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Biodiversität fördern mit Wilden Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt

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DEUTSCH: In Deutschland sollen nach der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 auf 2 % (714 000 ha) der terrestrischen Fläche Prozessschutzflächen als Wildnisgebiete ausgewiesen sein. Nach den bisher konzipierten Kriterien sind nur Nationalparks eine bereits existierende Kulisse. Sie nehmen ca. 0,6 % der terrestrischen Fläche ein. Weitere 500 000 ha neue Wildnis müssen ausgewiesen werden. Im Gegensatz zu anderen Ländern wird hierbei in Deutschland, abgesehen von ehemaligen Militärflächen und Bergbaufolgelandschaften, vor allem an Waldökosysteme gedacht. Ein naturschutzfachlicher Mehrwert wird dort im Wesentlichen in der Totholzakkumulation liegen. Erkenntnisse der Störungsökologie, nach denen sich das 2 %-Ziel durch eine gezieltere Ausweisung, Vorbehandlung und punktuelles „Management“ weiter qualifizieren ließe, bleiben eher unberücksichtigt. In Anbetracht des Artenschwunds und der begrenzten Zugriffsmöglichkeiten des Naturschutzes auf Flächen plädieren wir für eine stringente Einbeziehung halbwilder Weidetiere in Wildnisgebieten. Große Pflanzenfresser wie Wisente, Rothirsche und robuste Haustierrassen sind ein entscheidender Faktor für mehr räumlich-zeitliche Dynamik. Ihr Störungseinfluss generiert Ressourcen und Nischen für seltene und gefährdete Arten. ENGLISH: In Germany, according to the National Strategy on Biological Diversity, 2% (714,000 ha) of the terrestrial area should be designated as wilderness areas by 2020. According to the criteria conceived so far, only national parks are an already existing suite of such sites. They occupy about 0.6 % of the terrestrial area. Another 500,000 ha of new wilderness areas must be designated. In contrast to other countries, in Germany, apart from former military areas and mining landscapes, especially near-natural forest ecosystems are considered as potential wilderness areas. The nature conservation value of these areas will be increased essentially through the accumulation of deadwood. Findings of disturbance ecology, according to which process-based nature conservation and the 2% target could be further qualified by more targeted area designation, pre-treatment and highly localised 'management', tend to be disregarded. In view of ongoing species decline and the limited availability of land for conservation purposes, we argue for stringent inclusion of 'wild grazing animals' in wilderness areas. Large herbivores such as European bison or red deer and robust domestic animal breeds are a crucial factor for greater spatial and temporal dynamics. Their disturbance generates resources and niches for rare and endangered species. ENGLISH: In Germany, according to the National Strategy on Biological Diversity, 2% (714,000ha) of the terrestrial area should be designated as wilderness areas by 2020. According to the criteria conceived so far, only national parks are an already existing suite of such sites. They occupy about 0.6% of the terrestrial area. Another 500,000ha of new wilderness areas must be designated. In contrast to other countries, in Germany, apart from former military areas and mining landscapes, especially near-natural forest ecosystems are considered as potential wilderness areas. The nature conservation value of these areas will be increased essentially through the accumulation of deadwood. Findings of disturbance ecology, according to which process-based nature conservation and the 2% target could be further qualified by more targeted area designation, pre-treatment and highly localised 'management', tend to be disregarded. In view of ongoing species decline and the limited availability of land for conservation purposes, we argue for stringent inclusion of 'wild grazing animals' in wilderness areas. Large herbivores such as European bison or red deer and robust domestic animal breeds are a crucial factor for greater spatial and temporal dynamics. Their disturbance generates resources and niches for rare and endangered species.
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Verlag W. Kohlhammer
93.Jahrgang 2018 Heft Seiten DOI:
7314-322 10.17433/7.2018.50153595.314-322
In Deutschland sollen nach der Nationalen Strategie zur
biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 auf 2% (714000ha) der
terrestrischen Fläche Prozessschutzflächen als
Wildnisgebiete ausgewiesen sein. Nach den bisher
konzipierten Kriterien sind nur Nationalparks eine bereits
existierende Kulisse. Sie nehmen ca. 0,6% der
terrestrischen Fläche ein. Weitere 500000ha neue Wildnis
müssen ausgewiesen werden. Im Gegensatz zu anderen
Ländern wird hierbei in Deutschland, abgesehen von
ehemaligen Militärflächen und Bergbaufolgelandschaften,
vor allem an Waldökosysteme gedacht. Ein
naturschutzfachlicher Mehrwert wird dort im Wesentlichen
in der Totholzakkumulation liegen. Erkenntnisse der
Störungsökologie, nach denen sich das 2%-Ziel durch eine
gezieltere Ausweisung, Vorbehandlung und punktuelles
'Management' weiter qualifizieren ließe, bleiben eher
unberücksichtigt. In Anbetracht des Artenschwunds und der
begrenzten Zugriffsmöglichkeiten des Naturschutzes auf
Flächen plädieren wir für eine stringente Einbeziehung
halbwilder Weidetiere in Wildnisgebieten. Große
Pflanzenfresser wie Wisente, Rothirsche und robuste
Haustierrassen sind ein entscheidender Faktor für mehr
räumlich-zeitliche Dynamik. Ihr Störungseinfluss generiert
Ressourcen und Nischen für seltene und gefährdete Arten.
In Germany, according to the National Strategy on
Biological Diversity, 2% (714,000ha) of the terrestrial area
should be designated as wilderness areas by 2020.
According to the criteria conceived so far, only national
parks are an already existing suite of such sites. They
occupy about 0.6% of the terrestrial area. Another 500,000
ha of new wilderness areas must be designated. In contrast
to other countries, in Germany, apart from former military
areas and mining landscapes, especially near-natural forest
ecosystems are considered as potential wilderness areas.
The nature conservation value of these areas will be
increased essentially through the accumulation of
deadwood. Findings of disturbance ecology, according to
which process-based nature conservation and the 2% target
could be further qualified by more targeted area
designation, pre-treatment and highly localised
'management', tend to be disregarded. In view of ongoing
species decline and the limited availability of land for
conservation purposes, we argue for stringent inclusion of
'wild grazing animals' in wilderness areas. Large herbivores
such as European bison or red deer and robust domestic
animal breeds are a crucial factor for greater spatial and
temporal dynamics. Their disturbance generates resources
and niches for rare and endangered species.
Nicolas Schoof, Rainer Luick, Herbert Nickel, Albert Reif, Marc Förschler, Paul Westrich und Edgar Reisinger
Biodiversität fördern mit Wilden Weiden in der Vision
'Wildnisgebiete' der Nationalen Strategie zur biologischen
Vielfalt
Enhancing biodiversity with the help of wild pastures in the
framework of the wilderness vision of the German National
Strategy on Biological Diversity
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
314 — 93. Jahrgang (2018) — Heft 7
1 Hinführung und Methodik
Ein aus Naturschutzsicht zentrales Vorha-
ben der Nationalen Strategie zur biologi-
schen Vielfalt (NBS) aus dem Jahr 2007 ist
die Etablierung von Wildnisgebieten, also
von großen Prozessschutzgebieten, die
bis zum Jahr 2020 auf 2 % (ca. 714 000 ha)
der terrestrischen Fläche Deutschlands
ausgewiesen sein sollen (BMU 2007).
Mittlerweile sind seit der Verabschiedung
der NBS 11 Jahre vergangen, und die ge-
plante Zielerreichung bis zum Jahr 2020
gibt Anlass zu einer kritischen Reflexion,
wie (und ob) diese Vision nach heutigem
Stand in die Praxis umgesetzt sein wird.
Vor allem aber soll es in diesem Beitrag
darum gehen, einen kardinalen Prozess-
faktor, die Einbeziehung der Gestaltungs-
kräfte großer Pflanzenfresser, in den Dis-
kurs über Wildnis einzubringen. Aktuell
werden zur NBS-Vision „Wildnisgebiete“
Diskussionen geführt und Umsetzungs-
konzepte erstellt, ohne dass die wichtigen
ökosystemaren Funktionen natürlicher
Störungen bei der fachlichen Vorberei-
tung und Umsetzung adäquat berück-
sichtigt werden. Die Suche nach und die
Ausweisung von Wildnisgebieten kon-
zentriert sich dabei auf die rein quantita-
tive Erreichung des 2 %-Ziels und nicht
auf möglichst störungs- und prozessrei-
che Ökosysteme. Speziell die Potenziale
großer Pflanzenfresser als Stellgröße der
biologischen Vielfalt bleiben bislang weit-
gehend unberücksichtigt. Im Kontext der
europäischen „Mehr-Wildnis-Debatte“ ist
diese Sicht- und Vorgehensweise unüb-
lich (vgl. z. B. Wild Europe 2018).
Der vorliegende Aufsatz basiert auf Er-
kenntnissen des vom Bundesamt für Na-
turschutz (BfN) geförderten Forschungs-
und Entwicklungsvorhabens „Umset-
zung des 2 %-Ziels für Wildnisgebiete
aus der NBS“ (vgl. Rosenthal et al. 2015)
Biodiversität fördern mit Wilden Weiden
in der Vision „Wildnisgebiete“
der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Enhancing biodiversity with the help of wild pastures in the framework
of the wilderness vision of the German National Strategy on Biological Diversity
Nicolas Schoof, Rainer Luick, Herbert Nickel, Albert Reif,
Marc Förschler, Paul Westrich und Edgar Reisinger
Zusammenfassung
In Deutschland sollen nach der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 auf 2 % (714 000 ha) der terrestrischen Fläche
Prozessschutzflächen als Wildnisgebiete ausgewiesen sein. Nach den bisher konzipierten Kriterien sind nur Nationalparks eine bereits
existierende Kulisse. Sie nehmen ca. 0,6 % der terrestrischen Fläche ein. Weitere 500 000 ha neue Wildnis müssen ausgewiesen werden. Im
Gegensatz zu anderen Ländern wird hierbei in Deutschland, abgesehen von ehemaligen Militärflächen und Bergbaufolgelandschaften,
vor allem an Waldökosysteme gedacht. Ein naturschutzfachlicher Mehrwert wird dort im Wesentlichen in der Totholzakkumulation liegen.
Erkenntnisse der Störungsökologie, nach denen sich das 2 %-Ziel durch eine gezieltere Ausweisung, Vorbehandlung und punktuelles
„Management“ weiter qualifizieren ließe, bleiben eher unberücksichtigt. In Anbetracht des Artenschwunds und der begrenzten Zugriffs-
möglichkeiten des Naturschutzes auf Flächen plädieren wir für eine stringente Einbeziehung halbwilder Weidetiere in Wildnisgebieten.
Große Pflanzenfresser wie Wisente, Rothirsche und robuste Haustierrassen sind ein entscheidender Faktor für mehr räumlich-zeitliche
Dynamik. Ihr Störungseinfluss generiert Ressourcen und Nischen für seltene und gefährdete Arten.
Wildnisgebiete – Wilde Weiden – Megaherbivoren – Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt – 2 %-Ziel – Biodiversitätsschutz – Deutschland
Abstract
In Germany, according to the National Strategy on Biological Diversity, 2 % (714,000 ha) of the terrestrial area should be designated as
wilderness areas by 2020. According to the criteria conceived so far, only national parks are an already existing suite of such sites. They
occupy about 0.6 % of the terrestrial area. Another 500,000 ha of new wilderness areas must be designated. In contrast to other countries,
in Germany, apart from former military areas and mining landscapes, especially near-natural forest ecosystems are considered as potential
wilderness areas. The nature conservation value of these areas will be increased essentially through the accumulation of deadwood.
Findings of disturbance ecology, according to which process-based nature conservation and the 2 % target could be further qualified by
more targeted area designation, pre-treatment and highly localised ‘management’, tend to be disregarded. In view of ongoing species
decline and the limited availability of land for conservation purposes, we argue for stringent inclusion of ‘wild grazing animals’ in wilderness
areas. Large herbivores such as European bison or red deer and robust domestic animal breeds are a crucial factor for greater spatial and
temporal dynamics. Their disturbance generates resources and niches for rare and endangered species.
Wilderness – Wild pastures – Megaherbivores – National Strategy on Biological Diversity – 2 % goal – Conservation biology – Germany
Manuskripteinreichung: 7. 12. 2017, Annahme: 23. 4. 2018 DOI: 10.17433/7.2018.50153595.314-322
Aufsatz Original manuscript
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 315
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
und einer Analyse sowie Bewertung der
Diskurse zu „Wildnis“ als Naturschutz-
strategie. Wir bedienen uns argumentativ
der Logik. Dies ist deshalb hervorzuhe-
ben, da wir in dieser Arbeit keine neuen
Normen für die Umsetzung der NBS ab-
leiten. Das Prozessschutzverständnis der
NBS ist instrumentell, d. h. die Strategie
verfolgt mit der Forderung nach „Wild-
nisgebieten“ definierte Naturschutzziele.
Unter Berücksichtigung valider empiri-
scher Erkenntnisse der Ökologie werden
wir für die a priori gesetzten Werte der
NBS wesentliche Bausteine einer ziel -
orientierteren Umsetzung der Vision
„Wildnisgebiete“ ableiten.
2 Ziele der NBS-Vision
„Wildnisgebiete“
eindeutige Vorgaben?
Die entscheidende normative Zielset-
zung der NBS wird in dieser eingangs
beschrieben (s. BMU 2007: 6 ff.). Als na-
tionales Transkript der „Convention on
Bio diversity“ (CBD) der UN zielt die
Strategie auf die Erhaltung der heimi-
schen biologischen Vielfalt (Gene, Arten,
Ökosysteme). Im Gegensatz zu vielen
naturschutzpolitischen Änderungen, die
sich durch Abwandlungen der politischen
Programmatik auf Bundes- und Landes -
ebene innerhalb und mit dem Wechsel
der Legislaturperioden regelmäßig erge-
ben, blieb die NBS im Wortlaut seit 2007
unverändert und wird sowohl inhaltlich
als auch als normative Benchmark in wei-
ten Kreisen anerkannt. Die Verpflichtung
zur Umsetzung der Strategie in Hinblick
auf das genannte übergeordnete NBS-Ziel
besteht prinzipiell bei allen in der NBS
vorgestellten Visionen (s. BMU 2007).
Die in der NBS politisch artikulierte
Verpflichtung zur Erhaltung der biologi-
schen Vielfalt ist im Zusammenhang mit
einem raschen Artensterben und Bio-
masseverlust zu sehen. Letzterer wurde
am Beispiel der Insekten nachgewiesen
(Hallmann et al. 2017). Die aktuelle, an-
thropogen induzierte Aussterberate der
Vertebraten liegt global um mehr als das
100-fache höher, als sie ohne den Einfluss
der Menschheit anzunehmen wäre (Ce-
ballos et al. 2015). Dieser Befund führt
zur Experteneinschätzung, dass wir
wahrscheinlich Zeitzeugen eines begin-
nenden Massenartensterbens sind, wie
es in Hunderten Millionen Jahren Erdge-
schichte zuvor nur 5-mal ablief. Während
für die früheren Ereignisse gravierende
Änderungen natürlicher Umweltfaktoren
oder stochastische und katastrophale Ein-
zelereignisse verantwortlich waren, sind
für den heutigen Artenschwund prinzipi-
ell vermeidbare, zivilisationsbegleitende
Faktoren und Prozesse ursächlich (Bar-
nosky et al. 2011; McCallum 2015). Halten
die derzeitigen Trends an, könnten schon
bis 2100 weltweit ein Viertel bis die Hälf-
te aller Arten ausgelöscht sein (Primm
2002).
Auf diese globale Herausforderung re-
agierte die Bundesregierung auf nationa-
ler Ebene mit der Ratifizierung der CBD
(Gesetz zum Übereinkommen über die
biologische Vielfalt vom 30. 8. 1993, Bun-
desgesetzblatt II Nr. 32: 1 741 f.) und mit
der NBS – u. a. auch mit der Formulie-
rung der Vision „Wildnisgebiete“ (BMU
2007) (s. Tab. 1). Da der Begriff „Wildnis“
in Deutschland nicht definiert war und
die NBS-Vision nur Leitlinien vorgibt,
wurden in einem Diskurs Kriterien be-
stimmt, unter deren Voraussetzung neue
Wildnisgebiete dem 2 %-Ziel angerechnet
werden können. Als Schwellenwert wur-
de eine Mindestfläche von 1 000 ha für
Flächen des Hochgebirges, Wälder, ehe-
malige Militärflächen und Bergbaufolge-
landschaften festgelegt. Eine Mindestgrö-
ße von 500 ha gilt für potenzielle Kulissen
in Mooren, Auen, an Küstenlebensräu-
men und in zu begründenden Ausnah-
mefällen auch für die zuvor genannten
Kulissen (BMUB, BfN 2017).
Der Wortlaut der NBS, die internatio-
nale Verbindlichkeit der CBD, die Dring-
lichkeit der Erhaltung der Vielfalt und die
gegebenen Flächennutzungskonkurren-
zen halten die politischen Entscheidungs-
träger dazu an, das übergeordnete Ziel
der NBS möglichst effektiv umzusetzen.
Dieser Anspruch scheint auf den ersten
Blick für Naturschutzakteure konsens-
fähig. Tatsächlich wird die Umsetzung
der Vision „Wildnisgebiete“ derzeit aller-
dings weitestgehend ohne Einbindung
und Förderung großer Pflanzenfresser
verfolgt. Ein wesentlicher Faktor für
natürliche Störungen und Prozesse und
davon abhängige Arten erhält so in ei-
nem nationalen Prozessschutzvorhaben
mit dem Ziel des Biodiversitätsschutzes
wenig Beachtung (vgl. u. a. Rosenthal
et al. 2015; Wildnisgebiete in Deutschland
2018).
In den vergangenen Jahren wurde in
Deutschland das Motto „Natur Natur
sein lassen“ vor allem zur Bewerbung
neuer Nationalparks erfolgreich einge-
setzt. Dieser Leitgedanke – so attraktiv
er sein mag – ist in vielen Fällen keine
operational-optimale Handlungsanwei-
sung zur Förderung einheimischer Bio-
diversität (s. Poschlod 2015; Piechocki
et al. 2010), zumindest dann nicht, wenn
er zu absolut verstanden wird. Wenn
das übergeordnete Ziel der NBS („För-
derung der heimischen Biodiversität“)
akzeptiert wird, dann ist dem Prozess-
schutz, als dem Umsetzungsinstrument
der Wildnis-Vision, ein gewisser Manage-
mentvorbehalt einzuräumen. In vielen
prozessgeschützten Lebensräumen ist/
wäre ein temporäres, aktives (Gegen-)
Steuern in Hinblick auf unerwünschte
Prozesse eher hypothetisch. Maßnah-
men, die zur Erreichung des genannten
übergeordneten NBS-Ziels oder zur Um-
Tab. 1: Das Zielsystem der Vision „Wildnisgebiete“ in der Nationalen Strategie zur bio-
logischen Vielfalt nach BMU (2007).
Table 1: The goal system of the ‘Wilderness areas’ vision in the National Strategy on Biological
Diversity according to BMU (2007).
Ziel (Kurzform) Definition aus der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Erhaltung der Biodiversität =
übergeordnetes Ziel
„Ziel der Strategie ist es, alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisie-
ren und zu bündeln, sodass sich die Gefährdung der biologischen
Vielfalt in Deutschland deutlich verringert, schließlich ganz ge-
stoppt wird und als Fernziel die biologische Vielfalt einschließlich
ihrer regionaltypischen Besonderheiten wieder zunimmt“ (BMU
2007: 7).
Prozessschutz „Schaffung von Gebieten, die der natürlichen Entwicklung über-
lassen werden, in lebensraumspezifischer Größe bis 2020“ (BMU
2007: 41).
Schaffung von
Rückzugsgebieten und Trittsteinen
„Schaffung von Rückzugsgebieten und Trittsteinen für gefährdete
Arten“ (BMU 2007: 41).
Integration in Biotopverbund „Integration der Wildnisgebiete in den länderübergreifenden Bio-
topverbund“ (BMU 2007: 41).
Umweltbildung/Erlebbarkeit „Solche Wildnisgebiete können auch helfen, die Natur zu verstehen
und zu erleben“ (BMU 2007: 41).
„Großflächigkeit“ „Bei einem Großteil der Wildnisgebiete handelt es sich um großflä-
chige Gebiete“ (BMU 2007: 40).
Erfüllung der Verantwortung „Weiteres Ziel ist es, dass Deutschland seiner Verantwortung für
eine weltweit nachhaltige Entwicklung verstärkt gerecht wird“
(BMU 2007: 7).
Wildnisgebiete auf mindestens 2 %
der terrestrischen Fläche Deutschlands
„Bis zum Jahre 2020 kann sich die Natur auf mindestens 2 % der
Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetz-
mäßigkeiten entwickeln […]“ (BMU 2007: 40).
Ziele des BNatSchG Durch den Verweis auf das BNatSchG werden auch dessen Ziel-
dimensionen aufgegriffen. Damit werden zusätzlich die Diversität
der Landschaften und der Eigenwert der Natur gewürdigt.
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
316 — 93. Jahrgang (2018) — Heft 7
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
setzung rechtlicher Verpflichtungen (wie
z. B. Brandkontrolle, phytosanitäre Maß-
nahmen, Neobiota-Management, Besu-
cherlenkung) beitragen, können aber im
jeweiligen Managementplan begründet
werden (BMUB, BfN 2017). Insbesonde-
re kann die Einwanderung und Ausbrei-
tung von Neobiota, wie beispielsweise
des Eschenahorns (Acer negundo) in Auen,
zu einer dauerhaften Verdrängung ein-
heimischer Arten führen und damit das
übergeordnete Ziel der NBS konterkarie-
ren. In solchen und vergleichbaren Fällen
könnten und sollten geeignete Maßnah-
men, die auf einem Managementplan
basieren, entgegenwirken dürfen bzw.
entsprechend § 40 BNatSchG sowie der
übergeordneten NBS-Zielsetzung sogar
müssen (vgl. Piechocki et al. 2010).
Während also Wildnis in einem NBS-
Verständnis durchaus bestimmte Ma-
nagementoptionen und -notwendigkei-
ten beinhalten kann, wird gleichzeitig
jedoch ein Management halbwilder Wei-
detiere (inkl. eventueller Zäunung wie in
der Serengeti) von vielen Wildnisprota-
gonisten abgelehnt, da es ihnen als unver-
einbar mit ihrem Wildnisverständnis gilt.
Für Wilde Weiden (s. Bunzel-Drüke et al.
2009) ist aus populationsökologischer
Sicht auf Grund der hiesigen Flächen -
restriktionen (rasche Kapazitätsüber-
schreitungen einer gegebenen Fläche
durch hohe Vermehrungsraten), auf
Grund des Fehlens regulierender Prä-
datoren und Aasfresser sowie wegen
der Zwänge der kulturlandschaftlichen
Nachbarschaften ein punktuell-tempo-
räres Management der halbwilden Wei-
detiere erforderlich. Die Notwendigkeit
eines Managements besteht selbst für
Wildnisgebiete mit Megaherbivoren auf
Flächen von mehreren 1 000 ha – wie
etwa Oostvaardersplassen in den Nie-
derlanden. Dort zeigte sich, dass selbst
Flächen dieser Größenordnung unter
den bestehenden Rahmenbedingungen
noch zu klein sind, um alle funktiona-
len Erfordernisse aus sich selbst heraus
zu erfüllen. In dem 5 600 ha großen „Na-
turentwicklungsgebiet“ (die Fläche wird
als Nationalpark diskutiert) hatte sich aus
wenigen, in den 1990er-Jahren eingesetz-
ten Tieren bis ins Jahr 2005 eine Popula-
tion von rund 2 200 Tieren (850 Hirsche,
1 000 Pferde, 400 Heckrinder) entwickelt
(u. a. Vera 2009). Diese Zahl hatte sich bis
ins Jahr 2010 weiter auf fast 3 500 Tiere er-
höht, was dann über der Tragfähigkeit des
Gebiets lag. Doch die teils abgemagerten,
kranken, verletzten, sterbenden und to-
ten Tiere waren als Element von Wildnis
nach massivem öffentlichen Druck poli-
tisch nicht mehr vermittelbar (W. Helmer
2017, mündl. Mitt.). Mit punktuellen Ein-
griffen wurde die Tierzahl deutlich redu-
ziert (2016, ca. 2 500 Tiere; Breeveld 2016).
Heute werden die Populationen durch
das präventive Töten schwacher Tiere
gesteuert, das Gebiet wird aber trotz die-
ses Managements weiterhin (erfolgreich)
als „Wildnis“ kommuniziert (W. Helmer
2017, mündl. Mitt.). Darin muss also kein
Widerspruch liegen, wie auch weitere
Beispiele beweisen (z. B. Döberitzer Hei-
de in Brandenburg).
3 Dynamik und vielfältige
Strukturen als Schlüssel für
biologische Vielfalt
Der mögliche positive Beitrag des Pro-
zessschutzes – und damit auch von
Wildnisgebieten – zur Erhaltung der hei-
mischen Diversität beruht auf der Theo-
rie, dass naturnahe Prozesse Service-
funktionen in Ökosystemen generieren.
Gleichzeitig sind sie aber in einem kul-
turlandschaftlichen Kontext oft nicht er-
wünscht und werden deshalb aktiv durch
planerische und rechtliche Vorgaben
verhindert. Ein konkretes Beispiel ist die
Tab. 2: Prozesse und Störungen, denen im instrumentell verstandenen Prozessschutz eine hohe Bedeutung zukommen.
Table 2: Processes and disturbances of great importance in instrumentally understood process-based nature conservation.
Prozess/Störung Wertgebende Strukturen/Entwicklungen
Relative Eintrittswahrscheinlichkeit
bei gezielter Schutzgebietsausweisung
Dauer bis zum
erstmaligen Eintritt/Häufigkeit
Totholzakkumulation
als natürlicher Prozess
Totholz Sicher auf allen waldfähigen Standorten In der Regel langsamer, fortwährender
Prozess
Windwurf u. ä. Totholz, punktuelle bis flächige Pionier-
situation (offen), aufgerichtete Wurzel-
teller, Mulde
In Grenzen modellierbar Schwer prognostizierbar/nach erstem
Ereignis vergehen Jahrzehnte bis Jahr-
hunderte bis der Bestand wieder ent-
sprechend windwurfgefährdet ist
Fließwasserdynamik Erosion und Sedimentation, offene Boden-
stellen/flächige Pioniersituation, Nährstoff-
verlagerung, Steilufer, Totholz
Eintrittswahrscheinlichkeit bei gezielter
Flächenwahl nahezu „sicher“
Sofort und ständig mit abnehmender
Intensität bei zunehmender Ufer-
entfernung
Waldbrand Totholz, offene Bodenstellen/flächige
Pioniersituation, offene Baum-, Strauch-,
Krautschicht (je nach Intensität)
Nicht vorhersehbar, politisch kaum zu
realisieren
In Nadelwäldern, kaum prognostizierbar
Erdbewegung i. w. S. Offene Bodenstellen/flächige Pionier-
situation, bei Steinschlag auch punktuell
Totholz
Wahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von
Gefälle, Wetterereignissen, Bodenstruk-
tur – in gewissen Grenzen durch gezielte
Auswahl erfassbar
Je nach Art und Lage regelmäßig (z. B.
Steinschlag, Erosion) bis nicht prognosti-
zierbar (Murenabgänge)
Lawinen Offene Bodenstellen/flächige Pionier-
situation, Totholz (seltener), Material-
verlagerung
Eintrittswahrscheinlichkeit bei gezielter
Flächenwahl nahezu „sicher“
Jährlich bis zu Jahrzehnten
Insektenkalamitäten Totholz, flächige Pioniersituation (offen) In naturfernen Nadelwäldern nahezu
sicher, in naturnahen Beständen sehr
wahrscheinlich, politisch im ersten Fall
nicht realisierbar, im Letzteren nur mit
aus reichend Schutzzonen denkbar
In den meisten naturfernen Nadelholz-
beständen in den ersten Jahren, dort
aber ein eher einmaliges Ereignis, da sich
eine naturnähere Vegetation einstellt,
in naturnahen Nadelholzbeständen im
Abstand von Jahrzehnten wiederkehrend,
in Laubholz wesentlich seltener
Wiedervernässung Anaerobe Bodenhorizonte, langfristig
Aufbau eines Torfkörpers möglich
Nach initialen Maßnahmen (ehemalige
Moore) praktisch sicher
Jahre bis Jahrzehnte
Wilde Weidetiere
(Wisente, Elche, Rotwild u. a.)
Offene Bodenstellen, mosaikartiger
Wald-Offenland-Wechsel, Nährstoff-
verlagerungen, Totholz, Gewässer-
strukturierung, Dungerzeugung, Auf-
lösung dominanter Pflanzenbestände
Sicher, wenn mit wilden Weidetieren
gearbeitet wird, (fast) überall einsetzbar/
vorstellbar
Sofort und fortwährend
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 317
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
unerwünschte Totholzakkumulation in
Wirtschaftswäldern über einen Schwel-
lenwert hinaus, der aus naturschutz-
fachlicher Sicht zu niedrig angesetzt ist.
Totholz im Wirtschaftswald steht in ers-
ter Linie für entgangenen Nutzen und
ein gefährliches Arbeitsumfeld und ist
deshalb in für Totholzzönosen relevanten
Quantitäten und Qualitäten nur in loka-
len Ausnahmen vorhanden (Scherzinger
1996; Müller et al. 2007).
Natürliche, kontinuierliche Prozesse
wie die Anreicherung von Totholz bei
Nutzungsaufgabe können von „Störun-
gen“ abgegrenzt werden, die per Defini-
tion ebenfalls zur Wirkungsgruppe der
Prozesse zählen. Störungen sind aber
geeignet, ein System in kurzer Zeit und
in stochastischen, allenfalls statistisch
prognostizierbaren zeitlichen Abstän-
den wieder in einen ökologischen „An-
fangszustand“ zu versetzen. Beispiele
für Störungen sind Waldbrände, Borken-
käferkalamitäten, Sturmereignisse, Mur-
gänge oder extremes Hochwasser, aber
auch das Wirken von Megaherbivoren
(s. Tab. 2). Alle Arten und Ökosysteme,
die auf naturnahe Störungen und/oder
andauernde Prozesse angewiesen sind,
werden durch eine wieder ermöglichte
Dynamik in Prozessschutzgebieten pro-
fitieren (Jax 1999). Viele Störungen sind
im instrumentellen Prozessschutz prin-
zipiell erwünscht und sollten daher bei
der Suche nach potenziellen Eignungs-
gebieten (neben anderen) ein explizites
Qualitätskriterium sein (Baker 1992). Die
tatsächliche Eintrittswahrscheinlichkeit
von Störungen variiert in Abhängigkeit
vom jeweiligen Störungstyp und der Lo-
kalität, kann aber prinzipiell durch eine
gezielte Schutzgebietsausweisung und
durch initiale Management-Maßnahmen
erhöht werden (z. B. Deichrückverlegung
bei Auen).
Viele Störungstypen lassen sich – an-
ders als Megaherbivoren – allerdings
nicht oder nur bedingt in Raum und Zeit
in Schutzgebiete integrieren; das gilt z. B.
für Stürme. In der Praxis gibt es heute
experimentelle Versuche, Windwürfe
und Sturmschäden künstlich durch das
Umreißen von Bäumen mittels Maschi-
nenkraft (Seilwinde) oder auch durch
motormanuelle Eingriffe (Motorsäge) zu
initiieren und „natürliche“ Prozesse (Tot-
holzanreicherung, Mikrohabitatentste-
hung) zu simulieren (u. a. Cavalli, Mason
2003; Keeton 2006).
Im Folgenden wird auf das Wirken
großer Pflanzenfresser und deren zen-
trale Bedeutung für die Entwicklung
und Erhaltung der biologischen Vielfalt
durch Prozess- und Störungsinitiation im
Kontext von Managementkonzepten für
Wildnisgebiete und damit auch für das
übergeordnete NBS-Ziel näher eingegan-
gen. Zu diesen zählen als in Europa noch
vorkommende autochthone Megaherbi-
voren vor allem Wisent (Bison europaeus),
Elch (Alces alces) und Rotwild (Cervus
elaphus). Hinzu kommen domestizierte
Tierarten und -rassen mit Eigenschaften,
die sie für halbwilde Haltungen und Wir-
kungen auf Ökosysteme qualifizieren.
Dazu zählen Rinderrassen (u. a. Gallo-
way, Heckrind), extensive Pferderas-
sen (u. a. Konik, Exmoor), Europäischer
Haus-Wasserbüffel (Bubalus arnee f. buba-
lis) und diverse Haus-Eselrassen (Equus
asinus).
4 Wilde Weiden als Schlüssel
für Dynamik und Vielfalt
Megaherbivoren müssen zur Erreichung
des übergeordneten NBS-Ziels mitge-
dacht und im Rahmen bestehender Mög-
lichkeiten und Rahmenbedingungen ein-
gebracht werden. Sie sind ein Schlüssel
zur Gestaltung zeitlicher und räumlicher
Dynamik und unterschiedlichster Struk-
turen, der von keiner anderen natürlichen
Störung bereitgestellt wird. Das macht sie
zum essenziellen Baustein für die Erhal-
tung und Entwicklung biologischer Viel-
falt (Sandom et al. 2014).
Viele Tier- und Pflanzenarten haben
sich in Jahrmillionen Jahren ko-evolutiver
Entwicklung an das Wirken großer Säuger
angepasst. Indizien, nach denen die dich-
ten Wälder des Holozäns in den planaren
und kollinen Höhenstufen Mitteleuropas
mutmaßlich erst durch die Ausrottung
der Megaherbivoren durch den frühen
Menschen möglich wurden und sich das
Landschaftsbild in den Interglazialen des
Pleistozäns vielerorts als parkartiges Offen-
land-Wald-Kontinuum darstellte, verdichten
sich auf Grundlage neuer Forschungser-
gebnisse zu einem schlüssigen Konstrukt
(Bakker et al. 2015; Ripple et al. 2015; Sandom
et al. 2014; Vera 2000). In unseren Kultur-
landschaften wurde dieses ko-evolutive
Wirkungsgefüge auf extensive Nutzweiden
zurückgedrängt, die nur noch einen margi-
nalen Anteil am Grünland einnehmen. Noch
seltener sind naturschutzfachlich besonders
wertvolle „Multi-Spezies-Weidesysteme“.
Abb. 1: Die Wechselwirkungen von Wilde-Weiden-Biozönosen als nicht ersetzbare Wir-
kungskaskade des Prozessschutzes.
Fig. 1: The interactions of species communities on wild pastures as a non-substitutable cascade
of process-based nature conservation.
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
318 — 93. Jahrgang (2018) — Heft 7
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Das ökologisch-empirisch begründete
Konzept, große Pflanzenfresser als „Trei-
ber“ der biologischen Vielfalt einzusetzen,
ist nicht neu. Vor allem in den nördlichen
und östlichen Bundesländern gibt es mitt-
lerweile großflächige Naturschutz-Wei-
de-Projekte, welche diese theoretischen
ökologischen Annahmen bestätigen (u. a.
Bunzel-Drüke et al. 2009, 2015). Wilde Wei-
den zeichnen sich dadurch aus, dass die
halbwilden Weide tiere, soweit nur irgend
möglich, ganzjährig sich selbst überlas-
sen werden. Sie unterliegen keinem Nut-
zungsanspruch, allein die Ermöglichung
von Weide induzierten, naturnahen Stö-
rungen und Prozessen steht im Vorder-
grund (vgl. Riecken et al. 2004).
Für den Rückgang vieler Offen-
land-Arten ist das Fehlen lichter, struk-
turreicher, nicht eutrophierter Lebens-
räume eine wesentliche Ursache. Er
korreliert wiederum mit dem Rückgang
weidegebundener, extensiver Tierhal-
tung (vgl. Ozinga et al. 2009). Nach der
anthropo genen Ausrottung autochtho-
ner Megaher bi voren sind es diese Hal-
tungsformen, mit welchen sich derarti-
ge komplexe Habitatstrukturen, die für
viele Offenlandarten der ursprünglichen
Landschaft essenzielle Voraussetzung
sind, generieren lassen (vgl. Vera 2000).
Das 2 %-Wildnis-Ziel ist auf Grund sei-
nes nationalen, positiven Kommunika-
tionspotenzials eine große Chance,
beweidungsabhängigen Biozönosen
via Wilde Weiden mehr Entwicklungs-
möglichkeiten zu geben. Wilde Weiden
müssen dazu offiziell als „wildniskom-
patibel“ und dem 2 %-Ziel zugehörig an-
erkannt werden. Wäre das der Fall, wäre
eine Umsetzung (etwa für nachgeordne-
te Verwaltungen/Behörden) vermutlich
wesentlich attraktiver, weil damit auch
übergreifende politische Vorgaben (der
NBS) erfüllt würden (vgl. Sandom et al.
2014). Weidetiere sind prinzipiell in fast
allen in der NBS-Vision angesprochenen
Wildnispotenzialräumen vorstellbar
und würden bei angepasster Besatz-
dichte durch ihr Wirken (Störungen)
im Sinne des übergeordneten NBS-Ziels
wünschenswerte Dynamik und Struk-
turen und damit die biologische Viel-
falt fördern. Die Grundlage hierfür sind
Wechselwirkungen zwischen den Tieren
und dem Biotop. Dazu zählen:
dynamische Modifizierung durch Fraß-
und Bewegungsverhalten von Weide-
tieren auf allen Raumskalen,
Entstehung von Nährstoffgradienten
durch Entzug und Allokation,
Bereitstellung von Ressourcen für ad-
ditive Biozönosen (z. B. Dung, s. Abb. 1,
S. 317).
Eine ausführliche Übersicht über die
durch Weidetiere induzierten Störungen/
Prozesse und deren positive Wirkung auf
die Biodiversität bietet das Zusatzmate-
rial 1. Das gesamte Online-Zu-
satzmaterial zum Beitrag steht
unter https://www.online.
natur-und-landschaft.de/zu
satz/07_2018_A_Schoof.
5 Möglicher Beitrag
neuer Wildnisflächen
zur Erhaltung der
heimischen Biodiversität
Derzeit gelten in Deutschland 0,6 %
(rund 200 000 ha) der terrestrischen Flä-
che als Wildnis im Sinne der NBS; dies
umfasst vor allem die Kernzonen von
Nationalparks entsprechend der jewei-
ligen Managementkonzepte (BfN 2017).
Es ist also unwahrscheinlich, dass das
anvisierte 2 %-Ziel bis 2020 quantitativ
erreicht wird, auch wenn im neuen Ko-
alitionsvertrag ein „Wildnisfonds“ zur
Unterstützung der Länder bei der Um-
setzung von Wildnis beschlossen wurde
(CDU, CSU, SPD 2018).
Die Untersuchung von Rosenthal et al.
(2015) zur Identifizierung einer nationalen
Potenzialkulisse für Wildnisgebiete sum-
miert potenziell geeignete Flächen (unter
Berücksichtigung der Mindestkriterien)
auf rund 1,25 Mio. ha; das entspricht ca.
3,5 % der terrestrischen Fläche (ebd. 2015:
13). Unberücksichtigt blieben bei dieser
Inventur die Besitzverhältnisse und damit
letztendlich die reale Verfügbarkeit dieser
Flächen. Das Gros der identifizierten Poten-
zialflächen wurde auf natürlicherweise eher
störungsarmen Standorten lokalisiert; das
sind vor allem relativ stabile Waldökosys-
teme (s. Abb. 2). Langfristig positive Effekte
auf die Biodiversität korrelieren dort in
erster Linie mit dem (langsamen) An-
wachsen des Totholzvolumens durch die
natürliche Bestandsalterung. Ohne Stö-
rungen, die auf diesen stabilen Standorten
ohne initialen Anschub (v. a. künstliche
Totholzerzeugung, Einbringung von Mega-
herbivoren) naturgemäß selten sind, kann
es Jahrzehnte dauern (s. Vandekerkhove
et al. 2009), bis sich notwendige Nischen
für gewünschte Zielarten – insbesondere
(Sapro-)Xylobionte – einstellen (u. a. Bense
2012; Holzwarth et al. 2013). Das könnte
für die Erhaltung jetzt schon seltener und
gefährdeter Arten/Populationen mit ge-
ringen Dispersionskapazitäten (vor allem
xylobionte Käferarten) zu spät sein.
Abb. 2: Verteilung der bisher identifizierten Potenzialkulisse für Wildnisflächen auf Land-
schaftstypen. Dunkelgrün sind die Flächen mit höherer Naturnähe, hellgrün die
geringerer Naturnähe (nach Rosenthal et al. 2015). Die Lebensräume, etwa von
ehemaligen Militärflächen, können unter Berücksichtigung der Megaherbivoren-
theorie auch als (relativ) naturnah angesehen werden. Wesentliche Flächenanteile
der potenziellen Gebietskulisse liegen in natürlicherweise wenig dynamischen
Systemen (Wald, Moor).
Fig. 2: Distribution among landscape types of the potential suite of sites for wilderness areas
identified up to now. Areas closer to nature are shown in dark green, areas with stronger
human impact in light green (according to Rosenthal et al. 2015). Taking into account
the megaherbivore theory, the habitats of, for example, former military areas can also be
regarded as (relatively) close to nature. A significant proportion of the potential suite of
sites for wilderness areas is located in naturally less dynamic systems (forests, bogs).
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 319
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Ein häufiges Missverständnis verglei-
chender Untersuchungen ist es, wenn
eine Extrapolation der Ergebnisse der-
gestalt stattfindet, dass „der ungenutzte
Wald“ mit „dem Wirtschaftswald“ vergli-
chen wird und die Betrachtung allein auf
den Faktor Nutzung oder Nicht-Nutzung
reduziert wird – die unterschiedlichen
standörtlichen Potenziale und Besto-
ckungstypen also unberücksichtigt blei-
ben. So wird oft die Literaturstudie von
Paillet et al. (2010) missbräuchlich zitiert,
die, anders als oft dargestellt, nicht be-
legt, dass ein prozessgeschützter Wald in
Deutschland per se in einen artenreiche-
ren Zustand übergeht. Die Autoren ver-
glichen in ihrer Meta-Analyse genutzte
mit ungenutzten Wäldern gleicher Be-
standstypen mit geographischem Fokus
auf Skandinavien. Nur 4 von insgesamt
49 aufgenommenen und verglichenen
Untersuchungen waren in Deutschland.
In keinem einzigen Untersuchungsgebiet
wurden die Wirkungen großer Pflanzen-
fresser berücksichtigt (Paillet 2017, pers.
Mitt.). Die Ergebnisse von Paillet et al. be-
streiten keineswegs, dass ein sekundärer
und durch Pflanzung/Bewirtschaftung
entstandener Eichenwald eine höhere Ar-
tenvielfalt aufweist als ein Buchenwald,
der sich aus diesem auf vielen Standor-
ten Deutschlands über lange Zeiträume
im Prozessschutz entwickeln würde
(Heinrichs et al. 2014; Mölder et al. 2014).
Bei Gefäßpflanzen, die Nahrungsbasis
vieler Licht liebender Insekten sind (z. B.
phytophage Käfer, Zikaden, Wanzen), ist
die Vielfalt in genutzten (gleichartigen)
Beständen (regelmäßige anthropogene
Störung) tatsächlich oftmals höher (Pail-
let et al. 2010). Umgekehrt wird ein Berg-
fichtenwald im Prozessschutz mit natür-
licher, durch Borkenkäfer induzierter Dy-
namik (natürliche Störung) wohl relativ
rasch artenreicher (Müller et al. 2008).
Viele Waldstandorte Deutschlands ten-
dieren im Prozessschutz mittel- bis lang-
fristig dazu, dichter und damit dunkler
zu werden, weil Störungen dort natürlich
selten oder aber schon seit Langem aus-
geschaltet sind (Megaherbivoren). Signi-
fikant artenreicher sind aber gerade lichte
Wälder (u. a. Rotherham 2011; Bergmeier
et al. 2010). Die Entstehung lichterer Be-
stände würde durchaus „beschleunigt“
werden, wenn (wieder eingebrachte)
große Pflanzenfresser durch ihr Verhalten
Strukturdynamik durch Störungen erzeu-
gen. Dazu gehört auch die Veränderung
der Ansamung und Etablierung von Ge-
hölzen oder die rasche „Produktion“ von
Totholz durch Verbiss, Schälen und Ver-
fegen und die damit ebenfalls bedingte
lokale Lichtstellung. Damit einher gehen
auch zentrale ökosystemare Veränderun-
gen, beispielsweise eine Förderung von
Lichtwaldarten (Reif, Gärtner 2007; s.
Abb. 3).
Die in der NBS-Vision für neue Wild-
nisgebiete explizit erwähnten Potenzial-
kulissen Bergbaufolgelandschaften und
ehemalige Militärflächen (BMU 2007)
würden sich im Prozessschutz nach heuti-
gem Wissensstand ohne den Einfluss von
Megaherbivorie (bzw. bewahrender Maß-
nahmen) über mehr oder weniger lange
Sukzessionsphasen in den meisten Fällen
in Richtung geschlossener Wald entwi-
ckeln und die heutige Offenland-Fauna
würde im Zuge dessen weitestgehend
verschwinden. Für andere Standorte ist
dieser Prozess in Langzeitstudien belegt
(Schreiber et al. 2009) und muss daher
auch für anthropogen stark überprägte
Standorte angenommen werden, auch
wenn entsprechende Studien aus Berg-
baufolgelandschaften fehlen. In vielen
Fällen wird eine solche Entwicklung
durch zwingend zu erfüllende rechtliche
Vorgaben (v. a. FFH-Richtlinie) verhin-
dert, in anderen ist sie legitim. Zwar ist
diese Sukzession ein natürlicher Vorgang,
der aber gleichzeitig kritisch im Sinne des
übergeordneten NBS-Ziels gesehen wer-
den muss. Denn es sind gerade die teils
mosaikartigen Offenland-Wald-Struktu-
ren mit Rohböden, Tümpeln und Säu-
men, die für viele gefährdete Arten Le-
bensraumrequisiten bedeuten und die
in vielen Lebensräumen von weidenden
Megaherbivoren dauerhaft und sich
ständig erneuernd bereitgestellt werden
können. Die halbwilden Weidetiere kön-
nen in vielen Fällen auch „eingesetzt“
werden, um dem europäischen Natur-
schutzrecht effektiver nachzukommen
(s. Bunzel-Drüke et al. 2015). Auch Auen,
als weitere Kulisse für Wildnis, sind unter
Einbezug von Megaherbivoren artenrei-
cher (Reisinger, Sollmann 2015).
Die NBS verpflichtet zur Erhaltung
der heimischen Biodiversität. Dies be-
deutet, dass die heimische Artenvielfalt
(politisch) im Fokus stehen muss und
auch, dass sich die Umsetzung jener
letztlich auf dieser Ebene als tauglich
erweisen muss. Das heißt auch, dass der
Naturschutz möglichst alle ursprüng-
lich heimischen Biozönosen durch un-
terschiedlichste Schutzbemühungen im
Blick haben muss, um auf dieser räum-
lichen Meta-Ebene adäquate praktische
Handlungsempfehlungen auszuspre-
chen. Aktuell steht die Betonung von
eher störungsarmer Wald-Wildnis nicht
im Verhältnis zur Leistung, die von der
NBS im Allgemeinen und diesen Flächen
im Speziellen für die Erhaltung der bio-
logischen Vielfalt generiert werden kann.
Die Schutzziele, wie sie für die deutschen
Buchenwälder vorgegeben sind, benöti-
gen auf Grund deren natürlicherweise
eher kleinräumigen Phasendynamik zu-
dem keine Flächendimensionen, wie sie
für Wildnisgebiete (> 1 000 ha) gefordert
werden (Scherzinger 1996). Ihr Schutz ist
durch die NBS-Vision „natürliche Wald-
entwicklung auf 5 % der Waldfläche“
(„5 %-Ziel“) bereits instrumentell ange-
legt. Ein Konflikt zwischen der Hand-
lungsempfehlung, Megaherbivorie ge-
zielt in die Umsetzung des NBS-Wildnis-
Ziels einzubringen, und dem (Prozess-)
Schutz von Buchenwäldern oder anderen
Abb. 3: Lichtwaldarten (Juniperus communis, Quercus petraea) auf einer Waldweide in
Süd-Schweden. (Foto: Rainer Luick 2013)
Fig. 3: Light-dependent forest species (Juniperus communis, Quercus petraea) on a forest pasture
in South Sweden.
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
320 — 93. Jahrgang (2018) — Heft 7
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Waldtypen, die sensibel auf Herbivorie
reagieren, besteht also in der NBS und in
der Realität nicht.
6 Diskussion
und Empfehlungen
Obwohl aus dem Wortlaut und der Ent-
stehungsgeschichte der NBS eigentlich
verpflichtend hervorgeht, dass der Pro-
zessschutz in Wildnisgebieten instrumen-
tell zu verstehen ist, werden Wilde Wei-
den in konkreten Planungen und bei der
Umsetzung kaum thematisiert und nicht
angewandt (s. z. B. Rosenthal et al. 2015;
Wildnisgebiete in Deutschland 2018). So
ist die Interpretation der „Mehr-Wild-
nis-Strategie“ häufig eine im Sinne des
Biodiversitätsschutzes suboptimale Im-
plementierung des Prozessschutzes, bei
der in der Kulturlandschaft unterbunde-
ne Prozesse und Störungen tendenziell
nicht gezielt bzw. nicht entsprechend
ihrer möglichen Bandbreite gefördert
werden. Stattdessen werden eher mehr
oder weniger stabile (Wald-)Ökosysteme
ergänzend geschützt – für deren Schutz
aber größtenteils auch schon andere In-
strumente bereitstehen. Wir argumen-
tieren hier für die Berücksichtigung von
Megaherbivoren als dynamisch-struktu-
rierendes Element in Wildnisgebieten,
plädieren aber konzeptionell auch dafür,
dynamischeren Räumen (Auen, [Berg-]
Fichtenwäldern mit natürlicher Borken-
käferdynamik, Küstengebieten etc.) ge-
genüber stabilen Ökosystemen bei der
Umsetzung der Wildnis-Vision Vorrang
einzuräumen und den Schutz natür-
lich-stabiler Waldökosysteme eher über
das 5 %-Ziel für Wälder mit natürlicher
Entwicklung anzusprechen.
Wir sehen in der Einbindung von
Megaherbivoren in die NBS-Visionen
ebenfalls große Chancen für den nor-
mativen Naturschutz. Hier gibt es kein
wirkungskräftigeres Instrument als die
FFH- und Vogelschutz-Richtlinien (Na-
tura 2000) der EU. Die Forderung nach
bestimmten Beweidungspraktiken und
mehr Wilden Weiden ergibt sich aus
dem Schutzanspruch für zahlreiche, in
den Anhängen der Richtlinien genannte
Arten und Lebensraumtypen (s. die zahl-
reichen positiven Belege in Bunzel-Drüke
et al. 2015), die nachweislich von Bewei-
dung abhängig sind und von Prozessen
profitieren, die von Beweidung ausge-
löst werden. Gleichzeitig steht diese evo-
lutionär entstandene Abhängigkeit, die
wiederum vielfach in jahrtausendealte
kulturgeschichtliche Traditionen ein-
gebettet ist, im Kontrast zur heutigen
praktischen Operationalisierung des
Natura-2000-Schutzes. So werden bei-
spielsweise weideabhängige Arten und
-gemeinschaften des Grünlands durch
scheinbar legal implizierte Vorgaben aus
Natura-2000-Managementhandbüchern
(z. B. Balzer et al. 2008; BfN 2006) unter
mahdorientierte Pflegekonzepte gestellt.
Hierin liegt eine Erklärung, warum es
auch in Natura-2000-Grünlandgebieten
mit „guter Betreuung“ zu negativen Ent-
wicklungen von Erhaltungszuständen
kommt (vgl. Morris 1979), wie die Be-
richte zur FFH- und Vogelschutzricht-
linie belegen (BfN 2013 a, b). In vielen
dieser Grünland-Schutzgebiete könnte
der Erhaltungszustand von Arten und
Lebensräumen durch die Einführung
Wilder-Weiden-Effekte erheblich verbes-
sert werden.
Trotz vielfältiger positiver Argumen-
te für halbwilde Weidetiere in Wildnis-
gebieten wird eine Entscheidung „Für
oder Wider“ am Einzelfall orientiert an-
hand der Umsetzbarkeit zu treffen sein.
Eine möglichst effektive Umsetzung
der Wildnis-Vision bedeutet nicht, dass
die Diversität jeder Fläche (rasch) zu-
nehmen muss. Eine effektive Entschei-
dungsfindung und Umsetzung, welche
die naturschutzfachlich-ökologischen
Ziele und Möglichkeiten fokussiert, statt
vereinfachend nur „mehr Wildnis“ zu
fordern, bedarf aber i. d. R. mehr Zeit.
Bedenkenswert ist, dass in der aktuellen
Diskussion zur Operationalisierung und
Implementierung des 2 %-Wildnis-Ziels
das übergeordnete qualitative Ziel der
NBS dem quantitativen 2 %-Ziel eher
untergeordnet wird, also tendenziell
eine rasche Wildnis-Flächenmehrung
präferiert wird. Dieser gegenüber einem
stärker qualitativen Umsetzungsfokus
schnellere Weg wird teils plakativ mit
dem Motto „Prozesse um der Prozesse
Willen“ gerechtfertigt und verlässt damit
das instrumentelle Verständnis der NBS.
Weder bestehendes normatives Recht,
noch ethische Begründungen (abseits des
Holismus) können eine solch reduzie-
rende Interpretation der ursprünglichen
NBS-Intention glaubwürdig vermitteln
(vgl. Piechocki et al. 2010). Es handelt
sich hierbei letztlich um eine politische
Entscheidung; aus naturschutzstrategi-
scher Sicht wäre die Leitlinie „Qualität
vor Quantität“ deutlich zielführender.
Es scheint aber bisweilen, als seien
selbst Naturschutzakteure eher auf ver-
meintlich schnelle quantitative „Erfolge“
aus (z. B. Wildnisgebiete in Deutschland
2018). Es kann nur vermutet werden, wa-
rum dies so ist – eventuell, weil jegliche
Eingriffe als vermeintlich unvereinbar mit
der Wildnis idee gedanklich disqualifiziert
werden. Diese absolute Interpretation
von „Wildnis“ ist aber nicht sakrosankt,
vielmehr ruft der Begriff ganz unterschied-
liche Imaginationen und Assoziationen
hervor (Kirchhoff 2018). In vielen europä-
ischen Ländern ist die deutsche Debatte
über Unvereinbarkeit bzw. Vereinbarkeit
minimaler Eingriffe mit dem Wildnisge-
danken unbekannt oder überwunden.
Gerade, weil Wildnis ein kulturelles
Konstrukt ist (vgl. Hoheisel et al. 2010)
und viele Argumente des Naturschutzes
dafürsprechen, sind Wilde Weiden ein
Faktor, auf den in der Umsetzung der
Gesamtstrategie nicht verzichtet werden
darf, auch wenn damit gewisse Eingriffe
zum Tiermanagement (gelegentlich) er-
Abb. 4: Wilde Weide mit Arten, die vom Wirken der Megaherbivoren profitieren. (Illustra-
tion: Felicitas Sander 2017)
Fig. 4: Wild pasture with species that benefit from the impacts of megaherbivores.
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 321
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
forderlich werden. Das Zusatzmaterial 2
(https://www.online.natur-und-land
schaft.de/zusatz/07_2018_A_Schoof)
verdeutlicht die Potenziale von wilden
Weidetieren als Kommunikationsmittel
für neue Wildnisgebiete.
Wir treten für eine umfassendere ins-
trumentelle Umsetzung der NBS-Vision
„Wildnisgebiete“ ein, so wie es die dort
beschriebenen Normen vorgeben. Das
heißt, dass Planung und Implementie-
rung unter ganzheitlicher Beachtung
von Erkenntnissen der Störungsökologie
erfolgen sollten und dass das rein quanti-
tative Ziel der Vision nicht an erster Stelle
stehen darf. Damit könnte das NBS-Ziel
„Wildnisgebiete“ einen größeren Mehr-
wert für den Biodiversitätsschutz erzeu-
gen (s. Abb. 4).
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Nicolas Schoof
Korrespondierender Autor
Universität Freiburg
Professur für Standorts- und
Vegetationskunde
Tennenbacherstraße 4
79106 Freiburg i. Br.
E-Mail: nicolas.schoof@
waldbau.uni-freiburg.de
Der Autor absolvierte den
BSc Geo- und Atmosphären-
wissenschaften sowie den
BSc Biologie an der Univer-
sität Innsbruck sowie den
MSc Forstwissenschaften an
der Universität Freiburg. Er
war Mitarbeiter des For-
schungsteams zweier BfN-ge-
förderter Projekte zur Identifikation von
Wildnispotenzialgebieten in Deutschland
und beschäftigt sich aktuell in Forschung und
Lehre mit der Störungsökologie sowie den
Auswirkungen der Gemeinsamen Agrarpo-
litik der EU auf die Biodiversität des Grünlands.
Er promoviert derzeit bei Prof. Dr. Dr. h. c.
Albert Reif im letztgenannten Themenbereich.
Prof. Dr. Rainer Luick
Hochschule für
Forstwirtschaft Rottenburg
Professur für Natur- und
Umweltschutz
Schadenweilerhof
72108 Rottenburg
E-Mail:
luick@hs-rottenburg.de
Dr. Herbert Nickel
Zikaden – Biodiversitätsforschung –
Graslandmanagement
Ehrengard-Schramm-Weg 2
37085 Göttingen
E-Mail:
herbert.nickel@gmx.de
Prof. Dr. Dr. h. c. Albert Reif
Universität Freiburg
Professur für Standorts- und
Vegetationskunde
Tennenbacher Straße 4
79085 Freiburg i. Br.
E-Mail:
albert.reif@waldbau.uni-freiburg.de
Dr. Marc Förschler
Nationalpark Schwarzwald
Kniebisstraße 67
72250 Freudenstadt
E-Mail:
marc.foerschler@nlp.bwl.de
Dr. Paul Westrich
Raichbergstraße 38
72127 Kusterdingen
E-Mail:
eucera@paul-westrich.de
Edgar Reisinger
Naturforschende Gesellschaft
Altenburg
Naturkunde Museum Altenburg
Parkstraße 10
04600 Altenburg
E-Mail:
edgar.reisinger@gmail.com
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— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 — Zusatzmaterial 1 1
Aufsatz Original manuscript
Zusatzmaterial 1 zu:
Biodiversität fördern mit Wilden Weiden
in der Vision „Wildnisgebiete“
der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Supplement 1 to:
Enhancing biodiversity with the help of wild pastures in the framework
of the wilderness vision of the German National Strategy on Biological Diversity
Nicolas Schoof, Rainer Luick, Herbert Nickel, Albert Reif,
Marc Förschler, Paul Westrich und Edgar Reisinger
Natur und Landschaft — 93. Jahrgang (2018) — Ausgabe 7: 314 322
Zusammenfassung
In Deutschland sollen nach der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 auf 2 % (714 000 ha) der terrestrischen Fläche
Prozessschutzflächen als Wildnisgebiete ausgewiesen sein. Nach den bisher konzipierten Kriterien sind nur Nationalparks eine bereits
existierende Kulisse. Sie nehmen ca. 0,6 % der terrestrischen Fläche ein. Weitere 500 000 ha neue Wildnis müssen ausgewiesen werden. Im
Gegensatz zu anderen Ländern wird hierbei in Deutschland, abgesehen von ehemaligen Militärflächen und Bergbaufolgelandschaften,
vor allem an Waldökosysteme gedacht. Ein naturschutzfachlicher Mehrwert wird dort im Wesentlichen in der Totholzakkumulation liegen.
Erkenntnisse der Störungsökologie, nach denen sich das 2 %-Ziel durch eine gezieltere Ausweisung, Vorbehandlung und punktuelles
„Management“ weiter qualifizieren ließe, bleiben eher unberücksichtigt. In Anbetracht des Artenschwunds und der begrenzten Zugriffs-
möglichkeiten des Naturschutzes auf Flächen plädieren wir für eine stringente Einbeziehung halbwilder Weidetiere in Wildnisgebieten.
Große Pflanzenfresser wie Wisente, Rothirsche und robuste Haustierrassen sind ein entscheidender Faktor für mehr räumlich-zeitliche
Dynamik. Ihr Störungseinfluss generiert Ressourcen und Nischen für seltene und gefährdete Arten.
Wildnisgebiete – Wilde Weiden – Megaherbivore – Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt – 2 %-Ziel – Biodiversitätsschutz – Deutschland
Abstract
In Germany, according to the National Strategy on Biological Diversity, 2 % (714,000 ha) of the terrestrial area should be designated as
wilderness areas by 2020. According to the criteria conceived so far, only national parks are an already existing suite of such sites. They
occupy about 0.6 % of the terrestrial area. Another 500,000 ha of new wilderness areas must be designated. In contrast to other countries,
in Germany, apart from former military areas and mining landscapes, especially near-natural forest ecosystems are considered as potential
wilderness areas. The nature conservation value of these areas will be increased essentially through the accumulation of deadwood.
Findings of disturbance ecology, according to which process-based nature conservation and the 2 % target could be further qualified by
more targeted area designation, pre-treatment and highly localised ‘management’, tend to be disregarded. In view of ongoing species
decline and the limited availability of land for conservation purposes, we argue for stringent inclusion of ‘wild grazing animals’ in wilderness
areas. Large herbivores such as European bison or red deer and robust domestic animal breeds are a crucial factor for greater spatial and
temporal dynamics. Their disturbance generates resources and niches for rare and endangered species.
Wilderness – Wild pastures – Megaherbivores – National Strategy on Biological Diversity – 2 % goal – Conservation biology – Germany
Manuskripteinreichung: 7. 12. 2017, Annahme: 23. 4. 2018 DOI: 10.17433/7.2018.50153595.314-322
Dieses Zusatzmaterial ist nicht im Hauptartikel enthalten und online abrufbar unter
https://www.online.natur-und-landschaft.de/zusatz/07_2018_A_Schoof
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2 — 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 — Zusatzmaterial 1
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Übersicht über Prozesse/Störungen,
die durch Weidetiere auf unterschiedlichen
Raumebenen (Makro-, Meso- und Mikroskala)
induziert werden und von denen
(ausgewählte) Biozönosen/Arten profitieren
Overview of processes/disturbances which are induced by grazing animals
on different spatial levels (macro, meso and micro scale)
and from which (selected) biocoenoses/species benefit
Die Literatur zur positiven Wirkung der
Störungen von Weidetieren extensiver
Haltungsformen ist mittlerweile sehr
umfangreich geworden. Wir geben hier
einen Überblick über die wichtigsten
Zusammenhänge. Zunächst sind die
Weidetiere selbst und ihre Exkremen-
te ein anthro pogen nicht simulierbarer
Faktor:
Der Dung der Tiere ist Lebensraum
zahlreicher, teils hochspezialisierter
Arten. Beispiele sind Arten aus der
Familie der Mistkäfer (Geotrupidae)
(s. Sandom et al. 2014; Tesarik, Waitz-
bauer 2008), die ihrerseits wichtige
Nahrungsgrundlage verschiedener
gefährdeter und nach Natura-2000-Re-
gelwerk geschützter Arten sind wie
etwa des Wiedehopfs (Upupa epops), der
Blauracke (Coracias garrulus), des Gro-
ßen Mausohrs (Myotis myotis) u. v. m.
Wegen der Abnahme extensiver Wei-
den sind viele koprophage Insekten
inzwischen hochgradig gefährdet. Nur
großflächige Weidelandschaften mit
langer Weidetradition können die volle
Artengemeinschaft der Dungkäfer (ca.
100 Arten sind obligate Dungbewohner)
und der von ihnen abhängigen Arten
entwickeln (Buse et al. 2014). Und selbst
wenn Dung auf Weideflächen heute
noch vorhanden ist, kann dieser auf
produktionsorientierten Flächen zur
Falle für viele Insekten werden: Der
Dung heutiger Nutztierweiden kann, je
nach Behandlungszeitraum und -mittel,
durch ausgeschiedene Medikamente
(z. B. Avermectine) und/oder deren
Metabolite letal auf die Entwicklung
von Insektenlarven wirken. Derarti-
ge Behandlungen unterbinden damit
den Aufbau von Destruentenzönosen
(Laurence 1954; Mackenzie, Oxford
1995; Madsen et al. 1990). Wilde Weiden
besitzen ein hohes Potenzial, um die
hochdiverse, direkt und indirekt vom
Dung abhängige Fauna zu fördern,
da hier kein ökonomischer Nutzungs-
anspruch vorliegt und entsprechend
wenig/keine Behandlung erforderlich
ist bzw. diese auch im Sinne nachfol-
gender Weide-Zönosen durchgeführt
werden kann (Jay-Robert et al. 2008;
Sandom et al. 2014; Waßmer 1995).
Auch der Weidetierkörper selbst ist
Lebensraum für viele Insekten und
damit auch Nahrungsgrundlage für
Vogelarten, die diese im Fell von Wei-
detieren vorkommenden Ressourcen
nutzen, dazu gehören Parasiten der
Weidetiere oder/und nur zufällig
von den Weidetieren transportierte
Arten. Und es gibt weitere, teils über
-
raschende Beziehungen: So werden
Wasserbüffel gezielt von Wasserfrö-
schen aufgesucht; vermutlich gibt es in
deren Nähe einen besseren Schutz, und
die Jagd ist auf dem Weidetierkörper
erfolgreicher. Es kann angenommen
werden, dass die ökologische Bedeu-
tung derartiger Symbiosen oft noch
nicht bekannt ist und schon gar nicht
im Detail untersucht wurde. Letztlich
sind auch Kadaver ver endeter Wei-
detiere Lebensgrundlange für viele
Arten. Spektakulär sind die zwingen-
den Abhängigkeiten zwischen dem
Vorhandensein von Kadavern und
dem Vorkommen von Geiern (Gu et al.
2010). Diese Komplexbeziehungen
können in der Kulturlandschaft nicht
simuliert werden.
Weidetiere schaffen eine strukturelle
und kleinstandörtliche Vielfalt in räum-
lich-zeitlicher Dynamik. Sie erhöhen
damit die Nischenvielfalt, was ebenfalls
selbst durch aufwändige anthropogene
Maßnahmen nicht auf anderem Wege zu
erreichen ist. Die Nischenvielfalt bedingt
wiederum eine steigende Biodiversität.
Im Folgenden werden beispielhaft Pro-
zesse/Störungen und damit korrelieren-
de ökologische Funktionalitäten vorge-
stellt:
Die Tiere schaffen durch angeborenes
und erlerntes Verhalten offene Boden-
stellen (z. B. Sandbad, Liegekuhlen, Tritt-
pfade), verdichten den Boden punktuell
und lockern diesen andernorts wieder
auf. Durch Tritt können bei genügend
Bodenfeuchte auch Kleinstgewässer
neu entstehen, die speziell für viele
Amphibien interessante Mikrobiotope
sind (Reisinger, Sollmann 2015).
Weidetiere bedingen durch Ausschei
-
dungen markante Nährstoffgradienten:
Während auf der Fläche tendenziell
Nährstoffe entzogen werden, reichern
sich diese an den Ruheplätzen (Geilstel-
len/Lägerfluren) punktuell an. Eine flä-
chige „De-Eutrophierung“ ist angesichts
flächendeckender Eutrophierungspro-
zesse infolge anthropogener atmosphäri-
scher Stickstoffeinträge von besonderer
Bedeutung (Ewald, Pyttel 2016). Den
kleinräumigen Nährstoffgradienten
folgt ein diverses Vegetationsmosaik von
Arten mit unterschiedlichen Ansprüchen
an die Nährstoffversorgung. Das ist wie-
derum Voraussetzung für viele Arten,
die in ihren Entwicklungszyklen sowohl
auf eutrophe als auch (als Adulte) auf
eher oligotrophe Habitate angewiesen
sind (z. B. Nesselfalter).
Strukturreiche Lebensräume mit Dorn-
sträuchern und nährstoffarmen Säumen
sind natürliche Regenerationsnischen
der mitteleuropäischen Eichenarten
(Reif, Gärtner 2007), die ihrerseits Ha-
bitate für eine Vielzahl weiterer Or-
ganismen bieten. So finden sich auf
den mitteleuropäischen Eichen etwa
700 phytophage Arten (Blaschke, Nan-
nig 2014; Bußler 2014). Allein unter den
hochdiversen Rüsselkäfern und Zikaden
leben jeweils über 30 Arten (zum großen
Teil monophag) an Eichen, während
auf der Buche als nicht weidetypische
Art nur jeweils 1 – 5 (meist polyphage)
Arten leben (Sprick, Floren 2008; Nickel
2003). Die essenzielle Bedeutung Wil-
der Weiden und extensiver Weiden für
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 — Zusatzmaterial 1 3
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
die artenreiche Arthropodenfauna ist
ebenfalls empirisch umfassend belegt
(u. a. Van Klink et al. 2015).
Auch auf höherer räumlicher Ebene sind
extensive Weidesysteme ein Faktor, auf
den im Biodiversitätsschutz nicht ver-
zichtet werden kann:
Die Vegetation extensiver Weiden/
Wilder Weiden ist deutlich von einer
Wiesenvegetation zu unterscheiden
(Ellenberg, Leuschner 2010). So ist et-
wa die Etablierung des Gewöhnlichen
Katzenpfötchens (Antennaria dioica) auf
die Bodenverwundung durch Groß-
herbivoren angewiesen. Es trägt den
Beinamen „Gewöhnlich“, weil es früher
gewöhnlich, sprich häufig war. Heute
ist es eine Rote-Liste-Art und gefähr-
det, weil die extensive Weidepraxis
immer weiter zurückgeht. Rosenthal
et al. (2012) listen in einer Übersicht
zahlreiche weitere Beispiele hochbe-
drohter Pflanzenarten auf.
Die Sukzession von Offenland zu
Wald, die bei ungestörtem Ablauf
kurz- bis langfristig zum Verlust der
Offenland-Zönosen führt, wird durch
das Fraßverhalten (Störung) großer
Pflanzenfresser dynamisch modifiziert,
teilweise unterbrochen, teils umgekehrt
und läuft andernorts wieder ab; auch
eine naturschutzfachlich ungewünschte
Sukzession und Verlandung von Stillge-
wässern kann durch Weidetiere gestoppt
bzw. verändert werden. Die selektive
Nahrungsaufnahme fördert die Entste-
hung neuer Wuchsformen/Strukturen,
wie z. B. Hutebäume, Krüppelschlehen,
und beeinflusst die Zusammensetzung
der Vegetation als Basis der Nahrungs-
pyramide hin zu Arten, die von exten-
siver Beweidung profitieren und in
unserer Kulturlandschaft tendenziell
selten geworden sind.
Weidetiere sind ein wichtiger Trans-
portvektor der Diasporen vieler bedroh-
ter Pflanzen. Die Bedeutung von Fell,
Darm und Hufen für die Vernetzung von
Pflanzenpopulationen wurde u. a. von
Pakeman (2001) sowie Wessels (2008)
beschrieben. Umgekehrt ist der Verlust
der Weidetiere und der damit korrelie-
rende Verlust eines Diasporenvektors
inzwischen ein weiterer Gefährdungs-
faktor vieler Pflanzenarten in Europa
(Ozinga et al. 2009). Auch hier kommt
erschwerend der immer weiter verbrei-
tete Einsatz von Antiparasitenmitteln
hinzu, die die Keimungsfähigkeit endo-
zoochor ausgebreiteter Pflanzensamen
signifikant reduzieren können (Eichberg
et al. 2016).
Wildbienen sind nicht an bestimmte
Waldtypen gebunden. Vielmehr benöti-
gen die in Waldgebieten lebenden Arten
spezifische Requisiten wie lichte, gut
besonnte Bereiche mit offenen Boden-
stellen als Nistplätzen, festes Totholz,
weißfaules Holz sowie dürre mark-
haltige Ranken und Stängel als weitere
Nistgelegenheiten sowie bestimmte
Pollenquellen für die Versorgung der
Brutzellen. Diese Ressourcen müssen in
einem dichten Netz vorliegen, in dem
die einzelnen Komponenten in einer
Entfernung voneinander verfügbar sein
müssen, die nicht mehr als 100 – 300 m
beträgt. Zudem ist für die Ausbildung
artenreicher Bestäuberzönosen ein über
die gesamte Vegetationsperiode hin-
weg vorhandener Blühhorizont nötig.
Die beschriebenen Faktoren sind unter
extensiver Beweidung entsprechender
Lebensräume idealtypisch gegeben. Im
Gegensatz dazu wird der allergrößte
Teil des mitteleuropäischen Graslands
z. T. mehrfach und flächendeckend fast
gleichzeitig im Sommerhalbjahr gemäht,
wodurch selbst in Schutzgebieten für
Bestäuber ein Flaschenhals hinsichtlich
der Ernährung erzeugt wird. Wildbienen
benötigen für die Erzeugung/Aufzucht
von Nachkommen als Teilsiedler so-
wohl einen artspezifischen Nistplatz
als auch bestimmte Nahrungspflanzen,
bei manchen Arten zusätzlich bestimm-
te Baumaterialien (Harz, Laubblätter,
Pflanzenhaare) in ausreichender Quali-
tät. Viele so genannte „Waldarten“ sind
an Störstellen und die hier ablaufenden
Prozesse, wie sie in der heutigen Offen-
landschaft wegen der industrialisierten
Landwirtschaft größtenteils fehlen, nicht
nur angepasst, sondern auf diese essen-
ziell angewiesen. Reich strukturierte
Wälder mit Bestandslücken und son-
nendurchfluteten Lichtungen, wie sie
nur unter Störungseinfluss entstehen,
können auch von vielen Offenlandarten
besiedelt werden. Untersuchungen auf
Kahlschlägen sowie auf von Borken-
käfern oder Stürmen geöffneten Wald-
beständen belegen dies eindrucksvoll
(u. a. Fuhrmann 2007; von Haeseler
1972; Kuhlmann, Quest 2003; Quest,
Kuhlmann 2005). Die Untersuchungen
lassen das Potenzial des durch Herbi-
vorie geförderten Mosaiks aus Offen-
land, Gebüschen und Feldgehölzen
mit Hutewaldcharakter erahnen. Die
ursprüngliche Wildbienenvielfalt un-
serer Wälder dürfte unter Herbivorie
wesentlich höher gewesen sein und
ging mit dem Verlust/der Ausrottung
der natürlichen Megaherbivorie und der
Untersagung der Waldweide verloren
(Fuhrmann 2007).
Die meisten Reptilien und Amphibien,
aber auch ihre Beutetiere profitieren als
wechselwarme Organismen von der
dauerhaften Bereitstellung von Offen-
bodenflächen (Sonnenplätzen) und dem
räumlich-zeitlichen Wechsel von Licht
und Schatten. Es gibt Beispiele außerge-
wöhnlich hoher Dichten mehrerer stark
bedrohter Amphibienarten auf Wilden
Weiden (Reisinger, Sollmann 2015).
Die dauerhafte Sicherung vieler „Ag-
rarvogelpopulationen“ und insbeson-
dere der so genannten Wiesenbrüter
(ein missverständlicher Begriff, besser
wäre – wie auch im Spanischen und
Niederländischen – „Weidevögel“) ist
ohne die durch Weidetiere geschaffenen
Strukturen nicht denkbar. So bevorzugen
Bekassine (Gallinago gallinago), Brach-
vogel (Numenius arquata), Uferschnepfe
(Limosa limosa) und Rotschenkel (Tringa
totanus) allesamt Bultstrukturen, wie sie
nur in Extensivweiden, nicht aber in
Mähwiesen auftreten. Hinzu kommen
weitere hochgefährdete Arten wie etwa
das Braunkehlchen (Saxicola rubetra), das
auf weidetypische Ansitzwarten und ein
permanentes Futterangebot angewiesen
ist, was beides auf Wiesen heute nur
in nicht ausreichender Qualität und
Quantität vorhanden ist. Lichte Wälder
bzw. Hutewälder, die mit mosaikartigen
Weidestrukturen durchsetzt sind, bieten
exzellente Lebensbedingungen für vom
Aussterben bedrohte Vogelarten halb-
offener Landschaften wie beispielsweise
die Heidelerche (Lullula arborea) und den
Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus).
Und auch bei vermeintlichen Waldarten
wie etwa dem Auerhuhn (Tetrao urogal-
lus) zeigt sich eine positive Beziehung
zu höheren Rotwilddichten und ex-
tensiven Waldweiden. Die genannten
Vogelarten sind neben Säugetieren wie
dem Feldhasen (Lepus europaeus), der in
strukturreichen Wilden Weiden Deckung
findet, nur wenige exemplarische Pro-
fiteure dieser vielgestaltigen Systeme
(Bakker et al. 2009).
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systems. Technische Universität Darmstadt.
http://tubiblio.ulb.tu-darmstadt.de/38415/
(aufgerufen am 20. 1. 2018).
Nicolas Schoof
Korrespondierender Autor
Universität Freiburg
Professur für Standorts- und
Vegetationskunde
Tennenbacherstraße 4
79106 Freiburg i. Br.
E-Mail: nicolas.schoof@
waldbau.uni-freiburg.de
Der Autor absolvierte den
BSc Geo- und Atmosphären-
wissenschaften sowie den
BSc Biologie an der Univer-
sität Innsbruck sowie den
MSc Forstwissenschaften an
der Universität Freiburg. Er
war Mitarbeiter des For-
schungsteams zweier BfN-ge-
förderter Projekte zur Identifikation von
Wildnispotenzialgebieten in Deutschland
und beschäftigt sich aktuell in Forschung und
Lehre mit der Störungsökologie sowie den
Auswirkungen der Gemeinsamen Agrarpo-
litik der EU auf die Biodiversität des Grünlands.
Er promoviert derzeit bei Prof. Dr. Dr. h. c.
Albert Reif im letztgenannten Themenbereich.
Prof. Dr. Rainer Luick
Hochschule für
Forstwirtschaft Rottenburg
Professur für Natur- und
Umweltschutz
Schadenweilerhof
72108 Rottenburg
E-Mail: luick@hs-rottenburg.de
Dr. Herbert Nickel
Zikaden – Biodiversitätsforschung –
Graslandmanagement
Ehrengard-Schramm-Weg 2
37085 Göttingen
E-Mail: herbert.nickel@gmx.de
Prof. Dr. Dr. h. c. Albert Reif
Universität Freiburg
Professur für Standorts- und
Vegetationskunde
Tennenbacher Straße 4
79085 Freiburg i. Br.
E-Mail:
albert.reif@waldbau.uni-freiburg.de
Dr. Marc Förschler
Nationalpark Schwarzwald
Kniebisstraße 67
72250 Freudenstadt
E-Mail: marc.foerschler@nlp.bwl.de
Dr. Paul Westrich
Raichbergstraße 38
72127 Kusterdingen
E-Mail: eucera@paul-westrich.de
Edgar Reisinger
Naturforschende Gesellschaft
Altenburg
Naturkunde Museum Altenburg
Parkstraße 10
04600 Altenburg
E-Mail: edgar.reisinger@gmail.com
© 2018 W. Kohlhammer, Stuttgart
1
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 — Zusatzmaterial 2
Aufsatz Original manuscript
Zusatzmaterial 2 zu:
Biodiversität fördern mit Wilden Weiden
in der Vision „Wildnisgebiete“
der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Supplement 2 to:
Enhancing biodiversity with the help of wild pastures in the framework
of the wilderness vision of the German National Strategy on Biological Diversity
Nicolas Schoof, Rainer Luick, Herbert Nickel, Albert Reif,
Marc Förschler, Paul Westrich und Edgar Reisinger
Natur und Landschaft — 93. Jahrgang (2018) — Ausgabe 7: 314 322
Zusammenfassung
In Deutschland sollen nach der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 auf 2 % (714 000 ha) der terrestrischen Fläche
Prozessschutzflächen als Wildnisgebiete ausgewiesen sein. Nach den bisher konzipierten Kriterien sind nur Nationalparks eine bereits
existierende Kulisse. Sie nehmen ca. 0,6 % der terrestrischen Fläche ein. Weitere 500 000 ha neue Wildnis müssen ausgewiesen werden. Im
Gegensatz zu anderen Ländern wird hierbei in Deutschland, abgesehen von ehemaligen Militärflächen und Bergbaufolgelandschaften,
vor allem an Waldökosysteme gedacht. Ein naturschutzfachlicher Mehrwert wird dort im Wesentlichen in der Totholzakkumulation liegen.
Erkenntnisse der Störungsökologie, nach denen sich das 2 %-Ziel durch eine gezieltere Ausweisung, Vorbehandlung und punktuelles
„Management“ weiter qualifizieren ließe, bleiben eher unberücksichtigt. In Anbetracht des Artenschwunds und der begrenzten Zugriffs-
möglichkeiten des Naturschutzes auf Flächen plädieren wir für eine stringente Einbeziehung halbwilder Weidetiere in Wildnisgebieten.
Große Pflanzenfresser wie Wisente, Rothirsche und robuste Haustierrassen sind ein entscheidender Faktor für mehr räumlich-zeitliche
Dynamik. Ihr Störungseinfluss generiert Ressourcen und Nischen für seltene und gefährdete Arten.
Wildnisgebiete – Wilde Weiden – Megaherbivore – Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt – 2 %-Ziel – Biodiversitätsschutz – Deutschland
Abstract
In Germany, according to the National Strategy on Biological Diversity, 2 % (714,000 ha) of the terrestrial area should be designated as
wilderness areas by 2020. According to the criteria conceived so far, only national parks are an already existing suite of such sites. They
occupy about 0.6 % of the terrestrial area. Another 500,000 ha of new wilderness areas must be designated. In contrast to other countries,
in Germany, apart from former military areas and mining landscapes, especially near-natural forest ecosystems are considered as potential
wilderness areas. The nature conservation value of these areas will be increased essentially through the accumulation of deadwood.
Findings of disturbance ecology, according to which process-based nature conservation and the 2 % target could be further qualified by
more targeted area designation, pre-treatment and highly localised ‘management’, tend to be disregarded. In view of ongoing species
decline and the limited availability of land for conservation purposes, we argue for stringent inclusion of ‘wild grazing animals’ in wilderness
areas. Large herbivores such as European bison or red deer and robust domestic animal breeds are a crucial factor for greater spatial and
temporal dynamics. Their disturbance generates resources and niches for rare and endangered species.
Wilderness – Wild pastures – Megaherbivores – National Strategy on Biological Diversity – 2 % goal – Conservation biology – Germany
Manuskripteinreichung: 7. 12. 2017, Annahme: 23. 4. 2018 DOI: 10.17433/7.2018.50153595.314-322
Dieses Zusatzmaterial ist nicht im Hauptartikel enthalten und online abrufbar unter
https://www.online.natur-und-landschaft.de/zusatz/07_2018_A_Schoof
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2
Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 — Zusatzmaterial 2
Das Konzept der Wilden Weiden wird mittler-
weile in vielen Regionen Europas erfolgreich
praktiziert (siehe http://www.rewilding
europe.com). Seit Langem gibt es Erfahrun-
gen vor allem aus großflächigen Projekten in
Großbritannien und den Niederlanden. Die
Akzeptanz der Wilden Weiden als Strategie
des Naturschutzes und das große öffentliche
Interesse sind auch in dem hohen Sympathie-
wert von Weidetieren begründet. Die aus den
Niederlanden bekannten Besucherzahlen im
Wilde-Weiden-Gebiet Oostvaardersplassen
liegen im hohen sechsstelligen Bereich; für
den ca. 15 000 ha großen New Forest im Süden
Englands werden jährlich Besucherzahlen im
siebenstelligen Bereich berichtet (W. Helmer
2017, mündl. Mitt.).
In der Naturbewusstseinsstudie 2013
(BMUB 2014) wurde die Bedeutung wil-
der Tiere als Kommunikationselement von
Wildnis empirisch erfasst: Nach den Asso-
ziationen zu „Wildnis“ befragt, antworteten
55 % der Interviewpartner mit dem Begriff
„Wilde Tiere“. Das ist die mit Abstand am
häufigsten genannte Assoziation (BMUB
2014) und gleichzeitig ein starkes Indiz dafür,
dass Wilde Weiden von der Gesellschaft
zumindest im 2 %-Wildnis-Ziel akzeptiert,
wenn nicht sogar ausdrücklich gewünscht
werden. In Deutschland existieren bereits
heute Weideprojekte unterschiedlicher Träger
(s. Tab. A), die aktiv und erfolgreich unter
dem Label „Wildnisgebiet“ vermarktet wer-
den. Die Träger vermeiden aber – gewollt
oder ungewollt – i. d. R. die Kommunikation
des möglichen Bezugs zum 2 %-Ziel. Für
die Implementierung neuer Wilder Weiden
könnte die Nennung/der Hinweis auf die
direkte Verbindung/Zugehörigkeit zum
2 %-Ziel ein weiteres starkes Argument im
Umsetzungsprozess sein. Dies ist aber nur
möglich, wenn sich politische Entscheidungs
-
träger für eine Aufnahme/Anrechnung
Wilder Weiden in das 2 %-Ziel aussprechen,
was derzeit nicht der Fall ist.
Literatur
BMU/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (2007): Nationale Strategie
zur biologischen Vielfalt. BMU. Berlin: 178 S.
BMUB/Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit (2014): Na-
turbewusstsein 2013 – Bevölkerungsumfrage
zu Natur und biologischer Vielfalt. BMUB.
Berlin: 89 S.
Wilde Weidetiere
als Kommunikationsmittel für neue Wildnisgebiete
Wild grazing animals as a means of communication for new wilderness areas
Nicolas Schoof
Korrespondierender Autor
Universität Freiburg
Professur für Standorts- und
Vegetationskunde
Tennenbacherstraße 4
79106 Freiburg i. Br.
E-Mail:
nicolas.schoof@
waldbau.uni-freiburg.de
Der Autor absolvierte den
BSc Geo- und Atmosphären-
wissenschaften sowie den
BSc Biologie an der Univer-
sität Innsbruck sowie den
MSc Forstwissenschaften an
der Universität Freiburg. Er
war Mitarbeiter des For-
schungsteams zweier BfN-ge-
förderter Projekte zur Identifikation von
Wildnispotenzialgebieten in Deutschland
und beschäftigt sich aktuell in Forschung und
Lehre mit der Störungsökologie sowie den
Auswirkungen der Gemeinsamen Agrarpo-
litik der EU auf die Biodiversität des Grünlands.
Er promoviert derzeit bei Prof. Dr. Dr. h. c.
Albert Reif im letztgenannten Themenbereich.
Prof. Dr. Rainer Luick
Hochschule für
Forstwirtschaft Rottenburg
Professur für Natur- und
Umweltschutz
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72108 Rottenburg
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luick@hs-rottenburg.de
Dr. Herbert Nickel
Zikaden – Biodiversitätsforschung –
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Dr. Marc Förschler
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Dr. Paul Westrich
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Edgar Reisinger
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Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt Wilde Weiden in der Vision „Wildnisgebiete“ der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
— 93. Jahrgang (2018) — Heft 7 — Zusatzmaterial 2
Tab. A: Auch in Deutschland existieren bereits Wilde Weiden, die teils gezielt und explizit als „Wildnis“ beworben und kommuniziert
werden, aber nicht dem 2 %-Ziel angerechnet werden (dürfen) und damit keine Wildnisgebiete im Sinne der Nationalen Strategie
zur biologischen Vielfalt (BMU 2007) sind.
Table A: Wild pastures already exist in Germany, some of which are advertised and communicated specifically and explicitly as ‘wilderness’. Nevertheless,
wild pastures are not considered as wilderness areas as defined by the National Strategy on Biological Diversity (BMU 2007). Therefore, they
are not counted under the 2 % wilderness target of this strategy.
Bezeichnung Ort Typ/Herkunft der Fläche Flächengröße/Arten/Schutzstatus
Döberitzer Heide Berliner Stadtgrenze Ehemalige Militärfläche Ca. 3 600 ha (davon ca. 1 900 ha mit halb-
wilden Weidetieren)
Rothirsche, Wisente und Przewalski-
Pferde
Zum großen Teil Naturschutzgebiet
(NSG), FFH- und SPA-Gebiet (= Vogel-
schutzgebiet)
Westfalens Wilder Westen Nordrhein-Westfalen, Kreis Coesfeld Ehemalige Militärfläche, Haltern • Ca. 2 200 ha
Wisente, Rotwild, Koniks
FFH- und SPA-Gebiet
Stiftungsland Schäferhaus Flensburg Ehemalige Militärfläche, Geest Ca. 415 ha
Galloways, Koniks
NSG, teils FFH-Gebiet
Oranienbaumer Heide Sachsen-Anhalt Ehemalige Militärfläche Ca. 800 ha
Heckrinder, Koniks
FFH- und SPA-Gebiet, teils NSG
Schmidtenhöhe Koblenz Ehemalige Militärfläche Ca. 800 ha
Taurusrinder, Koniks
NSG, FFH- und SPA-Gebiet
Thüringeti Crawinkel Agrarische Konversionsflächen,
teils ehemalige Ackerflächen und
Intensivgrünland
Ca. 2 500 ha
Deutsche Angusrinder, Koniks,
Heckrinder, Schottische Hochlandrinder,
Deutsches Sportpferd u. a.
Einige „Wildnisgebiete“ mit potenzieller Eignung zur Integration von Megaherbivoren
(ohne Berücksichtigung der Eigentumsverhältnisse)
Lieberose Brandenburg Ehemalige Militärfläche 25 500 ha, davon 65 % als Wildnisgebiete
Teile sind als NSG, FFH- und SPA-Gebiet
ausgewiesen
Jüterborg Brandenburg Ehemalige Militärfläche 9 300 ha, davon 75 % als Wildnisgebiete
Teile sind als NSG, FFH- und SPA-Gebiet
ausgewiesen
Heidehof Brandenburg Ehemalige Militärfläche 12 000 ha, davon 1 400 ha in Wildnis-
entwicklung
Teile sind als NSG, FFH- und SPA-Gebiet
ausgewiesen
Tangersdorf Brandenburg Ehemalige Militärfläche 6 070 ha, davon 665 ha als Wildnisgebiet
Teile sind als FFH- und SPA Gebiet aus-
gewiesen
Naturschutzgebiet Königsbrücker Heide Sachsen Ehemalige Militärfläche 6 932 ha, davon sind ca. 5 000 ha Wildnis-
gebiet
Als NSG, FFH- und SPA Gebiet aus-
gewiesen
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... Hierbei sollten auch bereits verbuschte Bereiche einbezogen werden und Waldweide mit Großherbivoren zur Anwendung kommen, damit deren wichtige ökologische Funktion und Rolle in der natürlichen Vegetationsdynamik im Nationalparkkontext größere Berücksichtigung findet(vgl. Bunzel-drüke et al. 2001, Vera 2000, 2005, scHooF et al. 2018, ruPP & MicHiels 2020. Damit können auch bereits bestehende sowie künftige scharfe Nutzungsgrenzen und scharfeHandschuh & Klamm: Überregional bedeutender Bestand der Grauammer Emberiza calandra im Nationalpark Hainich Abb. ...
... z. B.Gates & Gysel 1978, olFF et al. 1999, scHerzinGer 1991, scHön 2000, Vickery et al. 2001, Vera 2000, 2005, Bunzel-drüke et al. 2008, 2019, Jotz et al. 2017, scHooF et al. 2018, kaP-Fer 2019a & b, ruPP & MicHiels 2020, u. v. a.). Das Problem der unangepassten Beweidung wurde von der Nationalparkverwaltung erkannt und bereits teilweise angegangen. ...
Article
Full-text available
Im Rahmen von ehrenamtlichen Vogelerfassungen im Jahr 2021 kartierten wir Grauammern Emberiza calandra in unterschiedlichen Bereichen des Nationalparks (NLP) Hainich. Der NLP ist Teil des FFH-und Vogelschutzgebiets Hainich, für welches die Grauammer als Schutzgut von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgeführt ist. Insgesamt wurden 860 ha an Offenlandfläche begangen, rund 44 % des gesamten Offenlands im NLP. Dabei stellten wir 136 Grauammerreviere fest. Die Grauammer besiedelt derzeit alle größeren Offenlandflächen und größere Waldwiesen im NLP und erreicht in manchen Bereichen extrem hohe Siedlungsdichten. Unter Berücksichtigung der räumlich heterogenen Habitateignung schätzen wir den Brutzeitbestand der Grauammer im NLP Hainich im Jahr 2021 auf etwa 250 Reviere. Damit hat die Art im Gebiet in den letzten Jahren stark zugenommen, möglicherweise unter anderem als Folge der Hitze- und Trockenjahre 2018-2020, und das Vorkommen ist mittlerweile von landesweiter und nationaler Bedeutung: Es entspricht etwa 23-25 % des thüringischen Grauammerbestands, 5-6 % des Grauammerbestands in deutschen Vogelschutzgebieten und 0,9-1,5 % des bundesweiten Brutbestands, gemäß den jeweils letzten offiziellen Schätzungen. Angesichts bekannterweise oft stark schwankender Grauammerbestände stellt unser Ergebnis eine Momentaufnahme dar und die weitere Bestandsentwicklung bleibt zu beobachten. Derzeit bestehen zwei wesentliche Gefährdungsfaktoren für die Grauammer im NLP Hainich: Brutverluste durch unangepasste Beweidung mit Schafen und Ziegen in Koppelhaltung und Lebensraumverlust durch ungehinderte Gehölzentwicklung im Offenland. Seitens der Nationalparkverwaltung wurden erste Maßnahmen zum Schutz der Grauammer und anderer Offenlandarten eingeleitet. Weitere Maßnahmen sind erforderlich, denn rund 80 % des Offenlands im Natura 2000 Gebiet liegen im NLP, woraus sich eine besondere Verantwortung ergibt. Summary: Nationally important population of the Corn Bunting Emberiza calandra in the Hainich National Park. In 2021, we counted Corn buntings Emberiza calandra on 860 ha of open and semi-open grassland (c. 44 % of the total grassland area) in different parts of the Hainich National Park (NP); the NP is part of the Natura 2000 site Hainich. We registered 136 Corn bunting territories and found very high densities in some areas. Considering the locally varying habitat suitability, we estimate the total number of Corn buntings in the NP at 250 territories. The species has increased substantially in recent years, perhaps partly driven by heat and drought in 2018-2020. The current population is of federal and national importance. As Corn bunting numbers can fluctuate our population estimate is a snapshot and the future population development remains to be monitored. Fundamental threats to the Corn bunting and other grassland bird species in the Hainich NP are nest losses due to intense mobile paddock grazing with sheep and goats and unmanaged vegetation succession in grasslands. The NP administration has taken first measures to address the threats.
... Das verdeutlicht die zentrale Bedeutung von über lange Zeiträume ungenutzten Naturwäldern ausreichender Größe, um den Schutz der waldtypischen Flora und Fauna zu gewährleisten. Umgekehrt können Wälder, die auf spezifische traditionelle forstwirtschaftliche Nutzungsformen angewiesen sind, ausgesprochen reich an gefährdeten Arten sein (etwa Hude-und Eichen mittelwälder; vergleiche Fartmann et al. 2021, Schoof et al. 2018. Nutz-und Schutzwald sind im Kontext des Biodiversitätsschutzes also durchaus sich ergänzende Konzepte und keine Gegensätze. ...
Article
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Die Diskussion um die Nutzung von Wäldern im Spannungsfeld von Holzproduktion, ihrem Beitrag zum Klimaschutz und der Verpflichtung zum Schutz der Biodiversität von Waldökosystemen wird mit Schärfe geführt. Es werden dabei auch Klimaschutzargumente bemüht, um Anliegen des Biodiversitätsschutzes zu diskreditieren. Manche der angeführten Argumente basieren auf einer fragwürdigen Datenbasis und -interpretation. In der Gemengelage geht es nicht nur um den Umgang mit Forderungen zu mehr Flächenstilllegungen von Wirtschaftswäldern und den Schutz von Naturwäldern in Deutschland, es droht auch der Verlust der letzten großflächigen europäischen temperaten Urwälder, die alle im Karpatenbogen liegen. Ursächliche Faktoren sind die intensive und zunehmende Holznutzung, ein unzureichender politischer Wille und ein zu geringes nationales und europäisches Engagement für den Schutz dieses Weltnaturerbes. Urwälder und Naturwälder sind in den EU-Mitgliedsstaaten auf weniger als 3 % der Gesamtwaldfläche erhalten geblieben; hunderttausende Hektar europäischer Urwälder gingen allein in den vergangenen zehn Jahren verloren. In diesem zweiteiligen Aufsatz diskutieren wir Argumente zu den Themenkomplexen (1) Biodiversität und Forstwirtschaft, (2) CO2-Speicher- und -Senkenleistung genutzter und ungenutzter Wälder und (3) Klimaschutzwirkung der energetischen Holznutzung vor dem Hintergrund aktueller klimapolitischer Entscheidungen der EU und der Bundesregierung. Der vorliegende erste Teil befasst sich mit dem Vorkommen von Ur- und Naturwäldern in Europa und widerlegt die These, diese könnten keinen wichtigen Beitrag zum Biodiversitätsschutz leisten. Außerdem wird der Beitrag von Urwäldern, Naturwäldern und Wirtschaftswäldern für den Klimaschutz vergleichend bewertet.
... So sind Beispiele mit einer Integration von Beweidung in konkretes modernes Management von Gebieten mit nennenswerten Waldanteilen bisher selten geblieben. Auch die Wildnisidee in den deutschen Nationalparken umfasst bislang nicht die Inklusion von Prozessen, die beispielsweise bei Wiedereinführung von Elch oder Wisent ausgelöst werden könnten, während die "Initiierung" von neuer Wildnis durch waldbauliche Maßnahmen wie Pflanzung oder gezielte Bewirtschaftung und Jagd durchaus akzeptiert und praktiziert wird (LUICK & REIF 2013, SCHOOF et al. 2018. ...
Chapter
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Die berühmte, von Heinrich COTTA (1817) stammende Aussage: „Wenn die Menschen Deutschland verließen, so würde dieses nach 100 Jahren ganz mit Holz bewachsen sein“, prägt vor allem in den Forstwissenschaften bis in die Gegenwart die Vorstellung vom ursprünglichen Landschaftsbild. Begründet auf das zu COTTAs Zeit vorhandene Wissen und auf konkreten Beobachtungen, dass die Vegetation in Mitteleuropa auf fast allen Standorten eine Sukzessionstendenz in Richtung geschlossener Waldbestände aufweist, war diese Schlussfolgerung logisch korrekt. Auch heute wird in vielen forstlichen und vegetationskundlichen Grundlagenwerken die Lehrmeinung wiedergegeben, nach der Mitteleuropa nach dem Ende der letzten Eiszeit und vor dem Einwandern von Ackerbauern und Viehzüchtern im Wesentlichen von geschlossenen Wäldern bedeckt gewesen sei (u.a. FISCHER 2003, PFADENHAUER & KLÖTZLI 2014). Diese Vorstellung vom Bild der waldbedeckten „Urlandschaft“ wird weiterhin damit begründet, dass allein der Mensch und sein Wirken als wesentliche landschaftsgestaltende und -verändernde Faktoren vorstellbar wären. Damit bleibt der anzunehmende Einfluss einer noch vor 5.000 Jahren und damit nacheiszeitlich existierenden, vielfältigen pflanzenfressenden Großsäugergemeinschaften weitgehend unberücksichtigt. Diesen Megaherbivoren (u.a. Wisent, Auerochse, Elch, Rothirsch) ist auch in Mitteleuropa – außerhalb der Gebirgsregionen – ein bestimmender Prozess- und Gestaltungsfaktor zuzuordnen. Sie waren sicher in der Lage, Sukzessionen zu beeinflussen und punktuell auch umzukehren. In derartigen durch Megaherbivoren geprägten Ur-Landschaften, waren daher lichtere „Waldbilder“ sicher großflächig verbreitet, würden aber unseren heutigen Assoziationen und Imaginationen zum Begriff „Wald“ nicht unbedingt entsprechen (u.a. BAKKER 1989, WALLIESDEVRIES et al. 1998, VERA 2000). ...
... În calitate de consumatori, procesatori și comercianți de lemn și alte produse derivate din lemn (aici avem în vedere nu numai pe germani), împărțim responsabilitatea pentru presiunile exercitate asupra acestor păduri și avem datoria să protejăm această moștenire naturală pentru generațiile viitoare. Fiecare din noi are obligația profesională și etică să protejăm aceste ultime suprafețe extinse de păduri europene virgine nu numai pentru interesele noastre, ci pentru binele global (Bücking și al. 2000, Brang 2005, Wirth et al. 2009, Veen et al. 2010, Commarmot și Brang 2011, Scherzinger 2012, Mikoláš et al. 2014, Biriş 2017, Musavie et al. 2017, Schoof et al. 2018, Watsonet al. 2018. ...
Article
Full-text available
DOI: 10.4316/bf.2021.009 Raportul „Pădurile virgine în inima Europei” (2021), autori; Rainer Luick, Albert Reif, Erika Schneider, Manfred Grossmann și Ecaterina Fodor este o analiză detaliată a importanței, situației actuale și viitorului pădurilor seculare din România. Autorii subliniază marea lor simpatie față de România și abordează importanța ultimelor păduri seculare din Carpații românești pentru moștenirea naturală a Europei. De asemenea, sunt descrise detaliat neputința și lipsa de interes din partea instituțiilor statului în protejarea pădurilor seculare și virgine. Investigațiile asupra corupției profunde și imixtiunii criminale în sectoarele silviculturii și exploatării lemnului scot la iveală interferențe șocante între politică, administrație și corporații. Existând informații asupra tăierilor la scară mare în arii protejate, studiul este centrat pe întrebarea de ce instituțiile UE au avut reacții puține în decursul multor ani la aceste probleme. Autorii cer ca protecția ultimelor păduri virgine din centrul Europei să devină o preocupare a organismelor pan-europene. Acest demers este formulat ca un element cheie pentru Strategia pentru Biodiversitate a Europei până în 2030. România ar deveni astfel un test de litmus asupra șanselor de reușită ale strategiei.
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Die Feststellung des Erhaltungszustands von FFH-Mähwiesen, also Mageren Flachland-Mähwiesen (FFH-LRT 6510) sowie Berg-Mähwiesen (FFH-LRT 6520), bemisst sich an den Bewertungskriterien ihrer Kartieranleitung. Maßgeblich sind das Arteninventar, die Habitatstruktur und mögliche Beeinträchtigungen. Verkürzt dargestellt ist für einen hervorragenden Erhaltungszustand (A) kennzeichnend: Die FFH-Mähwiese hat eine hohe Anzahl lebensraumtypischer Gefäßpflanzenarten. Die Struktur ist geprägt durch einen hohen Anteil an Kräutern, die Unter- und Mittelgrasschicht dominieren und die Obergräser sind gering vertreten oder fehlend. Es liegen keine Beeinträchtigungen vor und der Standort und das Relief sind unverändert. In Richtung Erhaltungszustand C bzw. in die nicht geschützte Wiese verschlechtern sich diese Parameter (Abbildung 1). Die Bewirtschaftung ist der entscheidende Einflussfaktor, um in allen Parametern den Ist-Zustand der Vegetationszusammensetzung zu halten oder zu verbessern. Entscheidend sind vor allem die Form und Anzahl der Nutzungen, die Nutzungszeitpunkte und die Nährstoffbilanz, die wiederum die erforderliche Nutzungshäufigkeit und die Nutzungszeitpunkte mitbestimmt. Der nachfolgende Text erläutert mit Blick auf den Schutz von FFH-Mähwiesen die Bedeutung der Nährstoffbilanz im Allgemeinen und im Speziellen die der Düngung als entscheidende Stellschraube der Nährstoffbilanz. Darauf aufbauend werden auf Basis des aktuellen Wissenstands Handlungsempfehlungen für den Naturschutz bzw. die Beratung vor Ort gegeben.
Book
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Introduction of the initiative "Colourful meadow - How to create species-rich habitats in urban space". In 2010, both students and employees of the University of Tübingen (Baden-Württemberg, Southwest Germany) founded a pressure group to support national and international aims to protect biodiversity. This group chose the name “Initiative Bunte Wiese – Für mehr Artenvielfalt auf öffentlichem Grün” (“The Colourful Meadow Initiative – Species Diversity in Public Greenspaces”) and aimed at persuading decision makers to improve inner urban green areas with respect to greenspaces (with model areas in and around Tübingen city). The goal was to optimize the management of the grassland areas to improve their quality with respect to conservational and ecological issues. The effects of such a management reduction were evaluated in several research projects on plants, grasshoppers, true bugs, wild bees, beetles and butterflies. All of these investigations have revealed a statistically significant positive impact of reduced grassland maintenance towards species diversity as well as the occurrence of rare or endangered species. This shows that simple measures such as the reduction of grassed area maintenance can make an important contribution to international efforts to reduce the loss of biodiversity.
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There are heated arguments about the use of forests in the debate about wood production, contributing to climate protection, and the obligation to protect the biodiversity of forest ecosystems. Climate protection arguments are also used to discredit biodiversity protection concerns. Some of the arguments presented are based on questionable data and misinterpretation of the data. This complex situation is not only about dealing with demands to set-aside more commercial forests and the protection of natural forests in Germany; there is also, for example, the threat of the loss of the last large-scale European temperate primeval forests, all of which are in the Carpathian Arc. Causal factors are the intensive and increasing use of wood, lack of political will, and insufficient national and European commitment to the protection of this World Natural Heritage Site. Primeval and natural forests are preserved on less than 3% of the total forest area in EU member states; hundreds of thousands of hectares of European primeval forests have been lost in the past ten years alone. In this two-part essay, we discuss arguments on the topics of (1) biodiversity and forestry, (2) the CO2 storage and sink performance of used and unused forests, and (3) the climate change impact of the use of wood for energy against the background of current climate policy decisions from the EU and the federal government. The first part, pre­sented here, deals with the occurrence of primeval and natural forests in Europe and refutes the thesis that they cannot make an important contribution to biodiversity protection. Furthermore, the contribution of primeval forests, natural forests, and commercial forests is assessed in relation to climate protection.
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Global declines in insects have sparked wide interest among scientists, politicians, and the general public. Loss of insect diversity and abundance is expected to provoke cascading effects on food webs and to jeopardize ecosystem services. Our understanding of the extent and underlying causes of this decline is based on the abundance of single species or taxo-nomic groups only, rather than changes in insect biomass which is more relevant for ecological functioning. Here, we used a standardized protocol to measure total insect biomass using Malaise traps, deployed over 27 years in 63 nature protection areas in Germany (96 unique location-year combinations) to infer on the status and trend of local entomofauna. Our analysis estimates a seasonal decline of 76%, and midsummer decline of 82% in flying insect biomass over the 27 years of study. We show that this decline is apparent regardless of habitat type, while changes in weather, land use, and habitat characteristics cannot explain this overall decline. This yet unrecognized loss of insect biomass must be taken into account in evaluating declines in abundance of species depending on insects as a food source, and ecosystem functioning in the European landscape.
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In animal farming, anthelmintics are regularly applied to control gastrointestinal nematodes. There is plenty of evidence that also non-target organisms, such as dung beetles, are negatively affected by residues of anthelmintics in faeces of domestic ungulates. By contrast, knowledge about possible effects on wild plants is scarce. To bridge this gap of knowledge, we tested for effects of the common anthelmintic formulation Cydectin and its active ingredient moxidectin on seed germination. We conducted a feeding experiment with sheep and germination experiments in a climate chamber. Three widespread plant species of temperate grasslands (Centaurea jacea, Galium verum, Plantago lanceolata) were studied. We found significant influences of both, Cydectin and moxidectin, on germination of the tested species. Across species, both formulation and active ingredient solely led to a decrease in germination percentage and synchrony of germination and an increase in mean germination time with the formulation showing a more pronounced response pattern. Our study shows for the first time that anthelmintics have the potential to negatively affect plant regeneration. This has practical implications for nature conservation since our results suggest that treatments of livestock with anthelmintics should be carefully timed to not impede endozoochorous seed exchange between plant populations.
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The oft-repeated claim that Earth's biota is entering a sixth " mass extinction " depends on clearly demonstrating that current extinction rates are far above the " background " rates prevailing in the five previous mass extinctions. Earlier estimates of extinction rates have been criticized for using assumptions that might overestimate the severity of the extinction crisis. We assess, using extremely conservative assumptions, whether human activities are causing a mass extinction. First, we use a recent estimate of a background rate of 2 mammal extinctions per 10,000 species per 100 years (that is, 2 E/MSY), which is twice as high as widely used previous estimates. We then compare this rate with the current rate of mammal and vertebrate extinctions. The latter is conservatively low because listing a species as extinct requires meeting stringent criteria. Even under our assumptions, which would tend to minimize evidence of an incipient mass extinction, the average rate of vertebrate species loss over the last century is up to 114 times higher than the background rate. Under the 2 E/MSY background rate, the number of species that have gone extinct in the last century would have taken, depending on the vertebrate taxon, between 800 and 10,000 years to disappear. These estimates reveal an exceptionally rapid loss of biodiversity over the last few centuries, indicating that a sixth mass extinction is already under way. Averting a dramatic decay of biodiversity and the subsequent loss of ecosystem services is still possible through intensified conservation efforts, but that window of opportunity is rapidly closing.
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The human race faces many global to local challenges in the near future. Among these are massive biodiversity losses. The 2012 IUCN/SSC Red List reported evaluations of *56 % of all vertebrates. This included 97 % of amphibians, mammals, birds, cartilaginous fishes, and hagfishes. It also contained evaluations of *50 % of lampreys, *38 % of reptiles, and *29 % of bony fishes. A cursory examination of extinction magnitudes does not immediately reveal the severity of current biodiversity losses because the extinctions we see today have happened in such a short time compared to earlier events in the fossil record. So, we still must ask how current losses of species compare to losses in mass extinctions from the geological past. The most recent and best understood mass extinction is the Cretaceous terminal extinction which ends at the Cretaceous– Paleogene (K–Pg) border, 65 MYA. This event had massive losses of biodiversity (*17 % of families, [50 % of genera, and [70 % of species) and exterminated the dinosaurs. Extinction estimates for non-dinosaurian vertebrates at the K–Pg boundary range from 36 to 43 %. However, there remains much uncertainty regarding the completeness, preservation rates, and extinction magnitudes of the different classes of vertebrates. Fuzzy arithmetic was used to compare recent vertebrate extinction reported in the 2012 IUCN/SSC Red List with biodiversity losses at the end of K–Pg. Comparisons followed 16 different approaches to data compilation and 288 separate calculations. I tabulated the number of extant and extinct species (extinct ? extinct in the wild), extant island endemics, data deficient species, and so-called impaired species [species with IUCN/SSC Red List designations from vulnerable (VU) to critically endangered (CR)]. Species that went extinct since 1500 and since 1980 were tabulated. Vertebrate extinction moved forward 24–85 times faster since 1500 than during the Cretaceous mass extinction. The magnitude of extinction has exploded since 1980, with losses about 71–297 times larger than during the K–Pg event. If species identified by the IUCN/SSC as critically endangered through vulnerable, and those that are data deficient are assumed extinct by geological standards, then vertebrate extinction approaches 8900–18,500 times the magnitude during that mass extinction. These extreme values and the great speed with which vertebrate biodiversity is being decimated are comparable to the devastation of previous extinction events. If recent levels of extinction were to continue, the magnitude is sufficient to drive these groups extinct in less than a century.
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Large wild herbivores are crucial to ecosystems and human societies. We highlight the 74 largest terrestrial herbi-vore species on Earth (body mass > – 100 kg), the threats they face, their important and often overlooked ecosystem effects, and the conservation efforts needed to save them and their predators from extinction. Large herbivores are generally facing dramatic population declines and range contractions, such that ~60% are threatened with extinction. Nearly all threatened species are in developing countries, where major threats include hunting, land-use change, and resource depression by livestock. Loss of large herbivores can have cascading effects on other species including large carnivores, scavengers, mesoherbivores, small mammals, and ecological processes involving vegetation , hydrology, nutrient cycling, and fire regimes. The rate of large herbivore decline suggests that ever-larger swaths of the world will soon lack many of the vital ecological services these animals provide, resulting in enormous ecological and social costs.
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Kurzfassung Die halboffene Weidelandschaft des NSG Steinbühl-Schäfergraben (51 ha) wird seit Mai 2007 von einer Herde Tau-rusrinder und einigen Konikpferden ganzjährig beweidet. Im Zeitraum vom Juni bis September 2013 wurden insge-samt 15 Dunghaufen im Offenland, dem Wald und am Waldrand gesammelt und hinsichtlich ihrer Besiedlung mit Dungkäfern analysiert und ausgewertet. Es konnten 17 koprophage Dungkäferarten (Scarabaeoidea) nachgewiesen werden wobei die Artenzahl pro Dungprobe im Offenland am höchsten war. Die Struktur der Käfergemeinschaft unterscheidet sich zwischen den Lebensräumen. Rinder-und Pferdedung zeigten keine signifikanten Unterschiede in der Artenzahl oder der Struktur der Käfergemeinschaft. Im Vergleich mit anderen Weidegebieten findet sich eine hohe Anzahl von parakopriden Arten, die häufig erst nach jahrzehntelanger Weidekontinuität auftritt. Erwähnens-wert ist der erneute Nachweis von drei bundesweit vom Aussterben bedrohten Arten (Euoniticellus fulvus, Aphodius satellitius, Aphodius scrutator) für die Pfalz. Der hiermit publizierte Fund von 2013 dürfte nach Kenntnis der Autoren der aktuell nördlichste Fundort für diese 3 Arten in Deutschland sein. Abstract The coprophagous beetles of a pasture landscape extensively grazed by cattle an horses Since May 2007 we have studied the dung beetle fauna of a pasture landscape (51 ha) that is extensively grazed by cattle and horses year-round. A total of 15 dung samples were taken between June and September 2013 in grassland, forest and at forest edges. We have found 17 dung beetle species (Scarabaeoidea) including a relatively large number of eight paracoprid species. More species were found in grassland than in forest and at forest edge. Assemblage composition differed between habitat types. There was no significant difference regarding species richness and assemblage composition between horse and cattle dung. Remarkable species include Euoniticellus fulvus, Aphodius satellitius and A. scrutator, which are critically endangered in Germany. The hereby documented record is so far the northernmost recent record for these three species in Germany. Der Kernbereich des heutigen NSG Stein-bühl-Schäfergraben (N 49° 40', O 07° 59') wurde bis 1990 als Steinbruch benutzt. Das ehemalige Steinbruchgelände entwickelte sich nach Beendigung des Abbaus zu einem wertvollen Lebensraum für Vögel (z. B. Reb-huhn, Neuntöter) und Amphibien (z. B. Wechselkröte, Geburtshelferkröte). Neben über 280 Pflanzenarten beherbergt das Ge-biet auch eine der größten Populationen der Gelbbauchunke in der Pfalz. Die jedoch rasch einsetzende Verbuschung vieler Pionier-lebensräume führte zum Rückgang von Po-pulationen vieler Arten und drohte den na-turschutzfachlichen Wert der Fläche zu min-dern. Um diese Entwicklung aufzuhalten und eventuell umzukehren wird seit Mai 2007 auf 51 ha eine ganzjährige extensive Weide mit Taurusrindern (derzeit 21 Tiere) und Konik-pferden (7 Tiere) betrieben. Das Taurusrind ist eine Weiterzucht von Heckrindern durch Einkreuzung von überwiegend südeuropäi-schen Rassen. Die Beweidungsfläche enthält etwa 50 % Waldanteil und ist durch ein klein-räumig vorhandenes Mosaik verschiedener Lebensräume charakterisiert (Abb. 1). Beide Weidegängerarten nutzen während der Vege-tationszeit vorwiegend die offenen Bereiche, wobei die Pferde bevorzugt einen ehemaligen Acker mit kurzrasiger Vegetation beweiden und sich die Rinder mehr im Gebiet des ehe-maligen Steinbruchs aufhalten. Die Pferde haben aber auch signifikanten Einfluss auf die Waldstruktur. So wurden zum Beispiel fast alle wilden Kirschbäume (Prunus avium) im Gebiet bis in 2 m Höhe geschält und so zum Absterben gebracht. Eine Entwurmung der Weidegänger findet nur nach Bedarf und unregelmäßig statt. Ein Teil der Rinderherde wurde letztmals im April 2012 entwurmt.
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A forest-ecological research project in a beech forest area in Northern Bavaria investigated the correlation between the amount of deadwood and the occurence of xylobiontic beetles, terrestrical molluscs, fungi and breeding birds. Applying maximum selected ranking statistics the project identified threshold value of 38 to 60 m3/ha for significantly higher species numbers of xylobiontic beetle indicating near-naturalness, terrestrial molluscs and fungi (indicators for structural quality). The number of individuals of xylobiontic beetles with indication of near-naturalness was signficantly higher for amounts of more than 100m3/ha. The comparison to threshold values for deadwood from literature shows that critical threshold values mainly cover the spectrum between 40 an 60 m3/ha. Dominating factures for breeding birds were rather the age of the stands and the existence of caves and hollow trunks, the critical threshold values comprising 138 to 145 years as well as eight small caves per hectar. Due to these and further results the study recommends to differentiate forest management according to the initial situation and habitat tradition. For temperate forests the study distinguished four classes: Class 1: old forests or individual trees of > 180 years (Oak forests, coniferous forests in the mountains and on moors > 300 years), these should not be utilised anymore; Class 2: forests of > 140 years, here the amount of deadwood can comprise >40 m3/ha. Class 3: in forests of < 140 years tha amount of deadwood should comprise 20 m3/ha; Class 4: in forest stands dominated by species not appropriate to the site conditions no detailled concepts for dead wood can be defined, here priority should be given to a more siteadapted stocking. The age specifications for forests of class 1 are not to be adhered to rigidely; particularly stands with a high amount of structures but lower age can also be taken into class 1.
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Until recently in Earth history, very large herbivores (mammoths, ground sloths, diprotodons, and many others) occurred in most of the World's terrestrial ecosystems, but the majority have gone extinct as part of the late-Quaternary extinctions. How has this large-scale removal of large herbivores affected landscape structure and ecosystem functioning? In this review, we combine paleo-data with information from modern exclosure experiments to assess the impact of large herbivores (and their disappearance) on woody species, landscape structure, and ecosystem functions. In modern landscapes characterized by intense herbivory, woody plants can persist by defending themselves or by association with defended species, can persist by growing in places that are physically inaccessible to herbivores, or can persist where high predator activity limits foraging by herbivores. At the landscape scale, different herbivore densities and assemblages may result in dynamic gradients in woody cover. The late-Quaternary extinctions were natural experiments in large-herbivore removal; the paleoecological record shows evidence of widespread changes in community composition and ecosystem structure and function, consistent with modern exclosure experiments. We propose a conceptual framework that describes the impact of large herbivores on woody plant abundance mediated by herbivore diversity and density, predicting that herbivore suppression of woody plants is strongest where herbivore diversity is high. We conclude that the decline of large herbivores induces major alterations in landscape structure and ecosystem functions.
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(1) Adult Heteroptera were sampled regularly for 3 years, 1973-75, from experimental plots of Arrhenatherum-dominated calcareous grassland at Castor Hanglands N.N.R., Cambridgeshire. The experiment, in four replicates of four randomized block treatments, compared grassland cut in May (M), cut in July (J) and cut in both months (B), with untreated grassland (C). (2) Eighteen species were sufficiently abundant for statistical analysis. The data were pooled for three periods of the year: before the May cut (January to May), between cuts (May to July) and after the July cut (July to December). Fourteen species showed statistically significant effects of the cutting treatments in at least one period of the year; only once were numbers greater on a treatment than on the controls: in 1974, before the May cut, there were significantly more (P