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Sprechen über Personen: Soziale Kategorisierung im tschechisch-deutschen Kontakt Trainingsmodul

Authors:
  • Charles University, Prague; Faculty of Arts
Preprints and early-stage research may not have been peer reviewed yet.

Abstract

A paper introducing Membeship Categorization Analysis (MCA) while using materials from the Czech - German intercultural contact.
1
Sprechen über Personen: Soziale Kategorisierung
im tschechisch-deutschen Kontakt
Trainingsmodul
Jiří Nekvapil, Karls-Universität Prag
To be quoted as:
Jiří Nekvapil (1999) Sprechen über Personen: Soziale Kategorisierung im tschechisch-
deutschen Kontakt. Trainingsmodul. Hof: Berufliche Fortbildungszentren der
Bayerischen Wirtschaft.
2
Inhaltsverzeichnis
1. Soziale Kategorisierung im Gespräch - Allgemeine Einführung 3
1.1. Inventare sozialer Kategorien 8
1.2. Anwendungsregeln sozialer Kategorien 12
1.3. Kategoriengebundene Aktivitäten 13
1.4. Evozieren sozialer Kategorien im Gespräch 15
2. Ethnische Kategorien 18
3. Ethnische / nationale Stereotype 20
3.1. Vorbemerkungen 20
3.2. Stereotype im deutsch-tschechischen Kontakt 23
4. Soziale Kategorisierungen in einem Joint Venture 25
4.1. Untersuchung bei Škoda-Volkswagen 25
4.2. Einfache ethnische Kategorien gegen ethnisch modifizierte nicht-
ethnische Kategorien 26
4.3. Strategie für das Kommunikationsverhalten 28
5. Fallbeispiel 30
5.1. Transkript der Videosequenz 30
5.1.1. Szene I ............................................................................................ 30
5.1.2. Szene II ........................................................................................... 33
5.2. Diskussion der Fallbeispiele 35
5.3. Schlussfolgerung 40
6. Index der wichtigsten Trainingsbegriffe 40
7. Literaturverzeichnis 41
8. Hinweise zur vertiefenden Lektüre 43
9. Der Autor 44
10. Begleitmaterial 44
11. Dank 45
3
1. Soziale Kategorisierung im Gespräch - Allgemeine
Einführung
Ein tschechischer Top-Manager (M), der im tschechisch-deutschen Joint-
Venture Škoda-Volkswagen arbeitete, äußerte sich im Gespräch mit einem
tschechischen Soziologen (S) folgendermaßen:
M: „... wenn wir die Workshops machen, ((längere Pause)) so zum
Beispiel im Bereich der Personalistik ist es schon zu
neunundneunzig Prozent ohne Deutsche ((längere Pause)) oder
ohne Experten.“
S: „Hm.“
M: „Ich mag das Wort ohne Deutsche nicht, also ...“
Ein wissbegieriger Leser könnte sich die folgenden Fragen stellen: Was ist
Schlechtes daran, wenn man „ohne Deutsche“ sagt? Warum ist wohl
Unbehagen bei Sprecher M aufgetaucht? Was hat der Manager dadurch
gewonnen, dass er den Ausdruck „ohne Deutsche“ durch den Ausdruck „ohne
Experten“ ersetzt?
In einer tschechischen Talk-Show, in der der Vorsitzende der rechtsextremen
republikanischen Partei (V) und ein Roma-Abgeordneter (A) zu Gast waren,
entwickelte sich folgende Gesprächssequenz:
V: „Herr Abgeordneter, Sie sind der einzige Vertreter der Zigeuner
im Parlament –“
A: „Der Roma!“
In dem ersten Beispiel können wir sehen, dass Sprecher M sich selbst korrigiert;
in dem zweiten Beispiel berichtigt Sprecher A einen anderen Teilnehmer der
Fernsehdebatte. Beide Beispiele illustrieren, dass die Art und Weise, wie man
über Personen spricht, also unter welcher Perspektive der Sprecher die Personen
wahrnimmt und welche Worte er dabei gebraucht, im Gespräch hier ein
kleineres, dort ein größeres Problem darstellen kann.
Um besser zu begreifen, was in solchen Fällen geschieht, müssen wir uns zuerst
damit vertraut machen, wie das Gespräch gestaltet wird und ein paar
grundlegende Begriffe einführen.
Beispiel
Beispiel
4
Ein Gespräch entsteht dadurch, dass die beteiligten Personen drei strukturelle
„Probleme“ lösen:
a) Das erste Problem bildet die Koordinierung der Handlungen der Sprecher.
Die Gesprächspartner müssen im Prinzip nacheinander sprechen, wodurch das
Problem entsteht, wer zu Wort kommt und wann. Um dieses Problem der
sequenziellen Gesprächsorganisierung zu lösen, verfügen die Gesprächspartner
über spezifische Regeln des Sprecherwechsels (turn-taking) (ausführlicher siehe
z.B. Levinson, 1983).
b) Die beteiligten Personen müssen klären, welche Themen sie besprechen
werden/sollen/wollen. Es geht also um das Problem der thematischen
Organisierung des Gesprächs. Aus eigener Erfahrung ist uns bekannt, dass wir
einem gewissen Thema irgendwann lieber ausweichen und statt dessen ein
anderes Thema ins Gespräch einführen; ein solcher Themenwechsel kann z.B.
die indirekte Zurückweisung eines Vorschlags signalisieren.
c) Die Gesprächspartner müssen sich einigen, wie sie von Dingen, Vorgängen,
Institutionen, Personen usw. sprechen, d.h. das Problem der Kategorisierung
lösen. Sehr auffällig ist das bei der Kategorisierung von strittigen
gesellschaftlichen Ereignissen - Was ist mit den Deutschen nach dem zweiten
Weltkrieg in Tschechien passiert? Werden wir sagen, dass es um eine
„Abschiebung“ oder um eine „Vertreibung“ ging? Werden wir den
Regimewechsel in Tschechien im Jahre 1989 als „Revolution“ oder als
„Umsturz“ bezeichnen?
In diesem Modul steht im Mittelpunkt des Interesses, wie man über Personen
und Gruppen von Personen spricht, das heißt das Problem der sozialen
Kategorisierung (vgl. Czyżewski et al., 1995).
Man kann von derselben Menschengruppe als von „Freiheitskämpfern“
oder „Terroristen“ sprechen, von einer anderen als von „VW-
Angestellten“ oder von „Deutschen“.
Ähnlicherweise kann man über denselben Menschen als über einen
„Dichter“ oder „Verseschmied“ sprechen, über einen anderen als über
einen „Juden“ oder „Israeli“ und über einen weiteren als über einen
„Expatriate“ oder „Deutschen“.
Der Sprecher kann jedoch solchen Benennungen auch völlig aus dem
Wege gehen indem er über eine bestimmte Menschengruppe z.B. nur als
über „sie“ spricht.
Aus den angeführten Beispielen geht klar hervor, dass die Wahl der sozialen
Kategorie, d.h. auch das Sprechen über Personen und deren Gruppen, ein
Sequenzielle
Organisation
Thematische
Organisation
Kategorisierungen
Soziale
Kategorisierungen
Beispiele
5
beträchtlich sensibles Anliegen ist. Die Wahl der sozialen Kategorie kann
unmerklich den Verlauf einer Geschäftsverhandlung beeinflussen. Sie kann
auch zum Gesprächsthema oder zum Inhalt einer erregten politischen Debatte
werden.
Um die Rolle von Kategorisierungen im Gespräch in diesem Modul genauer zu
betrachten, bearbeiten Sie die folgenden Aufgaben. Entsprechende
Lösungsvorschläge zu den einzelnen Fragen finden sich jeweils gleich im
Anschluss.
Aufgabe 1
a) Oben haben wir verschiedene Paare sozialer Kategorien angeführt.
Überlegen Sie, was das Paar „Freiheitskämpfer“ und „Terrorist“ mit
dem Paar „Dichter“ und „Verseschmied“ gemeinsam hat. Dabei
berücksichtigen Sie, welche von diesen Kategorien Menschen eher zur
Kennzeichnung von sich selbst und welche von anderen Personen
verwenden.
b) Warum ist es wohl möglich, die Kategorie „VW-Angestellte“ durch die
Kategorie „Deutsche“ zu ersetzen?
c) Wir haben festgestellt, dass das Gespräch seine sequenzielle und
thematische Organisierung hat. Eine Stelle im oben angeführten Text
sollte auf die Frage eine klare Antwort geben, ob die soziale
Kategorisierung mit den anderen Gesprächsdimensionen irgendwie
zusammenhängt.
Lösungsvorschlag 1
a) Das Paar „Freiheitskämpfer“ - „Terrorist“ und das Paar „Dichter“
„Verseschmied“ weisen die Gemeinsamkeit auf, dass die ersten
Kategorien der angeführten Paare zur Selbstkategorisierung verwendet
werden, die zweiten Kategorien dieser Paare dann zur Kennzeichnung
anderer Personen. Daraus ergibt sich, dass die kategorisierte Person
wohl nicht einverstanden wäre, wenn sie mit einer der zweiten
Kategorien der angeführten Paare gekennzeichnet würde (vergleiche
folgende Behauptung: „Nein, ich bin kein Terrorist, ich bin ein
Freiheitskämpfer.“). „Freiheitskämpfer“ und „Terrorist“ sind
sogenannte disjunktive Kategorien (Jayyusi 1984); das gleiche gilt für
die Kategorien „Dichter“ und „Verseschmied“. Nebenbei: auch die oben
angeführten Kategorien „Roma“ und „Zigeuner“ stellen disjunktive
Kategorien dar.
Arbeitsaufgaben
Aufgabe 1
Lösungsvorschlag 1
Disjunktive
Kategorien
6
b) Die Möglichkeit, die Kategorie „VW-Angestellte“ durch die Kategorie
„Deutsche“ zu ersetzen, fußt darauf, dass die Angestellten des
entsprechenden Unternehmens (vorwiegend) Deutsche sind (darüber
werden wir noch weiter diskutieren).
c) Die Wahl der sozialen Kategorie kann sogar zum Gesprächsthema
werden (zum Beispiel ob eine bestimmte Aktion von Terroristen oder von
Freiheitskämpfern durchgeführt wurde), was den engen Zusammenhang
der sozialen Kategorisierung und der thematischen Organisierung belegt.
Die Frage, welche soziale Kategorie im Gespräch gewählt wird, ist deswegen so
sensibel, weil die Sprecher auf diese Weise ihre soziale Identität kundtun,
beziehungsweise die soziale Identität ihrer Kommunikationspartner. Sogar die
soziale Identität von beim Gespräch nichtanwesenden Personen wird offenbart.
Durch die Wahl der sozialen Kategorie signalisieren die Sprecher, wer sie sind,
eventuell für wen sie gehalten werden wollen, oder wie sie andere einschätzen.
Der Einzelne besitzt eine Reihe von sozialen Identitäten: er kann Vater,
Tscheche, Sportler, Katholik, Ingenieur, ehemaliger Schauspieler,
Sozialdemokrat usw. sein. In einem Gespräch, besser gesagt in einem konkreten
Punkt seines Verlaufs, werden gewöhnlich nur bestimmte Identitäten
aktualisiert und nur bestimmte erwartet. Sollen aber die Identitäten aktualisiert
werden, die man in diesem Zusammenhang gerade nicht erwartet, muss der
Einzelne für ihre Einführung eine besondere Kommunikationsarbeit aufwenden.
Beispielsweise wird in einer politischen Fernsehdebatte erwartet, dass ein
Individuum als Sozialdemokrat sprechen wird, nicht als Vater oder als
ehemaliger Schauspieler. An dem Punkt, an dem die Diskussion jedoch zur
potenziellen Reform des Schulwesens gelangt, kann das Individuum explizit
eine andere seiner Identitäten anführen: „Ich als Vater einer heranwachsenden
Tochter möchte noch hinzufügen, dass...“. Kallmeyer / Keim (1994) schreiben
zutreffend:
„Kategorisierung ist generell variabel in Abhängigkeit von den
jeweiligen Relevanzsetzungen. Auf dieselbe Person können je nach
Perspektive, unter der die Identität dieser Person gesprächsweise in
den Blick kommt, unterschiedliche Kategorien angewendet
werden. Kategorisierung ist also immer perspektivisch, und sie ist
einseitig, insofern sie die Komplexität der Definition von sozialen
Identitäten und Beziehungen jeweils auf einen Aspekt reduziert“.
Soziale Identität
Vielzahl sozialer
Identitäten
Zitat
7
Daraus geht hervor, dass die soziale Identität im Gespräch auch ausgehandelt
werden kann. Der Einzelne kann bestimmte Identitäten akzeptieren, andere
ablehnen.
Um dies zu illustrieren, betrachten Sie hierzu folgendes kurze Beispiel aus einer
alltäglichen Kommunikationssituation innerhalb einer Familie:
Auf dem Tisch im Esszimmer steht schon das Essen vorbereitet, die
Großmutter (G) kommt zum Abendessen, im Zimmer ist nur ihr
Schwiegersohn (S) anwesend.
G: „Also, wo ist die Köchin?“
S: „Ich hab‘ das Abendessen gemacht.“
G: „Du hast das Abendessen gemacht? Gut, also wo ist deine Frau?“
S: „Jana ist im Wohnzimmer.“
Wir sehen, dass S die Möglichkeit nicht angenommen hat, die Person, über die
man spricht, als „Köchin“ zu kategorisieren. Ebenso hat er ihre Kategorisierung
als „(s)eine Frau“ implizit abgelehnt.
Halten wir also die Tatsache fest, dass sich eine bestimmte Identität zu einem
bestimmten Gesprächszeitpunkt manifestiert. Daraus lässt sich folgern, dass die
soziale Kategorisierung mit dem Ablauf des Gesprächs, der oben schon
besprochenen sequenziellen Gesprächsorganisierung, eng zusammenhängt.
Wir haben auch angeführt, dass die Wahl der Kategorie zum Gesprächsthema
werden kann. Es ist also ersichtlich, dass die soziale Kategorisierung weder von
der thematischen Gesprächsorganisierung, noch von der sequenziellen
Organisierung des Gesprächs klar trennbar ist. In diesem Trainingsmodul
werden wir uns aus Arbeitsgründen jedoch vor allem auf die soziale
Kategorisierung konzentrieren und ihre sequenzielle und thematische
Eingliederung werden wir nur gelegentlich in Betracht ziehen.
Aufgabe 2
a) Betrachten Sie abermals die angeführte Reihe der sozialen
Kategorien: „Vater“, „Tscheche“, „Sportler“, „Katholik“, „Ingenieur“,
„ehemaliger Schauspieler“, „Sozialdemokrat“. Kommt in dieser Reihe
Aushandeln der
sozialen Identität
Fallbeispiel
Zusammenhang von
sequenzieller Orga-
nisation und sozialer
Kategorisierung
Zusammenhang von
thematischer Organi-
sation und sozialer
Kategorisierung
Aufgabe 2
8
ein Paar disjunktiver Kategorien vor? - Könnte ein und derselbe Mensch
alle diese Kategorien auf sich selbst beziehen? - Gibt es unter diesen
Kategorien solche, deren Gebrauch die Anwendungsmöglichkeit anderer
Kategorien blockiert, die in dieser Reihe nicht angeführt sind?
b) Beschreiben Sie eine Situation, in der sich in einem Gespräch die
Identität Jan Nováks als eines Sozialdemokraten, eines Tschechen und
eines ehemaligen Schauspielers schrittweise manifestieren könnte.
Lösungsvorschlag 2
a) In der Reihe von sozialen Kategorien „Vater“, „Tscheche“,
„Sportler“, „Katholik“, „Ingenieur“, „ehemaliger Schauspieler“,
„Sozialdemokrat“ gibt es kein Paar disjunktiver Kategorien und alle
Kategorien kann derselbe Mensch auf sich selbst beziehen. - Die
Verwendung der Kategorie „Vater“ schließt aus, dass auf dieselbe
Person die Kategorie „Mutter“ bezogen würde; ein ähnliches Verhältnis
herrscht z.B. zwischen den Kategorien „Katholik“ - „Protestant“,
„Tscheche“ – „Chinese“.
b) Jan Novák war als Vertreter der Sozialdemokratie in eine politische
Fernsehdebatte eingeladen worden und als solcher wurde er am Anfang
der Diskussion vorgestellt. Das Diskussionsthema war die Finanzierung
der tschechischen Kultur nach der Wende 1989. In dieser Debatte trat
auch John Smith auf, der amerikanische Berater des damaligen
tschechischen Finanzministers. In seiner ablehnenden Reaktion auf
dessen Auftritt sagte Jan Novák: „Ich als Tscheche sehe das aber
folgenderweise: ...“ Jan Novák setzte sich vehement für eine größere
Unterstützung der Regionaltheater ein. Sein politischer Gegner Petr
Klement fing seine Gegenargumentation folgenderweise an: „Ich
verstehe diese Ihre Ansicht als Ansicht eines ehemaligen
Schauspielers...“
1.1. Inventare sozialer Kategorien
Die entwickelten Sprachgemeinschaften verfügen über eine riesige Menge von
sozialen Kategorien, die meistens als relativ stabile lexikalische Einheiten
überliefert werden. Diese Kategorien sind jedoch vordergründig keine
analytischen Kategorien von Sozialwissenschaftlern (z.B. Soziologen), sondern
Kategorien, über die die Gemeinschaftsmitglieder im Alltag selbst verfügen.
Die Art und Weise, wie diese Kategorien in der Kommunikation verwendet
werden, lässt ahnen, dass sie irgendwie geordnet sind. Laut Sacks (1992), dem
Klassiker der Membership Categorization Analysis, handelt es sich um eine
Lösungsvorschlag 2
Ordnung sozialer
Kategorien
Harvey Sacks
9
Ordnung, die auf dem Gefühl der Sprecher begründet sei, dass die
entsprechenden Kategorien „zusammenpassen“ (go together).
Die Kategorien, die auf diese Weise geordnet sind, bilden verschiedene
Inventare sozialer Kategorien (vgl. Di Luzio/Auer, 1986). Die Entscheidung
darüber, welche Kategorien zusammenpassen, treffen die Sprecher selbst im
konkreten Punkt des Gesprächsverlaufs. Intuitiv ist es klar, dass z.B. die
Kategorie „Mutter“ und die Kategorie „Vater“ oder die Kategorie „Katholik“
und die Kategorie „Protestant“ irgendwie zueinander gehören. Die ersten zwei
Kategorien gehören nämlich dem Kategorieninventar „Familie“ an (in der es
selbstverständlich noch andere Kategorien wie „Kind“, „Bruder“, „Großvater“
usw. gibt), die letzten zwei dem Kategorieninventar „Konfession“ (mit anderen
Kategorien wie „böhmischer Bruder“, „Puritaner“, „Moslem“...). Es ist jedoch
schwer vorstellbar, wie z.B. die Kategorie „Mutter“ und die Kategorie
„Katholik“ zusammenpassen könnten. Und doch können wir einen Satz wie
diesen problemlos verstehen: „An der Debatte haben Peters Mutter, der
Vertreter der Regierung für Kirchenangelegenheiten und noch ein Katholik
teilgenommen.“
Aufgabe 3
a) In seinen Vorlesungen zitiert Sacks (1992, I, 757) das folgende kurze
Gespräch:
A: „I have a fourteen year old son.“
B: „Well that's allright.“
A: „I also have a dog.“
B: „Oh, I'm sorry.“
Wir sehen, dass hier „Sohn“ und „Hund“ in ein übliches Inventar
geraten sind, und zwar in das Inventar„was jemand hat“.Die Reaktionen
von Sprecher B erscheinen uns trotzdem merkwürdig. Überlegen Sie, in
welcher Situation dieses Gespräch verlaufen konnte, in welches
Inventar „Sohn“ und „Hund“ ausserdem gehören konnten. Setzen Sie
dabei voraus, dass das angeführte Gespräch für die beteiligten Personen
einen ganz normalen Informationsaustausch darstellt.
b) Kommen Sie noch einmal auf den Satz zurück: „An der Debatte haben
Peters Mutter, der Vertreter der Regierung für Kirchenangelegenheiten
und noch ein Katholik teilgenommen.“ Wie zu sehen ist, kommen in
Inventare sozialer
Kategorien
Aufgabe 3
diesem Satz drei soziale Kategorien vor. Welches Kategorieninventar ist
hier konstruiert worden?
c) Oben haben wir angeführt, dass die Kategorie „Vater“ ausschließt,
dass dieselbe Person als „Mutter“ kategorisiert wird. Könnten Sie jetzt
auf Grund ihrer Kenntnisse über Inventare sozialer Kategorien sagen,
warum das so ist?
Lösungsvorschlag 3
a) Dieses Gespräch führen eine sich um Untermiete bewerbende Person
(Sprecher A) und der Wohnungsbesitzer (B). Es schien uns daher bizarr
zu sein, weil wir nicht wussten, dass die Kategorien „Sohn“ und „Hund“
auch Glieder des Inventars der „beim Bewerben um Untermiete
relevanten Tatsachen“ sind.
b) Im Satz „An der Debatte haben Peters Mutter, der Vertreter der
Regierung für Kirchenangelegenheiten und noch ein Katholik
teilgenommen“ hat der Sprecher das Inventar „Diskussionsteilnehmer“
konstruiert.
c) In den meisten Fällen kann dieselbe Person nur mittels einer
Kategorie aus demselben Kategorieninventar kategorisiert werden.
Wir haben gesehen, dass die Kategorieninventare in konkreten Punkten des
Verlaufs konkreter Gespräche produziert werden, d.h. „hier und jetzt“, dass sie
also situationsbedingt sind. Die Gesprächspartner „arbeiten“ jedoch nicht nur an
den Kategorieninventaren, sondern auch an den sozialen Kategorien selbst. Sie
konstruieren sogar völlig neue soziale Kategorien wie z. B. die unlängst
entstandenen Kategorien „Squatter“, „Workaholic“ oder „Yuppie“. Trotz dieser
deutlichen Dynamik ist klar zu sehen, dass es auch Kategorien und
Kategorieninventare gibt, die sich durch große Stabilität auszeichnen. Diese
Inventare kann man immer zur allgemeinen Kategorisierung (unbekannter)
Personen benutzen, und deswegen können sie als Grundinventare bezeichnet
werden. Zu diesen Inventaren sozialer Kategorien werden häufig das Inventar
„Geschlecht (gender)“, das Inventar „Alter (age)“, das Inventar „Rasse (race)“
und das Inventar „Klasse (class)“ gezählt (vgl. Goffman, 1983).
Diese Grundinventare sozialer Kategorien weisen einige spezifische Züge auf.
Wir haben bereits deren feste Verankerung in einer bestimmten Gemeinschaft
erwähnt. Sie zeichnen sich weiter dadurch aus, dass mit ihnen jedes Mitglied
dieser bestimmten Gemeinschaft charakterisiert werden kann. Und schließlich
ist für sie kennzeichnend, dass sie nicht nur in verbalen Zeichen codiert sind,
sondern auch in den extraverbalen, die an Aussehen und Kleidung
Lösungsvorschlag 3
Grundinventare
sozialer Kategorien
Extraverbale
Merkmale sozialer
Kategorisierung
11
kategorisierter Person zu bemerken sind. Deshalb sind Träger dieser sozialen
Kategorien im Prinzip schon auf Grund ihrer äußeren Gestalt kategorisierbar; es
müssen weder Informationen über sie im Voraus zur Verfügung stehen, noch
muss sich eine verbale Interaktion entwickeln (siehe Hausendorf, 1993).
Einfach gesagt, man muss im Grunde genommen nicht sagen „Ich bin
Schwarzer.“ oder „Ich bin eine Frau.“, um als „Schwarzer“ oder „Frau“
kategorisiert zu werden.
Zweigliedrige Inventare werden in der Regel durch standardisierte
Relationspaare gebildet, wie „Ehemann - Ehefrau“, „Freund - Freund“,
„Elternteil - Kind“, „Vorgesetzter - Untergebener“. Kennzeichnend ist für die
Glieder dieser Kategorienpaare, dass sie angesichts ihrer Paarkategorie klare
Rechte und Pflichten und überhaupt typische Erwartungen haben, z.B. was die
Hilfeleistung angeht (vgl. Jayyusi, 1984). Charakteristisch ist ferner, dass beim
Gebrauch nur eines Gliedes des Kategorienpaares, das zweite Glied entbehrt
wird.
Aufgabe 4
a) Wir haben bereits eine ganze Reihe von Inventaren sozialer
Kategorien angeführt. In welches Inventar würden Sie die Kategorie
„Kind“ einreihen?
b) Nennen Sie weitere Beispiele der Kategorieninventare, die man 1. auf
die ganze Bevölkerung, 2. nur auf bestimmte soziale Gruppen beziehen
kann.
c) Führen Sie Beispiele standardisierter Relationspaare an, denen man in
der (marxistischen) Deutung der Geschichte begegnen kann.
Lösungsvorschlag 4
a) Die Kategorie „Kind“ kann dem Inventar „Familie“, „Alter“ und dem
standardisierten Relationspaar „Elternteil Kind“ angehören. Erst
während des Gesprächs geben die Sprecher kund, welche
Kategorieninventare sie konstruieren, also welchem Inventar die
Kategorie „Kind“ angehört.
b) Auf die ganze Bevölkerung können z.B. die Inventare
„Staatsangehörigkeit“ (mit den Kategorien „Staatsangehöriger der
Tschechischen Republik“, „deutscher Staatsangehöriger“ usw.), auf
einen großen Teil der Bevölkerung die Inventare „Bildung“ (mit
Kategorien „Akademiker“, „Abiturient“ usw.), „Firmenzugehörigkeit“
(mit Kategorien „VW-Angestellter“, „Škoda-Angestellter“ usw.),
Standardisierte
Relationspaare
Aufgabe 4
Lösungsvorschlag 4
„Beruf“ (mit Kategorien „Schlosser“, „Dolmetscher“ usw.) bezogen
werden.
c) „Sklavenhalter - Sklave“, „Feudalherr - Leibeigener“, „Kapitalist
Proletarier“ (siehe Hester / Eglin, 1997).
1.2. Anwendungsregeln sozialer Kategorien
Die sozialen Kategorien werden in der Kommunikation nach bestimmten
Regeln gebraucht. Diese Regeln betreffen nicht nur den Umstand, unter
welchen Bedingungen der Sprecher eine gewisse soziale Kategorie im Gespräch
verwendet (ausspricht), sondern auch, wie sie vom Hörer verstanden wird. Der
Gebrauch der Kategorien - einschließlich, wie sie der Hörer versteht - hängt
meistens eng damit zusammen, in welches Inventar (in welchen Inventartyp)
von Kategorien die gegebene Kategorie gehört oder gehören kann.
Eine der Grundregeln für den Kategoriengebrauch ist die Konsistenzregel
(consistency rule). Sie besagt, dass von dem Augenblick an, in dem in der
Kommunikation eine Kategorie aus einem bestimmten Kategorieninventar
gebraucht wird, auch andere Personen mit Hilfe der Kategorien aus diesem
Kategorieninventar kategorisiert werden können. Mit der Wirkung dieser Regel
kann man zum Beispiel erläutern, warum es besser ist, die Verwendung
pejorativer wertender Kategorien zu vermeiden - unser Kom-
munikationspartner kann sie nämlich der Konsistenzregel zufolge auch auf uns
selbst beziehen (siehe Silverman, 1993).
Die Konsistenzregel bestimmt die Art und Weise, wie der Hörer die
Kategorisierungen versteht, die nicht eindeutig sind (sog. hearing rule). Kann
der Hörer nämlich dann, wenn eine Ambiguität der Kategorien vorkommt,
gegebene Kategorien als Kategorien desselben Kategorieninventars deuten,
wird er sie als solche interpretieren. Durch die Wirkung dieser Regel läßt sich
zum Beispiel erklären, warum in der Beschreibung des Ereignisses
„Das Kind hatte begonnen zu weinen. Die Mutter nahm es hoch und
schloß es in die Arme.“
der Hörer / Leser die Kategorie „Kind“ nicht als Kategorie aus dem Inventar
„Alter“, sondern als Kategorie aus dem Inventar „Familie“ versteht, d.h. als das
Kind der Person, die als „Mutter“ in dem zweiten Satz bezeichnet wird
(ausführlicher siehe Sacks, 1992).
Konsistenzregel
Hearing rule
13
Aufgabe 5
a) Kommen Sie auf die Beschreibung des Ereignisses zurück: „Das Kind
hatte begonnen zu weinen. Die Mutter nahm es hoch und schloß es in die
Arme.“ Argumentieren Sie genauer, warum „Kind“ in diesem Fall dem
Inventar „Alter“ nicht angehört.
b) Betrachten Sie den folgenden Satz: „In dem Unternehmen arbeiten
gründlich nur ein paar Polen, ein paar Ukrainer, ein paar Slowaken und
ein paar Monteure.“ Wie würden Sie diese Ordnung von vier sozialen
Kategorien von den Kategoriengebrauchsregeln aus charakterisieren?
Lösungsvorschlag 5
a) „Kind“ kann zwar eine Kategorie aus dem Inventar „Familie“ sowie
aus dem Inventar „Alter“ sein, aber „Mutter“ gehört bloß dem Inventar
„Familie“ an. Beide Kategorien, d.h. „Kind“ und „Mutter“, können also
nur dem Inventar „Familie“ angehören.
b) Die ersten drei Kategorien sind Glieder des Inventars „Ethnie“, die
vierte gehört ins Inventar „Beruf“. Die Konsistenzregel scheint hier also
nicht Anwendung gefunden zu haben. Der Hörer könnte jedoch - nach
der schon erwähnten „hearing rule“ ohne Weiteres die Kategorie
„Monteure“ auf das Inventar „Ethnie“ beziehen. In Bezug auf das
Inventar „Ethnie“ könnte er die Verwendung der Kategorie „Monteure“
wenigstens auf zwei Weisen verstehen: 1. die Gruppe, für die die
Kategorie „Monteure“ angewendet wurde, läßt sich aus ethnischem
Gesichtspunkt nicht kategorisieren (sie ist nicht ethnisch homogen). 2. im
Gegenteil: die Gruppe der Monteure ist ethnisch homogen und jeder
weiß, welche Ethnie sie bildet, sodass es sich erübrigt, sie aus dieser
Sicht zu kategorisieren (z.B. die Monteure sind nur Tschechen oder nur
Deutsche). Wesentlich ist, dass beide Deutungen die Kategorie
„Monteure“ mit dem Inventar „Ethnie“ in Beziehung setzen.
1.3. Kategoriengebundene Aktivitäten
Die sozialen Kategorien verknüpfen die Sprecher mit typischen Aktivitäten
(aber auch mit Verhaltensprädispositionen, mit Stellungnahmen, Glaubens-
bekenntnissen, Eigenschaften ... zusammenfassend: mit Merkmalen). Diese
Aufgabe 5
Lösungsvorschlag 5
Kategoriengebun-
dene Merkmale
Aktivitäten, bzw. Merkmale sind also kategoriengebunden. Anders gesagt, die
sozialen Kategorien werden durch bestimmte Merkmale konstituiert.
Lehrer wären keine Lehrer, wenn sie nicht lehren würden. Für Tschechen
ist es - unter anderem - typisch, dass sie tschechisch sprechen, für Eltern
trifft zu, dass sie Kinder haben und erziehen usw.
Daraus ergibt sich, dass die sozialen Kategorien für die Sprecher so etwas wie
Wissensvorräte sein können. Laut Sacks (1992) sind die sozialen Kategorien
„inferenzreich“ (inference-rich), d.h. man kann aus ihnen vielerlei Schluß-
folgerungen ableiten. Wichtig ist, dass dieses Wissen sich beim Gebrauch der
entsprechenden Kategorie aktiviert und den sozialen Kontakt wesentlich
beeinflussen kann. Falls uns z.B. eine unbekannte Person als Lehrer vorgestellt
worden ist, wissen wir, welche Gesprächsthemen wir wählen können. Das ist
nicht nur deswegen möglich, weil wir wissen, welche Aktivitäten mit der
Kategorie „Lehrer“ typisch verknüpft sind, sondern eigentlich auch deswegen,
weil „Lehrer“ eines der Glieder des standardisierten Relationspaar „Lehrer -
Schüler“ ist. Die Kenntnis dieses Paars führt uns also zu einer weiteren
Kategorie, nämlich „Schüler“, und zu ihren kategoriengebundenen Aktivitäten
usw.
Da die Aktivitäten kategoriengebunden sind, kann man nicht nur den gegebenen
Kategorien entsprechende Aktivitäten entnehmen (wie wir bisher getan haben),
sondern auch umgekehrt: den kategorialen Aktivitäten können entsprechende
Kategorien entnommen werden.
Sehen wir in der Schule jemanden, wie er unterrichtet, werden wir ihn als
Lehrer kategorisieren. Hören wir jemanden im Ausland, der perfekt
tschechisch spricht, werden wir ihn als Tschechen kategorisieren.
Dass kategoriale Aktivitäten keine Fiktion sind, bezeugt auch die Tatsache, dass
die Sprecher manchmal selbst betonen, dass die kategorisierte Person die
entsprechenden kategorialen Aktivitäten nicht aufweist:
„Er ist Lehrer, aber sein Brot verdient er sich in der Werbung.“
In den Äußerungen wie „Lehrer bleibt Lehrer“ wird bestätigt, dass die
Verknüpfung der Kategorie mit ihren kategorialen Aktivitäten bzw. Merkmalen
unter allen Umständen (d.h. kategorisch) gilt.
Beispiele
Kategorien sind
inferenzreich
Beispiele
15
Dass man aus sozialen Kategorien vielerlei Schlußfolgerungen ableitet, diese
also „inferenzreich“ sind, bedeutet nicht, dass ihnen bloß kategoriengebundene,
bzw. konstitutive Merkmale entnommen werden (z.B. „Die Lehrer lehren.“).
Die Kategorien können z.B. mit konkreten geschichtlichen Geschehnissen
assoziiert werden (z.B. „Die Deutschen haben sich wieder vereinigt.“).
Aufgabe 6
a) Bestreiten Sie einige der kategorialen Aktivitäten, welche die
folgenden Kategorien konstituieren: „Sozialdemokrat“, „Manager“,
„Ausländer“. In ihren Antworten verwenden Sie folgende Struktur: „Er
ist X, aber...“ oder „Obwohl er X ist, ...“
b) Betrachten Sie folgendes Textfragment aus der tschechischen Presse:
„Das Andenken ihres Toten haben die Roma singend und tanzend drei
Tage und drei Nächte lang gefeiert. Dennoch hat die Polizei während
dieser Zeit keine Ausschreitung und keinen Diebstahl vermerkt, die von
Roma begangen worden wären.“ (Mladá fronta Dnes, 31.7.1993)
Welche kategorialen Merkmale werden hier den Roma zugeschrieben?
Lösungsvorschlag 6
a) Zum Beispiel: „Er ist Sozialdemokrat, aber er hat ziemlich liberale
Ansichten.“, „Er ist Manager, aber managen kann er nicht.“, „Obwohl
er Ausländer ist, orientiert er sich hier ziemlich gut.“
b) Roma sind Randalierer, Roma stehlen.
1.4. Evozieren sozialer Kategorien im Gespräch
Die Tatsache, dass die sozialen Kategorien „inferenzreich“ sind, ermöglicht
den Sprechern, dass sie dem expliziten Kategoriengebrauch im Gespräch
ausweichen, aber zugleich kundtun können, dass die entsprechende soziale
Kategorie in ihrem Gespräch implizit anwesend ist. Der Sprecher muss also die
Benennungen wie „Vater“, „Tscheche“ oder „Yuppie“ nicht verwenden, aber
trotzdem kann er diese Kategorien im Gespräch relevant machen, er kann sie
auf verschiedene Weise evozieren (Drescher, 1993). Das Evozieren der
Kategorien ist am deutlichsten, wenn die Sprecher einige Merkmale der
Kategorien erwähnen, die kategoriengebunden sind (siehe oben). In einem
moralischen Diskurs kann die Kategorie „Vater“ z.B. dadurch hervorgerufen
Aufgabe 6
Roma
Lösungsvorschlag 6
Anführen charak-
teristischer Merk-
male, um einen
Rückschluß auf die
Kategorie
nahezulegen
werden, dass der Sprecher sagt: „Er muss sich bewußt werden, dass er zu Hause
zwei kleine Kinder hat!“
In den alltäglichen „natürlichen“ Gesprächen sind jedoch kompliziertere, wenig
eindeutige Fälle vorzufinden. Häufig ist den beiden Sprechern nicht einmal klar,
welche Kategorie im Gespräch gerade relevant ist.
Der Sprecher kann sich z.B. folgende Frage stellen: „Spricht man jetzt
über die Deutschen oder über die Manager?“ (siehe weiter)
Welche Kategorie im Gespräch momentan aktiviert wird, ist oft undeutlich,
weil die Kategorien durch sehr verschiedene (subtile) Mittel und auf
verschiedene Weisen hervorgerufen werden können, die im Prinzip nicht
vollständig beschreibbar sind. Ein wichtiger Faktor bildet die Tatsache, dass auf
die Kategorien nicht im Rahmen eines Satzes angespielt werden muss (wie das
im oben angeführten Beispiel aus dem moralischen Diskurs der Fall ist),
sondern allmählich, im Verlauf (sehr) umfangreicher Gesprächssequenzen.
Das Evozieren der sozialen Kategorien kann eine wichtige Kommuni-
kationsstrategie darstellen. Der Sprecher befindet sich oft in Situationen, in
denen der explizite Gebrauch einer sozialen Kategorie, d.h. ihre entsprechende
Benennung, im Gespräch sowohl für ihn selbst, als auch für seinen
Kommunikationspartner problematisch werden könnte. Der weitere
Gesprächsverlauf könnte dadurch sehr behindert werden. Man achtet darauf,
dass man weder sein eigenes „Gesicht“ verliert, noch das „Gesicht“ seiner
Kommunikationspartner bedroht, und deswegen werden die sozialen Kategorien
im Gespräch eher implizit relevant gemacht. Das Evozieren von Kategorien hat
vielmals die Form von vagen „Angeboten“, die der Kommunikationspartner
(strategisch) identifiziert oder nicht identifiziert, aufnimmt oder nicht akzeptiert.
Eine erhöhte Sensibilität bei der Kategorienverwendung ist hauptsächlich beim
Verkehr von Mitgliedern verschiedener sozialer Gruppen (z.B. ethnischer) oder
beim Kontakt von (bisher) unbekannten Personen ersichtlich. In solchen
Situationen werden die Kategorien eher implizit als explizit verwendet. Im
Kontakt bekannter Personen und Mitgliedern derselben sozialen Gruppe werden
die Kategorien im Gegenteil häufig explizit gebraucht.
Die explizite Verwendung der sozialen Kategorien und ihrer kategorialen
Merkmale - vor allem in der Form von Stereotypen (siehe weiter) - innerhalb
der Gruppe kann sogar ein ihren Zusammenhalt unterstützender Faktor sein.
Beispiel
Schwierigkeit, die
relevante Kategorie
zu erkennen
Evozierung der
Kategorien als
Kommunikations-
strategie
Stereotype
17
Aufgabe 7
Drescher (1993) veranschaulicht, wie Kategorien in ein Gespräch
„einfließen“. An einer Westberliner Sprachschule spricht eine Lehrerin
R mit einer Sekretärin I (unwesentlich geändert):
I: „Das ist eben so nach der Wende so geworden, dass jeder denkt, er
kann machen, was er will.“
R: „Hm.“
I: „Vorher war das alles irgendwie organisiert und man hat versucht
Rücksicht auf einander zu nehmen, ja?“
R: „Hm.“
I: „Und jetzt, das verstehen die alle unter der großen Freiheit - ?“
R: „Freiheit, jetzt kann man alles machen. Ne?“
I: „Ja, wenn sie sich an keine Norm mehr zu halten brauchen.“
Für die Deutung dieses Fragments ist es Folgendes wichtig: R weiß, dass
I aus dem östlichen Teil Deutschlands stammt, und I weiß, dass R aus
dem westlichen Teil Deutschlands stammt. - Wären Sie imstande zu
sagen, welche soziale Kategorie in diesem Gesprächsfragment evoziert
wird? Worauf können Sie Ihre Antwort stützen? - Geben Sie auch
Sprachmittel an, die hier für das „Sprechen über Personen“ gebraucht
werden; sind es konkrete soziale Kategorien?
Lösungsvorschlag 7
Drescher (1993) gibt eine Reihe von Argumenten an, die beweisen, dass
hier auf die Kategorie „Ossi“, bzw. „Ostdeutscher“ angespielt wird. Das
Evozieren dieser Kategorie verläuft so, dass die Sprecher die für diese
Kategorie bezeichnenden Merkmale nennen: jeder denkt, er kann
machen, was er will“, „alles war irgendwie organisiert und man hat
versucht Rücksicht aufeinander zu nehmen“, „jetzt kann man alles
machen“, „sie brauchen sich an keine Norm mehr zu halten“
(ausführlicher siehe Drescher, 1993). Es ist erkennbar, dass die
Sprecher über die Personen nicht in der Terminologie sozialer
Kategorien sprechen, sondern dass sie verschiedene Pronomina
verwenden (z.B. jeder, man, sie), wobei ihr Referenzobjekt vage bleibt.
Dieselbe Funktion erfüllt auch das Passiv im Satz „alles war irgendwie
organisiert“; der Agens des Organisierens ist hier ebenso unklar.
Aufgabe 7
Fallbeispiel
Lösungsvorschlag 7
2. Ethnische Kategorien
Es ist selbstverständlich, dass in der interkulturellen Kommunikation die
ethnischen Kategorien häufig relevant werden. Daher widmen wir ihnen hier
besondere Aufmerksamkeit.
Das Inventar der ethnischen Kategorien ist sehr umfangreich und man kann mit
ihm einen großen Teil der Bevölkerung kategorisieren. Sehr oft scheint es
wichtig, die Personen nicht unter dem Aspekt zu kategorisieren, zu welcher
Ethnie sie gehören, sondern unter dem Aspekt, ob sie der „einheimischen
Ethnie“ angehören oder nicht. Diesen Kommunikationsbedarf befriedigt das
standardisierte Relationspaar „Inländer - Ausländer“.
Noch bevor die Kommunikation anfängt, werden die betreffenden Personen
sehr häufig auf Grund nonverbaler Zeichen ethnisch kategorisiert. Als
ethnoidentifizierende Zeichen können die Kleidung, die Frisur,
physiognomische Züge u.ä. dienen. Das Inventar ethnischer Kategorien ähnelt
also sehr den Grundinventaren sozialer Kategorien, die wir oben erwähnt haben.
Durch die ethnische Kategorisierung, die mittels nonverbaler Zeichen zu Stande
kommt, muss man nicht zur konkreten Ethnie gelangen, sie unterscheidet
jedoch mindestens den Gegensatz „Inländer – Ausländer“.
Vor dem Beginn der verbalen Interaktion kann zum ethnoidentifizierenden
Zeichen auch eine der wichtigsten kategorialen Aktivitäten werden, die zu den
Merkmalen ethnischer Kategorien gehören, nämlich die Verwendung
entsprechender „ethnischer Sprache“. Man kann z.B. eine Gruppe sprechender
Leute beobachten, die Sprache ihres Gesprächs als Polnisch identifizieren und,
noch bevor man sie anspricht, diese Gruppe als Polen kategorisieren. (Eben
diese Kategorisierung kann sogar zum unmittelbaren Impuls der Kommuni-
kationseröffnung werden).
Die Verknüpfung der ethnischen Kategorie und der entsprechenden ethnischen
Sprache ist in der Tschechischen Republik sehr stark; sie ist im oben
abgegrenzten Sinn kategorial konstitutiv (siehe Nekvapil, 2000). Man kann das
auch damit illustrieren, dass in Prag in den alltäglichen ethnischen
Identifizierungen, die auf der Sprache begründet sind, meistens überhaupt nicht
damit gerechnet wird, dass Deutsch nicht nur von Deutschen, sondern auch von
Österreichern gesprochen wird. Dominant, wenn nicht ausschließlich, ist die
Verknüpfung „Deutsch sprechen die Deutschen“.
Relationspaar
„Inländer-
Ausländer“
Ethnoidentifizierende
Zeichen
Kategorisierungen
durch Sprache
Deutsch als
Kategorisierungs-
mittel in Tschechien
19
Nach dem gesellschaftlichen Umsturz 1989 ist die ethnische Kategorisierung
sehr populär in den tschechischen Zeitungen geworden. Sogar in den seriösesten
Blättern sind bis heute Titel folgenden Typs vorzufinden: „Ein Ukrainer für
Diebstahl in der Firma, die Darlehen gewährte, gerichtlich bestraft“ oder
„Gericht hat dem Italiener die Absicht zu morden nicht nachweisen können“
(beide dem Tagblatt Mladá Fronta Dnes, 13.1.1999, S.6, entnommen). Wir
sehen, dass bei Personen(gruppen), die im Verdacht stehen, ein Verbrechen
begangen zu haben, vordergründig ihre ethnische Identität aktualisiert wird.
Dies passiert jedoch meist nur in den Fällen, in denen die Täter nicht Tschechen
sind. Daraus geht hervor, dass diese in den Zeitungstiteln vorkommende
ethnische Kategorisierung die Bevölkerung in „Inländer“ und „Ausländer“
einzuteilen hilft.
Aufgabe 8
a) Ein kleines tschechisches Kind fragt:
„Vati, in der Schweiz spricht man schweizerisch?“
Auf welche Voraussetzungen stützt sich eine solche Frage? Von welchen
Erfahrungen geht das Kind wohl aus?
b) Die Tschechische Republik kämpft mit einem verbreiteten Rassismus,
der sich vor allem gegen Roma (Zigeuner) richtet. In der tschechischen
Bevölkerung läuft folgende Redensart um:
„Ich mag keine Rassisten und Zigeuner.“
In dieser Redensart arbeitet man mit einer kategoriengebundenen
Eigenschaft der Kategorie „Rassisten“. Um welche geht es? Geben Sie
auch an, worauf der Witz dieser Redensart begründet ist, und denken Sie
nach, worin ihre gesellschaftskritische Funktion bestehen könnte.
Lösungsvorschlag 8
a) Die Frage „Vati, in der Schweiz spricht man schweizerisch?“ geht
(u.a.) von der Voraussetzung aus, dass die entsprechende soziale
Kategorie, d.h. die „Schweizer“, durch die kategoriale Aktivität
„schweizerisch sprechen“ konstituiert wird. Das heißt, dass das Kind
nach dem Modell denkt, dem es bereits begegnet ist, nämlich „Die
Tschechen sprechen tschechisch.“ oder „Die Deutschen sprechen
deutsch.“
Ethnische
Kategorisierungen in
tschechischen
Zeitungen
Aufgabe 8
Roma
Lösungsvorschlag 8
b) Diese Eigenschaft der Kategorie „Rassisten“ heißt (in der
tschechischen Situation) „Zigeuner nicht mögen / Zigeuner hassen“. Der
Witz dieser Redewendung beruht also darauf, dass sich der Sprecher
dieselbe Eigenschaft zuschreibt, die den Rassisten eigen ist, von denen er
sich distanziert. In dieser Redensart spielt man darauf an, dass die
Bekämpfung des Rassismus oft lediglich verbalen Charakter bzw.
Manifestationscharakter hat.
3. Ethnische / nationale Stereotype
3.1. Vorbemerkungen
Das mit den ethnischen Kategorien verbundene Wissen beschränkt sich im
Alltag häufig auf ethnische / nationale Stereotype. Es handelt sich um
Behauptungen wie: „Die Zigeuner stehlen.“, „Die Deutschen sind aggressiv.“,
„Die Polen mögen die Arbeit nicht.“ usw. In der Terminologie, die wir
eingeführt haben, läßt sich sagen, dass die stereotypen Behauptungen eine
ethnische Kategorie (z.B. „Polen“) und ein kategoriengebundenes Merkmal
enthalten (z.B. „arbeiten ungern“).
Die Stereotype unterscheidet man manchmal von den Vorurteilen. Das
unterscheidende Merkmal sei die negative Stellung zu einer sozialen Gruppe
beim Vorurteil, wobei das Stereotyp die bloße verbale Äußerung eines
Überzeugungtyps sein soll. Aus der folgenden Abgrenzung ist jedoch zu
erkennen, dass beide Begriffe sehr ähnlich sind.
„Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf soziale Gruppen
oder einzelne Personen als deren Mitglieder gerichteten
Überzeugung, die in einer gegebenen Gemeinschaft weit verbreitet
ist. Es hat die logische Form eines Urteils, das in ungerechtfertigt
vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional-
wertender Tendenz, einer Klasse von Personen bestimmte
Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder abspricht.
Linguistisch ist es als Satz beschreibbar.“ (Quasthoff, 1973)
Die ethnischen Stereotype beeinflussen in beträchtlichem Maße unsere
Vorstellungen von fremden Völkern bzw. Ethnien, und sie finden
selbstverständlich (unterbewusst) Anwendung auch in der Kommunikation mit
den Mitgliedern dieser sozialen Makrogruppen. Viele ethnische Stereotype
werden bereits seit einigen Jahrhunderten überliefert (siehe Jaworski, 1987).
Vorurteil
Definition des
Stereotyps
Starre Vorstellungen
21
Die Stereotype kommen in der Kommunikation unterschiedlich direkt vor
(siehe schon oben über die Kategorienevozierung). Quasthoff (1973; 1987) gibt
vier Arten der kommunikativen Gestaltung der ethnischen Stereotype auf der
Skala Direktheit - Indirektheit der Äußerung an. Der Grundtyp, d.h. die
direkteste Art der Äußerung bilden die Behauptungen folgenden Typs:
„Germans are industrious.“ Zwei weitere Arten schränken die Gültigkeit der das
Stereotyp bildenden Behauptung schon etwas ein. Der erste dieser Typen (z.B.
„Germans are believed to be industrious“) stellt die stereotype Behauptung als
bloße kollektive Überzeugung dar, der zweite (z.B. „I have the impression that
Germans are industrious“) präsentiert die entsprechende Behauptung als eine
individuelle Vermutung des Sprechers. In dem letzten Typ erscheint das
Stereotyp als Präsupposition der Äußerung; es kommt also nicht explizit zum
Ausdruck, sondern ergibt sich aus der Äußerung (z.B. „He is German but he is
not industrious.“).
Was ist ein Stereotyp und was ist keines? Diese Frage ist manchmal ähnlich
schwer zu beantworten wie die Beurteilung von kategoriengebundenen
Aktivitäten. Nicht jede Beschreibung der Tätigkeiten der entsprechenden
sozialen Kategorie muss nämlich Stereotyp sein. Daher ist es wichtig, darauf zu
achten, was die Sprecher selbst im Gespräch als Stereotype präsentieren.
Das folgende Beispiel veranschaulicht, wie der Sprecher signalisiert, dass die
von ihm im Gespräch genannten Merkmale einer ethnischen Kategorie als
Stereotyp zu sehen sind.
Der Roma-Abgeordnete B spricht im tschechischen Fernsehen über die
sehr schlechte ökonomische Position der Roma:
B: „Ich kenn‘ keinen Fall, in dem 'n einziger Roma oder ein Roma-
Unternehmer was privatisieren, an der Privatisierung
teilnehmen würde. In dem Moment, in dem er sich beteiligen
würde, dann ist das das, was man allgemein von uns erzählt:
unfähig, sie sind nicht fähig, sie können's nicht, sie können
nicht lesen, sie haben keine Intelligenz.“
In dieser Äußerung kommt eine Reihe von Deskriptionen der Roma vor: z.B.
„sie sind unfähig“, „sie können nicht lesen“, „sie haben keine Intelligenz“.
Deren stereotypen Charakter signalisiert der Sprecher mit der Formulierung:
„Das ist das, was man allgemein von uns erzählt“.
Beachten wir auch die Tatsache, dass dieses Stereotyp hier als Stereotyp
präsentiert wird, das eine gewisse soziale Gruppe (hier Tschechen) von einer
anderen Gruppe (Roma) habe. Es handelt sich also um ein Heterostereotyp (im
Arten der
Formulierung von
Stereotypen
Beispiel: Roma
Heterostereotyp
Autostereotyp
Unterschied zum Autostereotyp, d.h. zum Stereotyp, das eine ethnische Gruppe
von sich selbst hat).
Aufgabe 9
a) In einem narrativen Interview (Schütze, 1999), dessen Ziel es war,
Erkenntnisse über die Stellung der Waliser Minderheit in Großbritannien
zu gewinnen, ergab sich folgende Sequenz (R ist Respondent, F ist
Forscher):
R: „... we Welsh people are supposed to be religious, aren't we?“
F: „Mhm ... Yeah ...“
R: „You knew that, did you?“
F: „Yeah, I knew that, yeah...“
Identifizieren Sie in diesem Gespräch das ethnische Stereotyp. Welchen
der oben angeführten Äußerungsweisen der Stereotype würden Sie es
zuordnen? Geben die Sprecher in dieser Sequenz irgendwie kund, dass
das angeführte ethnische Stereotyp wirklich eine „kollektive
Überzeugung“ ist?
b) Untersuchen Sie ein Textfragment aus der tschechischen Wirtschafts-
presse:
„Avie Letňany mußte für die Sommer- und Herbstmonate fast 100
Arbeiter aus Polen aufnehmen, sonst wäre die Produktion bedroht
gewesen. Nebenbei: Die Polen halten die Disziplin ein und es gibt keine
Probleme mit ihnen.“ (Profit 3.9.1992; unwesentlich geändert)
Welches ethnische Stereotyp klingt hier an? Welchen der oben
angeführten Weisen der Äußerung der Stereotype würden Sie es
zuordnen?
c) Bei Bergmann (1996) ist folgende Formulierung vorzufinden:
„Stereotype beinhalten eine ‚konservierte kollektive Empörungs-
geschichte‘, die im Diskurs reanimiert werden will.“.
Meint hier der Verfasser eher Autostereotype oder Heterostereotype?
Lösungsvorschlag 9
a) In der Grundform ist es das Stereotyp „Welsh people are religious“.
Die Äußerungsweise dieses Stereotyps, d.h. „Welsh people are supposed
to be religious“, hat den gleichen Aufbau wie der oben angeführte Typ
Aufgabe 9
Stereotyp als „kon-
servierte kollektive
Empörungsgeschich-
te“
Lösungsvorschlag 9
23
„Germans are believed to be industrious“. Davon, dass das angegebene
Stereotyp ein kollektives, und daher sehr bekanntes Wissen ist, können
die Anfrage des Sprechers R „You knew that, did you?“ und die
bejahende Entgegnung des Sprechers F zeugen.
b) Die Polen sind undiszipliniert; was die Arbeit anbelangt, sind sie
„trouble-makers“. - Die angeführte Äußerungsweise gehört am ehesten
dem oben als vierten genannten Typ an („He is German but he is not
industrious“), denn das Stereotyp muss der Äußerung entnommen
werden.
c) Wahrscheinlich Heterostereotype. Die Autostereotype enthalten
meistens eher positive Merkmale.
3.2. Stereotype im deutsch-tschechischen Kontakt
Soziologischen Untersuchungen zufolge, die sich mit den nationalen/ethnischen
Stereotypen befassen, ist das Bild des typischen Deutschen bei den Tschechen
zu 50% negativ. Zu den positiven Charakterzügen des typischen Deutschen
gehören Disziplin, Pünktlichkeit, Präzision, Ordnungssinn, Arbeitseifer,
konsequentes Verhalten, Sparsamkeit, Seriosität. Zu den negativen Zügen
gehören: Überheblichkeit, Expansionslust bis hin zur Aggressivität. Spuren von
Nationalismus bis Nazismus seien noch zu spüren (Šmídová, 1992). Die
negativen Züge der Deutschen sind vor allem das Resultat der
Verallgemeinerung der Erfahrungen aus der Geschichte, die weiterhin von der
älteren Generation tradiert werden.
Den unübersehbaren Prozentsatz negativer Einstellungen zu
Deutschen/Deutschland sollte man jedoch nicht nur als das Resultat historischer
Reminiszenzen betrachten, sondern auch im Kontext der tschechischen Haltung
zu Ausländern allgemein. Berichte repräsentativer soziologischer
Untersuchungen sind sehr aussagekräftig:
„Eight out of ten adult inhabitants consider a presence and a
growing number of foreigners in the Czech Republic an
unfavourable issue.“
Am Schluß der gleichen Untersuchung spricht man von: „a general and deeply
rooted xenophobia of the Czech society“ (Ethnic relations …, 1994, S. 49).
Diese Beziehung zu Ausländern wird von mehreren Faktoren beeinflußt: zum
einen durch die Bemühungen des alten Regimes, seine Staatsbürger von den
Staatsbürgern der nicht-sozialistischen Länder zu isolieren, weiter durch die
Bild des typischen
Deutschen
Haltung gegenüber
Ausländern
geographische Lage des Staates und auch durch die langfristige ethnische
Homogenisierung des Territoriums (vgl. Nekvapil/Neustupný, 1998).
Wollen wir jetzt von den Heterostereotypen zu den Autostereotypen übergehen,
d.h. dazu, welches Selbstbild die tschechischen Respondenten in den
soziologischen Untersuchungen bieten. Die tschechischen Autostereotype
bezeugen, dass die deutsche Welt für die tschechische Gesellschaft schon seit
langem einen Referenzrahmen bildet. Die Tschechen sind in beträchtlichem
Maße fähig nur so „anders“ zu sein, dass sie sich die Merkmale zuschreiben, die
der Gegensatz zu den den Deutschen zugeschriebenen Merkmalen sind. Die
tschechische Soziologin O. Šmídová sagt:
„Gegen die deutsche Überheblichkeit, Aufgeblasenheit, den
deutschen Nationalismus, Expansionismus stellen wir als typisch
tschechische Eigenschaften Unterordnung, Anpassungsfähigkeit,
Opportunismus, Uneinigkeit und keine Durchschlagskraft. Wir
schätzen unseren Sinn für Humor hoch, während er den Deutschen
unserer Meinung nach ganz fehlt. Nach unserer Ansicht fehlen uns
völlig die typisch deutschen Eigenschaften protestantischer Ethik
wie Genauigkeit, Solidität, Diszipliniertheit, Ordnungssinn usw.
Bloß eine einzige der Eigenschaften, die wir bei den Deutschen
hochschätzen, nämlich die Arbeitsamkeit, finden wir auch im
Arsenal der Züge der tschechischen Natur vor, obwohl in einem
wesentlich geringeren Maße.“ (vgl. Šmídová, 1992).
Dagegen spielten und spielen die Tschechen im alltäglichen Leben der meisten
Deutschen eine zu vernachlässigende Rolle. Das kommt in der sehr geringen
Zahl der deutschen Heterostereotype zum Ausdruck, deren Objekt die
Tschechen sind. Aktuell ist vielleicht nur, dass die Deutschen den Tschechen
die Eigenschaften der literarischen Figur Schwejk zuschreiben.
Aufgabe 10
a) In der Untersuchung, die 1994 im Joint Venture Škoda-Volkswagen
(siehe im folgenden Text) durchgeführt wurde, äußerte sich ein deutscher
Respondent über die politische bzw. ethnische Entwicklung in der
Tschechischen Republik folgenderweise:
„Die Tschechen haben sich jetzt praktisch auf sich selbst reduziert.“
Worauf konnte dieser Respondent seine Behauptung stützen?
Tschechische
Autostereotype
Zitat
Deutsche
Heterostereotype
Aufgabe 10
25
Lösungsvorschlag 10
a) Der Respondent spielte wohl darauf an, dass nach 1945 aus dem
tschechoslowakischen Gebiet fast die ganze deutsche Minderheit
abgeschoben worden war (über 2,5 Millionen Menschen) und durch die
Trennung der Tschechoslowakei 1993 das Zusammenleben der
Tschechen und Slowaken in einem Staat praktisch sein Ende nahm. In der
Tschechischen Republik, die rund 10 Millionen Einwohner hat, leben
heutzutage bloß 5% Nichttschechen. Zur deutschen Nationalität bekennen
sich hier 0,5% der Einwohner, zur slowakischen 3,1%.
4. Soziale Kategorisierungen in einem Joint Venture
4.1. Untersuchung bei Škoda-Volkswagen
Der vorliegende Abschnitt behandelt die kommunikativen Präsentationen
sozialer Identität im größten Joint Venture auf dem Gebiet der Tschechischen
Republik, dem Automobilunternehmen Škoda, welches 1991 in die
Volkswagen-Gruppe integriert wurde. In dem Abschnitt soll gezeigt werden,
wie soziale Kategorisierung in einem konkreten internationalen Unternehmen
abläuft (ausführlicher siehe Nekvapil, 1997).
Der Untersuchung liegen Aufzeichnungen zugrunde, bei denen es sich um
nicht-strukturierte Interviews und alltägliche Gespräche handelt. Die Analyse
erbrachte eine große Menge sozialer Kategorien. Folgende Haupttypen waren
vorzufinden:
einfache ethnische Kategorien
Tschechen, Deutsche
komplexe ethnische Kategorien
Fremde, Expatriates
Statuskategorien
Spitzenleute, Manager
ethnisch modifizierte Statuskategorien
ein deutscher Manager, tschechisches
Management
ethnisch modifizierte biographische
Kategorien
tschechische Nachwuchskräfte
biographisch und ethnisch modifizierte
Statuskategorien
ein junger deutscher Manager
Angestellten-Kategorien
VW-Leute, VW, ein Mitarbeiter
geschickt zu Škoda von VW, Škoda-
Mitarbeiter, FSE (= Foreign Service
Employee)
Lösungsvorschlag 10
Klassifikation der
sozialen Kategorien
ethnisch modifizierte Angestellten-
Kategorien
der tschechische Škoda-Mitarbeiter
Berufspartner-Kategorien
Mitarbeiter
ethnisch modifizierte Berufspartner-
Kategorien
tschechische Mitarbeiter, deutsche
Kollegen
Aus dieser Klassifikation ist es ersichtlich, wie wichtig der ethnische Aspekt der
Kategorisierung bei Škoda-Volkswagen ist, der bei einfachen ethnischen
Kategorien am ehesten deutlich wird.
Er fällt auch bei dem ethnischen Modifizieren nicht-ethnischer Kategorien (z.B.
Status-, Angestellten-, Berufspartner-Kategorien u.a.) auf, es besteht jedoch
zwischen beiden Arten der Kategorisierung vom kommunikativen Standpunkt
aus ein großer Unterschied (siehe im folgenden Abschnitt).
4.2. Einfache ethnische Kategorien gegen ethnisch modifizierte
nicht-ethnische Kategorien
Der Gebrauch von einfachen ethnischen Kategorien, vor allem „Deutsche“ bzw.
„Tschechen“, wird hier mit der Verwendung ethnisch modifizierter nicht-
ethnischer Kategorien, z.B. „deutsche Manager“ oder „tschechische Kollegen“,
verglichen. Auf der Äußerungsebene ist also ein Unterschied zwischen
Formulierungen wie „Die Deutschen tun im Unternehmen dies und jenes“ und
„Die deutschen Manager/Kollegen tun im Unternehmen dies und jenes“ zu
sehen.
Einfache ethnische Kategorien sind selbstverständlich kürzer als ethnisch
modifizierte Kategorien. Es ist jedoch auffällig, dass viele Sprecher längere
ethnisch modifizierte Kategorien auch dort verwenden, wo eigentlich
einfachere, kürzere ethnische Kategorien möglich wären. Dazu ein Beispiel:
„Ich glaube, dass eine Reihe deutscher Kollegen im Grunde sehr auf die
Sauberkeit der Prozesse achtet.“
In den aufgezeichneten Gesprächen, die sich auf die Veränderungen im
Unternehmen nach 1991 bezogen, konnte man zwar auch den Gebrauch von
einfachen ethnischen Kategorien feststellen, allerdings nur in bestimmten
Zusammenhängen.
Bedeutung des
ethnischen Aspekts
Unterschiedliche
Formulierungen
Einfache ethnische
Kategorien
27
Den ersten Typ kann man als historischen, politischen oder ethnisch-nationalen
Diskurs bezeichnen. Charakteristisch ist, dass bei diesem Typ nicht die
Situation von Škoda-Volkswagen im Vordergrund steht, sondern die allgemeine
gesellschaftliche Situation. Dazu zwei Beispiele:
„Aber das, was die Tschechen besser haben als zum Beispiel die
Menschen in dem östlichen Teil Deutschlands, das ist das Bewußtsein,
wir haben unsere Identität wir haben unseren Staat.“
„Aber im Grunde denke ich mir, dass überhaupt die Tschechen hier in
dieser Fabrik, aber ich kann das vielleicht sagen selbst als Volk, so meine
ich, dass wir auf ihrem Niveau sind, und wir uns für überhaupt nichts
schämen müssen.“
Den zweiten Typ bilden Aussagen, die im weitesten Sinne des Wortes die
Kultur des jeweiligen Ethnikums betreffen. Es geht vor allem um die
Präsentation ethnischer/nationaler Stereotype. Auch hier finden wir
Formulierungen, die weit über die Beschreibung der sozialen Situation im
Unternehmen Škoda-Volkswagen hinausgehen. Dazu zwei Beispiele:
„Da da schwingt Angst mit, ja?, dass die Deutschen zu gewaltig sind.“
„Und jetzt gab es die Enttäuschung daraus, dass es sich zeigte, dass zum
Beispiel manche nicht so genau sind, wie man bei uns gesagt hat,
Deutsche, die sind ganz pünktlich, nicht wahr?“
Wie schon angedeutet, werden ethnische Kategorien mit großen Mengen
sozialen Wissens verbunden, das sich im Verlauf der historischen Entwicklung
angesammelt hat und nun konventionell verwendet wird. Durch das
Präsentieren ethnischer Kategorien in der Kommunikation aktiviert sich dieses
soziale Wissen und kann so den eigentlichen Ablauf der Kommunikation
beträchtlich beeinflussen. Aus den angeführten Beispielen ist zu erkennen, um
welchen Typ des Wissens es sich handelt: um historische Zusammenhänge und
um ethnische/nationale Stereotype.
Jetzt können wir die Unterschiede zwischen dem Gebrauch einfacher ethnischer
Kategorien und dem Benutzen ethnisch modifizierter nicht-ethnischer
Kategorien erklären. Wie wir schon gesehen haben, sind ethnische Kategorien
in dem historischen/politischen/ethnischen Diskurs und den ethnischen
Stereotypen zu erwarten (z.B. ist es in der politischen Diskussionen üblich, über
Erster Typ:
allgem. gesellschaft-
liche Situation
Zweiter Typ:
ethnisch-nationale
Stereotype
Aktivierung sozialen
Wissens
Hervorrufen von
Stereotypen mit
Hilfe einfacher
ethnischer
Kategorien
die Stellung der Amerikaner, Russen u.a. zu sprechen). Es gibt diese einfachen
ethnischen Kategorien natürlich auch woanders, aber dann muss man damit
rechnen, dass sie bestimmte historische Zusammenhänge und National-
stereotypen evozieren können.
Kommen wir noch einmal auf den Vergleich der zwei prototypischen
Formulierungen zurück „Die Deutschen tun im Unternehmen dies und jenes“
und „Die deutschen Manager/Kollegen tun im Unternehmen dies und jenes“, so
sind wir uns wohl einig, dass die schon erwähnte Evozierung stärker im Fall der
einfachen ethnischen Kategorien als im Fall der ethnisch modifizierten nicht-
ethnischen Kategorien hervortritt (besonders auffallend ist das z.B. bei dem
Vergleich der Ausdrücke „Deutsche“ und „deutsche Kollegen“).
4.3. Strategie für das Kommunikationsverhalten
Die Bemühung, einfache ethnische Kategorien nicht zu gebrauchen, kann man
als Versuch auffassen, ungünstige Assoziationen (bestimmter historischer
Zusammenhänge und ethnischer/nationaler Stereotypen) zu vermeiden. Man
will den mehr oder minder problematischen Dingen aus dem Weg gehen.
Zugleich sollen mit dieser Vermeidung andere soziale Identitäten betont werden
andere z.B. in dem Sinn : Wir sind doch Kollegen, Angestellte des gleichen
Unternehmens.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Gebrauch der sozialen
Kategorie „Expatriates“. Der Inhalt dieser Kategorie konstituiert sich vor dem
Hintergrund der wortbildenden Bedeutung „die aus ihrer Heimat fortgegangen
sind“ (siehe das Verb „expatriieren“). Der Vorteil dieser Kategorie ist, dass sie
auch dort gebraucht werden kann, wo die einfache ethnische Kategorie
„Deutsche“ verwendet wird. So bietet sich eine kommunikative Möglichkeit
an, eine mögliche tschechisch-deutsche nationale Polarisierung systematisch zu
vermeiden (ausführlicher Nekvapil, 1997).
Aufgabe 11
Das folgende Beispiel, das aus dem Interview mit einem Manager
(Sprecher Y) von Škoda-Volkswagen stammt, belegt die Beziehungen
zwischen verschiedenen sozialen Kategorien. Gleichzeitig wird deutlich,
dass es sogar für erfahrene Sprecher nicht einfach ist, sich in den
konventionellen Inhalten zurecht zu finden.
Vermeidung
ungünstiger
Assoziationen
Betonung der
Unternehmens-
identität
„Expatriates“ statt
„Deutsche“
Aufgabe 11
29
X: „Hm. Hm. Sie unterscheiden auf bestimmte Art und Weise den
Ausdruck Experten und Deutsche. Sie haben gesagt, dass Sie irgendwie
darüber sprechen-
Y: „Wissen Sie, Experten das ist, nein, das ist ein breiter Begriff. Denn
Experten und ausländische Angestellte, die einen zeitlich befristeten
Vertrag mit Škoda haben, werden als Expatriates bezeichnet und
manchmal sagt man hier Deutsche. Aber es ist nicht zutreffend, da sie
zwar zu neunzig Prozent deutscher Nationalität sind, aber es gibt unter
ihnen, wie ich schon gesagt habe, auch Schweden. Es gibt auch einen
Franzosen. Es gibt da einen Spanier. Ja. Also, man kann nicht sagen,
dass es bei Škoda Deutsche sind, im Management. Nein. Mehrere
Nationalitäten gibt es hier und wir bezeichnen sie als Experten.“
X: „Hm.“
Y: „Auch wenn sie für sie-, sie haben dafür das Zeichen FSE. Die
deutsche Abkürzung ist FSE, aber sie gebrauchen Expatriates.“
X: „Hm.“
Y: „Also- und hier sagt man selbstverständlich Deutsche, in der Firma.“
a) Geben sie an, welche einfachen ethnischen Kategorien der Sprecher Y
in dieser Sequenz unter der Kategorie „Expatriates“ bzw. „Experten“
einbezogen hat.
b) Gehört der Sprecher Y Ihrer Meinung nach in die Gruppe von
Expatriates?
c) Obwohl der Sprecher Y mit der Unterscheidung zwischen den
Kategorien „Experten“ und „Deutsche“ angefangen hat, geht aus dem
Ende der Sequenz hervor, dass man im Unternehmen die Kategorien
„Experten“, „FSE“ (= Foreign Service Employee), „Expatriates“ und
„Deutsche“ auf dieselbe Gruppe von Personen bezieht. Wesentlich ist
jedoch, wer diese Kategorien gebraucht, d.h. welche Gruppe von
Personen diese Kategorien für welche Gruppe von Personen verwendet.
Versuchen Sie eine Antwort auf diese Frage zu geben.
Lösungsvorschlag 11
a) Deutsche, Schweden, Franzosen, Spanier.
b) Er spricht über Expatriates als über „sie“. Siehe seine
Äußerung:„Auch wenn sie für sie-, sie haben dafür das Zeichen FSE. Die
deutsche Abkürzung ist FSE, aber sie gebrauchen Expatriates.“ Daraus
geht hervor, dass der Sprecher Y kein Expatriate ist.
Beispiel
Lösungsvorschlag 11
c) Die Kategorie „Experten“ wird von der Gruppe der Personen
gebraucht, zu der der Sprecher Y gehört (tschechische Manager?). Siehe
seine Äußerung: „…wir bezeichnen sie als Experten“. Kategorien „FSE“
und „Expatriates“ werden von den Expatriates selbst gebraucht. Siehe
die Äußerung: „… sie haben dafür das Zeichen FSE. Die deutsche
Abkürzung ist FSE, aber sie gebrauchen Expatriates“. Wer die Kategorie
„Deutsche“ verwendet, ist unklar. Die Spezifikation des Gebrauchs von
dieser Kategorie, die der Sprecher Y angibt, ist nicht sozial, sondern
lokal („… hier sagt man …“).
5. Fallbeispiel
5.1. Transkript der Videosequenz
Transkriptionskonventionen
In den Doppelklammern befinden sich Kommentare, die verschiedene Aspekte
des verlaufenden Gesprächs spezifizieren, z.B. Pausenlänge, Ton der Rede,
Situationsparameter. Nach Bedarf wird der Gültigkeitsbereich des Kommentars
durch das Zeichen Plus (+) markiert. Ein Beispiel:
S: ((empörend)) „Das kann nicht die Wahrheit sein. + Ich war doch da.“
In der angeführten Zeile sagt der Sprecher S empörend den Satz „Das kann
nicht die Wahrheit sein.“, aber nicht den Satz „Ich war doch da.“
5.1.1. Szene I
K Herr Klein
A Herr Albrecht
Der internationale Konzern Sternberg und das große tschechische
Maschinenbauunternehmen Fitex haben den Vertrag für das Joint Venture
Fitex-Sternberg abgeschlossen. Herr Klein (50 Jahre) und Herr Albrecht (43
Jahre) gehören zu der Gruppe deutscher Manager, die von dem Konzern in die
Tschechische Republik entsandt wurden, um das tschechische
Partnerunternehmen nach den Vorgaben des deutschen Konzerns grundlegend
umzugestalten. Herr Klein und Herr Albrecht haben langfristige
Auslandserfahrungen: Herr Klein kam in die Tschechische Republik direkt von
Transkriptions-
symbole
Die Personen
31
seiner Position in Brasilien, Herr Albrecht war mehrere Jahre im Auftrag des
Konzerns im Tochterunternehmen in Italien tätig. In seiner neuen Position in
Pilsen ist Herr Klein für das Personalwesen verantwortlich, Herrn Albrechts
Tätigkeitsbereich ist die Entwicklung der Informationssysteme. Beide sind erst
seit ein paar Monaten in Tschechien und kennen sich noch nicht sehr gut,
deshalb siezen sie sich.
Beide essen gemeinsam mittags in der unternehmenseigenen Kantine und
unterhalten sich über berufliche und außerberufliche Angelegenheiten. Sie
sprechen selbstverständlich deutsch, nur wenn sie sich auf typisch tschechische
Spezifika beziehen, verwenden sie ab und zu tschechische Wörter (mit
charakteristischer deutscher Aussprache). Das Gespräch erreicht allmählich das
Thema des optimalen Know-How-Transfers. Im Grunde geht es um die
Auseinandersetzung zwischen zwei unterschiedlichen Konzeptionen. Die erste
Möglichkeit, das sogenannte „Tandemmodell“ sieht vor, jede leitende Funktion
doppelt durch einen lokalen und einen entsandten Manager zu besetzen. Nach
der zweiten Konzeption werden Spezialisten aus dem Konzern in kleinen
Gruppen als Informations- bzw. Beratungsservice konzentriert, die
Verantwortung für mögliche Probleme liegt aber allein bei den lokalen
Mitarbeitern. Der Anlass dieses Gesprächs sind Schwierigkeiten in einem
Tandem in der Abteilung von Herrn Albrecht.
K: ((schneidet Fleisch))
A: „Ich esse nie mehr als vier Knödel.“
K: ((Pause von 2 Sekunden)) „Tschechische Knödel sind halt tschechische
Knödel. ((Pause von 2 Sekunden, dann sagt er auf tschechisch)) Knedliky.
Knedliky.“ +
A: „Und tschechisches Bier ist eben tschechisches Bier. ((nach einer kurzen
Pause sagt er auf tschechisch)) Pivo. Pivo.“ +
((beide lachen))
K: ((resignierend)) „Na ja.“
((beide trinken Mineralwasser ))
A: „Ich würde Sie gerne etwas fragen.“ ((2 Sekunden))
K: „Gibts Probleme?“
A: ((schnell)) „Ich würde gerne wissen, wie in Ihrer Abteilung die Tandems
funktionieren. + ((in normalem Tempo )) Wissen Sie, wieso ich darauf komme.
((2 Sekunden)) Ich hab da so einen Fall, ein deutscher Kollege und ein
Tscheche sind nicht in der Lage, einigermaßen zusammenzuarbeiten. Sie
tauschen keine Informationen aus, es ist nicht klar, wer für was verantwortlich
ist, ((1 Sekunde)) Sie kennen das.“
K: „Hm. Wie beherrschen sie Fremdsprachen?“
Die Situation
Das Gespräch
A: „Nein, das ist es nicht. Fiala, dieser Tscheche, kann sehr gut Englisch und
sein Deutsch ist auch recht passabel.“
K: „Ach, wissen Sie, diese Tandems sind immer ein bißchen riskant.“
A: „Meinen Sie?“
K: „Wie kann man die richtigen Partner finden. Wie kann man die richtigen
Leute finden. Aber mit den Tschechen kann man meistens ganz gut
zusammenarbeiten. ((1 Sekunde)) In diesem Unternehmen. ((lächelnd)) Nur ein
bißchen mehr Disziplin würde ihnen nicht schaden. + ((3 Sekunden)) Wissen
Sie, es geht auch um uns, uns Deutsche. Kennen Sie diesen Witz? Er soll letzte
Woche in irgendeiner tschechischen Zeitung gestanden haben. Er betrifft uns.
Es gehen drei Chefs von Fitex-Sternberg zu einer Sitzung. Kennen Sie den?“
A: ((mit gespannter und freudiger Aufmerksamkeit)) „Nein.“ ((er unterbricht
das Essen))
K: „Der eine sagt: ‚Verdammt, ich bin überhaupt nicht vorbereitet, worüber
werden wir uns denn beraten?‘ Der zweite: ‚Keine Ahnung, ich bin soeben erst
gelandet.‘ ‚Und Du?‘ fragen sie den dritten. Der sagt: ‚Ich weiß nicht, ich bin
auch Deutscher‘.“
A: ((Lachen)) „Der ist gut, der ist gut.“
K: ((ein bißchen skeptisch)) „Na ja. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. + ((4
Sekunden, beide essen)) Zurück zu den Tandems. Im Personalbereich haben wir
auch zwei Tandems und ich denke, sie funktionieren ganz gut. Ich denke,
Deutsche und Tschechen sind nicht so weit auseinander. Was meinen sie?“
A: ((skeptisch)) „Hm. Hm.“
K: ((1 Sekunde)) „Ja. Und warum haben wir nur zwei Tandems. ((1 Sekunde))
Wir haben bei uns Expatriates in einer kleinen Abteilung konzentriert und die
nehmen an den Projekten teil, für die die Tschechen verantwortlich sind.“
A: „Alle Projekte werden von Tschechen geleitet?“
K: „Ja. Und als alter Personaler würde ich sagen, dass dieses Verfahren besser
ist, als wenn sich der Tscheche und der Deutsche einen Platz teilen müssen.
Dann kann es schwierig sein, zu sagen, du bist für dieses verantwortlich und du
für das.“
A: „Hm.“
K: ((2 Sekunden)) „Aber selbstverständlich, man kann nie hundertprozentig
sagen, was besser ist und was schlechter ist. So einfach geht das nicht. Viel
hängt davon ab, welche Aufgaben zu lösen sind, ob es möglich ist, sie klar
zwischen den beiden im Tandem abzugrenzen, ((2 Sekunden)) ich sollte mich
damit wieder ein bißchen befassen.“
A: „Hm.“
K: „Es kann sein, dass ich als Chef die Situation bei uns in der Abteilung zu
rosig sehe.“
33
5.1.2. Szene II
K Herr Klein
P Herr Paul
H Herr Hasil
J - Herr Jindra
Herr Paul (30 Jahre) wurde von dem Konzern Sternberg entsandt, um seine
ersten Auslandserfahrungen zu sammeln. Herr Hasil (45 Jahre) arbeitet bei
Fitex schon fast zwanzig Jahre. Er hat dort gleich nach dem Studium
angefangen und in dieser Zeit verschiedene Funktionen auf der mittleren
Managementebene ausgeübt. Herr Jindra (27 Jahre) gehört zu der Generation
tschechischer Angestellter, die einen Teil ihres Studiums schon auf einer
westlichen Universität verbringen konnten. Das Gespräch läuft auf deutsch.
Herr Jindra spricht fast fehlerfrei Deutsch, Herr Hasil, der sich erst mit dem
Beginn des Joint Ventures intensiv mit der deutschen Sprache beschäftigte,
spricht auch fließend, wenn auch mit Fehlern, und ab und zu schleichen sich
englische Wörter bei ihm ein. Die anderen Personen berücksichtigen die etwas
geringere Sprachkompetenz Herrn Hasils durch zeitweilige Verlangsamung des
Sprechtempos.
Alle sitzen im Büro von Herrn Klein am Konferenztisch (etwa für sechs
Personen), der in der Ecke des Büros steht. Sie sitzen um den Tisch, ohne dass
Rückschlüsse auf Position oder Status möglich wäre. Es ist Montag. Es handelt
sich um die regelmäßige wöchentliche Besprechung der Abteilungsleiter, deren
Chef Herr Klein ist. Die Besprechung, die mehr als zwei Stunden dauerte, ist
gerade zu Ende. Herr Klein beendet die Verhandlung und leitet zu informellen
Diskussion über.
K: „Gut. ((2 Sekunden)) Na gut. Ich denke, wir haben schon alles Wesentliche
besprochen, ((das letzte Wort wird mit steigender Intonation ausgesprochen, es
folgt eine Pause von 3 Sekunden, Herr Jindra interpretiert die Pause als
definitives Ende der Besprechung und er hebt sich von seinem Stuhl, aber Herr
Klein fügt schnell hinzu)) Vielleicht noch dies. + ((Herr Jindra setzt sich
wieder, Herr Klein spricht in normalem Tempo weiter, eher langsamer)) Ich
habe am Donnerstag beim Mittagessen Herrn Albrecht getroffen. ((scherzend))
Das ist der Mensch für die Informationssysteme. + Wir haben uns über
tschechisches Pivo unterhalten ((die anderen Personen beginnen zu lächeln))
und dann kam es zu der Problematik des Know-How-Transfers. Ein
Dauerthema in diesem Unternehmen. Die Beziehung zwischen tschechischen
und deutschen Kollegen in Tandems, ((2 Sekunden)) und so weiter. Sie wissen,
dass wir in unserer Abteilung größtenteils anders vorgegangen sind und dass
wir darüber lange diskutiert haben. Aber vielleicht könnte es nicht schaden, mal
Die Personen
Die Situation
Das Gespräch
wieder davon zu sprechen, ((schnell)) ich meine nicht jetzt, + wie was bei uns
funktioniert und wie es besser funktionieren könnte.“
((2 Sekunden, Herr Jindra erhebt sich von seinem Stuhl))
H: „Ich habe von einem Tandem in der Informationsabteilung gehört ((Herr
Jindra setzt sich wieder)), wo es zwischen dem tschechischen und dem
deutschen Kollegen einfach nicht klappt. Und-“ ((er hört auf, 1 Sekunde))
P: „Das ist kein Deutscher, das ist ein Österreicher.“
H: „Nein, nein. Ich meine anderes Tandem. Mit diesem österreichischen
Kollegen habe ich zufällig etwa vor zwei Wochen gesprochen.“
K: „Ich sehe, Sie haben einen ganz guten Überblick.“
H: „Well, ja, es interessiert mich natürlich viel, da ich auch in einem Tandem
bin.“
K: „Klar. ((1 Sekunde)) Also welche Erfahrungen haben Sie?“
H: „Ja. Die Erfahrungen sind verschieden. ((2 Sekunden)) Viele tschechische
Kollegen sagen, dass es wichtig ist, ob man im Tandem dieselbe Aufgabe im
Prinzip zweimal löst und dann bessere Variante auswählt oder ob man die
Aufgabe gleichmäßig aufteilt, ein Mensch ist zuständig für, sagen wir,
Produktionsbereich und der andere für Vorproduktion.“ ((2 Sekunden))
J: „In diesem ersten Fall geht es darum, wessen Variante siegt, nicht?“
H: „Ja.“
J: „Der vom Konzern entsandte Mann oder der tschechische Teil des
Tandems?“
H: „Genau.“
K: „Ja, ja. Das ist genau das Problem mit den Tandems. Diese
Organisationsform ist potentiell dichotom. Ich oder er. Der tschechische
Kollege gegen den deutschen Kollegen.“ ((2 Sekunden))
P: „Aber eben deshalb ist es vielleicht besser, wenn die Expatriates in einer
homogenen Gruppe zusammenarbeiten, so wie es bei uns ist.“
K: ((lächelnd)) „Das höre ich natürlich gern. + Aber auf der anderen Seite
können Expatriates mit ihren lokalen Kollegen ((er schaut auf Herrn Hasil)) in
einem gut funktionierenden Tandem viel enger zusammenarbeiten. ((3
Sekunden)) Na gut. Vielleicht denken Sie mal darüber nach und nächste Woche
würden wir uns schon ganz konkret damit befassen, wie der Know-How
Transfer in unserer Abteilung funktioniert. Welche konkrete Erfahrungen haben
Sie, ((1 Sekunde)) welche Vorstellung hatten die tschechischen Kollegen, was
sehen die deutschen Kollegen als problematisch an, ((1 Sekunde)) und so
weiter.“
35
5.2. Diskussion der Fallbeispiele
a) Tandem-Management ist eine Organisationsform, die auf der engen
Zusammenarbeit von zwei Personen beruht. In Gesprächen, die sich mit
Tandems in internationalen Unternehmen befassen, spricht man
notwendigerweise über Personen und es kommen in ihnen daher eine ganze
Reihe verschiedener sozialer Kategorien vor. Schauen Sie sich beide Szenen an
und geben Sie an, welche sozialen Kategorien in ihnen auftauchen. Führen Sie
außerdem an, welche von diesen Kategorien die häufigsten sind.
Szene I: deutscher Kollege, Tscheche, Partner, Mensch, Deutscher, Chef,
Expatriate, alter Personaler (alle Kategorien dieser Aufzählung sind im
Singular)
Die häufigsten waren die einfachen ethnischen Kategorien „Tscheche“ (7x) und
„Deutscher“ (4x)
Szene II: Herr, Mensch für Informationssysteme, tschechischer Kollege,
deutscher Kollege, Deutscher, Österreicher, österreichischer Kollege, Mensch,
der vom Konzern entsandte Mann, der tschechische Teil des Tandems,
Expatriate, lokaler Kollege (alle Kategorien dieser Aufzählung sind wieder im
Singular)
Die häufigsten waren die Kategorien „tschechischer Kollege“ (5x), „deutscher
Kollege“ (4x).
b) In der ersten Szene ist auffällig, dass die Sprecher über die Problematik von
Tandems vor allem in Termini einfacher ethnischer Kategorien reden. Auf diese
Weise stellen Sie die ethnische Zugehörigkeit der Personen in den Vordergrund,
über die gesprochen wird. In der zweiten Szene ist es anders. Geben Sie an,
welche sprachlichen Mittel die Sprecher in dieser zweiten Szene verwenden und
welchen kommunikativen Gesamteindruck Sie damit hervorrufen.
Die Sprecher dieser Szene vermeiden den Gebrauch einfacher ethnischer
Kategorien und zwar auf zweifache Weise:
Sie verwenden nur ethnisch modifizierte nicht-ethnische Kategorien (besonders
„tschechische“ oder „deutsche Kollegen“)
Sie verwenden Kategorien ohne jedes ethnische Attribut (siehe „der vom
Konzern entsandte Mann“, „lokale Kollegen“)
Dadurch, dass die Sprecher in der zweiten Szene auffallend häufig die
Kategorie „Kollege“ benutzen (trotz verschiedener Attribute), stellen Sie für die
Tandemproblematik die gemeinsame Zugehörigkeit zur Arbeitsstelle bzw. zum
Unternehmen in den Vordergrund. Anders gesagt, akzentuieren die Sprecher
hier ihre Gemeinsamkeiten (Unternehmensidentität) und nicht das, was sie
trennt (ethnische Identität).
Art und Häufigkeit
sozialer Kategorien
c) In beiden Szenen unterhalten sich die Sprecher über dasselbe Thema und in
beiden Szenen erscheint dieselbe Person, Herr Klein. Wie wir gesehen haben,
wird in beiden Szenen trotzdem auf recht unterschiedliche Weise über Personen
gesprochen. Welcher Faktor könnte hier ihrer Meinung nach eine wichtige
Rolle spielen?
In der ersten Szene gehören beide Sprecher zur selben ethnischen Gruppe. Die
Sprecher in der zweiten Szene sind ethnisch heterogen.
d) Wir haben schon festgestellt, dass das Tandem-Management eine
Organisationsform ist, die auf enger Zusammenarbeit zweier Personen beruht.
In Gesprächen, die sich mit Tandems beschäftigen, tauchten daher eine Reihe
sozialer Kategorien auf, die sich standardisierten Relationspaaren annähern,
z.B. „Tscheche – Deutscher“, „tschechischer Kollege – deutscher Kollege“.
Führen Sie weitere Beispiele derartiger (standardisierter) Relationspaare an.
der vom Konzern entsandte Mann - der tschechische Teil des Tandems
Expatriate lokaler Kollege
deutscher Kollege Tscheche
Das Kategorienpaar „deutscher Kollege Tscheche“ fällt durch seine
asymmetrische Form auf. Betrachten Sie die Stelle, wo Herr Albrecht dieses
Kategorienpaar verwendet hat, und überlegen Sie, welchen kommunikativen
Effekt er mit diesem Gebrauch hervorgerufen hat.
Herr Albrecht hat hier zwei Gruppen der Personen rhetorisch konstruiert: 1. die
Gruppe seiner Mitarbeiter bzw. seiner Kollegen, die nach dem ethnischen
Prinzip ausgesondert wurde; 2. die ebenfalls nach dem ethnischen Prinzip
ausgesonderte Gruppe „der anderen“. Zugespitzt gesagt, hat Herr Albrecht hier
als seine Kollegen nur Deutsche dargestellt.
e) Betrachten Sie noch einmal die folgende Äußerung Herrn Kleins aus der
ersten Szene.
„Aber mit den Tschechen kann man meistens ganz gut
zusammenarbeiten. ((1 Sekunde)) In diesem Unternehmen.“
Welche Ausdrücke in dieser Äußerung schwächen ihre Stereotypizität ab?
(schauen Sie zuerst die oben angeführte Definition des Stereotyps von U.
Standardisierte
Relationspaare
Asymmetrische
Kategorienpaare
Ethnische Stereotype
37
Quasthoff an) Wie würden Sie ausgehend von dieser Äußerung das potentielle
Stereotyp formulieren?
Es geht um die Ausdrücke „in diesem Unternehmen“, „meistens“, „ganz“, d.h.
um die Ausdrücke, die die allgemeine Gültigkeit der Behauptung begrenzen und
abschwächen, in der den Tschechen die Eigenschaft „guter Zusammenarbeit
fähig zu sein“ zugeschrieben wird. Das ethnische Stereotyp könnte z.B. die
folgende Form haben: „Die Tschechen sind guter Zusammenarbeit fähig“.
f) Betrachten Sie wieder die folgende Äußerung Herrn Kleins aus der ersten
Szene.
„Aber mit den Tschechen kann man meistens ganz gut
zusammenarbeiten. ((1 Sekunde)) In diesem Unternehmen. ((lächelnd))
Nur ein bißchen mehr Disziplin würde ihnen nicht schaden.“ + ((3
Sekunden))
Konzentrieren Sie sich auf den letzten Satz dieser Passage, als Herr Klein
lächelnd hinzufügt, dass den Tschechen ein bißchen mehr Disziplin nicht
schaden würde. Was könnten Sie im Hinblick auf tschechische Stereotype über
Deutsche zu diesem Satz sagen? (Warum möglicherweise äußert Herr Klein
diesen Satz lächelnd?)
Zu den tschechischen Stereotypen über Deutsche gehört, dass die Deutschen
diszipliniert sind. Herr Klein, selbst Deutscher, fordert in seiner Äußerung diese
„deutsche“ Eigenschaft von den Tschechen. (Es kann sein, dass er eben
deswegen lächelt, weil er sich dieser Zusammenhänge bewußt ist.)
g) Der Witz, den Herr Klein in der ersten Szene erzählt, paßt sehr gut in das
vorliegende Gespräch, da er in Bezug auf die Unternehmenskooperation Fitex-
Sternberg die ethnische Zugehörigkeit von Angestellten akzentuiert. Führen Sie
an, wie dieser Witz die soziale Stratifikation („Schichtung“) im Unternehmen
Fitex-Sternberg darstellt.
Die soziale Stratifikation im Unternehmen Fitex-Sternberg wird als ethnische
Angelegenheit dargestellt: Die Chefs sind Deutsche. Übrigens: der Witz
schreibt den Chefs den Deutschen - die Eigenschaften zu, die den
tschechischen Stereotypen über Deutsche überhaupt nicht entsprechen.
h) Der Verlauf eines Gesprächs ist immer ein Ergebnis der Kooperation
wenigstens zweier Sprecher. Den Charakter dieser Kooperation kann man
Soziale Stratifikation
im Unternehmen
Einhalten der
Konsistenzregel
Schritt für Schritt beobachten. Betrachten Sie noch einmal die beiden Szenen
und sagen Sie, an welchen Stellen sich die Sprecher dem Einfluss der
Konsistenzregel zum Gebrauch der sozialen Kategorien entziehen (zu dieser
Regel siehe oben).
In der ersten Szene ist das nur in der folgenden Äußerung von Herrn Albrecht
zu sehen.
„Ich hab da so einen Fall, ein deutscher Kollege und ein Tscheche sind
nicht in der Lage, einigermaßen zusammenzuarbeiten.“
Falls Herr Albrecht die sozialen Kategorien nach der Konsistenzregel
gebrauchen würde, würde er statt „Tscheche“ „tschechischer Kollege“ sagen.
Dann spricht Herr Klein nach der Konsistenzregel und gebraucht nicht nur die
Kategorie „Tscheche“, sondern wählt aus demselben Inventar der Kategorien
die Kategorie „Deutscher“ (siehe seine Formulierung „Wissen Sie, es geht auch
um uns, uns Deutsche“).
In der zweiten Szene geht es um folgende Sequenz.
H: „Ich habe von einem Tandem in der Informationsabteilung gehört
((Herr Jindra setzt sich wieder)), wo es zwischen dem tschechischen und
dem deutschen Kollegen einfach nicht klappt. Und-“ ((er hört auf, 1
Sekunde))
P: „Das ist kein Deutscher, das ist ein Österreicher.“
H: „Nein, nein. Ich meine ein anderes Tandem. Mit diesem
österreichischen Kollegen habe ich zufällig etwa vor zwei Wochen
gesprochen.“
Herr Paul verwendet in seiner Äußerung „Das ist kein Deutscher, das ist ein
Österreicher“ zum erstenmal in dem ganzen Gespräch und in diesem Sinne
inkonsistent die einfache ethnische Kategorie „Deutscher“ und die Kategorie
„Österreicher“. Bemerkenswert ist die folgende Reaktion von Herrn Hasil, der
in seiner Replik die einfache ethnische Kategorie „Österreicher“ im Sinne des
bisherigen Mehrheitsgebrauchs von sozialen Kategorien als „österreichischer
Kollege“ reformuliert. Herr Hasil geht also konsistent nach dem bisherigen
Mehrheitsgebrauch der sozialen Kategorien vor, aber inkonsistent mit der
unmittelbar vorhergehenden Replik Herrn Pauls. Das zeugt davon, dass die
Sprecher in diesem Gespräch die einfachen ethnischen Kategorien zu vermeiden
trachten.
39
i) Wir haben gesehen, dass in der zweiten Szene die Sprecher häufig die
Kategorie „Kollege“ gebrauchen. Sie stellen auf diese Weise die Zugehörigkeit
zur gemeinsamen Arbeitsstelle bzw. zum Unternehmen in den Vordergrund und
neutralisieren ihre ethnische Verschiedenheit. Die Neutralisierung der
ethnischen Verschiedenheit bedeutet im Prinzip, dass die Möglichkeit des
Evozierens ethnischer Stereotype abgeschwächt wird (ggf. auch der
problematischen tschechisch-deutschen Vergangenheit).
Suchen Sie in der zweiten Szene die Sequenz, wo der Gebrauch der einfachen
ethnischen Kategorien „Tscheche“ und „Deutscher“ anstatt der Kategorien
„tschechischer Kollege“ und „deutscher Kollege“ (bzw. anstatt anderer
Kategorie) auffällig konfrontativ wirken könnte. Ersetzen Sie in dieser Sequenz
die entsprechenden Kategorien durch die Kategorien „Tscheche“ und
„Deutscher“ und beachten Sie den daraus resultierenden Effekt.
Es geht um die folgende Sequenz.
J: „In diesem ersten Fall geht es darum, wessen Variante siegt, nicht?“
H: „Ja.“
J: „Der vom Konzern entsandte Mann oder der tschechische Teil des
Tandems?“
H: „Genau.“
K: „Ja, ja. Das ist genau das Problem mit den Tandems. Diese
Organisationsform ist potentiell dichotom. Ich oder er. Der tschechische
Kollege gegen den deutschen Kollegen.“ ((2 Sekunden))
Nun vergleichen Sie diese Sequenz mit der folgenden, in welcher nur einfache
ethnische Kategorien erscheinen.
J: „In diesem ersten Fall geht es darum, wessen Variante siegt, nicht?“
H: „Ja.“
J: „Tscheche oder Deutscher?“
H: „Genau.“
K: „Ja, ja. Das ist genau das Problem mit den Tandems. Diese
Organisationsform ist potentiell dichotom. Ich oder er. Der Tscheche
gegen den Deutschen.“ ((2 Sekunden))
Abschwächung
ethnischer
Verschiedenheit
Wirkung einfacher
ethnischer
Kategorien
j) Haben die tschechischen und die deutschen Sprecher die sozialen Kategorien
unterschiedlich gebraucht?
Die Antwort ist: Nein.
5.3. Schlussfolgerung
Diese Videosequenz beabsichtigte aufzuzeigen, dass aus unterschiedlicher
ethnischer Zugehörigkeit der Sprecher nicht zwangsläufig unterschiedliche
Weisen der Kommunikation folgen. Wir haben gesehen, dass Unterschiede im
Sprechen über Personen von anderen Faktoren bedingt sein können, als nur
durch die ethnische Zugehörigkeit der Sprecher. Davon zeugen am besten die
Äußerungen Herrn Kleins in diesen beiden Szenen. Ein wichtiger Faktor war,
ob die Kommunikation innerhalb ethnisch homogener Gruppe verlief (nur unter
Deutschen) oder ob die Sprecher verschiedener ethnischer Gruppen gemeinsam
kommunizierten (Deutsche mit Tschechen). Noch wichtiger war jedoch, welche
Identitäten die Sprecher in ihren Äußerungen präsentieren wollten
(Unternehmensidentität? ethnische Identität?). Auch in der ersten Szene
konnten im Prinzip Herr Albrecht und Herr Klein sowohl über „deutsche“ wie
auch über „tschechische Kollegen“ sprechen.
6. Index der wichtigsten Trainingsbegriffe
Unten finden Sie die im Modul angeführten Erklärungen und Definitionen zu
wichtigen Termini sowie Angaben zur Textstelle, wo diese eingeführt und
erläutert wurden.
Terminus
Definition, Erläuterung
s. Seite
Autostereotyp
Stereotyp, das eine soziale Gruppe von sich
selbst hat
21
disjunktive
Kategorien
Paare von Kategorien, bei denen das erste Glied
zur Selbstkategorisierung, das zweite zur
Kennzeichnung anderer Personen verwendet
werden; z.B. Freiheitskämpfer - Terrorist
5
einfache ethnische
Kategorie
Kategorie wie „Tscheche“, „Deutscher“ (im
Gegensatz zu den komplexen ethnischen
Kategorien wie „Ausländer“)
25,26
ethnisch modifi-
zierte nicht-ethni-
sche Kategorie
Status-, Angestellten-, Berufspartner- usw.
Kategorien, die ein ethnisches Attribut
beinhalten; z.B. „ein deutscher Manager“
25,26
Unterschiedlicher
Gebrauch sozialer
Kategorien?
Faktoren für unter-
schiedliche
Kategorisierungen
41
Evozierung der
Kategorien
Anführen der für eine Kategorie
charakteristischen Merkmale, um einen
Rückschluss auf die Kategorie im Gespräch
nahezulegen
15
Heterostereotyp
Stereotyp, das eine soziale Gruppe von einer
anderen Gruppe hat
21
Inventare sozialer
Kategorien
Sammlungen von Kategorien, die auf Grund des
Gefühls von Sprechern geordnet werden, wonach
die entsprechenden Kategorien „zusammen-
passen“; z.B. die Kategorien „Kind“,
„Erwachsener“, „alter Mann“ usw. bilden das
Kategorieninventar „Alter“
8
kategoriengebun-
dene Merkmale
Aktivitäten, Eigenschaften, Einstellungen usw.,
die für eine soziale Kategorie typisch sind
13
Konsistenzregel
Regel zum Gebrauch der sozialen Kategorien,
nach der von dem Augenblick an, in dem in der
Kommunikation eine Kategorie aus einem
bestimmten Kategorieninventar gebraucht wird,
auch andere Personen mit Hilfe der Kategorien
aus diesem Kategorieninventar kategorisiert
werden können
12
soziale Identität
soziale Zugehörigkeit; wer man nach der
Gruppenzugehörigkeit ist; z.B. Europäer
6
standardisierte
Relationspaare
Paare von Kategorien, deren Glieder angesichts
ihrer Paarkategorie klare Rechte und Pflichten
und überhaupt typische Erwartungen haben; z.B.
Lehrer Schüler
11
Stereotyp
„Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf
soziale Gruppen oder einzelne Personen als deren
Mitglieder gerichteten Überzeugung, die in einer
gegebenen Gemeinschaft weit verbreitet ist. Es
hat die logische Form eines Urteils, das in
ungerechtfertigt vereinfachender und
generalisierender Weise, mit emotional-
wertender Tendenz, einer Klasse von Personen
bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen
zu- oder abspricht. Linguistisch ist es als Satz
beschreibbar.“ (Quasthoff, 1973)
20
7. Literaturverzeichnis
Unten finden Sie die im vorliegenden Trainingsmodul zitierte Literatur.
Bergmann, Jörg (1996). „Ein Engländer, ein Franzose und ein Bayer …“ Über
ethnische Stereotypen in der Alltagskommunikation. In: Gießener Diskurse.
Begegnungen mit dem Fremden. Gießen: Verlag der Ferber´schen
Universitätsbuchhandlung. 1-20.
Czyżewski, Marek / Gülich, Elisabeth / Hausendorf, Heiko / Kastner, Maria,
hgg. (1995). Nationale Selbst- und Fremdbilder im Gespräch.
Kommunikative Prozesse nach der Wiedervereinigung Deutschlands und
dem Systemwandel in Ostmitteleuropa. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Di Luzio, Aldo / Auer, Peter (1986). Identitätskonstitution in der Migration.
Konversationsanalytische und linguistische Aspekte ethnischer
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Jaworski, Rudolf (1987). Osteuropa als Gegenstand historischer
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8. Hinweise zur vertiefenden Lektüre
Falls Sie einige der hier angesprochenen Themen weiter vertiefen möchten,
finden Sie im Folgenden entsprechende bibliographische Hinweise.
Kallmeyer, Werner, hg. (1996). Gesprächsrhetorik. Rhetorische Verfahren im
Gesprächsprozeß. Tübingen: Gunter Narr.
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Czech Sociological Review VI. 43-58.
Höhne, Steffen / Nekula, Marek, hgg. (1997). Sprache, Wirtschaft, Kultur.
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Povejšil, Jaromír (1997). Tschechisch-Deutsch. In: Goebl, Hans et al., hgg.
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Forschung. Berlin, New York: Walter de Gruyter. 1656-1662.
Quasthoff, Uta (1978). The Uses of Stereotype in Everyday Argument. Journal
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Schmitt, Reinhold / Stickel, Gerhard, hgg. (1997). Polen und Deutsche im
Gespräch. Tübingen: Gunter Narr Verlag.
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Stehlíková, Eva / Šmídová, Olga (1996). Wir und die Deutschen: Ein Blick auf
einige Ergebnisse soziologischer Forschungen. Germanoslavica III (VIII).
293-302.
Titscher, Stefan / Wodak, Ruth / Meyer, Michael / Vetter, Eva (1998).
Methoden der Textanalyse. Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Weger, Tobias (1997). Die unbekannten „kleinen“ Nachbarn. Vorstellungen der
Deutschen von den Tschechen: Bilder, Wahrnehmungen und Stereotypen.
Lětopis. Zeitschrift für sorbische Sprache, Geschichte und Kultur 44. 8-21.
Wolf, Ricarda (1999). Soziale Positionierung im Gespräch. Deutsche Sprache
27. 69-94.
9. Der Autor
Jiří Nekvapil war mehr als zehn Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für tschechische Sprache der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Seit
September 1990 arbeitet er an der Philosophischen Fakultät der Karls-
Universität in Prag. Er ist Dozent der allgemeinen Sprachwissenschaft und
Soziolinguistik. Neben Soziolinguistik unterrichtet er ethnomethodologische
Konversationsanalyse und Pragmatik.
1993 arbeitete er ein halbes Jahr im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der
Universität Bielefeld, wo er am internationalen Projekt „Nationale Selbst- und
Fremdbilder in osteuropäischen Staaten Manifestationen im Diskurs“
teilgenommen hat. 1994-1996 untersuchte er die sprachliche Kommunikation
im Joint Venture Škoda-Volkswagen.
Hauptsächlich widmet er seine Aufmerksamkeit interethnischen Beziehungen in
der Tschechischen Republik und arbeitet über die tschechischen Medien. Seine
derzeitigen Forschungsinteressen gelten den Sprachbiographien tschechischer
Deutscher und dem Konstruieren der „Bilder“ von Roma in den
mitteleuropäischen Medien.
10. Begleitmaterial
Die folgende Glosse illustriert die ambivalente Einstellung der tschechischen
Bevölkerung zu tschechisch-deutschen Wirtschafts-Kooperationen.
In der Glosse wird die negative Einstellung der tschechischen Bevölkerung zum
Eindringen des deutschen Kapitals in die Tschechische Republik ironisiert. Der
Verfasser zeigt, dass diese Einstellung im Widerspruch zu der negativen
Einstellung zum Nationalismus steht, die dieselben Leute vertreten. Die Glosse
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reflektiert die politische und ökonomische Situation zu Beginn 1992, als die
tschechischen und slowakischen Politiker noch die Bewahrung des
gemeinsamen Staates angestrebt hatten.
„Ich stimme damit überein, dass die tschechischen Repräsentanten
bei den Verhandlungen über das Wesen des gemeinsamen Staats
mit den slowakischen Partnern dem bürgerlichen Prinzip Vorzug
vor dem nationalen Prinzip geben. Ich urteile - und mit mir viele
andere -, dass der Nationalismus ein Überbleibsel, ein Hemmschuh
und eine Drohung darstellt. Nur wenn dann die Rede auf
Volkswagen, Mercedes, Siemens, Dambach und andere deutsche
(oder deutschbeteiligte) Firmen, die bei uns eindringen, kommt,
vergesse ich alles, einschließlich der favorisierten bürgerlichen
Gesichtspunkte, und ich beginne von der „Germanisierung“
unserer Wirtschaft bzw. vom Ausverkauf des nationalen Potentials
zu sprechen. Es scheint, dass ich etwas schizophren bin, und es
scheint, dass ich mit dieser Spaltung nicht allein bin …“ (Mladá
Fronta Dnes, 22.1.1992, S. 2)
11. Dank
Für die wertvollen Anregungen zu den verschiedenen Versionen dieses Moduls
bin ich folgenden Personen dankbar: Bernd Müller-Jacquier (Technische
Universität Chemnitz), Klaas-Hinrich Ehlers (Europa-Universität Viadrina
Frankfurt/Oder), Josef Štochl und vor allem Steffen Höhne (Friedrich-Schiller-
Universität Jena).
Zitat
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Chapter
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This paper deals with the verbal presentation of social identity in the largest joint venture on the territory of the Czech Republic, namely in the car factory Skoda, which has been integrated into the group of companies Volkswagen in 1991. In the recorded conversations, the workers of Skoda avoid using simple ethnic categories of the type "Germans" or "Czechs". The dispreferred status of simple ethnic categories is motivated by the effort not to evoke national/ethnic stereotypes, and, in general, the historically sensitive and problematic Czech-German relationships. Both Czech and German Skoda workers display their common belonging to the same enterprise, rather than their different ethnicity.
Article
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This article proceeds from the linguistic, social, and political situation that has developed on the territory of the Czech Republic over the course of the 20th century. The biographical accounts given by people of German origin who live in the Czech Republic form the empirical starting point. The sections on language in the biographical narratives are assessed as revelations of a partial cultural system, a fragment of the ethnolinguistics of the German community members. Making use of 'membership categorization analysis' developed in ethnomethodology, this paper deals with one feature related to ethnic categories, namely a particular language. It turns out that on the territory of the Czech Republic the relation between ethnic category and language is category-constitutive. This paper demonstrates that the relation between language and ethnicity varies and different generations have had different kinds of experience with its concrete form.
Article
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Six days after the dissolution of Czechoslovakia on 6th January 1993, an article appeared in the Czech national daily Rudé právo. It reported two events – a meeting of the preparatory committee of the Democratic Party of Sudetenland (Cz. Demokratická strana Sudety) and a subsequent news conference given by its chair-man, Jaroslav Blühmel. The party and its chairman were previously almost unknown to the public. The two events, however, turned out to be politically significant. What Blühmel had said was reported in most of the Czech mass media, and elicited public reactions from major Czech politicians. The materials we use in this paper include most of the articles in Czech national newspapers during the period which dealt with J. Blühmel and the Democratic Party of Sudetenland (DPS), together with a relevant TV programme. We focus on how the political identity of the DPS was established and contested in the Czech mass media. The category 'DPS' was to begin with almost inter-subjectively empty. We demonstrate how this was fleshed out by binding to it the views, intentions and ac-tions of its incumbents and its opponents. We find that in the case of the DPS the 'fleshing out' was by no means a consensual matter; Blühmel and his political op-ponents never converged on a common definition of the DPS.
Article
In this article, first of all a concept of stereotype with respect to linguistic analysis is suggested. This concept preserves the interdisciplinary character of the term ‘stereotype’. Second, a notion of argumentation as a specific kind of interaction is developed. On the basis of an integrated multistructural and multifunctional analysis of argumentation, the different roles of stereotypes on the micro- and macrosemantic, as well as on the interactive realization level, are discussed. The most important feature of stereotypes in argumentation was found to be their quality of being expressions of collective knowledge. Consequently, stereotypes are defined in relation to other terms of common knowledge such as clichés, slogans, proverbs, laws-in-use, norms, and loci. On the basis of this classification, stereotypes and other expressions of common knowledge are explained not only in semantic terms, but also as inference triggering devices for the implicature from the semantic to the interactional level of interpretation. In German, the particles ja, eben and doch serve as markers for the common knowledge as a prerequisite for this implicature. The results of this study are based upon the analysis of four actual German conversations.
K: "Ja, ja. Das ist genau das Problem mit den Tandems. Diese Organisationsform ist potentiell dichotom
  • Es Geht Um Die Folgende Sequenz
Es geht um die folgende Sequenz. J: "In diesem ersten Fall geht es darum, wessen Variante siegt, nicht?" H: "Ja." J: "Der vom Konzern entsandte Mann oder der tschechische Teil des Tandems?" H: "Genau." K: "Ja, ja. Das ist genau das Problem mit den Tandems. Diese Organisationsform ist potentiell dichotom. Ich oder er. Der tschechische Kollege gegen den deutschen Kollegen." ((2 Sekunden))
Zur Konstitution von Selbst-und Fremdbildern in der interkulturellen Kommunikation
  • Martina Drescher
Drescher, Martina (1993). Zur Konstitution von Selbst-und Fremdbildern in der interkulturellen Kommunikation. Report 9/93. Bielefeld: Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld.