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Sammler, Jäger und ein toter Elefant in Schöningen

Authors:

Abstract

This paper treat the importance of the discovery of elephant remains at the 300.000 years old Schöningen site and tries to frame them in the context of the remains of elephants discovered in other Pleistocene sites in Germany
Archäologie
in
Niedersachsen
Band 19
2016
ISENSEE VERLAG
OLDENBURG
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-7308-1271-6
ISSN 1615-7265
© 2016 Archäologische Kommission für Nieder sachsen e. V., Georgswall 1– 5, D-26603 Aurich.
Alle Rechte vorbehalten.
Gedruckt bei Isensee in Oldenburg.
Herausgegeben von der Archäologischen Kommission für Niedersachsen e.V.
Schriftleitung: Betty Arndt
Redaktion: Betty Arndt, Michael Geschwinde, Silke Grefen-Peters, Bernd Haber mann, Immo Heske,
Jan F. Kegler, Sonja König
Bildredaktion: Heiko Marx
Titel:
Oben. Perle aus dem Gräberfeld von Immenbeck. Siehe Beitrag im Schwerpunkt: Perlen von
Bernd Habermann, S. 28–29. Unten. Sogenannte Augenperle auf einem bronzenen Spiralring aus
dem Depotfund von Allendorf (Hessen). Siehe Beitrag: Zwischen Feuer und Wasser. Schmuck-
ensembles als Hinweis auf „fremde Frauen“ in der frühen Eisenzeit von Immo Heske, S. 50–54.
Rechts.Vergoldeter Pferdegeschirranhänger aus einer Dorfwüstung bei Hellwege. Siehe Beitrag:
Mehr als nur Schmuck. Fibeln und ein Pferdegeschirranhänger aus der Wüstung „altes Dorf“ bei
Hellwege von Stefan Hesse, S. 77–80.
Titelentwurf: Iris Dahlke und das Redaktionsteam
Art Direktion: Optex Werbeagentur, Göttingen
Gefördert mit Forschungsmitteln des Landes Niedersachsen.
Der besondere Dank der Redaktion für die Gestaltung dieses Bandes gilt Iris Dahlke.
6
Archäologie in Niedersachsen 2016
5Vorwort
Aktueller Schwerpunkt
8Schmuck
Betty Arndt, Michael Geschwinde,
Silke Grefen-Peters, Bernd Haber-
mann, Immo Heske und Jan F. Kegler
11 Das Mädchen mit der Perlenkette
13 Bernstein im Großsteingrab
15 Alt, Gold, Tod!
17 Hirschgrandeln: Schmuck des Jägers?
19 Mondschmuck
21 Geflügelte Frauen
23 Die richtige Kragenweite
25 Für den Festumzug herausgeputzt
28 Perlen
31 Fibeln form follows function?
33 Pilgerzeichen
35 Reliquienkapsel: Seelenheil to go
37 Barnsteen r de Doden. Bernsteinschmuck
aus den Großsteingräbern von Tannenhausen
Jan F. Kegler
41 Die vertauschte Frau
Michael Geschwinde
44 Blau, blau, blau sind alle meine ... Perlen
Glasperlen aus einem Grabhügel in Neuenkirchen
Robert Hintz
47 Schöner als Bronze? Schmuck aus Zähnen, Knochen
und Geweih aus der Hünenburg-Unterstadt
Sergej Most
50 Zwischen Feuer und Wasser
Schmuckensembles als Hinweis auf „fremde Frauen“
in der frühen Eisenzeit
Immo Heske
55 Ein Schmuckensemble mit Hühnergott
Neues aus Westerholt-Terheide
Andreas Hüser
58 Fibeln als Beleg für die angelsächsische Besiedlung
Englands im 5. Jahrhundert?
Markus C. Blaich
62 Nadelröhrchen ein praktisches Accessoire
der Frauen in karolingischer Zeit
Zur Funktion und Trageweise der Nadelröhrchen
aus dem Gräberfeld Dunum, Ostfriesland
Christina Peek und Annette Siegmüller
65 Tauben und Münzen
Fibeln der Karolingerzeit als Zeugnisse der
Christianisierung Norddeutschlands?
Markus C. Blaich
68 Hilde mit der Perlenkette
Eine frühchristliche Bestattung am Dom zu Hildesheim
Helmut Brandorff und Nora Schäfer
71 Glücksfall aus dem Grubenhaus:
eine Scheibenfibel mit Textilanhaftungen
aus Cuxhaven-Sahlenburg
Ingo Eichfeld und Svenja Kampe
74 Kleinodien der mittelalterlichen Elite
Schmuckfunde aus einem Herrenhaus in Bissendorf
Daniel Lau
7
77 Mehr als nur Schmuck
Fibeln und ein Pferdegeschirranhänger aus der
Wüstung „altes Dorf“ bei Hellwege
Stefan Hesse
81 Boitwarden
Ein mittelalterlicher Schatzfund im Kontext der
Schmuckentwicklung Nordwestdeutschlands
Stefan Krabath
85 Der Franz, die Flöhe und wie man sie fängt
Ein ungewöhnliches Fundstück aus der Umgebung
von Emden
Bernhard Thiemann
87 Adressat Gott?
Sargschmuck und -ornamente der frühen Neuzeit
Andreas Ströbl
92 Ein Dandy-Knopf aus Deinste
Funde an einem historischen Krugstandort
im Landkreis Stade
Daniel Nösler und Donat Wehner
96 Geschmückt ins Jenseits
Der Fund einer Totenkrone bei der alten
St. Alexanderkirche in Wallenhorst
Vanessa Bähr und Ulrike Haug
100 Sammler, Jäger und ein toter Elefant
in Schöningen
Jordi Serangeli
104 Ähren oder Sterne:
Eine Kreisgrabenanlage der Stichbandkeramik
Immo Heske
108 Recycling nach Art der Bronzezeit
Neolithische Felsgesteingeräte aus der
jungbronzezeitlichen Hünenburg-Unterstadt
Jana Sklarek
112 Aus wenig viel gemacht
Kaiserzeitliche Grundrisse bei Cloppenburg
Jana Esther Fries und
Michael Wesemann
115 Auf den Hund gekommen ...
Leben und Wohnen im frühneuzeitlichen Hildesheim
Ute Bartelt und Silke Grefen-Peters
119 Ausgrabung to go
Mit dem Bohrer in die Frühgeschichte von Esens
Kirsten Hüser
122 Die Stader Hafengrabung 2013
Andrea Finck
125 Drama am Himmel
Auf den Spuren eines Flugzeugabsturzes
Dietrich Alsdorf
129 Eine Reise in die Vergangenheit
Die Straße der Megalithkultur
Silke Surberg-Röhr
132 Inszenierung einer Schlacht
Die Informationsarchitektur am Harzhorn
Petra Lönne und Ralf Buberti
136 90. Geburtstag Prof. Dr. G. Jacob-Friesen
Frank Siegmund
137
Pinwand: Termine cher Ausstellungen
148
Ihre Ansprechpartner in der Archäologischen
Denkmalpflege und in den Landesmuseen
152
Abbildungsnachweis
155
Autorenverzeichnis
Es passiert nicht alle Tage, dass Reste eines Elefan-
ten in Mitteleuropa ausgegraben werden. Bereits
die schlichte Größe und das Gewicht dieser Fun-
de sind imposant (Abb. 1). In Schöningen, Landkreis
Helmstedt, wurden bis jetzt in mehreren Fundstellen
Reste vom Eurasischen Waldelefanten (Palaeoloxodon
antiquus) und von einem Mammut (Mammuthus primi-
genius) ausgegraben und dokumentiert. Diesmal aber
scheint der Mensch in einem noch zu klärenden Zu-
sammenhang mit diesen Funden zu stehen.
Während der letzten Warmzeiten lebten auch im
heutigen NiedersachsenWaldelefanten.Sie hatten eine
Schulterhöhe von bis zu 4,2 m und erreichten ein Ge-
wicht von über zehn Tonnen. Einzelne Bullen konn-
ten aber auch größer und schwerer werden.Während
der Eiszeiten lag das Verbreitungsgebiet dieser Art wei-
ter im Süden, während Mammuts vom Norden aus in
unsere Region einwanderten und hier lebten, solange
kein Eisschild die Landschaft bedeckte.Elefanten waren
in der sanften Hügellandschaft um Schöningen also
keine Exoten, sondern Bestandteil der damaligen na-
türlichen Fauna Mitteleuropas.Sie durchstreiften auch
nicht als Einzelgänger oder nur gelegentlich diese Re-
gion, sondern sie waren zuTausenden hier heimisch.
Demgegenüber wird für das Gebiet des heutigen
Deutschlands eineAnzahl an Menschen angenommen,
die vielleicht nur einige tausend, maximal 10.000 bis
20.000 Individuen betrug.
Als Anfang Juli 2015 in der Fundstelle Schöningen
13 II-2 (Abb. 2) eine auffällig g roße und flache Rippe,
wohl von einemWaldelefant oder einem Nashorn,ent-
deckt wurde,war schon früh deutlich, dass dieser Fund
besondere Aufmerksamkeit verdiente. Nach der Frei-
100
Alt- & Mittelsteinzeit Jungste inzeit Bronzezeit Vor römische Eisenzeit Römische K aiserzeit Frühes Mittelalter Hohes Mittelalter Spätes Mittelalter Neuzeit
7
Sammler, ger und ein toter Elefant
in Schöningen
von Jordi Serangeli
Abb. 1
Installation im paläon, Forschungs- und Erleb-
niszentrum Schöninger Speere, in dem das
Thema Elefanten vor 300.000 Jahren behandelt
wird. Oben links der Backenzahn eines Elefan-
tenbabys aus der Fundstelle Schöningen 12 II-1.
Schädel aus Neumark Nord (Sachsen-Anhalt).
legung konnten zahlreiche Kratz- bzw. Schnittspuren
erkannt und dokumentiert werden,die wahrscheinlich
von Menschenhand verursacht worden waren. Um
möglichst viele Informationen unter Laborbedingun-
gen dokumentieren zu können,wurde entschieden,die
Rippe mit dem gesamten umgebenden Sediment als
Block zu bergen. Bei diesen Arbeiten kam auch noch
ein fast zwei Meter langer Stoßzahn zum Vorschein
(Abb. 3). So wurden unter der Leitung von Jens Leh-
mann zwei Blockbergungen angefertigt.Die eine wiegt
ca. 250 kg, die andere über eineTonne.Um die letzte-
re bis ins paläon,das Forschungs- und Erlebniszentrum
Schöninger Speere, zu transportieren, wurde die Ber-
gung vom THW-Schöningen unterstützt (Abb. 4).
Der Mensch hat vor circa 300.000 Jahren das Ufer
des Schöninger Sees immer wieder aufgesucht, Bele-
ge seiner Präsenz sind in Form von Stein-, Knochen-
und Holzartefakten sowie von Knochen mit Schlag-
und Schnittspuren von mindestens 20 Fundstellen
bekannt. Da die Rippe sowie auch einige kleinere
Knochen in der Nähe der Fundstelle eindeutig von
Menschenhand stammende Schnitt- bzw.Kratzspuren
aufweisen, ist nun auch für die Fundstelle Schöningen
13 II-2 die Anwesenheit des Menschen zu dieser Zeit
nachgewiesen.
Es stellt sich nun die Frage, wie diese Spuren ent-
standen sind.Sind es vielleicht Einkerbungen,die beim
Zerlegen des Tieres entstanden sind? War es ein erleg-
ter Elefant oder wurde vielleicht ein Kadaver zerteilt?
Die Entstehung der Schnittspuren zu klären ist von
wesentlicher Bedeutung, denn es kann genauso mög-
lich sein, dass die flache Rippe als „Unterlage“ für
andere Aktivitäten verwendet worden ist, so wie ein
heutiges Schneidebrett.Da die Rippe zudem an einem
Ende nicht vollständig erhalten ist,stellt sich außerdem
die Frage, wie es zu diesen Brüchen kam.War auch in
101
Abb. 2
In der Fundstelle Schöningen 13 II-2, Schicht 2c, wurden
eine Rippe und ein Stoßzahn eines Waldelefanten entdeckt
(roter Kreis). Diese Funde liegen über 4 Meter unter der
berühmten Fundstelle Schöningen 13 II-4, auch „Speer-
horizont“ genannt.
Abb. 3
Schöningen 13 II-2, Schicht 2c3. Bei der Erweiterung der
Fläche, in der sich die Rippe befand (unten rechts), fand
man einen circa 2 m langen, relativ geraden Stoßzahn
eines eurasischen Waldelefanten (Palaeoloxodon anti-
quus).
Abb. 4
Die Bergung des Stoßzahnes mit dem umliegenden Sedi-
ment erfolgte unter der Leitung von Jens Lehmann (NLD)
und mit Unterstützung des Technischen Hilfswerks Schö-
ningen am 10. Oktober 2015.
diesem Fall der Mensch der Verursacher? Wenn man
die Möglichkeit einer erfolgreichen Elefantenjagd als
Arbeitshypothese in Betracht zöge, wie könnte man
sich dann eine Jagd im Altpaläolithikum vorstellen?
Wurden möglicherweise Stoßlanzen und Wurfspeere
verwendet, vergleichbar mit denjenigen, die man aus
der einige Jahrtausende jüngeren Fundstelle Schönin-
gen 13 II-4, dem sogenannten Speerhorizont, kennt?
Viele von uns haben beim Gedanken an eine Ele-
fantenjagd in der Altsteinzeit heldenhafte, halb nackte,
muskulöse Homo heidelbergensis vorAugen,die sich tap-
fer und mutig einem solchenTier in den Weg stellten.
Bilder aus zahlreichen Ausstellungen vermitteln uns,
wie man sich eine solche Jagd vorstellen könnte. Man
ist fast versucht, in dieser Jagd den ultimativen Beweis
dafür zu sehen, dass der Mensch in seinem langen
„Überlebenskampf“ schon recht früh die Spitze der
Nahrungskette erklommen hatte. Dies ist besonders
hervorzuheben, da selbst Löwen, die „Köni ge“ unter
denTieren und größten Beutegreifer der afrikanischen
Savanne, auch im Rudel erwachsene, gesunde Elef an-
ten als Jagdbeute meiden.Wer also in der Lage war,in
einer kleinen Gruppe ein Tier zu erlegen, das 100- bis
200-mal schwerer als er selber war,kann, ja muss sogar
als Her rscher über die Tierwelt betrachtet werden. Ist
also die Suche nach diesem Beweis der „Stärke“ das,
was uns Menschen ausmacht? Oder verrät vielleicht
die Projektion unserer Ideale von Mut und Helden-
haftigkeit in die Vergangenheit nicht eher mehr über
uns selbst als über unsereVorfahren?
Befunde aus archäologischen Fundstellen wie Be-
not Ya‘aqov (Israel), Aridos 1 und 2 (Spanien), Not-
archirico (Italien), Ebbsfleet (England), Bilzingsleben
(Thüringen), Gröber n (Sachsen-Anhalt) und Lehrin-
gen (Niedersachsen),wo die Reste von einzelnen oder
von einigen wenigen Elefanten umgeben von Stein-
artefakten entdeckt wurden, scheinen zunächst dieses
Bild zu stützen. Sind aber Steinartefakte in der Nähe
von Elefantenknochen ausreichend, um generell eine
Elefantenjagd zu belegen? Im Falle der Fundstelle Leh-
ringen wurde sogar eine circa 2,5 m lange und 3 cm
dicke Stoßlanze aus Eibenholz entdeckt,die angeblich
zwischen zwei Rippen lag. Leider ist die Beweislage
dieses Fundes aus dem Jahr 1948 mangelhaft: Es wur-
de weder ein Foto gemacht, noch eine zeichner ische
Dokumentation angefertigt. Daher dient dieser Be-
fund leider nicht als eindeutiges Argument für eine
frühe Elefantenjagd und muss sehr kritisch betrachtet
werden.
Mehrere Altsteinzeit-Archäologen in Deutschland
haben sich bereits mit der Frage nach einer gezielten,
wiederholten Elefantenjagd im Paläolithikum ausein-
ander gesetzt.Thorsten Uthmeier von der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg kommt zu
dem Schluss, dass bei der angenommenen Größe der
damaligen Sippen von fünf bis zehn Personen und bei
einer großzügig bemessenen Haltbarkeitsgrenze von
30Tagen für Fleisch nurTiere mit einem Gewicht von
bis zu einerTonne als gängiges Jagdwild für die dama-
ligen Menschen in Frage kommen: also Rinder, Hir-
sche, Pferde oder junge Nashörner.Da Elefanten bis zu
zehnmal mehr Fleisch liefern als die Gruppe in dieser
Zeit verzehren könnte, ist seiner Meinung nach eine
regelmäßige Elefantenjagd im Alt- und Mittelpaläoli-
thikum nicht wahrscheinlich. Michael Baales von der
Ruhr-Universität Bochum stellt fest,dass Elefanten an
einigen europäischen Fundplätzen des jüngerenAltpa-
läolithikums sicher eine wichtige Rolle gespielt haben.
Obwohl manche Knochen deutliche Schnittspuren
aufweisen, kann jedoch nicht eindeutig entschieden
werden,ob dieseTiere nun erjagt wurden oder ob man
verendete Tiere ausgeweidet hat, um besondere Teile
wie Haut oder Sehnen zu nutzen.
Sabine Gaudzinski von der Johannes Gutenberg-
Universität Mainz hat die altpaläolithische Elefanten-
Fundstelle Kärlich-Seeufer (Rheinland-Pfalz) unter-
sucht. Bei der Publikation der Ergebnisse und nach
einem von ihr vorgelegten Überblick über die wich-
tigsten europäischen Fundstellen des Alt- und Mittel-
paläolithikum mit Elefantenresten kommt sie zu dem
Schluss, dass das lithische Material verschiedenartige
Begehungen durch Hominiden in der Umgebung die-
ser Fundstellen belegen kann. Die Nutzung von Kno-
chen als Rohmaterial zur Geräteherstellung könnte
daher von den Hominiden vorgenommen worden sein,
inwieweit sie jedoch auch für den Tod der Tiere ver-
antwortlich sind,muss offen bleiben.Nicholas Conard
von der Eberhard Karls UniversitätTübingen resümiert
im Rahmen seiner Publikationen über die Ausgra-
bungen der Neandertaler-Fundstelle Bollschweil (Ba-
den-Württemberg) hier fanden sich Reste von min-
destens sechs Mammuts zusammen mit einem Dutzend
Steinartefakte der Neandertaler –, dass die Rolle von
Elefanten in der altsteinzeitlichen Ökonomie schwer
zu fassen sei.
Eine weitere Möglichkeit, sich dieser Frage anzu-
nähern, ist ein Blick in die Nachbarwissenschaften:
Archäologen ziehen gerne ethnographische Parallelen.
102
In diesem Fall gibt es Filme, in denen die Elefanten-
jagd mit Speeren durch Pygmäen, genauer durch die
Gruppe der Baka, die im Grenzgebiet zwischen der
Republik Kongo und Kamerun leben, belegt ist. Ist
dies der Beweis, dass der Mensch seit jeher ein tapfe-
rer Elefantenjäger ist? Martin Porr von der University
of Western Australia bezweifelt dies und weist darauf
hin, dass alle diese Filme aus der Wende zwischen dem
19.und 20.Jahrhundert,also aus der Kolonialzeit,stam-
men. Die große Nachfrage nach Elfenbein zu dieser
Zeit führte ohne Zweifel dazu, dass die Pygmäen eine
beträchtliche Belohnung durch denVerkauf von Elfen-
bein bekamen. In der Mythologie der Baka sind die
Elefanten gleichzeitig mysteriöseAhnenwesen und die
Herren des Waldes. Manche Ethnologen stellen daher
in Frage, ob die Pygmäen, bevor sie Kontakt mit den
Europäern hatten, überhaupt Elefanten erlegt haben.
Die Archäologen interessieren sich vorrangig für die
verwendeten Waffen oder die Jadtechnik und stellen
die Elefantenjagd als solche oft nicht in Frage.Auf die-
sen Fehler verweist Mar tin Porr und fordert, dass man
zumindest einige der hergezogenen ethnologischen
Vergleiche mit äußersterVorsicht betrachten und nicht
überbewerten sollte.
Mit dem neuen Fund von Elefantenresten in Schö-
ningen stellen sich viele Fragen.Ihre Beantwortung ist
derzeit noch schwierig,und es gibt verschiedeneArbeits
-
hypothesen. Einige Punkte stehen jedoch bereits fest:
Die Menschen, die um den See in Schöningen vor ca.
300.000 Jahren lebten,waren als spezialisierte Jäger mit
unterschiedlichen Waffen ausgerüstet: Wurfspeeren,
Stoßlanzen und Wurfstöcken (J. Serangeli, AiN 18,
2015, 93-96). Also haben sie den Elefanten vielleicht
doch erlegt? Aber sie waren nicht nur Jäger, sondern
auch Sammler. So könnten sie eben auch auf einem
Streifzug auf der Suche nach Eiern oder Pflanzen am
Ufer des Sees einen Elefantenkadaver entdeckt und
Teile von ihm aufgesammelt haben,um sie einem neu-
en Verwendungszweck zuzuführen.
Sucht man einen Fundplatz mit Belegen für eine
Elefantenjagd aus dem Altpaläolithikum,dann ist Schö-
ningen der rechte Ort, denn keine bekannte altpa-
läolithische Fundstelle weltweit bietet zurzeit nur
annährend so gute Erhaltungsbedingungen.Die Unter-
suchung der bislang vorliegenden Funde steht erst am
Anfang. In den nächsten Jahren wird das Areal in die-
sem Bereich erweitert,und es wird mit weiteren Kno-
chenfunden von Elefanten zu rechnen sein.Dann kann
dieser entscheidenden Frage auf einer breiteren Mate-
rialbasis nachgegangen werden.In Bezug auf eine mög-
liche Elefantenjagd bringt der Gedanke des spanischen
Archäologen Eudald Carbonell (Universidad deTarra-
gona, Spanien) über die Evolution es auf den Punkt:
Es überlebt nicht der Stärkere, sondern der, der sic h am bes-
ten anpassen kann. Demnach war die Anpassungsfä-
higkeit des Menschen ausschlaggebend für seinen evo-
lutiven Erfolg und nicht die Größe seiner Beute!
103
BAALES, M.: Der Weg zum Neandertaler: Aspekte zur ältesten Besiedlung Afrikas und Eurasiens. In: Uelsberg, G.,
Lötters, S. (Hrsg.), Roots / Wurzeln der Menscheit. Mainz 2006, 53–68.
CONARD, N. J., NIEVEN, L.: The Paleolithic finds from Bollschweil and the question of Neanderthal mammoth hun-
ting in the Black Forest. In: Gioia, P. (Hrsg.), 1st International Congress “The World of Elephants”, Rom 16.–20. Okt-
ober 2001, 194–200.
PORR, M.: Tod im Herzen der Finsternis. Zentralafrikanische Pygmäen und die Jagd auf Elefanten im tropischen
Regenwald. In: Meller, H. (Hrsg.), Paläolitikum und Mesolithikum. Kataloge zur Dauerausstellung im Landesmu-
seum für Vorgeschichte Halle 1. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Halle (Saale) 2004, 163–166.
GAUDZINSKI, S.: Kärlich-Seeufer. Untersuchungen zu einer altpaläolithischen Fundstelle im Neuwieder Becken (Rhein-
land-Pfalz). Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 43, 1998, 5–239 und Taf. 1–19.
UTHMEIER, TH.: Triumph über die Natur? Zum Bild vom Neandertaler als Elefantenjäger. Archäologische Informatio-
nen 29, 1/2, 2006 (2007), 17–34.
Literatur:
... The remains of at least nine Eurasian straight-tusked elephants (Palaeoloxodon antiquus) from eight sites as well as one mammoth (Mammuthus primigenius) were recovered and documented (Thieme, 2007;Richter and Thieme, 2012;Serangeli, 2016) in Schöningen. Thus, the elephant is not an exotic taxon but rather an integral part of the Pleistocene fauna of Schöningen. ...
Article
The discovery of a tusk and a rib of a straight-tusked elephant within layer 13 II-2c3 of the famous Lower Palaeolithic archaeological site Schöningen (district Helmstedt, Lower-Saxony, Germany) provided the reason for studying the climatic and ecological conditions of this part of the Middle Pleistocene Reinsdorf sequence in high resolution in relation to new chronometric data. Sediment, pollen, aquatic microfossil (diatoms, ostracods, gyrogonites of charophytes) and micro mammalian analyses provide evidence for a strong environmental change and landscape opening following the post-temperate boreal forest phase of the Reinsdorf Interglacial. Palynological and palaeontological evidence from this horizon suggest increasing dryness and seasonality. The high proportions of non-arboreal pollen including Poaceae as well as a major decrease of thermophile tree taxa indicate the development of zonal steppe environments. The assemblage of small mammal remains includes indicators of temperate as well as cold climatic conditions. A bone tool together with flint artefacts clearly show the presence of hominins in this context. Based on palaeoecological evidence and new luminescence dating, previous correlations of the Reinsdorf sequence to Marine Isotope Stage (MIS) 9 and thus of the interglacial sediments to MIS 9e are confirmed and the onset of the first post-interglacial steppe phase represented by layer 13 II-2c3 to MIS 9d is proposed.
... Durch Pressemitteilungen wurden im paläon die neusten Entdeckungen und Publikationen bekannt gegeben. Zuletzt waren es die Reste einer Säbelzahnkatze (Serangeli u. a. 2015b), Eierschalen oder die Entdeckung eines 2 m langen Stoßzahns eines Elefanten (Serangeli 2016). ...
Demnach war die Anpassungsfähigkeit des Menschen ausschlaggebend für seinen evolutiven Erfolg und nicht die Größe seiner Beute! 103
  • Carbonell Archäologen Eudald
Archäologen Eudald Carbonell (Universidad deTarragona, Spanien) über die Evolution es auf den Punkt: "Es überlebt nicht der Stärkere, sondern der, der sich am besten anpassen kann." Demnach war die Anpassungsfähigkeit des Menschen ausschlaggebend für seinen evolutiven Erfolg und nicht die Größe seiner Beute! 103
Es überlebt nicht der Stärkere, sondern der, der sich am besten anpassen kann
  • Carbonell Archäologen Eudald
Archäologen Eudald Carbonell (Universidad deTarragona, Spanien) über die Evolution es auf den Punkt: "Es überlebt nicht der Stärkere, sondern der, der sich am besten anpassen kann." Demnach war die Anpassungsfä-
  • T H Uthmeier
UTHMEIER, TH.: Triumph über die Natur? Zum Bild vom Neandertaler als Elefantenjäger. Archäologische Informationen 29, 1/2, 2006 (2007), 17-34. Literatur: