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– 38 – Ingenieurspiegel 1 | 2020
Die autonome, unbemannte
Luftfahrt ist einer der Schlüs-
selsektoren für die Zukunft
der Luftfahrt. In diesem ra-
sant wachsenden Bereich neh-
men senkrecht startende und
senkrecht landende Flugzeu-
ge (Vertical Take-Off and Lan-
ding – VTOL) einen besonderen
Platz ein. Ein VTOL-Flugzeug
(manchmal auch „Transitions-
fluggerät“ genannt) verbindet
die Eigenschaft des Helikopters,
überall starten und landen zu
können, mit den Geschwindig-
keits-, Reichweiten und Flug-
dauervorteilen des Starrflüg-
lers. Grundsätzlich wird die
Senkrechtstart- und -landefä-
higkeit sowohl von zivilen als
auch von militärischen Betrei-
bern unbemannter Fluggeräte
(UAVs) gewünscht. Trotzdem
bietet der Markt nur eine gerin-
ge Anzahl von VTOL-UAVs, da
qualitativ hochwertige Entwür-
fe eine ausgesprochene Heraus-
forderung in der Entwicklung
darstellen.
PhoenAIX –
Die modulare Transportdrohne
An der FH Aachen wird deshalb
seit über 5 Jahren an der Ausle-
gung und Analyse von solchen
unbemannten VTOL Flugzeu-
gen geforscht. Das neuste Pro-
jekt ist der Eigenentwurf einer
großen, senkrechtstartenden
Transportdrohne. Das „Phoe-
nAIX“ getaufte Fluggerät wird
von Falk Götten und Felix Fin-
ger im Rahmen einer EFRE-För-
derung entwickelt.
Dabei verfolgen die Forscher
einen Hybridansatz, entwi-
ckeln also eine Mischung aus
Flugzeug und Multicopter. Von
Multicoptern oder Helikoptern
wird das Prinzip des Senkrecht-
startens übernommen. So wird
keine Start- und Landebahnen
benötigt. Leider ist die Effizienz
von Multicotern sehr gering, in
den meisten Fällen liegt ihre
Flugdauer bei unter einer hal-
ben Stunde. Damit „PhoenAIX“
längere Strecken zurücklegen
kann, soll nach dem Start in den
Flächenflug übergegangen wer-
den. Damit kann die Flugzeit
etwa um einen Faktor vier ge-
steigert werden. Die Einsatzsze-
narien sind vielfältig: So kön-
nen mit „PhoenAIX“ beispiels-
weise Rettungskräfte bei der
Suche nach vermissten Perso-
nen unterstützt werden. Transi-
tionsfluggeräte wie „PhoenAIX“
besitzen hierbei entscheidende
Fähigkeiten für den Einsatz in
der Lebensrettung: Sie sind in
der Lage längere Distanzen als
herkömmliche Drohnen zurück-
zulegen, und sie können ihre
Nutzlast wie medizinische Gü-
ter oder kleine Rettungsinseln
punktgenau abwerfen.
Damit eigenen sie sich aber
auch dafür, entlegene und
schwer zugängliche Gebiete
wie Inseln, Berge oder das aus-
tralische Outback mit wichti-
gen Gütern zu versorgen, sie
zu erkunden oder zu vermes-
sen. Hiermit lässt sich die Brü-
cke zum kommerziellen Ein-
satz des Fluggeräts schlagen.
„PhoenAIX“ kann einen Beitrag
zur Neuausrichtung des Logis-
tikmarktes erreichen. Führen-
de Analysten prognostizieren in
den nächsten 15 Jahren allein in
den USA bis zu einer Millionen
Transportdrohnenflüge – am
Tag! Es wird mit einem jährli-
chen Wachstum der Paketbran-
che zwischen 17 und 28% bis
2022 gerechnet.
Das Fluggerät „PhoenAIX“ ist 25
kg schwer und hat eine Spann-
weite von 4,20 m. PhoenAIX
transportiert – je nach Konfi-
guration – Nutzlasten zwischen
3 und 5 kg, bzw. ein Volumen
von 31,5 Litern. Das entspricht
der Größe einer Weinkiste, oder
drei Schuhkartons. Somit kön-
nen Logistikaufgaben problem-
los gelöst werden, aber es steht
auch viel Platz für Sensorik und
Elektronik für alternative Missi-
onen zur Verfügung. Die Reich-
weite beträgt hierbei bis zu 150
km. Das System ist vollends
auf einfache Handhabung und
– 39 –Ingenieurspiegel 1 | 2020
hohe Robustheit im Alltagsbe-
trieb ausgelegt. Hinzu kommt
der voll modulare Aufbau: Der
Anwender hat die Wahl unter
mehreren Antriebssystemen
und vor jedem Flug kann indi-
viduell entschieden werden, ob
ein senkrechter Start nötig ist
oder nicht.
Um die Nutzlast bestmöglich
zu schützen, ist PhoenAIX kom-
plett redundant gestaltet. Dies
bedeutet, dass der Ausfall eines
Teilsystems nicht zum Ausfall
des gesamten Flugzeugs führt.
Dieses Prinzip wird in der be-
mannten Luftfahrt seit Jahr-
zehnten eingesetzt, hat aber
bisher nur sehr beschränkten
Einsatz in der unbemannten
Fliegerei gefunden. Zusätzlich
ist ein Notfall-Fallschirm integ-
riert, der bei unerwarteten Zwi-
schenfällen auslöst und Nutz-
last und Personen am Boden
schützt.
Die Möglichkeit senkrecht zu
starten und zu landen wird
durch ein per „Plug & Play“ ad-
aptierbares, sogenanntes „Ho-
versystem“, bereitgestellt. Die-
ses System verfolgt die gleiche
Antriebslogik wie die bekann-
ten Multicopter-Drohnen und
dient dazu, das Fluggerät beim
senkrechten Start auf eine de-
finierte Mindestflughöhe zu
heben. Dort wechselt das Flug-
gerät dann in den Modus des
Vorwärtsflugs (Transition) und
fliegt wie ein herkömmliches
Flächenflugzeug bis zu seinem
Ziel. In dieser Zeit wird das Flug-
zeug durch einen Propeller am
Heck angetrieben, während die
acht Rotoren des Hoversystems
abgeschaltet und aerodyna-
misch günstig arretiert werden.
Über dem Zielort erfolgt eine
Rücktransition, das Fluggerät
geht wieder in den Schwebezu-
stand über und landet anschlie-
ßend senkrecht. Hierdurch
kann das Fluggerät völlig un-
abhängig von der Infrastruktur
am Boden eingesetzt werden
und auf nahezu jedem Unter-
grund starten und landen.
Im Reiseflug als herkömmliches
Flugzeug verbraucht es nur ei-
nen Bruchteil der Energie im
Vergleich zu einem herkömmli-
chen Multicopter. Dies liegt da-
ran, dass der gesamte Auftrieb
über den Flügel erzeugt wird
und nicht wie bei Multicoptern
über den Schub der Rotoren.
Das ermöglicht eine viel grö-
ßere Flugdauer und somit auch
eine starke Reichweitenvergrö-
ßerung.
Neben diesen Eigenschaften als
senkrecht Start- und Landeflug-
gerät kann die Drohne auch als
herkömmliches Flugzeug ver-
wendet werden. Hierfür wird
das Hoversystem mit wenigen
Handgriffen entfernt. Dann be-
nötigt das Fluggerät eine etwa
300 m lange Start- und Lande-
bahn, wobei ein Start von einer
Graspiste aus möglich ist. Durch
den Wegfall des Hoversystems
ergeben sich dann im Vergleich
zu der senkrecht startenden
Konfiguration nochmals erheb-
lich gesteigerte Flugleistungen.
Anstelle des Hoversystems kön-
nen zur weiteren Leistungsstei-
gerung zusätzliche Batterien
oder zusätzliche Nutzlasten in
Form von Waren oder Sensoren
integriert werden.
Mit dem Entwicklungsprojekt
„PhoenAIX“ werden auch die
Studierenden der FH Aachen
gefördert. Das praktisch orien-
tierte Forschungsprojekt bietet
die Möglichkeit Vorlesungsin-
halte direkt anzuwenden. Bei
der Konstruktion eines kleinen
Fluggeräts erhalten die Studie-
renden einen Überblick über
das komplette Flugzeug und
bekommen ein Gefühl dafür,
wie sich Auslegungsaspekte
gegenseitig beeinflussen. Auch
bei Flugversuchen können sie
ihre theoretischen Annahmen
unmittelbar testen und aus-
werten. So wird in Bezug auf
Sicherheit, Flugdurchführung
und Vorschriften wertvolle Pra-
xiserfahrung vermittelt.
In der ersten Projektphase wur-
de bereits ein fünf Kilogramm
Abbildung 1
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– 40 – Ingenieurspiegel 1 | 2020
schwerer Demonstrator ent-
wickelt und gebaut. Die ersten
Flugtests waren vielverspre-
chend (siehe Abbildung 1). Hier
konnten die Forscher ihre the-
oretischen Annahmen testen
und auswerten. Zunächst wur-
de eine Quadrocopter-Attrappe
unter dem Rumpf befestigt, um
das Gewicht und den aerodyna-
mischen Widerstand dieses Sys-
tems zu simulieren. Nach dem
erfolgreichen Abschluss dieses
Erprobungsschritts wird nun
der Prototyp im vollen Maßstab
gefertigt.
Falk Götten M.Sc.,
D. Felix Finger M.Sc.
Fachhochschule Aachen
www.fh-aachen.de
Das Fluggerät Die Einsatzszenarien Die Technik
… ist eine modulare Transportdrohne mit
Senkrechtstart- und Landefähigkeiten.
Bei 25 kg Abflugmasse können Nutzlasten
zwischen 3-5 kg und dem Volumen einer
Weinkiste (31 Liter) transportiert werden.
o Logistik
o Suche und Rettung (SAR)
o Landwirtschaft
o Kartografie
o Natur- und Umweltschutz
o Überwachung und Aufklärung
PhoenAIX zeichnet sich durch die
innovative Kombination aus
Multicopter und Flächenflugzeug aus.
Seine Leistungsfähigkeit wird durch
den modularen Aufbau gesteigert:
o Hoversystem: Auf Knopfdruck
senkrecht starten und landen –
überall, wie ein Multicopter
o Zusätzliche Nutzlastaufnahmen
unter den Flügeln bei Verzicht auf
Senkrechtstart
PhoenAIX in Kürze:
Flugzeuge sollen energieeffi-
zienter werden und gleichzei-
tig stabil und ruhig fliegen. Um
dies zu erreichen, muss man die
physikalischen Zusammenhän-
ge bis an die Grenzen des Flug-
bereichs besser verstehen und
prognostizieren. Genau dies ist
das Ziel einer neuen Gruppe
der Deutschen Forschungsge-
meinschaft (DFG) mit dem Ti-
tel „Erforschung instationärer
Phänomene und Wechselwir-
kungen beim High-Speed Stall“.
Nachhaltig fliegen bis an die Grenzen
Neue DFG-Forschungsgruppe unter Leitung der Universität Stuttgart will Aerodynamik von Flugzeugen bei hohen Geschwin-
digkeiten genauer vorhersagen.
Sprecher ist Dr. Thorsten Lutz
vom Institut für Aerodynamik
und Gasdynamik der Universi-
tät Stuttgart, des Weiteren sind
die Technischen Universitäten
München und Braunschweig
sowie die RWTH Aachen Uni-
versity und das Deutsche Zen-
trum für Luft- und Raumfahrt
(DLR) an der Forschungsgruppe
beteiligt.
Wenn ein Flugzeug mit sehr ho-
her Geschwindigkeit unterwegs
ist, kann eine Stoßwelle und da-
hinter ein Strömungsabriss auf-
treten. Dieses als „High Speed
Stall“ bezeichnete Phänomen
hat wechselnde Lasten zur Fol-
ge, welche die Struktur schädi-
gen und die Flugstabilität be-
einflussen können. Um dies zu
vermeiden, werden beim Bau
von Flugzeugen Sicherheitsre-
serven einkalkuliert. Das Prob-
lem dabei: Legt man den Flie-
ger zu schwer aus, verbraucht
er unnötig Kerosin, das schadet
der Umwelt und treibt die Kos-
ten in die Höhe.
Die Aerodynamik von Trans-
portflugzeugen an den Gren-
zen des Flugbereichs ist von
physikalischen Phänomenen
gekennzeichnet, die teilwei-
se noch nicht verstanden sind.
Dabei können instationäre Las-
ten, also sehr schnelle Änderun-
gen der Kräfte auftreten. Die-
se können Vibrationen am Flü-
gel hervorrufen, was zu einem