontext unsinnig ist.
Die Sinnentlastung durch Disziplinen als Wis-
sensinfrastrukturen und die Disziplinierung der
menschlichen Elemente dieser Infrastrukturen
sind unverzichtbar für das Zustandekommen von
Wissen, das aus guten Gründen bemüht ist, sich
von den Sinnentlastungen des Alltagswissens
– dem gesunden Menschenverstand, dem com-
mon sense – kritisch zu lösen. Dafür wird indes
ein gewisser Preis bezahlt, sofern die Institutio-
nalisierung einer solchen Ermöglichungsstruktur
(agencement, Deleuze) mit Aufforderungscharak-
ter (affordance) und besonderen Anhänglichkeiten
(affect) dazu neigt, eine größere Beharrlichkeit zu
entwickeln, als es dem Zweck der Sache dienlich
ist. Die angestrebte Sinnentlastung kippt biswei-
len in einen Sinnverlust. Die laufenden Debatten
über die Zukunft ethnographischer Sammlungen
in Europa bieten eines von vielen Beispielen für
diesen Fall. „Die Menschen machen ihre eigene
Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien
Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern
unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und
überlieferten Umständen“ heißt es bei Karl Marx.
Der Wissenschaftsbetrieb ist nicht nur nicht frei
von dieser Positionalität, sondern eben auf sie an-
gewiesen. Die vorgegebenen Stücke und die nicht
selbstgewählten Umstände lenken das Geschehen
in Richtungen, die sich nicht allein aus den Hand-
lungsmotiven ergeben, sondern immer schon teil-
weise vorbestimmt sind – doch ohne dem kommt
man eben nicht weiter.
Allerdings ist der Wissenschaftsbetrieb im Ideal-
fall systematisch auf seine eigene Fehlbarkeit aus-
gerichtet und sucht so den Widerstand der Dinge
und Umstände, um gegebenenfalls seinen Kurs
zu ändern. Vor allem aber drängen sich die Dinge
53
und Problematisierungen auch von selbst auf, las-
sen sich nicht restlos durch die Suchraster diver-
ser Methodologien einfangen, sondern stören den
Betrieb, der wiederum trotz seiner Beharrlichkeit
für solche Störungen nicht ganz unempfänglich
ist (Thomas Kuhn). Dadurch unterscheidet er sich
von anderen Einrichtungen ähnlicher Dimensio-
nen wie etwa der Bürokratie. Dieses idealtypische
Bild von der prinzipiellen Nicht-Abgeschlossenheit
und Korrigierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen
über die Welt hat einen ungebrochen hohen heu-
ristischen Wert insbesondere im Hinblick auf die
politische Steuerung des Betriebs und die Finan-
zierung der Wissensinfrastrukturen (die ja nicht in
jedem Fall so verblüffend günstig sind wie in der
Anthropologie) im Hinblick auf ihre Unabhängig-
keit von Kapital, Politik, Religion, Alltagswissen.
Detailliertere empirische Untersuchungen lassen
indes schnell erkennen, welche entscheidende
Rolle Politik, Wirtschaft, Wissensinfrastrukturen
und Überzeugungsnetzwerke (webs of belief, Qui-
ne) dennoch spielen, auch wenn es prinzipiell um
Neutralität geht.
Die tektonischen Verschiebungen der Anthro-
pologie haben zwar alle etwas mit der inhärenten
Korrigierbarkeit der Wissenschaft zu tun und stets
kommen entsprechende Korrekturvorschläge aus
dem Inneren des Betriebs lange vor ihrem Durch-
bruch. Doch zu einer tektonischen Verschiebung
kommt es in der Regel erst, wenn die Zeit dafür
reif ist, also durch ein viel späteres und kontin-
gentes Wechselspiel mit Politik, Wirtschaft und
Überzeugungsnetzwerken. Zwei großartige Bei-
spiele unserer Zeit kommen aus der technik-his-
torischen Untersuchung der Entstehung dessen,
was heute unter KI (Künstlicher Intelligenz) oder
Maschinenlernen verhandelt wird.123 Was sich an
der Geschichte dieser Debatten gut aufzeigen
lässt, ist die Verechtung disziplinärer Einlassun-
gen mit den historisch tiefgreifenden Verände-
rungen der conditio humana, die sich bekanntlich
niemals an die Grenzen bestehender Disziplinen
halten, sondern diese massiv in Frage stellen. Gre-
gory Bateson, den die Anthropologie gerne für sich
reklamiert, war einer der zentralen Figuren in den
Debatten über Kybernetik zweiter Ordnung der
123 Edwards, Paul N. 1996. The closed world: computers and
the politics of discourse in Cold War America, Inside Techno-
logy. Cambridge, Mass.: MIT Press.; Kline, Ronald R. 2015. The
cybernetics moment: or why we call our age the information
age, in: New studies in American intellectual and cultural histo-
ry. Baltimore: John Hopkins University Press.
vierziger und fünfziger Jahre, die innerhalb der
Disziplin dann schnell verstummt sind. Erst heute,
etwa achtzig Jahre später, werden auch in der An-
thropologie Fragen dieser Debatten unter anderen
Namen neu aufgegriffen – weil sie sich aufdrängen
und weniger, weil Gregory Bateson einen Anfang
gemacht hat.
Der prinzipiellen Fehlbarkeit von Erkenntnis
tendenziell entgegenlaufend werden grundlegen-
de Änderungen oft zu lange verdrängt, allerdings
sind sie nicht ausgeschlossen und warten oft nur
auf das richtige politische Klima für ihren Durch-
bruch. Trotz der Robustheit und Beharrlichkeit
von Disziplinen als Wissensinfrastrukturen ver-
fügen sie dank ihrer Offenheit für Störungen (An-
omalien), für grundlegende Änderungen der Welt
und für politischen Einuss gleichwohl über eine
besondere Dynamik. Es kommt ununterbrochen
zu kleinen und meist intern verursachten und hin
und wieder zu tektonischen Verschiebungen. Die-
se beiden Mechanismen resultieren unwillkürlich
darin, dass Disziplinen ihren Namen meistens auch
dann noch behalten, wenn sie schon länger nicht
mehr das tun, was sie bei ihrer Entstehung und
Namensgebung als Neuerung eingeführt haben. In
der mehr oder weniger langen Zeit zwischen ihrer
ersten Institutionalisierung und der Umbenen-
nung einer Disziplin liegen oft verbitterte Debat-
ten darüber, ob eher der alte Name bedeutungslos
und irreführend geworden ist, oder eher die neuen
bzw. die veralteten Praxen am Rande der Disziplin
eigentlich schon außerhalb ihrer selbst liegen und
sich besser anderswo verorten sollten. Dann heißt
es etwa rhetorisch „Ist das noch Ethnologie?“. Im
Fall der Sozial- und Kulturanthropologie und ih-
rer vergleichsweise kurzen Geschichte verläuft
es nicht anders. Bereits circa fünfzig Jahre nach
der relativen Fixierung einer disziplinären Wis-
sensinfrastruktur und Identität, trat mit der Be-
freiung vom Kolonialismus eine erste tektonische
Verschiebung ein, die die Problematisierungen
und Formen der Disziplin radikal infrage gestellt
und langsam zu deren Veränderung beigetragen
hat. In Deutschland elen die Frankfurter Ausch-
witz-Prozesse und die Studentenrevolte in dassel-
be Jahrzehnt, in den USA war es der Vietnamkrieg.
Im Laufe der folgenden circa zwanzig Jahre stell-
te sich die nächste tektonische Verschiebung ein,
die sich aus der letzten entfaltete. Es war langsam
klar geworden, dass man ohne Weiteres auch nicht
heuristisch und im afrmativen Sinn über Fremd-
heit oder Andersheit reden kann, ohne Differen-
Richard Rottenburg
54 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
zen zu vergrößern oder gar zu ontologisieren, die
mehr den Klassikationen der Methodologie ent-
stammen und weniger dem zu untersuchenden
Gegenstand.
Weitere zwanzig Jahre später, also an der
Schwelle zum 21. Jahrhundert und hundert Jahre
nach der Institutionalisierung der modernen So-
zial- und Kulturanthropologie unter diversen Na-
men, beobachten wir eine weitere und diesmal
noch massivere Erweiterung der onto-epistemo-
logischen Implikationen der Unterscheidung des
Eigenen vom Fremden. Es steht nicht weniger als
die Neudenition der conditio humana zur Dispo-
sition und damit die Kategorie Anthropos. Diesmal
geht es mit Hilfe der anthropologischen Gretchen-
frage – wie sehen uns die Anderen – darum, wie
uns etwa die Panzen, Tiere und Mikroorganismen
des Planeten in ihre Welt einbeziehen und welche
Rolle unbelebte Materie dabei spielt (James Love-
lock; Stefan Helmreich; Val Plumwood; Hugh Raff-
les). Leben und Nicht-Leben beginnen sich etwa
im Bereich von KI und von Nanobots in der Medi-
zin in anderen Modi ineinander zu falten, als von
Menschen lange Zeit angenommen.
Es ist die empirische und philosophische Unter-
suchung der Unterscheidung Eigen/Fremd, die
hierbei weiterhin Bestand hat. Die Beschäftigung
mit dieser Unterscheidung zeichnet allerdings
die Anthropologie nicht gegenüber anderen Wis-
senschaften aus, denn sie läuft analog der Unter-
scheidung System/Umwelt, Zeichen/Bezeich-
netes, Kultur/Natur, Mensch/Umwelt. Alle diese
Unterscheidungen enthalten das philosophische
Grundlagenproblem der Trennung von Subjekt
und Objekt und damit die Frage, ob und wie die Be-
obachtung der Beobachtung in eine Theorie einge-
baut werden kann. Im Horizont dieser Frage steht
das Problem der unergründlichen Fremdheit bzw.
der Möglichkeit unzugänglicher Realitäten, auf die
man sich einstellen möchte, aber nicht weiß, wie
das geht.
In Anbetracht dieser tektonischen Verschiebun-
gen erstaunt es nicht, dass disziplinäre Grenzen zur
Disposition stehen und es dabei kontrovers zugeht.
Es erscheint naheliegend, in diesem Kontext über
die Vor- und Nachteile der Bezeichnungen ‚Völ-
kerkunde‘, ‚Ethnologie‘, ‚Anthropologie‘ zu streiten.
Was indes von einer Lösung eher ablenkt als sie
herbeizuführen, ist das Beharren auf der Möglich-
keit einer eidetischen Reduktion der Namen. Die
drei alternativen Bezeichnungen haben zwar ihre je
eigenen und auch ihre gemeinsamen Genealogien
mit vielen verschiedenen Ursprüngen, und selbst-
verständlich ist es hilfreich, diese Genealogien in
ihrer Vielfältigkeit und Verechtung möglichst gut
zu kennen. Allerdings kommt man so von der Be-
stimmung einer Bezeichnung, die für Menschen
mit unterschiedlichen Überzeugungen gleicher-
maßen richtig erscheint, immer weiter ab. Die rich-
tige Bezeichnung einer Disziplin, deren Grenzen
und Praxen sich permanent verschieben, muss also
eine Konvention sein. Deren Gültigkeit liegt gerade
nicht in der Plausibilität ihrer eidetischen Redukti-
on, sondern in ihrer metapragmatischen Fähigkeit,
diverse onto-epistemologische Überzeugungen zu
beherbergen. Diejenigen, die sich 2018 gegen ‚Völ-
kerkunde‘ und ‚Ethnologie‘ und für ‚Anthropologie‘
aussprechen, plädieren damit für einen im Welt-
maßstab verständlichen Namen, der genug festlegt,
um nicht beliebig zu sein, und genug offen lässt, um
grundlegende Kontroversen nicht auszuschließen.
Dass diese Umbenennung in einem historischen
Moment stattndet, in dem die Referenz Anthropos
bzw. die Gattung Mensch problematisiert wird und
zudem die Denitionsmacht der euro-amerikani-
schen Welt rapide sinkt, gibt dem zuversichtlichen
Vorgang eine melancholische Note.
55
Namensänderung als Exorzis-
mus und Glaubensbekenntnis
Peter Schröder
17. Juli 2018
Von dieser Seite des Atlantiks her betrachtet er-
staunt die Diskussion um die Berufsbezeichnung
und den neuen Namen des Fachverbandes, obwohl
sie mir verständlich ist. Die aufgeworfenen Fra-
gen und benannten Probleme stellen sich hier zum
Glück nicht in der gleichen Weise. Antropologia ist
in Brasilien fast ein Synonym der bis vor Kurzem in
Deutschland allgemein üblichen Fachbezeichnung
Ethnologie. Allerdings wird das Fach hier haupt-
sächlich als Sozialwissenschaft (ciência social) mit
sehr engen Beziehungen zur Soziologie verstanden.
Doch die Schwammigkeit der Abgrenzung zu den
Cultural Studies hat auch hier für Diskussionen ge-
sorgt.
Um über das Fach zu reden, das in Deutschland
Anthropologie heißt, bedarf es eines Adjektives als
Zusatz: antropologia biológica. Deshalb hat auch
niemand Probleme damit, dass der Fachverband As-
sociação Brasileira de Antropologia (ABA) heißt. Dis-
kussionen über dessen eventuelle Umbenennung
gibt es nicht und sind wohl auch nicht zu befürch-
ten. Andere Probleme werden als weitaus wichtiger
erachtet, z. B. das gegenwärtige politische Klima, in
dem das Fach und der Fachverband wegen ihres po-
litischen Engagements und wegen der Verteidigung
der Interessen und Rechte ethnischer und sozialer
Minderheiten unter aggressivem Dauerbeschuss
aus den konservativen und rechtsradikalen Lagern
stehen. Und die verbalen Agressionen, vor allem in
den sozialen Netzwerken, sind seit dem Amtsantritt
Jair Bolsonaros im Januar 2019 noch heftiger gewor-
den.
Einige Departments haben in ihrem Namen
noch immer Antropologia Cultural oder Antro-
pologia Social stehen, doch sind das eher diffuse
historische Reminiszenzen, die etwas mit den theo-
retischen Ausrichtungen ihrer Gründerguren im
vergangenen Jahrhundert zu tun haben. Sie haben
heutzutage eher den Status dessen, was Edward
Tylor mal survivals genannt hat. Die brasilianischen
und anderen ausländischen Kolleginnen und Kolle-
gen deswegen als geschichtslose Banausen zu be-
trachten, kommt mir natürlich nicht in den Sinn. Es
gibt aber eine Gemeinsamkeit mit der Situation in
Deutschland: die Fachgeschichte als Forschungs-
schwerpunkt genießt eher peripheren Status.
Die Beiträge dieses Blogs sind äußerst interes-
sant und häug sogar sehr lehrreich. Sie kreisen
um zwei Hauptthemen: (1) wie es zu dem Abstim-
mungsergebnis auf der Berliner Tagung im Oktober
2017 kommen konnte und (2) welche historischen
Implikationen die Mehrheitsentscheidung hat bzw.
ignoriert hat. Möglicherweise wäre es sogar zu ei-
nem anderen Abstimmungsergebnis gekommen,
wenn die Namensgebung vorher in einem anderen
Rahmen diskutiert worden wäre, wie dies Katja Gei-
senhainer geistreich anmerkt. Vielleicht, vielleicht
aber auch nicht, da die Abstimmung scheinbar auch
durch ein emotional aufgeladenes Klima geprägt
war.124 Und da interessieren historische Details
möglicherweise wenig. Allerdings war ich nicht als
stimmberechtigtes Mitglied dabei und konnte das
Ergebnis lediglich als Tagungsteilnehmer im Nach-
hinein registrieren.
In allen Beiträgen lassen sich positive Aspekte he-
rausstreichen, jedoch hat mir Dieter Hallers125 sehr
ausführlicher Kommentar am besten gefallen, da
er unmissverständlich die Ironie der Entscheidung
herausstreicht: während Haller mit hervorragenden
Argumenten die Umbenennung seines Lehrstuhls
an der Universität Bochum in „Ethnologie“ erwirken
konnte, entschied sich die Mitgliederversammlung
der ehemaligen DGV für die Gegenrichtung! Fast
eine Art absurdes Theater, könnte man denken.
Nach der Lektüre sämtlicher Beiträge entstand
mir jedoch der Eindruck, dass sich die Diskussion
totgelaufen hat. Alle möglichen Argumente für und
gegen die Entscheidung der Mitgliederversamm-
lung wurden bereits ausführlich präsentiert, und
nun sieht es so aus, als ob vor allem ältere Fach-
vertreterinnen und -vertreter, zu denen auch ich
inzwischen zähle, noch verbale Geplänkel liefern,
obwohl sich an der Entscheidung zugunsten von
DGSKA nichts mehr ändern wird. Vielleicht sollten
wir die Diskussion genau dafür nutzen, was Mark
Münzel vorschlug: als Ansatz zum besseren und rei-
feren Reektieren.126
124 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Geisenhainer, Katja 12.06.2018. „…unsere Gesellschaft den ver-
änderten Verhältnissen anzupassen…“, 45–50.
125 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
126 Vgl. Münzel, Mark 2018. Ich heisse Bub, in: What’s In A
Name? Wofür steht die Umbenennung der Deutschen Gesell-
schaft für Völkerkunde?, https://boasblogs.org/whatsinana-
56 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Eigentlich kann mir die Umbenennung in DGSKA
egal sein. 1993 bin ich aus der DGV ausgetreten.
Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlau-
fen bringt, war damals die Mitgliederversammlung
auf der Leipziger Tagung, die ich als sehr peinlich
empfand. Ehemalige DDR-Kolleginnen und -Kol-
legen standen plötzlich auf der Anklagebank, und
das aufgeladene Klima der Sitzung wurde gleich-
zeitig dazu genutzt, den vorherigen Vorstand ab-
zuwatschen.
Seit 2001 bin ich Vollmitglied der ABA und habe
dies bisher zum Glück nicht zu bereuen brauchen,
obwohl auch der brasilianische Fachverband in
vielerlei Hinsicht zu kritisieren ist. Etwa wegen
der oft unkritischen Verteidigung der Politik der
ehemaligen Regierungspartei PT. Peinlichkeiten
bieten sich also auch hier, so dass es bereits zum
Vorschlag kam, die ABA in PTaba umzutaufen.
Nach meinem Austritt aus der DGV war ich noch
viermal auf ihren Tagungen. 1997 in Frankfurt und
2001 in Göttingen strahlte der Fachverband noch
einen selbstbewussten Provinzialismus aus. 2015
in Marburg war ich jedoch sehr angenehm über-
rascht über das kosmopolitischer gewordene Ta-
gungsklima.
Die Umbenennung der DGV hat mich als Diskus-
sionsthema trotz des zeitlichen und räumlichen
Abstands nicht überrascht, das Abstimmungs-
ergebnis hingegen schon. Völkerkunde, trotz aller
in diesem Blog vorgetragenen Argumente zu ihrer
ehrenvollen Erhaltung, erschien mir seit dem ers-
ten Studiensemester als altbackene Fachbezeich-
nung. Ich habe mich bis zu meiner Auswanderung
1996 immer als Ethnologen verstanden, und wenn
ich nach Deutschland reise, tue ich dies immer
noch. Wurde ich gefragt, was denn Ethnologie sei,
habe ich häug geantwortet: „Das, was man früher
mal Völkerkunde nannte. Das hat oftmals gehol-
fen. Wer außerdem bei Peter Tschohl (1935-2017)
„Systematische Anthropologie“127 studierte, be-
kam keinerlei Berührungsängste mit einer Fachbe-
zeichnung wie Kulturanthropologie.128
Trotzdem hätte ich, wäre ich Mitglied der ehe-
maligen DGV geblieben, nicht für DGSKA, sondern
für DGE gestimmt, und zwar sowohl aus ästheti-
me/ich-heisse-bub/ (24.09.2019).
127 Rudolph, Wolfgang & Peter Tschohl 1977. Systematische
Anthropologie (UTB, 639). München: Wilhelm Fink.
128 Künsting, Sabine, Andreas Bruck & Peter Tschohl 1987. Mit
Theorien arbeiten: Untersuchen in der Kulturanthropologie. (Kul-
turanthropologische Schriften der Akademie ’85, 1) Münster: Lit.
schem Empnden als auch wegen der inhaltlichen
Ausrichtung, die impliziert wird.
Ich denke, dass sich kompakte Abkürzungen mit
nur drei Buchstaben besser einprägen und auch
aussprechen lassen. AAA, ASA, ABA, AFA. Und eben
auch DGE. EASA ist auch gut, klingt aber ein biss-
chen nach europäischer Raumfahrtagentur, DGSKA
hingegen nach Krankenkasse. Das wäre aber der we-
niger wichtige Grund, mich gegen das Fünf-Buch-
staben-Kürzel auszusprechen. Die inhaltliche Aus-
richtung des Faches in Deutschland, die mit ihm
signalisiert wird, nde ich unangenehmer. Die alte
Völkerkunde wurde exorziert, man hat sich von ihr
und all dem, was man mit ihr irgendwie in Verbin-
dung bringt, ‚befreit‘, sie aber durch ein neues Glau-
bensbekenntnis ersetzt.
2004 wurde in Recife der World Council of Anth-
ropological Associations (WCAA) gegründet. Das von
Arturo Escobar und Gustavo Lins Ribeiro vorge-
schlagene Konzept der World Anthropologies beruht
auf einer umfassenden Kritik an den hegemonialen
Strukturen im anthropologischen/ethnologischen
Wissenschaftsbetrieb und an den wachsenden Ten-
denzen zur Einsprachigkeit im Fach, wo sogar Spra-
chen wie das Französische immer mehr an Einuss
verlieren.129 Während sich praktisch alle Fachver-
treterinnen und -vertreter seit ihren ersten Stu-
diensemestern als Verteidiger kultureller Vielfalt
verstehen (selbst diejenigen, die Universalienfor-
schung betreiben), scheint dieses Ideal in den eige-
nen Reihen immer weniger zu gelten. Im Sinne eines
neoliberalen Produktionsrhythmus, aber auch aus
der Sorge heraus, im internationalen Kontext nicht
genügend oder richtig wahrgenommen zu werden,
fördern wir eine Einsprachigkeit, welche letztlich
zu einer sprachlichen – und damit kulturellen – Ver-
armung im Fache führt.
Das mag zwar für die medizinische Forschung
kein Problem darstellen, in den Geisteswissen-
schaften hingegen schon. Unter rein pragmatischen
Gesichtspunkten ist es verständlich, sich auf eine
lingua franca für Kongresse und zahlreiche Fach-
publikationen zu einigen, aber müssen deswegen
Sprachen wie Deutsch, Portugiesisch, Spanisch
oder Russisch als „irrelevant“ aus der Fachpraxis
gedrängt werden, bloß weil sie in Yankeeland (oder
129 Ribeiro, Gustavo Lins & Arturo Escobar (Hg.) 2006. World
anthropologies: Disciplinary Transformations within Systems
of Power. Oxford: Berg.; Ribeiro, Gustavo Lins 2006. Antro-
pologias mundiais: para um novo cenário global na antropolo-
gia. Revista Brasileira de Ciências Sociais 21, 60: 147-165.
57
Trumpistão, wie man jetzt in Brasilien sagt) viel-
leicht nicht gelesen werden? Auf dem IUAES Cong-
ress in Florianópolis im Juli 2018 wurden übrigens
vier Sprachen akzeptiert: Englisch, Französisch,
Portugiesisch und Spanisch.
Wo bleiben die „nationalen Stilvarianten“ der
verschiedenen vor allem „peripheren“, nicht he-
gemonialen Fachtraditionen, von denen Cardoso
de Oliveira & Ruben sprechen?130 Es ist ironisch,
feststellen zu müssen, dass Autoren wie João de
130 Cardoso de Oliveira, Roberto & Guilhermo Raul Ruben
(Hg.) 1995. Estilos de Antropologia. (Coleção Repertórios) Cam-
pinas: Editora da Unicamp.
Pina Cabral die deutschsprachige Ethnologie zu
den großen „zentralen“ Fachtraditionen zählen,131
während die Mitglieder des Fachverbandes es of-
fensichtlich vorgezogen haben, mehrheitlich ein
einseitiges Glaubensbekenntnis zugunsten der
US-amerikanischen und britischen Anthropology
zu verkünden.
Wird die deutsche Ethnologie jetzt „gesichtslo-
ser“?
131 Pina Cabral, João de 2004. Uma história de sucesso: a an-
tropologia brasileira vista de longe, in: Wilson Trajano Filho &
Gustavo Lins Ribeiro (Hg.). O campo da antropologia no Brasil.
Rio de Janeiro: Contra Capa, ABA, 249-265.
Peter Schröder
58 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Ich habe nichts gegen Sozial-
und KulturanthropologInnen,
einige meiner besten
FreundInnen sind Sozial- und
KulturanthropologInnen
Moritz Ege
24. Juli 2018
Ich arbeite am Institut für Kulturanthropologie/
Europäische Ethnologie der Universität Göttingen;
die wissenschaftliche Fachgesellschaft, bei der ich
Mitglied bin, ist die dgv, die Deutsche Gesellschaft
für Volkskunde. Wie einige andere KollegInnen
wurde ich von den Blog-BetreiberInnen freundli-
cherweise eingeladen, die Umbenennungsdebatte
und ihre möglichen Folgen für das Verhältnis der
beiden Fächer – Ex-Völkerkunde und Ex-Volks-
kunde – zu kommentieren. Ich wünsche den Kol-
leginnen und Kollegen in der DGSKA, dass sie die
Lage angesichts der generellen Tendenz zur Un-
unterscheidbarkeit von Fachbenennungsdebatten
und Wissenschaftssatire mit etwas Humor neh-
men können. Ein wenig Schadenfreude darüber,
dass das Benennungschaos bei der Ethnologie/
Sozial- und Kulturanthropologie nun ähnlich weit
gediehen ist wie „bei uns“ – die spiegelverkehrten
Umbenennungsprozesse haben schon was! – und
darüber, dass auch dort die handliche Lösung ohne
Dopplungen nicht gelingen will, kann ich nicht ver-
leugnen. Nett ist das sicher nicht von mir, ich hoffe
aber, einigermaßen verständlich. Man ist mit sei-
nem Leid nicht gern allein. Das Bedürfnis, den Na-
men „Völkerkunde“ abzulegen, kann ich jedenfalls
sehr gut nachvollziehen.
Das auch auf Fachverbandsebene zu tun, war
in meinen Augen eine überfällige Entscheidung.
Rundum elegant, historisch über alle Zweifel er-
haben und widerspruchsfrei ist auch die neue Lö-
sung offenbar nicht, aber weder Ethnologie noch
Völkerkunde schneiden in dieser Hinsicht besser
ab. Die Kritik, die Umbenennung sei Teil eines all-
gemeinen Rechtsrucks, wirkt auf mich abstrus. Ein
afrmatives Verhältnis zu universitätspolitischen
Steuerungsprozessen (Stichwort „proaktiv“) und
Prestigepolitiken scheint in einigen Begründungen
schon eher durch, aber wer steht da schon gänz-
lich drüber und will den ersten Stein werfen. Dafür
irritieren in einigen der pro-ethnologischen Bei-
träge die denunzierenden Formulierungen – ge-
legentlich erinnerte die Debatte fast schon an die
unselige Berliner Volksbühnen-Konfrontationsfor-
mierung von Derconianern („Wir Kosmopoliten!“)
vs. Castoranern („Ihr Neoliberale!“).
Ansonsten habe ich beim Lesen, wie man so sagt,
tatsächlich viel gelernt.
Auch darüber, dass die Grenzen des Sagbaren
in der Ethnologie/SKA längst nicht so strikt ge-
zogen werden, wie ich mir das vorgestellt hatte:
Als ich in Bernhard Strecks Text von einer „Neu-
en Weltordnung“ las, an der die Sozial- und Kul-
turanthropologie notwendig teilhabe, weil sie aus
dem „angloamerikanischen Westen“ kommt, gegen
den die „Souveränität“ (der Völker) hochzuhalten
sei, da verlor ich mich zunächst im Dickicht von
Sarkasmus, emphatischem Antimodernismus und
Verschwörungstheorie-Vokabel. (Ein Kollege wies
in den Kommentaren verdienstvollerweise kritisch
auf die indirekte Assad-Apologie im Text hin). Dann
ergooglete ich (danke, Amerika!) ein siebzehn-
seitiges Gutachten, in dem der Blog-Autor dem
AfD-Politiker Wolfgang Gedeon – was tagespoli-
tisch vor zwei Jahren einige Nachrichten wert war
– bescheinigte, kein Antisemit im strikten Sinne des
Wortes zu sein. Beeindruckt von Gedeons, wie er
sagt, nonkonformistischen Denken, bewarb Streck
dessen antijüdisch-antimodern-antizionistischen
Dreiteiler „Christlich-europäische Leitkultur“ als
„politisch-historisches Meisterwerk“. Streck teilt,
wie er sagt, „keineswegs alle Positionen“ Gedeons
(Gutachten, S. 15), vor allem nicht die theologi-
schen, um die es Gedeon vor allem geht, will aber
wie dieser dem „NOVUM ORDO SECLORUM des
Dollarscheins“ (ebd., S. 8) etwas entgegenhalten,
offensichtlich auch im Anti-Neue-Weltordnungs-
Blog-Text, der so zur intertextuellen Fortsetzung
des Pro-Gedeon-Gutachtens wird. Da fühlt sich
jemand anscheinend wahnsinnig unangepasst
und wagemutig, als Kämpfer gegen den Zeitgeist
und den Terror der politischen Korrektheit – oder
spielt er nur neu-rechtes Bullshit-Bingo mit sich
selbst? Seltsam jedenfalls, das im Zusammenhang
dieses Forums zu lesen.
Übernahmen, Enteignungen & Eingemeindungen
Genug echaufert, zurück zum Thema und zu den
Fächern. Bislang sind bei mir keine Diskussionen
angekommen, in denen auf „unserer“ Seite der
löchrigen disziplinären Trennmauer darüber spe-
59
kuliert würde, ob mit dieser Umbenennung eine
feindliche Übernahme, eine freundliche Übernah-
me, gar keine Übernahme, eine Einladung, keine
Einladung oder was auch immer gemeint war. Sol-
che Fragen könnte man sich ja stellen, vielleicht
tun das auch die einen oder anderen. Es berührt
uns bislang aber insgesamt nicht so sehr, glaube
ich; die wissenschaftspolitische Vorsicht und Er-
fahrung gebieten ohnehin eher Quietismus und
Aussitzen: Lieber nichts tun als schlafende Hunde
zu wecken, sich daneben zu benehmen, einen Korb
zu holen, in schwer kontrollierbare Dynamiken zu
geraten usw. Aber bemerkenswert ist das schon:
Meine KollegInnen und ich sind durch die Umbe-
nennung der DGV zur DGSKA terminologisch in
den Verband eingemeindet worden und müssten
ihm nun eigentlich beitreten, da er sich ja für Leute
wie uns zuständig erklärt – stärker als unser eige-
ner Verband, schließlich sind wir ja, was die Insti-
tuts- und Studiengangnamen angeht, keine Volks-
kundlerInnen mehr.
Allerdings wäre es unehrlich, sich auf unserer
Seite über diese ungefragte Eingemeindung all-
zu laut beschweren oder gar eine Enteignung be-
klagen zu wollen, denn die Ex-Volkskunde hat in
den letzten Jahrzehnten auch Namen – vor allem
eben Kulturanthropologie – für sich beansprucht,
die die (vor allem außereuropäische) Ethnologie
wissenschaftssystematisch mit mindestens eben-
so viel Recht für sich beanspruchen hätte können.
Die Ex-Völkerkunde war bei den Rückübersetzun-
gen aus dem Englischen aber deutlich langsamer
– und holt jetzt offensichtlich auf bzw. hat uns
überholt. Wenn EthnologInnen bzw. nach jetzi-
gem Sprachgebrauch Sozial- und Kulturanthropo-
logInnen, deren Vorgängerfach Völkerkunde heißt,
solche Entlehnungen vonseiten der Ex-Volkskun-
de damals dreist fanden und deshalb die jüngsten
Eingemeindungen nur als historische Berichtigung
betrachten, kann ich das nachvollziehen. Wenn ih-
nen – wahrscheinlicher – real existierende kultur-
anthropologische Institute, die nicht zur DGV oder
zur DGSKA gehören, sondern zur dgv, eher gleich-
gültig sind – fair enough.
Disziplinarität und Lebenslauf
Um einen kurzen Einblick in den Benennungs-Wirr-
warr zu geben, durch den sich unsereins in einer
wissenschaftlichen Biograe so bewegt und zu dem
zumindest ich dann irgendwann ein resigniert-lie-
bevolles Verhältnis entwickelt habe: Studiert habe
ich Europäische Ethnologie, an der HU Berlin. Das
Institut steht in der Nachfolge des Bereichs Eth-
nograe, Sektion Geschichte, der zu DDR-Zeiten
ein Fernstudium der Deutschen Volkskunde an-
bot. Das Studienfach habe ich gewählt, weil ich
– eher zufällig – wusste, dass sich hinter diesem
Namen das verbirgt, was in Tübingen Empirische
Kulturwissenschaft heißt, also eine ethnograsch
und kultursoziologisch und zum Teil auch ethno-
logisch modernisierte ehemalige Volkskunde mit
historischen, vor allem alltagsgeschichtlichen,
Komponenten. Das war mein Verständnis, manche
Lehrende sahen es eher so, dass sie ein gänzlich
neues Fach unterrichten. Mein Doktorvater in der
Europäischen Ethnologie ist wiederum habilitier-
ter Kultursoziologe, dessen besonderes wissen-
schaftsgeschichtliches Interesse sowohl den Cul-
tural Studies als auch der Cultural Anthropology
galt (vor allem ersteres teile ich). Dann habe ich am
Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde
gearbeitet – und angesichts des V-Wortes einigen
Spott Berliner KommilitonInnen über mich erge-
hen lassen müssen – daraufhin einige Jahre am In-
stitut für Volkskunde/Europäische Ethnologie der
LMU München, das seit 2018 Institut für Empiri-
sche Kulturwissenschaft/Europäische Ethnologie
heißt, bis 2007 aber noch das Institut für deutsche
und vergleichende Volkskunde war. Durch den
Wechsel nach Göttingen wurde ich 2015 ofziell
zum Kulturanthropologen, was ich bis dahin noch
nicht war, ohne dafür aber das Fach wechseln zu
müssen. Eine meiner dortigen Kolleginnen, die
dort 2003 in die Umbenennung von Volkskunde
zur KAEE involviert war, hat einen Ph.D. in Folklore
Studies (setzte sich aber auch schon in den USA für
Umbenennungen ein), die andere in Kulturanthro-
pologie/Europäische Ethnologie. Leuten, denen
ich in Feldforschungen und bei Interviews begegne,
stelle ich mich meistens als Kulturwissenschaftler
vor, das nde ich unverfänglicher als Kulturanth-
ropologe (kennt ja kaum jemand, und –anthropo-
logie evoziert gelegentlich doch noch seltsame
biologistische Assoziationen, ein zum Rechtsradi-
kalismus tendierender Interviewpartner erhoffte
sich von mir mal Schädelvermessung), Ethnologe
nenne ich mich in schwachen Momenten, wenn
nicht das Risiko besteht, dass sich jemand ethni-
siert und exotisiert vorkommt – und wenn keine
VölkerkundlerInnen in der Nähe sind, die da häug
exklusive Ansprüche haben. Europäischer Ethnolo-
ge funktioniert nicht, weil die Information, dass ich
Moritz Ege
60 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
aus Europa komme, selten jemanden überrascht.
In interdisziplinären Zusammenhängen formuliere
ich auch mal so etwas wie „wir Ethnografen“ (bzw.
EthnografInnen), wozu ich mich durch einiger-
maßen ausführliche Feldforschungen berechtigt
fühle. In einer interdisziplinären DFG-Forschungs-
gruppe, an der ich beteiligt bin, erklärt die Kol-
legin aus der Ethnologie in englischsprachigen
Situationen gern, sie selbst sei social anthropolo-
gist und wir (Ex-VolkskundlerInnen) seien cultural
anthropologists. Das klingt erstmal gut, nur: Viele
meiner KollegInnen von der Kulturanthropologie/
Europäischen Ethnologie nennen sich in englisch-
sprachigen Zusammenhängen auch lieber social
anthropologists, was meiner Beobachtung nach
mit Lektürelisten, Studienaufenthalten, Anglophi-
lie und auch theoretisch fundiertem Anti-Kultur-
alismus zusammenhängt und auch zur Berufung
einer social anthropologist auf einen Europäische
Ethnologie-Lehrstuhl vor einigen Jahren passt. Es
macht die Lage aber auch nicht übersichtlicher.
Bei allem Umbenennungseiß und terminolo-
gischem Wirrwarr: die Deutsche Gesellschaft für
Volkskunde (gegründet erst 1963 als Nachfolgerin
des Verbandes der deutschen Vereine für Volks-
kunde von 1904) hat den Namen Volkskunde bis
heute ebenso wenig abgelegt wie die Zeitschrift
für Volkskunde (worüber kürzlich aber noch ein-
mal diskutiert wurde) – sicherlich auch aus allge-
meiner Ermüdung nach nunmehr fünf Jahrzehnten
der Namensdiskussionen. Seit kurzer Zeit gibt es
eine englischsprachige Ausgabe der Zeitschrift für
Volkskunde, das Journal for Cultural Analysis and
European Ethnology. Auch nochmal eine Option.
Wie gesagt, ich habe ein eher liebevolles Ver-
hältnis zu dieser Unübersichtlichkeit entwickelt
und glaube nicht daran, dass es hier je wieder klare
Verhältnisse geben wird.
In meinen Augen ist der Begriff Volkskunde
schon aufgrund der Assoziationen, die er pro-
voziert, nicht zu retten. Ein Bewusstsein davon,
dass damit auch einiges verloren ging und geht,
widerspricht dieser Überzeugung letztlich nicht:
Verloren ging aber zum Beispiel der explizite Be-
zug auf die Subalternen und das Populare (popu-
lus und demos, nicht so eindeutig ethnos wie in
der Völkerkunde), eine durchaus beeindruckende
Forschungsgeschichte insbesondere über sozia-
le Unterschichten, über die und mit denen sonst
kaum jemand arbeitete, oder auch der stete Zwang
zur Auseinandersetzung mit untergründigen völ-
kisch-nationalistischen Kontinuitäten sowie ein
Wissen um die eigene Provinzialität, das ja eine
gute Grundlage für einen nicht-elitären Kosmopo-
litismus sein kann. Weil mir die zuletzt genannten
Aspekte immer wichtiger geworden sind, je mehr
ich mich mit der Fachgeschichte beschäftigt habe,
kann ich mit den fortlaufenden Namen von Ver-
band und Zeitschrift (Zeitschrift für Volkskunde)
einigermaßen leben. Die Studiengänge und Insti-
tute heißen ja meist längst anders (eben Europäi-
sche Ethnologie, Kulturanthropologie, Empirische
Kulturwissenschaft, gelegentlich noch mit Volks-
kunde vor oder hinter einem Schrägstrich).
Namen und was sie bedeuten132
Würden „wir“ nun ebenfalls in eine neue Umbe-
nennungsdiskussion auf Verbandsebene einstei-
gen, stünde – mal wieder – die praktische Frage im
Raum, welche anderen Namen überhaupt zur Ver-
fügung stehen. Verbreitet sind bei uns derzeit vor
allem drei Bezeichnungen: Kulturanthropologie,
Europäische Ethnologie und empirische Kultur-
wissenschaft.
„Gesellschaft für Kulturanthropologie“ kön-
nen wir uns jetzt offensichtlich nicht mehr nen-
nen, das ist die einzige klare Veränderung. „Ge-
sellschaft für Europäische Ethnologie“ wäre für
mich nicht plausibel, jetzt weniger denn je, weil
die vermeintliche Systematik einer europäischen
und einer außereuropäischen Ethnologie in ver-
schiedener Hinsicht fragwürdig ist (was genau
ist nochmal dieses Europa?) und die KAEE/EKW
mit ihrer historisch-archivalischen Komponente,
ihrer kulturwissenschaftlichen Öffnung etc. als
regionale Ethnologie missverstanden und in ein
besonders wenig den eigenen Körperformen ange-
passtes disziplinär-methodologisches Korsett ge-
zwängt wäre – ganz abgesehen davon, dass selbst
die Ethnologie nicht mehr Ethnologie heißen will
und es jetzt besonders seltsam wäre, unsererseits
diesen abgelegten Namen aufzugreifen und so den
Ethnos-Begriff im Spiel zu halten. Bei der DFG ist
der Fächer-Name 106-1 bislang allerdings „Ethno-
logie und Europäische Ethnologie“ – we’ll see what
happens, wie Trump immer so schön sagt.
132 Bendix, Regina & Tatjana Eggeling (Hg.) 2004. Namen und
was sie bedeuten. Zur Namensdebatte im Fach Volkskunde.
Göttingen: Schmerse (= Beiträge zur Volkskunde in Nieder-
sachsen, 19).
61
Es bleibt die „Gesellschaft für empirische Kul-
turwissenschaft“. Mir wäre das recht. So benann-
te sich das Vorreiterinstitut der fachpolitischen
Umbauten an der Universität Tübingen um 1970.
Die Bezeichnung EKW machte Furore, wurde
aber jahrzehntelang von keinem anderen Institut
übernommen; „Europäische Ethnologie“ lag da-
mals vielen im Fach näher, u. a. weil sie so das Volk
nicht ganz aufgeben mussten, es fügte sich in die
Sprachregelungen in anderen europäischen Län-
dern und passte dann später z. B. auch besser an
manche Universitäten wie die HU Berlin, wo es
keine Ethnologie gab, von der man sich hätte ab-
grenzen müssen, aber eine (dezidiert hochkultu-
relle) Kulturwissenschaft. EKW galt als Benennung
bis vor kurzem als ein bisschen antiquiert, glaube
ich, bis sie sich auf einmal wieder in neuen Stu-
diengängen, Professur- und Institutsbenennungen
wiederfand (in Zürich, Klagenfurt, München).
Oder – und das wäre die vierte Alternative, die
jetzt im Raum zu stehen scheint – verstehen wir
uns vielleicht doch in erster Linie als Bestandteil
einer übergreifenden Anthropology bzw. Sozial-
und Kulturanthropologie mit der Tendenz zum
räumlichen Gegenstandsbereich Europa, was dann
mittel- oder längerfristig zu einer stärkeren insti-
tutionellen Annäherung oder Verschmelzung füh-
ren sollte?
Steht „SKA“ also für eine inhaltliche, methodi-
sche und transdisziplinäre Öffnung der Ethnologie,
mit der sich dann auch die Vorbehalte unserer-
seits gegenüber dem einengenden disziplinär-me-
thodischen Korsett erledigt hätten, das sich, so
könnte man zumindest denken, zumindest für vie-
le von uns mit den Namen Ethnologie verbindet?
Ich glaube, dass eine ganze Reihe von KollegInnen
diese Aussicht sympathisch fänden und die eigene
Arbeit auch in erster Linie so (als Europa-SKA) ver-
stehen. Vonseiten der Europa-Ethnologie, die ins-
titutionell aus der Völkerkunde kommt, wurde eine
solche Annäherung ja bereits immer wieder vor-
geschlagen – auch vor dem Hintergrund eines of-
fenkundigen Unbehagens in der „eigenen“ Ethno-
logie/Völkerkunde, wie sie damals real existierte.
Und tatsächlich gibt es ja nicht nur viele Koopera-
tionen bei Forschungsprojekten, sondern inzwi-
schen auch – anders als vor zehn Jahren – einige
gemeinsame Studiengänge.
Aber konsensfähig ist derzeit, glaube ich, weder
„EKW“ noch „Europa-SKA“. Mehrheitsfähig könn-
ten je nach Abstimmungssituationen mit all ihren
Kontingenzen beide sein: Da müsste man sich dann
eben angemessen vorbereiten und off- und online
organisieren, für so etwas gibt es ja offensichtlich
Vorbilder
Die Fach-Verhältnis-Strategiediskussionen ha-
ben bekanntermaßen eine eigene Geschichte. Auf
die kurzen Diskussionsbeiträge von Thomas Hau-
schild, Dorle Dracklé, Karl Braun und Wolfgang Ka-
schuba in den DGV-Nachrichten von 2006 wurde
in diesem Blog schon verwiesen;133 andere Positio-
nen nden sich zum Beispiel in Texten von Gisela
Welz134 und (eher ethnologieskeptisch) Rolf Lind-
ner.135 Hauschilds Text lohnt an dieser Stelle ein
kurzes Resümee, weil er die Gemengelage ethno-
logischerseits so schön sortiert und illustriert:
Einerseits führt er den Reiz einer gemeinsamen
Programmatik an, aber auch, was er nach längerer
Beschäftigung mit diesen Fragen als die Hindernis-
se oder Probleme einer stärkeren Verzahnung ver-
steht: gesellschaftliches Desinteresse am Globalen
und am Ethnograschen, Ressourcenknappheit
und Einspar-Versuchungen, daraus resultieren-
des Misstrauen, reale Methoden-Differenzen und
wechselseitige Ignoranz gegenüber den Stärken der
jeweils anderen Seite, divergierende Vorstellungen
von der Rolle von Theorie, Unterschiede „in der Kli-
entel“.136 All das mache ihn zunehmend skeptisch,
ob die Disziplinen je zueinander nden würden.
Vorsicht sei geboten: „Sehr brüske Vereinigungs-
versuche würden wahrscheinlich nicht nur das
betroffene Personal verstören sondern auch zum
Einbruch jeweils sinnvoller und wichtiger For-
schungstraditionen führen.“ (S. 6) Andererseits ruft
er bei den Studiengängen nach einer Top-Down-
Lösung: „Man sollte hier, vielleicht gemeinsam mit
Drittmittelinstitutionen, eine nationale Lösung
anstreben“ (S. 5) – um dann aber umzuschwenken
– „oder aber es ganz lassen und die Unterschiede
der Fächer wieder stärker herausarbeiten.“ (S. 5)
Vielleicht lässt sich nachvollziehen, dass der erste
Teil des Satzes nicht so wahnsinnig vertrauensbil-
133 Die Beiträge sind in der 36. Ausgabe der DGV-Mitteilun-
gen 36 im Mai 2006 erschienen.
134 Vgl. Welz, Gisela 2013. Europa: Ein Kontinent, zwei Ethno-
logien? Nachdenken über einen Grenzfall, in: Thomas Bier-
schenk, Matthias Krings & Carola Lentz (Hg.). Ethnologie im 21.
Jahrhundert. Berlin: Reimer: 211-227.
135 Vgl. Lindner, Rolf 2003. Vom Wesen der Kulturanalyse.
Zeitschrift für Volkskunde 99 (2): 177-188; In diesem Sinn auch:
Wietschorke, Jens. Beziehungswissenschaft. Ein Versuch zur
volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Epistemologie. Ös-
terreichische Zeitschrift für Volkskunde LXVI: 325-359.
136 Hauschild, Thomas 2006. Volkskunde und Völkerkunde,
in: DGV-Mitteilungen 36: 4-7.
Moritz Ege
62 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
dend klingt, wenn man sich als das personell klei-
nere und prekärere Fach empndet. In jedem Fall
ist ersichtlich, dass bei diesen Fragen institutionell
und intellektuell viel auf dem Spiel steht, und es ist
weniger klar, wie sich das alles entwirren lässt. Was
daran ist ein interessantes Projekt (lasst uns etwas
tolles, neues zusammenbauen!)? Was ist defensi-
ve Strategie, um im hochschulpolitischen Vertei-
lungskampf den Kopf über Wasser zu halten? Was
ist – durchaus positiv zu verstehender – Opportu-
nismus, um sich bietende Chancen zu nutzen? Was
ist rhetorische Erzeugung von Dringlichkeit und
Zugzwang, um partielle Interessen durchzusetzen?
Und da sind wir wieder, 2017/18. So sehr ich mich
an der Zusammenarbeit mit KollegInnen aus der
SKA freue und hoffe, dass diese sich weiter inten-
siviert, und so sehr ich mich mit ihnen verbunden
fühle, vor allem, wenn ich mit anderen, nicht-feld-
forschenden KulturwissenschaftlerInnen zu tun
habe, so halte ich es erst einmal mit der zwei-
ten von Hauschild damals skizzierten Optionen.
Defensiv gesprochen: Ich bin skeptisch, was das
Schicksal der empirisch-kulturwissenschaftlichen
Seite unseres Faches, die mir am nächsten liegt,
und ihres Denkstils bei einer weiteren Annäherung
an die Sozial- und Kulturanthropologie längerfris-
tig wäre. Klar: Das Feldforschungs-Lernen vor al-
lem von der Ethnologie (und z. T. auch Soziologie)
hat der KAEE/EKW fraglos viel gebracht, ethno-
grasch, soziograsch, praxeograsch, wie auch
immer. (Und viele von uns sind darin inzwischen
auch ziemlich gut und gründlich). Für viele wichti-
ge inhaltliche Debatten sind Sozial- und Kulturan-
thropologInnen international die ersten Ansprech-
partnerInnen und Orientierungspunkte. Für viele
andere aber auch nicht. Offensiver gesprochen: Als
modernisiert-transformierte Ex-Volkskunde hat
das Fach in den letzten Jahrzehnten viele originel-
le und fundierte Studien produziert, die ihren all-
tags- und populärkulturellen Gegenständen (his-
torisch wie gegenwartsbezogen) auch auf andere
Weise gerecht geworden sind, als dies in der Eth-
nologie/SKA geboten und üblich ist – mit histo-
risch-kulturwissenschaftlichen Methoden, durch
medienanalytische Verfahren und oft auch im Rah-
men anderer Darstellungskonventionen. Dabei wa-
ren und sind auch die wesentlichen theoretischen
Bezugspunkte keine (Sozial- oder Kultur-)Anthro-
pologischen.
In meinen Augen gerieren sich die englischspra-
chigen Fachformationen, die nun als Vorbild eines
möglichen neuen gemeinsamen Projektes dienen,
in solchen Fragen nicht viel weniger streng dis-
ziplinär als die deutsche Ethnologie, so schwer
das angesichts der Größe dieser Fächer auch zu
überblicken ist. (Ich habe gar nichts gegen die
übliche Praxis der SKA, sich weitgehend exklusiv
über bestimmte Formen von langfristiger Feldfor-
schung zu denieren, das kann ja sehr berechtigt
sein, aber passt eben für viele empirisch-kultur-
wissenschaftlich relevante Fragen nicht). Das Be-
dürfnis zur geringschätzenden Abgrenzung z.
B. gegenüber den Cultural Studies – die, mit all
ihren Innovationen in Sachen Gesellschaftsdiag-
nostik, in der Ethnologie üblicherweise als „ach“
gelten und im Unterschied zur Cambridge-Ox-
ford-LSE-usw.-Sozialanthropologie auch – oh
weh! – in besonderem Maße an prestigeschwa-
chen Institutionen wie ehemaligen Fachhoch-
schulen institutionalisiert wurden – und gegen-
über der Geschichtswissenschaft ist dort meiner
Erfahrung nach sehr stark ausgeprägt. „SKA“ muss
also nicht unbedingt für Öffnung stehen.
Oft heißt es, auch in diesem Blog, die organisa-
torische Selbständigkeit der Ex-Volkskunde und
der Ex-Völkerkunde als separate Disziplinen sei (a)
ein zu überwindendes Erbe des 19. und frühen 20.
Jahrhunderts, das (b) in besonderem Maße kolo-
niale Wissensstrukturen reproduziere und (c) ein
irgendwie peinlicher deutscher Sonderweg. Kei-
nes dieser Argumente ist völlig falsch, aber keines
überzeugt mich rundum. Meiner Ansicht nach ist
da letztlich (a) nichts „Ganzes“, das irgendwann
zerbrochen wäre, das trifft die Sache weder als
historische Rekonstruktion noch als systemati-
sche Analyse, (b) war und ist die Unterscheidung
von Volks- und Völkerkunde auch nicht „kolonia-
ler“ und eurozentrischer als die sehr viel funda-
mentalere und wirkmächtigere von Soziologie und
Ethnologie, an der nicht so häug gerüttelt wird,
vermutlich, weil kaum jemand anthropologischer-
seits Lust auf eine Vereinigung mit den tenden-
ziell methodenimperialistischen SoziologInnen
hat, und (c) gab und gibt es diese Unterscheidung
sehr wohl auch anderswo, von Schottland über
Schweden und die USA bis Japan. Wobei sich die
Ex-Volkskunden zugegebenermaßen nirgendwo
so weit von Volkskunde/Folklore Studies entfernt
haben und ähnlich groß sind wie in den deutsch-
sprachigen Ländern. Ich würde das aber eher als
eine Bereicherung der Wissenschaftslandschaft
sehen wollen denn als eine aufs internationale
Normalmaß zurückzustutzende Anomalie. Lasst
viele Blumen blühen usw.
63
Carola Lentz schrieb in der Vorgänger-Blogserie,
von ihr aus könne die Ethnologie auch gerne in einer
umfassenderen Kultur- und Sozialwissenschaft
aufgehen. Ihr gehe es um die Sache und sie fühle
sich der Soziologie ohnehin oft näher als einer „ro-
mantisierenden Ethnologie“ mit ihrem Fremdheits-
fetisch. Die Blog-InitiatorInnen fragten in ihrer Dis-
kussionsanregung dann, ob die Umbenennung zur
DGSKA nicht genau das leiste. Lentz sieht das offen-
kundig nicht so, stört sich in ihrem zweiten Beitrag
aber vor allem an der terminologischen Abkehr von
der Ethnologie. Wichtiger nde ich an dieser Stelle
eigentlich, dass bei ihrer Vision einer umfassenden
Kultur- und Sozialwissenschaft (die nicht in erster
Linie eine Anthropologie sein muss) auch noch vie-
le andere Disziplinen einbezogen bzw. mit aufgelöst
werden müssten. Derartige Deterritorialisierungen
sind eine mindestens ebenso spannende Aufgabe
wie die Reterritorialisierung auf „den Menschen“.
Vielleicht ließe sich nicht nur über die Chancen und
Gefahren einer fortlaufenden Anthropologisierung,
sondern auch an diesem Punkt weiterdiskutieren
– oder einfach an Kleinteiligerem, Arbeitsprakti-
schem, um das sich dieser Text erfolgreich drücken
konnte.
Moritz Ege
64 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Das Flurgespräch als
ethnographisches Feld
Simon Holdermann, Christoph Lange,
Julian Schmischke & Souad Zeineddine
31. Juli 2018
Die Gleichzeitigkeit von Homogenität und
Diversität
Wir sind vier wissenschaftliche Mitarbeiter*in-
nen und/oder Doktorand*innen an der Uni Köln.
In dieser Hinsicht besteht eine gewisse Nähe zum
Blog, dessen Initiator*innen und den Debatten, die
sich abseits des Blogs aus den bisherigen Beiträgen
ergeben haben. Gleichzeitig war die Reichweite
der Debatte um die Umbenennung der DGV selbst
in Köln beschränkt. Einige Mitarbeiter*innen des
Instituts für Ethnologie der Universität Köln haben
erst nach der Veröffentlichung eines Hinweises auf
Facebook vom ‚Umbennungsstreit‘ und Blog erfah-
ren. Sechs Monate nach der Entscheidung.
Nach und nach stellten sich uns einige kritische
Fragen: Wer diskutiert da eigentlich? Mit wem?
Und vor allem: Worüber? Weiter zugespitzt: Han-
delt es sich bei der Debatte um eines der viel disku-
tierten Filterblasen-Phänomene, die vermeintliche
Relevanz und Öffentlichkeiten erzeugen, wo gar
keine existieren und lediglich durch einen kleinen
Kreis ‚besorgter Akteur*innen‘ gepusht werden?
Etwas ernster gewendet: Uns schien die Debatte
erstaunlich homogen. Homogen zum einen im Sin-
ne ihrer ablehnenden Positionierung gegenüber
der Umbenennung als solcher. Und zum anderen
homogen, erschreckend homogen, in Hinblick auf
den Status der Beitragenden: überwiegend profes-
soral, etabliert, männlich und weiß.
Neben der Homogenität in der ablehnenden
Haltung waren es auch die repetitiven fachge-
schichtlichen Belehrungen,137 die Gleichförmigkeit
der Argumentationslinien sowie die teils proble-
matischen Rhetoriken (näher dazu weiter unten),
die uns motivierten, zusammenzukommen und
137 Kohl, Karl-Heinz 2017. Kollateralschäden. Eine Polemik, in:
Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische Sammlungen
neu denken. https://boasblogs.org/de/humboldt/kollateral-
schaeden-eine-polemik/ (24.09.2019). Vgl. in der vorliegenden
Ausgabe der boasblogs papers: Streck, Bernhard 08.05.2018.
Die bereinigte DGV, 9-16.
uns mit der Debatte um die Umbenennung aus-
einanderzusetzen.
Die omnipräsente Suche nach der Herkunft
der Fachbezeichung und einem dazugehörigen
Kern des Faches hinterließ beim Lesen einen fa-
den Beigeschmack. Ist dies die Debatte, die wir
führen wollen würden? Kann es im Sinne eines
„Vielnamenfaches“ sein,138 sein, die „Pragmatik von
Sprachspielen“ und damit eine der Stärken der Völ-
kerkunde_Ethnologie_Sozial- und Kulturanthro-
pologie über Bord zu werfen?139 Mitnichten sollte
sich die Debatte im Labyrinth der Herkunftssuche
der ‚deutschen Ethnologie‘ verlaufen. Oder aus
Sorge vor einem Identitätsverlust lediglich identi-
tätspolitische Belange ausgehandelt werden. Und
geht es bei jenem Bestimmungsversuch denn über-
haupt noch im ganz eigentlichen Sinne um eine
Diskussion über die Umbenennung oder wird gar
vielmehr um vorherrschende Fach- und Selbstver-
ständnisse und um eine gehörige Portion wissen-
schaftspolitische Deutungshoheit gerungen?
Die Debatte um die Umbenennung hat bei uns
insbesondere die Frage nach Relevanzen hervor-
gerufen. Uns schien jedenfalls, dass sich an die-
ser Debatte Positionen und Themenfelder ablesen
lassen, deren Diskussion um einiges relevanter,
konstruktiver und interessanter sein könnte als die
Einengung auf eine bloße Namensfrage. Insofern
sahen und sehen wir nach wie vor in der Debatte
ein beträchtliches Potential. Mit diesem multiper-
spektivischen Beitrag wollen wir unsere Eindrücke
für mögliche und notwendige weitere Impulse und
andere Aspekte teilen. Wir hoffen damit gleichzei-
tig eine intergenerationale Perspektive darauf zu
eröffnen, was eine Völkerkunde_Ethnologie_Sozi-
al- und Kulturanthropologie für den deutschspra-
chigen Raum sein kann.
Allerdings gleich zwei Klärungen vorab. Erstens
beantworten wir nicht die Frage, wie die DGV/
DGSKA denn nun heißen soll beziehungsweise
welcher Name für uns der angebrachte ist – das
mag auf Anhieb etwas verwundern. Wir haben alle
138 Hess, Sabine & Maria Schwertel 2013. Vom “Feld” zur
“Assemblage”? Perspektiven europäisch-ethnologischer
Methodenentwicklungen – Eine Hinleitung. Empirisch-eth-
nographisches Forschen als Spezik des Faches!?, in: Sabine
Hess, Johannes Moser & Maria Schwertl (Hg.). Europäische-
ethnologisches Forschen. Neue Methoden und Konzepte. Berlin:
Reimer: 13–37.
139 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Widlok, Thomas 15.05.2018. Teilnehmende Namensgebung,
29-30.
65
individuelle Positionen dazu, die wir im Zuge dieses
Beitrags nicht künstlich synthetisieren wollen. Und
wir sehen die Chance gerade darin, die Frage nach
dem Namen zu erweitern: Was steckt denn nun al-
les in dieser Namensumbenennung, oder um näher
an dem Titel des Blogs zu bleiben, what’s (in) that
name debate? Zweitens geht es uns nicht um die
Frage nach dem ‚richtigen‘ oder ‚falschen‘ Fachver-
ständnis. Wir sehen die Stärke der Disziplin – und
hier sind wir mit Nachdruck einer Meinung – in der
(selbst-)reexiven Vielstimmigkeit.
Anhand seiner bisherigen akademischen Sozia-
lisation beleuchtet Julian Schmischke die Absur-
ditäten der institutionellen Grenzziehungen zwi-
schen, in seinem Fall, Ethnologie (Universität Köln)
und Kultur- und Sozialanthropologie (Universität
Münster). Simon Holdermann setzt sich mit der
DGSKA als Institution auseinander und fragt da-
nach, was sie ist, für wen sie eigentlich ist und was
sie vielleicht sein könnte. Christoph Lange und
Souad Zeineddine stellen sich aus unterschiedli-
chen Perspektiven und Positionierungen die Frage
nach der Verstrickung von Wissenschaft, Politik
und gesamtgesellschaftlichen Diskursen.
Mit diesem Beitrag wollen wir uns auch gegen
den Vorwurf der ‚Geschichtsvergessenheit‘ und
der politischen Verblendung positionieren.140 Zum
einen betrachtet Souad Zeineddine in ihrem Bei-
trag den Vorwurf der ‚Geschichtsvergessenheit‘
als eine Rehabilitationsstrategie, die tendenziell
problematische Konnotationen und Implikationen
mit sich bringt. Hierbei verweist sie auf die prob-
lematischen Diskursfelder, in denen sich der eine
oder andere Beitrag tummelt. Zum anderen the-
matisiert Julian Schmischke in seinem Beitrag die
auffällige Abwesenheit einer dezidiert „deutschen“
Fachgeschichte in den Curricula unterschiedlicher
Institute entlang seines Studienweges und ver-
bindet seinen Befund mit den institutionellen Ver-
ortungen einer spezisch gelehrten Völkerkun-
de_Ethnologie_Sozial- und Kulturanthropologie.
Unterschiedliche Positionierungen und Sozialisie-
rungsprozesse, akademischer wie außerakademi-
scher Couleur, führen zu diversen Lehren, die aus
der Geschichte gezogen werden können. Während
140 Vgl. Kohl, Karl-Heinz 2017. Kollateralschäden. Eine
Polemik, in: Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische
Sammlungen neu denken, https://boasblogs.org/de/hum-
boldt/kollateralschaeden-eine-polemik/ (24.09.2019) und in
der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers: Haller, Dieter
17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches Schulterklopfen
und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
für Karl-Heinz Kohl die Zukunft der Ethnologie in
der Vergangenheit liegt,141 heißt es für uns, aus der
Vergangenheit zu lernen, um eine Völkerkunde_
Ethnologie_Sozial- und Kulturanthropologie zu
praktizieren, die nicht nur die methodologischen
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stem-
men kann, sondern auch die politischen. In diesem
Sinne liegen die Zukünfte der Völkerkunde_Eth-
nologie_Sozial- und Kulturanthropologie in der,
beziehungsweise den Gegenwart(en), bei stetiger
Vergegenwärtigung der – für das individuelle For-
schungsthema relevanten – Vergangenheit(en).
Das Flurgespräch als ethnographisches Feld
Wir haben uns in den letzten Monaten diverse Male
zum gemeinsamen Schreiben und Diskutieren ge-
troffen. Allerdings hat uns die Debatte um die Um-
benennung seit dem Launch des Blogs im April 2018
alltäglich begleitet. Mit dem Öffentlich-Werden des
so genannten #hautalk um das „Journal of Ethno-
graphic Theory”, haben sich unsere Diskussionen um
die Umbenennung auf die akademischen Strukturen
erweitert und zugespitzt. Eine Zeit lang gehörte es
zu unserer Morgenroutine, täglich einen neuen Link
und Kommentare zu einem Blog-Beitrag oder zu den
aktuellen Entwicklungen aus der #hautalk-Debatte
im E-Mail-Postfach bzw. im gemeinsamen Mess-
enger-Gruppenchat zu haben. Es verging kaum ein
Mittagessen oder eine Kaffeepause, ohne dass über
die Fragen diskutiert wurde, die die Umbenennungs-
debatte und #hautalk bei uns hervorgerufen hat-
ten. Auch kurze Flurbegegnungen wurden meist mit
aphoristischen Anmerkungen oder knappen polemi-
schen Spitzen zu diesem Thema angereichert, die
schließlich teils in verstetigten Insider-Witzen ihre
Etablierung fanden.
Der Titel unseres Beitrags ist ein Ergebnis der
Diskussionen, die die Beschäftigung mit der Um-
benennungs-Debatte bei uns ausgelöst haben,
nämlich die nachhaltige Verständigung darüber,
was wir als Ethnolog_Anthropolog*innen eigent-
lich tun, wie wir uns selbst als Forschende und
unsere Disziplin verstehen. Die Idee entsprang
vielen hitzigen wie wertschätzenden Diskussionen
über die Frage, wo der Raum liegt, in dem sich die
141 Kohl, Karl-Heinz 2013. Die Zukunft der Ethnologie liegt in
ihrer Vergangenheit. Plädoyer für das ethnographische Archiv,
in: Thomas Bierschenk, Matthias Krings & Carola Lentz (Hg.).
Ethnologie im 21. Jahrhundert. Berlin: Reimer, 131–147.
Simon Holdermann, Christoph Lange, Julian Schmischke, Souad Zeineddine
66 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Möglichkeit zur ‚radikalen Fremdheitserfahrung‘
konstituiert bzw. in dem diese hergestellt und er-
lebt werden kann. Schließlich ist es diese Fremd-
heitserfahrung, die als epistemologische Haltung
die ‚klassische Ethnologie‘ charakterisiert hat.
Aber sind Fremdheitserfahrungen im 21. Jahrhun-
dert noch eine epistemologische Notwendigkeit
der ethnologischen_anthropologischen Wissens-
produktion, wie so viele Lehrbücher uns immer
noch vermitteln wollen? Sind die Erfahrung von
Fremdheit und der ausgedehnte Feldforschungs-
aufenthalt als Schlüssel für erfolgreiche ethno-
graphische Forschung noch zeitgemäß? Kann man
sich in Zeiten digitalisierter Austauschformen und
fragmentierter Öffentlichkeiten überhaupt noch
vollständig in eine ‚fremde Kultur‘ versenken? Gibt
es ‚das Feld‘ im klassischen Sinne noch? Oder sind
es die klassische Feldforschung und das klassische
Feld selbst, die gegenwärtig virtuell werden? Soll
die ‚Fremdheitserfahrung‘ als epistemologische
Haltung oder heuristisches Werkzeug erhalten
werden, muss man sich indes darüber verständi-
gen, inwiefern die Qualität und Produktivität der
Erfahrung bestimmbar oder konstitutiv sein kann.
Wie unterscheidet sich die Befremdung als laien-
hafte Beobachter*in sozialer Praxen in den Feldern
der STS und in den Laborstudien von traditionel-
len Feldforschungskontexten? Was ist etwa mit der
Befremdung, die ‚neue’ Promovierende erfahren,
wenn sie neu in bestehenden wissenschaftlichen
Arbeitskulturen ankommen? „Es ist tendenziell ein
ermüdendes Gefühl, wieder an dem Punkt zu sein,
politische, theoretische, methodologische und
positionierungsbezogene Fragen von Grund auf
neu auszuhandeln. Das (Kennen-)Lernen von Dy-
namiken, Codes und Praktiken des neuen Arbeits-
kontextes ist anstrengend aber auch lehr- und
erkenntnisreich.142 Wenn Christoph Lange in sei-
nem Beitrag den Blick von ‚Innen‘ nach ‚Außen‘ be-
schreibt, dann beschreibt er einen Prozess, der auf
uns alle zutrifft. Über die Auseinandersetzung mit
den bisherigen Debatten (dem ‚Außen‘), haben wir
nicht nur alle mehr über die Fachgeschichte der
‘deutschen Ethnologie’ und ihre Fallstricke gelernt,
sondern auch voneinander. In dem Sinne, dass wir
uns mit unseren grundlegend unterschiedlichen,
außer- und innerakademischen Positionierungen
auseinandergesetzt haben. Wir haben uns also
einem ‚Innen‘ angenähert, sprich, unser eigenes
142 So schreibt es eine*r von uns als private Notiz ins Feldfor-
schungstagebuch.
Schreibkollektiv in seiner Heterogenität kritisch,
aber gleichzeitig konstruktiv unter die Lupe ge-
nommen: Wo kommen wir her? Was ist unser Ver-
ständnis von Völkerkunde_Ethnologie_Sozial-
und Kulturanthropologie? Wie politisch dürfen wir
sein? Was ist die politische Relevanz unseres Viel-
namenfaches? Und nicht zuletzt haben wir uns auf
zwischenmenschlicher Ebene kennengelernt.
Zusammenfassen ließe sich: Wir sind von dem
‚Außen‘ (Der Blog) ins ‚Innen‘ (unsere Auseinander-
setzungen mit den jeweils individuellen Perspekti-
ven auf; sowie Erwartungen und Wünschen an das
Fach) gegangen und nun mit diesem Beitrag wieder
ins ‚Außen‘ zurückgekehrt. Eine Bewegung, die für
uns einen festen Bestandteil des ethnologischen_
anthropologischen Forschens darstellt. Und da dies
alles im Research Lab, auf den Fluren der a.r.t.e.s.
Graduate School for the Humanities Cologne und
des Instituts für Ethnologie, begreifen wir die Flur-
gespräche als ethnographisches Feld.
Ein „und“ – endlich?!
Julian Schmischke
Dieser Blog stellt die Frage „Wofür steht die Um-
benennung?“ Die bisher veröffentlichten Beiträ-
ge scheinen überwiegend der Auffassung zu sein,
dass die Umbenennung vor allem dafür stehe, dass
ein paar zu hippe Berliner und vor allem der „his-
torisch blinde“143 Nachwuchs bzw. „jüngere und
sich jung fühlende Menschen“144 sich gegen die An-
erkennung der historischen Verechtung der Be-
griffe in Deutschland und für einen Anschluss an,
um nicht zu sagen für Unterwerfung unter inter-
nationale Diskurse und Arbeitsweisen entschieden
haben. Diese Bedenken kann ich nachempnden.
Jedoch bin ich der Ansicht, dass die Situation etwas
zu dramatisch beurteilt wird. Ich will auch festhal-
ten, dass die vorgelegten Einblicke in die Fachge-
schichte mich angeregt haben, meinen durch die
Umbenennung hervorgerufenen Enthusiasmus zu
reektieren. Viele Verechtungen waren mir tat-
sächlich nicht präsent.
143 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergensseheit, 14–17.
144 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18–23.
67Simon Holdermann, Christoph Lange, Julian Schmischke, Souad Zeineddine
Dennoch steht meiner Ansicht nach die
Umbenennung auch für anderes
Um es transparent zu machen: Ich bin einer die-
ser Studierenden, der dem Aufruf gefolgt ist, zur
Tagung 2017 in die DGV einzutreten, um an der
Abstimmung teilnehmen zu können. Hätte mich
nicht eine Kommilitonin, die nach Berlin vernetzt
ist, auf diesen Tagesordnungspunkt aufmerksam
gemacht, wäre ich vielleicht nicht dabei gewesen.
Obwohl ich bereits die DGV Tagung 2015 besucht
hatte, sah ich bis dato keine Notwendigkeit dafür,
der Fachgesellschaft beizutreten. Schließlich woll-
te ich bisher noch keinen Vortrag halten. Ebenfalls
wollte ich nicht beitreten – und das lag auch am
Namen. Ich bin also nach Berlin gefahren, in die
Gesellschaft eingetreten, habe für die Umbenen-
nung weg von Völkerkunde gestimmt und auch für
die Umbenennung in Sozial- und Kulturanthropo-
logie.
In den Flur- und anderen Gesprächen, die zu
diesem Beitrag geführt haben, wurde deutlich,
dass unsere Erfahrungen des Ethnologie-Studie-
rens viel heterogener waren als in den bisherigen
Beiträgen deutlich wird. Hier wird meiner Ansicht
nach auf einen Kanon referiert, der sich dadurch
auszuzeichnen scheint, dass Fachgeschichte, und
vor allem die Strömungen und Debatten innerhalb
des deutschsprachigen Raumes, sehr stark im Cur-
riculum vertreten sei. Jedoch ist das nicht unsere
Erfahrung. Und dies möchte ich im Folgenden kurz
an unseren und vor allem meinen Studienerfah-
rungen aufzeigen.
Die Autor*innen dieses Beitrags studierten Eth-
nologie, Kultur- und Sozialanthropologie, Kultur-
wissenschaft und Transkulturelle Studien gepaart
mit den Zweit-, Neben- und Komplementärfächern
Arabistik, Religionswissenschaften und Ökonomik.
Ergänzt um Ausüge in angrenzende Disziplinen,
teils obligatorisch im Rahmen von „Allgemeinen
Studien“ oder „General Studies, oder gar aus indi-
viduellem Interesse. Und auch nicht zu vergessen
die studien- und feldforschungsbedingten Aus-
landsaufenthalte. Während meiner Bachelor-Ta-
ge, wohlgemerkt des „B.A. (2-Fach) Kultur- und
Sozialanthropologie und Ökonomik“ (ja manche
von uns sind mit solchen, unpraktischen Bezeich-
nungs-Ungetümen akademisch sozialisiert wor-
den) an der Uni Münster gab es gar keine Veran-
staltung zur Geschichte der deutschen Ethnologie.
In den einführenden Vorlesungen wurde die Grün-
dungskonstellation auf Tyler und Morgan, Malin-
owski und Radcliffe-Brown, und natürlich auch
Mauss und Lévi-Strauss eng geführt. Dass Marx,
Weber und Durkheim ebenfalls wichtig für die Eth-
nologie waren, lernte ich erst später dazu.
Münster weist allerdings, wie Thomas Widlok in
seinem Beitrag bereits angedeutet hat,145 in dieser
Hinsicht eine besondere Konstellation auf. Hier
stemmen zwei Einrichtungen – das Seminar für
Volkskunde/Europäische Ethnologie und das Ins-
titut für Ethnologie – den B.A.-Studiengang KuSA,
der nur gleichberechtigt mit einem zweiten Fach
studiert werden kann. Um diese institutionelle
Spaltung zumindest in den persönlichen Bezie-
hungen zu minimieren, wurden die Einführungs-
vorlesungen in den ersten beiden Semestern von
zwei Professor*innen von je einem der Institute im
Dialog gehalten. Die uns vermittelte Arbeitsteilung
schrieb diese Ethnologie auf die Untersuchung von
„Schamanen im Regenwald“ und die Volkskunde
auf die von „Bauern in den Alpen“ fest – fachge-
schichtlich gesehen natürlich. Im Verlauf des Stu-
diums musste die Unterscheidung jedoch zusam-
menbrechen. Es wurde zunehmend klarer, dass
diese holzschnittartige Arbeitsteilung heute nicht
mehr als identitätsstiftend angesehen werden
kann. Betont wurde im nächsten Satz aber stets,
dass die Art und Weise des Erkenntnisgewinns –
ethnographische Feldforschen im Modus der teil-
nehmenden Beobachtung – die beiden Disziplinen
eng verbinden würde.146 Silke Meyer („Volkskund-
lerin/Kulturanthropologin“) und Guido Sprenger
(„Ethnologe/Sozialanthropologe“) bringen dies in
einem Beitrag auf den Punkt:
„Die Kultur- und Sozialanthropologie verstehen
wir hier als den gemeinsamen Grund der Volks-
kunde wie der Ethnologie [Völkerkunde]. Diese
zwei Fächer unterscheiden sich in ihrer histori-
schen Entwicklung, ihren traditionellen Themen
und teilweise auch in ihren theoretischen Inter-
essen. Dennoch haben die letzten Jahrzehnte zu
einer faktischen Annäherung der Fächer geführt,
auch wenn diese auf dem Gebiet der Institutionen
durchaus nicht immer gang und gäbe ist: Volks-
kunde und Ethnologie haben weiterhin getrennte
Institute, Berufsverbände, Publikationsforen und
145 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Widlok, Thomas 15.05.2018. Teilnehmende Namensgebung,
29–30.
146 Bollig, Michael 2013. Ethnologie in Deutschland heute.
Strukturen, Studienbedingungen, Forschungschwerpunkte,
in: Thomas Bierschenk, Matthias Krings & Carola Lentz (Hg.).
Ethnologie im 21. Jahrhundert. Berlin: Reimer, 165–189.
68 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Kongresse, und eine solche Trennung erscheint
auch für die Zukunft wahrscheinlich und hoch-
schulpolitisch wünschenswert.147
So kam ich also als halber Kultur- und Sozialan-
thropologe in Köln an. In Münster hätte ich mich für
eine Spezialisierung im M.A. Social Anthropology
am Institut für Ethnologie entschieden, um endlich
ein ganzer Ethnologe zu werden. Aber aufgrund der
thematischen Schwerpunkte entschied ich mich für
einen Standortwechsel. An der Universität zu Köln
wurde mir jedoch im Rahmen des Immatrikulati-
onsprozesses klar gemacht, dass mich meine bishe-
rige Ausbildung bestenfalls zu einem Viertel-Ethno-
logen machen würde. Nachdem ich zunächst eine
Absage für den M.A. (1-Fach) Ethnologie bekam,
weil ich nicht genügend einschlägige Veranstal-
tungen belegt hatte, wurde ich dann auf Nachfrage
doch zugelassen. Es habe sich nur um einen Fehler
im System gehandelt. Allerdings war die Zulassung
an Auagen geknüpft, sodass ich noch drei einfüh-
rende Vorlesungen aus dem Kölner B.A. Ethnologie
nachholen durfte.
Während meiner Studienzeit in Köln wurde inner-
halb von vier Jahren ein Seminar zur Fachgeschichte
der Ethnologie im deutschsprachigen Raum abge-
halten („Ethnologie in Deutschland“). Nach Aussa-
ge des Dozenten sei das Seminar, gemessen an der
Zahl der interessierten Studierenden, „ein Laden-
hüter“ gewesen. Im B.A. Ethnologie in Köln wird
zudem einmal im Jahr eine Vorlesung zum „Über-
blick über die ethnologischen Theorien“ gehalten.
Die Vorlesung zum Evolutionismus und Diffusionis-
mus in der Ethnologie zu Beginn des 20. Jahrhun-
derts machte auf die Arbeit einiger früher deutsch-
sprachiger Ethnologen aufmerksam (Fritz Gräbner,
Bernhard Ankermann, Pater Wilhelm Schmidt, u. a.).
Dann wandten wir uns, mit der Ausnahme der Be-
sprechung der Einüsse Webers, Marx’ und Engels,
wieder der internationalen Entwicklung zu. Abge-
sehen von dem offensichtlich geringeren Anteil an
„volkskundlichen Themen“ deckten sich die Inhal-
te der Vorlesung weitestgehend mit der Genealo-
gie, die ich in Münster kennengelernt hatte. Und so
schien mir der gemeinsame Grund überaus präsent.
In der institutionalisierten Realität allerdings wurde
ich auf eine deutliche Grenze hingewiesen.
147 Meyer, Silke & Guido Sprenger 2011. Der Blick der Kultur-
und Sozialanthropologie. Sehen als Körpertechnik zwischen
Wahrnehmung und Deutung, in: Silke Meyer & Armin Owzar
(Hg.). Disziplinen der Anthropologie. Münster u.a.: Waxmann,
203–227.
Es drängt sich die Frage auf, ob diese Studiener-
fahrung für unsere Zeit verallgemeinerbar ist. Viel-
leicht nicht umfänglich. Aber ich denke dennoch,
dass Studierende die an mehr als einer Universität
studiert haben, oder sich zumindest über Studien-
angebot im deutschsprachigen Raum informiert ha-
ben, aufgefallen ist, dass sich hinter sehr verschie-
denen Namen recht ähnliche Inhalte verstecken.
Außerdem frage ich mich, ob diese Erfahrung histo-
risch spezisch ist. Wenn ich mir die Listen von stu-
dierten Fächern aus Zeiten des Magisters, als man
scheinbar, ohne mindestens drei andere Fächer
kennengelernt zu haben, keinen Abschluss bekom-
men konnte, so ansehe – vielleicht nicht.148
In Flurgesprächen, oder auch Gesprächen auf der
Wiese oder im Feld, ist es meine Erfahrung, dass die
Bezeichnung dessen was ich tue, an der Universi-
tät studiere, ohnehin immer erklärungsbedürftig ist.
Fast unabhängig davon, für welche Komposition aus
meinem inzwischen anverwandelten Repertoire ich
mich entscheide. Während ich mich früher gerne
als Kultur- und Sozialanthropologe vorgestellt habe,
musste ich diese Selbstbezeichnung in den Kölner
Jahren überdenken. Die Welt schien in Köln klar ge-
ordnet: Eigentlich gibt es nur die Ethnologie und im
Ausland heißt sie eben ein bisschen anders. Auch
wenn die englische Übersetzung der Institutsbe-
zeichnung Department of Social and Cultural An-
thropology ist. Trotz anfänglichen Haare-Sträubens
begann ich mich Ethnologe zu nennen, wobei mir
das bis heute Unbehagen bereitet. Allem voran die
unter Studierenden gerne verwendete Kurzform
„Ethnos“. Allerdings ließ sich das Fach Ethnologie
für mich oft nicht ohne einen Hinweis auf den frü-
heren Namen Völkerkunde erklären. Zudem kam es
nur zu oft vor, dass Gespräche mit Außenstehenden
wie folgt verliefen:
Sie: „Und womit beschäftigst du dich?“
Ich: „Ich studiere Ethnologie.
„Ah ja, das klingt ja spannend.
„Das ist es auch! Hast du schon mal davon gehört?“
„Hmm, nein eigentlich nicht.
„Und was meinst du worum es darin geht?“
„Öhm, keine Ahnung, um ehrlich zu sein.
Deswegen bin ich nun dazu übergegangen, die
Ethnologie als „Transnationale Gesellschaftswis-
148 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Widlok, Thomas 15.05.2018. Teilnehmende Namensgebung,
29-30.
69
senschaft“ vorzustellen. Darunter können sich mei-
ne Gesprächspartner*innen zumindest grob etwas
vorstellen. Mir geht es in diesen Interaktionsmo-
menten um ein interessement149 der Menschen um
mich herum, für das Fach, von dem ich denke, dass
es wichtig ist und zukünftig auch noch wichtiger
werden wird. Für mich persönlich eignet sich dafür
eine Fachbezeichnung besser, mit der ich Außenste-
henden vermitteln kann, worum es den Menschen
in meinem Fach geht. Sozial- und Kulturanthropo-
logie erfüllt diesen Zweck für mich deutlich besser
als Ethnologie und führt für mich zu anregenderen
Diskussionen.
Unsere Arbeitsgruppe in Köln befasst sich grund-
legend mit Transformationen des Lebens. Wir stel-
len uns die Frage, wie Transformationen aus den
Handlungen und Praktiken der Akteure hervorge-
bracht werden. Viele bisherige Beiträge scheinen
davon auszugehen, dass sich diejenigen, die für die
Umbenennung stimmten, von irgendwas haben be-
zaubern lassen, um nicht von verblenden zu spre-
chen, sodass die spezische Begriffsgeschichte ein-
fach weniger stark gewichtet wurde. In diesem ‚Wie
können die nur!‘ schwingt mit, dass offenkundig
nicht logisch überlegt und abgewogen wurde, denn
sonst wäre die Abstimmung ja anders ausgegangen.
Wäre es aber nicht auch möglich, dass persönliche
Erfahrungen der Abstimmenden sie dazu bewegt
haben, ihre Stimme für eine Umbenennung abzu-
geben?
„Die Erfahrungen der Akteure mit ‚der Welt‘, be-
vor diese durch Konventionen zur Realität gemacht
wurde, decken sich nicht mit der Realität der Kon-
ventionen, weil letztere meist der Entwicklung ge-
sellschaftlicher Verhältnisse hinterherhinken und
so bisweilen als willkürlich erscheinen. Weiterhin
kann Erfahrung Konventionen deshalb nur zum Teil
bestätigen, weil Konventionen immer nicht-inten-
dierte Folgen haben und widersprüchliche Kom-
plexitäten hervorbringen. Schließlich lässt sich in
nahezu jeder Situation auf mehrere, teils divergie-
rende Konventionen zurückgreifen.150
149 Callon, Michel 1986. Some Elements of a Sociology of
Translation: Domestication of the scallops and the sher-
man in St Brieuc Bay, in: Karin Knorr Cetina & Aaron Victor
Cicourel (Hg.). Advances in Social Theory and Methodology:
Toward an Integration of Micro and Macro-Sociologies. Boston:
Routledge & Kegan Paul, 196-223; Star, Susan Leigh & James
R. Griesemer 1989. Institutional ecology, ‘translations’ and
boundary objects: Amateurs and professionals in Berkeley’s
Museum of Vertebrate Zoology, 1907–39. Social Studies of
Science 19 (3): 387-420.
150 Rottenburg, Richard 2013. Ethnologie und Kritik,
In unserer akademischen Praxisgemeinschaft
scheint es für Studierende nicht zentral gewesen
zu sein, sich mit der Fachgeschichte der Ethnolo-
gie auseinanderzusetzen. Wenn man auf vorange-
gangene Fachdebatten zurückblickt, wie beispiels-
weise die zwischen den Substantivisten und den
Formalisten in der Wirtschaftsethnologie, scheint
es nicht ungewöhnlich für die Disziplin, gewisse
Diskussionen für eine Zeit unberührt zu lassen.
Oder zumindest nur in Teilen aufzugreifen und
neu zu arrangieren.151 Aber wie beispielsweise die
erneute Rezeption von Karl Polanyi nach der Kri-
se 2008 gezeigt hat,152 ist dies kein ‚Todesurteil‘. In
diesem Sinne sollte die Debatte in diesem Blog den
Anstoß dazu geben, einen neuen Zugang zur Fach-
geschichte der Ethnologie im deutschsprachigen
Raum zu erarbeiten. Idealerweise auch mit der Er-
arbeitung eines einschlägigen Kanons und didakti-
schen Vorschlägen.
Der für mich konsequenteste – und im Lich-
te dieser Debatte bedeutsamste – Bestandteil
der neuen Bezeichnung unserer Fachgesellschaft
scheint mir das kleine Wörtchen „und“. So wie ich
das Fach bisher verstanden habe, hätte es „die Eth-
nologie“ ohne Inspiration von außen nicht weit ge-
bracht. Und auch ohne interne Debatten hätte sie
es nicht weit gebracht. Wenn sich Mitglieder der
Fachgesellschaft entscheiden möchten, in Selbst-
bezeichnungen das Potential für eine fachinterne
Erinnerungskultur zu sehen, warum dann nicht in
diesem Bestandteil?
DGWTF?!
Simon Holdermann
Um herauszunden, inwiefern mich die Debatte
etwas angeht, frage ich mich, was genau die DGV/
DGSKA ist, bzw. für wen sie ist. Das stellt mich
vor ein nicht unerhebliches Problem: Wie schaffe
ich es, eine solch grundsätzliche Einlassung mit
Fragen zu Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der
Fachvereinigung zu verbinden, ohne entweder als
naiv, anmaßend oder ahnungslos abgestempelt zu
werden? Und sollte ich es ernst nehmen, wenn ein
in: Thomas Bierschenk, Matthias Krings & Carola Lentz (Hg.).
Ethnologie im 21. Jahrhundert. Berlin: Reimer, 55-77.
151 Hann, Chris & Keith Hart 2011. Economic Anthropology:
History, ethnography, critique. Cambridge/Malden: Polity
Press.
152 ebd.
Simon Holdermann, Christoph Lange, Julian Schmischke, Souad Zeineddine
70 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Kollege zu unserer Entscheidung, als Schreibkol-
lektiv einen Beitrag zur Umbenennungsdebatte zu
verfassen, mit schelmischem Grinsen sagt: „Sehr
gut! Ich sehe gerne aus nächster Nähe zu, wie ihr
eure weitere Karriere zerstört“ – aber welche Kar-
riere eigentlich? Und wie hängt die DGSKA damit
zusammen?
Ein Paragrafenritt auf der Suche nach den
Mitgliedern
Ich promoviere im Fach Ethnologie. Allerdings
habe ich bislang noch keine DGV Tagung besucht.
Ich bin sogar noch kein ganzes Jahr Mitglied, habe
den Mitglieds-Antrag erst nach meinem Feldfor-
schungsaufenthalt gestellt. In gewisser Weise als
Teil des Prozesses, meine erhobenen Daten auszu-
werten und aufzubereiten – also als Teil des wissen-
schaftlichen Arbeitens, oder besser: der akademi-
schen Professionalisierung. Aber wieso eigentlich?
Die Fachvereinigung war in meinem Studierenden-
alltag nicht präsent und ist es in meinem Alltag als
Doktorand eigentlich auch nicht viel mehr. Aber es
scheint der notwendige und wichtige Schritt zu
sein, um als ‚richtige*r‘ Wissenschaftler*in im aka-
demischen Betrieb laufen zu lernen – und auch sei-
ne Forschungsergebnisse auf fachinternen Veran-
staltungen vorstellen und diskutieren zu können.
EASA Mitglied musste ich ja ebenfalls werden, um
auf der Konferenz überhaupt vortragen zu können.
Hier könnte meine Erkundung darüber, was und
für wen die DGV/DGSKA ist, schon schließen. Das
wäre dann neben einer etwas fragwürdigen Selbst-
offenbarung allerdings auch ein recht funktional-
karrieristischer Bestimmungsversuch. Eigentlich
möchte ich auf etwas anderes hinaus – etwas, das
sich durch die bisherigen Beiträge zur Umbenen-
nungs-Debatte für mich als Frage aufdrängt: Wann
und wie ist man eigentlich Teil dieser Fachvereini-
gung? Ab wann sehe ich mich selbst (und natürlich
vice versa andere mich) als vollwertige*n Ethno-
log_Anthropolog*in? Gerade, wenn ich doch im-
mer noch irgendwie ‚in der Ausbildung‘ bin? Bin
ich DGSKA-Mitglied, wenn das Selbstbewusstsein
und Selbstverständnis stimmt, oder ist die DGSKA
doch eher eine Vereinigung von Etablierten? Was
bringt mir diese Vereinigung eigentlich?
Ich schaue mir zunächst die Selbstbeschreibung
der Fachvereinigung DGSKA an und frage mich,
was der Begriff „Fachvereinigung“ genau bedeutet.
Wikipedia hat jedenfalls keine Antwort. Man könn-
te wahrscheinlich auch Fachverband sagen. Also
eine besondere Form eines Interessenverbands.
Oder aber ein Berufsverband? Denn immerhin
gibt es „formale Bedingungen“, an die die Mitglied-
schaft geknüpft ist, nämlich an den Nachweis über
eine einschlägige fachliche Ausbildung. Als ver-
einsrechtlicher Laie scheint mir die Bezeichnung
Berufsverband daher ebenfalls passen zu können.
Nun heißt es aber Fachvereinigung. Ich möchte
keine spitzndigen Begriffsspielereien veranstal-
ten. Doch nde ich interessant, ob die Fachvereini-
gung nun eher in Richtung eines Interessen- oder
eines Berufsverbands tendiert, weil das einen ent-
scheidenden Unterschied im Verständnis des Ver-
eins und im Selbstverständnis der Mitglieder zur
Folge haben dürfte: Wer darf Mitglied sein, Stimm-
recht besitzen, für wen bringt diese Vereinigung
eigentlich was genau? Wissenschaft als Beschäfti-
gung oder Beschäftigung aus wissenschaftlichem
Interesse vs. Wissenschaft als Beruf? Zur Klärung
konsultiere ich die Satzung, die festschreibt:
§1 Name und Aufgaben der Gesellschaft
1. Die Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kul-
turanthropologie e.V. (DGSKA) ist eine Vereinigung
von Sozial- und Kulturanthropolog_innen bzw.
Ethnolog_innen und an der Sozial- und Kulturan-
thropologie bzw. Ethnologie interessierten Perso-
nen und Institutionen, die der Förderung der Wis-
senschaft dient.
§5 Ordentliche Mitglieder
1. Die ordentlichen Mitglieder gleich welcher Nati-
onalität müssen sich als Sozial- und Kulturanthro-
polog_innen bzw. Ethnolog_innen ausgewiesen
haben. Studierende der Sozial- und Kulturanth-
ropologie bzw. Ethnologie können nach dem 4.
Fachsemester mit Befürwortung zweier ordent-
licher, nichtstudierender Mitglieder ordentliche
Mitglieder werden. Sie verzichten auf das passive
Wahlrecht, können eine_n in den Beirat zu de-
legierende_n Vertreter_in einer studentischen
Arbeitsgruppe wählen und entrichten einen gerin-
geren Mitgliedsbeitrag.
Also eine Vereinigung für Ethnolog_Anthropo-
log*innen und Interessierte. Und auch die Interes-
sierten müssen sich, zumindest wenn sie ordentliche
Mitglieder sein möchten, als Ethnolog_Anthropo-
log*innen „ausgewiesen“ haben. Damit bleibt noch
71
einiges unklar. Offenbar ist man unter vier Semes-
tern noch nicht ausgewiesen. Danach halb, wenn
man die Türsteher-Unterschriften vorlegen kann.
Fraglich ist, ob theoretisch vier Semester Kultur-
anthropologie/Europäische Ethnologie zählen oder
Sozial- und Kulturanthropologie (was an manchen
Instituten ja auch als jeweils zur Hälfte Ethnologie
und Europäische Ethnologie modularisiert angebo-
ten wird). Gleichzeitig wird die Rolle des Studienab-
schlusses nicht expliziert. Was sich dann in Thomas
Bierschenks Argumentation so liest, als sei kein Stu-
dienabschluss eben auch keine ausreichende „Aus-
gewiesenheit“:
„Es ist mir nicht bekannt, wie viele Mitglieder der
DGV überhaupt einen Studienabschluss haben, und
wie sich das bei den seit 2015 neu hinzugekomme-
nen Mitgliedern darstellt. Die Vermutung drängt
sich auf, dass Berliner Studentinnen und Studenten
der Ethnologie (jetzt: „Berliner Kultur- und Sozial-
anthropologen und –anthropologinnen“), die meis-
ten erst seit kurzem Mitglied in der Gesellschaft und
wahrscheinlich noch wenig mit dem Fach und seiner
Geschichte vertraut, erheblichen Anteil an der Ent-
scheidung hatten“.153
Doch selbst das Kriterium des Studienabschlus-
ses würde die Sache nicht vollends klären; welcher
denn? Reicht ein Bachelor oder muss es schon ein
Master sein? Was machen wir mit Zwei-Fach-Bache-
lor- oder Master-Absolvent*innen? Weil ethnologi-
sche Mindest-Credit-Points abzulehnen sind, viel-
leicht doch erst mit Abschluss der Promotion oder
als eingeschriebene*r Doktorand*in? Hier wären
dann die in der Ethnologie_Anthropologie-Promo-
vierenden mit fachfremdem Hintergrund die letzte
Ausnahme, über die sich sicherlich hinwegsehen lie-
ße. Wenn ich mir das so vor Augen führe, nde ich
das etwas schwammige „sich als Ethnolog_Anthro-
polog*in ausgewiesen“ haben doch einleuchtender.
Es verlagert die Problematik auf das eigene Selbst-
verständnis – oder genauer gesagt, auf den erfor-
derlichen selbstbewussten Umgang damit. Und das
ist ja auch ein elementarer Schritt in der Formierung
der eigenen akademischen Professionalität.
153 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Bierschenk, Thomas 24.04.2018. Warum die Umbenennung der
DGV in DGSKA ein Fehler war, 18–23.
Das Vielnamenfach im Universitätsbetrieb: noch
Elfenbeinturm oder schon Luftschloss?
Während also die Satzung klar stellt, dass alle or-
dentlichen DGSKA-Mitglieder Ethnolog_Anthro-
polog*innen sein müssen – ab wann man das auch
immer so richtig ist – sagt sie nicht, dass diese
auch in der Wissenschaft tätig sein müssen. Als
eine Vereinigung „für die Förderung der Wissen-
schaft“ klingt das mehr nach lobbyierendem Inte-
ressenverband und weniger nach Berufsverband
von professoralen, bzw. im Wissenschaftsappa-
rat etablierten Ethnolog_Anthropolog*innen. (Im
Übrigen heißt die Vereinigung für Menschen mit
einschlägiger Fachausbildung, die aber außerhalb
der Wissenschaft beschäftigt sind „Berufsverband
freiberuicher Ethnolog_innen e.V.“).
Was heißt „für die Förderung der Wissenschaft“?
Und welche Rolle spielt die Fachvereinigung dabei,
die Newcomer auf ihrem Weg in die Wissenschaft
zu integrieren, bzw. sie zu fördern? Zur Grundlage
ein kurzer Blick auf einige einschlägige Verbleib-
studien von Studierenden der Völkerkunde_Eth-
nologie_Sozial- und Kulturanthropologie: Die
Kölner Studie (1997), hält fest, dass „[m]indestens
31 von den insgesamt 239 Absolventen […] irgend-
wann einmal mit Wissenschaft ihr Einkommen
bestritten [haben]“. Auch die Hamburger Studie
(2001) beziffert die Anzahl der Absolventinnen und
Absolventen, die in der Wissenschaft tätig sind, auf
vergleichbare 12,5-12,7%. Allerdings geben sogar
61% an, dass ihre Beschäftigung insgesamt etwas
mit Ethnologie zu tun hätte. Bei der Bonner Studie
(2012) für die „Abteilung für Altamerikanistik und
Ethnologie“ zeigt sich, dass sogar „fast ein Drittel
im Bereich von Hochschule und Wissenschaft ver-
bleibt“. Was steht hinter den Zahlen? Wer sind die-
se 12-30%, die in der Wissenschaft bleiben? Sind
es die besten oder hartnäckigsten? Würden gerne
noch mehr bleiben, können aber nicht, weil sich für
diese nicht die Möglichkeit bietet? Würden gerne
viel weniger in der Wissenschaft bleiben müssen,
bleiben aber in Ermangelung an guten berufsprak-
tischen Alternativen? Und spricht die DGSKA auch
für diejenigen, die nicht in der Wissenschaft blei-
ben – oder sollte sie es?
Sehen wir einmal von der Frage ab, inwieweit
man durch das Studium berufspraktische Quali-
kationen erlangt und bleiben wir für den Moment
bei den Möglichkeiten einer akademischen Karrie-
re. Neben der tieferen Durchdringung des inhaltli-
chen Stoffes auf dem Weg der Professionalisierung,
Simon Holdermann, Christoph Lange, Julian Schmischke, Souad Zeineddine
72 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
wird erwartet, dass wir als Nachwuchs zunehmend
auch karrieristisch-instrumentell und strategisch
denken – mitunter zu Lasten der ausgiebig-inhalt-
lichen Beschäftigung. Exemplarisch hierfür ist das
inofzielle Motivations-Mantra der akademischen
Betreuungsverhältnisse: „Die Bachelorarbeit ist
nicht so wichtig, wichtig ist was danach kommt!“;
gefolgt von „die Masterarbeit ist nicht so wichtig,
wichtig ist was danach kommt“; und wiederum ge-
folgt von „die Promotion: ach, nicht verrückt ma-
chen, wichtig ist, was danach kommt!“ Verständ-
lich ist schon, dass man den motivierten Early
Stage Researchers (EU-Jargon) die Idee eines gro-
ßen Wurfs, der die Fachfesten ins Wanken bringt
oder revolutionäres wissenschaftliches Potential
besitzt, austreiben oder zumindest entscheidend
abfedern muss. Und selbstverständlich gilt es,
sich auch auf die zielführende Machbarkeit einer
Arbeit im Rahmen angebrachter Zeit- und Kapazi-
tätsressourcen zu besinnen. Immerhin ist es – zu-
mindest zum Teil – auch ‚nur‘ eine qualizierende
Dokumentation darüber, dass man so langsam sein
wissenschaftliches Handwerk versteht – sich also
zunehmend als Ethnolog_Anthropolog*in auszu-
weisen vermag. Aber dennoch mutet dieser Zu-
kunftsglaube etwas skurril an, wenn er solche fast
schon messianischen Züge annimmt. Was genau
kommt denn danach? Was genau hält das Danach
für mich bereit? Welche Zielvereinbarungen und
-vorstellungen haben die Betreuer*innen vor Au-
gen? Junior-Professur: ach, nicht so wichtig, aber
danach…!
Das Danach könnte vielleicht tatsächlich sein
motivierend-utopisches Potential entfalten, brä-
chen nicht in regelmäßigen Abständen – neben
den gelegentlich notwendigen und berechtigten
Selbstzweifeln – die sarkastischen Realitäten der
gegenwärtigen Umstände herein. Diese sorgen da-
für, dann nur noch leicht ironisch daran zu glauben,
dass man – selbst mit sehr guter Arbeit, die man im
besten Fall mit Begeisterung macht – eines Tages
eine sichere Position bekommen kann. Drei Aus-
sagen möchte ich hier als weitere Beispiele anfüh-
ren, die mir in meinem akademischen Werdegang
begegnet sind und in meinem Kopf nachhallen. Sie
stammen von Wissenschaftler*innen, die sich in
ihrer Disziplin zweifelsfrei als solche „ausgewie-
sen“ haben. Inwiefern es sich um Einzelfälle handelt,
oder um eine breitere Symptomatik, mögen andere
beurteilen. Erstens wurde ein eigener Artikel, der
es in ein renommiertes Journal geschafft hatte, mit
den Worten „ich dachte es gibt vielleicht Feedback,
aber das interessiert eh keinen“ kommentiert. Zwei-
tens ist es ernüchternd zu sehen, dass selbst aus-
gezeichnete Wissenschaftler*innen, die auf dem
Karriereweg viel weiter sind, „keine Ahnung“ haben,
„ob es klappt, Professor*in“ zu werden. Nicht zu
vergessen ist, drittens, die Aussage aus einem Be-
werbungsgespräch: „das ist aber viel Lehre, hatten
Sie da nichts Besseres zu tun?“, die vor Augen führt,
wie sehr wünschenswerte und gelebte universitäre
Praxis auseinander zu klaffen scheinen. Was bietet
dieser Karriereweg also überhaupt? Es scheint fast
ein bisschen so, als wäre es ratsam an das Danach
des Zukunftsglaubens noch ein trotz hinzuzufügen.
Hoffen auf ein Danach, trotz der Umstände und der
Zweifel an der Perspektive. Wo spielt die Fachver-
einigung also eine Rolle für die Karriere des Nach-
wuchses oder zumindest für die Möglichkeit, die
in vielerlei Hinsicht gewinnbringende Erfahrung
ausgedehnter ethnographischer Feldforschung
machen zu können? Wo sollte sie eine noch größe-
re Rolle spielen? Ist die Mitgliedschaft in der Fach-
vereinigung ein nächster elementarer Schritt auf
der Karriereleiter, die mit einer tatsächlichen, und
nicht nur imaginativen, Perspektive korrespon-
diert? Bietet die DGSKA eine echte Austauschplatt-
form für Nachwuchswissenschaftler*innen? Wie
füllen Ethnolog_Anthropolog*innen innerhalb,
aber auch außerhalb der Wissenschaft, das Ethno-
log_Anthropolog*in-Sein ganz praktisch und indi-
viduell für sich aus? Welche Rahmenbedingungen
gelten dafür jeweils und wo sollten bestehende Be-
dingungen kritisch hinterfragt werden? Wie sieht es
aus, wenn Prekarisierung um sich greift? Inwiefern
könnte die DGSKA hier verschiedene Positionen
und Vielstimmigkeit integrieren; sowie darüber hi-
naus auf die Chancen für den eigenen Fach-Nach-
wuchs einwirken? Vielleicht sollte die DGSKA mehr
Lobbyvereinigung sein und sich einmischen, gera-
de in die strukturellen, politischen Fragen der aka-
demischen Zukunftsmöglichkeiten ihrer jungen
Mitglieder*innen, oder die, die es noch werden.
Sie könnte sich auch einmischen in die Belange der
Ethnolog_Anthropolog*innen, die gerade nicht
in der Wissenschaft bleiben (wollen oder können).
Wieso sollte eine DGSKA-Lobbyvereinigung sich
nicht sogar politisch-gesamtgesellschaftliche Im-
pulse geben können und so Veränderungsprozesse
artikulieren, in die Mehrheitsgesellschaft hinein-
tragen? Würde das über Bande nicht auch eine „För-
derung der Wissenschaft“ bedeuten? Dabei sollten
die Vorstellungen von Zugang und Teilhabe in nicht
nur die Fachvereinigung, sondern auch tatsächlich
73
in das Fach selbst auf den Prüfstand gestellt wer-
den – dies DGSKA könnte das moderieren. Deutlich
wird an der Debatte für mich jedenfalls, dass sich
die relevanteren Diskussionen offenkundig außer-
halb der Frage nach dem geeigneten Namen der
Fachvereinigung abspielen. Mit der Umbenennung
sollen die Weichen für die Zukunft gestellt werden.
Aber gäbe es dafür nicht eine Reihe von wichtigeren
Hebeln, die bewegt gehörten?
Ein Blick von Außen nach Innen? Desinteresse,
Unbehagen und notwendige Positionierung
Christoph Lange
Als Absolvent der Ethnologie habe ich mich bisher
im deutschsprachigen Kontext immer als Ethnolo-
ge verstanden und bezeichnet. Im Feld, auf Reisen
und auf meist englischsprachigen Konferenzen bin
ich stets social anthropologist, seltener cultural
anthropologist. Manchmal, wenn ich mich gegen-
über entfernten Familienmitgliedern, nicht-uni-
versitären Freunden, Bekannten oder beiläugen
Begegnungen erklären muss, werde ich gar, aber
nur ganz kurz, zum Völkerkundler, was in der Regel
erstaunlich gut seinen Sinn erfüllt. Diese Fluidität
in der professionellen Selbstbezeichnung erschien
mir bisher unproblematisch und niemals als Identi-
tätsproblem.
Andersherum musste ich ungewollt als Stu-
dent im Spektrum ironisch-spielerischer bis hin
zu ernstlich schwerwiegenden Anschuldigungen
Position beziehen. Die meist aus dem identitäts-
politischen, antirassistischen und postkolonialen
Milieu und Freundeskreis stammenden Anklagen,
warfen der Ethnologie und somit indirekt auch
mir, ausgehend vom rassenkundlichen Erbe und
der Beibehaltung der Fachbezeichnung ‚Völker-
kunde‘, essentialistisch-rassistische Positionen
und koloniale Verstrickungen vor. Die durch die
Studienwahl notwendigen und teils erzwungenen
Alltagsreexionen und -positionierungen festigten
nach und nach eine persönliche, implizite Veror-
tung der Ethnologie, die auch ohne eine systemati-
sche Aufarbeitung der verworrenen Fachgeschich-
te auskam, und die mehr einer Selbstlegitimation
für mein Tun in einem grundsätzlich politisierten
Freundes- und Bekanntenkreis entsprach. Noch zu
Beginn der Umbenennungsdebatte und den oben
beschriebenen Flurgesprächen war ich überzeugt,
diese selbstkritische und individuelle Auseinan-
dersetzung mit der Ethnologie sei völlig ausrei-
chend. Über die Entscheidung, die zerstrittenen
Positionen und Empörungen blieb mir nur ein un-
beteiligtes Lächeln: Weder war/bin ich Mitglied in
der DGSKA, noch sind die Mobilmachung und Um-
benennungskampagne im Vorfeld der Abstimmung
bis zu mir vorgedrungen. Außer der mir gelegent-
lich mitgeteilten, fast drohenden Konsequenz,
dass, wenn ich weiter im Fach aktiv arbeiten und
forschen will, ich über kurz oder lang in die DGSKA
eintreten und mich präsentieren muss, verband
ich nicht viel mit der Gesellschaft. Vermutlich ist
meine Distanz zur DGSKA sogar als Abwehr gegen
diesen latent anbiedernden Opportunismus zu
verstehen. In wirklich wahrnehmbare Erscheinung
trat die „gelehrte Gesellschaft, die keine mehr
ist“,154 jedenfalls erst mit den Unruhen, die die Ent-
scheidung vom letzten Herbst gebracht hat. Im
Zuge unserer Flurgespräche wandelte sich meine
naive Störrischkeit mit zunehmender Brisanz der
Vorwürfe in eine erneut empfundene Notwendig-
keit zur Positionierung, die mir und uns jedoch
erstaunlich schwer el. Natürlich auch befördert
durch meine momentane Anstellung als Mitarbei-
ter am Kölner Institut für Ethnologie und die damit
verbundene Verantwortung in der Lehrtätigkeit,
aber primär durch unsere anhaltenden Diskus-
sionen, schlich sich die unwohlige Erkenntnis ein,
dass ich, ob ich es mag oder nicht, mittendrin in
der Debatte steckte und ein wenig Alltagsreexion
und distanziert, unbeteiligtes Lächeln längst nicht
mehr genügen.
Vielleicht so viel zur persönlichen Verortung
und gedanklichen Genese. Das Folgende ist weni-
ger als Beitrag oder Ergänzung zu den in diesem
Blog bereits versammelten ethnologischen und
fachgeschichtlichen Ausführungen und Positio-
nierungen zu verstehen, sondern eher als Versuch,
der teils zu sonoren Homogenität etwas entgegen
zu setzen. Stattdessen möchte ich genau diese di-
rekte Erfahrung der letzten Monate thematisieren:
Wie ein grundsätzliches Desinteresse gegenüber
der gesamten Umbenennungsdebatte, erst in ein
tiefes Unbehagen gegenüber der eigenen Indif-
ferenz und Unwissenheit umgeschlagen ist und
schließlich in unsere konstruktiven Diskussionen,
Auseinandersetzungen und den hier vorliegen-
den Beitrag mündete. Vielleicht könnte man diese
persönliche Konversionserfahrung als einen gene-
154 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Vermeulen, Han F. 29.05.2018. Die Geschichtsverdrängung der
Ethnologen als gesellschaftliches Problem, 37-44.
Simon Holdermann, Christoph Lange, Julian Schmischke, Souad Zeineddine
74 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
rellen Aufruf zum Perspektivwechsel verstehen;
vielleicht auch als das Bedürfnis, den von mir in
manchen Blog-Beiträgen als übermäßig polemisch
und unnötig belehrend vorwurfsvoll empfundenen
Positionen, eine optimistische und konstruktive
Perspektive entgegensetzen zu wollen. Wie unsere
konkreten und persönlichen Beispiele zeigen und
unterstreichen möchten, hat die Debatte um die
Umbenennung selbst, einerseits zu einer positi-
ven Auseinandersetzung und konstruktiven Ver-
handlungen darüber geführt, was es für uns heißt,
Ethnologie, Sozial- und Kulturanthropologie im
Jahr 2018 zu betreiben. Und nicht jeder vermeint-
liche Paradigmenwechsel muss dramatisch als ri-
tueller Königsmord – ob schlampig ausgeführt
oder nicht, ist dabei egal – inszeniert oder emp-
funden werden. Andererseits, und wie von vielen
der Beitragenden bereits formuliert, werden in
der Debatte um die Umbenennung weit größere
Transformationsprozesse im Fach, der Wissen-
schaft und Gesellschaft offengelegt und ausgehan-
delt, als ‚lediglich‘ das Alleinstellungsmerkmal und
die Relevanz einer sonst wie gearteten ‚deutschen
Ethnologie‘ oder deren lange und bedeutende Tra-
dition, die droht, von einer Gruppe neoliberaler
ignoranter Mitläuferin den Abgrund des Verges-
sens gestürzt zu werden.155 Vielleicht macht es
tatsächlich Sinn, auch in dieser Debatte über den
deutschen und fachlichen Tellerrand zu gucken,
immerhin zeichnet doch gerade dieser Schritt den
ethnologischen Blick und die Fachtradition aus.
Welche Parallelen gibt es zu den hier im Blog als
systemisch empfundenen Bedrohungen und ge-
fährlichen Politisierungen des Faches und der Wis-
senschaft, beispielsweise in der gegenwärtigen
#hautalk-Lawine, die erschreckende gesellschaft-
liche Relevanzen aufgedeckt hat und unabsehbare
Problemfelder fürs Fach vor sich herschiebt, auf
die niemand zur Zeit zufriedenstellende Antwor-
ten zu haben scheint? Für eine erste Sammlung der
#hautalk-Reaktionen siehe UzK IfE Facebook No-
te;156 und für den Punkt, der hier gemacht werden
soll, siehe die späteren Blog-Beiträge von Don Kalb
und Bruce Kapferer 2018. 157 Warum sind deutsche
155 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
156 Institut für Ethnologie Köln 14.06.2018. HAU is dead, long
live OA initiatives, in: https://www.facebook.com/notes/
institut-f%C3%BCr-ethnologie-k%C3%B6ln/hau-is-dead-
long-live-oa-initiatives/1307895166013832/ (24.09.2019).
157 Kalb, Don 26.06.2018. HAU not: For David Graeber and
Ethnolog*innen und DGSKA in dieser internatio-
nalen Fachdebatte um akademische Prekarisie-
rung, strukturellen Machtmissbrauch, die perverse
Omnipotenz renommierter Wissenschaftsverlage
und das akzeptierte akademische Forschungsideal
als Karriere-Selbstvermarktung im triple peer re-
view nahezu unsichtbar? Ist es nicht die Ignoranz
gegenüber und das Herunterspielen genau dieser
Transformationen der akademisch-universitären
Welt, die ebenfalls implizit in den Geschichtsver-
gessenheits- und Mitläufer-Vorwürfen der Um-
benennungsgegner*innen mitschwingen? Wäre es
nicht ratsam, sich stattdessen mit den paar ver-
bliebenen aktiven Kräften im Fach, die den Status
quo nicht hinnehmen wollen und können zu soli-
darisieren? Und somit gemeinsam an einer Lösung
und Auswegen für das als ‚politisiert‘, ‚angelsäch-
sisch-mainstream‘ und ‚neoliberal‘ diffamierte und
zurückgewiesene Programm der Umbenennungs-
befürworter*innen zu arbeiten? Vielleicht genügt
ja schon ein ethnologisches Gedankenexperiment,
nur kurz die Möglichkeit zu zulassen und ‚den Un-
glauben zu beurlauben‘. Vielleicht folgt etwas Em-
pathie. Wäre es dahingehend nicht wirklich an der
Zeit, sich mit den Fragen einer schon längst ab-
geschlossenen Politisierung und Vermarktung der
Wissenschaft zu beschäftigen und den Fokus der
Debatte dahingehend anzupassen? Andernfalls
droht der beschworene Niedergang einer eigen-
ständigen deutschen Ethnologie-Tradition und
deren fehlende Relevanz und Unsichtbarkeit (be-
sonders auch für uns sog. early stage researcher)
in dieser ihm anhängenden, provinziell-nationalen
Perspektive und unangenehm fade schmeckenden
Deutschtümelei, eben diese am Ende ‚deutsche
Ethnologie‘ selbst zu überrollen.
Operation Ruhestörung
Souad Zeineddine
Wie bereits bei Thomas Widlok und Christoph
Lange angedeutet, hinterlässt die „sehr stark rück-
wärtsgewandte […] Suche nach einer reinen, es-
sentialistisch aufgefassten ‚Urform‘ hinter den ein-
the anthropological precariate, in: http://www.focaal-
blog.com/2018/06/26/don-kalb-hau-not-for-david-gra-
ber-and-the-anthropological-precariate/ (24.09.2019);
Kapferer, Bruce 09.07.2018. The Hau complicity: An event in the
crisis of anthropology, in: FocaalBlog, https://www.focaal-
blog.com/2018/07/09/bruce-kapferer-the-hau-complici-
ty-an-event-in-the-crisis-of-anthropology/ (24.09.2019).
75
zelnen Namen“ einen faden Beigeschmack.158 Die
sich selbst überbietenden fachhistorischen Beleh-
rungen in Kombination mit dem Sprachgebrauch
so manch eines Beitrags erinnern zum einen stark
an den von Latour beschriebenen „Krieg um Fak-
ten“ und zum anderen an den Rehabilitationsethos
der modernen Ethnologie des 20. Jahrhunderts.159
Nur das hier nicht, wie von Rottenburg darge-
stellt, die ehemals kolonialisierten Menschen re-
habilitiert werden sollen, sondern die vermeintlich
‚deutsche Ethnologie‘. Aber was genau soll eine
‚deutsche Ethnologie‘ sein? Was wird in den fach-
historischen Beiträgen unter Bezugnahme worauf
wie versucht zu rehabilitieren? Beim Lesen der
Autor*innen, die verkrampft auf der Suche nach
dem Stauffenberg der ‚deutschen Ethnologie‘ des
19./20. Jahrhunderts zu sein schienen,160 erhasch-
te ich nicht nur einen Blick auf den Geist Herders,
– der neben anderen Vertretern nicht nur von der
prinzipiellen Unterscheidung zwischen ‚Naturvöl-
kern‘ und ‚Kulturvölkern‘ ausging, sondern auch
dem deutschen Nationalismus den Weg bereite-
te.161 Aber wieso wird über die Suche nach dem
Stauffenberg der Ethnologie des 19./20. Jahrhun-
derts und im Überbieten von historischen Fakten
überhaupt versucht,162 eben diese Ethnologie zu
158 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Widlok, Thomas 15.05.2018. Teilnehmende Namensgebung,
29-30.
159 Latour, Bruno 2007. Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten
zu Dingen von Belangen. Zürich/Berlin: Diaphanes; Rotten-
burg, Richard 2013. Ethnologie und Kritik, in: Thomas Bier-
schenk, Matthias Krings & Carola Lentz (Hg.). Ethnologie im
21. Jahrhundert. Berlin: Reimer, 55-77; vgl. in der vorliegenden
Ausgabe der boasblogs papers: Haller, Dieter 17.04.2018. Die
Umbenennung: Moralisches Schulterklopfen und Geschichts-
vergessenheit, 14–18; vgl. in der vorliegenden Ausgabe der
boasblogs papers: Streck, Bernhard 08.05.2018. Die bereinigte
DGV, 27-29.
160 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Geisenhainer, Katja 12.06.2018. „…unsere Gesellschaft den
veränderten Verhältnissen anzupassen…“, 48-54; vgl. in der
vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers: Haller, Dieter
17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches Schulterklopfen
und Geschichtsvergessenheit, 14–18; Kohl, Karl-Heinz 2017.
Kollateralschäden. Eine Polemik, in: Wie weiter mit Humboldts
Erbe? Ethnographische Sammlungen neu denken, https://bo-
asblogs.org/de/humboldt/kollateralschaeden-eine-polemik/
(24.09.1019); Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs
papers: Streck, Bernhard 08.05.2018. Die bereinigte DGV, 27-29.
161 Gingrich, Andre 2005. The German-Speaking Countries,
in: Fredrik Barth, Robert Parkin, Andre Gingrich & Sydel
Silverman (Hg.). One Discipline, Four Ways. British, German,
French, and American Anthropology, 62-135.
162 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Widlok, Thomas 15.05.2018. Teilnehmende Namensgebung,
29-30.
rehabilitieren, wenn sie doch strukturell und kon-
zeptionell in großen Teilen der herderschen Kul-
turkreislehre anhängt? Wieso wird sich nicht mit
den Möglichkeiten einer Ethnologie_Sozial- und
Kulturanthropologie in Deutschland auseinander-
gesetzt, indem sich mit den Arbeiten rund um Fritz
Kramer und Hans Peter Duerr auseinandergesetzt
wird? Ist die Figur des als „fremd imaginierten kul-
turellen Anderen“ zu kompliziert zu denken oder
wieso wird heute noch von „Wildkulturen“ und
„Weltkulturen“ geschrieben?163 Streck bleibt immer
noch in den Dichotomien von „Weltkulturen“ und
„Wildkulturen“ verfangen, wenn er von einer von
den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehen-
den „angesagten Weltreinigung“ spekuliert, die die
gleichen „Wertvorstellungen, Versorgungsstan-
dards und Säuberungspraktiken“ überall auf der
Welt implementieren soll.164 Nicht nur in Strecks
Beitrag lassen sich latent verschwörungstheore-
tische Tendenzen, gepaart mit einer Portion Anti-
amerikanismus, herauslesen, auch Dieter Haller
moniert über die „neoliberale Anbiederei an den
angelsächsischen Zeitgeist“.165 Setzt mensch die
Lektüre des Haller-Beitrags fort, so ist diese zum
Haare raufen. „Die Zentralen Begriffe der Sozial-
anthropologie sind noch immer Auslese (Selektion)
und Siebung“. Ja, es gab eine faschistische Sozial-
anthropologie, dennoch bleibt auch hier die Frage,
wieso wird sich nur auf diese berufen? Wieso wird
dieses für wichtiger gehalten als alle anderen Tra-
ditionen der Sozial- und Kulturanthropologie?
Bedenklich sind auch die Stellen seines Beitrags
in denen er den Befürworter*innen der Umbenen-
nung „Gleichgültigkeit gegenüber faschistischen
Bezügen, ‚neoliberale(r) Anbiederei‘ an den angel-
sächsischen Zeitgeist, moralische Selbstüberhö-
hung und schlichte Wurschtigkeit“ vorwirft, um
dann lakonisch hinzuzufügen, dass der Zeitgeist
nun mal eben rechts weht. Dem setzt er noch ei-
nen oben drauf, in dem er der „getriebenen Mehr-
heit“ eine falsche politische Korrektheit vorwirft
und das bei „gleichzeitiger historischer Blindheit“.
163 Wellgraf, Stefan 2015. Die surrealistische Avantgarde.
Randguren der deutschen Ethnologie der 1970er und 1980er
Jahre, in: Katrin Amelang & Silvy Chakkalakal (Hg.). Abseitiges.
An den Rändern der Kulturanthropologie, Berliner Blätter 68:
54-68.
164 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Streck, Bernhard 08.05.2018. Die bereinigte DGV, 27-29.
165 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Haller, Dieter 17.04.2018. Die Umbenennung: Moralisches
Schulterklopfen und Geschichtsvergessenheit, 14–17.
Simon Holdermann, Christoph Lange, Julian Schmischke, Souad Zeineddine
76 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
Mit dieser Formulierung bewegt sich Haller nicht
nur in problematischen gesamtgesellschaftlichen
Diskursen. Vielmehr unterstellt er den Befürwor-
ter*innen, sie seien nicht genug informiert und
darüber hinaus fehle ihnen Rationalität und demo-
kratische Reife.
Sowohl Strecks latenten Antiamerikanismus,
als auch Hallers Vorwurf gegenüber den Befür-
worter*innen der Umbenennung, die im rechten
Zeitgeist mitschwimmen würden, halte ich für
sehr gefährlich, und frage mich zumindest bei Hal-
ler, ob er weiß, wessen Handwerk er da besorgt?
Der Duden jedenfalls deniert politische Korrekt-
heit als Einstellung, „die alle Ausdrucksweisen und
Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund
seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts,
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten so-
zialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen
Behinderung oder sexuellen Neigung diskrimi-
niert wird“.166 Zunächst einmal stellt sich die Fra-
ge, was eine falsche politische Korrektheit sein
soll, wenn damit Menschen attackiert werden,
die meines Erachtens tendenziell nach dem Prin-
zip der ‚korrekten‘ politischen Korrektheit agie-
ren? Der Vorwurf der politischen Korrektheit ist
eine Strategie der Delegitimierung von (queer)
feministischen, rassismuskritischen und (post-)
dekolonialen Wissensproduktionen und Inter-
ventionen, die dem konservativen bis rechtsideo-
logischen Diskursfeld entspringt.167 Hinzu kommt,
dass der Begriff der „politischen Korrektheit“ seit
den 1990er in Deutschland ein rechter Kampfbe-
166 Duden 2018. Eintrag zu Political Correctness. [Online].
167 Aby, Steve 1993. The political correctness debate: An Essay
Review. The Australian Journal of Education Studies 13 (2):
46-54.; Nicholas, Lucy & Christine Agius 2018. The Persistence
of Global Masculinism. Discourse, Gender and Neo-Colonial
Re-Articulations of Violence. Palgrave Macmillan.
griff ist.168 Hiermit möchte ich Dieter Haller nicht
direkt konservative oder gar rechtsideologische
Positionen unterstellen, aber doch auf das proble-
matische Diskursfeld hinweisen, in das er sich mit
dem Vorwurf hineinbegeben hat. Es ist aber nicht
nur Dieter Haller, der sich mit seinen Äußerun-
gen in problematischen Diskursfeldern bewegt. Im
Zuge meiner Auseinandersetzung mit den bisheri-
gen Beiträgen und den Autor*innen, bin ich über
ein von Bernhard Streck verfasstes Gutachten ge-
stoßen.169 In diesem Gutachten spricht Bernhard
Streck Wolfgang Gedeon – einen den Holocaust
leugnenden AfD-Politiker – von seinem Antisemi-
tismus frei.170 An dieser Stelle möchte ich Bernhard
Streck nicht direkt rechtsideologische Tendenzen
oder Sympathien mit antisemitischen Positionen
unterstellen. Nichtsdestotrotz hat mich schon al-
lein die Tatsache überrascht, dass ein Mensch, der
sich als Ethnologe bezeichnet, ein Gutachten für
einen Politiker angefertigt hat, der aufgrund sei-
ner rechtsextremen Positionen vor einem Aus-
schlussverfahren in seiner Partei steht, die selbst
rechtspopulistisch bis rechtsextrem einzustufen
ist. Und wenn wir in diesem Blog schon von dem
rechten Zeitgeist lesen, dann lasst uns über den
rechten Zeitgeist diskutieren und ihn sichtbar ma-
chen. In diesem Sinne und im Sinne der Operation
Ruhestörung wünsche ich mir mit Nachdruck eine
Kenntnisnahme des von Streck angefertigten Gut-
achtens und eine Stellungnahme hierzu aus der
‚deutschen Ethnologie‘.
168 Dietzsch, Martin & Anton Maegerle 1996. Kampfbe-
griff aller Rechten: „Political Correctness“, in: http://www.
diss-duisburg.de/Internetbibliothek/Artikel/Kampfbegriff.
htm (24.09.2019).
169 Vgl. in der vorliegenden Ausgabe der boasblogs papers:
Ege, Moritz 24.07.2018. Ich habe nichts gegen Sozial- und
KulturanthropologInnen, einige meiner besten FreundInnen
sind Sozial- und KulturanthropologInnen, 61-67.
170 Streck, Bernhard 2016. Gutachten zu Wolfgang Gedeon
„Christlich-europäische Leitkultur“ (3 Bde. Frankfurt/M. R. G.
Fischer 2009) unter besonderer Berücksichtigung der Antise-
mitismusfrage, in: http://www.wolfgang-gedeon.de/wp-con-
tent/uploads/2016/11/Gutachten_Prof_Streck_zu_Gedeon.
pdf (24.09.2019).
77
Thomas Bierschenk ist Professor für Kulturen und
Gesellschaften Afrikas am Institut für Ethnologie
und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-
Universität Mainz; http://www.ifeas.uni-mainz.
de/171.php; https://uni-mainz.academia.edu/
ThomasBierschenk; https://www.researchgate.
net/prole/Thomas_Bierschenk.
Hansjörg Dilger studierte und promovierte im
Fach Ethnologie und ist heute Professor für Sozial-
und Kulturanthropologie an der Freien Universität
Berlin. Zwischen 2005 und 2007 war er Assistant
Professor an der University of Florida mit einer Co-
Anstellung im Department of Anthropology und im
Center for African Studies. Von 2015 bis 2019 war
er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für
Sozial- und Kulturanthropologie e.V., die bis 2017
Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde e.V. hieß.
Bei Twitter: @h_dilger
Moritz Ege, Professor für Kulturanthropologie/
Europäische Ethnologie an der Universität Göttingen.
Veröffentlichungen u.a.: Tübingen/Birmingham.
Empirische Kulturwissenschaft und Cultural
Studies in den 1970er-Jahren, in: Historische An-
thropologie 22.2 (2014), S. 149-181; „Ein Proll mit
Klasse“. Mode, Popkultur und soziale Ungleichhei-
ten unter jungen Männern in Berlin, Frankfurt am
Main/New York: Campus, 2013; Schwarz werden.
Afroamerikanophilie in den 1960er- und 1970er
Jahren, Bielefeld: transcript, 2007. Stellvertretender
Sprecher der DFG-Forschergruppe Urbane Ethi-
ken. Konikte um ‚gute‘ und ‚richtige‘ städtische
Lebensführung im 20. und 21. Jahrhundert; Redak-
tionsmitglied der Historischen Anthropologie und
der Zeitschrift für Kulturwissenschaften.
Katja Geisenhainer forscht insbesondere zur Ge-
schichte der deutschsprachigen Ethnologie, mit
dem Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, speziell zur Ethnologie während der
Zeit des NS-Regimes: Dissertation zu Otto Reche
(publ. 2002); DFG-Projekt zu Marianne Schmidl
(publ. 2005), Lise-Meitner-Projekt (FWF) zu den
fachlichen Vernetzungen zwischen Wiener und
deutschen Völkerkundlerinnen und Völkerkund-
lern, 1933-1945 (im Druck bzw. in Vorbereitung).
Sie ist Autorin weiterer zahlreicher fachhistori-
scher Publikationen: https://www.vernetzungen.
net/deutsch/über-mich/
Dieter Haller lehrte Ethnologie an der New
School for Social Research in New York und an
der University of Texas (Austin) und unterrichtet
seit 2005 als Professor an der Ruhr Universität
Bochum. Er war Mitbegründer des Bochumer
Zentrums für Mittelmeerforschung. Er ist Autor
einer Einführung in die Ethnologie, einer bundes-
deutschen Fachgeschichte und mehrerer Mono-
graphien über seine Feldforschungen in Sevilla
(1980er), Gibraltar (1990er), Texas (2000er) und
Tanger (2010er).
Simon Holdermann ist Doktorand am Institut
für Ethnologie an der Universität zu Köln sowie
Kollegiat an der a.r.t.e.s. Graduate School. Er
arbeitet im Teilprojekt „Digitale Öffentlichkeiten
und gesellschaftliche Transformation im Magh-
reb“ des SFB 1187 „Medien der Kooperation“. Seine
thematischen Interessen umfassen Medien- und
Technikethnologie, sozio-ökonomischen Wandel
und Entwicklung, Tourismus, (Medien-)Ethno-
graphie, Praxistheorie und Postkolonialismus; mit
regionalem Fokus auf Nordafrika und den Mittel-
meerraum.
Christoph Lange ist Wissenschaftlicher Mitarbei-
ter am Institut für Ethnologie an der Universi-
tät zu Köln. Er promoviert zu „Genealogien und
Stammesgeschichten arabischer Pferde – Eine
vergleichende Netzwerkanalyse des transkultu-
rellen Milieus arabischer und westlicher Züchter,
Händler & Pferde-Liebhaber“. Seine Schwerpunkte
sind die Ethnologie des Nahen & Mittleren Ostens,
Repräsentationsdiskurse arabischer Beduinen,
kritischer Orientalismus, medienethnologische
Forschung, translokale Verechtungsgeschichte,
STS mit Fokus auf Multispecies-Ethnography/
human-animal-studies. E-Mail: c.lange[at]uni-ko-
eln.de
Carola Lentz ist Professorin für Ethnologie am
Institut für Ethnologie und Afrikastudien an der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Ende
der 1980er Jahre forscht sie in Ghana und Burkina
Faso zu Kolonialgeschichte, Arbeitsmigration, Bo-
Autor*innen
78 boasblogs papers 1 What’s in a Name?
denrecht, Ethnizität, Nationenbildung, Mittelklasse
und Erinnerungspolitik. Zu ihren neueren Buch-
veröffentlichungen gehören: Land, Mobility and Be-
longing in West Africa (Bloomington, IN 2013), von
der amerikanischen African Studies Association
mit dem Melville J. Herskovits-Preis ausgezeichnet,
und (gemeinsam mit David Lowe) Remembering
Independence (London 2018). 2011-15 war sie Vor-
sitzender der Deutschen Gesellschaft für Völker-
kunde. Seit Oktober 2018 ist sie Vizepräsidentin der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissen-
schaften. Am Wissenschaftskolleg zu Berlin, wo sie
derzeit Fellow ist, leitet sie die Fokusgruppe „Fami-
liengeschichte und sozialer Wandel in Westafrika“.
Richard Rottenburg ist Professor für Ethnologie
am Institut für Ethnologie und Philosophie der
Martin-Luther-Universität Halle und seit Januar
2019 Professor für Wissenschafts- und Technik-
studien (STS) am Wits Institute for Social and
Economic Research der University of Witwa-
tersrad, Johannesburg, Südafrika. In Halle hat er
das internationale Netzwerk „Law, Organization,
Science and Technology“ (LOST) gegründet. Er
untersucht Praktiken der Herstellung von Fakten
(Experiment, Test, Messung) und der Infrastruk-
turierung von Wissen, die gemeinsam Evidenzen
festigen und zirkulieren. Die Leitfrage der Unter-
suchungen richtet sich auf die Modi der Mobilisie-
rung von Evidenzen bei der Gestaltung und Kritik
verschiedener Szenarien von Zukunft.
Werner Schiffauer ist Prof. emeritus und
gegenwärtig Mercator Senior Fellow. Er war bis
2017 Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende
Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-
Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Seine For-
schungsschwerpunkte sind Migration, Fragen der
multikulturellen Gesellschaft, Entwicklungen im
Europäischen Islam und die Anthropologie von
Staatsapparaten. Er ist Vorsitzender des Rats für
Migration. Zuletzt ist von ihm erschienen: Nach
dem Islamismus. Die Islamische Gemeinde Milli
Görüş. Eine Ethnographie (Berlin 2010); (zusam-
men mit Anne Eilert und Marlene Rudloff) Schule,
Moschee, Elternhaus. Eine ethnologische Interven-
tion (Berlin 2015); So schaffen wir das. Eine Zivilge-
sellschaft im Aufbruch. 90 Projekte (Bielefeld 2017).
Julian Schmischke ist Wissenschaftlicher Mit-
arbeiter am Global South Studies Center (GSSC) an
der Universität zu Köln. Er studierte zuletzt in Köln
den 1-Fach Master Ethnologie mit Schwerpunkten
auf Globalisierung und Sozioökoomie, ergänzt um
das Research Master Programm der a.r.t.e.s. Gra-
duate School for the Humanities Cologne. Seine
Masterarbeit „Practices of Development Work:
Cooperation, Transformation and Expertise in an
Indian NGO“ basiert auf einem Feldforschungsauf-
enthalt in Neu-Delhi und Kolkata. Er interessiert
sich für Expert*innen, Communities of Practice,
Organisationen, Entwicklungszusammenarbeit, das
Verhältnis von Ethnologie und Kritik sowie die
Praxistheoriebewegung. E-Mail: julian.schmischke
[at]uni-koeln.de
Peter Schröder ist Professor Associado im Gra-
duate Program for Anthropology (PPGA/Pós-Gra-
duação em Antropologia) des Departamento de
Antropologia e Museologia (DAM) der Universidade
Federal de Pernambuco (UFPE) in Recife, Brasilien.
Seine Forschungsinteressen sind indigene Gesell-
schaften in den südamerikanischen Tieändern,
Entwicklungsethnologie, Wirtschaftsethnologie
sowie die Geschichte der Ethnologie (vor allem die
Beziehungen der brasilianischen zur deutschen
Ethnologie). Weitere Informationen unter <https://
www.ufpe.br/ppga/corpo-docente>.
Bernhard Streck, Jahrgang 1945, war bis 2010
Professor der Universität Leipzig und Leiter des
dortigen Instituts für Ethnologie. Seine zahlrei-
chen Veröffentlichungen betreffen Kulturtheorie,
Ideengeschichte, Ethnographie Nordostafrikas
und Tsiganologie. Er ist Mitglied der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften und der Frobeni-
us-Gesellschaft Frankfurt am Main.
Han F. Vermeulen studierte culturele antropologie
und promovierte an der Fakultät der Sozialwis-
senschaften der Universität Leiden, Niederlande.
Er ist assoziiert am Max-Planck-Institut für eth-
nologische Forschung/Max Planck Institute for
Social Anthropology in Halle (Saale) und forscht
seit 1982 über die Geschichte der Ethnographie,
Ethnologie und Anthropologie. Sein letztes Buch
Before Boas: The Genesis of Ethnography and Ethno-
logy in the German Enlightenment wurde von der
Süddeutschen Zeitung zu den wichtigsten Büchern
des Jahres 2016 gerechnet und von der Interna-
tional Convention of Asia Scholars mit dem ICAS
Book Prize 2017 Social Sciences ausgezeichnet.
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Thomas Widlok arbeitet derzeit auf der Professur
„Kulturanthropologie Afrikas“ an der Universität
zu Köln (Institut für Afrikanistik und Ägyptolo-
gie). In Köln ist er Sprecher des Kompetenzfeldes
„Kulturen und Gesellschaften im Wandel“ und im
Vorstand des „Global South Studies Center. Zu
seinen neuesten Publikation gehören Anthropo-
logy and the Economics of Sharing (London 2017)
sowie Wir Staatsmenschen (Köln 2017).
Souad Zeineddine ist Marie Skłodowska-Curie
Fellow an der a.r.t.e.s. Graduate School for the
Humanities Cologne. Im Rahmen des Program-
mes a.r.t.e.s EUmanities global promoviert Souad
Zeineddine aus einer dekolonialen Perspektive
zu Fragen von Standardisierung, Regulierung und
Infrastrukturierung in Hinblick auf die Hafeninf-
rastrukturen von Durban, Südafrika. Nach ihrem
Masterstudium der Transkulturellen Studien (Uni-
versität Bremen) erhielt sie ein Brückenstipendium
der Forschungsverbundinitiative Worlds of Con-
tradiction der Universität Bremen. Des Weiteren
ist sie weiterhin mit der WoC-Verbundinitiative,
Autor*innen
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