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Rezension: Lothar Fritze: Anatomie des totalitären Denkens: Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung im Vergleich.

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Der Verfasser vergleicht etwas, worüber vom Journalisten der Lokalseite bis zum letzten Hinterbänkler der etablierten Parteien die gesellschaftliche Konvention besteht, daß es unvergleichbar sei.. Massenmorde lassen sich nicht gegeneinander aufwiegen, denn der eine ist einzigartig und das andere, meint man, nur das übliche gegenseitige Abschlachten der Parteien, wie es schon aus den griechischen Stadtstaaten von Thukydides beschrieben wird, wenn es in einer Polis zum Machtwechsel gekommen war. In Nationalstaaten nur eben in etwas größerem Format. Die Täter haben dank ihres Sendungsbewußtseins stets ein gutes Gewissen, da ihr Handeln ja letztendlich dem Glück der gesamten Menschheit dient, wie sie fest glauben. Schon die Gründung des Hannah-Arendt-Institute für Totalitarismusforschung mit dem Auftrag, sich der vergleichenden Diktaturforschung zu widmen, also sowohl der systematischen Untersuchung des Kommunismus und des Nationalsozialismus, war ein Tabubruch und ist demzufolge bis heute heiß umstritten. Nichtsdestotrotz, mit diesem Auftrag seines Arbeitsgebers im Rücken gibt der Verfasser sein Bestes. Die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, die er zwischen den beiden Diktaturen herausarbeitet, sind dabei nicht neu. Die Fahnenappelle, die Gehirnwäsche, der Unterdrückungssapparat, die Verteufelung des Gegners-da haben die beiden Systeme, für die Gewalt und Terror Fortschrittsbeschleuniger waren, viel voneinander gelernt. Aber dem Verfasser geht es weniger um die Erscheinungsformen, sondern um die Grundlagen im Denken. Hierzu sind seine Ausführungen hochinteressant, wenn auch manchmal redundant. Er beherrscht den Stoff, steht aber nicht über ihn. Dazu hätte er Kommunismus und Nationalsozialismus in den Zusammenhang der politischen Entwicklungen der Neuzeit stellen und auf Bücher reflektieren müssen wie Karl Jaspers Psychologie der Weltanschauungen und Deutschland und der Kalte Krieg , bis hin zur Sozialdemokratisierung der Industriestaaten. Die totalitären Weltanschauungen bestanden auch aus Flügeln, die sich teilweise widersprechen und ihre politischen Programmpunkte sind teilweise bewußte Täuschung. Auch heute wird China von einer Kommunistischen Partei regiert. Den nach Meinung des Rezensenten tiefgreifendsten Unterschied erfaßt der Verfasser völlig richtig: "Während der Marxismus eine grundsätzliche Gleichheit und Gleichbefähigung aller Menschen unterstellt, postuliert die nationalsozialistische Weltanschauuung das Dogma einer natürlichen Ungleichheit und Ungleichwertigkeit der Menschen." Damit befindet sich die eine Weltanschauung vordergründig in Einklang mit den naturwissenschaftlichen Tatsachen, während die andere in ihrer
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Rezension: Lothar Fritze: Anatomie des totalitären
Denkens: Kommunistische und nationalsozialistische
Weltanschauung im Vergleich. Olzog 2012, 608 Seiten
Volkmar Weiss
Schon der Titel eine Provokation
Reviewed in Germany on 22 January 2013
Der Verfasser vergleicht etwas, worüber vom Journalisten der Lokalseite bis zum
letzten Hinterbänkler der etablierten Parteien die gesellschaftliche Konvention besteht,
daß es unvergleichbar sei.. Massenmorde lassen sich nicht gegeneinander aufwiegen,
denn der eine ist einzigartig und das andere, meint man, nur das übliche gegenseitige
Abschlachten der Parteien, wie es schon aus den griechischen Stadtstaaten von
Thukydides beschrieben wird, wenn es in einer Polis zum Machtwechsel gekommen
war. In Nationalstaaten nur eben in etwas größerem Format. Die Täter haben dank
ihres Sendungsbewußtseins stets ein gutes Gewissen, da ihr Handeln ja letztendlich
dem Glück der gesamten Menschheit dient, wie sie fest glauben.
Schon die Gründung des Hannah-Arendt-Institute für Totalitarismusforschung mit dem
Auftrag, sich der vergleichenden Diktaturforschung zu widmen, also sowohl der
systematischen Untersuchung des Kommunismus und des Nationalsozialismus, war
ein Tabubruch und ist demzufolge bis heute heiß umstritten. Nichtsdestotrotz, mit
diesem Auftrag seines Arbeitsgebers im Rücken gibt der Verfasser sein Bestes. Die
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, die er zwischen den beiden Diktaturen
herausarbeitet, sind dabei nicht neu. Die Fahnenappelle, die Gehirnwäsche, der
Unterdrückungssapparat, die Verteufelung des Gegners - da haben die beiden
Systeme, für die Gewalt und Terror Fortschrittsbeschleuniger waren, viel voneinander
gelernt. Aber dem Verfasser geht es weniger um die Erscheinungsformen, sondern um
die Grundlagen im Denken. Hierzu sind seine Ausführungen hochinteressant, wenn
auch manchmal redundant. Er beherrscht den Stoff, steht aber nicht über ihn. Dazu
hätte er Kommunismus und Nationalsozialismus in den Zusammenhang der politischen
Entwicklungen der Neuzeit stellen und auf cher reflektieren müssen wie Karl
Jaspers Psychologie der Weltanschauungen und Deutschland und der Kalte Krieg ,
bis hin zur Sozialdemokratisierung der Industriestaaten. Die totalitären
Weltanschauungen bestanden auch aus Flügeln, die sich teilweise widersprechen und
ihre politischen Programmpunkte sind teilweise bewußte Täuschung. Auch heute wird
China von einer Kommunistischen Partei regiert.
Den nach Meinung des Rezensenten tiefgreifendsten Unterschied erfaßt der Verfasser
völlig richtig: "Während der Marxismus eine grundsätzliche Gleichheit und
Gleichbefähigung aller Menschen unterstellt, postuliert die nationalsozialistische
Weltanschauuung das Dogma einer natürlichen Ungleichheit und Ungleichwertigkeit
der Menschen." Damit befindet sich die eine Weltanschauung vordergründig in
Einklang mit den naturwissenschaftlichen Tatsachen, während die andere in ihrer
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ideologischen Hochblüte in logischer Folge den Lyssenkoismus erfinden mußte.
Ein wertvolles Buch, das mehr Beachtung und Diskussion verdient hätte!
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