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Die Modulare Struktur des Emotionssystems

Authors:

Abstract and Figures

Ausgehend vom gegenwärtigen Stand der Emotionsforschung werden sechs relativ unabhängige Subsysteme des emotionalen Prozesses vorgestellt. Das Zusammenspiel dieser einzelnen Bausteine im dyadischen Regulierungsgeschehen wird aufgezeigt und anhand von Phänomenen wie Introjektion, Projektion, projektive Identifikation etc. ausgeführt. Da der Informationstransfer zwischen den Subsystemen relativ niedrig ist, ist davon auszugehen, dass sich nur ein geringer Prozentsatz der Prozesse in den verschiedenen Modulen bewusst abläuft. Diese grundsätzliche und sehr ökonomische Form der Unbewusstheit wird nur störend, wenn der Informationstransfer von einem Modul zum anderen prinzipiell unmöglich ist. Dann bildet sich in einem der emotionalen Subsysteme eine eigene emotionale Welt, die unkontrolliert und ungewollt Einfluss auf die anderen gewinnt. Referring to actual findings in emotions research the author introduces six partly indepent subsystems of the emotional process. The interplay of these modules in dyadic situations is shown and elaborated by re-conceptualising phenomena like introjection, projection, projective identification etc. Due to the low rate of information transfer between the subsystems it is assumed, that only a small percentage of the processes in the different moduls become conscious. This unconsciousness is considered to be very economic, only developing disturbances, if transfer from one module to the other is generally impossible. Than in one of the emotional subsystems an own emotional world emerges that unwillingly and without control influences the others.
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W as ist unbew usst an affektiven Prozessen ?
12. Münsteraner Sym posium
Unbekannte Gedanken –U ngeahnte Gefühle
Prof. D r. Rainer K rause
Lehrstuhl für klinische Psychologie und Psychotherapie
U niversität des Saarlandes
Erscheint in Gruppenpsychotherapeut
Die Modulare Struktur des Emotionssystems
Wir werden von den Emotionstheorien und der Emotionsforschung ausgehen
und deren Befunde systematisch darauf befragen was an den Affekten bewusst
und was unbewusst ist.
In der experimentell, aber auch der verhaltenstherapeutisch ausgerichteten
Emotionspsychologie werden im Allgemeinen drei Subsysteme des emotionalen
Geschehens unterschieden, nämlich das Subjektive, das was wir erleben, das
Motorische, das was wir tun und das Physiologische, die körperlichen,
hormonellen Vorgänge. Die Physiologie gilt im allgemeinen nicht unbedingt als
bewusstseinsfähig, die Motorik nur beschränkt. Von daher muss es einen nicht
verwundern, dass die Daten der verschiedenen Meßebenen nicht korrelieren.
Auf gruppenstatistischem Niveau ist der Zusammenhang zwischen Ausdruck im
Gesicht und dem Erleben, wie es durch Fragebögen festgestellt wird, in
dyadischen sozialen Interaktionen von Gesunden niedrig. Die Korrelationswerte
unserer Untersuchungen liegen bei durchschnittlich 0.20 (Hufnagel, Steimer-
Krause, Krause, 1991. Schließlich gibt es eine Reihe von Wahrnehmungs- und
Körpervorgängen emotionaler Art die mit dieser Dreiteilung nicht abdeckbar
sein. Die klinisch orientierten Forscher, haben mittlerweile sechs verschiedene
Subsysteme, die relativ unabhängig voneinander, in einer Parallelverarbeitung
1
agieren, beschrieben. Wegen der hohen Eigenständigkeit werden sie Module
genannt (Krause 1997).
Abbildung 1
Münster Gruppentherapie
Die sechs Module
Ein motorisch expressives Modul, das in der Körperperipherie (beispielsweise
dem Gesicht oder der Stimme) einen begrenzten Satz kulturinvarianter be-
deutungstragender Zeichen mobilisiert. Die Zeichen symbolisieren Freude, Neu-
gier/ Überraschung auf der hedonischen Seite und Ekel, Ärger, Trauer,
Verachtung auf der anhedonischen Seite. In der Abbildung 2 bis 8 sind die von
Ekman (1992) und anderen gefundenen prototypischen Zeichen der
Gesichtsmimik dargestellt.
Abbildung 2 - 8
2
3
Münster Gruppentherapie
Überraschung
Münster Gruppentherapie
Freude
Ekel
Münster Gruppentherapie
Ärger
Verachtung
Münster Gruppentherapie
Trauer
4
Münster Gruppentherapie
Für die Stimme findet man zusätzlich weitere Muster, die die zeitliche
Organisation von affektiven Prozessen besser abbilden wie Langeweile,
Desinteresse. Die Zeichen und die Fähigkeit sie „lesen“ zu können sind in der
Phylogenese parallel zu den später zu besprechenden biologischen
Bewertungsprozessen entwickelt worden. Die in dieser Koevolution enthaltene
Zoosemantik ist empirisch wie folgt untermauert: Die Attribuierungen durch
Außenstehende in welchem affektiven Bewertungsprozess der
Ausdrucksproduzent ist übersteigt kulturunabhängig bei weitem jede zufällige
Zuordnung. 98 % aller Interpretanden eines Gesichts das die Mundwinkel nach
oben zieht und die Augen zusammenkneift und mit Falten versieht (Abb.2),
meinen dieser Zeichenträger sei mit einem Objekt zugange das ihm Freude
bereite. Die Schlussfolgerung, dass der Zeichenträger sich tatsächlich so fühlt ist
nicht möglich. Sie ist sehr oft falsch, wenngleich es eine naheliegende erste
Heuristik ist.
Ein physiologisches Modul das die emotionale Reaktion hinsichtlich der
Intensität der Erregung steuert. Dies geschieht vorwiegend durch die
Aktivierung des sympathischen Teils des autonomen Nervensystems. So findet
5
sich häufig ein linearer Zusammenhang zwischen der Hautleitfähigkeitsreaktion
und dem Erregungswert von Reizen. Dies muss allerdings keineswegs bewusst
abgebildet sein, sodass die physiologischen Parameter häufig zur Erfassung
unbewusster emotionaler Aktivierungen benutzt werden. Ob und inwieweit
andere Affekte spezifische psychophysiologische Aktivierungen beispielsweise
des Blutdrucks, der Herzrate, des Schlagvolumens, der Gesichtstemperatur, der
Atemfrequenz beinhaltet ist noch ungeklärt, weil die Zusammenhänge je nach
der Aktivierungsbedingung in der Phantasie, Real-Life oder direkte motorische
Aktivierung zu Recht unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die Mehrzahl der
Studien zeigt allerdings, dass die Herzrate und der systolische Blutdruck bei
Angst und Ärger zunimmt. Zunahmen im diastolischen Blutdruck und im
peripheren Widerstand zeigen recht konsistent eine spezifische vaskuläre
Ärgerreaktion an, die aber nicht von einer kompensatorischen Reduktion des
Herzminutenvolumens begleitet ist. Insgesamt nimmt man an, dass es sich um
mit den Relevanzentscheiden verbundene physiologische Bereitstellungs- und
Sicherstellungsreaktionen handelt. Beispielsweise eine Blutumverteilung von
der Peripherie weg hin zu den lebenswichtigen Organen. Andere Handlungen
werden vorbereitet im Sinne einer raschen Mobilisierung von Angriffs-, Flucht-,
Ausscheidungs- oder Fortpflanzungsreaktionen. Solche Reaktionen werden nur
teilweise bewusst abgebildet. Es gibt Möglichkeiten das Wissen zu erhöhen was
unter Interozeption behandelt wird. Wenn habituell nur physiologische
Reaktionen statt des Erlebens auftreten, spricht man in der Klinik von
Affektäquivalenten. Sie werden im allgemeinen als Risikofaktoren für
körperliche und seelische Erkrankungen betrachtet, weil die
Steuerungsmöglichkeit für die emotionalen Prozesse erniedrigt wird. Man
könnte von einem Agieren in den Körper hinein sprechen. Alexithymie als
emotionale Blindheit kann in diesem Umfeld diskutiert werden. Die
Neurophysiologie der Emotionen wie sie sich im Gehirn abspielt, kann man den
Arbeiten von LeDoux (1998) entnehmen.
6
Abbildung 9: (aus Bierbaumer)
Abbildung 9
Münster Gruppentherapie
Verarbeitungswege negativer Emotionaler Reize
(nach LeDoux)
Der laterale Kern der Amygdala (LATAMYG) erhält Informationen aus den
sensorischen Kernen des Thalamus (1) und Neokortex (2), aber auch aus
höheren neokortikalen Assoziationsregionen (3) und dem Hippokampus (4).
Während der Furchtkonditionierung verarbeitet die Amygdala parallel die
Eingänge aus diesen verschiedenen Kanälen. Bei einfachen Hinweisreizen
(CS), die keine Diskrimination erfordern, kann die Konditionierung schon
über (1) erfolgen, (2) ist aber bereits notwendig, wenn zwei Reize
unterschieden werden müssen (CS+ und CS"). Die Verbindung 4 wird dann
notwendig, wenn Furchtkonditionierung auf Reizkontexte mit vielen
Reizelementen erfolgen soll. (3) vom medialen präfrontalen Kortex zur
Amygdala wird bei Extinktion gebraucht. Innerhalb der Amygdala wird die
Information zum lateralen über den basolateralen (BL) und basomedialen
(BM) zum zentralen Kern (ACE) geleitet; die Aktivierung des ACE erzeugt
dann die spezifische emotionale Reaktion auf allen Ebenen. Das ist das best
untersuchte System, das wir heute kennen. Eigentlich ist das nur bestätigt für
Angstkonditionierungen mit akkustischen Reizen. Wir wissen nicht, ob das
7
auch für andere Affekte wie Ekel zutrifft. Aber die zentrale Idee, und die hat
sehr viel mit dem Unbewussten zu tun, ist, dass die Information die über Bahn
1 die Amygdala erreicht, nicht bewusstseinsfähig ist. Man kann über sie in
einer Art Blitzaktion ohne die höheren zentralnervösen Funktionen Emotionen
bekommen. So dass man annimmt, dass wesentliche Konditionierungen
affektiver Prozesse über diese Schaltung laufen. Wir haben mindestens zwei
Systeme mit unterschiedlichem Auflösungsvermögen in bezug auf die Reize,
es gibt ein schnelles, wenn sie so wollen phylogenetisch sehr altes,
biologisches Notfallsystem, das ohne höhere Verarbeitung funktionieren muss.
Dein Problem besteht darin, dass es schwierig ist eine Dekonditionierung von
etwas, von dem man eigentlich nicht weiß, was es ist zu erzielen.
Schließlich haben wir affektive motorische Intentionsbewegungen. Sie haben
keine über die Bewegung hinausgehende Bedeutung. Das Lachen des Gesichts
hat eine aus der Phylogenese der Art stammende zoosemantische Bedeutung –
wie komm näher , Du bist willkommen. Für die Intentionsbewegungen gilt dies
nicht. Sie erklären sich als Teil einer umfassenden Handlung. Ein Beispiel findet
man bei Darwin (2000, 1872).
Abbildung 10
8
Münster Gruppentherapie
Modul 3 Intentionsbewegungen
.
„ Ein indignierter Mensch, welcher verärgert ist und sich einem Unrecht nicht
unterwerfen will, seinen Kopf aufrecht trägt, seine Schultern zurückwirft und
seine Brust ausdehnt. Er ballt häufig seine Fäuste und bringt einen oder beide
Arme in die Höhe zum Angriff oder zur Verteidigung wobei die Muskeln seiner
Gliedmaßen steif sind. Er runzelt die Stirn, d.h. er zieht seine Augenbrauen
zusammen und senkt sie und da er entschlossen ist, schließt er seinen Mund“
(Darwin, S.305, dt.Ausgabe,2000). Er meint, die Handlungen und Stellungen
eines hilflosen Menschen seien in jedem einzelnen dieser Punkte genau das
Umgekehrte (siehe Abb. 10 aus Darwin, S. 296 ). Die Experten die sich über die
Bedeutung der Körpersprache auslassen, orientieren sich im allgemeinen an
solchen Miniaturformen des Handelns die unbewusst ablaufen.
Alle diese Phänomene sind solche des Körpers und nicht notwendigerweise auf
eine bewusste Repräsentation angelegt.
Die affektive Situationswahrnehmung ist ein explizites
Bewusstseinsphänomen. Hier wird der affektive Prozess als Episode mit dem
Erlebenden als Subjekt, einem mit ihm verbundenen Objekt und einer
spezifischen Interaktion zwischen beiden abgebildet. Die verschiedenen Affekte,
wie beispielsweise Wut, Trauer, Angst, Scham, können auch durch eine
spezifische situative kognitive Bedeutung der Beziehung zwischen Subjekt und
Objekt beschrieben werden. Die theoretische Vorstellung einer begrenzten
Anzahl von Emotionen ist deckungsgleich mit einer begrenzten Anzahl häufig
wiederkehrender universell anzutreffender Bewertungsprozesse und den mit
Ihnen verbundenen Reaktionsmustern. Jede einzelne Emotion kann in bezug auf
die in Ihr enthaltenen Relevanzentscheide, Bewertungsprozesse beschrieben
werden. Hier soll es genügen dass es sich dabei psychoanalytisch gesprochen
um den Basissatz an Objektbeziehungen handelt der das menschliche Leben
ausmacht. Für die grundlegenden Situationen des menschlichen Lebens gibt es
9
prototypische Objektbeziehungen. In anderen Theorien werden sie
Kernbeziehungen genannt. So bei Lazarus (1991).
Abbildung 11
Mit den Emotionen verbundene
Kernbeziehungsthemata
Wut- Ein schwerwiegender ungerechter Angriff gegen
mich und /oder die Meinen
Panik Konfrontation mit einer existentiellen Bedroh-
ung beispielsweise Verlust des Objekts
Angst Das Objekt bedroht mich und ich bin ihm
unterlegen
Trauer Suche nach einem wichtigen verlorenen
Objekt
Ekel Ausstoßung eines giftigen Objektes aus dem
Bereich des Subjektes
Diese Episodenwahrnehmungen sind ebenfalls kulturinvariant (Riedl, 1981).
Frijda (1996) nennt diese Wahrnehmungen protokognitiv, weil sie keine
bewussten rationalen Leistungen darstellen. „Das Verspüren von Angst ist eine
vorrationale Weise zu sagen: Dieses Objekt kann mir gefährlich werden. Die
Gefühle sind weder prä- noch postkognitiv, sie sind selbst kognitiv" (Bischof,
1987, S. 195). In dieser episodenhaften Grundstruktur ist das Subjekt mit einem
Objekt in einer Szene verknüpft, in der eine emotionsspezifische Interaktion
stattfindet. Beispielsweise ist die invariante protokognitive Struktur der Wut die,
dass ein intentional handelndes Subjekt von einem Objekt in der Realisierung
einer als wichtig eingeschätzten Intention als behindernd erlebt wird und das
Subjekt sich dem Objekt bei der Wahrnehmung dieser Behinderung gleichwertig
oder überlegen fühlt. Fühlt sich das Subjekt unterlegen, kommt es zur Aufgabe
der Intention und Angst, die aber bei einem Wechsel der
Unterlegenheitseinschätzung sehr leicht in offene Wut umschlagen kann. Bei
10
Angst entsteht ein Episodenraum, in dem das Subjekt das Objekt als bedrohlich
und überlegen erlebt, und die Interaktionstendenz ist entweder Flucht oder
Verstecken. Die Trauer hat in mancher Hinsicht eine Sonderfunktion, als in der
mentalen Episodenstruktur das Objekt nicht gegenwärtig ist, sondern erinnert
wird. Der Trauerruf bildet die phylogenetische Intention des Herbeirufens eines
benevolenten wichtigen, im Moment verlorenen Objektes ab. Jede Emotion
entwickelt sich aus einem spezifischen Drehbuch über eine Beziehung zwischen
einer Person und ihrer Umgebung (Krause 1990). Parallel zu diesen
Bewertungsprozessen haben sich die im ersten Modul erwähnten motorisch
expressiven Zeichen entwickelt. Sie erlauben Rückschlüsse auf die
Intentionalität des Zeichengebers bzw. seine Bewertungsreaktion die Objektwelt
betreffend. In diesem Fall hat das Zeichen eine Indexfunktion, d.h. der
Angstschrei informiert die anderen über eine Gefahr so wie sie der Zeichengeber
einschätzt. Gleichzeitig hat es eine Indikatorfunktion, als Hinweis auf den
inneren Zustand des Zeichengebers. Der Zusammenhang zwischen Zeichen und
der aktivierten Urintentionalität ist in der Phylogenese entstanden. So scheint
das Hochziehen der Mundwinkel, das Zeigen der Zähne und die Atmung des
Lachens das Relikt einer Aggressionshandlung die nun in einen Spielkontext
eingebettet wurde. Tatsächlich ist die Auflösung einer aggressiven oft
unbewussten Spannung der häufigste Lachauslöser. Zwischen das Zeichen und
die Urintention schieben sich alle möglichen kognitiven und sozialen
Regulierungsvorgänge als da sind Höflichkeit, Täuschung als zwei von vielen
möglichen Gefühlsregeln, auf die wir später zu sprechen kommen.
Schließlich gibt es eine Sprache über die Emotionen
Hier wird eines der anderen Module sprachlich benannt und so der betreffende
emotionale Prozess charakterisiert. Man findet in den indogermanischen
Sprachen ca. 500 emotionsspezifizierende Worte (Davitz, 1969) die man
empirisch ordnen kann. In der sprachlichen Kennzeichnung der Affekte findet
man stets drei Metadimensionen die als Valenz ( angenehm – unangenehm),
11
Aktivität (erregend – beruhigend) Potenz ( stark –schwach ) gekennzeichnet
werden können. Freilich gibt es sprachimmanente, linguistische Emotionale
Indikatoren auf die ich hier nicht eingehen werde.
Die emotionalen Verschaltungen in der Dyade.
Was bis jetzt besprochen wurde bezog sich auf eine Person. In der folgenden
Abbildung ist das geschehen auf zwei Personen ausgebaut.
Abbildung 12
Münster Gruppentherapie
Wir haben eine Verbindung zwischen den motorisch expressiven Modulen der
beiden Personen A und B. das heißt, wenn einer ein bestimmtes Zeichen macht,
stimmlich oder mimisch dann hat das erheblichen Einfluss auf das, was der
andere macht. Das nennt man Affektansteckung oder ideomotorisches Prinzip.
Affekte sind ansteckend. Und zwar auf der motorischen Ebene. Dann haben wir
natürlich einen Zusammenhang zwischen dem motorisch expressiven Modul
von der Person A und der Situationswahrnehmung von der Person B. Wenn der
Ärger zeigt, dann hat es einen hohen spezifischen Einfluss darauf wie B die
Situation wahrnimmt.
12
Was wichtig ist, ist, dass alle diese Zusammenhänge sind außerordentlich
flexibel und ändern sich in Abhängigkeit von der Situation und von der Person.
Das heißt, wenn Sie in einen Zustand von großer Wut reingeraten, ist die
Verschaltung von diesen verschiedenen Modulen ganz anders, als wenn Sie in
einem Zustand von leichter Erregung drin sind Wenn man überhaupt eine
Gesetzesaussage machen will, kann man sie so formulieren, dass bei Gesunden
die affektiven Austauschprozesse zwischen zwei Personen in etwa so
aufgeschlüsselt werden können: ein Drittel der Varianz der emotionalen
Reaktionen stammt vom Partner, ein Drittel aus dem Innenbereich des
Affektproduzenten und ein Drittel aus der sozialen Situationsdefinition – ob es
sich beispielsweise um eine Liebes- oder Streitsituation handelt. (Krause 1981)
Im Zusammenhang mit der uns interessierenden Psychopathologie ist von
Bedeutung, dass diese Varianzanteile sich unter dem Einfluss des
Krankheitsgeschehens radikal verändern, und zwar dahingehend, dass der
Varianzanteil des Partners für das emotionale Geschehen minimiert wird, das
heißt das gesamte Geschehen wird durch den Kranken determiniert (Krause
1981, 1997, 1998). In manchen sehr schweren Störungsfällen vor allem bei
schizophrenen Psychosen kann man 80% des Gefühlserlebens des Patienten
aufgrund der Mimik seines Partners vorhersagen.
Abbildung 13
13
Münster Gruppentherapie
Intersubjektives Feld
Affektinduktion
Projektion
Introjektion
Projektive
Identifikation
Selbstbeschreibung heißt wie erlebt A. sich selbst in der Situation.
Fremdbeschreibung wie meint A., dass B. sich erlebt? Der Zusammenhang
zwischen dessen affektivem Ausdruck, in dem Fall der Mimik, und der
Selbstbeschreibung wird Kongruenz genannt. Das heißt, wenn ich viel Ärger
zeige, dann würde ich mich als ärgerlich beschreiben. In Alltagssituationen
findet man keine Kongruenz. Die Korrelationen liegen bei .20. Wir finden sie in
gewissem Ausmaß bei der Freude aber bei den negativen Emotionen finden wir
sie nicht. Dann gibt es etwas, das ich implantierte Übertragungen genannt habe.
Das würde heißen, der B. beschreibt sich selbst in Abhängigkeit von dem, was
A. zeigt. Das haben wir in sehr starkem Ausmaß beispielsweise bei
Schizophrenen. Da kann man zu 80% vorhersagen, wie die sich selbst
beschreiben, wenn man die Mimik des anderen als Prädiktor nimmt. Wie der
Patient sich fühlt ist über die Mimik des anderen gesteuert, aber ohne dass er
dies weiß.
In der Projektion beschreibt B. den A. nach Maßgabe seines eigenen affektiven
Ausdrucks. Also er zeige ganz viel Ärger, sage aber, der andere habe sich
geärgert. Wieder natürlich mit der Zusatzannahme, ich mache keine Aussagen
über meine Selbsturheberschaft. Und dann hätte man so etwas wie Empathie.
Das wäre also, A. beschreibt den B. in hoher Übereinstimmung mit dem, was B.
zeigt. Und dann haben wir Validität, das sind aber rein kognitive Prozesse. Das
heißt, Fremdbeschreibung stimmt überein mit der Selbstbeschreibung. Und dann
haben wir so was wie Ähnlichkeit. Das heißt, der A beschreibt sich selbst so wie
er seinen Partner beschreibt.
Es gibt natürlich in diesem System Schlaufen die mehrfach durchlaufen werden
können. Eine gut untersuchte ist die projektive Identifikation:
14
Abbildung 14
tif
V
ei
H
de
i
Abbildung 15
M üns ter G rup penth erap ie
Projektive Iden ikation
erbindung von Verleugung der Selbsturheberschaft
nes unerträglichen G efühlserlebens, Projektion auf den
andlungspartner und gleichzeitige Manipulation
desselben in diesen Zustand. Anschließende Introjektion
r solchermaßen veränderten Figur. Abw ehrkonstellation
n Psychosen und Borderlinepatienten.
Wichtig ist im Zusammenhang mit den unbewussten Prozessen und der
Psychopathologie, dass bei Interaktionen gesunder Personen die benutzten Pfade
sehr häufig wechseln, das heißt mal projizieren sie relativ heftig, dann lassen sie
sich von der implantierten Übertragung, beeinflussen und sind dann wieder sehr
empathisch. Das hängt von der Situation und dem Partner ab. Sobald eine
Person mit einer psychischen Störung hinzukommt ändert sich unbewusst unter
dem Einfluss des Krankheitsgeschehens dieser Prozesse radikal dahingehend,
dass der Varianzanteil des Partners für das emotionale Geschehen minimiert
wird, das heißt, das gesamte Geschehen wird durch den Kranken determiniert.
Abbildung 15
Münster Gruppentherapie
15
In Abbildung 15 ist die Häufigkeit von mimischen Mustern, wenn zwei
Personen miteinander sprechen zu sehen, die sich noch nie gesehen haben. Die
Gesunden untereinander zeigen relativ viel affektive Mimik. Die Schizophrenen
und die psychosomatischen Colitis-Ulcerosa-Patienten wenig. Die Gesunden,
die mit den Kranken sprechen, ohne dass sie wissen, dass die Kranken krank
sind, passen sich an deren Niveau an, das heißt, Sie haben auf dem körperlichen
Niveau im affektiven Bereich, eine hohe Form von Ansteckung. Wenn diese
Art von körperlichen Prozessen stattfindet, dann ändert sich der gesamte innere
Aufbau der restlichen Module.
Die drei möglichen Kontexte der affektiven Zeichen
Die Beziehung zwischen dem Ausdruck im Gesicht, aber auch in der Stimme,
und dem Erleben, dem subjektiven Erleben, ist bei Gesunden sehr niedrig ist.
Der Grund für dieses verblüffende Ergebnis liegt darin, dass das affektive
Zeichen sich gar nicht auf das Selbst bezieht, sondern auf den kognitiven Inhalt
über den er nachdenkt und spricht.
Abbildung 16
Münster Gruppentherapie
16
Denn wie in Abbildung 16 dargestellt gibt es drei mögliche Referenzpunkte für
das affektive Zeichen Z. Das Selbst, den Empfänger oder ein mentales Objekt
des Zeichengebers. Das heißt, wenn man ein ärgerliches Gesicht sieht, weiß man
ohne Kontext nicht, ist er ärgerlich (Symptom ) oder, simuliert er den Ausdruck
um seinen Empfänger in einen bestimmten Zustand zu bringen (Appell) . Das
kann man gut machen. Kinder lernen das auch schon relativ früh. Das Dritte,
und das das Häufigste ist, dieses Zeichen bezieht sich weder auf die Interaktion,
noch auf den Zustand des Senders, sondern ist ein Kommentar über das, was er
denkt. Das heißt, da sitzen zwei zusammen und reden miteinander, und zeigen
viel Ärger und Verachtung. Hinterher sagen sie, also so gut habe ich mich schon
lange nicht mehr unterhalten und verstanden. Die Verachtung bezog sich auf die
mentalen Objekte über die sie sprachen. Es gab einen nonverbalen Konsens,
dass keines dieser Zeichen, die auftauchen, dem anderen galt, oder indikativ für
den Zustand des Selbst war.
Also das heißt, beide haben über einen gemeinsamen Feind gesprochen und
damit einen gemeinsamen mentalen Raum aufgebaut auf den sich die Zeichen
bezogen haben. Das führt dazu, dass die Gesunden sehr viel mehr negative
Affekte zeigen als die Kranken. Bei den frühen Störungen fehlt diese mentale
Relation. Das heißt, da sind die Affekte indikativ für den Zustand des Senders
und so wird es auch erlebt.
Die meisten Forscher sind sich einig, dass das Emotionssystem modular
organisiert ist (Lewis & Granic 2000). Darunter versteht man dass dieselben
über weite Strecken unabhängig von einander funktionieren. Und das ist der
Normalfall. Das heißt, wenn wir mit jemandem reden und interagieren, ist das,
was wir beispielsweise affektiv mimisch tun, relativ entkoppelt von dem, was
wir fühlen. Das hat viel mehr zu tun mit dem, was der andere macht, als das was
wir fühlen. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass ein hoher Prozentsatz von
dem was man im expressiven affektiven Bereich tut nicht gewusst wird. Das
heißt, wir haben kein eingebautes Feedbacksystem ins Bewusstsein über diese
17
Prozesse. Und das ist gut so. Denn wenn wir das hätten, ging es uns wie dem
Tausendfüßler. Wenn wir nicht in eine sehr gravierende Situation kommen, also
wo es wirklich eine Notfallreaktion gibt, ist die Physiologie weitgehend von
dem kognitiven Anteil der Emotionen und von der Expression entkoppelt. Es
gibt schnelle und langsame Evaluierungsprozesse. Ein großer Teil
beispielsweise von dem, was motorisch-expressiv, ist extrem schnell. Das heißt,
da haben wir überhaupt keine bewussten Zugriffsmöglichkeiten. Sie können
hinterher sagen, ich habe mich so und so und so gefühlt, aber warum wissen sie
nicht. Auch erfahrene Therapeuten, werden nicht in der Lage sein, diese Gefühle
zu dem, was sie gemacht haben zuzuordnen.
Die schnellen Prozesse benutzen das im Emotionssystem eingebaute
phylogenetische Wissen über für uns Menschen relevante Situationen
hinsichtlich Gefahren und Beziehungen. Die langsamen Prozesse sind eher
kognitiv und greifen auf das im Verlauf des Lebens erworbene Wissen zurück.
Und die schnellen Prozesse laufen im allgemeinen unwillkürlich und unbewusst
ab.
Dass alle Module in Phase geraten ist ein Sonderfall, der in extremen Notlagen
aktiviert wird. Dann kommt die Physiologie in Übereinstimmung mit dem
Kognitiven, mit dem Ausdruck und mit der Intentionsbewegung. Aber dann ist
es schon keine Emotion mehr. Denn dann sind wir in einer Instinkthandlung
sehr nahe und es wird geprügelt oder gebissen.
Was ist unbewusst an den affektiven Prozessen ?
Zur Aufhellung der Bedeutungslandschaften die mit den Begriffen bewusst und
unbewusst verbunden sind, werde ich zunächst auf die Substantivierung des
Unbewussten verzichten. Wenn eine solche vorgeschlagen wird, ist das
sogenannte dynamische Unbewusste gemeint. Das wären Sachverhalte,
Informationen die im Prinzip oder eigentlich gewusst werden könnten oder gar
gewusst werden sollten, aber dieses Wissen ist nicht vorhanden.
18
Abbildung 17
Münster Gruppentherapie
Grad an Intentionalität:
Ein Geschehen, eine Handlung kann mehr oder weniger
intendiert sein. Der Extremfall wäre: eine scheinbar eindeutige
Intention wird nicht realisiert sondern etwas scheinbar ganz
anderes. Ein Stotterer meldet sich in einer Diskussion zu Wort,
zu seiner freudigen Überraschung spricht er ganz flüssig. Er
stellt während der Rede fest, dass er etwas ganz anderes gesagt
hatte als er vorhatte. Es gibt Übergangsphänomene: man will
freundlich sein, aber irgendwie passiert etwas anderes. Fragen
sind hier: wie viele Intentionen kann man gleichzeitig
realisieren und sind dieselben mit einander vereinbar? Von
unbewussten Intentionen, und da schließe ich auch Triebziele
und affektive Kernbeziehungsthemen ein, muss man
vernünftigerweise sprechen.
Das heißt die seelische Repräsentation des Sachverhaltes war einmal da gewesen
oder sollte nach Meinung der Fachleute da sein und ist es gleichwohl nicht. Es
gibt nun eine Reihe von Modellen die dieses Nichtwissen als eine Form eines
aktiven gleichwohl unbewussten Geschehens erklären können, beispielsweise
die Abwehrmechanismen. In bezug auf die meisten, körperlichen und das
schließt die physiologisch biochemischen Prozesse ein, ist die seelische
Repräsentationsfähigkeit nur beschränkt gegeben. Wir haben kein seelisches
Organ für die Abbildung der in uns aktiven Neuropeptide. Das dynamische
Unbewußte bezieht sich also auf die seelischen Repräsentanzen des Somatischen
und nicht auf das Somatische selbst.
Abbildung 18
19
Münster Gruppentherapie
Grad an Bewusstheit
Eine Handlung kann mehr oder weniger bewusst monitoriert
werden. Der Extremfall wäre, dass die falsche Realisierung einer
Intention gar nicht bemerkt wird. Dies kann als
quasihalluzinatorisches Phänomen auftreten. Die Patientin
spricht über Ihren verstorbenen Mann Willi, sagt aber Pappi und
meint Willi gesagt zu haben. Die akustische Rückmeldung
entspricht nicht dem motorischen Innervationsmuster der
Lautgestalt. Die Efferenzkopie mag gefälscht sein. Die Patientin
spürt motorisch sie habe Willi gesagt und hört dies auch, andere
hören Pappi. Im Allgemeinen ist der Bewusstheitsgrad der
affektiven Module Expression, Physiologie,
Intentionsbewegungen nicht sehr hoch. Der für die
Kernbeziehungsthemata und die Sprache sollte hoch sein. Eine
unbewusste Valenz und Relevanzentscheidung sind
notwendigerweise auf Abwehrprozesse angewiesen
Ich sehe keinen Grund an der Richtigkeit und Bedeutsamkeit dieser Modelle zu
zweifeln. Die Verwendung des substantivierten Begriffes das Unbewusste oder
das Es über diesen engen Bereich hinaus halte ich für nicht zielführend. Wenn
man der modularen Struktur des Emotionssystems folgt, müsste man feststellen,
es gäbe viele „Es“ die jeweils verschiedene Systemeigenschaften haben. Wie
viele der psychophysiologischen emotionalen Prozesse repräsentierbar sind ist
unklar. Was man so als Schätzungen hört ist maximal 20% und dann als Bilder
nicht als Gedanken. Man könnte sich also vorstellen, dass sich eine affektive
operante physiologische Konditionierung mit Schmerzreizen als interaktionelle
Repräsentanz des Selbst und des Folterers in einer speziellen Situation abbildet.
Das ist dann die Grundlage für die späteren Flashbacks , die bei der Aktivierung
der konditionierten physiologischen Reize auftauchen.
20
Abbildung 19
Münster Gruppentherapie
Interaktionsgrad
Eine affektive Handlung kann mehr oder weniger symbolisch sein oder in eine
zielführende Handlung einmünden. Über etwas Sprechen mimische Signale
zeigen sind direkten körperlichen Interaktionen, Intentionsbewegungen eher ,
werden sie umgesetzt sind sie körperlich interaktiv. Zuschlagen, Beißen,
Festhalten, Küssen, Streicheln, die Immissio Penis sind Handlungen mit dem
höchstmöglichen Interaktionsgrad. Ansehen, Ärger zeigen und dazu Grollen hat
einen höheren Interaktionsgrad als Mimik ohne Blick während einer Rede über
etwas anderes. Bei niedrigem Ausbau des Phantasiesystems (Mentalisierung) ist
der Interaktionsgrad der affektiven Zeichen im Allgemeinen sehr hoch. Häufig ist
er von einem niedrigen Kommunikationsgrad begleitet, so dass die Anderen
völlig überrascht sind. Früher hat man von einem Agiersyndrom gesprochen. Das
Verhalten ist nicht unbewusst und nicht unintendiert aber unkontrollierbar.
Scheint indikativ für eine Strukturschwäche mit einem Fehlen des inneren und
affektiv interaktiven Probehandelns.
Umgekehrt kann man sich eine Vielzahl an affektiv – kommunikativen Akten
vorstellen, die das unbewusste Bild des Selbst und seine Physiologie formen,
ohne dass sie je bewusst registriert worden wären. Dies gilt nicht nur für die
formativen Jahre der Kleinkind- und Kinderzeit sondern wie unsere
Untersuchungen gezeigt haben für uns Erwachsene ebenso. Die bewusste
Abbildung einzelner affektiver Reize dürfte die 20%-Grenze auch nicht
übersteigen. Seltene Ereignisse nehmen wir bewusst war, beispielsweise wenn
jemand kurzfristig Angst zeigt, das häufigere Verhalten ist wie weißes
Rauschen. Das gilt noch mehr für das eigene Verhalten, das im allgemeinen
weniger monitorierbar als das des Anderen ist. Auch erfahrene Therapeuten
kennen die eigenen interaktiven Muster nicht, vor allem solche die den Zeithof
der Gegenwart übersteigen. Wenn sie sich denn abbilden dann als
Gegenübertragungs- oder Übertragungsgefühle ohne Kenntnis ihrer Herkunft.
Dieses System kann man auch auf dyadische Interaktionen ausdehnen wenn man
davon ausgeht, dass auch Dyaden handeln, was unzweifelhaft der Fall ist. Man
21
kann nun jedes Geschehen als Profil darstellen, ebenso dessen Änderung. Von
der inneren Logik des Verhaltensaufbaus gibt es allerdings bereits logische
Beziehungen. Etwas das nicht informativ ist kann weder interaktiv noch
kommunikativ sein, aber nur eine sehr kleine Menge des Informativen ist
kommunikativ und interaktiv. Als innere Prozesse haben der Intentions- und
Bewusstheitsgrad keine direkte Verbindung zu Informations -, Interaktions- und
Bewusstseinsgrad. Es wäre wünschenswert, dass die Mehrzahl interaktiver und
kommunikativer Akte intendiert wären, aber dass sie selbstreflexiv bewusst sein
sollten ist eher ungünstig, weil die Realisierung dann nicht mehr natürlich
erscheint. Intentionen sind prozedural gespeichert.
Abbildung 20
Münster Gruppentherapie
Informationsgrad
Ein Verhalten mag auftreten aber es hat keinen hohen
Informationsgrad. Wenn ich während eines Gesprächs mit dem
rechten Zeh gegen die Schuhsohle drücke ist der
Informationswert dieses Verhaltens im allgemeinen niedrig. In
hochrestriktiven Situationen, z.B. dem Herauszufinden ob
jemand lügt und davon hinge mein Leben ab, mag sich der
Informationswert ändern. Die meisten vor allem die
physiologischen Abläufe haben keinen hohen Informationswert
für die anderen, wohl aber für den Körper des Produzenten. Ob
sie sich mental abbilden ist eine andere Frage.
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Abbildung 21
Münster Gruppentherapie
Kommunikationsgrad
Viele Verhaltensweisen mögen informativ sein aber sie sind
nicht kommunikativ, weil man ihre Bedeutung nicht unter
Rückgriff auf eine geteilte kommunikative Bedeutungswelt
erschließen kann. 40% der affektiven mimischen Zeichen sind
unter Rückgriff auf die interpersonellen Lexika nicht
erschließbar. Sie sind ideosynkratisch. Sie enthalten gleichwohl
Informationen die man aber nur in Einzelfall-Langzeitanalysen
mit eben diesem Menschen erarbeiten kann. Wenn dies der Fall
ist kann man sie wieder in den bewussten
Kommunikationsprozess einspeisen.
Es scheint so, dass eine optimale Verteilung der Parameter
Kommunikationsgrad, Interaktionsgrad, Informationsgrad sowie der inneren
Stellgrößen Intention und Bewusstheit von der Situation, dem Partner und der
eigenen Persönlichkeit und Ihren Zielen abhängt. Vieles ist kulturell
vorgeschrieben. Es gibt emotionale Regeln und Normen die Status-, Alter- und
Geschlechtsgrenzen markieren. Ein großer Teil der Selbsterfahrung in Gruppen
besteht darin solche für die Handelnden unbewussten Normen aufzudecken und
bewusstseinsfähig zu machen (Krause 2003). Ob sie dann geändert werden
müssen, ist eine andere Frage. Das hängt davon ab in welche unbewusste
Landschaft die Gruppe eingebettet ist und welche Ziele sie eigentlich verfolgt.
Im Zusammenhang mit sogenannt strukturschwachen Patienten kann es ein
wesentliches Behandlungsziel sein, ihnen zu vermitteln, dass die auf den
anderen wirkenden affektiven Prozesse die dem Patienten wie ein Recht
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erscheinen, einen Verpflichtungsgrad haben, der erfordert mit zu Bedenken was
sie beim Anderen anrichten. Hier wären elementare Formen von Fremdempathie
anzusiedeln. Über das reziproke unbewusste Aufschaukeln der expressiven
Gesten hinaus, wäre ein Innehalten erforderlich, dass die Perspektive des
Anderen zu übernehmen erlaubt. Die Klarifikation des affektiven Geschehens
in der Dyade bzw. der Gruppe im hier und jetzt ist eine der Vorraussetzung für
die Deutung der unbewussten Intentionen. Solche Klarifikationen müssen sehr
oft durchlaufen werden, weil es um die selbstreflexive Eroberung eines
Interaktionsfeldes geht, dessen Wirkzusammenhänge unterhalb dieses Niveaus
angesiedelt sind. Wenn man so will geht es um die Bewusstwerdung von
unbewussten operanten Konditionierungen der Interaktion und um unbewusstes
affektives Signallernen im affektiven Bereich.
Schließlich gibt es unbewusste Gruppenprozesse vor allem in der zeitlichen
Organisation des affektiven Verhaltens die wahrgenommen, klarifiziert und
gedeutet werden müssen. Über Ihr Substrat wissen wir noch sehr wenig. Die
Sympathie, Erregung und symbiotische Hingabebereitschaft sind zweifellos an
die unbewusste Choreographie der affektiven Körper gebunden. Von den
Dyaden wissen wir dass 80 % der wechselseitigen Sympathieeinschätzungen aus
dem Gleichklang der Körperbewegungen vorhergesagt werden kann. Die ersten
Analysen, die wir gemacht haben, zeigen, dass die einzelnen Emotionsausdrücke
selbst ganz unterschiedliche Zeithöfe aufweisen. Der Freudeausdruck, wie sollte
es anders sein, hat eine ganz kurze Halbwertszeit, der Angstausdruck eine sehr
lange. In eine verständlichere aber falsche Sprache umformuliert, ein
Angstausdruck bestimmt das unbewusste Geschehen der Dyade für eine sehr
lange Zeit ein Freudeausdruck nur ganz kurz. Hier sind noch viele
Entdeckungen zu machen, wenn die Analysemethoden des affektiv interaktiven
Geschehens einfacher geworden sind.
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Article
In the last twenty to thirty years, a new way to understand complex systems has emerged in the natural sciences - an approach often called non-linear dynamics, dynamical systems theory, or chaos theory. This perspective has allowed scientists to trace the emergence of order from disorder and complex, higher-order forms from interactions among lower-order constituents. This is called self-organization, and is thought to be responsible for change and continuity in physical, biological, and social systems. Recently, principles of self-organizing dynamic systems have been imported into psychology, especially developmental psychology, where they have helped us reconceptualize basic processes in motor and cognitive development. Emotion, Development, and Self-Organization is the first book to apply these principles to emotional development. The contributors address fundamental issues such as the biological bases of emotion and development, relations between cognition and emotion in real time and development, personality and individual differences, interpersonal processes, and clinical implications.
Book
Im Griechischen heißt „bios“ das Leben und„logos“ das Wort oder die Kunde. Biologie ist also die Kunde vom Leben oder die Lehre von der belebten Natur und den Gesetzmäßigkeiten im Lebensablauf der Pflanzen, Tiere und Menschen. Bei der Untersuchung von Aufbau und Funktion der Lebewesen benutzt die Biologie die gleichen Denkansätze, mit denen Physik und Chemie die unbelebte Natur studieren. Die Biologie des Menschen konzentriert sich auf ein einziges Lebewesen, nämlich uns selbst. Die verschiedenen Teildisziplinen der modernen Humanbiologie sind alle früher oder später aus dem ältesten großen humanbiologischen Fach hervorgegangen, nämlich der Anatomie. Eine ihrer ersten Töchter war die in diesem Buch besonders wichtige Physiologie. Diese ist die Kunde vom Körper (physis = Körper, logos = Wort, Kunde, s. o.), genauer die Lehre von den normalen Lebensfunktionen.
Article
Discusses the laws controlling the circumstances under which emotions are aroused and the question of regulating emotions after they are aroused. The effects of the following laws of emotions are described: the law of subjectively perceived meaning; the law of interests (i.e., of every major goal, need or desire of the S); the law of subjective reality; the laws of change, habituation, and comparative (conditioned by the surrounding circumstances) feeling; and the law of hedonic asymmetry. These laws deal with emotion arousal. Other laws concern the duration, modulation, and regulation of emotions. They are conceptualized as the law of the conservation of emotional momentum, the law of dominance, the law of calculating and anticipating consequences, and the law of the lightest burden and greatest gain.
Article
Emotions are viewed as having evolved through their adaptive value in dealing with fundamental life-tasks. Each emotion has unique features: signal, physiology, and antecedent events. Each emotion also has characteristics in common with other emotions: rapid onset, short duration, unbidden occurrence, automatic appraisal, and coherence among responses. These shared and unique characteristics are the product of our evolution, and distinguish emotions from other affective phenomena.
Article
Biologie der Erkenntnis
Article
Originaltext vom Verlag; nicht vom SfBS bearbeitet. Emotionen lenken und bestimmen unser Leben von Grund auf, aber kaum jemand weiß, wo und wie sie entstehen. Der international renommierte Hirnforscher Joseph E. LeDoux führt den Leser anschaulich und kompetent an dieses Thema heran. Er erläutert u.a. folgende Fragen: Auf welche Weise beeinflussen Gefühle unsere Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gedanken und Träume? Können wir unsere Emotionen steuern oder steuern sie uns? Sind sie Erbe unserer evolutionären Urgeschichte? Wann kippt Ängstlichkeit in panische Angst um, wann Begehren in Gier, Liebe in Hörigkeit, Lust in Sucht, Zorn in Haß? Ist alles nur Chemie und Elektrizität, oder mehr?
Psychotherapeutische Gefühlsregeln. Geschichtliche Aspekte
  • R Krause
Krause, R. (2003) Psychotherapeutische Gefühlsregeln. Geschichtliche Aspekte. In: M.Geyer, G.Plöttner, T.Villmann (Hrsg.) Psychotherapeutische Reflexionen gesellschaftlichen Wandels. VAS, S.99-112.
Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und en Tieren
  • Ch Darwin
Darwin,Ch. (2000) Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und en Tieren. Frankfurt, Eichborn Verlag. Erstausgabe 1872