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Thema
Brot und Wein
1n kulturellen Räumen
Bausteine
CookUOS –
Den Wert der Lebensmittel entdecken
Bildung für Nachhaltige Entwicklung als Gegenstand des Lehrerbildung
Cecil Graham: Was ist ein Zyniker?
Lord Darlington: Ein Mann, der den Preis von allem und den Wert von nichts kennt.
Oscar Wilde (1892) Dialog in: „Der Fächer der Lady Windermere
Ein Schauspiel über eine gute Frau“
„Wertschätzung der verwendeten
Lebensmittel [Mittel zum Leben],
unabhängig von ihrem Preis, und die
Zubereitung mit Liebe sind die
Grundvoraussetzungen für ein gelungenes
Essen, welches man am besten als
gemeinsame Mahlzeit genießt.“
Thomas Bühner (2012)
Schirmherr CookUOS
Uwe Neumann1
Nachhaltigkeitspädagoge
Bildungsreferent für Nachhaltige Entwicklung
Oliver M. Gillen1
B. Sc. Lbs,
Sinja Behrens2
M. Ed. LbS Gesundheit und Sport
Anschrift der Verfasser:
1) Projekt CookUOS der Universität Osnabrück
Fachbereich 8 Humanwissenschaften
Institut für Gesundheitsforschung und Bildung
Barbarastraße 22c
49076 Osnabrück
2) CookUOS e.V.
Verein zur Förderung von Forschung und Bildungsangeboten
in den Bereichen Gesundheits-, Ernährungs-, Verbraucher- und Umweltbildung.
Geschäftsstelle
Bahnhofstraße 62
49504 Lotte
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Inhalt
Der Wert des Essens .............................................................................................................. - 3 -
CookUOS .............................................................................................................................. - 4 -
Motivation ......................................................................................................................... - 4 -
Innovation .......................................................................................................................... - 5 -
Konzeption und Zielsetzung .............................................................................................. - 5 -
Lebensmittel und Einkauf .................................................................................................. - 6 -
Das Kochen ........................................................................................................................ - 7 -
Mahlzeit und Tischkultur ................................................................................................... - 8 -
Kochen und Bildung .......................................................................................................... - 9 -
Essenz .................................................................................................................................. - 10 -
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. - 11 -
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Der Wert des Essens
Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es für uns eine größere Vielfalt und
Verfügbarkeit an Lebensmitteln (Mittel zum Leben!) als heute.
Gleichzeitig stehen dem Überangebot und der Verschwendung von Nahrungsmitteln in den
hochentwickelten Staaten der Erde Hunger in den Schwellenländern und Entwicklungsländern
gegenüber.
Während alleine in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt ca. 18,4 Mio. Tonnen in den
Abfall gelangen und davon schätzungsweise 10 bis 11 Mio. Tonnen Lebensmittel pro Jahr
ohne neue Technologien vermeidbar wären, hungert eine Milliarde Menschen, etwa ein
Siebtel der Weltbevölkerung, tagtäglich (WWF Deutschland, 2015). Dieses Missverhältnis ist
die Ursache dafür, dass die globale Nahrungsmittelproduktion nicht ausreicht um die gesamte
Menschheit zu ernähren, obwohl diese für annähernd 12 Milliarden Menschen ausreichen
könnte. (FAO, 2013)
Von einer wirklichen
Wertschätzung der Lebensmittel
kann bei diesen Tatsachen nicht
mehr gesprochen werden. Neben
der Verschwendung von
Lebensmitteln sieht man
Einschränkungen auf ein
"übliches" Repertoire bei der
Verwendung lediglich weniger
Produkte die man noch kennt.
Der Prozess der Entkoppelung
der Lebensmittelherkunft und -
produktion bis hin zum
bedachten Konsum scheint
unaufhaltsam fortzuschreiten.
Hochpreisige Küchen in
exklusiven Ausstattungsvarianten werden, ihren ureigenen Zweck und Wert verlierend, zu
einem perfekt inszenierten Dekorationsobjekt.
Die eigentliche Wertschätzung der Mittel zum Leben weicht einer götzenartigen
Unterwerfung von Modeerscheinungen. Täglich werden wir mit neuen Ernährungsstilen wie
Vegan, Paleo, Pegan (Paleo-Vegan), Gen frei oder frei von irgendetwas konfrontiert. Das
Geschäft mit der Ernährung und der Gesundheit ist ein Milliardengeschäft, häufig fernab
jeglicher Vernunft und der Wert der Empfehlungen wissenschaftlich kaum reproduzierbar.
Das Thema Ernährung und Kochen ist heute allgegenwärtig und es gibt keinen Tag im
Fernsehprogramm ohne Koch-Show oder Ernährungstipps. Ernährung wird zu einer Art
Ersatzreligion und zum Instrument der Selbstinszenierung in allen sozialen Medien. Gefühlte
Unverträglichkeiten und Nahrungsmittelallergien lassen allemal einen sekundären
Krankheitsgewinn vermuten, ohne jeglichen medizinischen Nachweis.
Essen und Kochen müssen heute vor allem schnell, gesund, und effizient sein. Vor allem aber
billig und überall verfügbar. Da ist es nicht unverständlich, dass man den Preis kennt, die
Wertschätzung der Lebensmittel aber abhandengekommen zu scheint.
Abbildung 1 Aufschlüsselung der Lebensmittelabfälle in Deutschland
Stand 2013 Quelle: Universität Stuttgart / dpa
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Wie schafft man es aber, dieser „to go“ und „fast food“ Mentalität entgegen zu steuern?
Wie kann man also von einem auf Effizienz und Wachstum ausgelegten Denken hin zu einer
ethischen Wertebildung der Ernährung und einer neuen Tischkultur gelangen und dabei
nachhaltiges Handeln vermitteln?
So wie es unsere kulturelles Erbe zeigt!
Den Wert der Lebensmittel durch den wertschätzenden Umgang mit ihnen kann man am
besten über das Kochen und Essen und dem gemeinsamen Mahl erfahren und kommunizieren.
Das Kochen als einer der größten kulturellen Errungenschaften der Menschheit bestimmt seit
der Entdeckung und Beherrschbarkeit des Feuers (Wrangham & Rennert, 2009) die
Werthaftigkeit der verwendeten Lebensmitteln hin zu den zubereiteten Mahlzeiten.
Gleichwohl liegt im Kochen die Chance, die aus tradierten Verhaltensweisen entstandene
Geringschätzung des Essens, einer neuen Ethik der Ernährung näher zu bringen.
(Hirschfelder, Ploeger, Rückert-John & Schönberger, 2015)
CookUOS
Keine andere Aktivität des täglichen Lebens bietet so viele Anknüpfungspunkte in Sachen
Nachhaltigkeit als das Kochen. Ernährung ist ein und komplexer Prozess, der sich in allen
Dimensionen von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) wiederfindet. und allen
globalen Nachhaltigkeitszielen (engl. Sustainable Dvelopment Goals SDG‘s) (Rockström &
Sukhdev, 2016). Was liegt also näher, diese Themen mittels einer Theorie-Praxis
verknüpfenden Methode (Wissensvermittlung und anschließendem Kochen), durchgängig
beginnend in der Familie, hin über alle Bildungsbereiche, zu vermitteln?
Als „good practice“ Beispiel (WWF Deutschland, 2014) wird im Folgenden das seit 2011
erfolgreich an der Universität Osnabrück praktizierte im Kern studentische Projekt
CookUOS vorgestellt. Es handelt sich um eine interdisziplinäre Ringvorlesung mit einem
anschließenden, seminarbegleitenden Kochkurs. Als Wahlangebot ist der Kurs vorrangig für
Studentinnen und Studenten konzipiert, der theoretische Teil ist jedoch auch für die
Öffentlichkeit zugänglich.
Motivation
Mit dem gesellschaftlichen Wandel geht eine Verwischung oder Verschiebung der Grenzen
zwischen den Sozialisations- und Bildungsstätten Familie und Schule einher. Lehrer sind
heute mehr denn je „bildungs- und wertevermittelnde Erzieher", die sich, neben den rein
fachlichen Anforderungen, mit einer Vielzahl von pädagogischen Aufgaben konfrontiert
sehen. Dieses trifft besonders auf die Schulen zu, die in Bezug auf soziale Herkunft,
Bildungsnähe, Migrationshintergrund, ein sehr heterogenes Klientel mit unterschiedlichsten
persönlichen Biografien ausbilden.
Ressourcen-Management und ökologische Auswirkungen der Nahrungsmittelproduktion und
des Konsums besitzen einen hohen Stellenwert bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele.
Es bedarf Handlungsempfehlungen, welche einfach aber dennoch wirkungsvoll in die
Gesellschaft übertragbar sind und zur Wertevermittlung wie Wertebildung beitragen.
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Herausforderungen wie z.B. dem hohen Anteil an den Ausgaben im Gesundheitssystem zur
Behandlung von ernährungsbedingten oder -assoziierten Erkrankungen, die ungleiche
Verteilung von Nahrungsmitteln, dem schonenden Umgang mit Ressourcen oder die
Vermeidung von klimaschädlichen Emissionen (Kohlendioxid, Methan, Überdüngung)
rechtfertigen zudem deutlichere Anstrengungen und Investitionen im Bereich Bildung.
Innovation
CookUOS agiert als „Bus“ und nimmt
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
mit auf eine Reise der Ernährungs-
Gesundheits-, Verbraucher- und
Umweltbildung. Diese Reise verzichtet
auf den erhobenem Zeigefinger oder
Katastrophenszenarien.
Durch die Verknüpfung aktueller
wissenschaftlicher Erkenntnisse und
praxisbezogener Aufgaben werden
Prozesse der Entscheidungsfindung,
Selbstverantwortung angeregt.
Während des Seminars erfolgt ein
vielschichtiger Austausch zwischen
den Teilnehmenden.
Nachhaltigkeit und Wertschätzung sind untrennbar mit der eigenen Haltung und dem eigenen
Handeln verbunden. Will man also Nachhaltigkeit lehren und lernen, geht es deshalb vor
allem darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, eine mit Werten besetze Haltung zu
erlangen.
Genau hierzu setzt CookUOS mit seinen Seminaren und Aktionstagen an. Durch CookUOS
werden Kompetenzen mit einem praktischen und kulturellen Bezug vermittelt und ein
Wertediskurs initiiert. CookUOS soll dazu beitragen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
zu schulen, die später eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen
einnehmen.
Konzeption und Zielsetzung
Die CookUOS Seminare finden vorzugsweise im Wintersemester jede 2. Woche, samstags
von 08:30-18:30 Uhr an insgesamt neun Tagen statt. Die Kurse beginnen mit Vorträgen und
Präsentationen. Dem theoretischen Teil schließen sich das Einkaufen auf dem Wochenmarkt,
Kochen, Essen und auch das gemeinsame Aufräumen an. Dazu werden Gruppen von drei bis
vier Personen gebildet die über das Seminar ein Team bilden. Der Ablauf weist bewusst
Parallelen zu einem normalen Ablauf eines Arbeitstages auf.
Im Seminarteil werden unter aktiver Einbeziehung der Teilnehmer wissenschaftliche Vorträge
zu Themen der Gesundheitsbildung und –förderung, ökologische Nachhaltigkeit und
Ressourcenschonung und philosophisch-ethischen Reflexionen angeboten. Die daran
anschließenden Praxisteile (gemeinsames Einkaufen, Kochen und reflektierende
Tischgespräche) sollen die Bereitschaft fördern, das Erlernte später in die berufliche Tätigkeit
und in die Gestaltung von Lebensweiten zu transportieren.
Abbildung 2 Theorie und Vorlesung als Baustein von CookUOS ©
Foto: CookUOS 2013
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Bewusst einkaufen, kochen, gemeinsam speisen heißt aktiv sein und sich mit Ökologie,
Ökonomie und Gesellschaft kritisch und reflektierend auseinanderzusetzen.
Lernen kombiniert mit Freude stärkt persönliche Fähigkeiten und Ressourcen durch einen
erlebnisbegleitenden Ansatz. Es entsteht ein Gefühl der Kohärenz. Das, was man mit
Engagement und Freude gelernt hat, wird man später auch mit Freude und Wertschätzung
weitergeben können.
Lebensmittel und Einkauf
Hauptort der Lebensmittelbeschaffung
ist der Osnabrücker Wochenmarkt mit
seinem reichhaltigen und vielfältigen
Angebot aus dem Umland.
Die Auswahl der im praktischen Teil
zu verwendenden Lebensmittel
orientiert sich in der Regel an der
saisonalen Verfügbarkeit regionaler
Produkte. Auf Grund der Jahreszeiten
im Wintersemester (Herbst und
Winter) ergibt sich dadurch bereits
eine Form der künstlichen
Verknappung die sich bei näherer
Betrachtung allerdings als
willkommene Chance herausstellt. Durch diese vermeintliche Beschränkung rücken zum Teil
in Vergessenheit geratene ältere oder unbekannte Arten und Sorten von Lebensmitteln
unmittelbar in den Fokus. Ebenso fördert dieses scheinbare Unterangebot die Kreativität und
Experimentierfreude bei der Auswahl der Rezepte und auch der Zubereitung der Menüs. Alte
Kochrezepte unserer Eltern und Großeltern erfahren unmittelbar eine wie selbstverständlich
wirkende Wertschätzung.
Das Zusammenspiel zwischen Tradition, Kultur und Moderne [inklusive hochtechnologischer
Verarbeitungsmethoden] wird greifbar und im weiteren Verlauf essbar. Der Preis gelangt in
den Hintergrund des Geschehens. Im Vordergrund stehen die Produkte und das praktische
Handeln. Der Preis ist wie er ist und fällt höchstens beim Aushandeln für Ware vom Vortag
oder Restbeständen ins Gewicht. Das was noch gut verwertbar ist, darf auch etwas günstiger
sein, bevor man es wegschmeißt. Eine gewinnbringende Situation für Anbieter und
Verbraucher.
Im Verlauf der Seminarwochen entsteht ein ganz neues Verständnis von Herkunft, Produktion
und Konsum. Die Handelspartner bekommen Gesichter, sind lebendig und bleiben nicht
anonym. Eine Vertrauensbeziehung von unschätzbarem Wert entwickelt sich.
Der höhere Preis des frischen Marktangebots wird durch einen bewussteren Einkauf und die
sinnvolle Reduktion der Mengen und Portionsgrößen nahezu vollkommen kompensiert. Die
Themen Fleischverzehr und fairer Handel werden ebenso unvoreingenommen wie kritisch
aufgegriffen und bieten bei der späteren Zubereitung und den Tischgesprächen reichlich
Gesprächsstoff. Beim Einkauf und dem anschließenden Kochen ist die Achtsamkeit auf
Qualität, Herkunft und Produktionsbedingungen gerichtet.
Abbildung 3 Der Osnabrücker Wochenmarkt als Ort der
Lebensmittelbeschaffung © Foto: CookUOS 2015
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Das Kochen
Dem Kochen, als eine zentrale
Errungenschaft der menschlichen
Kulturentwicklung (Methfessel, 2005),
wird bei CookUOS ein besonderer
Stellenwert beigemessen. Die
Bearbeitung- und Verarbeitung der
Lebensmittel ist nach dem
Marktbesuch die nächste Etappe auf
der Reise durch die Ess- und
Ernährungskultur des Menschen.
Hierzu finden sich die Gruppen in der
Lehr- und Mensaküche des
benachbarten Berufskollegs
Ibbenbüren ein. Die eingekauften
Waren werden zusammengetragen und für die einzelnen Menügänge vorsortiert. Jede Gruppe
ist abwechselnd für einen Teil des Menüs verantwortlich. Eine weitere Gruppe kocht nicht,
übernimmt aber als „Supporter“ Hilfstätigkeiten für die anderen Teams Stichwort:
Arbeitsteilung. Vor allem ist sie für die Gestaltung und Dekoration der Tafel zuständig und
für Beschaffungen, für den Fall dass noch etwas vergessen wurde oder nicht als Grundzutat
vorrätig ist. Eine ebenso wichtige wie sinnbehaftete Funktion welche dem Wert des Kochens
in Nichts nachsteht.
Unter Anleitung von erfahrenen Köchen bis hin zum 3*-Koch werden die Rezepte umgesetzt.
Sehr schnell organisieren sich die Teammitglieder untereinander und weisen sich selbst
Einzelaufgaben zu, die zum Gelingen des Ganzen beitragen. Anfängliche Berührungsängste,
Hektik und Unsicherheit weichen mit der Zeit einer entspannten Routine bei stetig besser
funktionierendem Zeit- und Organisationsmanagement. Währenddessen gibt es von den
Köchen Antworten zu allfälligen Fragen rund um das Wissen über Lebensmittel und deren
schonende und handwerklich optimale Zubereitung. Auch hier darf wieder experimentiert
werden was die Zusammenstellung von einzelnen Lebensmitteln oder deren
Zubereitungsarten angeht. Die Vermeidung von Küchenabfällen wird optimiert und
Schnittreste oder nichtverwendete Teile zu Vorspeisen, Beilagen oder Smoothies verarbeitet.
Der Wert der Lebensmittel wird als Ganzes verstanden und Gemüsereste bieten eine gute
Grundlage für eine Brühe und gehören nicht in den Abfall. Fast alles wird verwertet.
Anders als bei den Koch-Shows im Fernsehen haben die Teammitglieder im Kurs die
Möglichkeit auch handwerkliche Fehler zu machen. Die anwesenden Köche bewerten und
tadeln nicht, sondern zeigen Möglichkeiten auf, wie man aus solchen Situationen noch das
Beste herausholen kann. Lebensmittel auf Grund falscher Zubereitung in den Abfall zu geben
ist hierbei die allerletzte Option, die in den gesamten Kursen bisher kein einziges Mal
gezogen wurde. Diese Erfahrung sind wertvolle Bestandteile im Kompetenzerwerb und
führen zu Handlungsoptionen und nicht zur Resignation.
Abbildung 4 Kochen als gemeinsame, sinnstiftende und
wertschaffende Kulturleistung © Foto: CookUOS 2012
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Mahlzeit und Tischkultur
Nachdem die Lebensmittel unter
Zuhilfenahme von Rezepten und
Ratschlägen der betreuenden
Köchen und des Einsatzes
modernster Küchentechnik und
Zubereitungsmethoden ihre
Wertsteigerung durch
Bearbeitung, Würzen und
Produktkombinationen erfahren
haben und zu einer Mahlzeit
zusammengestellt wurden, folgt
der nächste Schritt der
kultivierten „Esskultour“ im
CookUOS-Bus, das gemeinsame
Mahl.
Die Tafel wird von der nicht-
kochenden Gruppe eingedeckt
und dekoriert. Der gedeckte
Tisch dient aber nicht nur der
geordneten Platzierung der
Teilnehmerinnen und
Teilnehmer. Vielmehr wird
durch die, je nach Anlass
mitunter festliche, Gestaltung des Tisches eine stilvolle und wertschätzende Rahmung
geschaffen. Die Mühen der Kochgruppen bei der Zubereitung der gemeinsamen Mahlzeit
werden somit nicht nur durch das Essen selber, sondern auch die hergerichtete Tafel
gewürdigt.
Einheitliches Geschirr und Besteck, verschiedene Gläser für unterschiedliche Getränke und
eine dem Tagesthema entsprechende Dekoration werden selbstverständliche Bestandteile der
Tafelrunde und begleiten den folgenden Genuss. Oft kommt es vor, dass sogar Lebensmittel
oder deren Teile die nicht zum Kochen verendet wurden, als stilgebende Elemente des
Tischschmuckes Verwendung finden und den Gesamtwert der Produkte verdeutlichen.
Servietten werden kreativ bis hin zur täuschend echt wirkenden Nachempfindung eines
Salatkopfes drapiert.
Gang für Gang wird nun serviert und dabei die Zutaten, Zubereitung und Besonderheiten kurz
von den Teams vorgestellt. Selbst wenn es nicht den Geschmack eines jeden trifft, wird
zumindest kurz probiert und führt mitunter zu einem Aha-Erlebnis als Ausdruck einer
Sinneserfahrung. Auf etwaige Nahrungsunverträglichkeiten wird kommentarlos Rücksicht
genommen.
Die Gespräche am Tisch dienen der Reflektion des Tagesthemas und werden in Bezug zu den
Lebensmitteln gesetzt. Es wird über die Schwierigkeiten oder die Einfachheit der Zubereitung
gesprochen, ebenso wie über den die Qualität und weitere Verarbeitungsmöglichkeiten der
Nahrungsmittel.
Abbildung 5 Variationen vom Kohl zeigen die Schönheit und den über das
reine Satt werden hinausgehenden Wert der Lebensmittel bei gleichzeitigem
Genuss © Foto: CookUOS 2013
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Kochen und Bildung
Die Idee, über das Kochen
Bildung und gesellschaftliche
Verantwortung zu transportieren,
ist nicht neu. Seit der
Verwendung und im Folgenden
der Beherrschung des Feuers
ergab sich bereits für die
Vorfahren des homo sapiens
[Der Mensch der weise ist, von
lat. homo = Mensch und sapere
= schmecken, riechen, merken
und daraus abgeleitet: weise] die
zwingende Notwendigkeit,
Wissen und Erfahrungen,
Rezepturen und Wertigkeit der
Lebensmittel weiterzugeben.
Selbst Sprache und Schrift
könnten sich aus diesem Zusammenhang entwickelt haben (Wrangham & Rennert, 2009).
Kochen ist aber auch die Geburtsstunde der Arbeitsteilung, des sozialen Zusammenlebens und
letztendlich der Familie. Erst durch die Entkoppelung von Nahrungsbeschaffung, Anbau von
Agrarprodukten, Verarbeitung und Lagerung von Nahrung bis hin zur Verteilung oder den
Handel damit, konnte sich der Mensch zu dem entwickeln was er heute ist: ein soziales
Wesen. Daher wundert es nicht, dass dem Wissen um den Wert und Nutzen von
Nahrungsmitteln, aber auch deren achtsamer, sparsamer und vorausschauender Verwendung,
schon seit den Anfängen der Menschheit ein hoher Stellenwert beigemessen wird.
Durch den Umgang Nahrungsmittel wurden vielfältiges Wissen über Natur und Umwelt
sowie Fertigkeiten und Handlungskompetenzen von Generation über Generation bis heute
weitergegeben und in gesellschaftlicher Verantwortung umgesetzt (Dewey, 1990). Diese ist
uns so verinnerlicht, dass es nur weniger Impulse bedarf, scheinbar vergessene Fähigkeiten
und Fertigkeiten zu reaktivieren. Dann werden Zusammenhänge wie
Lebensmittelverschwendung, Klimawandel und Ressourcenschonung greifbar und betreffen
einen zumindest ein kleines Stück ganz persönlich. Man reflektiert über
Produktionsbedingung, Überfluss und ungleiche Verteilung ganz automatisch wenn man sich
intensiv selber mit der Zubereitung der Mittel zu Leben befasst.
Neben dem reinen Nährwert der Lebensmittel erschließen sich bei und durch deren
Verwendung weitere Wertedimensionen wie Mitgefühl, Gerechtigkeit, Gemeinschaft,
Teilhabe, Respekt und Verantwortung aber auch Freude, Genuss, Kreativität und
Innovationskraft.
Für all dieses zusammen wird wahrscheinlicher keiner den Preis nennen können, wohl aber
den Wert, welcher sich aus dem Verborgenen, dem nicht Materiellen, in den Lebensmittel
bemisst.
Abbildung 6 Über das Kochen Bildung und gesellschaftliche Verantwortung
vermitteln Quelle: Das Frauenbuch, Stuttgart 1913
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Essenz
Auch wenn die Verknüpfungen von Alltagsaktivitäten wie Essen und Kochen mit
theoretischen Vorlesungen und Seminaren von "... seinen Kritikern als nicht wissenschaftlich
angesehen werden, so werden sich in Zukunft sicher diejenigen mit abschätziger Haltung
gegenüber der Welt des Essens als eine unwissenschaftliche und unethische Denkweise selbst
ins Abseits stellen." (Lemke, 2016)
CookUOS ist somit zu verstehen als Reise durch die Kulturgeschichte des Menschen. Es
weckt Potenziale bei den Teilnehmenden, sich gestaltend der Natur [über die Lebensmittel] zu
nähern, zu bedienen und über die Institution „Küche“ Dinge und Werte zu schaffen
[Handwerk]. Dieser Prozess beginnt bei Produktion und Verfügbarkeit der Mittel zum Leben
bis hin zum satt werden und dabei genießen. Dabei entstehen wertvolle Räume und Ideen für
Neues und Veränderungen bei gleichzeitiger Wertschätzung unserer kulturellen Identität.
Der Wert der Lebensmittel liegt somit nur auf den ersten Blick im Verborgenen. Setzt man
sich aktiv mit ihnen im Verlauf ihrer Zubereitung, dem Kochen, auseinander, erkennt man
weit mehr als deren Nährwert. Ernährung bedient unsere rein körperlichen Bedürfnisse damit
wir Menschen funktionieren und überleben. Essen hingegen benötigen wir als
kommunikatives, sozialisierendes, bildendes und Innovation förderndes Element und Elixier
innerhalb unseres kulturellen Gefüges. Der Mensch ist was, [und wie], er isst (Feuerbach,
1841).
CookUOS als seminarbegleitender Kochkurs ist eine inter- und transdisziplinäre Methode um
Gesundheits-, Ernährungs-, Verbraucher- und Umweltbildung zu fördern (Neumann, 2014b).
Es wird darüber hinaus ein grundlegendes Verständnis für die Naturwissenschaften Biologie,
Physik und Chemie und deren Zusammenhänge initiiert. Gleichzeitig entsteht mittels der
Lebenswirklichkeit Ernährung ein Raum für eine ideologiefreie Wertediskussion mit
sinnstiftenden, praktischen Bezügen.
Regelmäßig und dauerhaft in der Hochschulbildung verstetigt, können daraus im späteren
Verlauf Angebote für die unterschiedlichsten Zielgruppen wie Schulen und außerschulische
Lernorten implementiert und weiterentwickelt werden. (Schockemöhle & Stein, 2015) Ein
Paradigmenwechsel– von einer kurativen (reagierenden) zu einer präventiven (agierenden)
Sichtweise – ist notwendig, um Problemen wie Ressourcenverschwendung, vermeidbaren
Lebensmittelabfällen und Klimaschädigungen einerseits und zunehmender Adipositas,
Unterernährung und Hunger und Werteverschiebungen andererseits, mittels geeigneter
Bildungsangebote entgegenzuwirken .
Der Heranführung an inter- und transdisziplinäre Sichtweisen und Lösungsstrategien
innerhalb der Hochschulbildung (z.B. innerhalb des Studiums in den Bereichen
Religionswissenschaften, Medizin oder Lehramt oder eines Studium Generale) kommt hier
ein hoher Stellenwert zu (Neumann, 2014a). Es entsteht zudem ein innovativer Raum für
Lehre und Forschung, in dem vernetztes Denken bei ganz konkreten Praxisbezügen mit
Fragestellungen der gesellschaftlichen Verantwortung im Vordergrund steht.
Sapere aude! (Horatius Flaccus, ca. 20 v.Chr., 1902)
Weitere Informationen: http://cookuos.uni-osnabrueck.de
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Literaturverzeichnis
Dewey, J. (1990). The school and society and The child and the curriculum: University of Chicago Press.
FAO. (2013). Food wastage footprint. Impacts on natural resources summary report. Rome: FAO.
Feuerbach, L. (1841). Das Wesen des Christenthums. Leipzig: Wigand.
Hirschfelder, G., Ploeger, A., Rückert-John, J. & Schönberger, G. (Hrsg.). (2015). Was der Mensch essen darf.
Ökonomischer Zwang, ökologisches Gewissen und globale Konflikte. Wiesbaden: Springer VS.
Horatius Flaccus, Q. (1902). Episteln. (Briefe) (Kleine Bibliothek, Bd. 132) [Leipzig]: Bange.
Lemke, H. (2016). "Gute Mahlzeiten in guter Gesellschaft". Vom Fast-Food Platonisten zum neuen
Ernährungsdenken. Forschung & Lehre, 23. (7), 574 ff.
Methfessel, B. Fachwissenschaftliche Konzeption: Soziokulturelle Grundlagen der Ernährungsbildung.
Verbraucherbildung im Forschungsprojekt Revis - Grundlagen. In Verbraucherbildung im
Forschungsprojekt Revis - Grundlagen (Bd. 7). Zugriff am 02.09.2016.
Mokrosch, R. & Regenbogen, A. (2009). Werte-Erziehung und Schule. Ein Handbuch für Unterrichtende.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Neumann, U. (2014a). CookUOS - Seminarbegleitender Kochkurs als nachhaltige Multiplikatorenschulung von
Lehramtsstudierenden für Gesundheits-, Ernährungs-, Verbraucher-und Umweltbildung. In C. Schoch
(Hrsg.), Abstractband zum 51. Wissenschaftlichen Kongress. [vom 12. - 14. März 2014 an der Universität
Paderborn] (Proceedings of the German Nutrition Society, Bd. 19, S. 30-31). Bonn.
Neumann, U. (2014b). Einsatz von Lehrküchen in der universitären Lehramtsausbildung im Kontext von
Gesundheits-, Ernährungs-, Verbraucher- und Umweltbildung. In C. Schoch (Hrsg.), Abstractband zum 51.
Wissenschaftlichen Kongress. [vom 12. - 14. März 2014 an der Universität Paderborn] (Proceedings of the
German Nutrition Society, Bd. 19, S. 97-99). Bonn.
Rockström, J. & Sukhdev, P. (Stockholm EAT Food Forum, Hrsg.). (2016). How food connects all the SDGs. A
new way of viewing the Sustainable Development Goals and how they are all linked to food, Stockholm
Resilience Centre. Zugriff am 02.09.2016. Verfügbar unter
http://www.stockholmresilience.org/research/research-news/2016-06-14-how-food-connects-all-the-
sdgs.html
Schockemöhle, J. & Stein, M. (Hrsg.). (2015). Nachhaltige Ernährung lernen in verschiedenen
Ernährungssituationen. Handlungsmöglichkeiten in pädagogischen und sozialpädagogischen Einrichtungen.
Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Verfügbar unter https://www.content-
select.com/index.php?id=bib_view&ean=9783781554153
Wrangham, R. & Rennert, U. (2009). Feuer fangen. Wie uns das Kochen zum Menschen machte - eine neue
Theorie der menschlichen Evolution (1. Aufl.). München: Dt. Verl.-Anst. Verfügbar unter
http://www.gbv.de/dms/faz-rez/FD1201003172616571.pdf
WWF Deutschland. (2014). Weltretten mit Mohrrüben. Tipps & Tricks für eine umweltfreundliche Ernährung,
46.
WWF Deutschland (Hrsg.). (2015) Das Grosse Wegschmeißen [Themenheft]. Berlin.