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Das Lipödem.

Authors:
  • Städtisches Klinikum Dresden
Das Lipödem
U. Wollina, B. Heinig
Einführung
Das Lipödem ist im Gegensatz zum
Lymphödem eine weniger bekannte
Erkrankung der Extremitäten (1, 2).
Die Erkrankung ist alt, wie bildliche
Darstellungen der Prinzessin Ati von
Punt in Kairo vermuten lassen. Zur
Epidemiologie gibt die Untersuchung
von Marshall und Schwahn-Schreiber
eine Prävalenz von ca. 8 Prozent bei
erwachsenen Frauen in Deutschland
an. In lymphologischen Kliniken wird
die Erkrankung bei ca. 10 Prozent
der stationären Patienten beobachtet
(1, 2).
Die Kenntnis der Erkrankung ist
jedoch für eine rechtzeitige und
sinnvolle Intervention unerlässlich.
Pathogenese
Der Leitbefund ist das vermehrte
Unterhautfettgewebe an den Extre-
mitäten mit Aussparung der Akren
und des Rumpfes. Es besteht im
Gegensatz zur Adipositas kein direk-
ter Bezug zur Kalorienaufnahme
oder -restriktion. Deshalb wird von
einem autonomen oder autokrinen
Fettgewebswachstum ausgegangen
(1, 2, 4).
Weibliche Sexualhormone spielen
offenbar bei der Erkrankung eine
Rolle. Hierfür sprechen die sehr
klare Betonung des weiblichen Ge -
schlechts und die Aggravation nach
der Pubertät oder Gravidität. Eine
familiäre Häufung ist festzustellen
(1, 2). Primär ist die Störung der
Regulation des Unterhautfettgewe-
bes, jedoch keine Störung der
Lymph- oder Blutzirkulation. Im
Gegenteil, Befunde zur Lymphab-
flussszintigraphie sprechen für eine
erhöhte Aktivität der Lymphgefäße
und Lymphzirkulation. Später Entwi-
ckeln sich Mikroaneurysmen der lym-
phatischen Kapillaren (6, 7).
Im weiteren Verlauf werden teilweise
Fibrosierungen des Fett- und Binde-
gewebes beobachtet, welche als
knotige oder plattenartigen Verhär-
tungen palpabel sind. Das Fettge-
webe bei der Adipositas und beim
Morbus Dercum ist durch eine chro-
nische unterschwellige Entzündungs-
reaktion gekennzeichnet (8). In eige-
nen unveröffentlichten Untersuchun-
gen der Lipoaspirate bei Liposukti-
onsbehandlung von Lipödempatien-
ten konnten wir keine Entzündungs-
infiltrate beobachten.
Klinisches Bild und
Differentialdiagnosen
Das Lipödem wird durch eine beson-
ders auf die proximalen, weniger
stark auf die distalen Extremitäten
begrenzte Hyperplasie des Fettgewe-
bes mit autonomem Wachstum und
deutlicher Stufenbildung an Fesseln
und Handgelenken charakterisiert.
Der Stamm ist nicht betroffen (1, 2).
Typisch sind das Auftreten von
Hämatomen nach Bagatelltraumen
in den betroffenen Partien sowie die
zunehmende Tendenz zum Berüh-
rungsschmerz (1, 2). Dies macht die
Abgrenzung vom Morbus Dercum
schwierig. Für Letzteren gilt die
Stammbeteiligung als typisch. Beide
Krankheitsbilder sind fast ausschließ-
lich bei erwachsenen Frauen zu fin-
den, wobei der Altersgipfel beim
Morbus Dercum zum höheren Alter
verschoben ist (8).
Weitere wichtige Differenzialdiagno-
sen sind die Adipositas mit einer zen-
tral-betonten Hyperplasie des Fettge-
webes unter Einbeziehung von Kopf-
Hals-Region und der Extremitäten
und das Lymphödem mit Beginn an
den Akren und Betonung der akra-
len Extremitäten nebst plastischem
Ödem.
Die symmetrische Lipomatose
Lanois-Bensaude tritt häufiger bei
Männern auf.
Diagnostik
Die Diagnose wird aufgrund typi-
scher klinischer Merkmale der Fett-
verteilung, der Schmerzhaftigkeit
und der Hämatomneigung gestellt.
Es existieren keine krankheitstypi-
schen Laborbefunde. Bildgebende
Verfahren können zur (Semi-)Quanti-
fizierung herangezogen werden,
sind aber beim typischen Lipödem
verzichtbar (1, 2).
Die Erkrankung sollte entsprechend
ihres Schweregrades klassifiziert wer-
den (Tab. 1; Abb. 1).
Komplikationen
Unbehandelt führt das Lipödem
unweigerlich zu zwei katastrophalen
Konsequenzen: 1. tritt eine frühzei-
tige Gonarthrose durch Fettpolster
des distal-medialen Oberschenkels
auf. Zunächst ist das Knien behin-
dert, am Ende steht jedoch eine
schwere Beeinträchtigung der
Gelenkfunktion auch beim Stehen
und Laufen durch zunehme Achsen-
fehlstellung des Beines (10). 2. stei-
gert die Zunahme des Körperfetts
das Risiko, an einem metabolischen
Syndrom zu erkranken (1, 2, 4, 5).
Die Gonarthrose ist auch bei ande-
ren Ursachen eines erhöhten Body-
Mass-Index in bis zu 30 Prozent der
Patienten zu beobachten. Ein zusätz-
licher Umstand bei Lipödem ist die
ausgeprägte Fettpolster-Entwicklung
am medialen Kniegelenk, welche die
Biomechanik des Knies verändert
und zur Fehlbelastung des Gelenks
beiträgt.
Die teils dramatischen Veränderun-
gen von Körperform und -funktion
haben negative Auswirkungen auf
Lebensqualität und Selbstwertgefühl
der Patienten. Dies äußert sich in
Depressionen, zum Teil auch in frust-
bedingter sekundärer Adipositas (1,
2, 4).
Ein länger bestehendes ausgeprägtes
Lipödem kann sekundär durch ein
Lymphödem kompliziert werden.
Man spricht dann von einem Lipo-
lymphödem (2).
Originalie
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I Verdickte Unterhaut, weich, mit kleinen palpablen Knötchen,
Oberfläche der Haut jedoch noch glatt.
II Verdickte Unterhaut, weich, teils größere Knoten,
Hautoberfläche uneben.
III Verdickte Unterhaut, induriert, große Knoten, deformierende
Wammenbildung an den Oberschenkelinnenseiten und am Knie innen.
Tab. 1: Schweregrad des Lymphödems (2)
Beingeschwüre sind selten zu beob-
achten. Wenn sie auftreten, ist ihre
Abheilungstendez jedoch ausgespro-
chen gering (11).
Konservative Behandlung
Die komplexe physikalische Entstau-
ungstherapie (KPE) mit manueller
Lymphdrainage, Mobilisierung und
Kompressionsbestrumpfung führt
nicht zu einer grundsätzlichen Be -
einflussung der Erkrankung bezüg-
lich aktueller Beschwerden und Pro-
gressionsverhinderung. Es existieren
keine wissenschaftlichen Belege für
eine Beeinflussung des Fettgewebes
durch KPE. Allenfalls kann eine
geringgradige Minderung des Bein-
umfanges (bis zu 2 cm) bei intensiver
KPE erzielt werden. Dies ist auf eine
Wirkung auf das Minorsymptom
einer „Phlebödem“-artigen Wasser-
einlagerung zurückzuführen. Sport,
Diäten und Medikamente sind beim
Lipödem unwirksam. Dennoch sollte
auf eine gesunde Ernährung und
eine sportliche Betätigung geachtet
werden, um das Risiko des metaboli-
schen Syndroms zu begrenzen (2, 4,
5).
Operative Behandlung
In der Vergangenheit wurden ver-
schiedene Varianten der Lipektomie
durchgeführt. Die Lipektomie ist
jedoch ungeeignet, das zeigen die
große Rezidivfreudigkeit nach einem
solchen Eingriff, die Beeinträchti-
gung des Lymphabstroms durch aus-
gedehnte Narben sowie die Ulkus-
neigung als Spätkomplikation nach
Jahrzehnten.
Durch die Entwicklung der Tumes-
zenzanästhesie ist die Liposuktion
möglich geworden. Bei dieser Wet-
Technik werden die bindegewebigen
Komponenten des Fettgewebes ge -
schont. Da sich hier die somatischen
Stammzellen des Fettgewebes befin-
den, wird so eine Aktivierung der
Stammzellen wie bei der Lipektomie
vermieden. Rezidive kommen nach
Liposuktion in Tumeszenzanästhesie
praktisch nicht vor (2, 4, 5).
Die Absaugung wird in Längsrich-
tung der epifaszialen Lymphgefäße
und nicht quer zu ihnen vorge-
nommen. Auf diese Weise wird der
Lymphabfluss nicht beeinträchtigt.
Sekundäre Lymphödeme wurden
nach sachgerechter Liposuktion nicht
beobachtet (4, 5, 12, 13).
Für die Tumeszenzanästhesie sind
unterschiedliche Tumeszenzlösungen
im Gebrauch (4, 5, 12, 14). Wir ver-
wenden Prilokain, weil viele unserer
älteren Patientinnen kardiale Prob-
leme aufweisen. Im Gegensatz zum
Lidokain zeigt Prilokain keine Vasodi-
latation und ist weniger kardioto-
xisch. Die Resorption ist verzögert.
Maximale Plasmaspiegel werden
nach etwa sechs Stunden erreicht.
Bis zu 12 Stunden nach der Anästhe-
sie tritt eine Met-Hämoglobinämie
auf, die der kurzfristigen Kontrolle
bedarf. Bei Symptomatik oder Wer-
ten über 20 Prozent ist die Gabe
eines Antidots wie Methylen- oder
Toluidinblau erforderlich (15).
Ein weiterer wichtiger Schritt in der
Entwicklung der Liposuktion war die
Einführung dünner Mikrokanülen
(16). Ob die Liposuktion durch Kraft
des Operateurs allein oder als Ultra-
schall- oder Waterjet-assistiertes Ver-
fahren durchgeführt wird, ist bezüg-
lich der Sicherheit und der Ergeb-
nisse auch in ästhetischer Hinsicht
nicht entscheidend. Histologische
Untersuchungen haben keine signifi-
kanten Differenzen der Ergebnisse
und des Schutzes der Lymphgefäße
nachweisen können. Auch bezüglich
des Blutverlustes ergaben sich keine
signifikanten Differenzen (12,17-21).
In den letzten Jahren ist die laserge-
stützte Liposuktion entwickelt wor-
den. Meist werden Dioden- bzw. Nd-
YAG-Laser verwendet. Hierdurch wird
eine Laserlipolyse aufgrund thermi-
scher Effekte möglich. Gleichfalls
wird durch die Gefäßlaser auch das
Blutungsrisiko reduziert. Durch die
thermischen Effekte auf das Binde-
gewebe kommt es zu einer verbes-
serten Gewebestraffung als bei Lipo-
suktion ohne Lasereinsatz (4, 5, 22).
Die diodenlaserassistierte Liposuk-
tion in Tumeszenzanästhesie ist auch
das von uns seit mehreren Jahren
genutzte moderne Verfahren.
Die Liposuktion bei Lipödempatien-
ten ist nicht mit der ästhetischen
Liposuktion bei Gesunden gleichzu-
setzen. Begleiterkrankungen und
höheres Alter stellen besondere
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Abb 1: Lipödem – klinische
Schweregrade.
(a) Grad I, (b) Grad II und (c) Grad III.
(a)
(b)
(c)
Anforderungen an die Vorbereitung,
Durchführung sowie das postopera-
tive Monitoring nach Liposuktion.
Bei Lipödem Grad II – III sind oftmals
mehrere Sitzungen erforderlich, um
das gewünschte funktionelle und
ästhetische Ziel zu erreichen. Die
Menge der Tumeszenzlösung pro Sit-
zung begrenzen wir aus Sicherheits-
gründen auf fünf bis maximal sechs
Liter. Prophylaktische Antibiose oder
postoperative Heparinoide sind in
der Regel nicht erforderlich. Die Pati-
enten stehen nach der Operation auf
und müssen keine Bettruhe einhal-
ten. Nach einer Liposuktion ist
jedoch das konsequente Tragen der
Kompressionsbestrumpfung wichtig,
um postoperative Ödeme, Serome
oder eine übermäßige Hautlaxizität
zu vermeiden. Eine postoperative
KPE hilft, den Heilungsverlauf abzu-
kürzen und Komplikationen zu ver-
meiden (4, 5).
Nur die Liposuktion ist in der Lage,
an der Pathologie des Fettgewebes
wirksam anzusetzen und der Gelenk-
destruktion und anderen Komplikati-
onen des Lipödems vorzubeugen.
Ob auch das metabolische Risiko auf
diese Weise reduziert werden kann,
ist theoretisch einleuchtend, wissen-
schaftlich jedoch noch nicht syste-
matisch untersucht worden.
Ist die Liposuktion des Lipödems
eine Kassenleistung?
Die gesetzlichen Krankenkassen leh-
nen eine Kostenübernahme für die
Liposuktion beim Lipödem häufig
mit folgenden Argumenten ab:
Der Gemeinsame Bundesausschuss
habe noch keine Stellungnahme zu
der als „neue Behandlungsmethode“
eingestuften Therapie erarbeitet.
Dennoch ist es den Krankenkassen
möglich, nach einer individuellen
Prüfung die Kostenerstattung zu
übernehmen.
Der stationäre Aufenthalt wird mit
der Begründung abgelehnt, dass
Liposuktionen auch ambulant durch-
geführt werden könnten. Dies ist
richtig, sofern es sich um Liposuktio-
nen aus ästhetischen Gründen han-
delt. Die Notwendigkeit der stationä-
ren Behandlung ergibt sich aus den
häufigen Komorbiditäten der betrof-
fenen Patientinnen und der Erforder-
nis des Met-Hämoglobin-Monitoring.
Die übliche stationäre Behandlungs-
zeit liegt bei ein bis zwei Tagen.
Liposuktionen werden ohne Diffe-
renzierung als ästhetische Behand-
lungsmethoden eingestuft. Dabei
sind die wichtigsten Effekte der Lipo-
suktion bei Lipödem neben der dau-
erhaften Reduktion des krankhaften
Fettgewebes, Schmerzlinderung und
Verbesserung der Lebensqualität.
Den Versicherten werden Diäten und
ambulante manuelle Lymphdrainage
nahegelegt. Für deren Wirkung auf
das erkrankte Fettgewebe beim Lipö-
dem fehlen jegliche wissenschaftli-
che Beweise.
In der Pressemitteilung Nr. 3 von
2012 verweist das Sozialgericht
Chemnitz auf eine aktuelles Urteil
zugunsten einer Patientin mit fortge-
schrittenem Lipödem hin. In der
Urteilsbegründung heißt es: „Es sei
als Systemfehler zu bewerten, wenn
trotz vom Sachverständigen empfoh-
lener Behandlung bei fehlender ge -
sicherter konventioneller Behand-
lungsmethode keine Kostenüber-
nahme möglich sei. Die Liposuktion
gelte heutzutage als sichere und
effektive Therapiealternative, wenn
bestimmte Voraussetzungen erfüllt
seien. Die Feststellung einer System-
störung im Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung
verpflichtet die Krankenkasse zur
Übernahme der Behandlungskosten,
auch wenn diese Behandlungsform
nicht zum Leistungsumfang der
gesetzlichen Krankenkassen gehört.“
Zusammenfassung
Das Lipödem ist eine Erkrankung des
Unterhautfettgewebes bei Frauen.
Sie ist keineswegs selten und führt
unbehandelt zu schwerwiegenden
Komplikationen. Die einzig wirksame
Behandlung besteht derzeit in der
Tumeszenz-Liposuktion. Konservative
Maßnahmen können die Rekonvales-
zenz nach Liposuktion beschleuni-
gen.
Literatur beim Verfasser
Anschrift der Verfasser
Prof. Dr. med. habil. Uwe Wollina
Städtisches Krankenhaus
Dresden-Friedrichstadt,
Klinik für Dermatologie und Allergologie,
Friedrichstraße 41, 01067 Dresden
Dipl.-Med. Birgit Heinig,
Städtisches Krankenhaus
Dresden-Friedrichstadt,
Zentrum für Physikalische Therapie und
Rehabilitation,
Friedrichstraße 41, 01067 Dresden
Mitteilungen der Geschäftsstelle
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