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Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Forschungsdaten

Authors:

Abstract

Hauptsächlich behandelt der Beitrag die aktuelle Rechtslage für Forschungsdaten nach dem Urheberrechtsgesetz (Kapitel 3). Zuvor geht Kapitel 1 auf die aktuelle Bedeutung und die Entwicklungen im Bereich digitaler Forschungsdaten und auf wichtige Akteure in diesem Feld ein. Weiterhin einführend problematisiert Kapitel 2 den Begriff der Forschungsdaten.
Deutscher Fachverlag GmbH .Frankfurt am Main
Herausgegeben von
Ju¨ rgen Ensthaler
Stefan Mu¨ ller
Dagmar Gesmann-
Nuissl
Herausgeberbeirat
Wilhelm-Albr. Achilles
Hans-Ju¨ rgen Ahrens
Udo di Fabio
Lars Funk
Thomas Klindt
Roman Reiss
Franz Ju¨ rgen Sa
¨cker
Klaus Schu¨ lke
Christian Steinberger
Walther C. Zimmerli
Klaus J. Zink
Schriftleitung
Lehrstuhl fu¨r
Wirtschafts-,
Unternehmens- und
Technikrecht an der
Technischen
Universita
¨t Berlin
In Verbindung mit
VDI Verein Deutscher Ingenieure e. V.
InTeR
Zeitschrift zum Innovations- und Technikrecht
4
Dezember 2013
1. Jahrg.
84364
Seite 173–236
Prof. Dr. Dagmar Gesmann-Nuissl
173 Editorial
Gary E. Marchant and Yvonne A. Stevens
174 The United States Supreme Court Resolves the Gene
Patenting Controversy (Or Did It?)
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang B. Schu¨ nemann
181 Vertragsgestaltung im Supply Chain Management
RA Christian A. Mayer
189 Rechtliche Rahmenbedingungen der Elektromobilita
¨t
Ass. iur. Silvia Balaban und Prof. Dr.-Ing. Frank Pallas
193 Haftung und Beweis bei geschachtelt komponierten
Cloud-Services
Dipl.-Wirtschaftsjur. (FH) Thomas Hartmann, LL.M.
199 Zur urheberrechtlichen Schutzfa
¨higkeit von Forschungs-
daten
RA Joerg Heidrich und RAin Maike Brinkert
203 Der Provider als Hilfssheriff?
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Kai Hofmann
210 Schutz der informationellen Selbstbestimmung von Unter-
nehmen in ,,intelligenten‘‘ Netzwerken
RA Dr. Sebastian Polly
216 10 Jahre RAPEX – Entwicklungen, Trends sowie Hand-
lungsempfehlungen fu¨ r Unternehmen
RA Dr. Carsten Schucht
220 Zu den Inverkehrbringensvoraussetzungen von Funk-
anlagen der ,,Klasse 2‘‘ im Allgemeinen und von Funk-
signalversta
¨rkern im Besonderen – Zugleich Anmerkung
zum Urteil des VG Ko
¨ln vom 17.7.2013
Prof. Dr. Dagmar Gesmann-Nuissl
223 Rechtsprechungsreport Innovations- und Technikrecht
234 InTeRessantes
Dipl.-Wirtschaftsjur. (FH) Thomas Hartmann, LL.M.
*
Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Forschungsdaten
Hauptsächlich behandelt der Beitrag die aktuelle Rechtslage
für Forschungsdaten nach dem Urheberrechtsgesetz (Kapitel
3). Zuvor geht Kapitel 1 auf die aktuelle Bedeutung und die
Entwicklungen im Bereich digitaler Forschungsdaten und
auf wichtige Akteure in diesem Feld ein. Weiterhin einfüh-
rend problematisiert Kapitel 2 den Begriff der Forschungs-
daten.
I. Bedeutung
Die Digitalisierung eröffnet weitergehende Möglichkeiten
globaler Transparenz wissenschaftlichen Arbeitens und an
Verwertungsmöglichkeiten elektronisch erfasster For-
schungsdaten. Zu ihrer sinnvollen und nachhaltigen Auf-
bewahrung bedarf es etwa
geeigneter Infrastrukturen (zum Beispiel Virtuelle For-
schungsumgebungen),
institutionell verlässlich zugewiesener Zuständigkeiten,
technischer Standardisierungen,
– Prozessroutinen,
fachlicher Qualitätssicherung,
multidimensionaler Koordination (unter anderem hin-
sichtlich Interoperabilität in internationalen und inter-
disziplinären Netzwerken, Stichwort „offene“ Daten),
informationstechnologischer Verfahren der Langzeit-
archivierung.
Aus Sicht der Wissenschaft ist zu erwarten, dass sich die
elektronische Publikation von Forschungsdaten – man
denke allein an die Perspektive „data driven science“ –
mehr und mehr etablieren wird, wie es sich für (Text-)
Publikationen seit nunmehr einiger Zeit bereits durch-
gesetzt hat. Die Vielfalt an Verwertungsmöglichkeiten frei
und dauerhaft zugänglicher Forschungsdaten kann dabei
kaum hoch genug eingeschätzt werden. Bisher weithin
unbeachtet blieben, um nur einen Aspekt herauszugreifen,
die Auswirkungen auf die Lehre.
Die Bedeutung der Forschungsdaten in einer digitalen
Wissenschaftswelt wird nicht zuletzt deutlich durch Ini-
tiativen der wesentlichen Akteure im Wissenschaftssektor,
insbesondere seitens der Deutschen Forschungsgemein-
schaft (DFG), der Allianz der Deutschen Wissenschafts-
organisationen, der Hochschulrektorenkonferenz (HRK),
der Europäischen Kommission (EU-Forschungsförderung)
sowie außereuropäischer Wissenschaftseinrichtungen.
1. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
„Von der Assyrologie bis zur Zoologie“ will die Deutsche
Forschungsgemeinschaft mit einem im März 2013 bewil-
ligten Förderprogramm „orientiert an Bedarf und Bedürfnis
der Wissenschaften hilfreiche Strukturen für Forschungs-
daten“ anstoßen und verstetigen.
1
Mit der Förderung nach-
haltiger Forschungsdateninfrastrukturen beabsichtigt die
Deutsche Forschungsgemeinschaft zu einem Bewusstseins-
wandel beizutragen, der „die Bedeutung eines qualitäts-
gesicherten Datenmanagements erkennt und Schritte zur
Nachnutzung von Forschungsdaten unternimmt.“
2
2. Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen
Schon im Juni 2010 verabschiedete die Allianz der deut-
schen Wissenschaftsorganisationen „Grundsätze zum Um-
gang mit Forschungsdaten“.
3
Eine Arbeitsgruppe zu For-
schungsdaten will sich im Zeitraum 2013 bis 2017 mit
folgenden vier Themenfeldern befassen:
4
– Forschungsdatenmanagement,
Nachnutzung und Verfügbarkeit von Forschungsdaten,
– Kostenstrukturen,
Juristische Rahmenbedingungen.
3. Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
Übertitelt mit „Gute wissenschaftliche Praxis an deutschen
Hochschulen“ beschloss die Hochschulrektorenkonferenz
am 14.5.2013 als Empfehlung der 14. HRK-Mitgliederver-
sammlung unter Ziff. II.4.:
„Keine Datenmanipulation
Die Prämisse der Wahrheitsfindung in der Wissenschaft
fordert insbesondere die fortdauernde Bereitschaft zum
Zweifel an erzielten Ergebnissen, die genaue Dokumenta-
tion der Daten und Quellen und die maximale Transparenz
der eingesetzten Methoden zur Erhebung der Daten. Sie
erlaubt keine Manipulation von Daten. Die Verantwortung
für die Qualität der Daten liegt bei allen Beteiligten und
auch das wissentliche ‚Übersehen‘ von Unredlichkeiten im
Umgang mit Daten und Texten ist selbst wissenschaftliches
Fehlverhalten.
Jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ist zur
vollständigen Datendokumentation verpflichtet. Entspre-
chende umfangreiche elektronische Datenspeicher müssen
an den Hochschulen bereitgestellt werden. (...)“
4. Europäische Kommission (Forschungsförderung)
Im Juli 2012 kündigte die Europäische Kommission an, den
Zugang zu wissenschaftlichen Informationen ab dem 2014
beginnenden Förderzeitraum („Horizon 2020“) verbessern
zu wollen.
5
Die Zielsetzung ist wie folgt beschrieben:
„Schaffung eines geeigneten Rahmens und Förderung des
freien Zugangs zu Forschungsdaten im Kontext von ‚Ho-
rizont 2020‘ unter Berücksichtigung etwaiger Beschrän-
kungen, die zum Schutz des geistigen Eigentums oder
Thomas Hartmann, Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Forschungsdaten InTeR 4/13 199
* Auf Seite III erfahren Sie mehr über den Autor. Zugrunde liegt ein
Vortrag, gehalten auf der DSRI Herbstakademie 2013 an der Hum-
boldt-Universität zu Berlin am 13.9.2013.
1 Deutsche Forschungsge meinschaft, Pressemitteilung Nr. 06/201 3
vom 20.3.2013, http://www.dfg.de/service/presse/pressemitteilungen
2013/pressemitteilung_nr_06/index.html.
2 Deutsche Forschungsge meinschaft, Pressemitteilung Nr. 06/201 3
vom 20.3.2013, http://www.dfg.de/service/presse/pressemitteilungen
2013/pressemitteilung_nr_06/index.html.
3 Vgl. http://www.allianzinitiative.de/fileadmin/user_upload/Home/Vi
deo/Grunds%C3%A4tze%20Umgang%20mit%20Forschungsdaten.
pdf.
4 Vgl. http://www.allianzinitiative.de/de/handlungsfelder/forschungsd
aten/.
5 Vgl. dazu Hartmann, Ohne 3. Korb: Trends für einen wissenschafts-
und medienfreundlichen Urheberschutz. in: Taeger (Hrsg.), IT und
Internet – mit Recht gestalten, 2012, S. 245, 255 f.
legitimer geschäftlicher Interessen erforderlich sein könn-
ten, ab 2014.“
6
Die Europäische Kommission misst dabei Forschungsdaten
einen zunehmend hohen Stellenwert bei:
„Die Diskussionen über das wissenschaftliche Verbrei-
tungssystem haben sich traditionell auf den Zugang zu
wissenschaftlichen Publikationen – Zeitschriften und Mo-
nografien – konzentriert. Es wird jedoch auch zunehmend
wichtig, den Zugang zu Forschungsdaten zu verbessern
(Versuchsergebnisse, Beobachtungen und rechnergenerierte
Informationen), die die Grundlage für quantitative Ana-
lysen bilden, die wiederum Ausgangsbasis für viele wis-
senschaftliche Publikationen sind.“
7
Zusätzlich kündigte die Europäische Kommission ein Pilot-
programm zum freien Zugang und zur Weiterverwendung
von Forschungsdaten an.
8
5. Research Data Alliance (RDA)
Im März 2013 gründeten unter anderen die National
Science Foundation (NSF), die Europäische Kommission
(Projekt iCordi) und das Australian National Data Service
(ANDS) die Research Data Alliance (RDA, siehe https://
rd-alliance.org/). Zu deren Aufgaben gehört es, vermöge
verstärkter internationaler Zusammenarbeit Forschungs-
daten in koordinierter Weise zu sichern und für Nachnut-
zungen bereitzustellen. Dazu sollen die informationstech-
nologische Entwicklung, Regelwerke und Normen sowie
praktische Umsetzungen unterstützt werden. Inzwischen
hat sich eine Reihe teils fachspezifisch ausgerichteter Ar-
beitsgruppen formiert.
II. Definition Forschungsdaten
Eine einheitliche Definition von Forschungsdaten besteht
nicht. Vielmehr unterscheidet sich das Verständnis von
Forschungsdaten von Wissenschaftsdisziplin zu Wissen-
schaftsdisziplin, bisweilen sogar innerhalb einer Wissen-
schaftsdisziplin mit vielfältigen Methodikansätzen.
Ferner werden Termini wie wissenschaftliche Rohdaten,
Primärdaten oder Forschungsergebnisse verwendet, die
partiell Forschungsdaten synonym beschreiben, partiell
aber auch Abweichungen entlang wissenschaftlicher Ar-
beitsprozesse abbilden.
Unter Forschungsdaten sollen im Folgenden solche Daten
wissenschaftlichen Arbeitens verstanden werden, die typi-
scherweise mit den Natur-, Lebens- und Technikwissen-
schaften und deren bevorzugten Methodiken assoziiert
werden wie beispielsweise Messwerte, Labor- und Ver-
suchsergebnisse, statistische Werte.
9
Nicht betrachtet wer-
den sollen zum Beispiel Texte, die etwa in den Literatur-
und anderen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften re-
gelmäßig forschungshalber herangezogen werden, oder
Bilder, die Bestandteil etwa der Kunst- und Bildwissen-
schaften sind. Generell sollen im Rahmen dieses Beitrags
bild- oder skizzenhafte sowie grafische Darstellungen
außer Acht bleiben.
Darüber hinaus zur eher fachübergreifenden Orientierung
dienen können folgende Definitionen:
1. Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen,
Schwerpunktinitiative „Digitale Information“
„Forschungsdaten sind Daten, die im Zuge wissenschaft-
licher Vorhaben z. B. durch Digitalisierung, Quellenfor-
schungen, Experimente, Messungen, Erhebungen oder Be-
fragungen entstehen.“
10
2. Informationswissenschaftler Schirmbacher und
Kindling
„Unter digitalen Forschungsdaten verstehen wir [...] alle
digital vorliegenden Daten, die während des Forschungs-
prozesses entstehen oder ihr Ergebnis sind. Der For-
schungsprozess umfasst dabei den gesamten Kreislauf
von der Forschungsdatengenerierung, z. B. durch ein Ex-
periment in den Naturwissenschaften, eine dokumentierte
Beobachtung in einer Kulturwissenschaft oder eine empi-
rische Studie in den Sozialwissenschaften, über die Be-
arbeitung und Analyse bis hin zur Publikation und Archi-
vierung von Forschungsdaten.“
11
3. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
„Forschungsdaten sind digitale, elektronisch speicherbare
Daten, die während eines wissenschaftlichen Arbeitspro-
zesses z. B. durch Quellenforschungen, Experimente, Mes-
sungen, Erhebungen oder Befragungen entstehen“.
12
Sie
bilden einen „wertvollen Fundus an Informationen, die mit
hohem finanziellen Aufwand erhoben wurden. Je nach
Fachgebiet und Methode sind sie replizierbar oder basieren
auf nicht wiederholbaren Beobachtungen oder Messungen.
In jedem Fall sollten die erhobenen Daten nach Abschluss
der Forschungen öffentlich zugänglich und frei verfügbar
sein. Dieses ist die wesentliche Voraussetzung, dass Daten
im Rahmen neuer Fragestellungen wieder genutzt werden
können sowie dafür, dass im Falle von Zweifeln an der
Publikation die Daten für die Überprüfung der publizierten
Ergebnisse herangezogen werden können.“
13
III. Zum Schutz von Forschungsdaten nach dem
Urheberrechtsgesetz
Inwieweit für Forschungsdaten überhaupt regelmäßig der
urheberrechtliche Anwendungsbereich eröffnet ist, wurde
bisher fachjuristisch nur vereinzelt
14
untersucht. Die En-
quete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des
200 InTeR 4/13 Thomas Hartmann, Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Forschungsdaten
6 COM(2012) 401 final, S. 13.
7 COM(2012) 401 final, S. 4.
8 COM(2012) 401 final, S. 11; näher siehe http://www.openaire.eu/en/a
bout-openaire/publications-presentations/publications/doc_details/5
85-horizon2020opendatapilot20130703final.
9 Ähnlich auch die EU-Kommission, die unter Forschungsdaten Ver-
suchsergebnisse, Beobachtungen und rechnergenerierte Informatio-
nen anführt, die „die Grundlage für quantitative Analysen bilden“,
siehe COM(2012) 401 final, S. 4.
10 http://www.allianzinitiative.de/de/handlungsfelder/forschungsdaten/.
11 Schirmbacher/Kindling, Information, Wissenschaft & Praxis 2-3/
2013, 127.
12 http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/program:me/lis/ua_inf
_empfehlungen_200901.pdf.
13 htttp: / /www.df g.de/download/pdf/foerderung/progr amme/lis/aussc
hreibung_forschungsdaten_1001.pdf.
14 Siehe Spindler, KoLaWiss-Gutachten AP 4: Recht, 2009, http://kolaw
iss.uni-goettingen.de/projektergebnisse/AP4_Report.pdf; Knowledge
Exchange, Annex 3: The legal status of research data in Germany,
2011.
Deutschen Bundestages vermerkte in ihrem sechsten Zwi-
schenbericht zu Bildung und Forschung im Januar 2013:
„Häufig ist der rechtliche Status von Forschungsdaten
unklar.“
15
1. Schutzunfähigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse
In diesem Beitrag kann die dogmatische Unerlässlichkeit
nicht ausführlicher dargestellt werden, dass unter dem
Regime des Urheberrechts Forschungsergebnisse oder wis-
senschaftliche Erkenntnisse per se nicht eigentumsähnlich
monopolisierbar sein, sondern vielmehr erst gemeinfrei
den Nährboden der Wissenschaft und des Fortschritts in
einer Gesellschaft bilden können.
Gedanken, Ideen, Inhalte, Lehren, Methoden, Theorien,
Meinungen, Fakten, Erkenntnisse und eben auch Daten
sind urheberrechtlich nicht geschützt.
16
Mit Sorge sind,
auch frühe legislative,
17
Tendenzen zu konstatieren, Inhalte
doch unter ausschließlichen Rechtsschutz zu stellen. Nur
beispielhaft soll erinnert werden an die in der Urheber-
rechtswissenschaft zunehmend verknüpfte Dichotomie von
Form und Inhalt,
18
an Eugen Ulmer mit seiner Gewebe-
theorie
19
oder an den weitgehenden Schutz der (wissen-
schaftlichen) Schriftwerke im Urheberrechtsgesetz.
20
Das urheberrechtliche Dogma, wissenschaftliche Erkennt-
nisse sind schutzunfähig, flankieren eher formalistisch
wirkende Anforderungen an den Werkbegriff. Nach all-
gemeiner Auffassung setzt ein urheberrechtlich schutz-
fähiges Werk unter anderem
21
eine wahrnehmbare Form-
gestaltung voraus,
22
die eine beispielsweise im Rahmen
einer Messung, einer statistischen Untersuchung oder einer
Beobachtung erzielte wissenschaftliche Erkenntnis nicht
aufweist. Zur Vereinfachung soll allerdings im Folgenden
von regelmäßig schriftlich oder körperlich festgehaltenen,
mindestens jedoch wahrnehmbaren Forschungsdaten aus-
gegangen werden.
2. Werkschutz
Urheberrechtlich geschützt wären Forschungsdaten, wenn
sie Werkqualität im Sinne des Urheberrechtsgesetzes kenn-
zeichnete. In Betracht kommen die in §2 Abs. 1 UrhG
angeführten Werkarten:
a) Sprachwerk (§2 Abs.1 Nr.1 UrhG)
Zwar werden zur Abbildung und Dokumentation von
Forschungsdaten Mittel der Sprache (zum Beispiel Buch-
staben, Ziffern, mathematische Zeichen, Beobachtungszei-
chen) verwendet. Die Versprachlichung allein konstituiert
noch keinen urheberrechtlichen Schutz als Sprachwerk.
Zusätzlich müssen die Forschungsdaten eine persönliche
geistige Schöpfung gem. §2 Abs. 2 UrhG darstellen, was
ein kreatives, individuelles, gestalterisches Engagement
erfordert. Die Forschungsdaten in ihrer Gestalt sind aber
gerade nicht individuell auf ihren erhebenden Forscher
zurückzuführen, sondern werden nach fachwissenschaft-
lichen Standards und Routinen generiert. Es mangelt an
einer persönlichen Formgebung bzw. Individualität durch
die Wissenschaftler, welche die Forschungsdaten erarbei-
ten.
Forschungsdaten an sich sind folglich regelmäßig nicht als
Sprachwerk urheberrechtlich geschützt.
b) Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art
(§2 Abs.1 Nr.7 UrhG)
Unter der Werkart „Darstellungen wissenschaftlicher oder
technischer Art“ können zum Beispiel Zeichnungen, Pläne,
Karten, Skizzen, Tabellen oder plastische Darstellungen
Urheberschutz genießen. Vergleichbar den oben in Kapitel
3.2.1. behandelten Sprachwerken werden jedoch auch etwa
skizzenhafte, tabellarische, zeichnerische Darstellungen
von Forschungsdaten in der Regel den fachwissenschaft-
lichen Normen folgen und damit keine eigenschöpferische
Werkqualität erreichen.
In Abweichung können ausnahmsweise solche wissen-
schaftliche Darstellungen geschützt sein, die gem. §72
UrhG Bilder sind oder als fotografieähnliche Aufnahmen
hergestellt worden sind. Dieser leistungsrechtliche Sonder-
schutz verlangt keine persönliche Werkschöpfung, ver-
schafft allerdings einen vergleichsweise lediglich reduzier-
ten Rechtsschutz.
Forschungsdaten als Darstellungen wissenschaftlicher oder
technischer Art sind folglich regelmäßig nicht urheber-
rechtlich geschützt.
c) Sammelwerk (§4 Abs.1 UrhG)
Sammlungen von Daten, die „aufgrund der Auswahl oder
Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöp-
fung sind“,
23
werden wie selbständige Werke geschützt.
Zwar sind demnach die einzelnen Forschungsdaten – wie
vorstehend aufgezeigt – nicht urheberrechtlich geschützt.
Es könnte allerdings die Datenbank, das Diagramm, die
Tabelle oder der sonstige Zusammenstellungs- bzw. Auf-
bewahrungsort der einzelnen Forschungsdaten urheber-
rechtlichen Schutz als Sammelwerk beanspruchen.
Dazu müssten allerdings eine besondere Auswahl oder
Anordnung der Daten eine persönliche geistige Schöpfung
zum Ausdruck bringen. Beachtlich sind insofern allein die
Auswahl oder die Anordnung, nicht etwa die Qualität oder
der darstellerische Wert der Daten.
24
Auch nicht für den
Urheberschutz als Sammelwerk ausschlaggebend sind der
Arbeitsaufwand oder eine besondere Sachkenntnis.
25
Eine solche individuelle Anordnung oder Auswahl liegt
zum Beispiel nicht vor, wenn Messwerte nach etablierten
fachlichen Standards und Schemata, nach logischen (zeit-
lichen) Kriterien, handwerklichen Routinen oder etwa im
Sinne ihrer Gesamtheit bzw. Vollständigkeit erfasst wür-
den.
Thomas Hartmann, Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Forschungsdaten InTeR 4/13 201
15 BT-Drs. 17/12029, S. 48.
16 Vgl. nur Loewenheim, in: Schricker/ Loewenheim, Urheberrecht,
4. Aufl. 2010, §2 Rn. 61 ff. m. w. N.
17 BT-Drs. 4/270, S. 38.
18 Kurzzusammenfassung der „alten Kontroverse“ z. Bsp. bei Loewen-
heim in: Schricker/ Loewenheim (Fn. 16), §2Rn.54ff.undSchulze,in:
Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 4.Aufl. 2013, §2Rn.43.
19 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, §19, IV. 2.
20 Kritisch dazu auch Hartmann, ZUM 2013, 522 f.
21 Siehe dazu auch unten Kap. III.2.
22 Siehe statt vieler Loewenheim, in: Schricker /Loewenheim (Fn. 16), §2
Rn. 20 ff. und Schulze, in: Dreier/ Schulze (Fn. 18), §2 Rn. 13.
23 Legaldefinition §4 Abs. 1 UrhG.
24 Siehe Art. 3 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz
von Datenbanken (EG-Datenbanken-Schutzrichtlinie), ABl. EG L 77,
S. 20 und 16. ErwGr. leg. cit.
25 Vgl. EuGH, 1.3.2012 – C-604/10, K&R 2012, 335 ff. – Football
Dataco.
Zu beachten ist, dass Sammelwerke nur vor der Übernahme
genau dieser Auswahl oder Anordnung in Gänze oder
zumindest in wesentlichen Teilen schützen.
26
Im Übrigen
hat im Urheberrechtsgefüge die Bedeutung der Sammel-
werke abgenommen, nachdem der Sui-Generis-Rechts-
schutz für Datenbankhersteller mit niedrigeren Schutz-
anforderungen im Jahr 1998 eingeführt wurde.
27
Mehrere Forschungsdaten sind folglich regelmäßig nicht
als Sammelwerk urheberrechtlich geschützt.
d) Datenbankwerk (§4 Abs. 2 UrhG)
Sammlungen von Daten, die „systematisch oder metho-
disch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer
Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind“,
28
genießen
Werkschutz. Forschungsdaten werden oftmals entlang
eines Ordnungsschemas dokumentiert. Auch methodische
Anordnungen von Forschungsdaten sind üblich, wenn
diese nach fachlichen Handlungsanweisungen oder Plänen
zusammengestellt werden. Nicht untypisch kann ferner
davon ausgegangen werden, dass einzelne Forschungs-
daten mit Hilfe elektronischer Mittel zugänglich sind.
Ähnlich wie bei Sammelwerken muss allerdings zusätzlich
die Anordnung oder Auswahl der Forschungsdaten eine
persönliche geistige Schöpfung darstellen. Typischerweise
folgen Daten erhebende Forscher den jeweiligen fachwis-
senschaftlichen Ordnungskriterien, Standards und Routi-
nen, um ihre Forschungsdaten zusammenzustellen. Eine
individuelle Auswahl oder Anordnung wird insoweit im
Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens gerade nicht er-
wünscht sein.
Mehrere Forschungsdaten sind folglich regelmäßig nicht
als Datenbankwerk urheberrechtlich geschützt.
3. Leistungsschutz: Sui-Generis-Datenbankschutz
(§§ 87 a UrhG)
Für mehrere Forschungsdaten könnte ein leistungsrecht-
licher Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz in Betracht
kommen. Gem. §§ 87 a ff. UrhG haben Datenbankhersteller
bestimmte ausschließliche Verwertungsrechte.
Auf die Einzelheiten des Sui-Generis-Datenbankschutzes
kann im Rahmen dieses Beitrags nicht vertieft eingegangen
werden. Ausführliche Untersuchungen vorgelegt haben
Ehmann
29
und Rieger.
30
Speziell für Forschungsdaten ist
zunächst anzunehmen, dass diese systematisch oder me-
thodisch angeordnet werden und auch einzeln zugänglich
sind.
31
Des Weiteren muss die Beschaffung, Überprüfung oder
Darstellung der Forschungsdaten eine wesentliche Investi-
tion erfordern. Nach den Leitlinien der Rechtsprechung
und der herrschenden Lehre ist nicht anzunehmen, dass
schon die (hohen) Kosten bei den Studien und Unter-
suchungen eine wesentliche Investition im urhebergesetz-
lichen Sinne begründen.
32
Ferner ist auf die EuGH-Judikatur British Horseracing
Board hinzuweisen, die selbst generierte Daten vom Sui-
Generis-Datenbankschutz ausklammert.
33
Dennoch ist festzuhalten, dass nach überwiegender Auf-
fassung Computerprogramme und Hardware als wesent-
liche Investition gelten sollen, die zur Darstellung der
Forschungsdaten Tabellen oder Abfragesysteme erzeugen.
In Hinblick auf Forschungsdaten sollen an dieser Stelle
zwei gravierende Schwachstellen des Sui-Generis-Daten-
bankschutzes hervorgehoben werden:
1. Der vergleichsweise nur partiell wirkende leistungsrecht-
liche Datenbankschutz begründet keine Urheberpersön-
lichkeitsrechte, den Rechtsinhabern wird zum Beispiel kein
Recht auf Anerkennung der Urheberschaft an ihren For-
schungsdaten bzw. an deren Zusammenstellung und Dar-
stellung eingeräumt.
2. Das Sui-Generis-Datenbankherstellerrecht erhalten in
der Regel nicht die Forscher, sondern die Einrichtungen,
welche die Datenbanken finanzieren.
In Datenbanken, Tabellen oder ähnlichen Sammlungen
aufgenommene Forschungsdaten können folglich leis-
tungsrechtlichen Urheberschutz erlangen. Inhaber der aus-
schließlichen Nutzungsrechte ist regelmäßig die Einrich-
tung, welche die Datenbank (vor allem Hardware, Soft-
ware, Personal) finanziert.
IV. Fazit
Forschungsdaten sind regelmäßig nicht als Werk urheber-
rechtlich geschützt. Insbesondere lassen die nach wissen-
schaftlichen Qualitätsstandards ermittelten, angeordneten
und dokumentierten Forschungsdaten keine individuelle
eigenschöpferische Tätigkeit der Daten erhebenden For-
scher erkennen und können folglich nicht als Werk gem.
§2 Abs. 2 UrhG oder als Sammel- oder Datenbankwerk
gem. §4 UrhG qualifiziert werden. Unter Umständen kann
das leistungsschutzrechtliche Sui-Generis-Datenbankher-
stellerrecht gem. §§ 87 a ff. UrhG einschlägig sein, wobei
hinsichtlich Forschungsdaten insbesondere die Beschrän-
kungen auf bestimmte Verwertungsrechte sowie auf in der
Regel allein die finanzierenden Einrichtungen als in ihrer
Investition sodann geschützte Rechtsinhaber zu beachten
sind.
Abgesehen von dem Sui-Generis-Datenbankschutz ist die
Rechtslage zu begrüßen: Unter dem Urheberrechtsregime
sollten wissenschaftliche Erkenntnisse, Forschungsergeb-
nisse und Forschungsdaten im Besonderen nicht mono-
polisiert werden, sondern gemeinfrei den Nährboden der
Wissenschaft und des Fortschritts in einer Gesellschaft
bilden können.
202 InTeR 4/13 Thomas Hartmann, Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Forschungsdaten
26 Vgl. BGH, 21.11.1991 – I ZR 190/89, WRP 1992, 301 ff. – Leitsätze.
27 Siehe unten Kap. III.3.
28 Legaldefinition §4 Abs. 2 UrhG.
29 Ehmann, Wettbewerbsfreiheit und Investitionsschutz für Datenban-
ken, 2011.
30 Rieger, Der rechtliche Schutz wissenschaftlicher Datenbanken, 2010.
31 Siehe oben Kap. III.2.d) – parallele Anforderung auch für Daten-
bankwerke i. S. d. §4 Abs. 2 UrhG.
32 Vgl. EuGH, 9.11.2004 – C-444/02, GRUR 2005, 254 ff. – Fixtures-
Fußballspielpläne II; EuGH, 9.11.2004 – C-338/02, GRUR 2005,
252 f. – Fixtures-Fußballspielpläne I; Vogel, in: Schricker/Loewen-
heim (Fn. 16), §87 a Rn. 30.
33 Vgl. EuGH, 9.11.2004 – C-203/02, GRUR 2005, 244 ff. – The British
Horseracing Board. Darin der EuGH zur zweiten Vorlagefrage: „Der
Begriff der mit der Beschaffung des Inhalts einer Datenbank ver-
bundenen Investition im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie
ist dahin zu verstehen, dass er die Mittel bezeichnet, die der Ermitt-
lung von vorhandenen Elementen und deren Zusammenstellung in
dieser Datenbank gewidmet werden. Er umfasst nicht die Mittel, die
eingesetzt werden, um die Elemente zu erzeugen, aus denen der
Inhalt einer Datenbank besteht.“
Chapter
Rechtsfragen gehörten bisher nicht zu den Themen, mit denen sich die Geistes- und Kulturwissenschaften intensiv beschäftigen mussten. Mit der zunehmenden Digitalisierung in Forschung und Lehre hat sich dies geändert. Der Grund für die gewandelte Bedeutung des Rechts ist in der Auflösung der festen Verbindung von Inhalt und Trägermedium zu suchen, wie sie vor allem im gedruckten Buch über Generationen hinweg selbstverständlich gegeben war.
Chapter
Fazit: Wer nach dem Open-Access-Prinzip veröffentlichen will, kann dies rechtssi-cher tun. Eine Entscheidung der UrheberInnen pro Open Access ist uner-lässlich, weil die urheberrechtliche Ausgangslage vom Grundsatz „Alle Rechte sind vorbehalten“ ausgeht. Für eine Open-Access-Veröffentlichung reicht es vor allem nicht aus, eine Publikation lediglich in das Internet zu stellen. Vielmehr bedarf es einer geeigneten, sog. freien Lizenzierung, damit Nachnutzungen der Publikation wie von der Berliner Erklärung vorgegeben urheberrechtlich zulässig sind. Eine nachträgliche Änderung des (auch rechtlich) eingeschlagenen Veröffentlichungsweges erfordert in der Regel eine genaue Rechteprüfung des konkreten Einzelfalls, was mit erheblichem Aufwand und hoher urheber- und lizenzrechtlicher Komplexität verbunden sein kann. Wie bei der (auch lizenzrechtlichen) Publikationsberatung allge-mein sollten Bibliotheken und andere Stellen ihre AutorInnen mit Angebo-ten, Services und Hilfsmitteln rechtskompetent auf dem Weg zu Open Ac-cess begleiten. Die erforderliche juristische Expertise dafür können Biblio-theken, IT-Zentren und andere Unterstützungsstellen im Verbund aufbauen und in Empfehlungen und Gütestandards (DINI, 2016) abbilden.
BGH, 21.11.1991 -I ZR 190/89, WRP 1992, 301 ff
  • Vgl
Vgl. BGH, 21.11.1991 -I ZR 190/89, WRP 1992, 301 ff. -Leitsätze.
Wettbewerbsfreiheit und Investitionsschutz für Datenbanken
  • Ehmann
Ehmann, Wettbewerbsfreiheit und Investitionsschutz für Datenbanken, 2011.
III.2.d) -parallele Anforderung auch für Datenbankwerke i
  • Kap Siehe Oben
Siehe oben Kap. III.2.d) -parallele Anforderung auch für Datenbankwerke i. S. d. § 4 Abs. 2 UrhG.
254 ff.-FixturesFußballspielpläne II; EuGH, 9
  • Vgl
  • Eugh
Vgl. EuGH, 9.11.2004-C-444/02, GRUR 2005, 254 ff.-FixturesFußballspielpläne II; EuGH, 9.11.2004-C-338/02, GRUR 2005, 252 f.-Fixtures-Fußballspielpläne I;