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Vorläufer der Internationalen Katalogisierungsprinzipien

Authors:
  • ZBW Leibniz Information Centre for Economics

Abstract

Für eine korrekte und zielführende Formalerschließung lassen sich drei Ebenen von Leitlinien definieren: Zielsetzungen, Prinzipien und Regeln der Katalogisierung. Der vorliegende Artikel befasst sich hauptsächlich mit den (möglichen) Zielsetzungen und Prinzipien der Katalogisierung. In der Einleitung der im Jahr 2009 herausgegebenen "Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien" (ICP) ist vermerkt, dass die dort vorgelegte Prinzipiensammlung aufbaut auf "den großen Katalogtraditionen der Welt". Diese Traditionen werden dann mit drei Referenzen aus der frühen Fachliteratur belegt: Den Schriften von Charles A. Cutter (1904), Shiyali R. Ranganathan (1955) und Seymour Lubetzky (1969). In diesem Artikel werden nach einem kurzen chronologischen Überblick die drei genannten Publikationen und insbesondere die darin enthaltenen Feststellungen zu Sinn und Zweck von international einheitlichen Prinzipien für die bibliothekarische Formalerschließung in ihren geschichtlichen Kontext eingeordnet und ihr jeweiliger Einfluss auf die diversen existierenden Formulierungen von Zielen und Prinzipien näher beleuchtet. Außerdem werden einige bemerkenswert moderne Gedankengänge in den betreffenden Schriften aufgezeigt. Ein abschließendes Fazit fasst die wichtigsten Zielsetzungen und Prinzipien der Katalogisierung noch einmal mit Bezug auf die verwendete Literatur zur Theorie der Informationsorganisation zusammen.
VORLÄUFER DER INTERNATIONALEN
KATALOGISIERUNGSPRINZIPIEN
Anna Kasprzik
Bibliothek der Universität Konstanz /Bibliotheksakademie Bayern1
anna.kasprzik@googlemail.de
1. Einleitung
Die bibliothekarische Formalerschließung dient allgemein dem Zweck, Dokumen-
te anhand von (möglicherweise aus einem Zitat abgeleiteten) formalen Angaben
auffindbar zu machen. Das klassische Instrument für die Suche nach geeigneten
Dokumenten im Bibliothekskontext ist der Katalog, wobei Kataloge noch bis En-
de des 19. Jahrhunderts ausschließlich für Bibliothekare gedacht waren und letzt-
endlich erst mit dem Aufkommen der elektronischen Datenverarbeitung und der
OPACs Instrumente geschaffen wurden, die sowohl Bibliothekaren als auch Laien
von Nutzen sein können.2Die Disziplin der Formalerschließung umfasst Fragen
der bibliographischen Beschreibung eines Titels (engl. descriptive cataloging), der
Wahl von Haupt- und Nebeneintragungen (engl. main entry,added entries) und
der Ansetzungsform (engl. form of heading).3
Die relevanten Aspekte korrekter und zielführender Formalerschließung
lassen sich in drei Kategorien einteilen: Zielsetzungen,Prinzipien und Regeln der
Katalogisierung. Die Zielsetzungen sollen angeben, was ein Nutzer von einem bi-
bliographischen System erwarten kann (etwa ein bestimmtes Dokument oder ei-
ne Übersicht aller Manifestationen eines Werkes zu finden), während Prinzipien
1Dieser Artikel ist als eine Arbeit im Rahmen der Referendarsausbildung für die vierte Qualifika-
tionsebene an der Bibliotheksakademie Bayern entstanden.
2Vgl. Frankenberger & Haller (2004, S. 240).
3Siehe z.B. Haller (1998, Abschnitt 1.4.5).
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doi:10.11588/pb.2014.2.16809
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Anweisungen sind, wie eine Beschreibungssprache für ein solches System zu ent-
werfen ist. Eine solche Beschreibungssprache wiederum wird in Form eines Regel-
werks kodiert.4Wir befassen uns in diesem Artikel hauptsächlich mit Zielsetzun-
gen und Prinzipien der Katalogisierung.
In der Einleitung der 2009 herausgegebenen „Erklärung zu den Internatio-
nalen Katalogisierungsprinzipien“ (ICP) ist festgehalten, dass die vorgelegte Prin-
zipiensammlung aufbaut auf „den großen Katalogtraditionen der Welt“. Diese Tra-
ditionen werden dann in einer Fußnote mit drei Referenzen aus der frühen Fachli-
teratur belegt: Cutter (1904), Ranganathan (1955) und Lubetzky (1969).5Die drei
genannten Publikationen und insbesondere die darin enthaltenen Feststellungen
zu Sinn und Zweck von international einheitlichen Prinzipien für die bibliotheka-
rische Formalerschließung sollen im Folgenden in ihren geschichtlichen Kontext
eingeordnet und mit Bezugnahme auf die diversen modernen Formulierungen von
Zielen und Prinzipien näher beleuchtet werden.Dieser Entstehungsgeschichte ent-
sprechend bezieht sich der vorliegende Artikel hauptsächlich auf Entwicklungen
im anglo-amerikanischen Raum.
Der in Abschnitt 2. skizzierte Ablauf einzelner Ereignisse erhebt keinen
Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll mehr schlaglichtartig die für die drei
Referenzen relevanten Höhepunkte der Katalogisierungsgeschichte aufzeigen, um
diese zeitlich besser zu verankern. Abschnitt 3. enthält als Hauptteil die weiterfüh-
rende Abhandlung des jeweiligen Beitrags der Autoren zu den Zielsetzungen (3.1)
und Prinzipien (3.2) der Katalogisierung und ihren Einfluss auf die anerkannten
Richtlinien ihrer Zeit. In Abschnitt 3.3 werden außerdem einige bemerkenswert
moderne Gedankengänge in den betreffenden Schriften aufgezeigt. Ein abschlie-
ßendes Fazit findet sich in Abschnitt 4.
2. Chronologie
Eine der ersten Zusammenstellungen von Regeln und damit ein Anfangspunkt für
die Ära moderner Katalogisierung stammt von Sir Anthony Panizzi aus dem Jah-
re 1841.6Panizzi war von Haus aus Rechtsanwalt (und also geschult in formalem
Denken), verdingte sich jedoch nach seiner Flucht aus Italien ab 1831 als Biblio-
thekar an der British Library. Er plädierte unter anderem dafür, den damaligen
Sachkatalog durch einen alphabetischen Autorenkatalog in Kombination mit ei-
4Vgl. Svenonius (2000, S. 67–68).
5Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 1, Fußnote 2).
6Soweit nicht anders vermerkt, folgt Abschnitt 2. der Darstellung in Denton (2007).
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nem Schlagwortregister zu ersetzen. Obwohl seine 91 „Rules for the Compilation
of the Catalogue“7von einigen Zeitgenossen als zu komplex empfunden und hef-
tig angegriffen wurden, so wurden sie doch von offizieller Seite anerkannt und
erregten internationale Aufmerksamkeit.
Den nächsten Schritt markiert einer der einflussreichsten Bibliothekare über-
haupt: Charles A. Cutter (1837–1903). Im Jahre 1876 veröffentlichte er erstmals ein
Regelwerk für die Katalogisierung, die vierte Ausgabe davon erschien 1904 postum
unter dem Titel „Rules for a Dictionary Catalog“8. Ein dictionary catalog war ein
neues Konzept, bei dem Autoren, Titel und Schlagwörter zusammen in einem ein-
zigen alphabetischen Katalog nachgewiesen wurden, und entwickelte sich in den
USA zur gängigsten Form.9Cutters Schrift repräsentiert einen „ersten Versuch
einer systematischen Darstellung der Regeln und einer Untersuchung dessen, was
man die ersten Prinzipien der Katalogisierung nennen könnte“ und beginnt dar-
überhinaus mit einer Angabe der Einsatzszenarien und Ziele, denen die danach
aufgeführten Regeln dienen sollten.10
Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Standardisierung und Interna-
tionalisierung als immer dringlichere Notwendigkeiten empfunden, und im Jahre
1908 gaben die American Library Association (ALA) und die Library Association of
the United Kingdom ein gemeinsam entwickeltes Regelwerk heraus; allerdings gab
es getrennte Ausgaben für die USA und für Großbritannien. Die einzelnen Regeln
wurden jedoch weder von Zielsetzungen oder Begründungen noch von allgemein
formulierten Prinzipien begleitet.11 Zur selben Zeit hatte die Library of Congress
begonnen, gedruckte Katalogkarten bereitzustellen und für diese ebenfalls Regeln
zur Erstellung und Anpassung an den lokalen Gebrauch zu erlassen. Die Regeln
der ALA wurden in den folgenden Jahrzehnten um mehr und mehr Spezialfälle
ergänzt, bis schließlich 1941 die vorläufige Version einer zweiten amerikanischen
Ausgabe publiziert wurde, die alle diese Regeln enthielt.12
Kritiker bemängelten die unübersichtliche Vielfalt, Kleinteiligkeit und In-
konsistenz der nun im amerikanischen Bibliothekswesen anzuwendenden Katalo-
gisierungsregeln und sprachen von einer regelrechten „Katalogisierungskrise“. Ei-
ne Reaktion darauf war die Umarbeitung der vorläufigen ALA-Ausgabe mit dem
Ziel, die Regeln in eine logische Reihenfolge zu bringen, Grundregeln deutlich zu
7Panizzi (1841).
8Cutter (1904).
9Vgl. Ranganathan (1955, S. 17 unten).
10 Cutter (1904, S. 3 unten und S. 11–12). Vgl. auch Lubetzky (1953b, S. 180–181).
11 Vgl. Lubetzky (1953b, S. 181).
12 Vgl. Beetle (1949, S. v–viii).
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kennzeichnen, und generell die Zahl der Alternativen zu reduzieren und Dopp-
lungen zu vermeiden.13 1949 wurde die endgültige zweite Ausgabe des Regelwerks
unter dem Titel „A.L.A. Cataloging Rules for Author and Title Entries“ veröffent-
licht, welche sich hauptsächlich mit Fragen von Haupt- und Nebeneintragungen
und Ansetzungsformen befasste.
Den Kritikern ging eine solche Umarbeitung nicht weit genug, sie plädier-
ten für eine grundlegendere Reevaluierung der Zielsetzungen und Methoden.14 In
diesem Kontext gab die Library of Congress ebenfalls im Jahre 1949 ein einfach
und stringent gehaltenes Regelwerk für Fragen der bibliographischen Beschrei-
bung heraus, und zwar unter der prominenten Mitarbeit eines der bedeutendsten
Katalogisierer des 20. Jahrhunderts, Seymour Lubetzky (1898–2003). Wenig spä-
ter wurde Lubetzky mit einer Studie zu den Eintragungs- und Ansetzungsregeln
der ALA beauftragt. Das Ergebnis war „Cataloging Rules and Principles“ (1953),
welches sowohl eine durchdringende Analyse von Sinn und Zweck der einzelnen
Regeln als auch eine Diskussion der Zielsetzungen und Prinzipien beinhaltet, auf
denen ein revidiertes Regelwerk aufsetzen sollte.15 1969 schrieb der bereits emeri-
tierte Lubetzky seine „Principles of Cataloging“, eine Studie, in welcher er die Zie-
le, Prinzipien und Problemstellungen der beschreibenden Katalogisierung noch
einmal von Grund auf diskutiert, sich aber auch mit praktischeren Fragen wie et-
wa dem Potenzial einer Automatisierung auseinandersetzt.16 Auf dem Weg zu den
modernen Formulierungen von Katalogisierungsprinzipien wie den ICP nahm
Lubetzky mehrere Jahrzehnte lang eine zentrale Rolle ein. Seine Publikationen
enthalten den wesentlichen Kern der später international anerkannten Richtlini-
en, haben aber durch ihre analysierende Kritik am bestehenden System und ihre
sorgfältige Reflexion der Vorgeschichte auch Sekundärliteraturcharakter.
Etwa gleichzeitig zu diesen Entwicklungen lebte und wirkte in Indien der
Mathematiker und Bibliothekar Shiyali R. Ranganathan (1892–1972). Rangana-
than ist bekannt als Erfinder der sogenannten facettierten Klassifikation („colon
classification“ ) und publizierte Schriften zu den verschiedensten Aspekten der Bib-
liotheks-, Dokumentations- und Informationswissenschaft, in die er seine Fähig-
keiten zur Herausarbeitung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten und zur logischen
Schlussfolgerung einfließen ließ. Eines seiner berühmtesten Werke ist „The Five
13 Vgl. Beetle (1949, S. ix).
14 Vgl. Lubetzky (1953b, S. 181–184). Die Kritik beinhaltete unter anderem die erstmalige Forde-
rung nach einer immer gleichen Reihenfolge der einzelnen Datenelemente, unabhängig von der
Reihenfolge ihres Erscheinens im katalogisierten Medium selbst.
15 Lubetzky (1953a).
16 Lubetzky (1969).
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Laws of Library Science“ (Erstausgabe 1931).17 Im Jahre 1955 veröffentlichte er
die in den ICP zitierte Schrift „Headings and Canons“, in welcher er anhand eines
Vergleichs von fünf verschiedenen Regelwerken (darunter auch die zweite Aus-
gabe der Regeln der ALA von 1949 und die damals im deutschsprachigen Raum
verbreiteten Preußischen Instruktionen) eine Reihe grundlegender Prinzipien und
Richtlinien für die Katalogisierung und außerdem einige geradezu visionär wir-
kende Ideen zur internationalen Standardisierung und Kooperation formuliert.18
Im Jahre 1961 wurde auf der International Conference on Cataloguing Prin-
ciples in Paris ein „Statement of Principles“ mit nur zwölf Punkten verabschie-
det, das allgemein als die „Paris Principles“ (PP) bekannt wurde. Die PP waren
durch den Kooperationswillen von 53 Ländern und zwölf internationalen Orga-
nisationen entstanden und bauten auf den Vorarbeiten von Cutter und Lubetzky
auf. Sie sollten als Basis für die einzelnen nationalen Regelwerke fungieren und
dienten entsprechend als Fundament der 1967 von Instanzen in Amerika, Australi-
en, Großbritannien und Kanada herausgegebenen „Anglo-American Cataloguing
Rules“ (AACR), eines internationalen Standards für Regeln der beschreibenden
Katalogisierung, (von dem es jedoch wiederum eine amerikanische und eine eng-
lische Fassung gab). 1971 veröffentlichte die in Europa gegründete International
Federation of Library Institutions and Associations (IFLA) mit der „International
Standard Bibliographic Description“ (ISBD) einen weiteren Standard, welcher sei-
nerseits in die umfassende Neubearbeitung und Zusammenführung der amerika-
nischen und englischen Fassung der AACR von 1978 (AACR2) einfloß.
Mittlerweile war der Bibliotheksalltag mit dem Aufkommen zahlreicher
alternativer Medienformate einerseits und der elektronischen Datenverarbeitung
andererseits komplexer geworden. Als Reaktion darauf gründete die IFLA 1991
eine Arbeitsgruppe zur „Spezifikation der funktionalen Anforderungen an biblio-
graphische Daten“ (engl. functional requirements for bibliographic data; FRBR) in
Bezug auf die Medienvielfalt und vor allem in Bezug auf die vielfältigen Bedürfnisse
der Nutzer. Die diversen Anforderungen sollten anhand eines Entitäten-Relationen-
Modells herausgearbeitet werden, und um die benötigten Entitäten samt der Bezie-
hungen zwischen ihnen zu ermitteln, wertete die Gruppe sechs Jahre lang die Be-
dürfnisse verschiedenster Nutzer in den verschiedensten Szenarien aus. Das FRBR-
Modell war gedacht als eine „‚verallgemeinerte‘ Sicht auf das bibliografische Uni-
versum“, ohne Vorgaben zu seinen denkbaren Umsetzungen in Prinzipiensamm-
17 Ranganathan (1931).
18 Ranganathan (1955).
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lungen oder Regelwerken.19 Der Abschlussbericht wurde 1997 verabschiedet und
1998 veröffentlicht, und FRBR etablierte sich international.
Eine der bedeutendsten Umsetzungen von FRBR ist die 2009 ebenfalls von
der IFLA herausgegebene „Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungs-
prinzipien“ (ICP). Die ICP sollen die „Paris Principles“ ersetzen und erweitern de-
ren Geltungsbereich in mehrerlei Hinsicht: Statt nur rein textliche Werke und nur
wissenschaftliche Bibliotheken beziehen sie alle Medien- und Bibliotheksarten mit
ein und berücksichtigen die moderne Realität elektronischer (Online-)Kataloge in-
sofern, als dass sie nicht mehr so sehr auf die Bestimmung und Form ganzer Kata-
logeinträge, sondern mehr auf einzelne Dateneinheiten eingehen und auch Anlei-
tungen für Suchfunktionen in OPACs enthalten. Durch die möglichst vollständi-
ge Abdeckung aller Aspekte der Erstellung und Pflege bibliographischer (Norm-)
Daten sollen mit Hilfe der ICP insbesondere die folgenden zwei Ziele erreicht
werden: Die Erleichterung des internationalen Metadatenaustausches und die Ent-
wicklung eines internationalen Katalogisierungsregelwerkes.20
3. Frühe Ausformulierungen von Grundzügen der
Katalogisierung
3.1 Zielsetzungen der Katalogisierung
Die Rechtfertigung von Katalogisierungsregeln durch allgemeingültige Prinzipien
ist unweigerlich mit der Frage verbunden, welche Aufgaben ein Katalog denn er-
füllen soll. Nach modernem Konsens ist es zweifellos eine seiner Hauptaufgaben,
dass der Nutzer das Gewünschte findet. Im Lehrwerk Frankenberger & Haller
(2004) wird erläutert:
Die Aufgaben des Alphabetischen Katalogs versuchen dem bibliographischen
und dem literarischen Prinzip gerecht zu werden. Das bibliographische Prin-
zip verwendet vorwiegend die Daten, wie sie im Dokument vorkommen,
das literarische Prinzip verwendet Daten, die das Werk (unabhängig von den
vorliegenden Daten) eindeutig bezeichnen.21
Der Nutzer soll das gewünschte Werk also in jedem Fall finden, unabhängig da-
von, ob er über Angaben zu einem konkreten passenden Dokument verfügt oder
19 Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009, S. 6).
20 Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 1–2) und Genetasio (2012,
S. 4–6).
21 Siehe Frankenberger & Haller (2004, S. 240).
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nicht. Diese Ansicht vertrat schon Panizzi – auf die Kritik an der Komplexität sei-
ner Eintragungsregeln erwiderte er, dass er dem Nutzer durchaus zumuten wolle,
an mehr als einem Ort im Katalog nachzuschauen, da er ihm dafür auch mehr
Information liefere als nur einen Bestandsnachweis:
[A]reader may know the work he requires; but he cannot be expected to
know all the peculiarities of different editions, and this information he has a
right to expect from the catalogues.22
Cutter eröffnet seine Regelaufstellung mit der relativierenden Feststellung,
dass es verschiedene Bibliotheksarten, verschiedene Kataloggrößen und entspre-
chend verschiedene Ansprüche gibt, denen ein Katalog genügen muss:
[...]as it is to be merely an index to the library, giving in the shortest possible
compass clues by which the public can find books, or is to attempt to furnish
more information on various points, or finally is to be made with a certain
regard to what may be called style.23
Dennoch formuliert er direkt im Anschluss seine vielzitierten universellen Zielset-
zungen für den in den USA üblichen dictionary catalog24 und macht damit Panizzis
Andeutungen auf formale Weise explizit:
1. To enable a person to find a book of which either (A) the author (B) the
title (C) the subject is known. 2. To show what the library has (D) by a given
author (E) on a given subject (F) in a given kind of literature. 3. To assist in the
choice of a book (G) as to its edition (bibliographically) (H) as to its character
(literary or topical).25
Dabei bezieht sich die erste Zielsetzung auf das Szenario, wo der Nutzer anhand
konkreter Angaben nach einem bestimmten Dokument sucht, die zweite auf das
Szenario, wo er möglichst viele Dokumente zu einem Autor, einem Thema oder
in einer bestimmten Literaturgattung benötigt, und die dritte auf das Szenario, wo
er aus einer Anzahl ähnlicher Dokumente das passendste auszuwählen wünscht.26
Im Jahre 1931 veröffentlichte Ranganathan zum ersten Mal seine „Five
Laws of Library Science“, die da lauten: „Books are for use“, „every reader his
22 Siehe Denton (2007, S. 39) und Report of the commissioners appointed to inquire into the consti-
tution and government of the British Museum: With minutes of evidence (1850, S. 695 unten, Frage
9814).
23 Cutter (1904, S. 11).
24 Ein alphabetischer Katalog, in welchem Autoren, Titel und Schlagwörter zusammen nachgewie-
sen wurden, siehe auch Abschnitt 2.
25 Cutter (1904, S. 12).
26 Vgl. Svenonius (2000, S. 15–16).
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book“, „every book its reader“, „save the time of the reader“ und „a library is a
growing organism“.27 Bezogen auf die Katalogisierung lassen sich daraus folgende
Desiderate ableiten: Ein Katalog sollte den Bestand möglichst vielen Nutzern zu-
gänglich machen (erstes Gesetz), möglichst viele und möglichst einfache Zugangs-
arten bieten (zweites und viertes Gesetz), jedes Buch möglichst vielen potentiellen
Lesern präsentieren (drittes Gesetz) und er sollte erweiterbar sein in jeder Hin-
sicht, sowohl, was den Bestand anbetrifft, als auch im Hinblick auf neue technolo-
gische Umsetzungsmöglichkeiten (fünftes Gesetz). Wörtlich schrieb Ranganathan
in einer weiteren Schrift:
[A]Library Catalogue should be so designed as (1) to disclose to every reader
his or her document; (2) to secure for every document its reader; (3) to save
the time of the reader; and (4) for this purpose, save the time of the staff28
und kombinierte damit in den Punkten 1 und 2 die von Cutter formulierten Auf-
gaben „to find“ und „to show“ mit seinem zweiten und dritten Gesetz.29
Cutters Zielsetzungen wurden nicht in Frage gestellt, bis Lubetzky sie in
den 60er-Jahren kritischer Prüfung unterzog und eine weitere Differenzierung ex-
plizit machte, nämlich die zwischen dem materiellen Buch und dem intellektuellen
Werk. Als (Teil-)Lösung für den Konflikt zwischen den Anforderungen einer kon-
kreten Suche (ein Buch sollte unter der Form des Autors eingetragen werden, die
dem Nutzer wahrscheinlich vorliegt, was dazu führt, dass die Werke ein und des-
selben Autors eventuell verteilt sind) und einer abstrakten Suche (die Werke eines
Autors sollten unter einer Form zusammengeführt werden)30 sollte Lubetzky zu-
folge ein Katalog jedes Buch als bestimmte Ausgabe eines bestimmten Werkes von
einem bestimmten Autor verzeichnen und in Beziehung setzen zu den anderen
Ausgaben und Übersetzungen dieses Werkes und zu den anderen Werken dieses
Autors.31 Lubetzkys Überlegungen flossen direkt in die Zielsetzungen der „Paris
Principles“ ein:
The catalogue should be an efficient instrument for ascertaining [...](1) whe-
ther the library contains a particular book [...]and (2) which works by a
particular author and [...]which editions of a particular work are in the li-
brary.32
27 Ranganathan (1931).
28 Ranganathan (1958, S. 70), Anpassung der Nummerierung durch die Autorin.
29 Vgl. Denton (2007, S. 44–45).
30 Vgl. Lubetzky (1953a, S. 38–41).
31 Vgl. Lubetzky (1969, S. 11–14).
32 Verona (1971, S. xiii), Anpassung der Nummerierung durch die Autorin.
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Die erste Zielsetzung entspricht im Wesentlichen der Formulierung durch Cutter;
das Adjektiv „efficient“ belegt eine für den Nutzer möglichst einfache und schnel-
le Suche zusätzlich mit Bedeutung. Die zweite Zielsetzung jedoch unterscheidet
sich laut Lubetzky substantiell von Cutters unspezifischem „what the library has“
durch den konsistenteren Bezug auf die Ausgaben eines Werkes und auf die Werke
eines Autors.33
Das 1998 veröffentlichte FRBR-Modell treibt die Ausdifferenzierung noch
ein Stück weiter und unterscheidet Werke,Expressionen,Manifestationen und Ex-
emplare. Hierbei wird ein Werk als „einheitliche intellektuelle bzw. künstlerische
Schöpfung“ definiert, eine Expression als „intellektuelle bzw. künstlerische Reali-
sierung eines Werkes“, eine Manifestation als „physische Verkörperung einer Ex-
pression eines Werkes“ und ein Exemplar als „einzelnes Stück einer Manifesta-
tion“.34 Auch weitet FRBR den Geltungsbereich auf alle Arten von Informations-
einrichtungen, bibliographischen Ressourcen und Sucheinstiegen aus und formu-
liert Aufgaben, die vor dem Hintergrund moderner Datenverarbeitungsmethoden
und Medientypen die Bedürfnisse des Nutzers noch mehr in den Fokus rücken
sollen.35 Von der einflussreichen Informationswissenschaftlerin Elaine Svenonius
revidiert finden sich diese Aufgaben dann in den ICP wieder:
Der Katalog sollte ein [...]Instrument sein, das einen Benutzer in die Lage
versetzt: (1) als Resultat einer Suche nach Merkmalen oder Beziehungen ei-
ner Ressource bibliografische Ressourcen in einer Sammlung zu finden [...]
(2) eine bibliografische Ressource oder einen ‚Agenten‘ zu identifizieren [...]
(3) eine bibliografische Ressource auszuwählen, welche die Benutzerbedürf-
nisse erfüllt [...](4) ein beschriebenes Exemplar zu erwerben oder Zugang
zu ihm zu erhalten [...](5) innerhalb eines Katalogs und darüber hinaus zu
navigieren.36
Insbesondere Punkt (4) und (5) sind Ausdruck einer modernen Geisteshaltung,
nach der ein Katalog als Teil einer größeren Informationsvermittlungsstruktur ver-
standen wird, in deren Angebot sich der Nutzer anhand eines intuitiven Leit- und
Ordnungssystems möglichst einfach und frei bewegen können soll.37
33 Vgl. Lubetzky (1969, S. 14–15).
34 Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009, S. 12).
35 Siehe Svenonius (2000, S. 17) und Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009,
S. 2).
36 Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 4–5), die Nummerierung
wurde durch die Autorin angepasst. Diese Ziele basieren auf Svenonius (2000, S. 20).
37 Vgl. Denton (2007, S. 42) und Svenonius (2000, S. 18–20).
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3.2 Prinzipien für die Katalogisierung
Cutter gibt direkt nach den von ihm formulierten Zielsetzungen für den Katalog
(siehe Abschnitt 3.1) die Mittel an, mit welchen diese erreicht werden sollen, näm-
lich die verschiedenen Eintragsarten, Querverweise, Verzeichnisse und Zusatzan-
gaben, und stellt dann drei Kriterien auf, nach denen die Einträge vorgenommen
werden sollen: (1) Wähle denjenigen Eintrag, unter dem der Nutzer wahrscheinlich
zuerst nachschlägt, (2) erstelle alle Einträge nach demselben System, und (3) ver-
meide Anhäufungen von Einträgen an Stellen, wo eine übersichtliche Anordnung
nicht mehr möglich ist. Mit dieser Einleitung gibt Cutter einige wenige Prinzipien
an die Hand, aus denen sich ein beliebig umfangreiches Regelwerk ableiten lässt:
The number of [...]rules is not owing to any complexity of system, but to the
number of [...]cases to which a few simple principles have to be applied.38
Desweiteren unterteilt er sein Regelwerk klar in die beiden Abschnitte „Entry
(where to enter)“ und „Style (how to enter)“39 und formuliert als generelle Richtli-
nie zur Aufstellung der Regeln selbst:
A plain rule without exceptions is not only easy for us to carry out, but easy
for the public to understand and work by.40
Außerdem schreibt er: „Usage [...]is the supreme arbiter“ und erhebt damit den
Sprachgebrauch des Nutzers zu einem weiteren Prinzip für die Katalogisierung.41
In seinen diversen Schriften entwickelt Ranganathan eine ganze Reihe von
„laws“,„canons“ und „rules“, diese erfüllen aber im Wesentlichen die Kriterien von
Prinzipien. Entsprechend fasst er sie in „Heading and canons“ im Kapitel „Nor-
mative principles“ zusammen.42 Als generelle Grundprinzipien für den Entwurf
eines Systems benennt er zunächst das Gesetz der Objektivität, das Gesetz der Spar-
samkeit und die Gesetze der Auslegung.43 Das Gesetz der Objektivität besagt, dass
jede Regel begründbar sein muss und nicht willkürlich sein darf – so empfiehlt die-
ses Gesetz für sich genommen zunächst den bewussten Verzicht auf eine Anwei-
sung, unter welchem der Autoren ein Werk mit mehreren Verfassern verzeichnet
werden soll. Das Gesetz der Sparsamkeit besagt, dass von zwei möglichen Regeln
38 Cutter (1904, S. 11f.). Siehe auch Denton (2007, S. 42).
39 Cutter (1904, S. 6), Hervorhebungen durch die Autorin.
40 Cutter (1904, S. 9).
41 „Sprachgebrauch ist der höchste Schiedsrichter“, Cutter (1904, S. 69). Vgl. auch Svenonius (2000,
S. 69).
42 Ranganathan (1955, Kap. 3). Siehe auch Ranganathan (1958, Kap. 02 und 03).
43 Engl. Law of Impartiality, Law of Parsimony, Laws of Interpretation.
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zur Lösung einer Frage stets diejenige vorzuziehen ist, die insgesamt am meisten
Ressourcen spart (d.h., mit entsprechender Gewichtung: Personal, Material, Geld
und Zeit). Dieses Gesetz verlangt etwa für jeden Eintrag eine sorgfältige Abwägung
der Wahrscheinlichkeit, mit der jemals ein Nutzer oder Bibliothekar unter diesem
Eintrag nachschlagen wird, um eine Überfrachtung des Kataloges zu vermeiden.
Mit den Gesetzen der Auslegung bezieht sich Ranganathan auf einen etablierten
Kanon von über tausend Maximen aus der indischen Philosophie. Sie sollen als An-
haltspunkte dienen, wie ein Konflikt zwischen sich widersprechenden Regelungen
zu lösen sei. Eine dieser Maximen besagt, dass eine speziell auf den vorliegenden
Bereich zugeschnittene Regelung höher zu werten ist als eine universell anwend-
bare; eine andere, dass später aufgestellte Gesetze mehr Gewicht haben als frühere.
So muss das Gesetz der Sparsamkeit sich eventuell dem Gesetz der Bibliothek als
wachsendem Organismus beugen, wenn die aktuelle Situation es erfordert.
Sodann entwickelt er aus den in Abschnitt 3.1 bereits genannten Geset-
zen der Bibliothekswissenschaft eine Reihe von Richtlinien (engl. canons) für den
Entwurf und die Anwendung einer praxistauglichen bibliographischen Beschrei-
bungssprache, und zwar:
Canon of Ascertainability – alle in einem Eintrag verzeichneten Informatio-
nen sollten aus der Hauptitelseite und ihrer Rückseite hervorgehen;
Canon of Prepotence – das für die Sortierung ausschlaggebende Element sollte
am Anfang eines Eintrags stehen und hervorgehoben sein, sodass (bei Kata-
logen in Buchform) eine Reihe von Einträgen mit einem Blick überschaut
werden kann;
Canon of Individualisation44 – als Eintragsüberschriften verwendete Entitä-
ten sollten zur Disambiguierung mit individualisierenden Elementen verse-
hen werden;
Canon of Sought Heading oder Canon of Relevance – es sollten nur für solche
Elemente Einträge erstellt werden, nach denen die Nutzer auch tatsächlich
suchen;
Canon of Context – Katalogisierungsregeln sollten im Kontext der aktuell
üblichen Buchproduktion, Bibliothekspraktiken und Bibliographiearten for-
muliert sein und regelmäßig angepasst werden;
44 Ranganathan (1958, S. 31).
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Canon of Permanence – einmal erstellt sollten die Elemente in einem Eintrag
nicht mehr modifiziert werden;
Canon of Currency – als Schlagwörter sollten gängige Begriffe verwendet
werden;
Canon of Consistence – Nebeneinträge sollten mit dem Haupteintrag und alle
Einträge sollten untereinander in Bezug auf ihre Gestaltung konsistent sein;
Canon of Purity – Elemente eines bestimmten Typs sollten nicht als Elemen-
te eines anderen Typs missbraucht werden.
Schließlich stellt er noch das Prinzip der lokalen Variation auf, welches besagt, dass
ein überregionales Regelwerk einige Aspekte den kleineren Einheiten zur selbstän-
digen Regelung überlassen sollte, um den Anforderungen des lokalen Kundenkrei-
ses genügen zu können. Dies betrifft zum Beispiel die Frage, wie ausführlich tem-
porär vorgehaltenes oder selten genutztes Material erschlossen werden soll. Als
weitere Konsequenz daraus postuliert er bei einer Regelwerksänderung das Prin-
zip der Osmose: Vorerst sollten nur Neuerwerbungen und stark genutzte Bücher
nach den neuen Regeln katalogisiert und alle anderen nur im Zuge eines Ausleih-
vorgangs in die so entstandene neue Sammlung überführt werden, um den Biblio-
theksbetrieb nicht über Gebühr zu belasten.45
Lubetzky nimmt in seiner Kritik der ALA-Regeln von 1953 ebenfalls ei-
ne Unterteilung in grundlegende und in fallabhängige Katalogisierungsprinzipi-
en vor. Dazu greift er auf zwei von Cutter bereits 1869 formulierte Richtlinien46
zurück und setzt das folgende Grundprinzipienpaar fest: „Bücher, deren Autor
bekannt ist, sollten (mit ihrem Haupteintrag) unter dem Autor verzeichnet wer-
den; Bücher, deren Autor nicht bekannt ist, sollten unter ihrem Titel verzeichnet
werden“. Damit stehen alle Werke eines Autors unter dessen Namen zusammen.
Ausgehend von diesen zwei Prinzipien stellt er diverse weitere Prinzipien für die
Behandlung der folgenden Fälle auf: Werke mit mehr als einem Autor, Autoren
mit mehr als einem Namen, Werke mit mehr als einem Titel, Werke, welche nur
45 Siehe auch Ranganathan (1958, S. 61–64). In den Naturwissenschaften bezeichnet Osmose die
Bewegung von Teilchen durch eine halbdurchlässige Barriere.
46 Cutter (1869, S. 100): „[A]ll the rules may be reduced to two great principles: first that books
shall be cataloged under the name of the author, or [...]the editor, or the body responsible for
their publication; second, that, if this is not known, the first word in the title not an article or
a preposition shall be taken for the heading“. An diesem Zitat sind zwei Dinge bemerkenswert:
Erstens, dass Cutter den Autorenbegriff bereits ausweitet auf andere mögliche Beteiligungsarten
(siehe die Diskussion im fortlaufenden Text), und zweitens, dass er sogenannte „Stoppwörter“ aus-
schließt.
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im Zusammenhang mit anderen Werken von Interesse sind, und Werke mit ge-
meinschaftlicher Autorenschaft (engl. corporate authors oder bodies).47
Wie bereits in Abschnitt 3.1 erwähnt, hatte Lubetzkys Arbeit direkten Ein-
fluss auf die „Paris Principles“ von 1961. Auch die PP lassen sich aufteilen in einen
allgemeinen und in einen spezialisierten Teil. So befasst sich der erste Teil (Punk-
te 1–7) neben dem Geltungsbereich und den Zielsetzungen (siehe Abschnitt 3.1)
mit dem grundsätzlichen Aufbau des Kataloges (mindestens ein Eintrag für jedes
Buch; mehrere Einträge für alternative Sucheinstiege), den verschiedenen Eintrags-
arten und ihren Funktionen (der Haupteintrag als „Rückgrat“ der Katalogsstruk-
tur;48 Nebeneinträge und Verweisungen) und mit der Wahl der Ansetzungsform
(empfohlen wird die offiziell verwendete Form). Der zweite Teil (Punkte 8–12)
behandelt den Umgang mit Einzelpersonen als Autoren, mit Körperschaften, mit
mehreren Autoren, mit dem Eintrag eines Werkes unter seinem Titel und mit der
Wiedergabe von mehrgliedrigen Personennamen.49
In den Folgejahren unterzog man die Prinzipiensammlung im Zuge von
Versuchen zur Erstellung nationaler Regelwerke auf der Grundlage der PP einer
kritischen Analyse. Dabei wurde das dringende Bedürfnis nach einer mit präzi-
sierenden Kommentaren versehenen Ausgabe der PP deutlich, welche schließlich
1971 von der IFLA auch veröffentlicht wurde. Die annotierte Version legt etwa in
einer Fußnote fest, dass das Wort „Buch“ in den PP auch für andere Medienarten
stehen soll,50 weist an einigen Stellen auf einen inkonsistenten Gebrauch der Be-
griffe „Buch“ oder „Publikation“ versus „Werk“ hin51 und empfiehlt – abweichend
von den PP – im Interesse der internationalen Austauschbarkeit für Namen und
Titel die konsequente Verwendung der originalsprachlichen Form (im Gegensatz
zu der am Bibliotheksstandort üblichen Form).52
Als eine der wesentlichen Neuerungen der Pariser Konferenz wurde die
mehrheitliche Bereitschaft angesehen, nun auch Körperschaften als Autoren mit
Haupteinträgen zu berücksichtigen. Allerdings gab es einige Diskussionen zu der
Frage, welche Kriterien hierzu erfüllt sein müssten – etwa, was unter den Phrasen
„collective thought“ und „collectively responsible“ in Punkt 9 der PP zu verstehen
sei, und in welchem Verhältnis eine im Namen einer Körperschaft verfassende Per-
son zu dieser stehen müsse, um als ihr Vertreter gelten zu können. Auch zehn Jahre
47 Lubetzky (1953a, S. 41–55).
48 Vgl. Verona (1971, S. 15).
49 Siehe die kommentierte Version der Prinzipien in Verona (1971).
50 Verona (1971, S. xiii, Fußnote 1).
51 Verona (1971, S. 2f.).
52 Verona (1971, S. viii und 31–32). Vgl. auch Lubetzky (1969, S. 50–51).
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nach den PP war das Problem der Körperschaften in den verschiedenen nationalen
Regelwerken noch nicht einheitlich geregelt, eine der weitestgehenden Interpreta-
tionen findet sich in den AACR von 1967.53
Ein mit dem Körperschaftsproblem verknüpfter und in der kommentier-
ten Version aufgezeigter Hauptkritikpunkt an den PP war das Fehlen einer Defi-
nition des Begriffes „Autor“, welcher im ersten Teil Personen und Körperschaften
miteinschließt, im zweiten jedoch zur Abgrenzung von Personen gegenüber Kör-
perschaften verwendet wird. Auch wird im Text der PP nicht geklärt, wie weit das
Konzept der Autorenschaft überhaupt zu fassen ist, und damit zusammenhängend
die Frage, wann eine Publikation ihren Haupteintrag unter dem Namen einer ein-
zelnen Person haben soll.54
Lubetzky beginnt das Kapitel über Katalogisierungsprinzipien in seiner
Schrift von 1969 mit einer Analyse der Funktion des Haupteintrags, den er sogar
im Lichte der aufkommenden EDV vehement verteidigt als das Mittel der Wahl zur
Zusammenführung aller Werke und aller Ausgaben dieser Werke unter dem Na-
men des Autors.55 Dies bringt ihn ebenfalls zu einer ausführlichen Diskussion des
Prinzips der Urheberschaft (Principle of Authorship), welche er anhand eines Über-
blicks über bisherige Formulierungsversuche vornimmt. Während Cutter den Au-
tor im weiteren Sinne noch als „the cause of the book’s existence“ definiert,56 fin-
det sich im ALA-Regelwerk von 1908 die Formulierung „the maker of the book
or the person or body immediately responsible for its existence“. Die Schwie-
rigkeiten und Unklarheiten aller nachfolgenden Definitionen führt Lubetzky auf
zwei Ursachen zurück, nämlich (1) die von ihm bereits an anderer Stelle kritisier-
te, nicht konsequent erfolgte Trennung zwischen dem „Buch“ und dem „Werk“
– schließlich muss zwischen der physischen Buchproduktion und der intellektu-
ellen Schöpfung unterschieden werden – , (2) vor allem aber auch den zu großen
Interpretationsspielraum des Adjektivs „verantwortlich“, gerade im Kontext des
Körperschaftsproblems. Als Fazit postuliert er das Principle of Representation und
definiert den Autor entsprechend als „The person or corporate body represented
as chiefly responsible for the work“, d.h., er empfiehlt eine reine Beschränkung
auf die dem Katalogisierer vorliegende Angabe der Person oder Instanz, in deren
Namen eine Veröffentlichung erfolgt ist.57
53 Vgl. Verona (1971, S. 40–44, 73).
54 Vgl. Verona (1971, S. 1, 24, 47).
55 Vgl. Lubetzky (1953a, S. 57–60) und Lubetzky (1969, S. 19–23, 105–106).
56 Cutter (1904, S. 14).
57 Vgl. Lubetzky (1969, S. 23–29), Hervorhebungen im letzten Zitat durch die Autorin.
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Nachdem Lubetzky den Haupteintrag als das Mittel und das Prinzip der
Urheberschaft als die Methode zur Erreichung der genannten Zielsetzungen (sie-
he Abschnitt 3.1) festgesetzt hat, befasst er sich in seinem Prinzipienkapitel noch
im Detail mit den folgenden Aspekten des Katalogisierungsprozesses: Der Fest-
legung von Haupt- und Nebeneinträgen, der Festlegung der Ansetzungsformen,
der Festlegung des Titels eines Werkes (übergreifend für alle Ausgaben), der Be-
schreibung des zu erfassenden Materials und der Behandlung von Körperschaften,
welche er ebenfalls ausführlich diskutiert.58
Das FRBR-Modell definiert Person schlicht als „ein Individuum“ und Kör-
perschaft als „eine Organisation oder eine Gruppe von Personen bzw. Organisatio-
nen, die als Einheit handeln“. Diese werden dann zu den „Entitäten der Gruppe 2“
zusammengefasst, während Werk,Expression,Manifestation und Exemplar (siehe
Abschnitt 3.1) zusammen die „Entitäten der Gruppe 1“ bilden. Gruppe 3 enthält
verschiedene Ausprägungen des Konzeptes Thema (eines Werkes). Entitäten haben
Merkmale (und zwar solche, die üblicherweise in einem bibliographischen Daten-
satz dargestellt werden, etwa die Lebensdaten einer Person) und können zueinan-
der in unterschiedlichen Beziehungen stehen.59
Entitäten der Gruppe 1 sind untereinander durch drei Hauptbeziehungen
verbunden: realisiert durch (von Expression zu Werk), verkörpert in (von Manife-
station zu Expression) und ist ein Exemplar von (von Exemplar zu Manifestation).
Entitäten der Gruppe 2 sind mit den Entitäten der Gruppe 1 durch vier Bezie-
hungsarten verbunden: geschaffen von (für Werke), realisiert von (für Expressio-
nen), erstellt von (für Manifestationen) und im Besitz von (für Exemplare). Außer-
dem können die Entitäten aller drei Gruppen durch die Beziehung hat zum Thema
mit einem Werk verbunden sein.60
Die in FRBR definierten Merkmale lassen sich in zwei Kategorien untertei-
len; einerseits solche, die einer Entität inhärent sind und also an der Entität selbst
festgestellt werden können (physische Eigenschaften, Beschriftung), andererseits
solche, die ihr durch externe Quellen zugewiesen werden (z.B. Kennnummern
oder Kontextinformationen). Das Merkmal Verfasserangabe gehört hierbei zur er-
sten Kategorie und fällt damit unter Lubetzkys Principle of Representation. Der
Wert dieses Merkmals stimmt in der Regel mit dem durch eine Beziehung zwi-
schen einem Werk oder einer Expression und einer Person oder Körperschaft aus-
gedrückten Sachverhalt überein, muss es aber nicht, wenn etwa die Entität selbst
58 Lubetzky (1969, S. 30–69).
59 Siehe Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009, Kapitel 3 und 4.6.2).
60 Siehe Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009, Kapitel 5.2.1–5.2.3).
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mit unvollständigen oder gar falschen Informationen beschriftet ist.61 Damit kön-
nen die oben angesprochenen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Defini-
tion der Urheberschaft umgangen werden, indem man die Verfasserangabe auf der
Ebene der Beziehungen präzisiert, ergänzt oder korrigiert.
Auch die Frage nach dem Haupteintrag wird im FRBR-Datenmodell in-
sofern durch den Anspruch obsolet, dass dem Nutzer prinzipiell beliebige Kom-
binationen von Entitäten, Merkmalen und Beziehungen als Sucheinstiege dienen
können sollen.62
Die ICP legen fest, dass ein Katalogisierungsregelwerk die von FRBR de-
finierten Entitäten, Merkmale und Beziehungen „berücksichtigen“ sollte.63 Des-
weiteren nennen die ICP neun grundlegende Prinzipien für die Katalogisierung:
(1) Benutzerkomfort,
(2) allgemeine Gebräuchlichkeit des verwendeten Vokabulars,
(3) Wiedergabe gemäß der Angaben durch die Entität selbst – dies entspricht
Lubetzkys Principle of Representation,
(4) Richtigkeit der Darstellung,
(5) Ausführlichkeit und Notwendigkeit und
(6) bibliographische Bedeutung der erfassten Datenelemente – dies entspricht
Ranganathans Canon of Sought Heading bzw. Canon of Relevance,
(7) Ökonomie des Aufwands,
(8) Konsistenz und Standardisierung,
(9) Integration, d.h., die Anwendung derselben, allgemein gebräuchlichen Be-
schreibungsregeln für alle Material- und Entitätenarten.
Oberste Priorität in allen Gestaltungsentscheidungen hat der Komfort des Nut-
zers.64 Ebenfalls enthalten ist ein ausführlicher Abschnitt zur Wahl und Anset-
zungsform sogenannter Sucheinstiege für bibliographische und Normdatensätze,
ein weiterer zu den Grundlagen von Suchfunktionen und ein Glossar der speziell
verwendeten Begriffe.
61 Siehe Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009, S. 30–31).
62 Vgl. Denton (2007, S. 42), Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009,
S. 55, 86, 101).
63 Siehe Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 1, 3).
64 Siehe Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 2–3).
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Interessant ist die Entwicklung der Terminologie über die fortlaufenden
Entwürfe der ICP von 2003 bis 2009. Der Begriff „Autor“ („author“) wurde durch
den „geistigen Schöpfer“ („creator“) ersetzt und die „Ansetzung“ („heading“) wur-
de zum oben bereits genannten „Sucheinstieg“ („access point“).65 Damit wird der
Bestandserweiterung von rein textbasierten, gedruckt vorliegenden Werken um
andere Schöpfungen und Medienarten und der Verdrängung von Papierkatalogen
durch EDV und OPAC endgültig Rechnung getragen. Die neun im vorigen Absatz
aufgezählten Grundsätze der Katalogisierung waren ursprünglich als Zielsetzun-
gen deklariert, dann jedoch angeregt von Svenonius’ sauberer Unterscheidung in
den Status von Prinzipien erhoben worden.66
Auch zu den ICP gibt es Kritikpunkte. In einem Überblicksartikel von
2012 bedauert der italienische Bibliothekar Genetasio das Fehlen einer klaren, ein-
heitlichen Linie, was er darauf zurückführt, dass in den ICP einerseits verschiedene
Metaebenen der Katalogisierung nebeneinander existieren – allgemeine Prinzipi-
en, konzeptionelle Modelle, Regeln und Anleitungen zur technischen Umsetzung
– und andererseits Textbausteine aus diversen Quellen ohne die notwendigen An-
passungsarbeiten übernommen werden. Außerdem bemängelt er die Bezugnahme
auf den Nutzer als zu vage und empfiehlt eine weitere Differenzierung der jewei-
ligen Zielgruppen zum Beispiel in vor Ort und aus der Ferne zugreifende Nutzer
oder in Endnutzer und Bibliothekare.67
3.3 Weitere Überlegungen zu modernen Entwicklungen
Die drei in den ICP zitierten, prägenden Autoren erweisen sich bisweilen als er-
staunlich hellsichtig in ihren Gedanken und Vorschlägen zur Modernisierung der
Bibliothekswelt. So erhob schon Cutter die Orientierung an den Bedürfnissen des
nicht wissenschaftlich gebildeten Laiennutzers zu einem seiner zentralen Anliegen
– Svenonius bezeichnet ihn als „the user’s greatest champion“.68 Auch in den Be-
reichen Standardisierung und Internationalisierung war Cutter bis zu seinem Tod
im Jahre 1903 aktiv.69
Ranganathan befasste sich in seinen Schriften mit nahezu jedem Aspekt
der Bibliotheksführung. In „The five laws of library science“ (1931) benennt er
beispielsweise die Verpflichtungen des Staates im Bibliothekswesen mit Hilfe von
65 Vgl. Creider (2009, S. 19).
66 Vgl. Creider (2009, S. 17). Siehe auch Abschnitt 1., 2. Absatz bzw. Svenonius (2000, S. 67–68).
67 Vgl. Genetasio (2012, S. 6–7).
68 Zu Deutsch „der größte Verfechter der Anliegen des Nutzers“, siehe Svenonius (2000, S. 69).
69 Vgl. auch Denton (2007, S. 40, 42).
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Finanzierung, Gesetzgebung und Koordination – er plädiert für eine Bibliotheks-
steuer und für zentrale Steuerungseinrichtungen, die unter anderem folgende Funk-
tionen übernehmen sollten: Die Pflege eines Nationalkataloges, den Betrieb des
Fernleihsystems, die Unterstützung und Zusammenführung der Katalogisierungs-
aktivitäten in den einzelnen Bibliotheken, die Standardisierung bibliographischer
Angaben bei der Buchproduktion und das öffentliche Bewerben von Büchern als
Quelle für Bildung, Information und Inspiration.70
In der Schrift „Headings and canons“ (1955) finden sich weiterführende An-
sätze zum Austausch von Metadaten und zur Internationalisierung im Bereich der
Katalogisierung. Ranganathan stellt fest, dass sich durch die Weiterentwicklung
der Wissenschaft auch die Ansprüche an die Bibliotheken erhöht haben, sodass in
Katalogen nicht nur Bücher, sondern auch einzelne Buchkapitel und Zeitschrif-
tenartikel für die Literaturrecherche inhaltlich erschlossen sein sollten. Hier setzt
er auf eine internationale Anstrengung zur Erstellung von Sachbibliographien.71
In weiteren Katalogisierungsfragen, etwa der Wiedergabe von Namen, drängt er
auf eine engere Zusammenarbeit mit den Verlagen, die (nach der nötigen Schu-
lung) aufgrund ihres direkten Kontakts zu den Autoren als zuverlässigere Liefe-
ranten von Metadaten fungieren sollen, und wiederum auf eine internationale Ab-
stimmung mit Hilfe der jeweiligen Nationalbibliotheken.72 Er macht aufmerksam
auf die sich rasch vergrößernde Dokumentenmenge aus anderen Kulturkreisen als
dem europäischen und leitet daraus die Notwendigkeit zu einem Umdenken auch
in der Katalogisierung (zum Beispiel in Bezug auf die Transliteration) ab.73
Ranganathan widmet ein ganzes Kapitel der Planung, dem grundsätzlichen
Aufbau und den nationalen und lokalen Ausprägungen eines internationalen Ka-
talogisierungsregelwerkes. Ein weiteres, abschließendes Kapitel stellt einen allge-
meinen Aufruf zur Rationalisierung und zur internationalen Standardisierung al-
ler verbleibenden Katalogisierungsfragen dar, einschließlich einer exakten Berech-
nung der Einsparungen an Geld- und Arbeitskraftressourcen, die durch eine solche
Vereinheitlichung und durch Maßnahmen wie die zentralisierte Sach- und Forma-
lerschließung von Büchern bereits im Zuge ihrer Produktion und den internatio-
nalen Austausch der von den Nationalbibliotheken herausgegebenen Katalogkar-
ten erzielt werden können.74
70 Siehe Ranganathan (1931, S. 228–230, 271–276, 317–318).
71 Siehe Ranganathan (1955, S. 74).
72 Siehe Ranganathan (1955, S. 157–160).
73 Siehe Ranganathan (1955, S. 137).
74 Ranganathan (1955, Kapitel 8 und 9).
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137
Internationale Einheitlichkeit und Austauschbarkeit gewannen im Laufe
der Zeit immer stärker an Bedeutung. Dies manifestierte sich schließlich 1961 in
den PP als einer ersten gemeinsam erarbeiteten Prinzipiensammlung, und Lubetz-
ky war durch seine vielfältigen Aktivitäten und Verdienste in diesem Bereich maß-
geblich daran beteiligt.
Ebenfalls in Lubetzkys Schaffensperiode fällt das Aufkommen der EDV.
Lubetzky beschreibt den potentiellen Nutzen der EDV für das Sortieren von Ein-
trägen und Verweisen im Katalog und für die Wiedergabe von Haupteinträgen
samt der zugehörigen Nebeneinträge nach unterschiedlichen Kriterien in Listen
oder Teilkatalogen. Zu dieser Zeit (1969) gab es bereits entsprechende Projekte,
zum Beispiel zur Entwicklung des Datenaustauschformates MARC und zum Auf-
bau einer nationalen bibliographischen Datenbank, die auch Aufsätze und Ab-
stracts enthalten sollte. Zusätzlich verweist er auf Möglichkeiten auf der Ebene ein-
zelner Datenelemente, etwa das Verlinken von Namensformen in einem Online-
Katalog. Lubetzky betont jedoch in diesem Zusammenhang die gesteigerte Be-
deutung eines hochqualitativen Dateninputs und einer methodisch sauberen Ab-
lage beispielsweise mit Hilfe von Steuerzeichen als essentielle Voraussetzung für
die Spezifikation solcher Anwendungen. Er warnt eindrücklich davor, mittels der
EDV unüberlegte Vereinfachungen vorzunehmen – im Gegenteil, laut Lubetzky
müssen die grundlegenden Probleme und Intentionen hinter den traditionellen
Regelwerken verstanden bleiben, bevor die EDV überhaupt gewinnbringend ge-
nutzt werden kann.75
Als drei Jahrzehnte später das FRBR-Modell definiert wird, sind die Ver-
arbeitung und der Austausch von Metadaten in maschinenlesbarer Form längst
Wirklichkeit geworden. Prinzipiell erlaubt die technologische Entwicklung nun
die Suche nach beliebigen Kombinationen von Elementen, vorausgesetzt, sie wur-
den in der Datenbank indexiert.76 Die Möglichkeit automatischer Querverbindun-
gen verleitet zu dem Schluss, bibliographische Mittel wie Ansetzungsform und
Haupteintrag seien dadurch obsolet geworden, zumal, da das Konzept des Autors
im multimedialen Zeitalter immer schwerer zu fassen ist.77 Nichtsdestotrotz be-
nötigt jede Entität in einer bibliographischen Datenbank einen eindeutigen Iden-
tifikator zu dem Zweck, verschiedene Metadatenelemente und Auftretensformen
in Beziehung zu setzen, und für Werke bietet sich die Kombination von Autor und
Einheitssachtitel weiterhin an. Das methodisch-technische Argument für Hauptein-
75 Vgl. Lubetzky (1969, S. 87–95, 105–106).
76 Vgl. Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze (2009, S. 101).
77 Vgl. Svenonius (2000, S. 70, 84).
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träge zur Erstellung von einheitlichen Literaturangaben fällt also weg, die Notwen-
digkeit zur Normierung bleibt bestehen.78 Im Übrigen liefert die Suche in den
meisten modernen Katalogen lediglich Treffer auf der Manifestations- und Exem-
plarebene, sodass die Konzepte Expression und Werk, welche laut ICP jedes Katalo-
gisierungsregelwerk „berücksichtigen“ sollte,79 nicht konsequent umgesetzt sind.
Internationale Austauschbarkeit und die Entwicklung eines musterhaften
internationalen Katalogisierungsregelwerkes sind auch das erklärte Ziel der ICP.80
Parallel zur Planung eines solchen Regelwerkes auf Basis der ICP wurde aller-
dings bereits ein neuer Katalogisierungsstandard in einem anderen internationa-
len Zusammenschluss entwickelt: Resource Description and Access (RDA). Dieser
Standard führt die Tradition der AACR2 fort und stützt sich auf die konzeptio-
nellen Datenmodelle der IFLA. RDA besitzt die Unterstützung einiger der be-
deutendsten Bibliotheken der Welt, darunter auch die Library of Congress, die
British Library und die Deutsche Nationalbibliothek, und wird demnächst in ei-
nigen Teilen der Welt offiziell eingeführt. Es besteht die große Hoffnung, dass der
RDA-Standard und seine Weiterentwicklungen die Rolle des angestrebten interna-
tionalen Regelwerkes erfüllen werden.81
4. Fazit und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die zugrundeliegende Zielsetzung der Kata-
logisierung ist es, wesensgleiche Information zusammenzubringen (alle Expressio-
nen, Manifestationen und Exemplare zu einem Werk) und diese dann wiederum
anhand von Aspekten zu unterscheiden, bezüglich derer keine exakte Überein-
stimmung besteht.82 Das oberste Prinzip der Katalogisierung hingegen definiert
sich, wie zu Beginn der ICP gefordert, als die konsequente Bezugnahme auf die
Bedürfnisse des Nutzers.83
Die Frage nach Sinn und Zweck von Zielsetzungen und Prinzipien für
die Katalogisierung lässt sich folgendermaßen beantworten: Zielsetzungen sichern
den Praxisbezug eines Regelwerkes und Prinzipien seine interne Konsistenz,84 oh-
ne dabei konkrete Regeln vorzugeben. Damit fungieren die Prinzipien quasi als
78 Vgl. Svenonius (2000, S. 95–97) und Frankenberger & Haller (2004, S. 241).
79 Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 3).
80 Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 2) und Genetasio (2012,
S. 2).
81 Vgl. Genetasio (2012, S. 8–10). Siehe auch RDA: Resource Description and Access (o.D.).
82 Vgl. Svenonius (2000, S. 11).
83 Siehe Erklärung zu den Internationalen Katalogisierungsprinzipien (2009, S. 2).
84 Vgl. Lubetzky (1953a, S. 61).
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Axiome, aus denen an die jeweiligen Gegebenheiten angepasste Regelwerke abge-
leitet werden können, ganz so, wie man eine wissenschaftliche Theorie aufstellt
und aus dieser verschiedene Aussagen ableitet.85 Wenn Zielsetzungen und Prin-
zipien einmal gesetzt sind, so lassen sich einzelne Regeln jederzeit reevaluieren,
verwerfen oder verbessern. Auf diese Weise entsteht ein flexibles System mit Vor-
teilen für Nutzer und für Bibliothekare, laut Lubetzky „a change [...]from a dege-
nerating formalism to a vitalizing functionalism86. Allerdings verlangt ein solches
System auch eine größere Flexibilität seitens des Katalogisierers – anstatt stumpf
Anweisungen befolgen zu können, benötigt er nun für weite Teile seiner Tätigkeit
ein geschultes und an die jeweilige Sachlage angepasstes Urteilsvermögen.87
Die Formulierung von Katalogisierungsprinzipien ist eine Herausforde-
rung aufgrund von gegensätzlichen Aspekten und Optionen. So kann man sich,
um die Suchbarkeit in einem Katalog zu optimieren, entweder dafür entscheiden,
so viele Angaben von der Titelseite wie möglich in eine bibliographische Beschrei-
bung aufzunehmen (so argumentierten Panizzi und seine Zeitgenossen), oder wie
Lubetzky fordern, dass die Einträge stets auf dieselben, wesentlichen Elemente re-
duziert werden sollten.88 Desweiteren müssen Katalogisierungsprinzipien Schritt
halten mit der technologischen Entwicklung und mit der Tatsache, dass Informati-
on in immer kleineren Einheiten wahrgenommen und verarbeitet wird, da dies die
Natur bibliographischer Entitäten grundlegend beeinflusst. Auch darf bei den bi-
bliotheksstrategischen und -politischen Bestrebungen zu Standardisierung und In-
ternationalisierung nicht außer Acht gelassen werden, dass die zum obersten Prin-
zip erhobenen Benutzerbedürfnisse in nicht unerheblichem Maße geprägt sind von
den lokalen Gegeben- und Gepflogenheiten.89
Nichtsdestotrotz bestehen die Bestrebungen zur ständigen Weiterentwick-
lung allgemeingültiger, prinzipienbasierter Richtlinien für die bibliographische Be-
schreibung im Rahmen von Aktivitäten der IFLA und anderer internationaler Zu-
sammenschlüsse fort. Für Ranganathan war eine länderübergreifende Kooperation
im Bibliotheksbereich ein direkter Beitrag zur Erfüllung der Rolle der Bibliothek
als Botschafterin von Bildung und Aufklärung und damit zur Förderung des Welt-
friedens – er schließt seine Schrift „Headings and canons“ mit den Worten:
85 Vgl. Denton (2007, S. 35–36) und Ranganathan (1955, S. 25).
86 Vgl. Lubetzky (1953b, S. 183).
87 Vgl. Lubetzky (1953b, S. 185).
88 Vgl. Svenonius (2000, S. 75–79).
89 Vgl. Svenonius (2000, S. 12–13) und Guerrini (2010, S. 1–2, 6).
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Thus by the promotion of international co-operation in library service, the
library profession will make its own contribution to the ultimate benefit of
[...]the development of each of the nations of the world towards its own
fulness at its own speed and along its own lines ; [...]the development of an
atmosphere of peaceful co-existence among nations ; and [...]the evolution
of One-World.90
90 Ranganathan (1955, S. 281).
Kasprzik / Perspektive Bibliothek 3.2 (2014), S. 120-143
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Alle Internetquellen wurden zuletzt abgerufen am 31.01.2014.
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Article
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The article aims to provide an update on the 2009 Statement of International Cataloguing Principles (ICP) and on the status of work on the Statement by the IFLA Cataloguing Section. The article begins with a summary of the drafting process of the ICP by the IME ICC, International Meeting of Experts on an International Cataloguing Code, focusing in particular on the first meeting (IME ICC1) and on the earlier drafts of the 2009 Statement. It then analyzes both the major innovations and the unsatisfactory aspects of the ICP. Finally, it explains and comments on the recent documents by the IFLA Cataloguing Section relating to the ICP, which express their intention to revise the Statement and to verify the convenience of drawing up an international cataloguing code. The latter intention is considered in detail and criticized by the author in the light of the recent publication of the RDA, Resource Description and Access. The article is complemented by an updated bibliography on the ICP.L'articolo mira a fornire un aggiornamento sulla Dichiarazione di principi di catalogazione (ICP) del 2009 e sullo stato dei lavori al testo da parte dell'IFLA Cataloguing Section. Ricostruisce la storia degli ICP da parte dell'IME ICC, International Meeting of Experts on an International Cataloguing Code e analizza le novità maggiori e gli aspetti insoddisfacenti degli ICP. Infine, espone e commenta i documenti recenti della Cataloguing Section relativi agli ICP, i quali dichiarano l'intenzione di rivedere la Dichiarazione e di verificare l'opportunità di redigere un codice internazionale di catalogazione a partire dalla Dichiarazione. Quest'ultima intenzione viene esaminata più in dettaglio e valutata negativamente dall'autore alla luce della recente pubblicazione delle RDA, Resource Description and Access. L'articolo è arricchito da una bibliografia aggiornata sugli ICP.
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Functional Requirements for Bibliographic Records, FRBR, is an end point of almost 175 years of thinking about what catalogs are for and how they should work—an end point, not the end point. There is no the end point to how libraries should make their collections available to people. That changes all the time, and lately it's been changing quickly. That's one of the reasons we have FRBR. In this chapter I explain where FRBR comes from. I know that many of you have a horror of cataloging, and the thought of it brings back bad memories of obscure rules about spaces, colons, and dashes. Even strong-willed catalogers may blanch at the thought of a history of cataloging, but it's not as bad as you think. No special knowledge of cataloging is required. I won't go into details about main entries or who disagreed with whom about how works of corporate authorship should be handled. No actual cataloging rules are quoted and no MARC fields are shown. We'll follow these four ideas through modern Anglo-American library his- tory and see how they lead up to FRBR: the use of axioms to explain the purpose of catalogs, the importance of user needs, the idea of the "work," and standard- ization and internationalization. The last three ideas are fairly simple. Library users are important people and wherever they are, whatever they want, serving them is the basis of what we do. "Work" has quotes around it to make it clear that under discussion is the abstract notion of a work, not the FRBR entity. (The idea goes beyond just FRBR—different people have different definitions of what a "work" is, but they're all generally the same.) As a librarian, you know all about standards and the international sharing of information. By axioms explaining the purpose of catalogs, I mean a core set of sim- ple, fundamental principles that form the basis for complete cataloging codes such as Anglo-American Cataloguing Rules. In mathematics, Euclid set out five simple axioms and from them, by proof and deduction, built up all of geometry (a simplification, but true enough). Cataloging isn't like mathematics, and it isn't a science, but it has lots of complicated rules. They weren't invented willy-nilly.
Article
This report constitutes Phase I of a two-part study; a Phase II report will discuss subject cataloging. Phase I is concerned with the materials of a library as individual records (or documents) and as representations of certain works by certain authors--that is, with descriptive, or bibliographic, cataloging. Discussed in the report are (1) the history, role, function, and objectives of the author-and-title catalog; (2) problems and principles of descriptive cataloging, including the use and function of "main entry", the principle of authorship, and the process and problems of cataloging print and nonprint materials; (3) organization of the catalog; and (4) potentialities of automation. The considerations inherent in bibliographic cataloging, such as the distinction between the"book" and the "work," are said to be so elemental that they are essential not only to the effective control of library's materials but also to that of the information contained in the materials. Because of the special concern with information, the author includes a discussion of the "Bibliographic Dimensions of Information Control," prepared in collaboration with Robert M. Hayes, which also appears in "American Documentation," Vol.20, July 1969, p. 247-252. (JW)
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The article presents the work of Elaine Svenonius The Intellectual Foundation of Information Organization, translated in Italian and published by Le Lettere of Florence, in the serie Pinakes, with the title Il fondamento intellettuale dell’organizzazione dell’informazione. The Intellectual Foundation of Information Organization defines the theoretical aspects of library science, its philosophical basics and principles, the purposes that must be kept in mind, abstracting from the technology used in a library. The book deals with information organization and bibliographic universe, in particular using the bibliographic entities defined in FRBR, at first. Then, it analyzes all the specific languages by which works and subjects are treated. This work, already acknowledged as a classic, organizes, synthesizes and make easily understood the whole complex of knowledge, practices and procedures developed in the last 150 years.
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