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Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften
Prof. Dr. RALF MAITERTH/M.Sc. MALTE CHIRVI, Humboldt-Universitt zu Berlin*
Inhaltsbersicht
I. Einleitung
II. Auswirkungen alternativer Besteuerungsformen auf die
Steuerbelastung von Ehepaaren
III. Hhe und Zusammensetzung des Splittingeffekts
IV. Rechtsprechung des BVerfG
V. Ehegattensplitting in den Steuerwissenschaften
1. Beurteilung des Ehegattensplittings im juristischen
Schrifttum
a) Ehegattensplitting in der juristischen Literatur
ußerst umstritten
b) Ehegattensplitting und Besteuerung nach der
Leistungsfhigkeit
c) Frderung der Institution Ehe anstelle von
Familien
d) Diskriminierung insbesondere von Frauen
2. Ehegattensplitting in der Betriebswirtschaftlichen
Steuerlehre
3. Ehegattensplitting in der Finanzwissenschaft
a) Wandel in der Beurteilung des Ehegattensplittings
b) Ehegattensplittings in der „normativen“ Finanz-
wissenschaft
c) Ehegattensplitting in der „empirischen“ Finanz-
wissenschaft und der Optimalsteuertheorie
d) Weitere Argumente gegen das Ehegattensplitting
VI. Fazit
I. Einleitung
Das Ehegattensplitting ist sptestens seit der letzten
Bundestagswahl wieder in den Fokus der politischen
und wissenschaftlichen Diskussion gerckt. Whrend
die CDU/CSU sich fr eine Beibehaltung des Ehegat-
tensplittings ausspricht und sogar berlegungen in
Richtung eines Familiensplittings anstellt, wollen die
brigen im Bundestag vertretenen Parteien das Ehe-
gattensplitting abschaffen. An dessen Stelle soll eine
Individualbesteuerung treten, wobei die Ansichten
auseinander gehen, wie diese ausgestaltet sein soll.
Whrend die Partei DIE LINKE eine „reine“ Individualbe-
steuerung anstrebt, haben sowohl die SPD als auch
Bndnis 90/Die Grnen eine Individualbesteuerung mit
begrenztem Einkommenstransfer zwischen den Ehegat-
ten und somit ein Realsplitting auf ihrer Agenda.
Auch in den Steuerwissenschaften wird das Ehegat-
tensplitting seit langem kontrovers diskutiert. Wh-
rend das Ehegattensplitting in der rechtswissenschaft-
lichen Literatur, der Rechtsprechung des BVerfG fol-
gend, trotz heftiger Kritik mehrheitlich als sachge-
recht angesehen wird, berwiegen in der Finanzwis-
senschaft und der Betriebswirtschaftlichen Steuerleh-
re die Stimmen, die eine Abschaffung des Ehegatten-
splittings fordern.
Befrworter des Ehegattensplittings betonen den Ein-
kommenstransfer, der in einer Ehe als Erwerbs- und
Verbrauchsgemeinschaft stattfindet und steuerlich zu
bercksichtigen sei. Zudem beeinflusse das Ehegat-
tensplitting die innerfamilire Arbeitsteilung nicht
und biete auch keinen Anreiz zur Steuergestaltung.
Die Kritik am Ehegattensplitting richtet sich gegen
die Bevorzugung von (Einverdiener-)Ehepaaren mit
hohen Einkommen und die fehlende Familienfrde-
rung. Auch die negativen Erwerbsanreize fr Ehe-
frauen spielen eine wichtige Rolle. Zudem ist das Ehe-
gattensplitting dem Verdacht ausgesetzt, berkomme-
ne Strukturen zu konservieren und das Patriarchat zu
sttzen, kurzum das Ehegattensplitting gilt als frauen-
feindlich.
Die Diskussion ber das Ehegattensplitting ist nicht
neu, sondern wird seit langem und oftmals sehr emo-
tional gefhrt. Dies mndet in den Vorwrfen, das
Splitting sei „frauenfeindlich und kann Familien zerst-
ren“1und „arbeitsmarktpolitisch ein Skandal“2sowie der
Bezeichnung gutsituierter nicht erwerbsttiger Ehe-
frauen als „kuchenfressende Pelztierchen“3.Eswird
auch vom „Millionrsgattinnen-Effekt“4gesprochen.
Den Gegnern des Ehegattensplittings wird eine „pa-
thologische Fixierung auf einen nicht vorhandenen
,Splittingvorteil‘ attestiert“.5Eine Einigung ber die
zweckmßige Besteuerung von Ehepaaren konnte
bislang nicht erzielt werden und ist auch zuknftig
kaum zu erwarten.
Der folgende Beitrag zeigt die wesentlichen Argumen-
tationslinien fr und wider das Ehegattensplitting in
den drei Steuerwissenschaften auf. Ein kompletter Li-
teraturberblick ber das nahezu unberschaubare
Schrifttum zum Ehegattensplitting ist dagegen nicht
beabsichtigt. Ebenso werden nicht smtliche der an-
gefhrten Argumente dargestellt. Auch wird bei den –
aus Sicht der Autoren – wesentlichen Punkten nicht
jegliche Verstelung in der Argumentationsfhrung
dargelegt. All dies wrde den Umfang des Beitrags
sprengen. Vielmehr wird der Versuch unternommen,
*Prof. Dr. Ralf Maiterth ist Inhaber der KPMG-Stiftungsprofes-
sur fr Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Humboldt-
Universitt zu Berlin, Forschungsprofessor am DIW und Vor-
standsmitglied des Arbeitskreises Quantitative Steuerlehre
(arqus). M.Sc. Malte Chirvi ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
an diesem Lehrstuhl.
1Konrad, Zeit Online v. 15.8.2002 sowie Die Zeit 2002, Ausga-
be 34.
2 So laut Spiegel-Online v. 15.10.2013 der ehemalige SPD
Kanzlerkandidat Peer Steinbrck.
3Lang, StuW 1983, S. 114, spricht dabei von „neidvoller Pole-
mik gegen die Ehefrauen der Spitzenverdiener“.
4Mennel, Gutachten D zum 50. Deutschen Juristentages,
1974, S. D 175.
5Homburg, StuW 2000, S. 264.
StuW 1/2015 19
die grundlegenden Argumente fr bzw. gegen das
Ehegattensplitting in den einzelnen Steuerwissen-
schaften herauszuarbeiten.
II. Auswirkungen alternativer Besteuerungsformen
auf die Steuerbelastung von Ehepaaren
Im Folgenden werden drei mgliche Formen der Ehe-
gattenbesteuerung, die im vorliegenden Beitrag eine
Rolle spielen, kurz dargestellt. Auf die „rohe“ Haus-
haltsbesteuerung, die in Deutschland bis zum Jahr
1957 existierte und bei der das Einkommen beider
Eheleute zusammengerechnet und dem Regeltarif un-
terworfen wird, wird nicht eingegangen.6
Beim gegenwrtigen Ehegattentarifsplitting, nachfol-
gend Ehegattensplitting genannt, werden das zu ver-
steuernde Einkommen des Mannes (Y
M
) und der Frau
(Y
F
) zusammengerechnet und zur Berechnung der Ein-
kommensteuer (T) auf die Ehegatten so verteilt, als htte
jeder 50 % des gemeinsamen Einkommens erzielt:7
1) T = T[(Y
M
+Y
F
)/2] * 2
Im Fall der („reinen“) Individualbesteuerung wird je-
der Ehegatte eigenstndig besteuert und die Ehe
bleibt unbercksichtigt:
2) T = T(Y
M
)+T(Y
F
)
Eine dritte Form der Ehegattenbesteuerung ist das
sog. Ehegattenrealsplitting. Es handelt sich um eine In-
dividualbesteuerung, bei der ein Betrag (U) beim bes-
ser verdienenden Ehegatten, welcher annahmegemß
der Ehemann ist, abgezogen werden kann und beim
anderen Ehegatten zu versteuern ist (Realsplitting):
3) T = T(Y
M
–U)+T(Y
F
+U),mitU=Min
Sofern keine Begrenzung des Einkommenstransfers
auf einen Hchstbetrag (H) erfolgt, wirken das Real-
splitting und das Ehegattensplitting identisch. Eine
restriktive Variante des Realsplittings, wie sie von
Bndnis 90/DIE GRNEN ins Spiel gebracht wurde,
sieht vor, dass der Grundfreibetrag beim besserver-
dienenden Ehegatten lediglich insoweit abgezogen
werden darf, wie er das Einkommen des anderen Ehe-
gatten bersteigt.
III. Hhe und Zusammensetzung des Splittingeffekts
Im Zusammenhang mit den Verteilungswirkungen des
Ehegattensplittings steht der maximale tarifliche Split-
tingeffekt8in der Kritik. Dieser entspricht der Steuer-
ersparnis eines Ehepaars gegenber einer Individual-
besteuerung und betrgt gegenwrtig 15.761 ..Der
Splittingeffekt setzt sich aus drei Komponenten zu-
sammen:
1. Den doppelt gewhrten Grundfreibetrag. Der maxi-
male Grundfreibetragseffekt macht 3.509 .(42 % v.
8.354 .)aus.
2. Den Entlastungseffekt in der direkten Progres-
sionszone, der sich auf maximal 4.730 .beluft.
3. Die Steuerentlastung im Rahmen der „Reichen-
steuer“. Diese betrgt maximal 7.522 .(3 % v.
250.731 .).
Die Gegner des Ehegattensplittings stellen regelm-
ßig auf den maximalen (absoluten) Splittingeffekt9ab,
der knapp zur Hlfte auf die „Reichensteuer“ zurck-
zufhren ist und nur bei Alleinverdiener-Ehepaaren
mit einem zu versteuernden Einkommen ber
501.460 .zum Tragen kommt. Sobald beide Ehegatten
ihren Beitrag zum Familieneinkommen leisten, geht
der Splittingeffekt merklich zurck, wie Abbildung 1
belegt.
Bereits bei einer Einkommensverteilung im Verhltnis
90:10 unterschreitet der Splittingeffekt deutlich sei-
nen Maximalwert. Bei einer Einkommensverteilung
im Verhltnis 75:25, wie sie im Mittel bei deutschen
Ehepaaren in etwa vorliegt10, liegt der maximale Split-
tingeffekt nahezu immer unter 2.000 .. Selbst in der
Spitze bersteigt er 4.000 .nicht. Im Fall der Gleich-
verteilung der Einkommen beider Ehegatten betrgt
der Splittingeffekt unabhngig von der Einkommens-
hhe 0 ..
IV. Rechtsprechung des BVerfG
Eine („rohe“) Haushaltsbesteuerung, bei der das eheli-
che Gesamteinkommen dem Grundtarif unterworfen
wird, ist verfassungswidrig. Dies hat das BVerfG am
17.1.1957 (1 BvL 4/54) fr die bis dahin in Deutschland
geltende Haushaltsbesteuerung entschieden. Der Ge-
setzgeber hat darauf mit der Einfhrung des Ehegat-
tensplittings im Jahre 1958 reagiert.
Abbildung 1: Splittingeffekt bei unterschiedlicher
Verteilung des Einkommens
6 Die mit dieser Besteuerung verbundene „marriage penal-
ty“ wird einhellig kritisiert (vgl. Carpenter/Lassila/Smith,
JLERI 2013, S. 107-130; Feldmann/Fichtner, Mercatus Cen-
ter WP 12-24 2012, S. 1-16).
7 Genau genommen werden die Summe der Einknfte der
Ehegatten zusammengerechnet, davon die gesamten Son-
derausgaben sowie die außergewhnlichen Belastungen
abgezogen und das sich danach ergebende zu versteuern-
de Einkommen wird gleichmßig auf die Ehegatten ver-
teilt.
8 Zudem bewirkt das Ehegattensplitting einen Verlustaus-
gleich zwischen positiven und negativen Einknften der
Ehegatten, was jedoch eher selten adressiert bzw. kritisiert
wird (anders Vol l mer, Das Ehegattensplitting, 1998, S. 93).
9 Sie sprechen von einem „Splittingvorteil“. Da dieser je-
doch eine Individualbesteuerung als „richtige“ Form der
Ehegattenbesteuerung impliziert, verwenden wir den neut-
ralen Begriff „Splittingeffekt“.
10 Aus der Einkommensteuerstatistik 2007 ergibt sich in
etwa diese Verteilung.
20 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften StuW 1/2015
Ob das Ehegattensplitting verfassungsrechtlich zwin-
gend ist, lsst sich nicht zweifelsfrei sagen. Es ist in
jedem Fall verfassungskonform. Das BVerfG fhrt in
seiner Entscheidung vom 3.11.1982 aus: „Das Splitting-
verfahren entspricht dem Grundsatz der Besteuerung
nach der Leistungsfhigkeit. Es geht davon aus, dass zu-
sammenlebende Ehegatten eine Gemeinschaft des Er-
werbs- und Verbrauchs bilden, in der ein Ehegatte an
den Einknften und Lasten des anderen wirtschaftlich je-
weils zur Hlfte teilhat. [...] Damit knpft das Splitting an
die wirtschaftliche Realitt der intakten Durchschnittsehe
an, in der ein Transfer steuerlicher Leistungsfhigkeit
zwischen den Partnern stattfindet. Diese Ehegattenbe-
steuerung steht auch in Einklang mit den Grundwertun-
gen des Familienrechts. Die Institute des Zugewinnaus-
gleichs und neuerdings des Versorgungsausgleichs las-
sen den Grundsatz erkennen, dass das whrend der Ehe
Erworbene gemeinschaftlich erwirtschaftet ist.“Ferner
handele es sich beim Ehegattensplitting um „keine be-
liebig vernderbare Steuer-,Vergnstigung‘, sondern [...]
eine [...] sachgerechte Besteuerung“.11 Die Sichtweise
der Ehe als Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft hat
das BVerfG erst jngst in seiner Entscheidung zur An-
wendung des Splittingverfahrens auf eingetragene Le-
benspartnerschaften besttigt.12
Eine Individualbesteuerung erscheint dagegen unzu-
lssig, da das BVerfG die Steuerfreistellung des fami-
liren Existenzminimums fordert.13 Daher steht dem
Gesetzgeber wohl bestenfalls ein Realsplitting mit
bertragbarem Grundfreibetrag als Minimalform der
steuerlichen Bercksichtigung der Ehe offen.
V. Ehegattensplitting in den Steuerwissenschaften
1. Beurteilung des Ehegattensplittings im juristischen
Schrifttum
a) Ehegattensplitting in der juristischen Literatur ußerst
umstritten
Das Ehegattensplitting ist im steuerjuristischen
Schrifttum ußerst umstritten, wenn es um den gesetz-
lichen Gterstand der Zugewinngemeinschaft geht.
Die Einschtzung reicht von „Fremdkrper im deut-
schen Einkommensteuerrecht“14 bis zu „verfassungs-
rechtlich gebotene Form der Ehegattenbesteuerung“15.
Weitgehende Einigkeit herrscht dagegen darber, wie
die adquate Besteuerung der beiden (vertraglichen)
Rechtsstnde „Gtertrennung“ und „Gtergemein-
schaft“ aussehen sollte.16
Im Fall der Gtertrennung verfgen die Eheleute ber
zwei getrennte Vermgensmassen. Die Einknfte ei-
nes Ehegatten fließen in seine Vermgensmasse und
sein Partner hat zivilrechtlich weder whrend der Ehe
noch nach deren Beendigung einen Anspruch auf die-
ses Vermgen und die daraus resultierenden Einknf-
te. Von daher wird argumentiert, dass sich die Eheleu-
te wissentlich gegen ein gemeinsames Wirtschaften
entschieden htten, und von daher eine Individualbe-
steuerung der Ehegatten angezeigt sei.17
Haben Eheleute vertraglich eine Gtergemeinschaft
vereinbart, wird das Vermgen der Partner gemein-
schaftliches Vermgen (Gesamtgut), und die erzielten
Einknfte fallen ebenfalls unter dieses Gesamtgut.18
Die Ehegatten vereinnahmen das gemeinschaftliche
Einkommen damit zivilrechtlich jeweils zur Hlfte, so
dass das Ehegattensplitting als gerechtfertigt gilt.19
Ansonsten ist das Ehegattensplitting unter Juristen
nach wie vor ußerst umstritten.20 Die Diskussion
ber das Ehegattensplitting weist unterschiedliche Fa-
cetten auf, die zugunsten oder gegen das Ehegatten-
splitting angefhrt werden.
b) Ehegattensplitting und Besteuerung nach der
Leistungsfhigkeit
aa) Ehe als Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft
In bereinstimmung mit der Auffassung des BVerfG
sehen die Befrworter des Ehegattensplittings in der
Ehe eine Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft.21 Da
im Rahmen der Erwerbsgemeinschaft steuerliche
Leistungsfhigkeit vom Ehegatten, der das hhere
(Markt-)Einkommen erzielt, auf den Ehegatten mit
dem niedrigeren (Markt-)Einkommen bertragen wer-
de, bewirke das Splittingverfahren eine Besteuerung
11 BVerfG v. 3.11.1982, 1 BvR 620/78; 1 BvR 1335/78; 1 BvR
1104/79; 1 BvR 363/80, Rz. 105.
12 BVerfG v. 7.5.2013, 2 BvR 909/06; 2 BvR 1981/06; 2 BvR 288/
07.
13 BVerfG v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93.
14 Schuler-Harms, FPR 2012, S. 298.
15 Merkt, DStR 2009, S. 2226.
16 Vgl. dazu Seer, in: Drenseck/Seer, FS fr Heinrich Wilhelm
Kruse, 2001, S. 364 f.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung2,
2000, S. 376 ff..; Vogel, in: Verhandlungen des 50. Deut-
schen Juristentages, 1974, S. L 182; Vogel, StuW 1999,
S. 208; Vollmer (FN 8) S. 93.
17 Vgl. Felix, in: Seel, Ehegattensplitting und Familienpolitik,
2007, S. 81 f..; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Ein-
kommensteuer, 1988, S. 630; Tipke (FN 16) S. 379; Vogel,
DStR 1977, 38; Vogel, StuW 1999, S. 208. Baumgarten/
Houben, StuW 2014, S. 124 f., weisen darauf hin, dass nicht
immer getrenntes Wirtschaften urschlich fr eine Gter-
trennung sein muss, sondern diese bspw. auch begrndet
wird, um das Privatvermgen gegen unternehmerische Ri-
siken abzuschirmen.
18 Jedoch kann ein Vermgensgegenstand durch Ehevertrag
zum sog. Vorbehaltsgut (§ 1418 BGB) erklrt werden. Die-
ses bleibt Eigentum des betreffenden Ehegatten und die
erzielten Ertrge stehen einzig diesem zu.
19 Vgl. Bckenfrde, StuW 1986, S. 339; Lang (FN 17) S. 628;
Seer (FN 16) S. 363; Vogel, StuW 1999, S. 209.
20 Dies war bereits vor vier Jahrzehnten der Fall und schlug
sich in einem Beschluss des 50. Deutschen Juristentag nie-
der, wo eine knappe Mehrheit fr die Abschaffung des
Ehegattensplittings und die Einfhrung einer Individualbe-
steuerung pldierte (vgl. Verhandlungen des 50. Deut-
schen Juristentags 1974, S. L 230).
21 Vgl. bspw. Felix (FN 17) S. 82; Haarmann, in: Verhandlun-
gen des 50. Deutschen Juristentages, 1974, S. L 186; Kirch-
hof, NJW 2000, 2794; Lang (FN 17) S. 629; Merkt,DStR
2009, S. 2223; Seer (FN 16) S. 364; Seiler, in: Seel, Ehegatten-
splitting und Familienpolitik, 2007, S. 13; Tipke (FN 16)
S. 378. Tipke betont jedoch, dass die rechtliche und wirt-
schaftliche Situation von Eheleuten in Deutschland nicht
zwingend ein Ehegattensplitting erfordert, vgl. Tipke
(FN 16) S. 381.
StuW 1/2015 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften 21
entsprechend dem Leistungsfhigkeitsprinzip.22 Die
Halbteilung des zu versteuernden Einkommens wird
dabei sowohl mit den Grundwertungen des Familien-
rechts als auch mit der Lebenswirklichkeit in der „in-
takten Durchschnittsehe“ begrndet.23 Gegner des
Ehegattensplittings bestreiten dagegen die Existenz
einer Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft sowohl
im rechtlichen als auch im tatschlichen Sinne.24
Die kontroverse Diskussion ber das Vorliegen einer
Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft liegt insbeson-
dere in der rechtlichen Ausgestaltung des gesetzli-
chen Gterstands der Zugewinngemeinschaft begrn-
det. Die Zugewinngemeinschaft tritt von Rechts we-
gen ein, wenn die Ehegatten nicht vertraglich etwas
anderes vereinbaren, und ist der mit Abstand am wei-
testen verbreitete Gterstand.25 Sie beinhaltet wh-
rend des Bestehens der Ehe eine Gtertrennung, d.h.,
ein Ehegatte partizipiert whrend der Ehe nicht auto-
matisch an der Hlfte der Vermgensgegenstnde, die
der andere Ehegatte erwirbt. An die Stelle der dingli-
chen Teilhabe tritt ein schuldrechtlicher Ausgleichs-
anspruch auf die Hlfte des whrend der Ehe erwirt-
schafteten Zugewinns.26 Der Ausgleichsanspruch wird
jedoch erst bei Auflsung des gesetzlichen Gterstan-
des durch Scheidung, Tod oder Vertrag realisiert.
Befrworter des Ehegattensplittings verweisen da-
rauf, dass sich die Zugewinnausgleichsforderung kon-
tinuierlich im Laufe der Ehezeit entwickele und dass
das Ehegattensplitting dem Rechnung trage. Die Zuge-
winnausgleichsforderung wrde im Zeitpunkt ihres
wirtschaftlichen Entstehens whrend der Ehezeit „pe-
riodisiert“ und die aus wirtschaftlicher Sicht gegebene
hlftige Teilung des Einkommens adquat bercksich-
tigt.27 NebendenrechtlichenAspektendesZugewin-
nausgleichs wird auch auf die „intakte Durchschnitts-
ehe“ verwiesen, in der sich die Ehepartner wechselsei-
tig untersttzten und sowohl am wirtschaftlichen Er-
folg als auch an den Lasten des jeweils anderen parti-
zipierten, wodurch ein Transfer wirtschaftlicher Leis-
tungsfhigkeit stattfinde.28
Zudem betonen Befrworter des Ehegattensplittings
unterhaltsrechtliche Aspekte. „Es ist zwar richtig, dass
der Unterhaltsanspruch des haushaltsfhrenden Ehegat-
ten im Familienunterhalt aufgeht. Aber dadurch wird ge-
rade deutlich, dass §§ 1360, 1360 a BGB die Ehe im tgli-
chen Leben als Verbrauchs- und Wirtschaftsgemein-
schaft begreifen, in die beide Ehegatten ihren Anteil er-
werbswirtschaftlich-monetr oder durch Haushaltsfh-
rung gleichberechtigt einbringen“.29 In diesem Zusam-
menhang wird auch das Scheidungsrecht genannt.
§ 1578 BGB, der den Scheidungsunterhalt regelt,
nimmt Bezug auf die ehelichen Lebensverhltnisse.
Im Rahmen dieser Regelung gehen die Zivilgerichte
vom sog. Halbteilungsgrundsatz aus.30 Da die Ehegat-
ten whrend des Bestehens der Ehe gleichmßig am
Lebensstandard partizipierten, sei bei der Aufteilung
des Einkommens grundstzlich jedem Ehegatten die
Hlfte davon zuzubilligen. Von daher liege dem Zivil-
recht die Vorstellung einer hlftigen Zuordnung der
whrend einer Ehe erwirtschafteten Einknfte zu-
grunde.31
Auch der Versorgungsausgleich (§ 1587 BGB), der im
Scheidungsfall neben den Zugewinnausgleich tritt,
wird zugunsten des Ehegattensplittings angefhrt. Bei
Scheidung werden die whrend der Ehe erworbenen
Rentenanwartschaften gleichmßig auf die Ehegatten
verteilt. Seer spricht vom „Rentensplitting“, das nicht
nur ußerlich mit dem Ehegattensplitting gleichgela-
gert sei.32
Gegner des Ehegattensplittings bestreiten dagegen
die Existenz einer Erwerbs- und Verbrauchsgemein-
schaft sowohl mit Verweis auf das Zivilrecht als auch
auf die tatschlichen Lebensverhltnisse. Die Ehe als
Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft gilt als „Fik-
tion“.33
Im Hinblick auf die Zugewinngemeinschaft wird auf
die zivilrechtlich vorliegende Gtertrennung wh-
rend der Ehezeit abgestellt.34 Whrend der Ehe be-
grnde der gesetzliche Gterstand aus rechtlicher
Sicht keine Erwerbsgemeinschaft und somit auch kei-
ne Teilung des Einkommens, mit dem sich das Ehegat-
tensplitting rechtfertigen ließe.35 Daran ndere auch
das Institut des Versorgungsausgleichs nichts.36
Eine gleichmßige Verteilung des Einkommens wird
auch mit Hinweis auf das Unterhaltsrecht verneint.
Die whrend der Ehezeit nach § 1360 BGB bestehende
Verpflichtung zum gegenseitigen Unterhalt werde
durch die Gleichwertigkeit von Haushalts- und Er-
werbsarbeit ausgeglichen. Der Unterhaltsanspruch
des nicht erwerbsttigen Ehegatten beschrnke sich
auf Naturalleistung, wie die Mitbenutzung der Woh-
nung und andere Gebrauchsrechte; der (Bar-)Unter-
haltsanspruch belaufe sich lediglich auf ein Taschen-
geld zur Deckung des individuellen Bedarfs.37 Vo n d a -
22 Vgl. Lang, StuW 1983, S. 112.
23 Vgl. bspw. Lang (FN 17) S. 630; Spangenberg, in: Seel, Ehe-
gattensplitting und Familienpolitik, 2007, S. 56.
24 Vgl. bspw. Sacksofsky, NJW 2000, 1899 f.; Vollmer, in: Seel,
Ehegattensplitting und Familienpolitik, 2007, S. 41 f.
25 Nach Baumgarten/Houben, StuW 2014, S. 127, betrifft dies
ber 86 % der Flle. Eine Gtergemeinschaft wird in
knapp 9 % der Ehen vereinbart und Gtertrennung in et-
was mehr als 3 %.
26 Vgl. Seer (FN 16) S. 364.
27 Vgl. Felix (FN 17) S. 82; Lang (FN 17) S. 629; Seer (FN 16)
S. 364.
28 Vgl. Felix (FN 17) S. 83 f.; Lang, StuW 1983, S. 113; Merkt,
DStR 2009, 2223; Seiler (FN 21) S. 13.
29 Seer (FN 16) S. 366 f.
30 Vgl. Felix (FN 17) S. 83 f.; Seer (FN 16) S. 368; Shn,in:L-
decke/Scherf/Steden, Wirtschaftswissenschaft im Dienste
der Verteilungs-, Geld- und Finanzpolitik – Festschrift fr
Alois Oberhauser, 2000, S. 429. Der in der Praxis bliche
Unterhaltssatz von 3/7 des Erwerbseinkommens ent-
spricht nach Seer virtuell einer Halbteilung, bei der die Er-
werbsaufwendungen des Unterhaltsverpflichteten pau-
schal bercksichtigt sind, vgl. Seer (FN 16) S. 368.
31 Vgl. Felix (FN 17), S. 84.
32 Vgl. Seer (FN16),S.364.AuchFelix (FN 17) S. 83, zieht Pa-
rallelen zwischen dem Renten- und dem Ehegattensplit-
ting.
33 Vgl. Spangenberg (FN 23) S. 56; Vollmer (FN 24) S. 40.
34 Vgl. Bckenfrde, StuW 1986, S. 339; Sacksofsky,NJW2000,
1900; Vollmer (FN 24) S. 41 f.
35 Vgl. Felix (FN 17) S. 81; Schuler-Harms, FPR 2012, S. 299;
Vollmer (FN 24) S. 41.
36 Vgl. Vollmer (FN 24) S. 41.
37 Vgl. Vollmer (FN 24) S. 41.
22 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften StuW 1/2015
her liege eine Halbteilung des Einkommens whrend
der Ehe nicht vor.38 Ebenso wenig lasse sich das Split-
ting mit dem Trennungsunterhalt (§ 1361 BGB), bei
dem pauschalierend die Halbierung des Einkommens
der Eheleute zugrunde gelegt wird, begrnden, da die-
ser in vielen Fllen geschuldet aber nicht geleistet
werde.39
Aber auch tatschlich knnten die Eheleute bereits
whrend der Ehezeit nicht in gleicher Weise ber das
Einkommen verfgen, da dies so nicht gelebt werde.
Die Existenz der „intakten Durchschnittsehe“, in der
eine Gleichverteilung des Einkommens stattfindet,
wird angezweifelt. Nach Spangenberg deutet bereits
der Umstand, dass der Gterstand der Gtergemein-
schaft nur selten gewhlt wird, darauf hin, dass eine
Gleichverteilung des ehelichen Einkommens nicht
praktiziert werde.40
Im Zusammenhang mit der (intakten Durchschnitts-)
Ehe als Wirtschafts- und/oder Verbrauchsgemein-
schaft wird auch die fehlende empirische Evidenz be-
tont.41 Sacksofsky verweist auf die Existenz von Allein-
verdiener-Ehen, in denen der Frau lediglich ein eher
knappes Wirtschaftsgeld zugebilligt werde, und ver-
weist auf den Schindelmacher in „Die kleine Hexe“,
ein Werk von 1957.42 Nach Spangenberg zeigt „der An-
teil von 39 % Einverdienstehen, die vom Ehegattensplit-
ting profitieren,[...]deutlich, dass eine gleiche Teilhabe
an den Einknften nicht gemeint sein kann“.43
bb) Ehegattensplitting und Gleichmßigkeit der
Besteuerung
Von der Einschtzung, ob die Ehe eine Erwerbs- und
Verbrauchsgemeinschaft bildet oder nicht, hngt auch
die verteilungspolitische Beurteilung des Ehegatten-
splittings ab.
Fr Befrworter des Ehegattensplittings wird eine
berhhte Besteuerung von Ehepaaren verhindert.44
Von daher stelle das Ehegattensplitting auch keine
Vergnstigungsnorm dar.45 Vielmehr gewhrleiste es
die horizontale Gleichmßigkeit der Besteuerung, da
Ehepaare mit identischem Einkommen gleich belastet
werden.46 Der Vergleich mit Alleinerziehenden47 oder
unverheirateten Paaren48 wird als nicht angemessen
angesehen. Auch die vertikale Gleichmßigkeit der
Besteuerung werde sichergestellt. Der mit steigendem
Einkommen – zumindest bei Einverdiener-Ehepaaren
– zunehmende (absolute) Splittingeffekt (s. Abbil-
dung 1) wird als „Reflex“ des progressiven Steuertarifs
eingestuft.49
Gegner des Ehegattensplittings sehen dagegen eine
Bevorzugung von Ehepaaren gegenber nicht-verhei-
rateten Paaren50 und Alleinstehenden mit Kindern51
sowie eine Frderung der Einverdiener-Ehen52 und
mithin die horizontale Gleichmßigkeit der Besteue-
rung verletzt.53 Die Individualbesteuerung (oder ein
Realsplitting) wird als sachgerechte Besteuerung von
Ehepaaren angesehen, auch wenn dies nicht immer
explizit ausgefhrt wird. Damit ist vorgezeichnet, dass
das Ehegattensplitting aufgrund des mit dem Einkom-
men steigenden Splittingeffekts auch im Hinblick auf
die vertikale Gleichmßigkeit kritisiert wird.54
cc) Steuergestaltung durch Einknfteverlagerung
Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit der
Gleichmßigkeit der Besteuerung ist die Gestaltungs-
anflligkeit steuerlicher Regelungen. Dabei geht es
um die Mglichkeit der Einkommensverlagerung zwi-
schen Ehegatten.55 Befrworter des Ehegattensplit-
tings verweisen auf die Mglichkeit, im Fall der Ab-
schaffung des Ehegattensplittings durch Einknftever-
lagerung ein faktisches Splitting herbeizufhren.56 Da
dies lediglich Beziehern von unternehmerischen Ein-
knften sowie Einknften aus Vermietung und Ver-
pachtung sowie Kapitalvermgen mglich sei, kom-
me es zur Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren
mit identischem Gesamteinkommen. Vogel verweist
dabei auf einen Beschluss des BVerfG vom 27.6.1991,
wonach der Gleichheitssatz die tatschliche und nicht
nur die rechtlich gleiche Belastung der Brger verlan-
ge.57 Auch die Praktikabilitt der Besteuerung wird zu-
gunsten des Splittings angefhrt.58
c) Frderung der Institution Ehe anstelle von Familien
Ein gewichtiges Argument gegen das Ehegattensplit-
ting lautet, dass es die Institution „Ehe“, nicht jedoch
Familien frdere.59 Hintergrund ist die Vorstellung,
38 Vgl. Bckenfrde, StuW 1986, S. 339; Spangenberg (FN 23)
S. 56; Vollmer (FN 24) S. 41.
39 Vgl. Spangenberg (FN 23) S. 57, wonach mehr als die Hlfte
der Berechtigten keinen Trennungsunterhalt beziehen.
40 Vgl. Spangenberg (FN 23) S. 60.
41 Vgl. Schuler-Harms, FPR 2012, S. 299; Spangenberg (FN 23)
S. 61.
42 Vgl. Sacksofsky, NJW 2000, 1900.
43 Vgl. Spangenberg (FN 23) S. 60.
44 Vgl. Seiler (FN 21) S. 14.
45 Vgl. Lang, StuW 1983, S. 113; Shn (FN 30) S. 433.
46 Vgl. Haarmann (FN 21) S. L 187; Lhr/Serwe, Das Ehegatten-
splitting auf dem Prfstand, 2011, S. 30; Seiler (FN 21) S. 13;
Tipke (FN 16) S. 385.
47 Vgl. Lang, StuW 1983, S. 114.
48 Vgl. Tipke (FN 16) S. 387.
49 Seiler (FN 21) S. 31; in diesem Sinne auch Lhr/Serwe
(FN 46) S. 29; Vogel, StuW 1999, S. 204.
50 Vgl. z.B. Schuler-Harms, FPR 2012, S. 299.
51 So z.B. Mennel (FN 4) S. D 172; Zeidler, in: Benda, Hand-
buch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutsch-
land, 1984, S. 602.
52 Vgl. Vollm er (FN 24) S. 46.
53 Fr Sacksofsky, NJW 2000, 1899, ist der „relevante Ver-
gleichspunkt die Leistungsfhigkeit der Ehegatten, jeweils
als Individuen betrachtet“.
54 Vgl. z.B. Mennel (FN 4) S. D 172.
55 Vgl. zu verschiedenen Formen der Einknfteverlagerung
Vogel, StuW 1999, S. 216.
56 Vgl. Seiler (FN 21) S. 21; Tipke (FN 16) S. 384.
57 Vgl. Vogel, StuW 1999, S. 218.
58 In der Gesetzesbegrndung zur Einfhrung des Ehegatten-
splittings wird darauf hingewiesen, dass „nur eine Zusam-
menveranlagung der Ehegatten den praktischen Bedrfnis-
sen gerecht wrde und auch die Steuermoral wahre“. (vgl.
BT-Drucks. 3/260 v. 7.3.1958, S. 33). Nach Tipke,i
stdas
„Splitting tatschlich an Praktikabilitt nicht zu berbieten“
(Tipke, in: Verhandlungen des 50. Deutschen Juristenta-
ges, 1974, S. L 185).
59 Vgl. Bckenfrde, StuW 1986, S. 339; Schuler-Harms, FPR
2012, S. 300; Vollmer (FN 24) S. 43; Zeidler (FN 51) S. 601 f.
StuW 1/2015 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften 23
dass zunehmend mehr Ehepaare kinderlos seien und
Kinder insbesondere von Alleinerziehenden bzw.
nichtverheirateten Paaren aufgezogen wrden.60 Zeid-
ler verweist auf „die Ehefrau ohne Kinder und ohne be-
rufliche Arbeit [, die] ein der Pflege ihrer Hobbies und ge-
sellschaftlichen Verpflichtungen gewidmetes, weitge-
hend belastungsfreies Hausfrauendasein fhrt“.61 Voll-
mer erkennt eine „Schieflage“ bei der Besteuerung
von Ehen und Familie und leitet daraus gleichheits-
rechtliche Probleme ab.62 Zudem wird die „Eheneutra-
litt“ einer Individualbesteuerung betont, da sich die
Steuerschuld der Beteiligten bei einer derartigen Be-
steuerung durch die Eheschließung nicht ndert.63
Befrworter des Ehegattensplittings argumentieren,
dass das Ehegattensplitting gar nicht auf eine Fami-
lienfrderung ausgelegt sei, sondern lediglich eine
angemessene und gleichmßige Besteuerung von
Ehepaaren sicherstelle.64 Sie verweisen darauf, dass
das BVerfG das Ehegattensplitting nicht als Maßnah-
me zur Familienfrderung bewerte, sondern auf das
Benachteiligungsverbot abstelle.65 Das Ehegattensplit-
ting sei eine sachgerechte Form der Ehegattenbe-
steuerung, von daher sei die Existenz von Kindern fr
die Frage nach der „richtigen“ Ehegattenbesteuerung
irrelevant.66 Im Zusammenhang mit der Familienfrde-
rung verweisen Lhr/Serwe darauf, dass der Splitting-
effekt in der Realitt zu 90 % auf Ehepaare mit Kin-
dern entfalle, so dass das Ehegattensplitting die Frde-
rung des typischerweise auf Kindererziehung ausge-
richteten Instituts der Ehe bewirke.67
d) Diskriminierung insbesondere von Frauen
Ein bedeutsamer, wenn nicht gar der zentrale Kritik-
punkt am Ehegattensplitting ist die Diskriminierung,
allen voran die Frauendiskriminierung, und damit ein
Verstoß gegen Art. 3 GG. Dabei werden verschiedene
Aspekte angefhrt.
Ein hufig genannter Punkt ist die Einverdiener-Ehe
und das damit zusammenhngende traditionelle Fami-
lien- bzw. Rollenverstndnis. Hier lautet der zentrale
Vorwurf die steuerliche Frderung der „Hausfrauen-
ehe“.68 Nach Scker besitzt das Ehegattensplitting „zu-
mindest psychologisch den Makel einer staatlichen Pr-
miierung der Nur-Hausfrauenttigkeit“.69 Das Splitting
bedeutet fr Mennel bei „objektiver Betrachtung [...]
eine unsoziale und kostspielige Subvention fr gutsitu-
ierte Hausfrauen-Ehen“.70 Vollmer verweist in diesem
Zusammenhang auf den Beschluss des BVerfG vom
17.1.1957, wonach eine Benachteiligung der Doppel-
verdiener-Ehe geeignet sei, die Hausfrauen-Ehe zu be-
gnstigen.71 Die steuerliche Benachteiligung der Dop-
pelverdiener-Ehe leitet Vollmer wiederum aus der er-
kannten „speziellen Frderung“ der Einverdiener-Ehe
durch das Ehegattensplitting ab, welche wiederum
nur der verdienenden Person, also i.d.R. dem Ehe-
mann, zugutekme.72 Eine Diskriminierung von Dop-
pelverdiener-Ehepaaren sieht auch Koritz-Dohrmann:
„Zwei Ehepartner, die beide erwerbsttig sind, [...] trei-
bensichimErgebnisnochgegenseitiginderProgression
hoch und subventionieren mit ihren Steuerleistungen
das traditionelle Ehebild“.73 Vollmer erkennt darber hi-
naus eine Benachteiligung Alleinstehender sowie
nichtverheirateter Paare aber auch von Ehepaaren, in
denen beide Partner Einkommen erzielen74,whrend
Mennel eine Diskriminierung von „Halbfamilien“ aus-
macht.75
Ein weiterer Kritikpunkt sind die (negativen) Auswir-
kungen auf die Erwerbsttigkeit der (Ehe)Frauen.76
Koritz-Dohrmann hlt das Ehegattensplitting von da-
her fr einen „ganz exemplarischen Diskriminierungs-
tatbestand weiblicher Erwerbsttigkeit“.77 Auch hier
wird insbesondere auf die Einverdiener-Ehe abge-
stellt. Da fr diese der Steuervorteil strker ausge-
prgt sei als bei Zweiverdiener-Ehepaaren, bestehe
ein Anreiz zur arbeitsteiligen Ehe. Vollmer fhrt in die-
sem Zusammenhang aus: „Whrend ein zweites Ein-
kommen nach den Gesetzen des Marktes zu doppeltem
Wohlstand fhren msste, [...] schrnkt das Splitting [...]
Anreize fr eine Berufsttigkeit von Ehefrauen ein. Das
Splitting selbst setzt starke Anreize fr eine Spezialisie-
rung, denn es macht danach keinen Unterschied, wer
von beiden zustzliches Einkommen erwirbt“.78 Sie fhrt
weiter aus: „Solange in einer Ehe alles zum besten steht,
ist es fr einen Haushalt nach dem Splittingverfahren
konomisch optimal, die Erzielung des gesamten Haus-
haltseinkommens bei demjenigen Ehegatten zu konzen-
trieren, der den hheren Stundenverdienst hat. Dagegen
liegt das konomische Optimum bei einem Individual-
steuersystem bei jener Struktur der Einkommensvertei-
lung, bei welcher der marginale Nettoverdienst einer zu-
stzlichen Arbeitsstunde fr beide Ehepartner gleich
groß ist“.79 Diskriminiert werde also die Person, die
60 Vgl. Vollmer (FN 24) S. 51.
61 Zeidler (FN 51) S. 601.
62 Vgl. Vollmer (FN 24) S. 38.
63 Vgl. Sacksofsky in: Seel, Ehegattensplitting und Familien-
politik, 2007, S. 338.
64 Vgl. Lang, StuW 1983, S. 117; Sandweg, DStR 2014, 2102.
65 Vgl. Lang, StuW 1983, S. 117.
66 Vgl. Shn (FN 30) S. 416; Sandweg, DStR 2014, 2102.
67 Lhr/Serwe (FN 46) S. 31 ff., verweisen auf empirische Un-
tersuchungen hierzu.
68 Vgl. Mennel (FN 4) S. D 175; Sacksofsky, NJW 2000, 1899.
69 Scker, in: Verhandlungen des 50. Deutschen Juristenta-
ges, 1974, S. L 39.
70 Mennel (FN 4) S. D 176. So auch Vo llm e r (FN 24) S. 43.
71 Vgl. Vol l mer (FN 24) S. 46. Die angefhrte Entscheidung
des BVerfG bezieht sich jedoch auf die als verfassungswid-
rig eingestufte (rohe) Haushaltsbesteuerung.
72 Vgl. Vollmer (FN 24) S. 46.
73 Koritz-Dohrmann, in: Verhandlungen des 50. Deutschen Ju-
ristentages, 1974, S. L 189.
74 Vgl. Vollmer (FN 24) S. 43.
75 Vgl. Mennel (FN 4) S. D 171.
76 Vgl. Bckenfrde, StuW 1986, S. 339; Sacksofsky (FN 63)
S. 339; Schuler-Harms, FPR 2012, S. 300.
77 Koritz-Dohrmann (FN 73) S. L 188.
78 Vollmer (FN 24) S. 45.
79 Vollmer (FN 8) S. 129. Es sei angemerkt, dass es aus ge-
samtgesellschaftlicher Sicht selbstverstndlich optimal ist,
eine Arbeitsteilung entsprechend den komparativen Pro-
duktivittsvorteilen vorzunehmen. Dies ist bei Ehepaaren
nicht anders. Derjenige Ehegatte mit der hheren Produk-
tivitt, die sich in der Regel in einem hheren Stunden-
lohn niederschlgt, sollte die Marktproduktion ttigen,
whrend der Partner mit der geringeren (Markt-)Produk-
tivitt (ganz oder teilweise) die Haushaltsproduktion ber-
nehmen sollte.
24 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften StuW 1/2015
sich fr die zweite Erwerbsttigkeit entscheiden ms-
se, von daher liege eine mittelbare Frauendiskriminie-
rung vor.80 Daraus zieht Vollmer den Schluss: „Das Ehe-
gattensplitting kann nicht der konomischen Selbstn-
digkeit der Frau und somit nicht ihrer Emanzipation die-
nen, im Gegenteil, es diskriminiert mittelbar beruflich
ambitionierte Frauen“.81 Mennel sieht durch das Ehe-
gattensplitting nicht nur erwerbsttige Ehefrauen dis-
kriminiert82, sondern auch erwerbsttige alleinerzie-
hende Mtter und Vter, da diese das Splittingverfah-
ren nicht in Anspruch nehmen knnen.83
Auch sei die Neutralitt des Ehegattensplittings im
Hinblick auf die interfamilire Einkommensverteilung
und damit -erzielung nur vordergrndig gegeben.
„Das wre dann richtig, wenn es – unter Gleichberechti-
gungsaspekten – wirklich irrelevant wre, wie die Ein-
kommensverteilung in der Ehe aussieht“.84 Auch Voll-
mer argumentiert in diese Richtung, denn „die grund-
stzliche verfassungsrechtliche Kritik am Ehegattensplit-
ting wendet sich gegen diese bloße Betrachtung von
Ehepaaren als Einheit, weil dabei die unterschiedliche
Stellung der PartnerInnen innerhalb der Ehe verkannt
wird“.85
Selbst die Gestaltungsanflligkeit einer Individualbe-
steuerung wird positiv beurteilt. „Diese Folgen sind
aber im Lichte des Gleichberechtigungssatzes er-
wnscht. Die bertragung von Einkommensquellen
vom (alleinverdienenden) Ehemann auf die (verm-
genslose) Ehefrau hat zur Folge, dass diese der Frau
auch zustehen. Damit wird sie in einer Weise finanziell
fr den Fall des Todes des Ehemannes oder der Schei-
dung gesichert, die dem Gleichberechtigungssatz durch-
aus entspricht“.86
Vorzuziehen sei unter Gender-Gesichtspunkten eine
Individualbesteuerung, da diese am ehesten eine
gleichmßige Teilhabe an der Erwerbsarbeit und der
Haushaltsproduktion gewhrleiste.87 Das Ehegatten-
splitting sei abzuschaffen, um „die tatschliche Durch-
setzung der Gleichberechtigung zu frdern“.88 Kanzler
folgert: „Nachdem das Zivilrecht in den siebziger Jahren
das Leitbild der Hausfrauenehe aufgegeben hat, knnte
auch das Einkommensteuerrecht ohne weiteres zuguns-
ten einer Individualbesteuerung darauf verzichten“.89
Von Befrwortern des Ehegattensplittings wird dessen
Neutralitt im Hinblick auf die eheinterne Arbeitstei-
lung betont, auch wenn dies oftmals nicht explizit im
Gender-Kontext geschieht. Aufgrund der fr Mann
und Frau identischen (Grenz-)Steuerbelastung werde
die eheinterne Aufteilung von Erwerbs- und Hausar-
beit durch das Splitting steuerlich nicht verzerrt.90
Nach Merkt ist das Ehegattensplitting „Ausdruck der
Gleichwertigkeit der Arbeit von Mann und Frau, ohne
Rcksicht darauf, ob es sich um Haus- oder Berufsarbeit
handelt“.91 Das Ehegattensplitting zeitige denselben
Steuereffekt auf Ehemnner wie Ehefrauen und diskri-
miniere weder die Ehefrau noch den Ehemann.92 Nach
Tipke wirkt das Ehegattensplitting „familienpolitisch
neutral“, da es sicherstellt, dass Einverdiener-Paare ge-
nauso besteuert werden wie Doppelverdiener-Paare.93
Zudem wird im Zusammenhang mit der behaupteten
Frauendiskriminierung darauf hingewiesen, dass das
Ehegattensplitting nicht zwingend vorgegeben sei.94
Sobald ein Ehegatte die Einzelveranlagung (§ 26a
EStG) verlangt, kommt diese gem. § 26 Abs. 2 EStG
zur Anwendung.95 Dadurch werde die Ehefrau auf
Wunsch so gestellt wie eine nicht-verheiratete Frau
und damit dieser gegenber nicht diskriminiert.96 Dies
schlage sich auch in der Lohnsteuerklasse IV nieder,
in der die Ehefrau wie eine ledige Person behandelt
wird und welche die Ehefrau erhlt, wenn sie nicht
ausdrcklich zusammen mit ihrem Ehemann die
Lohnsteuerklassenkombination III/V beantragt.97 Zu-
dem wird auf das sog. Faktorverfahren gem. § 39f
EStG verwiesen.98 Hier wird basierend auf der Lohn-
steuerklasse IV bei jedem Ehepartner der ihm „zuste-
hende“ Splittingeffekt bereits beim Lohnsteuerabzug
bercksichtigt.99
80 Vgl. Vollmer (FN 8) S. 129.
81 Vollmer (FN 8) S. 129 f.
82 Nach Bckenfrde, StuW 1986, S. 339, besteht eine „Art Dis-
kriminierung des mitverdienenden Ehegatten“.
83 Vgl. Mennel (FN 4) S. D 172.
84 Sacksofsky, NJW 2000, 1899.
85 Vollmer (FN 24) S. 37.
86 Sacksofsky (FN 63) S. 339. Es sei in diesem Zusammenhang
angemerkt, dass eine Einknfteverlagerung auch ohne
eine entsprechende bertragung von Vermgen (z.B. im
Wege des Nießbrauchs) erfolgen kann.
87 Vgl. Vollmer (FN 24) S. 45; Sacksofsky (FN 63) S. 338.
88 Sacksofsky, NJW 2000, 1900.
89 Kanzler, DStJG 2001, S. 440.
90 Vgl. Lhr/Serwe (FN 46) S. 26 u. 30 f.; Sandweg, DStR 2014,
2100; Seiler (FN 21) S. 20.
91 Merkt, DStR 2009, 2223; vgl. in diesem Sinne auch Papier,
NJW 2002, 2130; Sandweg, DStR 2014, 2099.
92 Vgl. Haarmann (FN 21) S. L 186.
93 Vgl. Tipke (FN 16) S. 386; in diesem Sinne auch Sandweg,
DStR 2014, 2100.
94 Vgl. Seiler (FN 21) S. 19; Streck, NJW 2000, 335. Es sei je-
doch darauf hingewiesen, dass der Antrag eines Ehegat-
ten auf Einzelveranlagung nicht mglich ist, wenn der
Ehegatte selbst keine eigenen positiven oder negativen
Einknfte erzielt oder wenn diese so gering sind, dass sie
weder einem Steuerabzug unterlegen haben noch zur ESt-
Veranlagung fhren knnen (BFH v. 10.1.1992 – III R 103/
87). Ein Ehegatte ist zivilrechtlich (§ 1353 Abs. 1 BGB) sei-
nem Partner gegenber verpflichtet, in eine von diesem
gewnschte Zusammenveranlagung einzuwilligen, wenn
dessen Steuerschuld verringert und der zustimmungs-
pflichtige Ehegatte dadurch keine zustzliche steuerliche
Belastung erfhrt (BGH v. 13.10.1976 – IV ZR 104/74).
95 Grundstzlich werden dabei Sonderausgaben, außerge-
whnliche Belastungen und die Steuerermßigung nach
§ 35a EStG dem diese Aufwendungen tragenden Ehegat-
ten zugeordnet, auf Antrag knnen sie allerdings auch
hlftig aufgeteilt werden (s. § 26a Abs. 2 EStG).
96 Vgl. Sandweg, DStR 2014, 2099.
97 Vgl. Sandweg, DStR 2014, 2099.
98 Vgl. Sandweg, DStR 2014, 2098. Das Faktorverfahren wur-
de im Rahmen das JStG 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 08
2794, 2801) eingefhrt.
99 Dabei wird ausgehend von den Jahresbruttolhnen der
Ehegatten ein Faktor gebildet, der das Verhltnis der vo-
raussichtlichen Einkommensteuer nach Anwendung des
Splittingverfahrens und der Summe der Lohnsteuern bei
Anwendung der Steuerklasse IV fr beide Ehepartner wi-
derspiegelt. Die abzuziehende Lohnsteuer entspricht dann
jeweils der Lohnsteuer berechnet nach Steuerklasse IV
multipliziert mit dem errechneten Faktor, der stets kleiner
gleich 1 ist.
StuW 1/2015 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften 25
2. Ehegattensplitting in der Betriebswirtschaftlichen
Steuerlehre
In der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre wird das
Ehegattensplitting ebenfalls diskutiert, auch wenn die
Debatte ihren Hhepunkt bereits vor einigen Jahren
erreicht hat. Das Ehegattensplitting wird dabei nahe-
zu einhellig abgelehnt.
Dabei wird mit Verweis auf die konomische Annah-
me des methodologischen Individualismus auf das
Prinzip der Individualbesteuerung verwiesen.100 Zu-
dem wird ausschließlich das erzielte Markteinkom-
men als steuerlich relevant eingestuft, da lediglich die
Erwerbssphre eines Wirtschaftssubjekts maßgeblich
fr die Bemessung der Steuerschuld sei.101 Smtliche
Entscheidungen, die außerhalb des Bereichs der Ein-
kommenserzielung liegen, seien der privaten Lebens-
fhrung zuzuordnen und htten demnach keinen Ein-
fluss auf die steuerliche Leistungsfhigkeit. Dies gelte
auch fr den freiwilligen Entschluss, eine Ehe einzu-
gehen; daraus resultierende Unterhaltsansprche
seien steuerlich unbeachtlich.102 Die nach einer Ehe-
schließung indisponiblen Einkommensbestandteile
des besser verdienenden Ehegatten seien vor der Ehe-
schließung frei verfgbar, so dass eine steuerlich un-
beachtliche Einkommensverwendung vorlge. Ein
Ehepaar wird als steuerlich irrelevante Konsumge-
meinschaft eingestuft. Das Prinzip der subjektiven
Leistungsfhigkeit, wonach unvermeidbare Aufwen-
dungen außerhalb der Einknfteerzielung zu berck-
sichtigen seien, wird verworfen und, dem objektiven
Nettoprinzip folgend, lediglich der Abzug von Er-
werbsaufwendungen als systemgerecht eingestuft.103
Von daher werden sowohl das Ehegattensplitting als
auch ein Realsplitting abgelehnt.
Damit wird das Ehegattensplitting auch als unverein-
bar mit dem Postulat der Gleichmßigkeit der Be-
steuerung angesehen. Bareis erkennt einen „krassen
Wertungswiderspruch“, wenn mittels eines progressi-
ven Steuertarifs das erwirtschaftete Einkommen be-
lastet werden solle, es den Steuerpflichtigen aber er-
mglicht wrde, durch Entscheidungen im privaten
Bereich ihre Steuerlast zu mindern.104 In diesem Zu-
sammenhang wird auf das Matthus-Prinzip verwie-
sen: „Wer da hat, dem wird gegeben“.105 Das Ehegatten-
splitting wird auch als eine Frderung der Institution
„Ehe“ angesehen. Eine Ehefrderung solle – sofern
diese steuerpolitisch gewnscht sei – jedoch ber ein
gleich hohes oder mit zunehmenden Einkommen ab-
nehmendes Ehegeld erfolgen.106 Zudem wird auf die
schdlichen Anreizwirkungen des Splittings hinsicht-
lich des Arbeitsangebots des nicht arbeitenden Ehe-
partners hingewiesen.107
Eine andere Auffassung vertritt Wosnitza .108 Obwohl
auch er auf die objektive Leistungsfhigkeit und das
Prinzip der Individualbesteuerung verweist, pldiert
er fr die Abzugsfhigkeit smtlicher Unterhaltsleis-
tungen beim Unterhaltsverpflichteten und fr die
steuerliche Erfassung als Einkommen beim Begnstig-
ten; daher tritt er fr ein Realsplitting ein.109 Als Be-
grndung fhrt Wosnitza an, bei Unterhaltszahlungen
handele es sich nicht um Konsum des leistenden Ehe-
gatten fr sich selbst und damit nicht um Einkom-
mensverwendung.110
Neben diesen normativen Beitrgen existieren noch
einige Arbeiten, die sich empirisch mit dem Ehegat-
tensplitting beschftigen oder Modellrechnungen an-
stellen. Baumgarten/Houben weisen anknpfend an
die Diskussion der „intakten Durchschnittsehe“ nach,
dass Ehepaare typischerweise sowohl eine Erwerbs-
als auch eine Verbrauchsgemeinschaft bilden.11 1 Eine
empirische Arbeit zu den Aufkommens- und Vertei-
lungswirkungen fr verschiedene Rechtsstnde
stammt von Maiterth.112 Haring et al. vergleichen die
deutsche und sterreichische Familienbesteuerung
und kommen anhand ausgewhlter Modellfamilien zu
dem Ergebnis, dass das sterreichische Steuersystem
auch ohne Ehegattensplitting hnlich wie das deut-
sche wirkt.11 3
3. Ehegattensplitting in der Finanzwissenschaft
a) Wandel in der Beurteilung des Ehegattensplittings
Auch in der finanzwissenschaftlichen Literatur, natio-
nal wie auch international, wird seit langem eine Dis-
kussion ber die adquate Besteuerungseinheit (unit
of taxation) gefhrt, ohne dass darber Einigkeit htte
erzielt werden knnen.114 Jedoch hat sich die Einstel-
lung zur sachgerechten Ehegattenbesteuerung insbe-
sondere innerhalb der letzten zehn Jahre zumindest
in Deutschland deutlich gewandelt.
Noch bis in die frhen 2000er Jahre ist die Diskussion
in Deutschland normativ geprgt, und das Ehegatten-
splitting wird mit Verweis auf das Postulat der Global-
einkommensbesteuerung berwiegend positiv beur-
teilt. So fhren Bach et al. noch im Jahre 2003 aus:
„Nach der berwiegenden Ansicht in Steuerrechtslehre
und Finanzwissenschaft ist das Splittingverfahren eine
100 Vgl. Bareis, IFF Forum fr Steuerrecht 2001, S. 271; Siegel,
BFuP 2001, S. 272.
101 Vgl. Biergans, Einkommensteuer: systematische Darstel-
lung und Kommentar, 1992, S. 11; Bareis, StuW 1991, S. 50.
102 Vgl. Bareis, StuW 2000, S. 85 f.; Siegel,in:Herrmann/
Heuer/Raupach, Einkommen- und Krperschaftsteuerge-
setz, Kommentar, 2002, Anm. 46.
103 Vgl. Biergans (FN 101) S. 13; Siegel/Schneider, DStR 1994,
600 u. 602 f. Selbst der steuermindernde Abzug des Exis-
tenzminimums wird wegen der mit steigendem Steuer-
satz zunehmenden Entlastung abgelehnt (vgl. Siegel/
Schneider, DStR 1994, 603).
104 Vgl. Bareis, StuW 2000, S. 83.
105 Vgl. Bareis, StuW 2000, S. 83; Siegel, BFuP 2001, S. 280.
Auf dieses Prinzip weist auch Wag ner, BB 1992, in einem
anderen Zusammenhang hin.
106 Vgl. Siegel, BFuP 2001, S. 274.
107 Vgl. Bareis, StuW 2000, S. 85; Siegel, BFuP 2001, S. 279.
108 Vgl. Wosnitza, StuW 1996, S. 129 ff.
109 Vgl. Wosnitza, StuW 1996, S. 135 f.
110 Vgl. Wosnitza, StuW 1996, S. 136.
111 Siehe Baumgarten/Houben, StuW 2014.
11 2 S i e h e Maiterth, Jahrbcher fr Nationalkonomie und
Statistik 2004.
11 3 S i e h e Haring/Niemann/Palan/Rdiger, SWI 2012.
114 Vgl. bspw. fr die USA Gruber, Public Finance and Public
Policy, 2011, S. 550.
26 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften StuW 1/2015
sachgerechte Lsung fr die Einkommensbesteuerung
von Ehepaaren“.11 5
Diese Einschtzung hat sich grundlegend gendert.
Gegenwrtig wird das Ehegattensplitting mehrheitlich
abgelehnt und eine Individualbesteuerung favorisiert.
Die ablehnende Haltung gegenber dem Ehegatten-
splitting resultiert in erster Linie aus den positiven Ef-
fekten auf das Arbeitsangebot der Ehefrauen und den
damit verbundenen Wohlfahrtsgewinnen, die im Fall
einer Individualbesteuerung erwartet werden. Dane-
ben werden dem Ehegattensplitting auch uner-
wnschte Verteilungswirkungen, eine fehlende Fami-
lienfrderung sowie eine Diskriminierung von Frauen
attestiert.
b) Ehegattensplittings in der „normativen“ Finanz-
wissenschaft
In der normativ geprgten „traditionellen“ Finanzwis-
senschaft spielt das Prinzip der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfhigkeit (ability-to-pay-ap-
proach) die zentrale Rolle.116 Hierbei wird auch expli-
zit die Frage der Steuergerechtigkeit adressiert, die
neben Effizienzaspekten als bedeutsam fr die Kon-
zeption eines Einkommensteuersystems angesehen
wird.11 7 Zwar bestehen auch in der normativ geprg-
ten Diskussion kontrre Auffassungen zum Ehegat-
tensplitting, jedoch wird das Ehegattensplitting ber-
wiegend positiv beurteilt.
In der Diskussion finden auch verfassungsrechtliche
Aspekte der (Ehegatten-)Besteuerung Bercksichti-
gung.11 8 Dabei wird der Gleichheitssatz nach Art. 3 GG
– anders als in den beiden anderen Steuerrechtswis-
senschaften – von Splittingbefrwortern dahingehend
interpretiert, dass er sich im Fall von Ehepaaren nicht
auf Individuen, sondern auf die eheliche Gemein-
schaft beziehe.119 Es wird auf die Ehe als Erwerbs- und
Verbrauchsgemeinschaft abgestellt120 und auf das Pos-
tulat der „Globaleinkommensbesteuerung“ verwie-
sen.121 Ehepaare mit gleich hohem Einkommen sollten
unabhngig von ihrer innerehelichen Einkommens-
bzw. Arbeitsverteilung identisch besteuert werden.
Aufgrund des Diskriminierungsverbots der Ehe erge-
be sich ferner, dass Ehepaare gegenber Nichtverhei-
rateten nicht benachteiligt werden drften. Nach Ein-
schtzung von Scherf scheiden aufgrund dieser beiden
Vorgaben sowohl eine (rohe) Haushaltsbesteuerung
als auch eine Individualbesteuerung fr Ehegatten
aus.122
Im Zusammenhang mit der Ehe als Erwerbsgemein-
schaft wird die Nutzung von Spezialisierungseffekten
hervorgehoben.123 Die intra-familire Arbeitsteilung
werde nur dann nicht verzerrt, wenn sich beide Ehe-
gatten identischen Grenzsteuerstzen gegenberse-
hen, was eine Haushaltsbesteuerung erfordere.124 Auf-
grund der Entscheidungsneutralitt einer Zielgrßen-
besteuerung sei das gemeinsame eheliche Einkom-
men zu besteuern. Das Ehegattensplitting schaffe von
daher keine „knstlichen Anreize zur arbeitsteiligen
Ehe“, sondern vermeide Fehlanreize einer Individual-
besteuerung im Hinblick auf die innereheliche Ar-
beitsteilung.125 Abgesehen von einer Welt ohne
Steuern entsprche nur bei der Zusammenveranla-
gung das Verhltnis der Nettolohnstze dem Verhlt-
nis der Bruttolohnstze.126
Gleichmßigkeitsaspekte der Besteuerung werden in
der Diskussion explizit diskutiert. Dabei wird darauf
hingewiesen, dass die Anzahl der im Haushalt leben-
den Personen zu bercksichtigen sei und sich ein Ehe-
paar bei gleichem Einkommen eben nicht in dersel-
ben wirtschaftlichen Position wie ein Alleinstehender
befinde.127 Die wirtschaftliche Leistungsfhigkeit von
Haushalten bzw. Ehepaaren sei fr die Bemessung der
Einkommensteuer maßgeblich.128 Damit dienen ver-
heiratete Ehepaare mit identischem (Ehepaar-)Ein-
kommen als Referenzpunkt fr horizontale Gleichm-
ßigkeit der Besteuerung.129 Nur durch eine Haushalts-
besteuerung und damit auch durch das Ehegatten-
splitting werden zwei Ehepaare mit gleich hohem Ein-
kommen unabhngig von der Verteilung des Einkom-
mens identisch belastet, und es werde damit horizon-
tale Gleichmßigkeit der Besteuerung zwischen Ehe-
11 5 Bach/Buslei/Svindland/Baumgartner/Flach/Teichmann,Un-
tersuchung zu den Wirkungen der gegenwrtigen Ehe-
gattenbesteuerung, 2003, S. 1; so auch Hackmann,in:Ar-
nold, Wirtschaftsethische Perspektiven VI, 2002, S. 191;
Steiner/Wrohlich, DIW DP 421 2004, S. 1.
116 Nach Scherf, StuW 2000, S. 269, halten „besonders die Fi-
nanzwissenschaftler [...] das Splitting keineswegs fr eine
konomisch unhaltbare Methode der Ehegattenbesteue-
rung, sondern fr eine Konsequenz des Leistungsfhigkeits-
prinzips“.
117 Vgl. Scherf, StuW 2000, S. 269.
11 8 S o z . B . Hackmann, DP 93, Helmut Schmidt Universitt,
2009,S.10–11;Homburg, StuW 2000, S. 262; Scherf, StuW
2000, S. 272 f..
11 9 S i e h e z . B . Homburg, StuW 2000, S. 262.
120 Siehe Folkers, in: Seel, Ehegattensplitting und Familienpo-
litik, 2007, S. 136; Haller, Besteuerung der Familienein-
kommen und Familienlastenausgleich, 1981, S. 15; Hom-
burg, Allgemeine Steuerlehre, 2007, 83; Prinz,FR2010,
108. Aber auch eine Vielzahl der „wirkungsorientierten“
Beitrge, die eine Individualbesteuerung favorisieren, ge-
hen davon aus, dass Ehepaare ihren Nutzen gemeinsam
hinsichtlich der Freizeit der beiden Partner und des ge-
meinsam Einkommens maximieren, also eine Erwerbs-
und Verbrauchsgemeinschaft bilden (vgl. bspw. Steiner/
Wrohlich, DIW DP 421 2004, S. 2).
121 Vgl. Folkers (FN 120) S. 143; Scherf, StuW 2000, S. 273.
Homburg, StuW 2000, S. 261 f., verweist auf die Wurzeln
der heutigen Einkommensteuer, die preußische „Klas-
sensteuer“ von 1820 und die „Klassen und klassifizierte
Einkommensteuer“ von 1851, die als Haushaltsteuern
konzipiert gewesen seien.
122 Vgl. Scherf, StuW 2000, S. 273.
123 Vgl. Folkers (FN 120) S. 139; Homburg, StuW 2000, 263 f.
124 Vgl. Cremer/Lozachmeur/Pestieau, J. Popul. Econ. 2012,
S. 767 – 768.
125 Vgl. Folkers (FN 120) S. 138; Homburg, StuW 2000, S. 264;
Scherf, StuW 2000, S. 277.
126 Siehe Folkers (FN 120) S. 141.
127 Vgl. Haller (FN 120) S. 14; Scherf, StuW 2000, S. 272.
128 Vgl. Folkers (FN 120) S. 135; Homburg, StuW 2000,
S. 261 f.; Scherf, StuW 2000, S. 273.
129 Vgl. Scherf, StuW 2000, S. 270.
StuW 1/2015 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften 27
paaren hergestellt.130 Von daher bewirke das Splitting
auch keine Ehe-Frderung, sondern stelle lediglich
die Gleichbehandlung von Ehepaaren sicher.131 Auch
knne nicht von einem Splittingvorteil gesprochen
werden. Scherf verweist im Zusammenhang mit der
vertikalen Gleichmßigkeit der Besteuerung darauf,
dass bei Betrachtung des relativen Splittingeffekts,
Ehepaare mit hohen Einkommen nicht in besonderem
Maße vom Splitting entlastet wrden.132 Der mit dem
Einkommen steigende absolute Splittingeffekt gilt
– wie in Teilen des juristischen Schrifttums – als Re-
flex des progressiven Steuertarifs.133 Auch der Vor-
wurf, das Ehegattensplitting frdere Ehen nicht je-
doch Familien, wird als ungerechtfertigt eingestuft.134
Im Zusammenhang mit dem Ehegattensplitting wird
auch auf die Ersparnis durch die gemeinsame Haus-
haltsfhrung eines Ehepaars hingewiesen, die beim
Ehegattensplitting keine Bercksichtigung fnde. Die
Existenz von Haushaltsersparnissen wird teilweise ge-
gen das Ehegattensplitting angefhrt135,odereswird
zumindest eine Reduzierung des Splittingfaktors auf
einen unter zwei liegenden Wert ins Spiel gebracht.136
Alternativ werden eine Krzung der Grundfreibetr-
ge fr Ehegatten137 sowie sei eine Steuerermßigung
fr Alleinstehende138 genannt. Weiter gibt es Stimmen,
die eine steuerliche Bercksichtigung von Ersparnis-
sen durch eine gemeinsame Haushaltsfhrung als
nicht praktikabel einstufen139 oder meinen, dass die
Bercksichtigung von Haushaltsersparnissen im Ein-
kommensteuerrecht keinen Platz htte.140
Es wird aber auch die Auffassung vertreten, wonach
das Ehegattensplitting keine angemessene Form der
Ehegattenbesteuerung sei. Insbesondere Bezug neh-
mend auf die Beitrge von Homburg (StuW 2000) und
Scherf (StuW 2000) erscheinen Hackmann die vorge-
brachten Argumente „allesamt ungereimt“, und sie ver-
folgten vorrangig das Ziel, zu einem „schon vorher ge-
kannte[n] Resultat“zufhrenunddas„Meinungsklima
maßgeblich [zu] beeinflussen“.141 Im Zusammenhang
mit der durch das Ehegattensplitting gewhrleisteten
Entscheidungsneutralitt hinsichtlich der eheinter-
nen Arbeitsteilung wird darauf verwiesen, dass unver-
heiratete Paare trotz einer beziehungsinternen Ar-
beitsteilung der Individualbesteuerung unterworfen
seien.142 Zudem zeige die Theorie der zweitbesten Be-
steuerung, dass Entscheidungsneutralitt in diesem
Kontext gar nicht erstrebenswert sei, da sich Mnner
und Frauen hinsichtlich ihrer Arbeitsangebotselastizi-
tten unterscheiden und eine Individualbesteuerung
optimalsteuertheoretisch berlegen sei.143 Dagegen
gingen vom Ehegattensplitting negative Erwerbsan-
reize fr die Ehefrau (allgemeiner: den Zweitverdie-
ner) aus, da sich diese dem hohen Grenzstreuersatz
ihres Ehemannes ausgesetzt sehe.144 Auch vertei-
lungspolitisch wird das Ehegattensplitting mit Verweis
auf den mit steigendem Einkommen zunehmenden
absoluten Splittingeffekt kritisiert.145 Hierbei wird die
Individualbesteuerung entweder mit Verweis auf den
Gleichheitssatz des Grundgesetzes146 oder den Ver-
gleich mit der unverheirateten Paaren147 als Referenz-
maßstab herangezogen. Wrede kritisiert am Ehegat-
tensplitting, dass „Haushaltsproduktion [...] zu Lasten
ber Mrkte vermittelter Dienstleistungen gefrdert, for-
melle Kinderbetreuung zugunsten elterlicher Kinderbe-
treuung diskriminiert“werde.
148 Auch unter Genderge-
sichtspunkten wird das Ehegattensplitting wegen der
negativen Arbeitsangebotseffekte fr Ehefrauen kriti-
siert.149 Zudem werden die negativen Effekte auf die
arbeitsmarktrelevante Humankapitalbildung von
Frauen und die Schwchung der Position gutausgebil-
deter Frauen auf dem Heiratsmarkt betont.150 Auch
die Strkung der traditionellen Rollenverteilung so-
wie die Frderung der Ehe werden als Kritikpunkte
gegen das Splitting angefhrt.151
c) Ehegattensplitting in der „empirischen“ Finanz-
wissenschaft und der Optimalsteuertheorie
Das zentrale Argument, das gegenwrtig in der Fi-
nanzwissenschaft gegen das Ehegattensplitting vorge-
bracht wird, sind die negativen Effekte auf das Ar-
beitsangebot des Zweitverdieners, der regelmßig mit
der Ehefrau gleichgesetzt wird. In diesem Zusammen-
hang wird auf die Erwerbsquote verheirateter Frauen
in Deutschland verwiesen, welche (auch aufgrund des
Ehegattensplittings) im internationalen Vergleich
130 Vgl. fr die Haushaltsbesteuerung im Allgemeinen Gru-
ber (FN 114) S. 550; Pechman, Federal Tax Policy, 1987,
S. 103 – 104, und fr das Ehegattensplitting Folkers
(FN 120) S. 135.
131 Vgl. Folkers (FN 120) S. 146.
132 Vgl. Scherf, StuW 2000, S. 270.
133 Vgl. Scherf, StuW 2000, S. 270.
134 Nach Homburg, StuW 2000, S. 268, bewirkt das Ehegat-
tensplitting keine Ehefrderung. Ebenso Scherf,Wirt-
schaftsdienst 1999, S. 31 – 32.
135 Vgl. Hackmann (FN 115) S. 197.
136 Vgl. Haller (FN 120) S. 17. Er bringt einen Divisor von 1,6
ins Spiel.
137 Vgl. Scherf, StuW 2000, S. 275 f.
138 Vgl. Haller (FN 120) S. 17; Prinz, FR 2010, 108; Scherf,StuW
2000, 276. Nach Folkers (FN 120) rechtfertigen Haushalts-
ersparnisse keine hhere Besteuerung von Ehepaaren,
da nicht Nutzen, sondern Einkommen Gegenstand einer
Einkommensteuer sind.
139 Vgl. Scherf, StuW 2000, S. 276.
140 Vgl. Folkers (FN 120) S. 144; Homburg, StuW 2000, S. 266;
er weist darauf hin, dass die Haushaltsersparnis auch bei
anderen Formen des Zusammenlebens, wie Wohnge-
meinschaften, zu bercksichtigen wre.
141 Siehe Hackmann, DP 93, Helmut Schmidt Universitt,
2009, S. 35 f. Eine seiner Meinung nach geeignete Ehe-
gattenbesteuerung ist ein Realsplitting, bei dem der ma-
ximal bertragbare „Unterhaltsbetrag“ um das Einkom-
men des weniger verdienenden Ehepartners gekrzt
wird (vgl. Hackmann, FA 1973).
142 Vgl. Hackmann (FN 115) S. 194.
143 Vgl. Hackmann (FN 115) S. 195.
144 Vgl. Spahn/Kaiser/Kassella, Fisc. Stud. 1992, S. 24.
145 Vgl. Hackmann (FN 115) S. 4.
146 Vgl. Hackmann, DP 93, Helmut Schmidt Universitt, 2009,
S. 11.
147 Vgl. Spahn/Kaiser/Kassella, Fisc. Stud. 1992, S. 24 f..
148 Vgl. Wrede, in: Seel, Ehegattensplitting und Familienpoli-
tik, 2007, S. 222.
149 Vgl. Spahn/Kaiser/Kassella, Fisc. Stud. 1992, S. 26.
150 Vgl. Wrede (FN 148) S. 222.
151 Vgl. Spahn/Kaiser/Kassella, Fisc. Stud. 1992, S. 26.
28 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften StuW 1/2015
eher niedrig sei.152 Auch wird eine im internationalen
Vergleich relativ niedrige Erwerbsbeteiligung von ver-
heirateten Frauen mit Kindern konstatiert.153
Neben der Erwerbsquote, die sich auf die extensive
Erwerbsbeteiligung (Partizipation vs. Nicht-Partizipa-
tion) bezieht, spielt auch die intensive Beteiligung
(Arbeitsvolumen der Partizipierenden) eine wichtige
Rolle im Hinblick auf Steuerwirkungen. Bezglich der
intensiven Erwerbsbeteiligung stellt Triebe fest, dass
die durchschnittliche Arbeitszeit je verheirateter
Frau, wenn auch bei abnehmender Tendenz, deutlich
niedriger liegt als die unverheirateter, aber mit ihrem
Partner zusammenlebender Frauen, wogegen sich die
Partizipationsquoten angenhert htten.154 Bonin et al.
zeigen, dass die Partizipationsquote insbesondere bei
Mttern mit Kindern im Alter von bis 2 Jahren sehr
niedrig ist (29,6 %).155
Hinsichtlich mglicher Auswirkungen des Ehegatten-
splittingsaufdasArbeitsangebot des Zweitverdieners
wird folgende berlegung angestellt: Da sich verhei-
ratete Frauen im Fall einer Individualbesteuerung
niedrigeren Grenzsteuerstzen ausgesetzt sehen156
und nach Erkenntnissen empirischer Studien hinsicht-
lich ihres Arbeitsangebots weit strker auf Vernde-
rungen ihres Nettolohns reagieren als verheiratete
Mnner, wrden sie ihr Arbeitsangebot bei Abschaf-
fung des Ehegattensplittings strker erhhen, als Ehe-
mnner ihr Arbeitsangebot reduzieren wrden.
Die Arbeitsangebotseffekte der Einfhrung einer Indi-
vidualbesteuerung sowie verschiedener Formen des
RealsplittingswurdeninzahlreichenStudienunter-
sucht.157 Smtliche Studien finden dabei positive Ar-
beitsangebotseffekte fr verheiratete Frauen durch
die Einfhrung einer Individualbesteuerung. Dem ste-
hen gegenlufige Effekte auf das Arbeitsangebot von
verheirateten Mnnern, deren Grenzsteuerstze stei-
gen, entgegen. Jedoch sei dieser kompensierende Ef-
fekte deutlich kleiner, was insbesondere auf das er-
heblich elastischere Arbeitsangebot von Frauen zu-
rckzufhren sei, so dass insgesamt ein ansteigendes
Arbeitsangebot zu verzeichnen sei.158 Dies gelte auch
im Fall eines Realsplittings, jedoch sind die Effekte
hier außerordentlich gering. Die meisten deutschen
Studien, die Arbeitsangebotseffekte des Ehegatten-
splittings untersuchen, basieren dabei auf dem von
van Soest entwickelten diskreten Arbeitsangebotsmo-
dell.159
Laut einer aktuellen Studie von Bonin et al.160,dieEhe-
paare betrachten, bei denen die Partner zwischen 20
und 60 Jahren alt sind, wrde sich das Arbeitsangebot
verheirateter Frauen gemessen in Vollzeitquivalen-
ten im Zuge der Einfhrung einer Individualbesteue-
rung um etwa 243.000 erhhen, whrend es sich bei
den Ehemnnern um etwa 20.000 reduzieren wrde.161
Nach Mller et al. (2013), S. 83. betrgt der Arbeitsan-
gebotseffekt bei verheirateten Mttern mit bis zu
zwlf Jahre alten Kindern 128.600 Vollzeitquivalen-
te.162 Whrend die Partizipationseffekte bei Ehefrauen
unabhngig von der Existenz von Kindern im Mittel
hnlich ausfallen, wirkt das Ehegattensplitting nach
Bonin et al. hinsichtlich der gearbeiteten Stunden
deutlich strker auf Frauen mit Kindern.163 Die Effekte
eines Realsplittings sind ungleich geringer. So ent-
spricht nach Bonin et al. der (Netto-)Arbeitsangebots-
effekt im Fall eines Realsplittings mit bertragbaren
Betrgen in Hhe der Unterhaltsleistungen gem. § 10
Abs. 1 Nr. 1 EStG gerade einmal 40.000 Vollzeitquiva-
lenten.
Die neueren Studien schtzen deutlich geringere Ar-
beitsangebotseffekte als ihre Vorgngerstudien. Dies
152 So z.B. Bach/Geyer/Haan/Wrohlich, DIW Wochenbericht
41/2011, S. 13; Fehr/Kallweit/Kindermann, SOEPpaper 613
2013, S. 1; Wagenhals, in: Seel, Ehegattensplitting und Fa-
milienpolitik, S. 254. Dem international verwendeten La-
bor-Force-Konzept der ILO folgend, lag die Erwerbsbetei-
ligung verheirateter Frauen (20 bis 64 Jahre) in Deutsch-
land im Jahr 2013 mit 70,1 % allerdings deutlich ber
dem EU-28-Durchschnitt (62,2 %) und innerhalb der Euro-
pischen Union auf Rang sieben hinter vor allem skandi-
navischen und baltischen Staaten. Betrachtet man die
Differenz der Erwerbsquoten verheirateter Frauen und
Mnner, liegt Deutschland mit 16,7 Prozentpunkten aller-
dings nur im Mittelfeld (EU-28: 17,7 Prozentpunkte). So-
wohl in Deutschland als auch im EU-28-Durchschnitt lie-
gen die Erwerbsquoten von ledigen Frauen und Mnnern
mit Unterschieden von 0,1 bzw. 3,8 Prozentpunkten sowie
vongeschiedenenFrauenundMnnernmitUnterschie-
den von 0,2 bzw. 3,0 Prozentpunkten dagegen sehr nahe
beieinander.
153 So Bach/Geyer/Haan/Wrohlich, Wirtschaftsdienst 2012,
S. 624. hnlich Wrohlich, Evaluating Family Policy Re-
forms Using Behavioral Microsimulation, 2007, S. 21.
154 Siehe Trie be, SOEPpaper 614 2013.
155 Bonin/Clauss/Gerlach/Laß/Mancini/Nehrkorn-Ludwig/
Niepel/Schnabel/Stichnoth/Sutter, Evaluation zentraler
ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland,
2013, S. 47.
156 Nach Jaumotte, OECD WP 376 2003, S. 8–9, liegen die
Grenzsteuerstze von Zweitverdienern in fast allen
OECD-Staaten ber denen von Alleinstehenden.
157 Zu Arbeitsangebotseffekte im Kontext der Familienbe-
steuerung fr Deutschland vgl. z.B. Bach/Geyer/Haan/
Wrohlich, DIW Wochenbericht 41/2011, Beblo/Beninger/
Laisney, AEQ 2004, Beblo/Beninger/Laisney, in: Altham-
mer/Klammer, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und
Sozialordnung, 2006, Bechara/Beimann/Kambeck/Schaff-
ner/von den Driesch, Gutachten zur Reform des Ehegat-
tensplittings, 2013, Beninger/Laisney/Beblo,ZEWDP03-
31 2003, Bergs/Fuest/Pechl/Schaefer,JahrbuchfrWirt-
schaftswissenschaften 2007, Bonin et al., Evaluation
(FN 155), Dearing/Hofer/Lietz/Winter-Ebmer/Wrohlich, Fisc.
Stud. 2007, Mller/Spieß/Tsiasioti/Wrohlich/Bgelmayer/
Haywood/Perer/Ringmann/Witzke, Evaluationsmodul: Fr-
derung und Wohlergehen von Kindern, 2013, Steiner/
Wrohlich, DIW DP 421 2004, Steiner/Wrohlich,FA2008und
Wrohlich, Family Policy (FN 153). Mit Blick auf internatio-
nale Literatur sind z.B. Callan/van Soest/Walsh, Labour
2009, Crossley/Jeon, Fisc. Stud. 2007, Feldstein/Feenberg
NBER WP 5155 1996, LaLumia, J. Public Econ. 2008, und
Smith/Dex/Vlasblom/Callan, Oxford Econ. Pap. 2003 zu
nennen.
158 Die bei der Einfhrung einer Individualbesteuerung vor-
genommenen Anpassungen beim Arbeitsangebot resul-
tieren auch aus der Beseitigung der Neutralitt des Ehe-
gattensplittings gegenber der Zeitallokationsentschei-
dung der Ehepartner.
159 Siehe van Soest,JHR1995.
160 Bonin et al. (FN 155).
161 Bonin et al. (FN 155) S. 108.
162 Vgl. Mller et al. (FN 157) S. 83.
163 Siehe Bonin et al. (FN 155), S. 108.
StuW 1/2015 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften 29
liegt zum einen an der Modellwahl. So sind die Ar-
beitsangebotseffekte bei Zugrundelen des frher hu-
fig verwendeten „male chauvinist model“ – hier passt
die Ehefrau ihr Erwerbsverhalten an das unvernder-
liche Erwerbsverhalten ihres Ehemannes an – deut-
lich grßer als beim „Haushalts-Nutzenmodell“ – hier
bestimmen die Ehepartner ihr Arbeitsangebot simul-
tan. So wrde nach Bach/Buslei et al. bei Zugrundele-
gung des in frheren Studien verwendeten „male
chauvinist model“ im Jahr 2003 ein geschtztes zu-
stzliches Beschftigungspotential i.H.v. rund 3 Mio.
Erwerbspersonen ergeben, whrend die Autoren den
Nettoeffekt basierend auf einer Schtzung durch ein
Haushalts-Nutzenmodell auf rund 375.000 zustzliche
Erwerbspersonen beziffern.164 Aber auch bei der Ver-
wendung identischer Modelle fallen die heute ge-
schtzten Arbeitsangebotseffekte deutlich geringer
aus. So gehen Steiner/Wrohlich im Jahr 2004 noch von
einer Vernderung der Partizipationsquote (der durch-
schnittlichen Arbeitszeit) verheirateter Frauen von
4,85 Prozentpunkten (11,40 %) im Falle der Einfhrung
einer Individualbesteuerung aus, whrend Bach et al.
im Jahr 2011 eine Erhhung der Partizipationsquote
(Arbeitszeit) von nur noch 2,37 Prozentpunkten
(7,38 %) ermitteln. Bei der Reaktion der Ehemnner ist
ein hnlicher Trend auszumachen, wenn auch auf
deutlich niedrigerem Niveau.165 Der erhebliche Rck-
gang des geschtzten Arbeitsangebotseffekts bei Ehe-
frauen drften insbesondere auf die seit vielen Jahren
sinkenden Arbeitsangebotselastizitten verheirateter
Frauen166 zurckzufhren sein, die sich auch in stei-
genden Partizipationsquoten verheirateter Frauen
niederschlagen, welche sich denen alleinstehender
Frauen angenhert haben.
Im Zusammenhang mit Steuerwirkungen auf das Ar-
beitsangebot werden oftmals Arbeitsangebotselastizi-
tten ermittelt, um die Strke des Effekts angeben zu
knnen.167 Die Arbeitsangebotselastizitt beschreibt
die prozentuale nderung des Arbeitsangebots bei ei-
ner nderung des Nettolohns um 1 %. Durch diese
Grße wird insbesondere die „Sensibilitt“ verschie-
dener Individuen oder Gruppen beschrieben und in
Modelle implementierbar. Bargain/Orsini/Peichl scht-
zen Arbeitsangebotselastizitten von Mnnern und
Frauen in verschiedenen westlichen Staaten basie-
rend auf einer einheitlichen Methodik und Daten aus
hnlichen Zeitrumen.168 Fr Deutschland finden sie
fr das Jahr 2001 Arbeitsangebotselastizitten fr ver-
heiratete Frauen von 0,31 sowie fr verheiratete Mn-
ner von 0,14 und damit im internationalen Vergleich
leicht berdurchschnittlich Werte. Weiter schtzen
die Autoren bezglich der Kreuzlohnelastizitten des
Arbeitsangebotes Werte i.H.v. -0,17 fr verheiratete
Frauen und -0,06 fr verheiratete Mnner. D.h., mit h-
herem Lohn des Ehepartners reduzieren also vor al-
lem verheiratete Frauen ihre Erwerbsarbeit.
Auch im Rahmen der Optimalsteuertheorie setzen
sich zahlreiche Beitrge mit der Frage auseinander,
ob Ehegatten gemeinsam oder getrennt besteuert
werden sollten. Die Bestimmung einer optimalen Be-
steuerung folgt einer Wohlfahrtsmaximierung, bei der
insbesondere ein Trade-off zwischen Gerechtigkeits-
und Effizienzberlegungen (equity-efficiency trade
off) besteht.169 Ein Steuersystem gilt einem anderen
gegenber als berlegen, wenn es bei gleichem
Steueraufkommen weniger Ausweichreaktionen der
Steuerpflichtigen und damit weniger steuerliche Zu-
satzlasten, also weniger Wohlfahrtsverluste verur-
sacht. Hierbei spielen die Arbeitsangebotselastizit-
ten eine entscheidende Rolle. Im Zusammenhang mit
der Ehegattenbesteuerung wird der Individualbe-
steuerung der Vorzug eingerumt, da sich – wie oben
bereits ausgefhrt – empirisch gezeigt hat, dass Zweit-
verdiener eine geringere Arbeitsangebotselastizitt
aufweisen.170 Aufgrund der hheren Arbeitsangebots-
elastizitten verheirateter Frauen sei sogar eine se-
lektive Besteuerung mit hheren Grenzsteuerstzen
fr Mnner optimal (gender-based-taxation).171 Abhn-
gig von bestimmten Annahmen empfehlen Kleven/
Kreiner/Saez sogar eine sinkende Grenzbelastung des
Zweitverdieners bei zunehmendem Einkommen des
Ehepartners und unter bestimmten Umstnden sogar
(mit dem Einkommen des Ehepartners abnehmende)
164 Vgl. Bach/Buslei/Svindland/Baumgartner/Flach/Teich-
mann, Untersuchungen zu den Wirkungen der gegen-
wrtigen Ehegattenbesteuerung, 2003, S. 63–64; nach
Steiner/Wrohlich, DIW DP 421 2004, S. 20, betrgt der Ef-
fekt rund 340.000 zustzliche Erwerbspersonen.
165 Vgl. Steiner/Wrohlich, DIW DP 421 2004, S. 19, und Bach/
Geyer/Haan/Wrohlich, DIW Wochenbericht 41/2011, S. 19.
166 Vgl. fr die USA Heim, JHR 2007.
167 Eine bersicht zu geschtzten Arbeitsangebotselastizit-
ten findet sich u.a. bei Blundell/MaCurdy, in: Ashenfelter/
Card, Handbook of Labor Economics, 1999, Meghir/Phil-
lips, in: Stuart/Besley/Blundell/Bond/Cole/Gammie/John-
son/Myles/Poterba, Dimensions of Tax Design, 2010, und
Keane, JEL 2011. Fr ltere Studien sei zudem auf die Ar-
beiten von Killingsworth/Heckman, in: Ashenfelter/
Layard, Handbook of Labor Economics, 1986, sowie Pen-
cavel, in: Ashenfelter/Layard, Handbook of Labor Econo-
mics, 1986.
168 Siehe Bargain/Orsini/Peichl,JHR2014.
169 So z.B. Boskin/Sheshinski, J. Publ. Econ. 1983, S. 282.
170 Ausgehend von Boskin/Sheshinski,J.Publ.Econ.1983,
kommen bis auf wenige Ausnahmen (z.B. mit Bercksich-
tigung von Haushaltsarbeit Piggott/Whalley,JPE1996),
deren Ergebnisse allerdings umstritten sind (s. Apps/
Rees,JPE1996, Gottfried/Richter, JEP 1999, sowie Piggott/
Whalley, JPE 1999), auch die nachfolgenden Arbeiten zu
diesem Ergebnis. Ebenso Decoster/Haan,DIWDP1175
2011, die eine entsprechende Reform fr Deutschland un-
tersuchen. An dem Ergebnis ndern auch Erweiterungen
der Modelle, z.B. um eine nichtlineare Besteuerung oder
um die Kinderbetreuung (s. z.B. Apps/Rees,CESifoWP
4578 2014) nichts. Außerdem zeigen Meier/Wrede,J.Po-
pul. Econ. 2013, dass Wohlfahrtsgewinne auch bei zeit-
gleicher partieller Umwidmung des Mehraufkommens
aus der Abschaffung des Ehegattensplittings zur Kinder-
frderung mit dem Ziel stabiler Fertilittsraten entste-
hen.
171 So bereits Boskin/Sheshinski, J. Publ. Econ. 1983, aber
auch z.B. Kaplow, The Theory of Taxation and Public Eco-
nomics, 2008, S. 337 – 341, Apps/Rees, CESifo Econ. Stud.
2011, und Alesina/Ichino/Karabarbounis, AEJ: Econ. Pol.
2011. Letztere ziehen dabei sogar eine zustzliche Diffe-
renzierung nach Familienstand in Betracht.
30 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften StuW 1/2015
Transferzahlungen, also negativer Grenzsteuerstze
fr den Zweitverdiener.172
d) Weitere Argumente gegen das Ehegattensplitting
Neben den negativen Arbeitsanreizen werden weite-
re – bereits aus der steuerjuristischen, betriebswirt-
schaftlichen und normativen finanzwissenschaftli-
chen Diskussion bekannte – Kritikpunkte gegen das
Ehegattensplitting vorgebracht.
So wird das Splitting aus verteilungspolitischer Sicht
kritisiert. Dem Ehegattensplitting wird eine Bevorzu-
gung von Alleinverdiener-Ehen sowie eine degressive
Verteilungswirkung vorgeworfen, da es Ehepaare mit
hohem Einkommen begnstige.173 Von daher trfe die
Abschaffung des Ehegattensplittings nach Bonin et al.
und Bach et al. – absolut gesehen – vor allem Haushal-
te mit hohen Einkommen.174 Whrend Haushalte im
ersten Einkommensquartil nach Bonin et al. monatlich
im Durchschnitt etwa 39 .weniger Nettoeinkommen
zur Verfgung htten, wren es bei Haushalten im
zweiten Quartil bereits 112 .. Fr die oberen beiden
Einkommensquartile liegt die monatliche Mehrbelas-
tung demnach bei 133 bzw. 171 ..175
Zudem wird vorgebracht, das Ehegattensplitting fr-
dere die Institution „Ehe“, nicht jedoch Familien mit
Kindern. Hintergrund ist die Vorstellung, dass inzwi-
schen viele Ehepaare kinderlos seien und Kinder ins-
besondere von Alleinerziehenden bzw. nichtverheira-
teten Paaren aufgezogen wrden.176 Empirisch zeigt
sich nach Wagenhal s, dass 51,6 % des Splittingvolu-
mens auf Eltern mit Kindern im Alter unter 16 Jahren
zugutekommt und insgesamt 93,7 % des Volumens auf
Ehepaare entfllt, die mindestens ein Kind bekommen
haben.177
VI. Fazit
Nach wie vor herrscht in der Literatur ebenso wie in
der Politik Uneinigkeit darber, wie die Besteuerung
vonEhegattenidealerweiseausgestaltetseinsollte.
Die in der seit mehreren Jahrzehnten andauernden
Diskussion ausgetauschten Argumente haben sich
kaum verndert. Dennoch wird das Ehegattensplitting
gegenwrtig deutlich kritischer gesehen, als dies
noch vor einigen Jahren der Fall war, und dessen Er-
satz durch eine Individualbesteuerung favorisiert.
Dies ist vor allem dem besonders von Steuerjuristen
geußerten Vorwurf der Frauendiskriminierung ge-
schuldet, der argumentativ besonders schwer wiegt
und verstrkt auch in der Politik und den Medien ge-
ußert wird. Zudem wurden vor allem von Seiten der
Finanzwissenschaft die negativen Arbeitsangebotsef-
fekte des Ehegattensplittings strker in den Fokus der
Diskussion gerckt, die wiederum im Hinblick auf
emanzipatorische Bestrebungen als besonders be-
deutsam eingestuft werden. Schließlich wird das Split-
ting als familienfeindlich und sozial ungerecht be-
zeichnet.
Die Befrworter des Ehegattensplittings verweisen
auf die Ehe als Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft
und den dadurch stattfindenden Einkommenstransfer
zwischen den Ehegatten. Der daraus resultierenden
Halbteilung des ehelichen Einkommens zwischen den
Ehegatten trage das Ehegattensplitting steuerlich
Rechnung. Von daher knne von unerwnschten Ver-
teilungseffekten und einer familienfeindlichen Be-
steuerung ebenso wenig gesprochen werden wie von
einer Frauendiskriminierung. Im Zusammenhang mit
Arbeitsangebotseffekten wird auf die Neutralitt des
Ehegattensplittings hinsichtlich der eheinternen Ar-
beitsteilung verwiesen.
Insgesamt gesehen scheinen die Splittinggegner der-
zeit im Vorteil, da sie mit schlagkrftigen Begriffen
wie „Frauendiskriminierung“ oder „Familienfeind-
lichkeit“ operieren knnen. Zudem sind Splittingbe-
frworter dem Verdacht ausgesetzt, traditionelle Rol-
lenbilder konservieren zu wollen, wodurch sie sich ar-
gumentativ in der Defensive befinden.
Ob das Ehegattensplitting einer Individualbesteue-
rung tatschlich „unterlegen“ ist, erscheint zweifel-
haft. Zum einen sind die geschtzten positiven Ar-
beitsangebotseffekte aufgrund des genderten weibli-
chen Erwerbsverhaltens inzwischen relativ gering
und im Verhltnis zur Gesamtzahl der Beschftigten
in Deutschland marginal. Beim Realsplitting, das aus
verfassungsrechtlichen Grnden – anders als die Indi-
vidualbesteuerung – eine realistische Option darstellt,
sind die Arbeitsangebotseffekte vernachlssigbar.
Zum anderen sprechen steuererhebungstechnische
Aspekte, die in der Besteuerungsrealitt außerordent-
lich bedeutsam sind aber in der Diskussion kaum ge-
nannt werden, zweifelsfrei fr das Ehegattensplitting.
Im Fall der Abschaffung des Ehegattensplittings wr-
den jhrlich knapp 15 Mio. zustzliche Steuererkl-
rungen anfallen, was sowohl den Steuerpflichtigen als
auch den Finanzbehrden einen nicht unerheblichen
Aufwand bereiten drfte. Zudem mssten die finan-
ziellen Beziehungen zwischen den Ehegatten von den
Finanzbehrden besonders geprft werden, um
Steuergestaltungen zwischen den Ehegatten zu be-
gegnen.
172 Siehe Kleven/Kreiner/Saez, EC 2009. Es wrden also in
beiden Fllen mit dem Partnereinkommen ansteigende
Erwerbsanreize gesetzt. Hintergrund hierfr sind die ne-
gativen Kreuzlohnelastizitten von verheirateten Frauen.
173 Vgl. Buslei/Wrohlich, DIW Roundup 21 2014, S. 1 f.; Fehr/
Kallweit/Kindermann, SOEPpaper 613-2013, S. 1; Mller et
al. (FN 156) S. 79; Wrohlich (FN 152) S. 29. Zu dem Vor-
wurf, dass das Ehegattensplitting „eine Subventionierung
der Alleinverdiener-Hausfrauenehe darstelle“, s. Beblo,
in: Seel, Ehegattensplitting und Familienpolitik, 2007,
S. 269 f.
174 Siehe Bonin et al. (FN 155) S. 106. Bach/Geyer/Haan/
Wrohlich, DIW Wochenbericht 41/2011, S. 16, sowie Wa-
genhals, in: Seel, Ehegattensplitting und Familienpolitik,
2007, S. 249–251, zeigen, dass die Splittingeffekte mit
wachsendem zu versteuerndem Einkommen zwar abso-
lut zunehmen, relativ aber tendenziell abnehmen.
175 Siehe Bonin et al. (FN 155) S. 106.
176 Vgl. Bach/Geyer/Haan/Wrohlich, DIW Wochenbericht 41/
2011, S. 13; Bergs/Fuest/Pechl/Schaefer,JahrbuchfrWirt-
schaftswissenschaften 2007, S. 3; Fehr/Kallweit/Kinder-
mann, SOEPpaper 613 2013, S. 1; Spahn/Kaiser/Kassella,
Fisc. Stud. 1992, S. 29; Steiner/Wrohlich, DP 421 2004, S. 1.
177 Siehe Wagenhals (FN 174) S. 249.
StuW 1/2015 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften 31
Es bleibt festzuhalten, dass sich wissenschaftlich –
nach wie vor – nicht klren lsst, wie die „richtige“
Ehegattenbesteuerung auszusehen hat. Letztlich han-
delt es sich um eine Fragestellung mit normativem
Charakter, die auf der Grundlage von Werturteilen
entschieden werden muss. Dabei kommt dem verwen-
deten Referenzmaßstab eine entscheidende Bedeu-
tung zu. Fr Vertreter der Individualbesteuerung ist
die Gleichbehandlung von einzelnen Wirtschaftssub-
jekten unabhngig vom Familienstand ausschlagge-
bend, whrend Anhnger des Ehegattensplittings ver-
heiratete Paare als Referenzgruppe heranziehen und
die Unterschiede zu nicht verheirateten Paaren beto-
nen. Zudem spielen Steuerwirkungen ebenso eine
Rolle wie Compliance Costs der Besteuerung. Letzt-
lich ist es eine Frage, wie die unterschiedlichen Argu-
mente eingeschtzt und gewichtet werden.
32 Maiterth/Chirvi, Das Ehegattensplitting aus Sicht der Steuerwissenschaften StuW 1/2015
3. Umbruchkorrektur 2. 2. 2015