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Waldstruktur und Diversität
Klaus v. Gadow
Institut für Forsteinrichtung und Ertragskunde, Georg-August Universität Göttingen
Reference: Gadow, K. v., 1999: Waldstruktur und Diversität. Allg. Forst- u. Jagdztg 170 (7): 117-122.
Diese Arbeit ist Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Kramer zum 75. Geburtstag gewidmet.
Horst Kramer hat die forstlichen Kernbereiche Forsteinrichtung, Waldinventur und
Waldwachstum jahrzehntelang mit einer erstaunlichen Produktivität vertreten. Sein bisheriges
wissenschaftliches Werk umfaßt über 250 Veröffentlichungen, darunter 22
Buchveröffentlichungen sowie zahlreiche Beiträge für Sammelwerke. Etwa 30 Publikationen
sind in englischer, spanischer, schwedischer oder französischer Sprache erschienen.
Besonders bekannt im deutschsprachigen Raum sind seine Bücher Begriffe der
Forsteinrichtung, Nutzungsplanung und Waldwachstumslehre. Der gemeinsam mit Prof.
Akca veröffentlichte, inzwischen in vierter Auflage erschienene Leitfaden zur Waldmeßlehre
ist ein Bestseller der forstlichen Fachliteratur. Ebenfalls ein großer Erfolg ist das
Dendrometer, der sog. “kleine Kramer”, der sich im In- und Ausland nachhaltig großer
Beliebtheit erfreut. Seine Auslandstätigkeit war besonders weitreichend. Er unternahm
regelmäßig Studien- und Vortragsreisen, betreute zahlreiche ausländische Stipendiaten und
war Gastprofessor in Berkeley, Peking, Monterrey, Valdivia und Stellenbosch. 1967 wurde
ihm der Jahrespreis durch die Society of Foresters of Great Britain verliehen. 1984 wurde er
ausländisches Mitglied der Académie Royale D’Agriculture et de Sylviculture de Suéde. Die
Universität von Nuevo León in Mexiko ehrte ihn mit der Verleihung der Verdienstmedaille in
Silber und der Ehrendoktorwürde. Wer den Jubilar kennt, kann bestätigen, daß sein Interesse
an der Waldforschung nach der Emeritierung kaum nachgelassen hat. Zu seinen derzeitigen
Forschungsschwerpunkten gehören Inventurmethoden und Strukturanalysen in
ungleichaltrigen Naturwaldbeständen, Untersuchungen zum Wachstum einzelner Bäume und
die Forstgeschichte. Wir wünschen Horst Kramer gute Gesundheit und Schaffenskraft. Für
das von ihm Erreichte zollen wir ihm unsere uneingeschränkte Anerkennung und unseren
Dank.
Schlagworte: Waldstruktur, Differenzierung, Durchmischung, Winkelmaß.
Keywords: diversity, size differentiation, spatial mingling.
2
Einleitung
Die Forsteinrichtung in Deutschland ist durch eine mehr als zweihundertjährige Tradition
geprägt, deren zentrales Anliegen bisher darin bestand, die Nachhaltigkeit der Holzerzeugung
zu sichern. Die Veränderung der forstpolitischen Rahmenbedingungen zwingen zum
Umdenken und diese Neuorientierung zeigt inzwischen spürbare Auswirkungen. Die
Forsteinrichtung sucht nach neuen Verfahren der Inventur und Planung. Diese Suche wird
u.a. beeinflußt durch die Diskussion um die Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität
und Förderung der natürlichen Eigendynamik der Waldentwicklung (Sturm, 1993; Fähser,
1997), und durch die zunehmende und variierende Nachfrage nach Qualitätsprodukten mit
steigenden Ansprüchen an eine effiziente Holznutzung (Wegener, 1995; Puumalainen et al.,
1998).
Neue Zustandsvariablen, die die Waldstruktur und Biodiversität beschreiben, erlangen
zunehmende Bedeutung (Füldner, 1995; Aguirre et al., 1998). Parameter der Raumstruktur
eignen sich u.a. zur Beschreibung der Diversität (Szaro u. Johnston, 1996) und der Habitat-
Heterogenität (Pearson et al., 1996)1. Sie können in drei Gruppen eingeteilt werden: a)
positionsunabhängige und b) positionsabhängige Parameter zur Charakterisierung des
Gesamtbestandes und c) Variablen zur Erfassung der kleinräumige Strukturunterschiede auf
der Basis von Nachbarschaftsbeziehungen (Abb.1, nach Albert u. Gadow, 1998).
Abbildung 1. Zur Beschreibung der Waldstruktur und Diversität auf drei Ebenen kommen
drei Gruppen von Variablen zur Anwendung.
Three groups of variables are being used for describing forest structure and diversity on
three different levels.
1 Solange es nicht gelingt, den Idealzustand zu definieren, wird es allerdings kaum gelingen, eine Naturnähe
oder einen Hemerobiegrad zu ermitteln (Sprugel, 1991).
3
Eine besondere Herausforderung für die Forsteinrichtung wird darin bestehen, Struktur-
Indikatoren der Nachhaltigkeit zu definieren, die eine sinnvolle Beurteilung forstlicher
Eingriffe in Mischwäldern ermöglichen (Albert, 1998).
Beschreibung der Waldstruktur
Der Begriff Struktur bezieht sich auf die spezifische Anordnung der Elemente eines Systems.
Die Waldstruktur beschreibt dementsprechend die Verteilung der Baumeigenschaften
innerhalb eines Waldes. Die Waldstruktur kann mit Hilfe von Variablen beschrieben werden,
die einen Vergleich zwischen einer gegebenen Situation und einer oder mehreren
Standardsituationen ermöglichen2. Dabei empfiehlt sich die Unterscheidung zwischen
Merkmalen, die einfache Strukturen beschreiben und Merkmalen der räumlichen Struktur.
Arten- und Dimensionsanteile
Die Beschreibung der einfachen Waldstruktur befaßt sich mit den Anteilen bestimmter
Merkmale innerhalb einer Population, z.B. mit den Anteilen der Baumarten oder den
Anteilen unterschiedlicher Baumdimensionen (Abb. 2; vgl. Vanclay, 1998).
niedrig
hoch
Variable
Artenreichtum
(species richness)
Shannon Index
Dimensionsreichtum
(size class richness)
BHD-Verteilung
Abbildung 2. Einfache Merkmale der Waldstruktur. Die räumliche Verteilung der
Baumeigenschaften wird nicht berücksichtigt.
Simple, non-spatial indices of forest structure.
Der Artenreichtum bzw. die Artendiversität kann mit Hilfe des Index von Shannon u. Weaver
(1949) beschrieben werden:
2 Der Korrelationskoeffizient zum Beispiel, der die Intensität einer linearen Beziehung zwischen zwei Größen
mißt, hat drei interpretierbare Bezugspunkte: 1, 0 und -1. Der Wert 1 sagt aus, daß eine perfekte lineare
Beziehung mit positiver Steigung vorliegt. Bei 0 existiert keine Beziehung und bei -1 ist die Beziehung
ebenfalls perfekt, aber die Steigung negativ. Zum Zweck der Interpretation ist die Standardisierung des Index
von großer Bedeutung, d.h. die Wahl der interpretierbaren Bezugswerte.
4
(1)
wobei S = Anzahl der vorkommenden Arten
mit ni= Anzahl der Individuen der Art i und N=Anzahl aller Individuen.
Der Shannon-Weaver-Index erfüllt drei Bedingungen (Pielou, 1977, p. 293 ff): a) die
Artendiversität erreicht einen Maximalwert, wenn alle Arten mit gleichen Anteilen vertreten
sind3, b) sind die Arten in zwei Populationen gleichmäßig verteilt, dann weist die Population
mit der größeren Anzahl von Arten die höhere Diversität auf und c) wird eine zusätzliche
Klassifikation verwendet, z.B. eine zusätzliche Einteilung in Höhenklassen, und beide
Klassifikationen sind voneinander unabhängig, - d.h. die Kenntnis der Art enthält keine
Information über die Höhe, - dann ist die Arten-Höhen-Diversität gleich der Summe aus
Arten-Diversität und Höhen-Diversität: H’(Art,Höhe)=H’(Art)+H’(Höhe). Der
Dimensionsreichtum kann durch die Verteilung der Baumdurchmesser, Baumvolumen,
Kronenlängen oder Kronenschirmflächen charakterisiert werden. Einfache Diversitätsindizes
werden bei der Auswertung von permanent markierten Probekreisen berücksichtigt, in denen
räumliche Strukturparameter wegen des Randproblems nicht verwendet werden können
(Sterba, 1998; Nagel, 1998; s. Abb. 3).
Abbildung 3. Innerhalb räumlich begrenzter Probeflächen kann eine Aussage über die
einfache Struktur ausreichend sein, da die Anteile gleichzeitig auch die räumliche
Diversität beschreiben (A=räumlich homogen; B=räumlich inhomogen).
The use of simple, non-spatial variables may be satisfactory within sample plots of limited
size (A = spatially homogeneous; B = spatially inhomogeneous).
Innerhalb räumlich begrenzter Probeflächen kann eine Aussage über die einfache Diversität
allerdings ausreichend sein. Kommen auf einer kleinen Probefläche zum Beispiel drei
Baumarten vor, dann ist auf jeden Fall auch eine hohe räumliche Durchmischung gegeben.
3 die sog. evenness erreicht dann den Wert 1, wobei .
5
Raumstruktur
Für Strukturanalysen in ungleichaltrigen Mischbeständen werden zusätzlich zu den
Häufigkeitsverteilungen auch Informationen darüber benötigt, wie die Arten- und
Dimensionsanteile räumlich vermischt sind. Zu diesem Zweck können Parameter der
Raumstruktur verwendet werden (Abb. 4).
niedrig
hoch
Variable
Aggregation
(contagion)
Durchmischung
(species mingling)
Differenzierung
(size differentiation)
Abbildung 4. Elemente der Waldstruktur, die die räumliche Verteilung der
Baumeigenschaften berücksichtigen (wij, mij und tij sind Variablen, die die Anzahl
unregelmäßig positionierter, andersartiger und größerer Nachbarn j eines gegebenen
Bezugsbaumes i repräsentieren; vgl. Gadow, 1993; Füldner, 1995; Gadow et al., 1998;
Pommerening, 1997)4.
Elements of forest structure reflecting the spatial distribution of tree attributes (wij, mij and tij
are variables representing the number of abnormally positioned, different und bigger
neighbours j of a given reference tree i respectively).
Bei der Beschreibung der Dimensionsstruktur genügt es häufig nicht, wenn nur die
Dimensionsunterschiede benachbarter Bäume angegeben werden, zumal nicht bekannt ist,
welcher von beiden i oder j die größere Dimension aufweist. Von zusätzlichem Interesse ist
4 wij nimmt den Wert 0 an, wenn !, der kleinere der beiden Winkel zwischen zwei Nachbarn größer gleich dem
erwarteten Standardwinkel !0 ist, sonst 1. Dementsprechend nimmt mij den Wert 0 an, wenn der j-te Nachbar
der gleichen Baumart angehört wie der Bezugsbaum i, sonst den Wert 1. tij berücksichtigt die Verhältnisse der
6
die relative Dominanz einer bestimmten Baumart oder einer Baumklasse. Zur
Charakterisierung der Dominanz kann anstelle bzw. zusätzlich zur Differenzierung auch das
Umgebungsmaß zur Anwendung kommen, das den Anteil der Nachbarn angibt, die größer
sind als der Bezugsbaum und sich für die Reproduktion von Bestandestrukturen eignet (Hui
et al., 1998). Albert (1998, S. 51 ff) schließlich verwendet die Dimensionsdominanz, ein Maß,
bei dem sowohl die relative Stellung des Bezugsbaumes in der Nachbarschaft
(Umgebungsmaß) als auch die quantitative Aussage der Größenunterschiede
(Differenzierung) berücksichtigt werden.
Die Variablen zur Beschreibung der Raumstruktur sind relativ einfach im Gelände zu
erheben. Erfaßt werden der dem Stichprobenpunkt nächstgelegene Bezugsbaum und dessen n
nächste Nachbarn. Abstandsmessungen sind nicht erforderlich (Füldner, 1995; Abb. 5).
Beispiel: Abbildung 5 zeigt eine Gruppe von 5 Bäumen (den Bezugsbaum i und dessen vier nächste
Nachbarn) mit den entsprechenden Brusthöhendurchmessern. Drei Bäume sind Buchen, zwei Fichten.
Nur ein Winkel ! ist kleiner als der Standardwinkel !0 zwischen zwei Nachbarn (Der Wert von !0
beträgt bei 4 Nachbarn 360/4=90°).
Abbildung 5. Die Variablen zur Beschreibung der Raumstruktur sind sehr einfach im
Gelände zu erheben. Erfaßt werden der dem Stichprobenpunkt nächstgelegene
Bezugsbaum i und dessen n nächste Nachbarn, die “Strukturelle Vierergruppe”.
The spatial structure variables may be assessed in the field using the tree nearest to a sample
point (the reference tree) and the three nearest neighbours of the reference tree, the
”structural group of 4”.
Für die in Abb. 5 aufgeführte Fünfergruppe ergeben sich folgende Parameterwerte:
Wi=(0+0+0+1)/4=0.25;
Mi=(0+0+1+1)/4=0.50;
Ti=(1-20/40+1-10/20+1-20/30+1-20/20)/4=0.42.
Brusthöhendurchmesser: . Statt des Brusthöhendurchmessers
kann eine beliebige Dimensionsvariable gewählt werden.
7
Entscheidend für die Interpretation der Aufnahmeergebnisse ist die Unterscheidung zwischen
Stammzahl- und Flächen-Anteilen der Strukturklassen. Da die Auswahlwahrscheinlichkeit
eines Bezugsbaumes proportional zu dessen Standfläche ist, können die dem Bezugsbaum
zugehörigen Flächenanteile der Strukturmerkmale verzerrungsfrei geschätzt werden (Albert,
1998, S. 78 ff.; Staupendahl, 1997).
Drei Beispiele
Die gute Eignung der in Abb. 4 aufgeführten Strukturparameter kann mit Hilfe von drei
Beispielen erläutert werden. Das erste Beispiel zeigt die Verteilung der artspezifischen
Durchmischungswerte unter Berücksichtigung von 3 Nachbarn in einem Buchen-
Edellaubholzmischbestand im Forstamt Bovenden bei Göttingen, getrennt für die Buchen und
die Eschen (Abb.6).
Buche
Esche
Abbildung 6. Beispielhafte Darstellungen der Verteilung artspezifischer Durchmischungs-
werte in einem Buchen-Edellaubholz-Mischbestand. Links für die Buchen, rechts für
die Eschen.
Distributions of species specific mingling in a mixed deciduous forest (left for beech, right for
ash trees).
Die meisten Buchen sind nur von Buchen umstanden während die meisten Eschen einzeln
unter Buchen und nur zu einem sehr geringen Anteil in Eschengruppen vorzufinden sind.
Diese Aussagen sind nicht möglich, wenn nur die Häufigkeiten der Baumarten bekannt sind.
Das zweite Beispiel zeigt die hohe Aussagekraft des Winkelmaßes zur
Charakterisierung der Individualverteilung5. Das Winkelmaß besitzt wiederum den Vorzug,
daß es relativ einfach im Gelände erfaßt werden kann. Anhand des Mittelwertes können
Individualverteilungen von Waldbeständen relativ exakt in die drei Klassen regelmäßig,
5 Die bisher üblichen Indizes können zu fehlerhaften Beurteilungen der Punktverteilung führen. Dies gilt u. a.
auch für den Index nach Clark & Evans (Smaltschinski, 1998).
8
zufällig und geklumpt eingeordnet werden. In Abb. 7 sind drei Baumverteilungspläne und die
dazugehörigen Verteilungen des Winkelmaßes dargestellt.
zufällig
regelmäßig
geklumpt
Abbildung 7. Lagepläne der Baumpositionen und entsprechende Verteilung der -Werte für
drei Beispielbestände mit zufälliger, regelmäßiger und geklumpter Verteilung der
Baumpositionen.
Tree maps and corresponding distributions of -values (alpha-counts) for a clumped,
regular and random distribution of tree positions.
Das dritte Beispiel veranschaulicht die Verwendung von Strukturparametern zur
Beschreibung von Durchforstungen und zur Herleitung von Entnahmepräferenzen in einem
Fichten-Buchen-Mischbestand. Zunächst wird jeder Baum aufgrund seines Durchmischungs-
und Durchmesserdifferenzierungswertes einer Strukturklasse zugeordnet. Teilt man den
Wertebereich der beiden Variablen jeweils in vier Klassen, so ergeben sich 16 mögliche
Strukturklassen (Tab. 1). Aus den Daten der Tab. 1 lassen sich Entnahmepräferenzen für eine
Durchforstung ableiten. Die Entnahmepräferenz ergibt sich aus dem Verhältnis der bei einem
forstlichen Eingriff ausscheidenden Anteile zu den Anteilen des Gesamtbestandes in der
jeweiligen Strukturklasse (vgl. Daume, 1995):
(3)
mit PRij = Entnahmepräferenz der Strukturklasse ij
9
pausij = relativer Anteil der ausscheidenden Bäume in Strukturklasse ij
pgesij = relativer Anteil aller Bäume in Strukturklasse ij
Fichte
Buche
gesamt
M
gesamt
M
0
0.33
0.67
1
0
0.33
0.67
1
0 - 0.3
0.00
0.32
0.15
0.00
0 - 0.3
0.19
0.08
0.04
0.00
T
0.3-0.5
0.04
0.13
0.00
0.00
T3
0.3-0.5
0.07
0.07
0.04
0.01
0.5-0.7
0.00
0.02
0.09
0.02
0.5-0.7
0.04
0.06
0.07
0.01
0.7-1.0
0.00
0.06
0.11
0.06
0.7-1.0
0.13
0.07
0.08
0.03
ausscheidend
M
ausscheidend
M
0
0.33
0.67
1
0
0.33
0.67
1
0 - 0.3
0.00
0.25
0.00
0.00
0 - 0.3
0.20
0.20
0.00
0.00
T
0.3-0.5
0.00
0.75
0.00
0.00
T
0.3-0.5
0.20
0.20
0.20
0.00
0.5-0.7
0.00
0.00
0.00
0.00
0.5-0.7
0.00
0.00
0.00
0.00
0.7-1.0
0.00
0.00
0.00
0.00
0.7-1.0
0.00
0.00
0.00
0.00
Tabelle 1. Relative Häufigkeitsverteilung der Variablen Durchmischung (M) und
Durchmesser-Differenzierung (T) in einem Fichten-Buchen-Mischbestand für den
Gesamtbestand (obere Hälfte) und für das Kollektiv der ausscheidenden Bäume (untere
Hälfte).
Relative frequencies of mingling (M) and differentiation (T) classes in a spruce/beech forest
for the whole stand (upper half) and the removed trees (lower part).
Beispiel: 13 % aller Fichten des Gesamtbestandes fallen in die Strukturklasse, deren Werte für die
Durchmischung 0.33 (d. h. unter den drei nächsten Nachbarn befindet sich genau eine Buche) und für die
Durchmesserdifferenzierung zwischen 0.3 und 0.5 betragen (das Verhältnis der Durchmesser liegt also
zwischen 1:1.4 und 1:2). In dem Kollektiv der ausscheidenden Bäume belegen 75 % diese Klasse. Die
Entnahmepräferenz dieser Fichten ist also besonders hoch: .
Die Strukturparameter erlauben eine detaillierte Analyse des Eingriffs. Ausschließlich
Fichten, unter deren drei nächsten Nachbarn sich genau eine Buche befand (M=0.3), sind
entnommen worden. Innerhalb dieser Kategorie wurden bevorzugt Fichten aus Gruppen
entnommen, die stärker im Durchmesser differenziert waren (T=0.5). Ähnliche
Interpretationen ergeben sich für das Buchenkollektiv. 40% aller entnommenen Buchen
befanden sich in reinen Buchengruppen. Bei weiteren 40% der entnommenen Buchen waren
zwei der drei nächsten Nachbarn ebenfalls Buchen.
Erwartete und beobachtete räumliche Strukturen
Die Strukturparameter erleichtern die Analyse komplizierter Waldzustände und deren
Veränderung durch forstliche Eingriffe. Zwei Waldbestände, die die gleiche Stammzahl- und
Baumartenverteilung und die gleichen artspezifischen Durchmesserverteilungen aufweisen,
können sehr unterschiedlich aufgebaut sein. Die Unterschiede werden durch die Verteilungen
der Winkelmaße, Artendurchmischungen und Dimensionsdifferenzierungen aufgezeigt
10
(Füldner, 1995; Schmidt et al., 1997; Pommerening, 1997). Dadurch ist es zwar möglich,
Bestände miteinander zu vergleichen, aber diesen Vergleichen fehlt ein absoluter Standard
bzw. eine neutrale Bezugsgröße.
Wenn die Stammfußkoordinaten der Bäume bekannt sind, lassen sich die Baumattribute
(Baumart, BHD) den Koordinaten zufällig zuordnen. Dadurch wird ein Zufallswald erzeugt.
Eine plausible Bezugsgröße ist also der Erwartungswert einer Strukturvariablen. In einem
Bestand befinden sich N Bäume B1,...,BN. Um einen Zufallswald zu erzeugen, werden die
Baumattribute, z.B. die Baumart permutiert, d.h. zufällig auf die bekannten Koordinaten
verteilt. Dabei gibt es N! verschiedene Möglichkeiten, wie die beobachteten Arten den N
Baumkoordinaten zugeordnet werden können und es wird erwartet, daß jede dieser N!
Zuordnungen die gleiche Wahrscheinlichkeit besitzt, nämlich 1/N! Einzelheiten des
Verfahrens finden sich bei Lewandowski u. Pommerening (1996), Pommerening (1997, S. 15
ff.) und Schröder (1998).
Die Simulationstechnik ermöglicht einen Vergleich der beobachteten und der in einem
Zufallswald erwarteten Strukturparameter. Durch zufällige Permutationen wird eine
Prüfgröße berechnet, mit deren Hilfe die Signifikanz der Abweichungen beurteilt werden
kann. Dazu werden jeweils 1000 Zufallswälder erzeugt. Die Abweichungen zwischen den
beobachteten und erwarteten Strukturparametern waren in den deutschen
Untersuchungsbeständen zum Teil beträchtlich (Pommerening, 1997, S. 21 ff.). Dagegen
fand Schröder (1998) für die mittlere Durchmesserdifferenzierung eine erstaunliche
Übereinstimmung im Naturwald von Knysna (Abb. 8).
Abbildung 8. Beobachtete (linke Säule) und erwartete Differenzierungswerte (rechte Säule)
für drei Baumarten und den Gesamtbestand im Naturwald von Knysna unter
Berücksichtigung des ersten Nachbarn (Schröder, 1998).
Observed (left column) and expected (right column) average diameter differentiation values
for three tree species and the entire forest in the Knysna Forest, South Africa.
11
Die Simulation schafft eine allgemeine Bezugsgröße deren Bedeutung darin besteht, daß
beliebige Waldbestände bezüglich ihrer Abweichung von einer Normalstruktur beurteilt
werden können. Somit rückt auch die Möglichkeit näher, den charakterischen Aufbau von
Naturwäldern im Vergleich mit Wirtschaftswäldern beurteilen zu können.
Diskussion
Neuere Vorstellungen über die Waldbewirtschaftung in Nordamerika und Mitteleuropa sind
gekennzeichnet durch eine Abkehr von mechanistischen Modellen und eine Hinwendung zu
organischen Vorstellungen (Kennedy et al., 1995). Der Wald wird als komplexes offenes
System verstanden und die deduktiven Normalwald-Methoden werden immer seltener in der
praktischen Forsteinrichtung angewendet.
Die Simulationstechnik ermöglicht die Anwendung induktiver Ansätze für konkrete
Einzelbestände. Einfache dichotome Wertvorstellungen (naturgemäß contra schlagweise)
werden durch die Einsicht ergänzt, daß häufig nicht nur ein spezielles waldbauliches
Vorgehen in Frage kommt. Die Vielfalt der möglichen forstlichen Eingriffe ist groß und der
waldbauliche Handlungsraum wird weniger durch abstrakte Leitbilder, sondern vor allem
durch den vorhandenen Ausgangszustand bestimmt.
Diese Vorstellungen sind nicht neu. Neu sind die Möglichkeiten, die sich abzeichnen,
sie auf großer Fläche zu verwirklichen. Diese Aufgabe stellt hohe Anforderungen an die
Forstplanung, die inzwischen allerdings über erheblich erweiterte technische Möglichkeiten
verfügt. Dazu gehören neue Methoden, Eingriffe zu beschreiben, Nutzungen zu schätzen und
die Waldentwicklung vorherzusagen.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die Strukturparameter. Aussagefähige Parameter der
Raumstruktur und Diversität können mit geringem Aufwand im Gelände erhoben werden und
die Interpretation der Auswertungsergebnisse durch die forstliche Praxis ist unkompliziert.
Die genannten Strukturparameter bilden eine Grundlage für den Vergleich zwischen
bewirtschafteten und unbewirtschafteten Wäldern, ermöglichen eine genaue Beschreibung
eingriffsbedingter Strukturveränderungen, und erleichtern bzw. ergänzen die
Nutzungsplanung und Nachhaltskontrolle in Wäldern mit unterschiedlichen Arten- und
Dimensionsverteilungen.
12
Zusammenfassung
Aussagen über Raumstrukturen spielen eine zunehmend wichtige Rolle in der forstlichen
Praxis und in Zukunft werden neue Zustandsvariablen berücksichtigt werden müssen, die die
Waldstruktur und Diversität ungleichaltriger Mischwälder beschreiben. Eine besondere
Herausforderung für die Forsteinrichtung wird darin bestehen, neue Grundlagen für eine
sinnvolle Beurteilung forstlicher Eingriffe zu erarbeiten. Die nachbarschaftsbezogenen
Parameter Durchmischung, Differenzierung und Winkelmaß besitzen gegenüber den bisher
üblichen Strukturindizes deutliche Interpretationsvorteile. Zu den Vorzügen dieser Parameter
zählen die Darstellbarkeit als Häufigkeitsverteilung, die relative Empfindlichkeit bei der
Charakterisierung von Durchforstungseingriffen sowie die Möglichkeit der kostengünstigen
Erfassung mit adäquaten Stichprobenmethoden.
Forest Structure and Diversity
Summary
Methods for defining structural attributes are important in the practice of managing mixed
uneven-aged forests. New state variables for describing the spatial diversity of tree positions,
tree dimensions and tree species within a given forest are being presented. These variables
can be assessed in the field by sampling nearest neighbour information. They can be used to
characterize modifications of forest structure resulting from silvicultural activity, to measure
differences between forests in time and space, and to analyse the differences between
observed and expected structures.
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