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Einführung in die Ethnologie Zentralasiens

Authors:
1
Einführung in die Ethnologie Zentralasiens
Skriptum zusammengestellt von
Marion Linska
Andrea Handl
Gabriele Rasuly-Paleczek
Wien Jänner 2003
2
INHALTSVERZEICHNIS
I. DIE BEGRENZUNG ZENTRALASIENS 6
I.1. Geographische Kriterien 6
I.2. Kulturelle Kriterien 7
II. BEGRIFFSKLÄRUNG 9
II.1. Der Begriff Turkestan 9
II.2. Die Begriffe Zentralasien und Mittelasien 10
II.3. Die Bezeichnung einiger wichtiger Regionen Zentralasiens 11
III. DIE PHYSIOGRAPHISCHEN, KLIMATISCHEN UND NATUR-
RÄUMLICHEN GEGEBENHEITEN ZENTRALASIENS 11
III.1. Das Klima Zentralasiens 12
III.2. Die landschaftlichen Zonen und geographischen Regionen Zentralasiens 13
III.2.1. Die Zonengliederung nach TAAFFE 13
III.2.2. Die Gebirge Zentralasiens 14
III.2.3. Die Oasen Zentralasiens 15
III.2.4. Die Gewässer Zentralasiens 17
III.2.5. Die Landsenken (Depressionen) Zentralasiens 18
III.2.6. Die Steppen- und Wüstenebenen Zentralasiens 18
IV. DIE WIRTSCHAFTLICHE NUTZUNG DER REGION 20
IV.1. Die ackerbaulichen Aktivitäten 24
IV.2. Der zentralasiatische Nomadismus und seine verschiedenen Formen 34
IV.2.1. Vollnomaden 36
IV.2.2. Halb- bzw. Teil- oder Seminomaden 36
IV.2.3. Vollsesshafte 37
IV.2.4. Halbsesshafte 37
IV.2.5. Begriffliche Abgrenzung von Halbsesshaftigkeit und
Halbnomadismus nach GRÖTZBACH 38
IV.2.6. Die verschiedenen Formen des Nomadismus 38
IV.2.6.1. Nach der Art der Wanderung 38
IV.2.6.2. Nach der Art der Behausung 39
IV.2.6.3. Nach der Art der Herdentiere 39
IV.2.7. Die nomadische Wirtschaft und Lebensweise und ihre Bedeutung 39
IV.2.8. Der Viehbestand der Nomaden und die wirtschaftliche Nutzung der Herdentiere 39
IV.2.8.1. Die Herdengröße 40
IV.2.8.1.1. Die Weideareale und ihre Bedeutung 41
IV.2.8.1.2. Verfügbarkeit des Wassers 42
IV.2.8.1.3. Verfügbarkeit von Arbeitskräften 42
IV.2.9. Sonstige Wirtschaftsaktivitäten der Nomaden 42
IV.2.9.1. Tauschbeziehungen mit den Sesshaften 42
IV.2.9.2. Abhängigmachen von Bodenbauern 43
IV.2.9.3. Subsidiärer Bodenbau der Nomaden 43
IV.2.9.4. Andere zusätzliche Einkunftsmöglichkeiten 43
IV.2.9.5. Nebenerwerb der Nomaden 43
IV.2.10. Verhältnis der Nomaden zu den sie umgebenden sozio-politischen Gruppen 43
IV.2.10.1. Das Verhältnis Nomaden und Sesshafte 44
IV.2.10.2. Das Verhältnis Nomaden und Staat 44
IV.2.11. Situation rezenter Nomaden 44
IV.2.12. Die unterschiedlichen Formen des Nomadismus in Zentralasien 45
IV.2.12.1. Der zentralasiatische Nomadismus,
seine Formen und seine Bedeutung: nach KRADER 45
IV.2.13. Zusammenfassung zum Nomadismus 45
IV.2.14. Die Auswirkungen der sowjetischen Kollektivisierungsmaßnahmen
(1929 bis 1933) auf die Nomaden 46
IV.2.15. Die Formen der Viehzucht im sowjetischen Zentralasien 46
IV.3. Die Kommunikationssysteme Zentralasiens 46
IV.3.1. Die Seidenstraße 47
IV.3.2. Die kulturgeschichtliche Bedeutung Zentralasiens 49
IV.3.3. Die Oasenstädte und ihre Bedeutung 50
3
V. ÜBERBLICK ÜBER DIE GESCHICHTE ZENTRALASIENS 50
V.1. Die frühe Zeit 50
V.1.1. Paläolithische (altsteinzeitliche) Funde 51
V.1.2. Mesolithische (mittelsteinzeitliche) Funde 51
V.1.3. Neolithikum und Bronzezeit 51
V.1.3.1. Das Neolithikum und die Bronzezeit im südlichen Turkmenistan 51
V.1.3.2. Neolithische Funde in Tadschikistan 52
V.1.3.3. Neolithikum und die Bronzezeit in den anderen Regionen Zentralasiens 53
V.1.3.4. Zusammenfassung ad. Entwicklung Zentralasiens
im Neolithikum und in der Bronzezeit 53
V.2. Zur Entstehungsgeschichte des zentralasiatischen Reiternomadismus 54
V.2.1. Die Afanas´evo-Kultur 54
V.2.2. Die Okunevo-Kultur 54
V.2.3. Die Andronovo-Kultur 54
V.2.4. Die Karasuk-Kultur 54
V.2.5. Die Tagar-Kultur 54
V.2.6. Zusammenfassung ad. Entwicklung des Reiternomadismus 54
V.3. Die historische Entwicklung Zentralasiens 56
V.3.1. Die Skythen (Saken) 56
V.3.2. Das Achämeniden-Reich 57
V.3.3. Das gräko-baktrische Reich 57
V.3.4. Das Reich der Hsiung-nu 57
V.3.5. Das Kuschan-Reich 58
V.3.6. Das Reich der Sassaniden 58
V.3.7. Die Hephtaliten (die Weißen Hunnen) 58
V.3.8. Das erste Reich der Türken 59
V.3.8.1. Die Entwicklung des westtürkischen Reiches 59
V.3.8.2. Entwicklungen auf dem Gebiet des ehemaligen osttürkischen Reiches 60
V.3.8.2.1. Das Reich der Kök-Türken 60
V.3.8.2.2. Das Uiguren-Reich 60
V.3.8.2.3. Das Reich der Kirgisen 60
V.3.8.2.4. Die Kara-Kitai 60
V.3.8.2.5. Das Reich der Karluken 61
V.3.9. Die weitere Entwicklung im westlichen Teil Zentralasiens –
die Etablierung islamischer Herrschaften 61
V.3.9.1. Das Reich der Samaniden 62
V.3.9.2. Die Ghaznaviden-Dynastie 62
V.3.9.3. Die Karakhaniden-Dynastie 63
V.3.9.4. Die Seldschuken 63
V.3.9.5. Die Herrschaft der Choresm-Schahs 63
V.3.9.6. Die Herrschaft der Mongolen 64
V.3.9.7. Der Ulus Chagatais’ 65
V.3.10. Die Entwicklung im mongolischen Kernbereich und die 65
Nachfolger Dschingis Khan´s im mongolischen Großkhanat 65
V.3.10.1. Das Reich der Goldenen Horde 65
V.3.10.2. Timur Lenk und die Timuriden 66
V.3.10.3. Die Usbeken 66
V.3.10.4. Die Scheibaniden 67
V.3.10.5. Die usbekischen Khanate bis zur russischen Eroberung 68
V.3.10.5.1. Das Khanat/Emirat von Buchara 68
V.3.10.5.2. Das Khanat von Chiwa 69
V.3.10.5.3. Das Khanat von Kokand 69
V.3.11. Die Entwicklung in den übrigen Regionen des westlichen Zentralasiens 70
V.3.11.1. Die Turkmenen 70
V.3.11.2. Die Kazakhen 70
V.3.11.3. Die Kirgisen 71
V.3.11.4. Die russische Eroberung des westlichen Zentralasiens 72
V.3.11.5. Die russische Eroberung der Kazakhen-Steppe 72
V.3.11.6. Die russische Eroberung des südlichen Zentralasiens 73
V.3.11.7. Die sowjetische Machtergreifung in Zentralasien 74
4
V.4. Die historische Entwicklung in Ost-Turkestan 75
V.5. Die historische Entwicklungen in der Mongolei 76
VI. DIE SPRACHEN UND ETHNIEN ZENTRALASIENS 76
VI.1. Vorbemerkungen 76
VI.2. Die Sprachen Zentralasiens 82
VI.2.1. Die Altaischen Sprachen 83
VI.2.1.1. Die Turksprachen 83
VI.2.1.1.1. Die Gliederung der zentralasiatischen Turksprachen nach GOLDEN 83
VI.2.1.1.2. Die Gliederung der Turksprachen nach BENZING 83
VI.2.2. Die mongolischen Sprachen nach GOLDEN 84
VI.2.3. Die Manchu-Tungusischen Sprachen 84
VI.2.2. Die iranischen Sprachen 85
VI.2.3. Die in Zentralasien verwendeten Schriften 86
VI.2.4. Einige Bemerkungen zur ethnischen Identität und Sprache 87
VI.3. Die Ethnien Zentralasiens 88
VI.3.1. Die administrative Gliederung der Siedlungsgebiete der zentralasiatischen Völker 89
VI.3.1.1. In der vormaligen Sowjetunion 89
VI.3.1.2. In der Republik Mongolei 89
VI.3.1.3. In der VR China 89
VI.3.2. Die Bevölkerung des westlichen Zentralasiens und ihre demographische Entwicklung 90
VI.3.3. Die ethno-linguistische Zusammensetzung der Bevölkerung
der vormaligen Republiken sowjetisch-Zentralasiens 90
VI.3.4. Die demographische Entwicklung im vormaligen sowjetischen Teil Zentralasiens 91
VI.4.1. Die zentralasiatischen Turkvölker 91
VI.4.1.1. Die Turkmenen 91
VI.4.1.2. Die Kazakhen 92
VI.4.1.3. Die Karakalpaken 94
VI.4.1.4. Die Kirghisen 95
VI.4.1.5. Die Usbeken 96
VI.4.1.6. Die Uiguren 98
VI.4.1.7. Salar, Dolan und Sera Yogur 99
VI.4.2. Die Turkvölker Sibiriens 99
VI.4.2.1. Altai-Türken/ Oirot 100
VI.4.2.2. Die Khakass 100
VI.4.2.3. Die Shor 100
VI.4.2.4. Die Tuviner 101
VI.4.3. Diverse Turkvölker, die aus anderen Regionen nach Zentralasien kamen 101
VI.4.3.1. Die Meskhete 101
VI.4.3.2. Die verschiedenen Tatarengruppen 101
VI.5. Die Vertreter iranischer Sprachen 101
VI.5.1. Die Tadschiken 101
VI.5.1.1. Die „Bergtadschiken“, Pamiris bzw. Galchahs 103
VI.5.2. Die Yagnobis 103
VI.5.3. Die Chagatai 104
VI.5.4. Die Harduris 104
VI.5.5. Die Perser/ Iranis/ Ironi 104
VI.5.6. Die Baluch 104
VI.5.7. Afghanen/ Paschtunen 105
VI.6. Diverse andere ethnische Gruppen im westlichen Zentralasien 105
VI.6.1. Die zentralasiatischen Araber 105
VI.6.2. Die zentralasiatischen Juden 105
VI.6.3. Die Dunganen 105
VI.6.4. Die zentralasiatischen „Zigeuner“ 106
VI.7.Die mongolischen Völker Zentralasiens 106
VII. DIE RELIGIÖSEN VORSTELLUNGEN DER VÖLKER ZENTRALASIENS 107
VII.1. Der Zoroastrismus 108
VII.2. Der manichäische Glaube 108
VII.3. Die Buddhismus 109
VII.4. Das nestorianische Christentum 109
VII.5. Judentum 109
5
VII.6.Die Religion der frühen Türken und Mongolen 109
VII.6.1. Die Religion der frühen Türken 109
VII.6.2. Die religiösen Vorstellungen der Mongolen 110
VII.6.2.1. Der Schamane, seine Aufgaben und seine gesellschaftliche Bedeutung 111
VII.7. Der Islam in Zentralasien 112
VII.7.1. Die Grundelemente des Islams und die Besonderheiten des Islams in Zentralasien 114
VII.7.2.Die Elemente auf denen der Islam aufbaut 115
VII.7.3. Das islamische Recht 116
VII.7.4.Unterschiedliche Gruppierungen 117
VII.7.4.1. Die Schia 117
VII.7.4.2. Die Imamis oder Ithna Ashari oder „Zwölfer-Schiiten“ 118
VII.7.4.3. Die Ismailis 118
VII.7.5. Der Sufismus 118
VII.7.6. Der Volksislam 119
VII.7.7. Hauptströmungen der islamischen Glaubenspraxis 120
VII.7.7.1. Orthodoxer Islam 120
VII.7.7.2. Sufi-Islam 120
VII.7.7.3. Volksislam 121
VIII. DIE SOZIALSTRUKTUR DER VÖLKER ZENTRALASIENS 121
VIII.1. Die Sozialstruktur 122
VIII.1.1.Die patrilineare extended family 122
VIII.2. Die Heiratsbeziehungen 123
VIII.3. Die Verwandtschaftsterminologie 124
VIII.4. Verwandtschaft und Politik 125
VIII.4.1. Die Anda 127
VIII.4.2. Das Nöker-System 127
VIII.4.3. Verschwägerungen 127
IX. ÜBERSICHT ÜBER DIE ABBILDUNGEN 128
6
I. DIE BEGRENZUNG ZENTRALASIENS:
Was ist Zentralasien? Welche Regionen gehören dazu?
Bislang ist in der wissenschaftlichen und populären Literatur keine Einigkeit über den
Begriff Zentralasien gefunden worden. Vielmehr gibt es eine ganze Reihe
unterschiedlicher Abgrenzungen und eine sehr diffuse terminologische Bezeichnung
der Region. In den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen werden auf der Basis
unterschiedlicher Kriterien sehr unterschiedliche Abgrenzungen vorgenommen (z.B.
geographische und kulturelle Kriterien
).
I.1. Geographische Kriterien:
In sehr allgemeiner Form umfasst der geographische Raum Zentralasien all jene
abflusslosen Steppen, Hochländer und Hochbecken im Inneren des asiatischen
Kontinents, die aufgrund ihrer weiten Entfernung zu den Weltmeeren, durch fehlende
Niederschläge und durch äußerste Trockenheit bestimmt sind.
SAGASTER und SAGASTER
1
charakterisieren den Raum Zentralasien in folgender
Weise: Die Übergänge der Steppen in die sibirischen Waldgebiete der Taiga
begrenzen Zentralasien im Norden, während seine südliche Grenze aus einer Reihe
ununterbrochener Ketten von Gebirgen besteht, die vom Schwarzen Meer bis nach
China reicht. Diese Gebirgskette, bestehend aus dem Kaukasus, dem Elburs, dem
Paropamis, dem Hindukusch, dem Karakorum, dem Altyntagh, dem Nordwestteil des
Kuen-Lun und dem Nanschan, trennt Zentralasien vom Mittleren Osten und von
Südostasien. Die Steppen- und Wüstengebiete Zentralasiens reichen im Osten bis zu
den mandschurischen Wäldern und zur chinesischen Großen Mauer. Die westlichen
Ausläufer der zentralasiatischen Steppengebiete reichen bis in die Tiefebenen von
Rumänien und Ungarn. (vgl. Abb.1)
Das geographische Zentralasien umfasst somit die Steppen-, Oasen- und Berggebiete
folgender Gebiete:
* die chinesischen autonomen Provinzen Sinkiang, Ningsia und der Inneren
Mongolei
* Äußere Mongolei
* die südlichen Grenzgebiete Russlands
* Kirgistan
* Usbekistan
* Kazakhstan
* Turkmenistan
* Tadschikistan
* und laut HAMBLY
2
auch die ukrainischen, walachischen und ungarischen
Ausläufer der eurasischen Steppen.
Hinter folgenden Abgrenzungen standen entweder hydrographische (d.h. der Verlauf
das Flüsse ist wesentlich) oder orographische (d.h. der Verlauf der Gebirgszüge und -
ketten ist essentiell) Kriterien:
Alexander HUMBOLDT (Anfang des 19. Jhdt): Zentralasien ist die Zone zwischen
dem Aralsee und dem Chingan-Gebirge und zwischen dem Altai und dem
Himalaja. HUMBOLDT orientierte sich an orographischen Kriterien, daher
1
) SAGASTER, Klaus und SAGASTER, Ursula: Einleitung. in: Hambly, Gavin (Hrsg.): Zentralasien,
Fischer Weltgeschichte, Band 16, Frankfurt am Main 1966:11
2
HAMBLY, Gavin: Einleitung, in: Hambly, Gavin (Hrsg.): op.cit., S.9 und 11
7
gehörte für ihn das Kuen-Lun Gebirge und das Hochland von Tibet zu
Zentralasien.
Freiherr von RICHTHOFEN und MUSHKETOV stimmten Ende des 19. Jhdt.
HUMBOLDT im wesentlichen zu. Sie exkludierten jedoch die westlichen Teile,
nämlich das Aral- und das Kaspische Becken.
Der russische Geograph V.A. OBRUCHEV, der von hydrographischen Kriterien
ausging, betrachtete kurze Zeit später die Kette des Kuen-Lun-Gebirges und das
Hochland von Tibet nicht als Teil Zentralasiens, da für ihn das System der
eingeschlossenen Becken das Hauptabgrenzungskriterium darstellte.
I.2. Kulturelle Kriterien:
Die auf der Basis kultureller Kriterien vorgenommene Abgrenzung Zentralasiens ist
meist noch diffuser als jene, die auf geographischen Kriterien basiert.
So versteht z.B. die UNESCO unter Zentralasien eine Region, die durch historisch-
kulturelle Gemeinsamkeiten der dort lebenden Völker bestimmt ist. Die Region
Zentralasien umfasst laut UNESCO daher die Gebiete der Mongolei, Sinkiangs, der
mittelasiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion, Ostirans,
Nordafghanistans, Nordpakistans und Nordwestindiens.
Richard N. FREYE
3
fasst den Begriff Zentralasiens noch weiter. Für ihn besteht
Zentralasien aus Asien ohne die vier großen Kulturregionen China, Russland, Indien
und den Nahen Osten.
Bezüglich der kulturellen Abgrenzungskriterien werden vor allem 2 Aspekte immer
wieder in den Vordergrund gestellt:
a) Zentralasien als trennender und gleichzeitig verbindender Raum:
In seiner widersprüchlichen Funktion trennte Zentralasien einerseits die Hochkulturen
an seiner Peripherie voneinander (z.B. die chinesische, indische, etc.), andererseits
schuf es Verbindungswege zwischen den Randkulturen. Trotz verschiedener Versuche
der benachbarten Hochkulturen die zentralasiatischen Gebiete zu annektieren, konnte
Zentralasien bis ins 19. Jhdt. seine kulturelle und politische Eigenständigkeit
bewahren und fungierte als Puffer und Kommunikationsraum zwischen den
verschiedenen Hochkulturen. Als „Herzstück“ der eurasischen Landmasse hatte
Zentralasien die Funktion eines „Transmissionsmediums“ für die Verbreitung diverser
zivilisatorischer Errungenschaften und Kulturtechniken der benachbarten Kulturen
(z.B. zahlreiche Kulturpflanzen: Pfirsiche, Aprikosen, Reis; Errungenschaften wie:
Steigbügel, Krummsäbel, Papier). Diese kamen über Zentralasien auch nach Europa. .
b) Zentralasien als Kulturraum der durch Hirtennomadismus und Oasenkultur geprägt
ist:
Als anderes, häufig verwendetes Kriterium zur Bestimmung ist die primär
vorherrschende Lebensweise zu nennen. Zentralasien wird dabei als ein Kulturraum
definiert, der durch das Vorherrschen zweier Lebensformen – dem Hirtennomadismus
und der Oasenkultur – geprägt ist.
4
3
FREYE, zitiert nach Nalle, David (Ed.): Conference on the Study of Central Asia (10./11.3.1983),
Kenan Institute for Advanced Russian Studies of the Woodrow Wilson International Center for
Scholars, Washington D.C. 1983, S.11
4
siehe z.B. in BACON, Elisabeth: Central Asians under Russian Rule. A Study in Cultural Change.
Ithaca, N.Y. 1966
8
Auf diesen beiden genannten kulturellen Abgrenzungs- bzw. Definitionskriterien
basiert z.B. Denis SINOR´s Definition von Zentral-Eurasien.
5
Laut SINOR
6
ist es
richtiger den Terminus Zentral-Eurasien zu verwenden und nicht den Terminus Inner-
Asien, da der westlichste Teil dieser Region westlich des Urals liegt, in einem Gebiet,
das traditionellerweise zu Europa gezählt wird. SINOR verweist dann darauf, dass ein
Blick auf die Karte Eurasiens zeigt, dass die Zentren seiner Zivilisation an seinen
Rändern liegen. Von Westen nach Osten sind dies: Europa, die semitischen
Zivilisationen, Iran, Indien, Südost-Asien und China. Im Norden entwickelten sich
wegen des Klimas und der Unzugänglichkeit für den Menschen keine wesentlichen
Zivilisationen. Das Land, das von diesen Zivilisationen eingeschlossen ist, ist „Central
Eurasia“.
7
Zentral-Eurasien ist somit jener Teil des eurasischen Kontinents der
jenseits der Grenzen der größten sesshaften Zivilisationen liegt. Obwohl das Gebiet
Zentral-Eurasiens Fluktuationen unterliegt, tendiert es insgesamt zur Schrumpfung.
Mit der territorialen Ausdehnung der sesshaften Zivilisationen, dehnte sich deren
Gebiet aus. Mehr und mehr „Barbaren“ wurden in die sesshaften Zivilisationen
assimiliert.
8
Zentral-Eurasien ist somit eher ein kulturelles Konzept als eine
geographische Einheit. Zentral-Eurasien hat laut SINOR
9
folgende Begrenzungen:
Das westliche Gebiet Zentral-Eurasiens
umfasst das Steppenland des Schwarzen
Meeres. Es erstreckt sich ostwärts vom Dnieper Fluss, den nördlichen kaukasischen
Ebenen oder der Kuban Steppe, dem Waldland über die Wälder des Wolga-Kama
Gebietes und der Bergregion des Urals.
Die südliche Grenze Zentral-Eurasiens
ist der Kaukasus, der Pamir, die Hänge des
Altyn-Tagh Gebirges, das sich südlich des Tarim-Beckens erhebt und der Gelbe Fluss,
bevor er sich nach Süden in die nordchinesische Ebene wendet.
Im Osten dehnt sich Zentral-Eurasien bis an den Pazifischen Ozean aus und umfasst
die gegenwärtige Manchurei.
Die nördliche Grenze ist der Arktische Ozean.
Wie oben ausgeführt wurde, gibt es zahlreiche Abgrenzungsversuche, die auf
unterschiedlichen Kriterien basieren. Als zentralasiatisches Kerngebiet, das allen
Kriterien, sowohl den geographischen, wie den kulturellen, entspricht, kann der Raum
zwischen dem Kaspischen Meer und den Mandurischen Wäldern (von Westen nach
Osten) und von der sibirischen Taiga im Norden bis zum Hindukusch (im Süden)
betrachtet werden.
Politisch gesehen lässt sich Zentralasien laut KRADER (1966:1)
10
in drei Teile
gliedern:
1) der ehemals sowjetische Teil
2) der chinesische Teil
3) der mongolische Teil
5
) SINOR, Denis: Inner Asia. History- Civilization- Languages. A Syllabus. Bloomington, The Hague
1987 (3.Auflage) (Indiana University Uralic and Altaic Series, Vol. 96)
6
SINOR (1987:X)
7
SINOR (1987:2)
8
SINOR (1987:2)
9
SINOR (1987:7f)
10
) KRADER, Lawrence: Peoples of Central Asia. Bloomington, The Hague 1966
9
II. BEGRIFFSKLÄRUNG:
Für die oben beschriebene Region wurden bzw. werden eine ganze Reihe von
verschiedenen Termini herangezogen.
II.1. Der Begriff Turkestan:
11
Als Turkestan wird das Land bezeichnet, das die ehemaligen Sowjetrepubliken
Uzbekistan, Kirgistan, Turkmenistan, Kazakhstan und Tadschikistan, das chinesische
autonome Gebiet Sinkiang sowie die Provinzen Nord-Afghanistans umfasst.
Der Begriff Turkestan hat eine lange Geschichte und wurde auf sehr verschiedene
Gebiete angewandt. Das persische Wort „Turkistan bzw. Turkestan“ bedeutet soviel
wie „Türkenland“.
Schon im 6.Jhdt. n.Chr. drangen die Türken bis an den Oxus (Amu Darja) vor. Unter
den Sassaniden begann das Land der Türken deshalb unmittelbar nördlich des Oxus.
Durch die Siege der Araber wurden die Türken weit nach Norden zurückgedrängt. Für
die Araber begann Turkestan daher nicht nördlich des Oxus, sondern erst nördlich von
dem als „Land jenseits des Flusses“ (Ma wara´al-Nahr) bezeichneten Kulturgebiet.
(vgl. Abb.2)
MARCO POLO verwendete den Begriff in seinen Reiseberichten zur Benennung des
Landes jenseits des Amu Darja bis zum äußersten nördlichen Rand des
Herrschaftsgebiets von Chingiz Khan.
Im 19. Jhdt. fand der Begriff „Turkestan“ Eingang in die wissenschaftliche
Terminologie. Oftmals wurde dabei zwischen Russisch-Turkestan, Chinesisch-
Turkestan und Afghanisch-Turkestan unterschieden. Daneben wurde bzw. wird von
West- bzw. Ost-Turkestan gesprochen. (siehe Ausführungen unten)
1867 gründeten die Russen nach der Eroberung eines Teils Zentralasiens das
Generalgouvernement Turkestan mit Taschkent als Hauptstadt. Die Grenzen dieses
Generalgouvernements wurden mehrfach verändert.
1886 schlug der russische Geograph MUSHKETOV vor den Namen Turkestan auch
im geographischen Sinne zu verwenden. MUSHKETOV plädierte dafür das Gebiet
zwischen den Zentralgebirgen Mittelasiens (siehe unten) und dem Becken des
Kaspischen Meeres sowie der iranischen Hochebene und des Eismeeres als Turkestan
oder Turkestanisches Becken zu bezeichnen. Dieses Gebiet würde sich in etwa mit
den Gebieten decken, die als Russisch- und Afghanisch- Turkestan bezeichnet
wurden. (siehe unten).
Nach der bolschewistischen Revolution in Russland entstand in Zentralasien zunächst
die einige Jahre bestehende „Turkestanische Republik“ mit Taschkent als Hauptstadt.
Die erste sowjetische Republik in dieser Region war die als „Autonome Sowjetische
Sozialistische Republik (ASSR) Turkestan“ bezeichnete Republik.
1924 kam es zur Durchsetzung des Nationalitätenprinzips, das zur Schaffung von
unterschiedlichen jeweils nach einer sogenannten „Titularnation“ (unter
„Titularnation“ wurde die jeweils zahlenmäßig größte Gruppe einer Republik
verstanden) benannten Republiken führte, deren Grenzen und administrative
Gliederung (siehe Ausführungen später) mehrfach verändert wurden. Der Terminus
Turkestan wurde von den sowjetischen Behörden verboten. Das Gebiet wurde nun als
„Srednjaja Azija i Kazakhstan“ (Mittelasien und Kazakhstan, siehe Ausführungen
unten) bezeichnet.
Seit den 50iger Jahren wurde im Westen zunehmend der Begriff „Zentralasiens“
anstelle des Begriffs Turkestan verwendet.
11
) siehe im Detail Stichwort „Turkestan„ in der Enzyklopädie des Islams (deut. Ausgabe) Leiden 1934,
Band IV, S.1048f
10
Die einheimische Bevölkerung Zentralasiens verwendete den Begriff Turkestan, der
eine Fremdbezeichnung darstellt und wie oben ausgeführt wurde, auf die Perser
zurückgeht, zunächst nicht. Selbst die panturkistische Bewegung verwendete den
Terminus nicht. Sie verwendete die Begriffe „Turan“ oder „Türk Yurdu“. Erst in
neuerer Zeit begannen einzelne zentralasiatische Intellektuelle, die im Ausland lebten
und sich gegen die sowjetische Okkupation Zentralasiens wandten (wie z.B. HAYIT),
den Begriff Turkestan zu verwenden.
12
In Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs Turkestans ist darauf
hinzuweisen, dass dieser eine starke ethnische Konnotation aufweist. Zentralasien
wird nicht nur von Turkvölkern, sondern auch von anderen Völkern besiedelt. Die
Region daher als Turkestan zu bezeichnen, impliziert bewusst oder unbewusst, den
Anteil der anderen Ethnien am Aufbau und an der Entwicklung der zentralasiatischen
Zivilisationen zu leugnen.
Russisch-Turkestan: die von Russland im 19. Jhdt. annektierten zentralasiatischen
Gebiete
Chinesisch-Turkestan: die von China beherrschten Regionen
Afghanisch-Turkestan: die ehemals von uzbekischen Fürstentümern kontrollierten
Regionen des heutigen Nord-Afghanistans, die im 19. Jhdt. endgültig in den
afghanischen Zentralstaat eingegliedert wurden.
West-Turkestan: Die Region zwischen dem Kaspischen Meer und dem Tien-Schan-
Gebirge. West-Turkestan umfasst somit die ehemals sowjetischen Gebiete
sowie die nördlichen Provinzen Afghanistans.
Ost-Turkestan: die chinesische autonome Provinz Sinkiang. Ost-Turkestan ist
praktisch identisch mit Chinesisch-Turkestan
II.2. Die Begriffe Zentralasien und Mittelasien:
Eine besondere Unklarheit besteht bezüglich der Termini „Mittelasien“ und
„Zentralasien“. Diese werden entweder synonym verwendet oder dienen dazu
bestimmte Regionen Zentralasiens zu bezeichnen.
Diese terminologische Unterscheidung besteht vor allem im deutschsprachigen Raum.
Hier bezeichnet der Begriff „Mittelasien“ im engeren Sinne die russischen Territorien
und Protektorate der sogenannten „Kirgisensteppe“ des Generalgouvernements
Turkestan (mit den beiden Khanaten) und Transkaspien sowie „Chinesisch Ost-
Turkstan“. Diesem Mittelasien steht der Begriff Zentralasien gegenüber. Zentralasien
umfasst hier Tibet, die Mongolei, die Dzungarei sowie das Gebiet zwischen dem
Altai-Gebirge und dem Baikal-See.
13
Im englischen und französischen Sprachraum gibt es eine derartige Differenzierung
nicht. Üblicherweise wurde und wird hier von Central Asia, Inner Asia (engl.), l´Asie
centrale (franz.), in früherer Zeit auch von High Tartary, Innermost Asia etc.
gesprochen.
Insbesondere in der sowjetischen Literatur wurde aus politischen Gründen diese
Differenzierung in Zentralasien und Mittelasien (Srednjaja Azija) hervorgehoben.
„Srednjaja Azija„ ist die im russischen gebräuchliche Bezeichnung für den ehemals
sowjetischen Teil Zentralasiens. Im sowjetischen Sprachgebrauch bezog sich der
Begriff „Mittelasien“ nur auf die uzbekische, turkmenische, tadschikische und
kirgisische Unionsrepublik. Die kazakhische Unionsrepublik wurde wegen ihrer
schon früh erfolgten Annektion in das zaristische Russland und der damit
12
HAYIT, Baymirza: Turkestan im Herzen Euroasiens. Köln 1980
13
Im wesentlichen folgte die im deutschen Sprachraum übliche Differenzierung in Mittel- und
Zentralasien damit der in der Sowjetunion üblichen Terminologie.
11
einhergehenden andersartigen Weiterentwicklung aus Mittelasien ausgeklammert.
Gegebenenfalls wurde es über die Bezeichnung „Srednjaja Azija i Kazakhstan“ in die
Region inkludiert. Abweichend von dieser politisch-administrativen Definierung
Mittelasiens, sahen einzelne sowjetische Geographen, wie z.B. SUSLOV, Mittelasien
doch etwas differenzierter und inkludierten zumindest den südlichen Teil Kazakhstans
wegen seiner wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ethnischen Ähnlichkeit in ihre
Definierung von Mittelasien. Demnach würde Mittelasien heute die Republiken
Uzbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgistan und den südlichen Teil der
Republik Kazakhstans umfassen.
14
Im Gegensatz dazu umfasst der Begriff
„Zentralasien“ nach sowjetischer Auffassung das ausgedehnte Gebiet der
Wüstenhochländer und der hochgelegenen Bergländer im inneren Asiens, in China
und in der Republik Mongolei (vormals. Mongolische Volksrepublik).
II.3. Die Bezeichnung einiger wichtiger Regionen Zentralasiens: (siehe Abb.2)
Chorassan: Als Chorassan wird das Land, das zwischen der iranischen Dascht-i-Kewir
und dem Amu Darja liegt, bezeichnet. Die Bezeichnung geht auf die Araber
zurück. In NO-Iran gibt es eine Provinz gleichen Namens.
Die wichtigsten Städte Chorassans waren im Mittelalter: Nischapur, Tus
(später Mesched), Merw und Herat. Diese Städte waren Zentren eines
blühenden Handels und einer hochentwickelten Handwerkskultur
(insbesondere auf dem Gebiet der Metallverarbeitung)
Transoxanien bzw. Mawarannahr: Das Gebiet zwischen dem Mittellauf des Oxus
(heute Amu Darja) und des Jaxartes (Syr Darja) wurde von den Griechen als
Transoxanien und von den Arabern als Mawarannahr bzw. Ma wara´al-Nar
„Land jenseits des Flusses“ bezeichnet. Die wichtigsten Städte
Transoxaniens zur Zeit des Islams waren Buchara und Samarkand.
Cisoxanien: bezeichnet das Gebiet unmittelbar südlich des Amu-Darja.
Choresmien: Choresmien liegt am Unterlauf des Amu Darja, genau südlich des Aral-
Sees. Die wichtigste Städte waren im frühen Mittelalter Urgentsch, später
Chiwa.
Schesch:
Als Schesch wurde das Land nördlich von Mawarannahr und jenseits des
Syr-Darja, somit das Land rund um die Stadt Taschkent bezeichnet.
III. DIE PHYSIOGRAPHISCHEN, KLIMATISCHEN UND NATUR-
RÄUMLICHEN GEGEBENHEITEN ZENTRALASIENS:
„Geographisch gesehen ist Zentralasien durch seine weite Entfernung vom Meer und
seinen Einflüssen gekennzeichnet. Seine physikalische Geographie ist deshalb durch
fehlende Niederschläge bestimmt, was gebietsweise zu äußerster Trockenheit führt.
Seine Geschichte aber ist durch die Isolierung von den großen Bewegungen der
maritimen Entdeckungen, der damit zusammenhängenden politischen Expansion und
des Seehandels geprägt.“
15
Zentralasien ist somit durch seinen Binnencharakter und das Fehlen eines Zugangs
zum Meer charakterisiert. Dies wirkt sich nicht nur klimatisch aus (Fehlen von
Niederschlägen, kontinentales Klima), sondern auch in kulturhistorischer Hinsicht
(Zentralasien war und ist wenig erforscht, die innerasiatischen Verkehrswege, z.B. die
14
) Für die Inkludierung des südlichen Kazakstans plädieren auch die Autoren des von Robert A.
LEWIS herausgegebenen Bandes. LEWIS, Robert A. (Ed.):Geographic Perspectives on Soviet Central
Asia. London, New York 1992
15
) SAGASTER und SAGASTER (1966:11)
12
Seidenstraße, repräsentierten die wesentlichsten Kommunikationswege zwischen
verschiedenen Ethnien und Kulturen).
16
Zentralasien weist vom physiographischen Standpunkt aus sehr vielfältige
geographische Formen auf. Sowohl die höchsten Gebirge der Erde (z.B. Pamir-
Gebirge) wie auch einige der bemerkenswertesten Landsenken (z.B. Turfan-
Depression), aber auch einige der größten Wüsten (Taklaman-Wüste) liegen in dieser
Region.
Die klimatischen Faktoren haben in Zentralasien eine herausragende Bedeutung für
die wirtschaftliche Nutzung und die Siedlungsanlage. Auf Grund der hohen Aridität
konnten Siedlungen lediglich dort entstehen, wo die Wasserversorgung gesichert war.
Nur ein geringer Teil Zentralasiens ist für eine sesshafte Siedlungsweise und für
ackerbauliche Aktivitäten geeignet. In weiten Teilen stellt bzw. stellte der
Nomadismus die einzig mögliche Wirtschaftsform dar. Daher wurde der Nomadismus
häufig auch als ein Definitions- und Abgrenzungsmerkmal Zentralasiens verwendet.
(vgl. Ausführungen oben, sowie z.B. SINOR).
17
Als wesentlichste Kriterien für die Charakterisierung Zentralasiens werden von den
meisten Autoren daher folgende Faktoren herangezogen:
* der Binnencharakter Zentralasiens
* die hohe Aridität
* das Vorherrschen von Steppengebieten
* das kontinentale Klima
III.1. Das Klima Zentralasiens:
18
Zentralasien weist ein ausgeprägt kontinentales Klima auf. Einerseits bestehen große
Temperaturunterschiede zwischen dem meist extrem kalten Winter und dem warmem
oder heißen Sommer, andererseits auch große Unterschiede zwischen den Tages- und
Nachttemperaturen. Hinzu kommen oft sehr starke Winde, u.a. die gefürchteten
Sandstürme.
Zwei Faktoren spielen eine große Rolle bei der Gestaltung der klimatischen
Verhältnisse:
a) Die kontinentale Position Zentralasiens: Die vom Atlantik und Pazifik
heranströmenden Luftmassen haben nur wenig Einfluss, zumal das Innere des
eurasischen Kontinents fast 2.000 Meilen von jedem Ozean entfernt ist.
b) Die Anordnung von Gebirgen und Wüsten: Insbesondere die Gebirge wirken oft als
Barrieren. (siehe dazu Abb.1)
Klimabestimmenden sind v.a. die Winde und die mit ihnen zusammenhängenden
Druckverhältnisse. Die vorherrschenden Winde wehen von Westen nach Osten und
bringen wenig Feuchtigkeit vom Atlantik. Die regenbeladenen Monsunregen vom
Indischen Ozean werden durch den Himalaya blockiert und nur ein geringer Teil der
Feuchtigkeit des Pazifiks dringt über China in das Innere Asiens vor. Auch die kalten
16
) TAAFFE, Robert N.: The Geographic Setting; in Sinor, Denis (Ed.) The Cambridge History of
Early Inner Asia. Cambridge usw. 1990:20
17
) SINOR 1987 und SINOR, Denis: Introduction: The Concept of Inner Asia. in Sinor, Denis (Ed.):
The Cambridge History of Early Inner Asia. Cambridge usw. 1990:6
18
vgl. im Detail: SINNOTT, Peter: The Physical Geography of Soviet Central Asia and the Aral Sea
Problem. in: Lewis, Robert A. (Ed.):Geographic Perspectives on Soviet Central Asia. London, New
York 1992:74-101
13
Winde des Arktischen Ozeans tragen wenig zur Feuchtigkeit im Inneren des
eurasischen Kontinents bei.
Aufgrund der genannten Faktoren (vorherrschende Winde und Drucksysteme)
ergeben sich die oben genannten saisonalen Klimaunterschiede, wobei die
Temperaturen in den südlichen Regionen Zentralasiens zu allen Zeiten höher sind als
in den nördlicheren Regionen. Zudem sind die Temperaturwerte im westlichen Teil
Zentralasiens meist etwas höher als im östlichen Teil:
Auch wenn Zentralasien insgesamt durch das kontinentale Klima geprägt ist, darf
dieses jedoch nicht als einheitlich betrachtet werden. Wegen der Vielgestalt des
Landes (weites Flachland, große Seen und hohe Gebirgszüge) gibt es trotz
vorherrschender Kontinentalität erhebliche regionale Unterschiede.
III.2. Die landschaftlichen Zonen und geographischen Regionen Zentralasiens:
(vgl. Abb.1 und Abb.3)
KRADER (1966), der sich in seinen Ausführungen lediglich mit den ehemals zur
Sowjetunion gehörenden zentralasiatischen Republiken befasst, nimmt folgende
Gliederung vor:
19
1) die Steppenzone
2) die Zone der Halbwüsten bzw. Wüstensteppen
3) die Wüstenzone
4) die Bergzone.
Getrennt davon behandelt KRADER die großen Täler und Oasen.
TAAFFE (1990) (vgl. Abb.3), unterscheidet auf der Basis der von SINOR
vorgeschlagenen großräumigen Definition „Zentral-Eurasien“ (siehe Ausführungen
oben), primär vier Zonen, die gleichsam als Ökosysteme zu betrachten sind.
20
1) die Tundra
2) die Tagai- bzw. Waldzonen
3) die Steppenzonen
4) die Wüstenzonen
Gleichzeitig weist TAAFFE, der die Gebirge zu keiner eigenen Zone zusammenfasst,
darauf hin, dass die Gebirge wesentlich zur Vielfalt der Region beitragen und aus
mehreren Gründen in direktem Zusammenhang mit den Oasen zu sehen sind
III.2.1. Die Zonengliederung nach TAAFFE:
21
TAAFFE unterschiedet, wie oben erwähnt, primär vier Zonen, wobei die 1.Zone, die
Tundra, nicht mehr in unsere hier verwendete Abgrenzung Zentralasiens fällt, und die
2. Zone, die Taiga, nur bedingt zum Tragen kommt. Die Taiga, die sich von
Skandinavien bis zum Okhotskschen Meer erstreckt, reicht bis an die Nordgrenze der
Mongolei und in die Manchurei (vgl. Abb.3).
Gemeinsam ist allen vier Zonen, d.h. der Tundra, Taiga, der Steppenzone und der
Wüstenzone, dass die Übergänge von einer Zone in die nächste nicht abrupt erfolgen,
sondern fließende Übergänge bestehen. So geht die Tundra allmählich in die
ausgedehnten Nadelwälder der Taiga über. Die südliche Taigazone wiederum ist
durch Mischwälder geprägt. Die Übergangszone zwischen der Taiga und der Steppe
ist ihrerseits durch eine bewaldete Grassteppe geprägt. Nach Süden nimmt der
Baumbestand ab. Es herrscht nun hohes Steppengras vor. In den trockeneren
19
) KRADER (1966:8-23)
20
) TAAFFE (1990:27-40)
21
) vgl. im Detail TAAFFE (1990:27-40)
14
Steppengebieten, die zur Wüstenzone überleiten, wird das üppige Grasland durch
kurzes relativ spärlich wachsendes Gras ersetzt. Diese Zone wird als Wüstensteppe
bzw. Halbwüste bezeichnet. Sie geht allmählich in den massiven Gürtel der
innerasiatischen Wüsten über. Sogar innerhalb der Wüstenzone kann eine
Unterscheidung zwischen den extrem ariden Wüsten (z.B. die Taklamakan), die oft
keinen oder nur sehr geringe Niederschläge haben, und den etwas feuchteren Wüsten
gemacht werden.
Innerhalb aller vier Zonen kommt neben anderen Faktoren (siehe oben) den
Niederschlägen und der Feuchtigkeit eine große Bedeutung zu. Generell bewirken
jährliche Niederschlagsmengen von 0 bis 150 mm eine Wüstenformation. Bei
jährlichen Niederschlägen von 150 bis 300 mm spricht man von Halbwüsten und
Steppen, 300 bis 500 mm pro Jahr ermöglichen hingegen bereits eine mit
Wacholdern, Ahornbäumen und Pistazien durchsetzte Vegetation.
Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass in allen vier Zonen, insbesondere im
Waldland und in den Steppengebieten, durch die Aktivitäten des Menschen (z.B.
Umpflügen des Graslandes), Modifikationen eingetreten sind.
Vom Relief her kann folgende Gliederung vorgenommen werden kann:
1) Gebirge
2) Hügelland
3) Steppen- und Wüstenebenen
4) Depressionen (d.h. unter dem Meeresspiegel gelegene Gebiete)
III.2.2. Die Gebirge Zentralasiens:
(vgl. Abb.1)
Die zentralasiatischen Gebirgsketten sind laut TAAFFE
22
sinusförmigen in einer
bisweilen unterbrochenen einige tausend Kilometer langen Reihenfolge von
Südwesten nach dem Nordosten hin angeordnet und reichen vom Kaukasus und den
südlichen Rändern, wo sie gleichzeitig die südliche Begrenzung Zentralasiens
darstellen, bis an die Nordost-Spitze Sibiriens. Von dieser Hauptachse weichen
einzelne wichtige Gebirgsketten ab, die weit nach Sinkiang, in die Mongolei und in
die Manchurei hineinreichen.
Die höchsten Erhebungen dieser zentralasiatischen Gebirgsformation liegen im
Pamir-Gebirge (z.B. der Pik Kommunismus mit 7.482 m, der Kongur Tagh mit
7.719 m oder der Muztagh Ata mit 7.546 m). Laut TAAFFE sind viele der
Gebirgszüge des Inneren Asiens in einer Art Bogen außerhalb um den Pamir
angeordnet.
23
Im Westen umfasst als südliche Begrenzung des westlichen Zentralasiens, ein Bogen
von Gebirgszügen die folgenden Gebirge:
* die Kaukasischen Gebirge
* den Elburs südlich des Kaspischen Meeres
* den Nebit Dagh
*den Hindukusch
In südöstlicher Richtung sind hier v. a. die folgenden Gebirgsformationen zu nennen
* das Kunlun-Gebirge
* das Altyn Tagh-Gebirge (beide bilden d. südl. Begrenzung d. Tarim-Beckens)
* das Nan-Schan-Gebirge (markiert die südliche Grenze des Kansu-Korridors)
22
) TAFFEE (1990:24f)
23
) vgl. im Detail z.B. SINNOTT (1992:78-81)
15
In nordöstlicher Richtung verläuft ein Gebirgsband, das u.a. die folgenden Bergketten
einschließt:
* die Transalai-Berge
* das Tien-Schan-Gebirge
* das Alatau-Gebirge
* das Tarbagatai-Gebirge
* das Altai-Gebirge (erstreckt sich bis in die westliche Mongolei). Es wird oft
als die Urheimat der Türken betrachtet, eine These, die heute allerdings
umstritten ist.
Nur wenige der zentralasiatischen Gebirgsketten, die sich insgesamt in einer Länge
von fast 6.500km erstrecken, sind unüberwindlich. Lediglich das Kunlun-Gebirge ist
praktisch unpassierbar. Ansonsten bestehen vielfach Passübergänge und Korridore,
die den Verkehr von einer Region in die andere ermöglichten (siehe Ausführungen
unten). Viele dieser Gebirgsformationen waren bis ins 19.Jahrhundert im Westen
kaum bekannt. Im Zuge des „Great Games„ (des Wettlaufs zwischen Russland und
Großbritanniens um Einflusszonen in Zentralasien) wurde auch mit der Erforschung
dieser Gebirge und den diversen Paßübergängen (z.B. die Reise SHAW´s nach
Sinkiang)
24
begonnen.
Wie bereits ausgeführt wurde, stellt der vom Pamir über den Tien-Schan zum Altai-
Gebirge führende Gebirgsbogen eine Art Trennlinie zwischen dem westlichen und
östlichen Teil Zentralasiens dar. Diese Gebirgsformationen repräsentieren laut
SAGASTER und SAGASTER auch eine Art kultureller Grenze.
25
Der westliche Teil
war und ist, abgesehen von den muslimischen Völkern in Sinkiang und den
chinesischen Dunganen, durch den Islam geprägt, während der östliche Teil zum
Einflussbereich der chinesischen und der tibetisch-buddhistischen Kultur gehörte.
III.2.3. Die Oasen Zentralasiens: (vgl. Abb.4)
Aufgrund der physiographischen und klimatischen Gegebenheiten liegen die
wichtigsten Siedlungszentren und Anbaugebiete Zentralasiens in jenen Gebieten, wo
eine ganzjährige Wasserversorgung gegeben ist, somit also in den Oasen. Mit
wenigen Ausnahmen (wie z.B. die Oase von Chiwa, die am Unterlauf des Amu Darja
gelegen ist) sind die Oasen Zentralasiens vor allem in dem den Bergen vorgelagerte
Hügelland und in den daran angrenzenden Ebenen lokalisiert. Zu den bedeutendsten
Oasen zählen:
im westlichen Zentralasien: * die Oase Chiwa
* die Oase von Samarkand
* die Oase von Buchara
* das Ferghana-Tal
im östlichen Zentralasien: * das Ili-Becken
* sowie die am Rand des Tarim-Beckens lokalisierten
Oasen von Aksu, Kaschgar, Yarkand, Khotan, Turfan-
Oase
In zweifacher Weise sind die Gebirge bedeutsam für das Entstehen der
Oasenkulturen.
26
Zum einen entspringen die für die Wasserversorgung wichtigen
Flüsse und Bäche in diesen Gebirgszonen. Die Gebirge dienen quasi als
24
) SHAW, Robert: Visits to High Tartary, Yarkand und Kashgar. Hongkong usw. 1984 (reprint)
25
) SAGASTER und SAGASTER (1966:14)
26
) TAAFFE (1990:22)
16
Wasserreservoir. Während die den Bergen vorgelagerten Ebenen nur über sehr
wenige, meist im Frühjahr fallende Niederschläge verfügen, weisen die luvseitigen
(d.h. dem Wind ausgesetzten) Hänge der Gebirgsmassive stärkere Niederschläge auf.
Die hohen Gebirgszüge dienen dazu, das Wasser zu sammeln und in Form von Eis
und Schnee zu speichern. In den warmen Monaten wird dieses gespeicherte Wasser
über die Flüsse an das vorgelagerte Hügelland und die Oasen abgegeben. Auf Grund
des Schmelzwassers von Schnee und Gletschern können auch noch weiter
flussabwärts oder in den Flussdeltas Oasen mit Wasser versorgt werden (vgl. z.B.
auch die Oasen am Unterlauf des am Amu Darja hängen von diesen Gebirgswässern
ab). Andererseits entstanden die fruchtbaren Böden der Oasen großteils durch das von
den Gebirgsflüssen mitgeführte Erdreich, das von den Flüssen meist in Form
alluvialer Ebenen abgelagert wurde.
Generell lassen sich laut TAAFFE entsprechend ihrer Lage Wüstenoasen und
Steppenoasen unterscheiden,
27
wobei erstere im geographischen Sinne isoliert und
geschlossen sind, während die Steppenoasen durch leicht durchquerbare Grasländer
miteinander verbunden waren. Sie waren daher, wie die Geschichte Zentralasiens
belegt, auch häufiger als die Wüstenoasen, Opfer nomadischer Eroberungszüge.
Die Oasen Zentralasiens erfüllten vielfältige Funktionen: Sie waren:
Zentren dauerhafter Besiedlung: hier konzentrierte und konzentriert sich die
Bevölkerung Zentralasiens, z.B. Ferghana-Tal, das die größte
Bevölkerungsdichte Zentralasiens hat. Während um 1900 die durchschnittliche
Bevölkerungsdichte im westlichen Teil Zentralasiens bei 2 Einwohnern je km²
lag, lebten in der Oase Taschkent 1.500 Personen je km².
28
Zentren landwirtschaftlicher Nutzung: Je nach den klimatischen Verhältnissen,
insbesondere abhängig von den winterlichen Temperaturen, können zahlreiche,
auch subtropische Pflanzen gedeihen. In den von Nordwinden geschützten
Tälern des Kopet-Dagh, wachsen z.B. Granatäpfel-, Mirabell und
Mandelbäume, aber auch Dattelpalmen. Vielfach sind die Oasen des westlichen
Zentralasiens heute Zentren des besonders seit der russisch-sowjetischen Zeit
forcierten Baumwollanbaues.
Zentren des Handels: Die Oasenstädte, meist an den Routen der großen
innerasiatischen Handelswege gelegen (z.B. Seidenstraße), waren auch Zentren
des Handels. Insbesondere aus den Einnahmen des transasiatischen
Handelsverkehrs konnten diese Städte auch zu blühenden kulturellen Zentren
ausgebaut werden
kulturelle Zentren: Die Oasenstädte waren Zentren der Wissenschaft und der
kulturellen Entwicklung mit oft überregionaler Bedeutung. Insbesondere die
Oasen Buchara und Samarkand galten in der Blütezeit des Islams als solche weit
über Zentralasien hinaus bedeutsame Kulturzentren.
Zentren politischer Macht: Die Oasen waren in der Regel auch der Sitz der politischen
Herrschaft (vgl. die Emirate Buchara, Chiwa, Kokand, etc.) Auch die
vielfältigen nomadischen Eroberer begründeten meist Dynastien mit gewissen
Oasen als deren politischem Machtzentrum
27
) TAAFFE (1990:22f)
28
) KALTER, Johannes: Aus Steppe und Oase. Bilder turkestanischer Kulturen. Stuttgart, London
1983:16
17
Religiöse Zentren: Die Oasen repräsentierten auch, insbesondere im Einflussbereich
des Islams, d.h. im westlichen Zentralasien und in Sinkiang, die religiösen
Zentren, Hier befanden sich die Moscheen, insbesondere die Freitagsmoscheen,
und religiösen Bildungseinrichtungen. Die Oasenbewohner galten als religiös,
während den Nomaden religiöse Laxheit vorgeworfen wurde. (vgl.
Ausführungen unten)
III.2.4. Die Gewässer Zentralasiens:
(vgl. Abb.1, Abb.4)
Den Gewässern, insbesondere den Flüssen, kommt in der ariden Landschaft
Zentralasiens eine herausragende Bedeutung zu. Nur dort wo Wasser vorhanden ist,
entweder Oberflächenwasser (z.B. Flüsse und Seen) oder Grundwasser, kann das
Gebiet auch wirtschaftlich genutzt werden, als Acker- und/oder Weideland.
Insbesondere im Ackerbau kommt der Wasservorsorgung eine entscheidende Rolle zu
(ad. Details siehe Ausführungen unten).
Charakteristisches Merkmal der zentralasiatischen Gewässer ist ihr Fließmuster. Der
Großteil der Flüsse Zentralasiens hat keinen Abfluss ins Meer (z.B. der Amu-Darya,
der Syr-Darya, der Ili-Fluss und der Tarim-Fluss) oder fließt in die kalten nördlichen
Gewässer (z.B. der Ob-Fluss und der Irtish-Fluss). Ca. 4 Mill. km² oder fast die Hälfte
des zentralen eurasischen Kontinents hat lediglich einen Inlandsabfluss.
Die zentralasiatischen Flüsse entstehen in den feuchten Hochländern und Gebirgen
und fließen in die ariden Becken, wo sie in Salzseen versickern oder durch die
Sandwüsten absorbiert werden, wie z.B. der Tarim-Fluss. Die Flüsse im Kernbereich
Zentralasiens liegen in einer Region hoher Aridität und hoher Verdunstung. Oft
trocknen sie aus oder weisen lediglich einen sehr reduzierten Wasserstand auf.
Vielfach veränderten sie auch ihren Lauf, wie z. B. der Amu-Darja, der ursprünglich
ins Kaspische Meer geflossen ist, oder der Tarim-Fluss, der ebenfalls mehrfach seinen
Lauf veränderte.
Im folgenden sollen die wichtigsten Gewässer Zentralasiens kurz genannt werden:
29
Der Amu-Darja: bei den Griechen als Oxus und bei den Arabern als Dscheihun
bezeichnet entspringt der Amu Darya mit mehreren Quellenflüssen (z.B. dem
Pyandzh-Fluß) im Pamir- und Hindukusch-Gebirge und zählt mit einer Länge
von 2.540km zu den längsten Flüssen Zentralasiens.
Der Syr-Darja:
Die Griechen bezeichneten ihn als Jaxartes und die Araber nannten ihn
Saihun. Der Syr-Darja (2.212km) entspringt im ewigen Eis des zentralen
Tienschan-Gebirges und trägt dort den Namen Naryn-Fluss.
Der Tarim-Fluss:
Er entspringt dem Pamir-Massiv und fließt im östlichen Teil des
Tarim-Beckens in den Lobnor-See.
Der Ili-Fluss: er entspringt an den nördlichen Flanken des Tien-Schan-Gebirges in
China und fließt durch die sogenannte Semircheye „das Land der sieben
Flüsse“, einer fruchtbaren und gut bewässerten Region und mündet in den
Balkash-See.
Der Irtysch-Fluss: Er entspringt im Altai-Gebirge mit einem direkten Abfluss ins
Meer.
Der Orhon-Fluss: Er entspringt in den Hangai-Bergen der Mongolei und entwässert
über den Selenga-Fluss in den Baikal-See. Der Orhon ist kulturhistorisch
bedeutsam, da in dieser Region einige der frühesten Dokumente (datiert auf 8.
und 9.Jhdt. n.Chr., möglicherweise sogar älter) türkischer Gruppen gefunden
29
) vgl. SINNOTT (1992:83-94)
18
wurden, die sogenannten Orhon-Inschriften, die in einer Art Runenschrift
Auskunft geben über die politischen Verhältnisse des alttürkischen Reiches
(vgl. im Detail Ausführungen unten)
Das Kaspische Meer: Es ist das größte Binnenmeer der Erde und bildet einen Teil der
westlichen Begrenzung Zentralasiens.
Der Aralsee: Der heute 66.458km² große salzhaltige Aral-See war einmal das
zweitgrößte Binnengewässer der ehemaligen Sowjetunion und das viergrößte
Binnenmeer der Welt. Gegenwärtig schreitet die Austrocknung des Aralsees
ständig voran. Sie ist vor allem auf die geringeren Zuflussmengen von Amu
Darja und Syr Darja, deren Wasser in großem Umfang zur Irrigation und zur
Wasserversorgung der ständig steigenden Bevölkerung herangezogen wird,
zurückzuführen.
III.2.5. Die Landsenken (Depressionen) Zentralasiens:
Einzelne Gebiete Zentralasiens liegen unter dem Meeresspiegel. Zu diesen zählt z.B.
die Senke von Karagija auf der Halbinsel Mangyschlak (am östlichen Ufer des
Kaspischen Meer), die 132 m unter dem Meeresspiegel liegt, oder die Turfan-
Depression mit 154 m unter dem Meeresspiegel.
III.2.6. Die Steppen- und Wüstenebenen Zentralasiens: (vgl. Abb.1 und Abb.4)
Die Steppen und Wüstenebenen stellen die wohl charakteristischste Landschaft
Zentralasiens dar.
Die Steppenebenen Zentralasiens:
30
Die zentralasiatischen Steppenebenen schließen im Norden unmittelbar an die
Waldgebiete an. Sie erstrecken sich über einige tausend Kilometer von der
ungarischen Tiefebene im Westen bis zur Mandchurei im Osten aus (vgl. Abb.1 und
Abb.4). Es gibt zwar große Unterschiede in der Grasbedeckung und es lassen sich laut
TAAFFE entsprechend der vorherrschenden Vegetation verschiedene Steppenzonen
unterschieden, aber insgesamt sind die Ähnlichkeiten dieser Steppenebenen doch sehr
stark.
Innerhalb der Steppenzone lassen sich laut TAAFFE drei Steppenformen bzw. - zonen
unterscheiden:
* die Waldsteppe
* die Graslandsteppe
* die Wüstensteppe
Die Waldsteppe: Sie erstreckt sich in einem schmalen Band von der nördlichen
Ukraine bis ins nördliche Kazakhstan, sowie an die südliche Grenze der
westsibirischen Ebene und die Mongolei, wo es zu einer Vermischung von Grasland
und Laubwald kommt, z.B. an den Altai-Bergen. Die Landschaft besteht in dieser
Zone aus Wiesensteppen oder gemischten krautartigen Steppen mit Federgras und
schütter stehenden Laubbäumen, wobei im westlichen Teil Eichen und im östlichen
Teil Birken und Pappeln vorherrschen. Die Böden des größten Teils dieser
Waldsteppe sind fruchtbare Schwarzerdeböden. Das Klima ist im Winter kalt und
trocken und im Sommer mäßig warm.
30
) TAAFFE (1990:24 und 33-37)
19
Die Graslandsteppe: Sie umfasst einen breiten Gürtel von Grasland, der vom Gebiet
nördlich des Schwarzen Meeres bis zu den Ebenen der Manchurei reicht.
Es gibt vom Typ und von der Qualität her unterschiedliches Grasland, aber insgesamt
bietet dieses eine ausgezeichnete Futterbasis für das Vieh der Nomaden. Auf den
feuchten Schwarzerdeböden der Region wächst Federgras und andere Grasarten.
Insgesamt bestehen aufgrund der Abfolge unterschiedlicher Grasarten von Mai bis in
den Herbst hinein sehr vielfältige Weidemöglichkeiten. Das Klima der Graslandzone
ist kontinental und semi-arid. Der europäische Teil des Graslandes ist insgesamt
wärmer als die östlichen Grasländer, wobei die Steppen der Mongolei wegen ihrer
Beckenlage und der Bergbegrenzung und den im Winter wirkenden klimatischen
Verhältnissen die kälteste Steppenregion darstellen. Die Niederschlagsmenge ist in
der Steppenzone mit 254 mm bis 508 mm pro Jahr relativ gering, wobei die Steppe
insgesamt gegen Süden zu trockener wird. In dieser Steppenzone gibt es eine ganze
Reihe von Oasen, sogenannten Steppenoasen, die ihr Wasser von den von den Bergen
herabströmenden Flüssen erhalten (vgl. Ausführungen oben).
In einzelnen Gebieten, wie z.B. in der Graslandzone der Mongolei, ist der
Grundwasserspiegel sehr nahe an der Oberfläche und wurde seit Jahrhunderten als
Trinkwasserquelle für Mensch und Vieh angezapft.
Insgesamt weist die Steppenzone ein relativ sanftes Relief auf, was u.a. die Bewegung
im Grasland erleichterte. Auch die in der Steppe befindlichen Gebirgszüge, mittlerer
Höhe sind leicht zugänglich.
Die Wüstensteppen: Gegen Süden hin wird das Grasland zunehmend trockener. Die
Steppenprärien gehen nun in Kurzgraswiesen über. Die Zone markiert den natürlichen
Übergang zwischen Steppe und Wüste. Diese Wüstensteppenzone bzw.
Halbwüstenzone beginnt nördlich des Kaspischen Meeres und erstreckt sich in einem
breiten Band bis zu den Ebenen von Sinkiang, Kansu und die südlichen und
nordwestlichen Regionen der Mongolei. Die vorherrschende Vegetation dieser
Wüstensteppenzone besteht aus Federgras und Salbei. Das Klima ist kontinental, aber
die Sommer sind wärmer als in den nördlichen Steppenregionen (24°C bis 28°C). Die
Winter sind hier weniger streng und kalt. Die jährliche Niederschlagsmenge liegt bei
ca. 150 bis 250 mm. Damit befindet sich diese Halbwüstenzone in der ariden Zone.
In dieser ariden Zone liegt der Kansu-Korridor. Er war eine der wichtigsten
Verkehrsverbindungen in dieser ariden Region (vgl. Ausführungen unten).
In allen drei genannten Steppengebieten gibt es eine artenreiche Fauna. Bedeutsam
sind hier jedoch insbesondere die vom Menschen domestizierten Tiere, vor allem die
Steppenpferde und die baktrischen Kamele (Trampeltiere bzw. zweihöckrige
Kamele). Das Weiden von Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen stellt hier eine an
die natürlichen Gegebenheiten optimale Anpassung dar.
Die Wüstenebenen Zentralasiens:
31
Eine gewaltige Wüstenzone erstreckt sich über den größten Teil des südlichen
Zentralasiens vom Kaspischen Meer im Westen bis zu den östlichen Rändern der
Wüste Gobi und der Ordos-Wüste in der Mongolei. (vgl. Abb.1 und Abb.4). Dieser
Wüstengürtel stellt in vielfacher Hinsicht laut TAAFFE eine Fortsetzung der Wüsten
des Nahen Ostens und der Sahara dar
31
) TAAFFE (1990:25 und 37-40)
20
Die zentralasiatischen Wüstengebiete sind nicht einheitlich. Es gibt Sand-, Stein-,
Salz- und Lehmwüsten. TAAFFE gliedert diese Wüstenzone in zwei Bereiche:
* die westliche Wüstenzone
* die östliche Wüstenzone
Die westliche Wüstenzone:
32
Der westliche Teil der zentralasiatischen Wüstenzone liegt im sogenannten
„Turanischen Tiefland“ (vgl. Abb.1, Abb.4) Die Region ist durch ein kontinentales
Klima und sehr wenig Niederschläge (zwischen 90 und 200 mm). Zudem ist die
Verdunstung sehr hoch. Die Böden sind meist salzig und alkalisch. Daneben gibt es
aber auch gute Wüstenböden, die durch Irrigation fruchtbar gemacht werden können
und die Entstehung von Oasen, sogenannten Wüstenoasen, ermöglichten (vgl .z.B. die
Oasen Buchara, Samarkand).
Die west-zentralasiatische Wüstenzone umfasst u.a. die folgenden Wüsten:
Das Ust-Urt-Plateau (bzw. Ust-Yurt-Plateau): Dieses liegt zwischen dem Kaspischen
Meer und dem Aral-See und ist eine der unwirtlichsten Gegenden
Zentralasiens.
Die Kara-Kum-Wüste:
Die Kara-Kum (türk. schwarzer Sand) hat eine Fläche von
rund 350.000 km² und liegt zwischen den Kopet-Dagh-Bergen und dem Amu-
Darja.
Die Kyzyl-Kum:
(türk. Roter Sand) Sie trennt den Unterlauf des Amu-Darja vom
Unterlauf des Syr-Darja und erstreckt sich vom Aralsee bis zu den Hügeln des
Tien-Schan. Auch die Kyzyl-Kum ist eine Sandwüste.
Die Betpak-Dala: Neben Betpak-Dala sind auch die Bezeichnungen (auch als
„Hungersteppe“, „Golodnaya Steppe“ bezeichnet) (und abgeleitet vom
uzbekischen „Mirza Chyl“) für diese große Halbwüste üblich. Die Betpak-
Dala liegt unmittelbar unterhalb des Ferghana-Beckens zwischen dem Syr-
Darya und dem Dzhizak-Fluss.
Die ost-zentralasiatische Wüstenzone umfasst u.a. die folgenden Wüsten:
Die Taklamakan-Wüste
Die Dzungarische Wüste
Die Wüste Gobi
Ala-Schan-Wüste
Die Ordos-Wüste
Auch in den östlichen Wüstenregionen Zentralasiens liegen einige bedeutende Oasen,
wie z.B. die am Nordrand und Südrand der Taklaman-Wüste lokalisierten Oasen von
Kaschgar, Turfan, Yarkand, Khotan, Aksu.
IV. DIE WIRTSCHAFTLICHE NUTZUNG DER REGION:
Die klimatischen Faktoren haben in Zentralasien, wie oben ausgeführt wurde, eine
herausragende Bedeutung für die wirtschaftliche Nutzung und die Siedlungsanlage.
Aufgrund der skizzierten hohen Aridität konnten Siedlungen lediglich dort entstehen,
wo die Wasserversorgung gesichert war. Nur ein geringer Teil Zentralasiens ist aus
den oben geschilderten Gründen für eine sesshafte Siedlungsweise und für
ackerbauliche Aktivitäten geeignet. In weiten Teilen stellt bzw. stellte der
Nomadismus die einzig mögliche Wirtschaftsform dar. Daher wurde der Nomadismus
32
) Vgl. auch SINNOTT (1992:81-82)
21
häufig auch als Definitions- und Abgrenzungsmerkmal Zentralasiens herangezogen
bzw. Zentralasien als Kulturraum definiert, der durch das Vorherrschen zweier
Lebens- und Wirtschaftsformen geprägt war: dem Hirtennomadismus und den
Oasenkulturen.
Den Zusammenhang zwischen Klima und Wirtschaftsweise haben insbesondere
SAGASTER und SAGASTER zu veranschaulichen versucht, die Zentralasien in zwei
Klimazonen gliedern:
33
* die nördliche Zone
* die südliche Zone
Die imaginäre Linie zwischen den beiden Klimazonen liegt entlang des Laufs des Syr
Darja und der Ketten des Tien-Schan-Gebirges.
Die nördliche Klimazone:
Sie ist teilweise sehr trocken, hat aber genügend Feuchtigkeit um eine
Steppengrasvegetation zu ermöglichen. Diese Klimazone bietet ausgezeichnete
Möglichkeiten für eine nomadische Viehwirtschaft. Bis zur russischen Kolonisation
im 19. Jahrhundert war der Hirtennomadismus die vorherrschende
Beschäftigungsform der hier lebenden türkischen Stämme.
Die südliche Klimazone:
Diese Zone weist noch weniger Niederschlag auf. Hier dominieren Wüsten und
Halbwüsten. Dank der Anwendung hydraulischer Kenntnisse haben sich in den Oasen
schon sehr früh sesshafte Bauern niedergelassen. Diese Oasen waren sehr stark von
iranischen und islamischen Einfluss geprägt. Für die Hirtennomaden besaß diese
südliche Zone u.a. wegen der wenig ertragreichen Weideflächen nur eine begrenzte
Anziehungskraft. Man beschränkte sich hier meist auf die Plünderung von Oasen
(z.B. besetzten vielfach Nomaden aus den Gegenden nördlich des Tien-Schan die
Oasen des Tarim-Beckens ohne dass sie sich dort selbst in größerer Zahl
niederließen).
Bezüglich der wirtschaftlichen Nutzung Zentralasiens
lassen sich generell drei
Formen
unterscheiden (Details siehe unten):
* bewässerter Pflanzenbau
* Regenfeldbau („Bogara“-Kulturen)
* Hirtennomadismus
Als Sonderform ist noch die Lebensweise in den Deltagebieten des westlichen
Zentralasiens, z.B. am Aralsee und am Kaspischen Meer, zu nennen. Die dort
lebenden Bevölkerungsgruppen spezialisierten sich als Nebenbeschäftigung zu den
sonstigen Aktivitäten auch auf die Nutzung des Meeres bzw. des Sees, primär
Fischfang und Schifffahrt. Die Leute entwickelten in Zusammenhang mit ihrer
besonderen Wirtschaftsweise auch einen ganz eigene Lebensstil.
34
Diese genannten Nutzungsarten können nun wiederum auf verschiedene Art und
Weise erfolgen (Details siehe unten):
* Vollsesshaftigkeit
* Teilsesshaftigkeit
* Vollnomadismus
* Teilnomadismus
33
) SAGASTER und SAGASTER (1966:12)
34
) BACON (1968, 2.Auflage:12)
22
Bezüglich dieser vier Formen gibt es sehr verschiedene Abstufungen und bisweilen
fließende Übergänge. Die einzelnen Formen, insbesondere die verschiedenen
Spielarten des Teilnomadismus und der Teilsesshaftigkeit, stellen dabei jeweils die
optimale Anpassung an ökologische Nischen dar.
Bis zur Implementierung der großen Bewässerungsprojekte und sonstigen agrarischen
Entwicklungsmaßnahmen des 20.Jhdt., lebte die Bevölkerung Zentralasiens mehr oder
minder in Einklang mit der Natur. Entsprechend den natürlichen Gegebenheiten
wurde in der Steppe Viehhaltung und im Waldland Jagd und einfacher Ackerbau
betrieben. Lediglich in den Wüstengebieten gab es seit alters her großangelegte
Versuche der Menschen die Umwelt zu verändern und sie so nutzbarer zu machen,
z.B. durch die Entwicklung der bewässerten Landwirtschaft. Erst in neuerer Zeit, seit
rund 200 Jahren, wurden einzelne Regionen systematisch ausgebeutet, z.B.
Umpflügen des Steppengraslandes in der Kazakhensteppe, durch die dort seit dem
18. Jahrhundert angesiedelten Slawen. Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg wurde mit
großangelegten Irrigationsprogrammen begonnen die Wüstensteppe ackerbaulich
nutzbar zu machen. So wurden große Bewässerungssysteme in der Betpak-Dala
errichtet um dort Baumwolle und Gemüse anzubauen.
Durch die ideologisch stark beeinflussten Umgestaltungsmaßnahmen, wie Expansion
des Ackerbaues, Sesshaftmachung der Nomaden, etc, kam es nicht nur zu
Änderungen der „traditionellen“ autochthonen Wirtschaftsformen, sondern auch zu
Änderungen im gesellschaftlichen und politischen Gefüge der Region (vgl.
Ausführungen unten). So galt z.B. der Hirtennomadismus in den Augen der
sowjetischen KP-Führung als rückständige Entwicklungsstufe. Ausgehend vom
sowjetischen Stadienkonzept menschlicher Entwicklung wurde die Lebensform der
zentralasiatischen Nomaden, insbesondere was die bei ihnen herrschenden
Produktionsverhältnisse betraf, als feudalistisch und somit als nicht mehr zeitgemäß
eingestuft. Die Nomaden sollten nun sesshaft gemacht werden (Details siehe unten).
Insgesamt waren aufgrund der inadäquaten Wasserversorgung, der klimatisch
bedingten kurzen Anbauzeiten und des Terrains, die Möglichkeiten für den sesshaften
Ackerbau, sowohl für den bewässerten Pflanzenbau wie auch den Regenfeldbau,
beschränkt. Dies galt insbesondere für die Wüsten- und Steppengebieten
Zentralasiens. Erschwert wurde der Pflanzenbau durch Winderosion und Sandstürme
sowie den hohen Salzgehalt des Bodens. Der größte Teil des Areals konnte daher nur
durch verschiedene Formen des Nomadismus genutzt werden, wobei die Nomaden
aufgrund der klimatischen Verhältnisse sehr große Weideflächen benötigten.
KALTER (1983)
35
nennt für das westliche Zentralasien (Gebiet der ehemals
sowjetischen Republiken) folgende Flächennutzung, wobei er darauf hinweist, das
diese lediglich auf Schätzungen aus der Zeit um 1900 basiert. Nur ca. 2,3 % der
Fläche waren bewässertes Land. Rund weitere 2,3 % waren Regenfeldbauland,
sogenannte „Bogara“-Kulturen. Sie waren nur möglich in einem relativ schmalen,
kühleren und feuchteren Streifen der Vorhügelzone. Bei diesen „Bogara“-Kulturen
handelte es sich primär um extensiven Anbau von Sommergetreide, dessen Erträge
von Jahr zu Jahr beträchtlich schwankten. Rund 95 % des Landes konnten, wenn
überhaupt, nur von nomadisierenden Viehzüchtern genutzt werden.
35
) KALTER (1983:18)
23
Aufgrund dieser Landnutzungsmöglichkeiten war Zentralasien sehr dünn besiedelt.
Lediglich die Oasen wiesen eine dichte Besiedlung auf. Der Hirtennomadismus
benötigte große Weideareale, sodass die Bevölkerungsdichte hier sehr niedrig war.
Oasenkulturen und Hirtennomadismus stellen nicht nur eine Wirtschaftsweise dar,
sondern sind gleichzeitig als Lebensweise zu betrachten, die Zentralasien geprägt
haben. Daher wurden sie auch als Kriterien zur Begrenzung Zentralasiens und als
Definitionsmerkmal herangezogen (siehe Ausführungen oben)
Oasenkulturen und Nomadismus:
Aufgrund der klimatischen und physiographischen Bedingungen, insbesondere wegen
der Wasserknappheit, entfalteten sich in Zentralasien zwei hochspezialisierte
Wirtschafts- und Lebensweisen, die in einem engen Wechselverhältnis zueinander,
sowohl im wirtschaftlichen wie auch im politischen Sinn, standen.
Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass Zentralasien trotz der großen Aridität und der
schwierigen Lebensbedingungen seit prähistorischer Zeit einen „Korridor„ darstellte
in dem sich Ideen und Völker von Osten nach Westen und von Norden nach Süden
bewegten.
36
Schon seit dem 4. Jahrtausend v.Chr. haben sich dörfliche Siedlungen im südlichen
Hügelland Zentralasiens ausgebildet. Mit der Verbesserung der Irrigationsmöglich-
keiten entstanden im westlichen Zentralasien auch am Unterlauf der Flüsse Dörfer. Es
bildete sich eine Kette von Oasenstädten inmitten von Gärten und Getreidefeldern in
den südlichen Regionen Zentralasiens heraus, und zwar vom Delta des Amu Darja bis
zur heutigen chinesischen Grenze.
Im 2. Jahrtausend v.Chr. kam es zur Öffnung von Karawanenrouten, die China mit
Indien und mit dem Westen verbanden.
Nördlich dieses Oasengürtels lagen ausgedehnte Grassteppen, die sich besser für die
Viehwirtschaft eigneten. Um 1000 v.Chr. entwickelte sich in diesem Steppenland ein
spezieller „way of life“, der Hirtennomadismus (engl. pastoral nomadism, vgl.
Ausführungen später). Die Stadtbewohner im Süden hatten Tiere domestiziert, z.B.
Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde und Kamele. Diese Tiere spielten und spielen im
Leben der Nomaden eine herausragende Rolle, insbesondere das Pferd, das den
Nomaden eine große Mobilität verschaffte. Man geht heute davon aus, dass die
Sesshaften nicht unbedingt auf die Produkte der Nomaden (Vieh, Fleisch, Milch und
andere Milchprodukte, Wolle und Felle) angewiesen waren, sondern vielmehr die
Nomaden von den Zerealien der Sesshaften abhängig waren. Insgesamt entwickelte
sich ein reger Tauschhandel zwischen den nomadisierenden und den sesshaften
Gruppen. Neben dem Handel stellte die politische Eroberung oder die Androhung von
Gewalt und Zerstörung ein von den Nomaden genutztes Mittel dar um an die von
ihnen benötigten Güter zu kommen (z.B. Zerealien, handwerkliche Produkte). Bei den
Nomaden gab es immer wieder Prozesse der Sesshaftwerdung, z.B. wenn ein
schwacher Nomadenstamm von einem stärkeren vertrieben wurde oder seine Tiere
durch eine Seuche etc. verlor, nahm er oft Zuflucht an der Grenze der Oasengebiete.
Dort arbeiteten die Nomaden als Lohnarbeiter in der Hoffnung zur
vollnomadisierenden Lebensweise zurückkehren zu können, sobald sie genügend
verdient hatten um sich neue Viehherden anschaffen zu können.
Diese Grenze zwischen der Steppe und dem Staat (gemeint sind damit die von den
Sesshaften geschaffenen zentralstaatlich organisierten politischen Einheiten) bewegte
sich laut BACON ständig hin und her. Manchmal wuchsen die Städte in die Steppe
36
) BACON (1968:1)
24
hinaus. Zu anderen Zeiten kamen die Nomaden in die Oasen und zerstörten die Städte,
Bewässerungsanlagen etc. Trotz gewisser Fluktuationen bestanden die sesshafte und
die nomadische Kultur rund 3.000 Jahre nebeneinander und beeinflusste sich
gegenseitig. Nomadismus und Oasenkulturen blieben mehr oder minder in der
gleichen Form bzw. Grundstruktur bestehen, während sich die Zusammensetzung der
verschiedenen in der Region lebenden Völker vielfach veränderte. Viele verschiedene
Völker strömten nach Zentralasien. (vgl. Ausführungen unten), manche blieben einige
Zeit und zogen dann weiter, andere vermischten sich mit der lokalen Bevölkerung. So
siedelten z.B. die Skythen und Sakaer in Zentralasien. Insbesondere durch die
Wanderungen der turko-mongolischen Gruppen kam es immer wieder zu deutlichen
Bevölkerungsverschiebungen. Insgesamt erfolgte während der letzten 2.000 Jahre
eine ständige Infiltration tribaler, nomadisierenden Gruppen in die Oasen. Die
Nomaden stellten jahrhundertelang eine große Gefahr für die sesshafte Bevölkerung
dar. Vielfach fanden aber auch Sesshaftwerdungsprozessen bestimmter Gruppen statt,
oftmals nur kleiner Stammeseinheiten, bisweilen auch großer Gruppen, wie z.B. der
Uzbeken, die zum überwiegenden Teil seit dem 16. Jahrhundert, als sie zu politischen
Führern im westlichen Teil Zentralasiens aufstiegen, zur Sesshaftigkeit übergingen.
Die Hirtennomaden besiedelten die Grasländer und Halbwüsten, primär im nördlichen
Teil Zentralasiens. Im Süden befaßten sich die Stadt- und Dorfbewohner mit
Landwirtschaft, Handel und Handwerk. Insbesondere der Handel verband die
Oasenbewohner, die darüber hinaus durch den Überlandhandel mit den Kulturen des
südlichen und des östlichen Asiens verbunden waren, und die Nomaden. Während die
tribal organisierten Nomaden in die kulturelle Sphäre der Oasen hineingezogen
wurden, wurden die Oasenbewohner wiederum über ihre Handelsbeziehungen von
den Ideen und Techniken benachbarter Zivilisationen beeinflusst.
37
IV.1. Die ackerbaulichen Aktivitäten:
Die Geschichte des Ackerbaus in Zentralasien:
Die Landwirtschaft reicht nach archäologischen Untersuchungen im südlichen
Turkmenistan in Zentralasien bis ins 5. bis 4. Jahrtausend vor Chr. zurück. Der frühe
Ackerbau war sehr einfach. Er erfolgte in den Deltas und Überflutungsebenen mittels
Hackbau. Die Siedlungen waren kurzlebig und unstabil.
38
Mit der Einführung neuer Agrartechniken, die in der Frühzeit erfolgte, wurde die
Agrartechnologie auf einem Level stabilisiert, der bis ins 20. Jahrhundert aufrecht
blieb. Mehr oder minder werden die selben Pflanzen angebaut wie damals. Zu den
Getreidesorten gehörten Weizen, Gerste, Hirse und Reis: Daneben wurde auch
Baumwolle angebaut. Das Ferghana-Tal und die benachbarten Bergtäler zählen zu
den ältesten Frucht- und Nussbaum-Anbaugebieten der Welt. Mais wurde im 19.
Jahrhundert eingeführt.
39
Im folgenden werden zunächst die traditionellen Formen des Ackerbaues dargestellt.
Im Anschluss daran wird auf die in der russischen und sowjetischen Periode erfolgten
Veränderungen eingegangen.
Die ackerbaulichen Aktivitäten der autochthonen Bevölkerung Zentralasiens weisen
zwei grundlegende Varianten auf, die Bewässerungslandwirtschaft in den Oasen und
den Trockenfeldbau, die sogenannten Bogara-Kulturen.
37
) vgl. BACON (1968:7)
38
) vgl. KRADER (1966:24f)
39
) KRADER (1966:25)
25
Die Bewässerungslandwirtschaft:
Sie erfolgte praktisch ausschließlich in den Oasen. Erst mit dem Ausbau der
Irrigationssysteme in sowjetischer Zeit wurden auch die Steppengebiete bewässert
(vgl. Ausführungen unten).
Wie oben bereits ausgeführt wurde, liegen die Oasen Zentralasiens meist in den
Vorgebirgen und Hügeln der großen Gebirgsmassive sowie in den alluvialen Ebenen
der großen Flüsse, durch deren Wasser sie irrigiert werden können (vgl. Abb.4)
Entscheidend für das Entstehung und die Entwicklung der Oasen war die ganzjährige
Verfügbarkeit von Wasser und damit auch die Möglichkeit Bewässerungsanlagen zur
Irrigation der Kulturen zu errichten. Die frühesten Spuren von Bewässerungsanlagen
reichen z.B. im Gebiet von Chorezm (d.h. dem Unterlauf von Amu Darja und Syr
Darja) bis in die Bronzezeit (Anfang des 1.Jahrtausends v.Chr.) zurück.
Die Bedeutung des Wassers und die verschiedenen Formen der Irrigation:
Wasser besitzt sowohl bei den Sesshaften wie bei den Nomaden einen sehr hohen
Stellenwert. Bei den Wasserressourcen handelt es sich vor allem um
Oberflächengewässer
, die von den Bergen gebildet werden und in die Ebenen
Zentralasiens hinabfließen (z.B. Amu Darja, Syr Darja, Tarim- und Ili-Fluss). Die
wichtigste Wasserquelle für die Flüsse sind dabei die Schmelzwässer von Schnee und
Gletschern. Die zentralasiatischen Flüsse führen daher alljährlich ungefähr die
gleichen Wassermengen mit sich. In den Frühlings- und Frühsommermonaten weisen
die Flüsse ein doppeltes Fließmaximum auf. Im Frühjahr schwellen die Flüsse als
Folge der in dieser Zeit fallenden Hauptregenfälle und der Schneeschmelze in den
niedriger gelegenen Bergzonen erstmals an. Ein zweites Fließmaximum erfolgt im
Sommer, wenn die Gletscher und Schneefelder in den höheren Gebirgslagen
schmelzen. Die beiden Fließmaxima liegen meist unmittelbar beieinander. Diese
beiden Fließmaxima sind äußerst günstig, da damit der in der Vegetationsperiode
stark ansteigende Wasserbedarf der Irrigationssysteme gedeckt werden kann.
Neben dem Oberflächenwasser kommt auch dem Grundwasser
, das regional sehr nahe
an der Oberfläche liegt, eine große Bedeutung zu, insbesondere in der Mongolei.
Flüsse sind jedoch die größten Lieferanten von Trink-, Brauch- und Irrigationswasser.
Die Bedeutung der Wassers und der verschiedenen Wasserressourcen wird u.a. in der
lokalen Terminologie deutlich. Die Völker Zentralasiens unterscheiden zwei Arten
von Wasser:
40
* oqsu oder aqsu
* qarasu oder qorasu
oqsu oder aqsu: „weißes Wasser“: Dabei handelt es sich um Wasser, das aus Flüssen
stammt, die aus dem Schmelzwasser von Schnee oder Gletschern gespeist
werden. Dieses ist vor allem für die sesshafte Bevölkerung der Oasen wichtig.
qarasu oder qorsasu: „schwarzes Wasser“: mit diesem Terminus wird das
Grundwasser bezeichnet. Es ist die wichtigste Wasserquelle der
nomadisierenden Bevölkerung in den Steppen und Wüsten.
Bezüglich der Bewässerungsarten in den Oasengebieten
lassen sich laut KALTER
drei Formen unterscheiden:
41
* Kanalbau
40
) BACON (1968:11)
41
) KALTER (1983:16)
26
* Karez- bzw. Qanat-System (vgl. Abb.5)
* Schöpfradbewässerung
Der Kanalbau: Am häufigsten erfolgte diese Art. Der Hauptkanal führt in einem
spitzen Winkel von Flüssen, meist den Nebenflüssen, weg. Von diesen
Hauptkanälen gehen in ähnlichen Abständen in rechtem Winkel Seitenkanäle
ab, von denen wiederum im rechtem Winkel die Bewässerungskanäle abgeleitet
sind. Bei dieser Bewässerungsform gibt es große Sickerverluste.
Karez- bzw. Qanat-System:
Diese Bewässerungsmethode wurde in frühgeschicht-
licher Zeit im Iran (um ca. Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. unter den
Archämeniden) entwickelt. An Stellen an denen man Grundwasser vermutet,
wird ein Tiefbrunnen ausgehoben. Von diesem Brunnen aus werden oft über
viele Kilometer mit leichtem Gefälle Stollen in die Ebene getrieben, bis zu den
Oasengebieten, in die das Wasser geführt werden soll. Das Wasser kann in
diesen Stollen mit minimalem Gefälle oft kilometerweit, bisweilen 40km,
unterirdisch bis zu den Feldern und Gärten geleitet werden.
Der Bau dieser Stollen ist nur möglich durch die Anlage senkrechter Schächte,
die in Abständen von 20 bis 40m zu den Stollen hinabführen. In diesen
Schächten wird der Aushub hinaufgezogen, Sie werden aber auch bei
Reinigungsarbeiten wegen der Verstopfung des Kanals als Einstiegsschächte
und zur Entlüftung gebraucht. Die unterirdische Kanalführung schützt vor
Verdunstung.
Diese Bewässerungsform war ursprünglich einmal viel weiter verbreitet Sie
findet sich aber nach wie vor in Teilen des heutigen Irans, den ehemals
sowjetischen Republiken im Süden, in Teilen Afghanistans sowie im Gebiet des
Tarim-Beckens.
Schöpfräder als Wasserhebewerke:
Diese Schöpfräder wurden an den Flüssen
entweder direkt mit Wasserkraft betrieben oder mit Ochsen angetrieben (Göpel).
Vom Fluss wurde das Wasser mittels der Schöpfräder auf die höher gelegenen
Felder gehoben, wo es mittels eines Kanalnetzes verteilt wurde.
Vor allem die beiden ersten Methoden, Kanalbau und Karez- bzw. Qanat-System,
setzen zur Anlage und Instandhaltung der Bewässerungssysteme den koordinierten
und langdauernden Einsatz größerer Gruppen von Menschen voraus und haben damit
bei der Entstehung größerer, straff organisierten Gemeinwesen eine entscheidende
Rolle gespielt. Die Bewässerungsanlagen bedingen nicht nur die alljährliche
Erneuerung und Instandhaltung der Kanäle, Staumauern oder Stollen, die in der Regel
eine Kooperation innerhalb des Dorfes und zwischen den Dörfern notwendig machen,
sondern auch ein ausgefeiltes Wassermanagement. Das Bewässerungswasser wird
jeweils nach einem festgelegten System an die Feldanrainer eines Kanalabschnitts
abgegeben. Daraus entwickelte sich eine eigene Wassermanagement-Institution, der
Mirab und seine Helfer. Werden die Bewässerungsanlagen nicht permanent instand
gehalten, so erfolgt eine Verödung des Agrarlandes und ein drastischer Rückgang der
irrigierten Flächen setzt ein. Zahlreiche der sesshaften Kulturen sollen sich von den
Nomadeneinfällen (z.B. Chingiz- Khan´s oder Timur-Lenks), die auch zu einer
Zerstörung der Bewässerungsanlagen und einem deutlichen Bevölkerungsrückgang
führten, sodass die erforderlichen Wiederaufbau- und Instandhaltungsarbeiten an den
Irrigationssystemen nicht mehr durchgeführt werden konnten, nicht mehr erholt
haben.
Die oben skizzierten Notwendigkeiten, kollektive Instandhaltungs- und
Errichtungsarbeiten sowie Schaffung von Institutionen zur Regelung des
Wasserverbrauches, wurden und werden auch als entscheidende Faktoren für das
27
Entstehen zentralisierter politischer Herrschaft angesehen. (vgl. z.B. DIAKONOV´s
Arbeiten über den Zusammenhang zwischen hydraulischen Gesellschaften und dem
Entstehen früher zentralstaatlicher Systeme im Nahen Osten oder WITTVOGEL´s
Konzeption der Asiatischen Despotie sowie die insbesondere in den 60iger Jahren u.a.
von marxistisch orientieren Ethnologen geführte sogenannte „APW-Diskussion“ (d.h.
die Debatte um die Asiatische Produktionsweise, vgl. z.B. SOFRI)
42
Die landwirtschaftliche Produktion der Oasen:
Seit der sowjetischen Planwirtschaft, sind im westlichen Teil Zentralasiens, die
Oasengebiete großteils zu Baumwollmonokulturzonen verkommen und weisen eine
Reihe von ökologischen Problemen auf (vgl. Ausführungen unten). Die agrarische
Produktion der Oasen war davor sehr vielfältig. Der Wert des Bodens wurde vor
allem nach der Verfügbarkeit von Wasser bemessen. Die Gärten und Felder waren,
u.a. zum Schutz vor den Sandstürmen bis um die Jahrhundertwende von Lehmmauern
umgeben. Gearbeitet wurde meist mit einfacher Technologie. Als Zug- und
Arbeitstiere dienten in erster Linie Ochsen, daneben auch Esel, Maultiere, Pferde und
Kamele. Die agrarische Produktion umfasste vor allem die folgenden Bereiche (die
Ausführungen beziehen sich primär auf den westlichen Teil Zentralasiens):
43
Die Ackerkulturen, meist auf irrigierten Feldern, dienten sowohl der menschlichen
Ernährung wie auch der Erzeugung von Futtermitteln für den Viehbestand. Angebaut
wurden vor allem die folgenden Pflanzen: Weizen, Reis, Gerste, Sorghum
(maisähnliche Körner als Brotfrucht der armen Leute, Pferde- und Hühnerfutter),
Hirse, Luzerne (Futterpflanze), Obst (Feigen, Quitten, Granatäpfel, Walnüsse,
Mandeln, Pistazien, Maulbeeren – [die Blätter der Maulbeerbäume dienten zur Zucht
der Seidenraupen], Pfirsiche, Aprikosen, Melonen, Rhabarber), Gemüse (Karotten,
Zwiebel, Gurken), Weinbau, Ölpflanzen (Sesam, Lein, Hanf, Sonnenblumen)
Einen bedeutenden Raum nahm auch die Zucht von Seidenraupen in den Oasen ein.
Zusammen mit der Baumwollerzeugung waren damit die Voraussetzungen für die
Entfaltung eines blühenden Textilgewerbes gegeben, dessen Produkte (Seidenikats
und –brokate) bis ins 19. Jhdt. auch überregionale Bedeutung hatten.
Der Anbau von Baumwolle hatte eine jahrhunderte alte Tradition in der Region.
Ursprünglich war die Baumwolle aus Indien eingeführt worden. Schon vor der
russischen Eroberung war die Baumwolle eine
bedeutsamer Exportartikel der Region.
1880 führten die russischen Eroberer die längerfasrigen amerikanischen
Baumwollsorten ein und begannen in den von ihren kontrollierten Regionen mit einer
intensiven Baumwollproduktion. Die Anbauflächen für Baumwolle wurden seither
erheblich ausgeweitet. Große Teile Zentralasiens (insbesondere in Turkmenistan und
Uzbekistan wurden in der Sowjetzeit in Baumwollmonokulturgebiete umgewandet.
Uzbekistan z.B. erzeugte ca. 2/3 der sowjetischen Baumwolle. Viele der nach 1920
durchgeführten Bewässerungsprojekte dienten ausschließlich der Expansion der
Baumwollfelder. Der Baumwollanbau in Zentralasien ermöglichte u.a. in den letzten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auch den Aufschwung der russischen
Textilmanufakturen. Die billigen russischen Baumwollstoffe wiederum verdrängten
zunehmend die Erzeugnisse des traditionellen zentralasiatischen Textilgewerbes, das
sich nun auf die Herstellung einfach gemusterter Ikatstoffe beschränkte.
42
WITTVOGEL Karl A.: Die Orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht.
Frankfurt/Main 1977; SOFRI, G.: Über asiatische Produktionsweise. Frankfurt am Main 1972
43
) KALTER (1983:16f)
28
Wie in allen Regionen Zentralasiens so war auch im westlichen Zentralasien Holz
eine Mangelware. Zu Nutzzwecken, insbesondere als Bauholz, wurden daher, vor
allem an den Bewässerungskanälen, die rasch wachsenden Pappeln angepflanzt.
Insgesamt waren die zentralasiatischen Oasen was ihre Pflanzenproduktion
angelangte für sich selbst lebensfähige Einheiten. Lediglich in bezug auf die
Versorgung mit tierischen Produkten waren sie auf den Austausch mit den
umgebenden nomadisierenden Gruppen angewiesen. Diese Abhängigkeit der
Oasenbewohner von den Erzeugnissen der Nomaden wurde in früheren
wissenschaftlichen Arbeiten jedoch deutlich überschätzt.
Die Viehzucht spielte in den Oasen schon aufgrund der fehlenden Weideflächen eine
untergeordnete Rolle.
Zur Deckung des Bedarfs mit Häuten, Leder, Wolle und des ohnehin geringen
Fleischbedarfes, wobei Schaffleisch bevorzugt wurde, bediente man sich des
Tauschhandels mit den Nomaden. In großem Stil wurden in den Oasen nur Hühner
gezüchtet. Rinder wurden als Arbeitstiere gehalten. Ihr Fleisch wurde jedoch nicht
geschätzt. Esel, seltener Maulesel und Maultiere, wurden als Lasttiere, sowie als
Reittiere der armen Bevölkerung und der Frauen, gehalten. Den Pferden kam
hingegen, ähnlich wie bei den Nomaden, eine große Rolle zu. Sie galten als
Statussymbole und wurden daher in großer Zahl gehalten. Insgesamt hatten die
tierischen Produkte nur einen geringen Stellenwert in der Ernährung der
Oasenbewohner. Der Viehdung hingegen diente als Düngung für die Felder und
wurde in Ermangelung anderer Feuerungsquellen in Form von getrockneten
Dungfladen auch als Brennmaterial herangezogen.
Zusammenfassend lässt sich die Bedeutung der Oasen daher mit KALTER
folgendermaßen umreißen: „Jede dieser ausgedehnten, wie Inseln isolierten Oasen
bildete eine in sich geschlossene nahezu autonome Einheit mit Ausnahme des
Tauschhandels mit Nomaden der Umgebung und des von einigen Großkaufleuten,
meist ebenfalls mit Hilfe von Nomaden betriebenen Fernhandels. Deshalb haben sich
in den einzelnen Oasen auch Kulturen von recht eigenständiger Prägung entwickelt.
Deshalb auch ist Turkestan, abgesehen von recht kurzen Epochen unter der eisernen
Faust großer Eroberer, wie Dschingis-Khans, Timurs oder den ersten uzbekischen
Schaibaniden-Khanen, nie eine politische und kulturelle Einheit gewesen.“
44
Der Regenfeld- bzw. Trockenfeldbau (Bogara-Kulturen)
Entlang der Gebirgshänge vom Kopet-Dagh im Westen bis nach Osten wird seit
langer Zeit eine Art Trockenfeldbau- (Regenfeldbau-) Landwirtschaft betrieben, die
„Bogara“ genannt wird. Dafür sind jährliche Niederschlagsmengen von mindestens
300 mm erforderlich. Angebaut wird vor allem Getreide. Wegen der sehr
wechselhaften Niederschläge ist der Trockenfeldbau sehr instabil und weist große
Schwankungen in den Erträgen auf. Zudem gibt es große Erosionsprobleme, die
ebenfalls ertragsmindernd wirken.
45
Großteils kommt der Regenfeldbau nur subsidiär
vor, denn man kann sich nirgends darauf verlassen, dass es tatsächlich ausreichend
regnet. Auch einzelne Nomadengruppen betreiben einen bescheidenen Ackerbau,
supplementär zu ihren Herden. In früheren Jahrhunderten war der Ackerbau Aufgabe
der Frauen und der Armen. Ganze Gruppen von Nomaden nahmen den Ackerbau an.
Diese Leute werden “Chomur“ genannt, besonders unter den Turkmenen.
46
44
) KALTER (1983:17)
45
) KRADER (1966:18f und 25)
46
) KRADER (1966:26)
29
Wegen des Erosionsproblems wird der Boden mit einfachen Ritzpflügen
(=Konturpflügen, der Pflüger folgt den Konturen des Reliefs), die nur einen sehr
geringen Tiefgang (max. 10 cm) haben und somit den Boden nur leicht auflockern,
damit das Saatgut eingebracht werden kann. Diese Form der Bodenbearbeitung wird
seit langer Zeit praktiziert und stellt eine optimale Anpassung an die natürlichen
Gegebenheiten dar. Bei genügend Niederschlag können auch bei den „Bogara-
Kulturen“ sehr gute Ergebnis, die über dem Weltdurchschnitt liegen, erzielt werden.
In Zusammenhang mit der Neulandgewinnung in Kazakhstan unter Chruschtschow
wurde nicht auf die autochthone Agrartechnologie zurückgegriffen, sondern moderne
Wendepflüge mit bis zu 6 Pflugscharen eingesetzt und dort wo es Wasser gab, die
Irrigation ausgebaut. Im ersten Jahr gab es hervorragende Ernten, im zweiten normale,
im 3. Jahr begann das im Boden enthaltene Salz auszublühen, im vierten Jahr konnte
der Boden nicht mehr bestellt werden.
Die Veränderungen in der zentralasiatischen Landwirtschaft in der sowjetischen Ära
am Beispiel des westlichen Zentralasiens:
47
Insbesondere nach der bolschewistischen Machtergreifung in Zentralasien, v.a. nach
1950, kam es zu großangelegten Umgestaltungsmaßnahmen, in deren Zentrum der
Ausbau des Bewässerungslandes stand.
Im Rahmen der sowjetischen Entwicklungsplanung kam Zentralasien primär die Rolle
eines Versorgers von subtropischen Pflanzen zu. In den 1980iger Jahren lieferte
Zentralasien und das südliche Kazakhstan: 91 % der sowjetischen Baumwolle, 47 %
des Reises, 35 % des Obstes, der Trauben, des Gemüses und der Melonen
48
Um dieser Funktion eines Primärgüterlieferanten gerecht zu werden, wurde eine
Reihe von Maßnahmen zur Intensivierung der Nutzung der agrarischen Ressourcen
gesetzt. Im Vordergrund stand dabei die Expansion der Bewässerungssysteme.
Schon in den 1930iger Jahren wurden verschiedene Irrigationsanlagen errichtet, wie
z.B. der 270 km lange „Große Ferghana-Kanal“. Andere bedeutende Kanalsysteme
sind der „Große Turkmen Kanal“ sowie der „Kara-Kum-Kanal“ (er hatte 1962 bereits
eine Länge von 800 km).
49
Der Ausbau der Bewässerungssysteme führte zu einer
deutlichen Expansion des bewässerten Feldbaues, vor allem der Baumwollkulturen.
So stieg z.B. das bewässerte Gebiet im Aral-See-Becken von rund 2 Mill. ha (1913)
auf 5,1 Mill. ha (1960) an.
50
Der Kara-Kum-Kanal z.B. liefert nun Wasser für ca. 60
% des gesamten bestellten Landes in der Republik Turkmenistan.
Die Produktivität des neugewonnen Bewässerungslandes blieb gering bzw. ist sogar
zurückging.
51
Insgesamt ist die Expansion des Irrigationslandes seit den 1970iger und
1980iger zunehmend langsamer erfolgt.
52
47
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Republik Uzbekistan, Turkmenistan,
Tadschikistan und das südliche Kazakhstan. Beim Studium Zentralasiens sollten laut CRAUMER auch
die südlichen Oblaste Kazakhstans inkludiert werden. Kazakhstan wird von den Sowjets zwar nicht als
Teil Zentralasiens klassifiziert, aber die Bewässerungslandwirtschaft der Oasen im südlichen
Kazakhstan und die umfassende Weidewirtschaft auf den Wüsten- und Gebirgsweiden lässt diese
Region sehr ähnlich der in den übrigen vier zentralasiatischen Republiken erscheinen. Im nördlichen
Kazakhstan herrscht hingegen eine Trockenfeldbauweise vor. CRAUMER, Peter R.: Agricultural
Change, Labor Supply, and Rural Out-Migration in Soviet Central Asia. in: Lewis, Robert A. (Ed.):
Geographic Perspectives on Soviet Central Asia. London und New York 1992:133. Ad. Details zur
zentralasiatischen Landwirtschaft in der sowjetischen Periode vgl. CRAUMER (1992: S.133 ff)
48
) CRAUMER (1992:132)
49
) KRADER (1966:30f), FRANZ, H.G. (Hrsg.): Die Seidenstraße. Graz 1986:20; Informationen zu
den verschiedenen Bewässerungskanälen vgl. KRADER (1966:25f) und CRAUMER (1992:141f)
50
SINNOTT (1992:84)
51
) SINNOTT (1992:84)
30
Für den Rückgang der Expansion des Irrigationslandes können mehrere Faktoren
verantwortlich gemacht werden:
53
* die hohen Kapitalkosten
* zunehmender Mangel an für die Irrigation geeignetem Land.
* zunehmender Wassermangel
Einer der Hauptgründe für die geringe rezente Expansion des Irrigationslandes ist der
Wassermangel. Die Expansion des Bewässerungslandes und die seit dem frühen
20.Jhdt. stark angestiegene Bevölkerung bewirkten eine Übernutzung und
Verringerung der Quantität und Qualität des Wassers, vor allem in den am Unterlauf
der Flüsse gelegenen Gebieten (vgl. dazu u.a. die Ausführungen zum „Aral-See-
Problem, siehe unten).
54
Um den Wassermangel zu beheben gab es schon unter Breschnew Pläne zur
Umleitung der sibirischen Flüsse nach Zentralasien um dadurch die Übernutzung des
Amu Darja und des Sry Darja auszugleichen. Unter anderem wurden die
Flussumleitungspläne „Northern Rivers Project„ und „Siberian River Diversion
Project„ entworfen.
55
Verschiedene Kritiker waren gegen diese Pläne, die sie als
unreif und negativ für das Ökosystem betrachteten (z.B. für das Flussbecken des Ob
und die arktische Wasserversorgung). 1986 wurde der Plan schließlich in einer
gemeinsamen Resolution des Zentralkomitees der KPdSU und des Ministerrates der
UdSSR fallen gelassen.
Die Auswirkungen des forcierten Ausbaues der Irrigation:
Die Erweiterung des Agrarlandes durch Irrigationsanlagen verursachte eine Reihe von
Problemen wie:
56
Rückgang der Bedeutung des Trockenfeldbaulandes
Rückgang des Getreideanbaus
Expansion der Baumwollmonokulturen
Expansion der Baumwollmonokulturen:
Am stärken wurde die zentralasiatische Landwirtschaft durch die im irrigierten
Ackerbau betriebene Baumwollproduktion verändert. Schon in der vor-sowjetischen
Zeit gehörten die Baumwolle und die aus der lokalen Baumwolle erzeugten Textilien
zu den wichtigsten Exportprodukten der Region. In der Sowjetära wurde Zentralasien
zu einem der weltgrößten Produzenten von Rohbaumwolle. Waren 1950 rund 26 %
der gesamten Anbaufläche sowjetisch-Zentralasiens der Baumwollproduktion
gewidmet, so stieg der Umfang dieser Fläche 1988 auf 40,4 % der Gesamtfläche an.
Praktisch der gesamte Baumwollanbau erfolgt hier in Bewässerungswirtschaft. Die
Baumwolle beanspruchte 1987 ca. 47 % des gesamten bestellten Bewässerungslandes.
In einzelnen Regionen war der Anteil der Baumwollproduktion in den 1980iger
Jahren sogar noch höher: in Turkmenistan hatte die Baumwolle einen Anteil von 56
%, in Uzbekistan von 60 %, in manchen Bezirken Uzbekistans war dieser Anteil sogar
noch höher, z.B. 64-72 % im Fergana-Tal, 70 % im Buchara-Oblast; in einzelnen
52
) CRAUMER (1992:135 und S.136, Tab.6.1.))
53
) CRAUMER (1992:135f)
54
) CRAUMER (1992:136f)
55
) SINNOTT (1992:84ff)
56
) vgl. im Detail CRAUMER (1992) und SINNOTT (1992)
31
Distrikten des Fergana-Tales lag der Anteil der Baumwollflächen sogar bei 85-90 %
des Bewässerungslandes.
57
Das rasche Wachstum der Baumwollproduktion erfolgte in Zentralasien durch die
Expansion der Irrigationsflächen für Baumwolle und nicht durch höhere Erträge.
58
Die diversen mit der Baumwollmonokultur zusammenhängenden Probleme:
Der extensive Anbau von Baumwolle bestimmt zu einem großen Teil den
ökonomischen wie kognitiven Bereich der zentralasiatischen Bevölkerung und hat zu
vielfältigen Problemen geführt, auf die im folgenden kurz verwiesen werden soll.
1) Umweltprobleme
* Verschlechterung der Boden- und Wasserqualität (Rückgang der Humusschicht,
mangelnder Fruchtwechsel, ungenügende Anwendung von organischen
Düngemitteln, Versalzung der Flüsse, Rückfluss von salzigem Drainagewasser aus
der Irrigation in den Fluss, Bodenversalzung). Am deutlichsten sind die
Umweltprobleme bislang im Gebiet des Aral-Sees sichtbar. (vgl. dazu die
Ausführungen unten zum sogenannten „Aral-See-Problem“).
2) Politische Probleme
3) Gesundheitliche Probleme
4) Soziale Probleme
ad.1) Umweltprobleme:
Zu den markantesten Umweltproblemen gehört die Verschlechterung der Boden- und
Wasserqualität.
59
Insbesondere die zunehmende Versalzung der Böden (großteils
verursacht durch unsachgemäße Irrigation) stellt ein großes Problem für die rezente
Agrarwirtschaft (v.a. in Turkmenistan) dar.
60
Insgesamt sind laut CRAUMER die
Auswirkungen der Versalzung regional sehr verschieden. Dies führt u.a. auch zu
großen regionalen Unterschieden in den Felderträgen. So bewirkt z.B. eine geringe
Bodenversalzung laut Schätzungen einen Ernterückgang der Baumwolle von 20 %.
Dort, wo eine hohe Bodenversalzung gegeben ist, kann es sogar zu einem 50 %
Ernterückgang kommen. In Uzbekistan gehen z.B. jährlich wegen der
Bodenversalzung ca. 0,5 Mill. Tonnen oder 9 % des Produktionsvolumens verloren.
In Tadschikistan beträgt der Verlust ca. 45.000 Tonen.
61
Neben dem hohen Salzanteil ist das Wasser auch durch andere Stoffe, z.B. Pestizide,
Herbizide etc., Die deutliche Verschlechterung der Wasserqualität wiederum führte
zum einem Anstieg einer Vielzahl von Krankheiten, wie Typhus, Hepatitis,
Erkrankungen des Verdauungstraktes und hohe Kindersterblichkeit. Dies gilt
insbesondere für die Gebiete am Unterlauf des Amu Darja und des Syr Darja.
Zwischen 1980 und 1989 stieg die Kindersterblichkeitsrate in Karakalpakien um 20 %
an. Im benachbarten Tashauz Oblast stieg die Kindersterblichkeitsrate zwischen 1980
und 1986 sogar um 43 % an.
62
57
) CRAUMER (1992:143f)
58
) CRAUMER (1992:145)
59
) CRAUMER (1992:145)
60
CRAUMER (1992:140, Tab.6.3.)
61
) CRAUMER (1992:140)
62
) CRAUMER (1992:141)
32
Das Aralsee-Problem:
Am Beispiel des Aralsees wird deutlich, dass die unbegrenzte Expansion von
Monokulturen in prekären Ökosystemen zum Zusammenbruch derselben führt.
Der Aralsee war einmal das zweitgrößte Binnengewässer der Sowjetunion und der
viergrößte Binnensee der Welt. Um 1903 existierte im Gebiet des Amu-Darja-Deltas
noch eine durch Schilfgürtel geprägte Landschaft, die mit kleinen Seen und Sümpfen
durchsetzt war und eine Fläche von 300.000 ha umfasste. Zudem gab es ein
ausgedehntes Waldgebiet von rund 760.000 ha (heute nur mehr 100.000 ha). Mit der
zunehmenden Nutzung des Fluss- und Grundwassers kam es zu einem Sinken des
Wasserspiegels (sowohl des Aralsees wie auch des Grundwassers), und die Region
begann auszutrocknen. Das Delta verwandelte sich infolge des höheren Salzgehaltes
in dicke Salzsümpfe, die Schilf- und Baumvegetation wurde abgelöst durch
Tamarisken und andere salzresistente Pflanzen. Das ursprünglich hier vorhandene
Weideareal, in dem früher 6 bis 16 Zentnern Gras und Heu pro ha erzeugt wurden,
liefert nun nur mehr 0,5 bis 3 Zentner je ha. Die Eingriffe des Menschen,
insbesondere die exzessive Irrigation, haben in der Region des Aralsees zu drastischen
Veränderungen des Ökosystems geführt. Gegenwärtig schreitet die Verkleinerung des
Aralsees, in welchen der Amu Darja und der Syr Darja münden, stetig voran. Das
Volumen und die Oberfläche des salzigen Aralsees haben sich seit 1961 fast
halbiert.
63
Das Ufer des Aralsees hat sich an manchen Stellen bis über 120 km
zurückgezogen. Ende 1989 kam es zu einer Teilung des Sees in eine nördliche und
eine südliche Hälfte. Auch die Tiefe des Sees ist stark zurückgegangen. Heute ist der
Aralsee nur mehr 39 m tief. Seit 1961 ist der Wasserstand um 13 m abgesunken,
wobei der jährliche Rückgang bei fast 90 cm liegt. Die Austrocknung des Aralsees ist
vor allem auf die geringeren Zuflussmengen von Amu-Darja und Syr-Darja
zurückzuführen, deren Wasser in großem Umfang zur Irrigation und zur
Wasserversorgung der ständig steigenden Bevölkerung herangezogen wird. Bis 1960
betrug der Zufluss in den Aralsee noch 56 km³. Seit 1978 hat der Zufluss aus dem Syr
Darya mehr oder minder aufgehört. Jener aus dem Amu Darya ging auf 1 bis 5 km
3
zurück.
64
Gleichzeitig ist auch die Wasserqualität der beiden Flüsse, vor allem im Unterlauf,
sowie im Aralsee selbst drastisch gesunken. Infolge der in der Landwirtschaft
verwendeten Pestizide und sonstigen Chemikalien (z.B. chemische Entlaubungsmittel
um den Einsatz von Erntemaschinen bei der Baumwollernte zu ermöglichen), aber
auch der mangelnden Drainage der Felder, die zum Austreten der Bodensalze führt,
sind die Gewässer stark verschmutzt und weisen einen deutlich höheren Salz- und
Nitratgehalt auf als in früheren Zeiten. Insgesamt ist der Mineralgehalt des Aralsees
erheblich angestiegen, was u.a. fast zur Ausrottung der Fischbestände geführt hat, die
eine wesentliche Lebensgrundlage der Anwohner des Aralsees dargestellt hatten. Das
inzwischen ausgetrocknete Gebiet des Aralsees weist eine ungeheure Winderosion
auf, die loses Salz durch das Aralseebecken bläst und die Fruchtbarkeit eines großen
Teils des westlichen Zentralasiens gefährdet. Die häufigen Salz- und Sandstürme
transportieren nun jährlich rund 75 Mill. Tonen Salz und Staub und richten oft noch
1000 km entfernt schwere Schäden an den agrarischen Kulturen an.
Die Austrocknung des Aralsees wirkt sich jedoch nicht nur verheerend für die
Landwirtschaft der Region aus, sondern führt auch zu vielfältigen unmittelbaren
Problemen der lokalen Bevölkerung, deren Gesundheitszustand sich dramatisch
verschlechtert hat. So stiegen z.B. die durch verschmutztes Wasser verursachten
63
) vgl. im Detail SINNOTT (1992:85-94)
64
SINNOTT (1992:87, Tab.4.1.)
33
Krankheiten sowie die Kinder- und Säuglingssterblichkeit stark an. Gleichzeitig kam
es auch zu einem deutlichen Rückgang der Agrarproduktion, der zu beträchtlichen
Einnahmensverlusten in der Region führte.
Nur langsam änderte sich die politische Einstellung und eine Umweltbewegung
wandelte sich zu einer politischen Partei, die für eine eigenständige, ökologisch
vertretbare Politik in der Region eintrat. Mitte der 80iger Jahre wurde der Schaden für
den Aralsee und die angrenzenden Gebiete einschließlich des Syr-Darja-Deltas auf 1,5
bis 2 Mrd. Rubel pro Jahr veranschlagt.
Zur Rettung des Aralsees wurde im Sommer 1986 schließlich das „Committee for
Saving the Aral“ unter der Führung des Schriftstellers Pirmat Shermukhamedov durch
die „Uzbekistan Writers´ Union„ gegründet. Durch literarische und politische
Aktivitäten sollte auf das ökologische Desaster des Aralsee hingewiesen und die
Öffentlichkeit zur Rettung des Aralsees mobilisiert werden.
Gleichzeitig mit diesen Aktivitäten wurde auch die von der Sowjetführung betriebene
Expansion der Baumwollmonokultur, die einen Großteil der Wassermengen des Syr-
Darja und das Amu-Darja beanspruchte, kritisch betrachtet und auch die enge
Verflechtung der Region, insbesondere der lokalen kommunistischen Kader, mit
Moskau kritisiert. Zunehmend begann sich diese Umweltbewegung zu einer
politischen Partei zu wandeln, die für eine eigenständige, ökologisch vertretbare
Politik in der Region plädierte. Von besonderer Bedeutung war in diesem
Zusammenhang u.a. das im Sommer 1988 in Aral´sk (Kazakhstan) organisierte
sogenannte „Aralsee-Treffen“ an welchem Schriftsteller, Wissenschaftler, Vertreter
der KP und der Regierung teilnahmen, und das einer interessierten Öffentlichkeit
erstmals ein breites Diskussionsforum ermöglichte. Aufgeschreckt durch die
Aktivitäten der Umweltbewegung begannen nun auch die lokalen KP-Funktionäre zu
reagieren. 1988 wurde eine Resolution des Zentralkomitees der KPdSU und des
Ministerrates der UdSSR angenommen, die konkrete Maßnahmen zur Rettung des
Aralsees vorsah. In der Folge fanden mehrfach Treffen der Führer der
zentralasiatischen Republiken statt. Dennoch hat sich bislang kaum etwas an der
dramatischen Situation im Aralsee-Gebiet geändert. Nach wie vor gibt es eine Reihe
von Funktionären, die der Meinung sind, dass das Aralsee-Problem kein Problem sei,
und dass die Austrocknung des Aralsees sogar von Vorteil sei.
65
2) Politische Probleme:
Die große Bedeutung, die dem Output der Baumwolle zukam, führte nicht nur zur
Baumwollmonokultur, sondern auch zum berühmt-berüchtigten „Baumwoll-Skandal“.
1984 wurde deutlich, dass Beamte auf allen Ebenen Uzbekistans an einer
umfassenden Manipulation der Produktionszahlen der Baumwolle beteiligt waren.
Diese Falsifizierung bewirkte, dass Uzbekistan beinahe 1 Mill. Tonnen Baumwolle
pro Jahr bezahlt wurden, die gar nicht existierten. Dies führte zu einen Gesamtverlust
des Staates von mehr als 4 Mrd. Rubel. Auch in anderen Baumwollregionen gab es
diese Beschönigung der Produktionszahlen. Der Baumwoll-Skandal führte u.a. zu
einer Revision der Produktionspläne, dennoch stellt die Baumwollproduktion auch
heute noch einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor, v.a. in Uzbekistan dar.
65
) SINNOTT (1992:84ff); eigene Beobachtung von RASULY-PALECZEK im Herbst 2002 in
Uzbekistan.
34
3) Gesundheitliche Probleme:
Die Expansion des Bewässerungslandes und insbesondere die Ausweitung der
Baumwollproduktion, führten zu einer Reihe von gesundheitlichen Probleme, die zum
einen auf die Vergiftung des Wassers und des Bodens (insbesondere die bei der
Baumwollernte eingesetzten Entlaubungsmittel) zurückzuführen sind und anderseits
auch zu einer Verschlechterung der Nahrungsmittelversorgung der lokalen
Bevölkerung.
66
Z.B.:
Sehr hohe Kindersterblichkeit
Allgemeine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung (3/4
der Bev. im Gebiet des Aralsees sind ernstlich krank) (der hoher Salzanteil
und die Stoffe wie Pestiziden, Herbiziden etc. im Wasser führen zu
Krankheiten wie Typhus, Hepatitis, Erkrankungen des Verdauungstraktes –
vor allem im Gebiet am Unterlauf des Amu Darja und des Syr Darja – dies gilt
auch für die hohe Kindersterblichkeit)
Niedrigere Lebenserwartung (ca. 38-42 Jahre)
Steigende Unfruchtbarkeit der Frauen
Anstieg behindert geborener Kinder
Verschlechterung der Ernährungssituation (starke Erhöhung der
Bevölkerungszahl bei Rückgang des Getreideanbaus)
4) Soziale Probleme:
67
In Zentralasien überwiegen kinderreiche Familien. Der Anteil an Kindern und
Jugendlichen ist sehr hoch. Dadurch verschärft sich die Arbeitsplatzproblematik. Es
kommt zu steigender Unterbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und sinkenden
Einkommen.
Zwar gab es in der sowjetischen Zeit eine Reihe von Maßnahmen zur
Frauenemanzipation, zumindest verbal. Tatsächlich sind die Frauen jedoch mit
vielfachen Aufgaben überlastet. In den letzten Jahren häuften sich die Selbsttötungen
von Frauen. Die Frauen arbeiten im Haushalt, in der Landwirtschaft und anderen
Bereichen. Die traditionelle Beschäftigungsstruktur wurde in der sowjetischen Zeit
eher noch verfestigt. Der Großteil der schweren und gesundheitsschädlichen
Feldarbeit erfolgt von Hand und wird primär von den Frauen verrichtet. Daneben
obliegt den Frauen die Hausarbeit und Kindererziehung. Auf Grund dieser Situation
der Überbelastung findet heute die „Reislamisierungspropaganda“, die den Frauen
lediglich einen Platz innerhalb der Familie zuweist, einen gewissen Anklang.
68
IV.2. Der zentralasiatische Nomadismus und seine verschiedenen Formen:
Bevor auf den Nomadismus im Detail eingegangen wird, soll zunächst nochmals auf
verschiedenen Landnutzungsmöglichkeiten Bezug genommen werden. Für
Zentralasien lassen sich dabei die folgenden Landnutzungsarten unterscheiden:
* Vollsesshaftigkeit
* Teilsesshaftigkeit bzw. Halbsesshaftigkeit
* Vollnomadismus
* Teilnomadismus bzw. Halbnomadismus
66
Ad. Details vgl. SINNOTT (1992: S.86) sowie CRAUMER (1982: S.141, 147 f)
67
) vgl. die diversen Artikel in LEWIS (1992)
68
) eigene Beobachtung von RASULY-PALECZEK anlässlich einer Konferenz über Frauen in
Zentralasien an der School of Oriental and African Studies, London, Juni 1992
35
Diese vier Formen gibt es in sehr verschiedenen Abstufungen und bisweilen
fließenden Übergänge. Die einzelnen Formen, insbesondere die verschiedenen
Spielarten des Teilnomadismus und der Teilsesshaftigkeit, stellen dabei jeweils die
optimale Anpassung an ökologische Nischen dar.
Zur klaren Abgrenzung von Nomadismus etc. scheint es hilfreich auf BOBEK´s
Begriff der Lebensformengruppen zurückzugreifen: Er versteht darunter Gruppen mit
gleicher Lebensführung. Diese Lebensformengruppen sind durch wirtschaftliche und
soziale Kräfte geprägt. Gruppenkriterium ist v. a. die räumliche Mobilität. Daher
unterscheiden wir im gesamten altweltlichen Trockengürtel (von Nord-Afrika, über
den Sudan, die arabische Handinsel bis zur Mongolei) zwischen Nomaden und
Sesshaften. Nomadismus und Sesshaftigkeit sind also keine Wirtschaftsformen,
sondern es handelt sich um Lebensformen. Die folgenden Kriterien werden zur
Bestimmung der Lebensformen herangezogen:
* die Wirtschaftsformen
* die Wohnformen
* die Gesellschaftsformen als wesentliche Äußerung der gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Organisation
Der Begriff Nomadismus:
Der Begriff Nomade wurde erst im 18.Jhdt. in die deutsche Gelehrtensprache
aufgenommen. Laut KALTER sind die Wurzeln des Begriffs unklar.
69
Im Englischen
wird für Nomadismus meist der Begriff „pastoral nomadism“ verwendet.
70
Im allgemeinen wird der Begriff Nomade oft sehr unpräzise verwendet und dient
häufig auch zur Charakterisierung anderer Gruppen (z.B. Jäger, und Sammler,
Brandrodungsfeldbauern, Saisonarbeiter, Campingreisenden oder Roma-Gruppe)
71
,
die nicht den von BOBEK aufgestellten „Lebensformengruppen“ entsprechen. So hat
z.B. der Brandrodungsfeldbau (auch Schwendwirtschaft, engl. shifting cultivation)
nichts mit dem Nomadismus zu tun. Beim Brandrodungsfeldbau handelt es sich um
eine völlig andere Lebensformengruppe. Hier rodet eine Gruppe Land, lebt einige
Jahre im gerodeten Gebiet, welches ackerbaulich genutzt wird. Ist der Boden
ausgelaugt, zieht die Gruppe weiter und beginnt mit der Anlage neuer Felder und
Siedlungen.
Neben dem Begriff Nomadismus werden noch einige andere Begriffe, wie z.B.
Wanderhirtentum, Viehzucht oder Transhumanz verwendet, die jedoch vom Begriff
„Nomade“ und „Nomadismus“ zu unterscheiden sind.
Wanderhirte: Nomaden werden bisweilen auch als Wanderhirten bezeichnet. Dieser
Begriff kann nach JANATA
72
jedoch irreführend sein, da der in Ex-Jugoslawien oder
Savojen das ganze Jahr mit den Herden herumwandernde Hirte auch häufig als
Wanderhirte bezeichnet wird. Im Unterschied zu diesen wandernden Hirten, handelt
es sich beim Nomadismus aber (siehe Details unten) um die Wanderung ganzer
sozialer Gruppen mit den Herden.
Viehzucht: Die Viehzucht ist der Haupterwerb nomadischer Wirtschaften und stellt
(fallweise) einen Nebenerwerb sesshafter bäuerlicher Wirtschaften dar.
73
69
KALTER (1983:18); vgl. auch die Ausführungen bei SEYMOUR-SMITH, Charlotte: Macmillan
Dictionary of Anthropology. London, Basingstoke 1986:209
70
vgl. z.B. die Definition von SEYMOUR-SMITH (19886:216f)
71
vgl. SEYMOUR-SMITH (1986:209)
72
Skriptum zur Vorlesung von JANATA, Alfred: Einführung in die Völkerkunde Zentralasiens. Wien
o.J.:24
73
JANATA (1988:506)
36
Transhumanz (Almwirtschaft): Dabei handelt es sich um die Weidewirtschaft der
sesshaften Bevölkerung auf nahe oder weiter entfernt liegende Weiden. JANATA
liefert dafür folgende Definition: „Transhumanz, bäuerliche Wirtschaftsform in
altweltlichen Hochländern: Grundlage ist ein sesshafter Bodenbau in Tallagen,
ergänzt durch Viehzucht. Gegenüber anderen Formen der Herdenviehhaltung ist die
Transhumanz dadurch gekennzeichnet, dass die sesshaften Herdenbesitzer Lohnhirten
(Wanderschäfer) beschäftigen, die die Herden ganzjährig, seltener nur saisonal, auf
ihren Wanderungen betreuen. Ökologisch angepasste Kombination mit
Halbnomadismus und Halbsesshaftigkeit ist belegt.“
74
IV.2.1. Vollnomaden:
Laut JANATA
75
gibt es (auf der Basis von BOBEK´s Lebensformengruppen)
5 Kriterien, die man zur Bestimmung von Nomaden heranziehen sollte:
1) die Viehwirtschaft dominiert
2) es erfolgt eine jahreszeitliche Wanderung, bedingt durch die Erfordernisse der
Weidewirtschaft
3) die gesamte sozial-politische Gruppe nimmt geschlossen an der Wanderung teil.
4) es werden im Regelfall größere Distanzen zurückgelegt (siehe
Fernweidewirtschaft, Fernwanderung)
5) die Vollnomaden leben ganzjährig in mobilen Behausungen (z.B. Zelt, Jurte), die
leicht auf- und abgebaut werden können und auf wenigen Lasttieren (2 Tieren)
transportiert werden.
Aufgrund dieser Kriterien können Vollnomaden laut JANATA folgendermaßen
definiert werden:
76
„Nomadismus, eine Lebensweise von geschlossenen sozialen
Gruppen, die, im Gegensatz zur Sesshaftigkeit, ganzjährig in mobilen Behausungen
wohnen und im Regelfall beträchtliche Distanzen zwischen Sommer- und
Winterweiden zurücklegen (im Jahreszyklus mitunter mehrere hundert Kilometer).
Kerngebiet des Nomadismus sind der altweltliche Trockengürtel und seine Ränder,
grundlegende Wirtschaftsform ist in jedem Fall die Herdenviehzucht.“
IV.2.2. Halb- bzw. Teil- oder Seminomaden:
Dabei handelt es sich um eine Kombination von nomadischer Viehzucht und
sesshaftem Ackerbau.
Von Halb- oder Seminomadentum spricht RATHJENS, wenn Wanderhirtentum mit
sesshaftem Feldbau kombiniert erscheint oder wenn das sommerliche Zelt im Winter
mit dem festen Stein- oder Lehmhaus vertauscht wird.
77
JANATA definiert den Halbnomadismus folgendermaßen: „Formen des
Wanderhirtentums, kombiniert mit sesshaftem Feldbau, Lebensformen, deren
Wirtschaftsweise den natürlichen Bedingungen von Relief, Klima und
Pflanzenwachstum im Gebirge vorzüglich angepasst sind. Neben Viehzucht wird
regelmäßig Bodenbau betrieben: Bewässerungsfeldbau in den Gemarkungen der
festen Winterdörfer und/oder Regenfeldbau in der Nähe der Sommerlager. An den
Wanderungen im Sommerhalbjahr nehmen geschlossene soziale Gruppen teil, die
74
JANATA (1988:485); Im Vergleich zur genannten Definition der Transhumanz nach JANATA ist
SEYMOUR-SMITH´s Definition (1986:209) nicht sehr präsize: „Populations who move around
seasonally according to the pasturing needs of their animals are said to be transhumant.“
75
JANATA (o.J.:24f)
76
) JANATA in Hirschberg, W. (Hrsg.) Neues Wörterbuch der Völkerkunde. Berlin 1988:343f
77
RATHJENS zitiert nach KALTER (1983:18)
37
zurückgelegten Distanzen sind gering. Während des Sommers werden Zelte, Jurten
u.a. mobile Behausungen benutzt. ... Im Regelfall stellt der Halbnomadismus in den
nordafrikan. und asiat. Gebirgsländern eine optimale Nutzung ökologischer
Ressourcen dar.“
78
IV.2.3. Vollsesshafte:
Vollsesshafte wohnen laut GRÖTZBACH ganzjährig in ein und demselben festen
Haus.
79
Die wirtschaftliche Grundlage ist der Ackerbau.
Im Englischen wird die Vollsesshaftigkeit mit dem Terminus Sedentarism bezeichnet.
80
IV.2.4. Halbsesshafte:
JANATA definiert die Halbsesshaften folgendermaßen: „Im Unterschied zum
Halbnomadismus kommt bei der Halbsesshaftigkeit dem Bodenbau noch größere
Bedeutung zu, und an der saisonalen Wanderung nehmen nur Bruchteile sozialer
Gruppen teil.“
81
GRÖTZBACH vermerkt bezüglich der Halbsesshaften: Sie bieten „...ein buntes
Spektrum unterschiedlicher Erscheinungsformen. Almwirtschaft, Transhumanz,
Zeltaufenthalte auf dorfnahen Feldern und Weiden zählen ebenso dazu, wie das
Wohnen in Obstgärten (...).“
82
Bezüglich der Merkmale der Halbsesshaften erwähnt
GRÖTZBACH u.a. folgendes: „Ihr gemeinsames Merkmal besteht darin, dass sie
während des Sommers nicht in ihrem festen Haus oder Gehöft, sondern in einem Zelt
oder einer Hütte wohnen, ohne dabei in der Regel ihr Dorf oder dessen nähere
Umgebung zu verlassen. Die Aufenthalte auf Feldern oder in Gärten dienen jeweils
einem bestimmten Zweck: der Bewachung reifender Früchte wie Obst oder Melonen
oder dem Hüten des Weideviehs auf Stoppel- und Brachflächen. Der Zeltaufenthalt
im Hofe des eigenen Gehöfts wird meist mit dem Vorteil der luftigeren, von
Ungeziefer weniger heimgesuchten, leichten Behausung begründet.“
83
Dieser Typ der
Halbsesshaftigkeit ist insbesondere bei den Uzbeken verbreitet. Weiters meint
GRÖTZBACH: „Generell lässt sich die Halbsesshaftigkeit teils ökologisch, teils
ökonomisch, teils ethnokulturell deuten. In den Hochgebirgen und z.T. auch in den
Hochländern stellt sie eine spezifische Form der Anpassung an die klimatische
Höhenstufung dar, wie z.B. die Almwirtschaft der Tadschiken und Nuristani im
Hindukusch. Noch ausgeprägter kommt die Halbsesshaftigkeit bei den Turkvölkern
Nordafghanistans und ihren unmittelbaren Nachbarn vor, bei nördlichen Hazara,
Tadschiken am Hindukuschrand, Paschtunen und Aimaq; hier dürfte sie eher
ethnokulturelle Wurzeln haben.“
84
78
JANATA (1988:199)
79
GRÖTZBACH, Erwin: Afghanistan. Eine geographische Landeskunde. Darmstadt 1990:86
80
SEYMOUR-SMITH (1986:254)
81
JANATA (1988:199)
82
GRÖTZBACH (1990:86)
83
GRÖTZBACH (1990:86)
84
GRÖTZBACH (1990:86f)
38
IV.2.5. Begriffliche Abgrenzung von Halbsesshaftigkeit und Halbnomadismus
nach GRÖTZBACH:
Bezüglich des Halbnomadismus konstatiert GRÖTZBACH u.a. folgendes: Es gibt
zahlreiche „Zwischen- und Übergangsformen zwischen voller Sesshaftigkeit und
vollem Nomadismus. ... Stark generalisiert lässt sich demnach das Spektrum
traditioneller Lebensformen folgendermaßen darstellen:“
85
Wirtschafts- und Lebensformen nach GRÖTZBACH:
86
Nomaden Sesshafte
Vollnomaden Halbnomaden Halbsesshafte Vollsesshafte
Aufgrund der Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Halbnomaden und
Halbsesshaften schlägt GRÖTZBACH folgende Abgrenzungsmerkmale vor: „Zur
begrifflichen Abgrenzung von Halbnomaden und Halbsesshaften seien zwei
Hauptmerkmale herangezogen: die Dauer des jahreszeitlichen Wohnens im Zelt und
die Entfernung, die beim Wechsel von festem Haus und Zelt zurückgelegt wird. Je
länger diese Dauer und die zurückgelegte Entfernung, desto eher wird von
Halbnomadismus, desto weniger von Halbsesshaftigkeit sprechen müssen.“
87
IV.2.6. Die verschiedenen Formen des Nomadismus:
Innerhalb des Nomadismus können nun weitere Differenzierungen vorgenommen
werden. Neben dem Grad der Sesshaftigkeit und dem Verzicht auf ackerbauliche
Aktivitäten können die Nomaden auch nach anderen Kriterien differenziert werden,
z.B.:
* nach der Art der Wanderung
* nach der Behausungsform
* nach der bevorzugten Herdenart
IV.2.6.1. Nach der Art der Wanderung:
Horizontale Wanderung: Wanderung in der flachen Steppe. Diese Form wird auch als
horizontaler Nomadismus bzw. als Flächennomadismus bezeichnet.
Vertikale Wanderung: von der Steppe ins Gebirge, oder allgemeiner von einer
niedriger gelegenen Weide auf eine höher gelegene Weide. Diese Form wird
auch als vertikaler Nomadismus oder als Gebirgsnomadismus bezeichnet.
Fernwandernder Nomadismus: Dabei werden große Distanzen, oft einige 100 km
zwischen den Sommer- und Winterweiden zurückgelegt. Das klassische
Beispiel für den fernwandernden Nomadismus in Zentralasien sind die
Kazakhen und Turkmenen.
Nahwandernder Nomadismus: Dabei werden nur einige wenige km zwischen
Sommer- und Winterquartier zurückgelegt. Das klassische Beispiel sind hier
z.B. die Kirghisen des Pamir.
Diese Gliederungen sind sehr schematisch. Es gibt sehr viele Abweichungen von
diesem Schema.
85
GRÖTZBACH (1990:79)
86
GRÖTZBACH (1990:80)
87
GRÖTZBACH (1990:80)
39
IV.2.6.2. Nach der Art der Behausung:
Grundsätzlich wird hier für den altweltlichen Trockengürtel zwischen folgenden
Behausungsarten unterschieden:
Schwarzzelt-Nomaden: Diese sind vor allem in Nord-Afrika, Arabien, Teilen der
Türkei, des Irans und Afghanistans verbreitet. Das Zelt ist aus Ziegenhaar
gefertigt. Diese Form ist in Zentralasien nur marginal im südlichen Randbereich
verbreitet.
Jurten-Nomaden
: Diese Behausungsform gibt es lediglich in Zentralasien sowie bis
Mitte des 20.Jhdt. vereinzelt in der Türkei. Aus Filz gefertigte Bedeckung, die
über eine Holzkonstruktion (Scherengitter) gebreitet ist.
IV.2.6.3. Nach der Art der Herdentiere:
Diese Klassifizierung erfolgt nicht so sehr nach der wirtschaftlichen Bedeutung der
Herdentiere, sondern nach der höchsten Wertschätzung bestimmter Tiere bei einer
bestimmten Gruppe.
88
Reiternomaden
Kleinviehnomaden
Kamelnomaden
Zentralasien ist das klassische Gebiet des Reiternomadismus. Auch bei sesshaften
Gruppen, wie z.B. den Uzbeken, genießt das Pferd nach wie vor eine hohe
Wertschätzung.
IV.2.7. Die nomadische Wirtschaft und Lebensweise und ihre Bedeutung:
Während man früher, z.B. in der Drei-Stadientheorie, davon ausging, dass der
Nomadismus aus der Jägerstufe entstanden sei und sich aus ihm dann die
verschiedenen Ackerbaukulturen entwickelt hätten, geht man heute davon aus, dass
die Herdenviehzucht und der Nomadismus in der 2.Hälfte des zweiten Jahrtausends
v.Chr. in Zentralasien auf der Basis bäuerlicher Kulturen entstanden ist und durch den
Reiternomadismus verbreitet wurde.
89
Argumentiert wird bei dieser Auffassung u.a.
damit, dass entgegen früheren Annahmen auch bei den Nomaden Zerealien einen
wesentlichen Bestandteil der täglichen Ernährung darstellen.
90
Der Vollnomadismus stellt laut KALTER
91
eine seltene, hochspezialisierte
Anpassungsform an extrem ungünstige Lebensräume der Erde. Er dürfte in dieser
Form in den letzten Jahrhunderten nur in den großen Steppen und Halbsteppenbecken
des Trockengürtels vorgekommen sein, z.B. bei einigen (nicht allen) Tuareg-Gruppen,
maurischen Gruppen der Sahara, arabischen Beduinen, Mongolen etc.
Generell ist die Zahl vollnomadisierender Gruppen recht klein. Viel häufiger sind
verschiedene Formen des Teilnomadismus.
IV.2.8. Der Viehbestand der Nomaden und die wirtschaftliche Nutzung der
Herdentiere:
Die hauptsächlichsten Herdentiere sind Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde, Kamele,
wobei die Gewichtung des Viehbestandes der Nomaden regional sehr unterschiedlich
ist und u.a. von den zur Verfügung stehenden Weideflächen und deren Qualität
abhängt.
88
KALTER (1983:20)
89
JANATA (1988:506); im Detail vgl. Ausführungen unten in Abschnitt „Entstehungsgeschichte des
zentralasiatischen Nomadismus“.
90
JANATA (1988:343)
91
KALTER (1983:18)
40
Das Vieh ist in erster Linie Produktionsmittel und nicht Kapital. Tiere wurden selten
geschlachtet. Der Fleischverzehr der Nomaden war in der Regel gering. Die
verschiedenen Herdentiere liefern eine Fülle von Produkten, die entweder direkt
konsumiert werden (wie z.B. Milch, Fleisch und Fett sowie Wolle, Felle und Häute)
oder weiterverarbeitet werden (z.B. Milch zu Käse, Butterschmalz, Wolle zum
Knüpfen, Weben und zur Filzherstellung, Ziegenhaar zur Herstellung der schwarzen
Nomadenzelte).
Milchwirtschaftlich werden Schafe, Ziegen und Rinder, bei einzelnen Gruppen (z.B.
den Mongolen und Kazakhen) auch Pferde, genutzt. Pferd und Kamel, seltener das
Rind, dienen als Transporttiere. Insbesondere das Pferd spielte und spielt eine große
Rolle bei den zentralasiatischen Nomaden. Neben seiner (milch-) wirtschaftlichen
Nutzung war es vor allem für die Mobilität der Reiternomaden von ausschlaggebender
Bedeutung.
Bezüglich der Bedeutung der verschiedenen Herdentiere vermerkt z.B. KUSSMAUL
folgendes: „Die wirtschaftliche Basis aller Nomaden- wenigstens all derer im
Steppengürtel Eurasiens- ist die Kleintierherde, sind Schafe und Ziegen, erst in
zweiter Linie treten Rinder hinzu. Kamele und Pferde bilden diesen beiden gegenüber
weniger ein wirtschaftliches als ein soziales und politisches Potential.“
92
Das Pferd
bildet bei den zentralasiatischen Reiternomaden nicht die ökonomische Basis für das
Leben, genauso wie das Kamel nicht diese Rolle bei den beduinischen
Kamelbeduinen spielt. Beide, Pferd und Kamel, waren als Reit- und Transporttiere
jedoch die Grundvoraussetzung für die für Vollnomaden üblichen weiträumigen
Wanderungen. Die Verwendung des Pferdes als Reittiere machte aus den Hirten
schnelle und gefürchtete Krieger, die den Fußsoldaten und den Streitwagenkämpfern
überlegen waren. Erst die Überlegenheit und Schnelligkeit berittener Heere machte es
möglich die riesigen Räume des Inneren Asiens zu erobern und wenn auch nur für
kurze Zeit zu großen Nomaden-Reichen zusammenzufassen und dank der schnellen
Nachrichtenübermittlung auch eine bestimmte Zeit lang zusammenzuhalten. Das
Reiter-Nomadentum ist eine historisch späte Form des Nomadismus
93
IV.2.8.1. Die Herdengröße:
Die Größe der verschiedenen Herden hängt je nach ihrer Zusammensetzung (Groß-
oder Kleinvieh) vor allem von drei Faktoren ab:
* der Ergiebigkeit der Weidegebiete
* dem Vorhandensein von Wasser (z.B. Brunnen)
* der Verfügbarkeit von Arbeitskräften
Daneben können auch die spezifischen Bedürfnisse der Herdenbesitzer und ihr
sozialer und politischer Status eine Rolle spielen. Große Viehherden waren bzw. sind
auch ein Prestigeobjekt der Reichen. Bei den Mongolen z.B. waren die Adeligen und
die Klöster die Großherdenbesitzer
Der Viehbestand der Nomaden unterliegt starken Schwankungen. In Jahren
überdurchschnittlichen Niederschlags wächst die Herde stark an. Nach Ausbleiben
von Niederschlägen schrumpft sie im nächsten Frühjahr drastisch. Bei den Achak-
Tekke-Turkmenen kommt es in trockenen und kalten Wintermonaten alle 4 bis 5
Jahre zu einem Massensterben, das den Viehbestand um 30-40 % reduzieren kann.
Während eines besonders langen und strengen Winters sollen 1859/1860 rund 80 %
92
KUSSMAUL aus „Nomadismus als Entwicklungsproblem“, zitiert nach Kalter (1983:20)
93
vgl. KALTER (1983:20)
41
der Viehbestände der Kirgisen eingegangen sein.
94
Ähnliche Herdenverluste gab es
1971/1972 in Nordafghanistan, wo 80 bis 90 % des Viehs verstarb.
Auch wenn die Viehherden der Nomaden viel häufiger von Naturkatastrophen
betroffen sind als Feldfrüchte der Bodenbauern, und die Nomaden somit häufiger als
die Bodenbauern bei Null beginnen müssen, kommt es zur sogenannten
„Überstockung“ (darunter versteht man eine zu große Viehzahl im Verhältnis zur
Weidefläche). Um eine Überweidung zu verhindern, begrenzen die Nomaden die Zahl
der Tiere je Herde und verkaufte letzte. Die Erlöse aus diesen Viehverkäufen werden
einerseits in Luxusgüter (z.B. Schmuck der Frauen, Waffen der Männer) und
andererseits in Landerwerb, den Geldverleih und in neuerer Zeit auch ins
Transportgewerbe (In Afghanistan z.B. wird das Transportgewerbe von
paschtunischen Nomaden dominiert) investiert.
IV.2.8.1.1. Die Weideareale und ihre Bedeutung:
Der wohl wichtigste Faktor ist die Verfügbarkeit von Weideland und dessen
Ergiebigkeit und Beschaffenheit. Die Vegetation der zentralasiatischen Löß- und
Sandsteppen ist regional sehr verschieden. Es gibt einen sehr hohen Prozentsatz
einjähriger Gräser, daneben Halbsträucher wie Wermut, Zwiebeln und
Knollengewächse (z.B. wilde Tulpen, verschiedene Lilienarten) sowie viele
verschiedene Distel- und Kräuterarten.
Die Steppe wird nach den Frühjahrsregen rasch grün und von Blüten übersät. Schon
im Mai trocknet sie aus und bleibt bis zum Winter braun. Die heiße, trockene
Sommerzeit ist für die Ernährung der Herden jedoch noch nicht so kritisch. Die
Vegetation trocknet so rasch, dass sich eine Art Heu bildet, das in manchen Gebieten,
wie z.B. in Nord-Afghanistan, auch als Winterfutter gesammelt wird. Im Herbst steigt
die Produktivität der Weiden nochmals an. Die Schafe fressen die reifen Samen der
Kräuter als eine Art Kraftfutter. In dieser Zeit wird, vor allem wenn die Herden nicht
optimal der verfügbaren Weidefläche angepasst sind, die Futtermittel knapp.
Essentiell ist vor allem die Versorgung des Viehs im Winter. Obwohl die
Schneebedeckung in der Steppe im Winter meist gering ist und somit das Vieh leicht
an das unter dem Schnee befindliche Gras herankommt, kann es vorkommen, dass
sich - vor allem in sehr kalten Wintern - eine undurchdringliche Schnee- und Eisdecke
bildet, und die Futterversorgung des Viehbestandes prekär wird
95
(vgl. z.B. die
Situation zwischen 1999 und 2001 in der Republik Mongolei, wo es infolge des
„Zhut“ (eines Schnee- und Eissturmes) zu umfangreichen Fütterungsproblemen der
Herden kam, die in einem Massensterben der Tiere mündeten)
Anzumerken ist auch noch, dass nicht nur die Steppe, sondern auch die Bergregionen
genutzt werden, z.B. als Sommerweiden, da es hier länger eine ausreichende
Grasbedeckung gibt.
Über den Flächenbedarf der einzelnen Vieharten ist laut KALTER
96
kaum etwas
bekannt. Das Fettschwanzschaf, die bei den Turkmenen bevorzugte und an die
Steppenweide angepasste Schafrasse benötigt im Gebiet der Achal-Tekke ca. 6 ha
Weideareal, ein Pferd wahrscheinlich 36 ha Weide, wobei die Pferde bei den
Turkmenen auch Gerste, Luzerne, Milch und Brot bekommen (außer Milch muss alles
zugekauft werden). Laut KALTER stellt die Pferdehaltung somit eine große
finanzielle Belastung dar.
94
KALTER (1983:20)
95
KALTER (1983:20)
96
KALTER (1983:20)
42
Einen weiteren wichtigen Faktor stellt die Zugänglichkeit der Weideareale dar.
Internationale Grenzen und die mit ihnen verbundenen Formalitäten (z.B. Pässe,
Genehmigungen etc.) sowie politische Konflikte erschweren in manchen Regionen
die Weidemöglichkeiten der Nomaden.
97
(vgl. dazu im Detail ad. Beziehungen
Nomaden-Sesshafte und Nomaden-Staat; vgl. Ausführungen unten).
IV.2.8.1.2. Verfügbarkeit des Wassers:
Neben dem Weideland kommt der Verfügbarkeit von Wasser für Tier und Mensch
eine große Bedeutung zu. Nach der Ergiebigkeit der Brunnen richtet sich auch, neben
dem Weideland, die Herdengröße.
IV.2.8.1.3. Verfügbarkeit von Arbeitskräften:
Die Herdengröße wird neben der Weidequalität und den Weidemöglichkeiten, vor
allem durch die Zahl der Arbeitskräfte limitiert. Eine einzelne Familie kann nicht
unbegrenzt Schafe und Ziegen (die Herden werden auch gemischt gehalten) betreuen.
Man findet Herdengrößen zwischen den Extrempolen: Existenzminimum und
maximal verfügbares Arbeitskräftepotential. Laut JANATA liegt das
Existenzminimum bei 10 Stück Vieh/ Person. Durch einen Hirten und einen Helfer
lässt sich maximal eine Herde von 600 Stück betreuen. Eine Frau kann maximal
50 Schafe milchwirtschaftlich betreuen. Der durchschnittliche Haushalt besteht laut
JANATA aus 4 Personen. Ein Haushalt verfügt demnach über 150 Stück Kleinvieh.
600 Tiere sind betreubar, dies bedeutet, dass sich 4 Haushalte zu einer
Herdengemeinschaft zusammen schließen.
98
IV.2.9. Sonstige Wirtschaftsaktivitäten der Nomaden:
Neben der dominierenden Viehwirtschaft, betrieben bzw. betrieben die Nomaden eine
Reihe anderer Aktivitäten um an die von ihnen benötigten Güter (z.B. Getreide,
Geräte) zu kommen. Diese nicht-viehzüchterischen Tätigkeiten gewannen zunehmend
an Bedeutung.
Ein wesentlicher Faktor für zusätzliche Aktivitäten ist die Notwendigkeit Zerealien
(Brot und Reis) zu beschaffen, in spezifischen Fällen auch Futtermittel (z.B. bei Dürre
oder im Winter) für das Vieh. Die nicht selbst hergestellten Güter können bzw.
konnten auf dreierlei Weise erlangt werden:
* Austausch mit Sesshaften (Handel)
* Abhängigmachen der Sesshaften
* Selbstproduktion (z.B. subsidiärer Zerealienanbau)
IV.2.9.1. Tauschbeziehungen mit den Sesshaften:
Nomaden haben Fleischtiere, Wolle, Milchprodukte anzubieten. Die Sesshaften haben
unter Umständen neben Körnerfrüchten auch Obst und Gemüse anzubieten.
97
vgl. GRÖTZBACH (1990:81); So z.B. in Afghanistan, wo die im 19.Jhdt. erfolgte Grenzziehung
zum heutigen Pakistan die Weidemöglichkeiten der paschtunischen Nomaden, die ihre Winterquartiere
vielfach auf dem Gebiet des heutigen Pakistans hatten, stark eingeschränkt wurden. Ähnlich auch im
Fall der Pamir Kirgisen, wo die Schließung der Grenze zwischen Afghanistan und China, im Fall der
Kirgisen des Wakhans dazuführte, dass diese ihre ursprünglichen Winterweidegebiete nicht mehr
nutzten konnten. Dies führte zu einer Änderung der nomadischen Viehwirtschaft und auch zu
Veränderungen in der sozio-politischen Struktur der Wakhan-Kirgisen. z.B. Aufstieg von Rahman-Qul
Beg. Vgl. dazu die Studie von SHAHRANI, Nazif. M.: The Kirghiz Khans: Styles and Substance of
Traditional Local Leadership in Central Asia. in: Central Asian Survey, Vol.5, No.3/4, 1986:255-271
98
JANATA (o.J.:27f). Die Ausführungen beziehen sich auf Afghanistan.
43
IV.2.9.2. Abhängigmachen von Bodenbauern:
Nicht selten versuchten Nomaden Bodenbauern abhängig zu machen indem sie eine
Oase oder einen größeren Bereich politisch unterdrückten und dann Abgaben in Form
von Getreide und anderen Bodenprodukten eingehoben. Eine andere Möglichkeit der
Abhängigmachung der Sesshaften bestand im Landkauf und Geldverleih der
Nomaden an Sesshafte.
IV.2.9.3. Subsidiärer Bodenbau der Nomaden:
Am Rand der Grassteppe regnet es unter günstigen Bedingungen die erforderlichen
300 mm Niederschlag und ein subsidiärer Bodenbau ist möglich. Das Saatgut wird
dabei einfach in den Steppenboden eingeackert. Das kann man in der Mongolei mit
mehr Erfolg machen als in den Steppen des westlichen Teils Zentralasiens.
99
In der
Mongolei wird vor allem Gerste und Hirse eingepflügt, im westlichen Zentralasiens
fast ausschließlich Hirse.
In der Steppe ist kein permanenter Bodenbau möglich. In den Gebirgen und an den
Gebirgsrändern ist der Nomadismus und der Bodenbau oft verzahnt. Manchmal wird
in ein und derselben Gesellschaft beides betrieben. So z.B. bei den Turkmenen, wo
ganze Gruppen (die als „Chomur“ bezeichnet wurden) Ackerbau betrieben.
IV.2.9.4. Andere zusätzliche Einkunftsmöglichkeiten:
Neben der Viehwirtschaft als Lebensgrundlage kam v.a. dem Handel und dem Schutz
der Handelskarawanen eine große Rolle zu. Insbesondere der Handel mit Pferden,
hatte hier eine große Bedeutung. Bis 1947 z.B. reichten die Handelsaktivitäten der
paschtunischen Nomaden bis nach Bengalen.
100
Für das 18. und 19. Jhdt. wird
insbesondere in Bezug auf die Turkmenen immer wieder von Sklavenhandel
gesprochen.
101
IV.2.9.5. Nebenerwerb der Nomaden:
Eine weitere Möglichkeit, insbesondere der ärmeren Nomaden, an die von ihnen nicht
selbst erzeugten Produkte zu kommen, ist die Aufnahme eines Nebenerwerbs, durch
Saisonarbeit, z.B. Erntehelfer, Transportarbeiten mit den Tieren, die in der
Nomadenwirtschaft nicht gebraucht werden. Laut den Erhebungen BALLAND´s lebte
rund die Hälfte der Nomaden Afghanistans überwiegend von anderen Erwerbsquellen,
hauptsächlich von eigenem Feldbau, von Erntearbeiten, Handel oder Transport. Rein
viehwirtschaftlich orientierte Nomaden bildeten in Nord- West- und Südafghanistan
die große Mehrheit, dagegen dominierte in Ost-Afghanistan ein ökonomisch
vielseitiger Nomadismus. Hier waren die Erntenomaden besonders zahlreich, während
Handel und Transport viel von ihrer früheren Bedeutung eingebüßt hatten.
102
IV.2.10. Das Verhältnis der Nomaden zu den sie umgebenden sozio-politischen
Gruppen:
SEYMOUR-SMITH weist in Zusammenhang mit dem Studien des Nomadismus auch
darauf hin, dass dieser nicht isoliert vom nationalen und regionalen Kontext der inter-
ethnischen Beziehungen, der Beziehungen zwischen Nomaden und dominantem
99
JANATA (o.J.:26)
100
GRÖTZBACH (1990:84)
101
siehe die diversen Reiseberichte aus dem 19.Jhdt., z.B. von Alexander BURNES
102
GRÖTZBACH (1990:81)
44
staatlichen System und /oder der Beziehung Nomaden zu den benachbarten Ackerbau
betreibenden Gesellschaften untersucht werden darf.
103
IV.2.10.1. Das Verhältnis Nomaden und Sesshafte:
Dieses Verhältnis ist oft sehr ambivalent. „Es reichte vom friedlicher Symbiose- mit
Austausch von Getreide und Viehprodukten bis zu blutigen Auseinandersetzungen um
Weiderechte und Landbesitz.“
104
Zahlreiche zentralasiatische Dynastien beruhen auf nomadischen Gruppen, deren
Führungsschicht mit der Zeit sesshaft wurde. Einerseits besteht Konkurrenz um
Weideland, andererseits sind die Sesshaften über die Düngung der Felder durch
Kleinvieh der Nomaden froh.
IV.2.10.2. Das Verhältnis Nomaden und Staat:
Auch das Verhältnis Staat und Nomaden ist sehr ambivalent. Zum einen wurzeln viele
Dynastien auf nomadischen Vorfahren, gleichzeitig sind sie auch als potentielle
Gegner gefürchtet. Von der Staatsmacht wird der Nomadismus meist als Bedrohung
aufgefasst. Nomaden gelten als rückständig, als Schmuggler, Spione, als
unadministrierbar etc. Gleichzeitig wurden die Nomaden vom Staat auch benutzt, z.B.
bei der Unterwerfung anderer Gruppen unter die staatliche Autorität (siehe z.B. die
Rolle der paschtunischen Stämme in Afghanistan unter Amir Abdurrahman Khan).
IV.2.11. Situation rezenter Nomaden:
Heute befindet sich der Nomadismus in weiten Teilen Zentralasiens im Niedergang.
Laut einer Studie von BALLAND (zitiert nach GRÖTZBACH) zum Nomadismus in
Afghanistan aus dem Jahr 1978 setzte dieser Niedergang vermutlich schon in den
1930iger Jahren.
105
Seit den 60iger Jahren beschleunigte sich dieser Prozess und
bewirkte eine fortschreitende Marginalisierung der Nomaden. BALLAND führt dies
auf mehrere Gründe zurück, darunter u.a. die folgenden:
* Einengung des nomadischen Lebensraumes durch die Umwandlung der besten
Weideflächen in Ackerland
* Schließung und Kontrolle der Grenze zu Pakistan, wodurch die Winterweidegebiete
erheblich schrumpften
* Rückgang des Nomadenhandels
* Enorme Viehverluste in den Dürrejahren 1971/1972
In Ost-Afghanistan erreichte diese Krise des Nomadismus ihre höchste Intensität, hier
lebte 1978 fast die Hälfte der Nomadenfamilien in den Sommerlagern von
Erntearbeiten. Staatliche Ansiedlungsprogramme dürften laut GRÖTZBACH am
wenigsten zum Rückgang des Nomadismus beigetragen haben. Die Landverteilung an
Nomaden im Rahmen des Helmand-Arghandab-Projektes war wenig erfolgreich. Laut
JANATA (1975) (zit. nach GRÖTZBACH) sind ökonomische Zwänge eher
entscheidend für die Ansiedlung von Nomaden als staatliche Förderungsmaßnahmen
der Sesshaftigkeit.
103
SEYMOUR-SMITH (1986:217)
104
GRÖTZBACH (1990:84)
105
vgl. GRÖTZBACH (1990:85f); Zu Afghanistan gibt es wesentlich mehr Studien über den
Nomadismus als über Ackerbau treibende Gruppen. Der Krieg und Bürgerkrieg (1978 bis heute) hat zu
einem weiteren Niedergang des Nomadismus in Afghanistan geführt.
45
IV.2.12. Die unterschiedlichen Formen des Nomadismus in Zentralasien:
Nachdem zuvor auf die allgemeinen Bedingungen des Nomadismus eingegangen
wurde, möchte ich im folgenden kurz auf die unterschiedlichen Formen des
Nomadismus bei den verschiedenen zentralasiatischen Völkern eingehen, wobei
insbesondere die Faktoren Weideland, Physiographie, aber auch andere Umstände
bedeutsam sind.
IV.2.12.1. Der zentralasiatische Nomadismus, seine Formen und seine
Bedeutung: nach KRADER:
106
Der Nomadismus hat in ganz Zentralasien eine lange Tradition. Die größten Herden
und die größte Abhängigkeit von den Herden findet man unter den Kazakhen und
Kirgisen. Die Kazakhen entsprechen dem Muster des offenen Steppennomadismus
(open-steppe pastoralism; Flächennomadismus), der von der Mandchurei bis zum
Kaspischen Meer verbreitet ist. Die Kazakhen stellen den westlichen Flügel dieses
Steppen-Pastoralismus dar. Die Mongolen repräsentieren den östlichen Flügel.
Ursprünglich war der Nomadismus westlich der Kazakhen entwickelt worden,
nämlich in den südrussischen Steppen. Die alten Skythen und die mittelalterlichen
türkischen Pechenegs und Polovtsians waren Nomaden. Die russischen Expandeure
eroberten diese Steppenländer und verwandelten sie in den letzten 400 Jahre mit Hilfe
des Pfluges in Ackerland. Im gesamten Gebiet ist der Nomadismus verschwunden, die
Viehzucht ist geblieben.
Traditionellerweise erfolgte die Viehzucht dieser Völker nomadisch. Diese Nomaden
besaßen laut KRADER genau festgelegte Wanderungsmuster, von einem Winterlager
über eine Frühjahrsroute zu den Sommerweiden, dann über die Herbstroute zurück zu
den Winterlagern.
Die Kirgisen praktizieren einen Bergwiesen-Nomadismus. Ihr Land liegt auf den
hohen Höhen des Tien-Schan und des Pamir Gebirges. Die Kirgisen ähneln in ihrem
Jahresrhythmus sehr stark den Kazakhen. Der Unterschied liegt in der Weidedistanz.
Die Kazakhen legen weitere Strecken zurück, oftmals 100 bis 150 km in einer Saison.
Die Kirgisen legen nur kurze Strecken zurück.
Die Turkmenen sind die bedeutendste Nomadengruppe im südlichen Teil
Zentralasiens. Die Uzbeken und die Tadschiken sind nur zu einem begrenzten Teil
Nomaden. Die Viehzucht der
In der Mongolei werden Schafe, seltener Ziegen gehalten. Rind, aber auch Pferde und
Kamele sind die bedeutendsten Herdentiere.
IV.2.13. Zusammenfassung zum Nomadismus:
Für Turkestan ist laut KALTER typisch, dass in denselben ethnischen Verbänden
vollnomadische, halbnomadische und sesshafte Gruppen nebeneinander
vorkommen.
107
Der Übergang zur Sesshaftigkeit erfolgte z.B. dadurch, dass militärisch überlegene
Nomadengruppen Bauernland eroberten oder dass sie die Herdenerlöse in Landkäufe
investierten. Umgekehrt konnte auch die sesshafte Bevölkerung wieder zu einer
nomadischen Lebensweise zurückkehren, z.B. als Folge von Überbevölkerung des
Ackerlandes, als Folge der Zerstörung oder des Verfalls der Bewässerungsanlagen,
Ausbleiben von Niederschlägen in den Regenfeldbaugebieten.
Eine starke Zentralinstanz, die den Nomaden feindlich gegenübersteht, kann dazu
führen, dass die Nomaden in ungünstige Gebiete abgedrängt werden und mit kleinen
106
KRADER (1966:23-25)
107
KALTER (1983:18)
46
Herden, die dort nicht ernährt werden können, ein kärgliches Dasein fristen. Auch der
Verlust von Vieh als Folge von Seuchen kann Nomaden zum Leben als Bauern
zwingen.
108
Insgesamt kam es in ganz Zentralasien, mit Ausnahme der Mongolei, zu einem
deutlichen Rückgang des Nomadismus, insbesondere in den vormaligen Gebieten der
Sowjetunion, wo v.a. unter STALIN die kazakhischen Nomaden besonders verfolgt
wurden. Schon mit 40 Schafen galt man als „Kulake“ und wurde ins Straflager
verbannt. Mittlerweile ist in den GUS-Staaten die nomadische Wirtschaftsform
wieder zugelassen.
IV.2.14. Die Auswirkungen der sowjetischen Kollektivisierungsmaßnahmen
(1929 bis 1933) auf die Nomaden:
Unter STALIN wurden die Nomaden nun in fixen Dörfern angesiedelt. Diese
Maßnahmen des sowjetischen Systems trafen die Kazakhen am härtesten.
109
Der
Viehbestand der Kazahken ging zwischen 1929 und 1933 von mehr als 40 Mill. auf
5 Mill. drastisch zurück. Dies führte in der Folge auch zu einem deutlichen Rückgang
der kazakhischen Bevölkerung (zwischen 1926 und 1939 verringerte sich die kazakh.
Bevölkerung um ca. 40 %). Als Hauptfaktor dafür erwähnt KRADER die
Auswirkungen der Kollektivisierungs- und Sesshaftmachungsmaßnahmen der
Sowjets. Der Viehbestand der Kazakhen verhungerte, daher verhungerten die Leute.
110
IV.2.15. Die Formen der Viehzucht im sowjetischen Zentralasien:
Die Hirtenpraktiken in der Sowjetära waren sehr verschieden von jenen der
Vergangenheit. Wohnen im Zelt/ Yurte und Nomadismus stellte in sowjetisch-
Zentralasien keine kulturelle Einheit mehr dar. Laut KRADER gab es zwei Formen
des Hirtentums:
111
1) Large scale herding wurde von staatlichen und kollektiven (sovkhoz und kolkhoz)
Farmen betrieben. Hunderttausende Tiere, einschließlich der traditionellen
Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen wurden saisonal von permanenten
dorfähnlichen Siedlungen aus geweidet in Form der Transhumanz (russisch:
otgon). Diese Farmen hatten sich auf das Hirtentum spezialisiert. Man fand sie in
allen Republiken der Region. Ihre Weiden lagen sowohl im Tiefland wie auch in
den Hochland.
2) small-scale herding: Diese Form wurde von Familien betrieben und umfasste nur
ein oder zwei Tiere. Sie war in vielen Teilen der Sowjetunion verbreitet und
unterschied sich vom kollektivisierten Agrarsystem.
Seit dem Zusammenbruch ist es in einzelnen Teilen sowjetisch-Zentralasiens zu einer
Renaissance der vorsowjetischen Weidewirtschaft gekommen.
IV.3. Die Kommunikationssysteme Zentralasiens:
Zentralasien ist durch seinen Binnencharakter und das Fehlen eines Zugangs zum
Meer geprägt. Die primären Bewegungen von Menschen, kulturellen Innovationen
und Gütern erfolgten hier entlang der innerasiatischen Verkehrswege, die weit von
den Weltmeeren entfernt lagen.
108
KALTER (1983:18)
109
KRADER (1966:185f)
110
KRADER (1966:186)
111
KRADER (1966:24)
47
Die Flüsse konnten in diesem ariden und semiariden Gebiet kaum als Verkehrswege
genutzt werden. Es gibt nur wenige Flüsse und sie sind meist für die Transport wegen
ihre Seichtheit, den Strömungen etc. nicht geeignet.
112
Einzelne Seen und
Binnenmeere sind wichtige Transportwege. Auf dem Kaspischen Meer und dem Aral-
See sowie dem Issyk-Kul-See und Teilen des Balkhsh-Sees gibt es eine Schifffahrt.
113
Das Grasland in Innerasien stellte jedoch nie ein Verkehrshindernis dar.
114
Die zentralasiatischen Gebirge erstrecken sich mit kleineren Unterbrechungen fast
6.500 km von Westen nach Osten. Nur wenige dieser Gebirge sind tatsächlich
unüberwindbare Schranken. Lediglich der Kunlun ist praktisch unpassierbar. Im
19. Jhdt. hatten die Briten in Zusammenhang mit dem „Great Game“ ein großes
Interesse an den Passübergängen und Verkehrswegen. Es gab zahlreiche Missionen,
z.B. SHAW, BURNES etc., die diese Verkehrsverbindungen auskundschafteten.
Gleichfalls dienten auch eine Reihe russischer Expeditionen diesem Ziel. Trotz ihrer
imposanten Höhe und ihrer Reliefstruktur bestehen innerhalb der zentralasiatischen
Gebirgsformation eine Reihe wichtiger Verkehrskorridore, die intensiv genutzt
wurden, wie z.B.: Der Terek-Pass, der Kansu-Korridor, die Dzungarische Pforte.
Die Struktur der zentralasiatischen Gebirge und Wüsten wirkte sich laut SAGASTER
und SAGASTER
115
sehr stark auf die Wanderungsbewegungen der Völker aus. Von
Westen nach Osten gehen die verschiedene Steppengebiete in einander über und
erlaubten damit die rasche Expansion verschiedener aus dem Inneren Asiens nach
Westen vordringender Gruppen (z.B. die Eroberungs- und Wanderungsbewegungen
der turko-mongolischen Stämme).
Entscheidend für die Anlage von Verkehrswegen war neben der Reliefgestalt v.a. die
Verfügbarkeit von Wasser für die Reisenden und ihre Tiere. Die Karawanenrouten,
die Weidepfade und die heutigen Bahnlinien werden bestimmt davon wo sich Wasser
befindet. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Anlage von Verkehrswegen war auch
die Verfügbarkeit von Futtermitteln. Die Nahrung für Reit- und Lasttiere der
Karawanen musste sichergestellt sein. Entlang der Verkehrswege boten Karawanen
den Reisenden Schutz, Nahrung und Wasser. Hier entstanden dann auch Städte, die zu
Zentren des Handels wurden und teilweise einen beträchtlichen Wohlstand
erlangten.
116
IV.3.1. Die Seidenstraße: (vgl. Abb.6)
Dieses System der innerasiatischen Verkehrswege, die China mit dem Westen
verbanden, wird insgesamt als die Seidenstraße bezeichnet, u.a. da die Seide ein
wichtiges Handelsobjekt war. Seide wurde hier u.a. als Zahlungsmittel für andere
Waren eingesetzt. Im zentralasiatischen Karawanenhandel gab es jahrhundertelang
verschiedene Routen, wobei zu bestimmten Zeiten aus politischen oder klimatischen
Gründen bestimmte Routen favorisiert wurden. So wurde z.B. ab dem 5.Jhdt. n.Chr.
vor allem die „nördliche Route der Seidenstraße“ genutzt. Die „südliche Route“, die
von Dunhuang über die Oasen des Tarim-Beckens geführt hatte, wurde infolge der
dort einsetzenden Austrocknung unpassierbar.
117
Die wichtigste Route war die
zwischen China und dem Westen.
112
KRADER (1966:7)
113
KRADER (1966:28f)
114
TAAFFEE (1990:20)
115
SAGASTER und SAGASTER (1966:14)
116
FRANZ, H.G. (1986:22)
117
KLIMKEIT, Hans-Joachim: Die Seidenstraße. Köln 1988:10
48
Die Seidenstraße hatte auch eine große kulturhistorische Bedeutung. U.a. hatte die
Seidenstraße eine nicht unerhebliche Bedeutung für die Ausbreitung des ursprünglich
in Indien entstandenen Buddhismus. Zahlreiche Mönche bereisten über die
Seidenstraße Indien um die wahre Lehre in ihrem ursprünglichen Entstehungsgebiet
kennen zulernen
118
Der Handel an der Seidenstraße konnte aber nicht immer reibungslos abgewickelt
werden. Kriegszüge, politische Unruhen, Überfälle durch Räuberbanden oder
Nomaden sowie die Unberechenbarkeit der Natur machten das Reisen auf der
Seidenstraße zu einem gefährlichen Unternehmen.
Vor dem 19. Jahrhundert war das ganze System der Handelswege wahrscheinlich nur
während einer kurzen Zeit für den zivilen Verkehr verhältnismäßig sicher, nämlich in
der Zeit des tschingisidischen Reiches.
119
Selbst wenn die Verkehrswege halbwegs
sicher waren, war das Reisen wegen der unermesslichen Entfernungen mit großen
physischen Anstrengungen verbunden.
Die Beförderung von Personen und Waren hing von Lasttieren ab, wobei u.a. die
folgenden Tiere verwendet wurden:
120
Im Südwesten wurden Pferde, Maulesel und
Esel sowie die einhöckrigen Kamele verwendet. In den kälteren Gegenden dienten die
baktrischen Kamele als Transporttiere. In den hochgelegenen Regionen wurde der
Transport mit Yaks und Hainag´s (einer Kreuzung zwischen Yakbullen und
domestizierten Kühen) bewerkstelligt. Es gab auch eigene Postpferde.
Die Reise zwischen den Oasen der Seidenstraße erfolgte primär mit dem Pferd, selten
zu Fuß. Die Karawanen wurden meist von bewaffneten Gruppen begleitet. Man
konnte spezialisierte Karawanenführer anheuern, die dann jeweils durch andere auf
eine Region spezialisierte Führer ausgetauscht wurden.
121
U.a. bestand ein Tauschhandel zwischen den Oasen und den Nomaden. Daneben gab
es eine ansatzweise vorhandene Geldwirtschaft. Seidenballen dienten als
Wirtschaftseinheiten zur Verrechnung oder zum eigentlichen Handel. Papiergeld
wurde in Zentralasien vermutlich erst nach 1260 benutzt. Nicht selten stand der
geregelte Handel nach KLIMKEIT zwischen den Sesshaften und den Nomaden unter
dem Zeichen einer Waffenbruderschaft, welche die Stadtstaaten und agrarischen
Gebiete zur Erlangung des Friedens nomadischen Partnern anbieten mussten. Sogar
das mächtige China war zeitweise auf derartige Arrangements mit den Nomaden
angewiesen.
122
Neben den Kaufleuten bereisten zahlreiche Diplomaten (z.B. Botschafter des Papsts)
und Militärs aber auch Pilger und Mönche die Seidenstraße.
Aufgrund der oben genannten Faktoren gab es ein ständiges Auf- und Ab der
Bedeutung der Seidenstraße. Ihre Blütezeit erlebte sie um 1000 n.Chr. Dann fand die
große Zeit der Ost-West-Kontakte entlang der Seidenstraße ein vorläufiges Ende. Die
Song-Dynastie in China (960 bis 1279) war für die Beziehungen nach Westen hin
nicht förderlich. Erst in der Mongolenzeit (13. und 14.Jhdt.) gewann der Überlandweg
nach Westen wieder an Bedeutung. Der diplomatische und missionarische Austausch
zwischen dem Abendland und Ostasien war damals sehr lebendig. Marco Polo,
verschiedene katholische Geistliche (wie z.B. Montecorvino, Johannes von Plano
Carpini und Wilhelm von Rubruk, Guillaume Boucher, etc.) konnten unter der „Pax
118
KLIMKEIT (1988:21-31); vgl. z.B. (vgl. z.B. die Pilgerreisen der chinesischen Mönche Faxian
(399-414 n.Chr.) oder Xuanzang (629-645 n.Chr.).
119
SAGASTER und SAGASTER (1966:17)
120
SAGASTER und SAGASTER (1966:17f)
121
KLIMKEIT (1988:18)
122
KLIMKEIT (1988:16)
49
Mongolica“ bis in das mongolische Gebiet und in das China der Yuan-Dynastie (1271
bis 1368) reisen. Umgekehrt sandten die Mongolen nestorischen Missionare nach
Europa, bis nach Frankreich. Mit dem Ende der Yuan-Dynastie erlahmte er jedoch
wieder.
123
Mit der Entdeckung der neuen Seewege erlangte er dann nie mehr seine
ursprüngliche Bedeutung.
In der russischen bzw. sowjetischen Zeit wurden dann eine Reihe von
Eisenbahnstrecken errichten. Zu den Haupteisenbahnlinien in Zentralasien zählen laut
KRADER:
124
Die Krasnovodsk- Ashkhabad-Ferghana-Tal Linie, die Saratov-
Taschkent- Linie, die Bukhara-Termes-Dushanbe-Linie, die Novosibirsk- Barnaul-
Alma-Ata-Linie, die Petropavlovsk- Karaganda- Balkash-Linie und die
Magnitogorsk-Akmolinsk-Pavlodar-Barnaul-Linie.
IV.3.2. Die kulturgeschichtliche Bedeutung Zentralasiens:
In diesem Zusammenhang erwähnen SAGASTER und SAGASTER
125
zwei
Funktionen:
1) wegen seiner ungeheuren Weite hat es einerseits die Kulturen an seinen Peripheren
voneinander getrennt gehalten.
2) Andererseits hat Zentralasien zur Ausbreitung der Kultur einen schmalen, aber fast
nie unterbrochenen Verbindungsweg zwischen diesen Randkulturen geschaffen.
Ähnliches konstatieren auch GABAIN und KLIMKEIT: „Charakteristisch ist für das
„Land der Seidenstraße“, dass es die Hochkulturen von Iran, Indien und China
miteinander verband, ohne selbst einen homogenen Kulturraum darzustellen. Hier
machten sich nicht nur die Einflüsse der drei genannten Hochkulturen bemerkbar. Die
Region war auch geprägt durch die Oasen und die Kulturen der Nomadenvölker, die
in den Steppen und Wüsten Zentralasiens lebten.“
126
„Der Oasencharakter des
besiedelten Raumes und die Grenzenlosigkeit der Nomadenbereiche sind die
gemeinsamen Eigenheiten des riesigen Landes „Zentralasien“, das zwischen
Hochkulturen liegt.“
127
Laut FRAGNER hatte Zentralasien die folgende kulturhistorische Bedeutung: „Das
besondere Verdienst dieser zentralasiatischen Landmasse in der
Menschheitsgeschichte bestand darin, weite und dichte Landverbindungen,
Kommunikations- und Verkehrssysteme zwischen den großen Kulturen der Alten
Welt zu schaffen und damit selbst zur multikulturellen Begegnungs- und
Austauschstätte zwischen den antiken und mittelalterlichen Kulturen des Mittelmeers,
Mesopotamiens und Irans sowie Indiens und Ostasiens gewordenen zu sein.
Symbolhaft für diese Funktion Zentralasiens steht der neuerdings wieder sehr
populäre Begriff der Seidenstraße.“
128
Bezüglich der Bedeutung der Nomaden in
diesem Kontext bemerkt FRAGNER: „Seit vorchristlicher Zeit werden zwei
Hochkulturen durch den zentralasiatischen Steppenraum unmittelbar miteinander
verbunden: die chinesische im Osten und die iranische im Südwesten. Bis ins frühe
Mittelalter prägen sie die hochkultürlichen Elemente Eurasiens. Diese Elemente der
Hochkultur werden im historischen Eurasien nicht nur von hier nach dort
123
KLIMKEIT (1988:17f)
124
KRADER (1966:29f)
125
SAGASTER und SAGASTER (1966:15)
126
KLIMKEIT (1988:8)
127
GABAIN zitiert nach Klimkeit (1988:14)
128
FRAGNER, Bert: Hat Zentralasien bei uns eine Chance? Fragen an die Forschungs- und
Entwicklungspolitik. (Arbeitspapier (für Vortrag in Banz auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft
gegenwartsbezogener Orient, Jänner 1993). 1993:3f
50
weitergereicht. Sie umrahmen vielmehr eine spezielle Zivilisations- und
Gesellschaftsform, die unverwechselbar und über zwei Jahrtausende hinweg der
eurasischen Steppe angehört: die Kultur der innerasiatischen, in Stämmen
organisierten Reiter- und Hirtennomaden. In ihrem weitläufigen Lebensraum haben
sie ihnen eigene, besondere Lebensformen entwickelt. An erster Stelle ist hier ihre
erstaunliche Mobilität zu erwähnen.“
129
IV.3.3. Die Oasenstädte und ihre Bedeutung:
Sie hatten, wie bereits ausgeführt wurde, eine Multifunktion. Sie waren: Zentren
dauerhafter Besiedlung und landwirtschaftlicher Nutzung, Zentren des Handels und
der politischen Macht sowie kulturelle und religiöse Zentren. Viele dieser Oasen
waren kosmopolitisch orientiert. Es gab eine große ethnische und sprachliche Vielfalt.
Viele Bewohner der Oasen waren bi- oder auch tri-lingual. Die Hauptfunktionen der
Oasenstadt waren und sind der Handel, das Handwerk und die Verwaltung.
Bestimmte Oasenstädte wurden als Herrschaftssitze ausgebaut, z.B. Karakorum unter
den Mongolen, und Samarkand von Timur Lenk. Die Oasen hoben auf die Waren, die
entlang der Seidenstraße transportiert wurden, Zölle ein, die für die Stadtstaaten
beträchtliche Einkünfte boten.
130
Charakteristisch für die Städte im Iran und in Turkestan war laut von GRUNEBAUM
in der vorislamischen Zeit das Vorhandensein einer Zitadelle, die sich deutlich von
der eigentlichen Stadt abhob. Die Städte bestanden meist aus dieser Zitadelle und der
eigentlichen Stadt, dem Scharistan (dem „Sitz der Macht“). Der Bazar lag außerhalb
der Ummauerung. Dieser Bereich war meist mit einem zweiten Wall umgeben. In der
islamischer Zeit kam es dann zur Übernahme nahöstlich-arabischer Einflüsse und die
Stadt entwickelte sich entsprechend dem arabisch-islamischen Siedlungsmuster (z.B.
Quartiersstruktur, Sackgassengrundriss, branchensortierter Bazar).
V. ÜBERBLICK ÜBER DIE GESCHICHTE ZENTRALASIENS:
Vorbemerkungen:
Bis heute ist die archäologische Erforschung Zentralasiens nicht abgeschlossen,
sodass sich noch kein endgültiges Bild der Frühzeit zeichnen lässt.
Als „tepe“ werden von der einheimischen Bevölkerung nicht nur Hügel im
allgemeinen, sondern auch die Ruinen alter Siedlungsplätze bezeichnet. „Kurgane
sind künstliche Grabhügel.
V.1. Die frühe Zeit:
131
Die ersten Spuren, die die Anwesenheit des Menschen in der Region bezeugen, haben
sowjetische Archäologen für die Altsteinzeit gesichert.
129
FRAGNER (1993:4)
130
KLIMKEIT (1988:15)
131
) Vgl .u.a. BELENICKIJ, Alexandre: Zentralasien. München, Genf, Paris 1968, DANI, A. H. and
MASSON V.M.: History of Civilizations of Central Asia. Vol. 1: Tt
he Dawn of Civilization: Earliest
Times to 700 B.C. Paris 1992, PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte
und Gegenwart der Völker Mittelasiens. Köln 1986:90ff
51
V.1.1. Paläolithische (altsteinzeitliche) Funde:
Zu den wichtigsten Funden dieser Periode gehören (vgl. Abb.7 und Abb.8):
* Teschik-Tasch (1) (südöstlich von Termez)
* Aman-Kutan (2) (bei Samarkand)
* Karatau (3) (nördlich von Tschimkent)
* Saraut-Sai (4) (in den Ausläufern des Baba-Tag-Gebirges bei Termez)
1938 wurde der erste paläolithische Fund in Zentralasien gemacht. In dem als Teschik
Tasch (1) bezeichneten Grabungsort fand man eine große Anzahl von
Steinwerkzeugen und Tierknochen, daneben auch das Skelett eines 8 oder 9 Jahre
alten Knaben, der sorgfältig in einer flachen mit Hörnern von Steinböcken bedeckten
Grube bestattet worden war. Der gut erhaltene Kopf des Knaben erlaubte eine
Datierung auf 30.000 bis 40.000 v.Chr. In Saraut-Sai wurden über 200
Felszeichnungen in rotem Ocker gefunden auf denen in Felle gekleidete Jäger
dargestellt sind, die mit Pfeil und Bogen Wildtiere erlegen.
.
V.1.2. Mesolithische (mittelsteinzeitliche) Funde:
(um das 10. Jahrtausend v.Chr.)
Diese Periode stellte eine wesentliche Phase in der Menschheitsentwicklung dar. Die
Menschen lernten u.a. fein geformte steinerne Pfeilspitzen herzustellen und erfanden
den Bogen. Die Nahrungsbasis bestand nicht mehr nur aus gesammelten Pflanzen und
Früchten und sowie Jagdtieren, sondern auch aus angepflanzten Getreidearten und
gezüchteten Haustieren. Der Anfang des Ackerbaus und der Viehzucht führten zu
einschneidenden Veränderungen in der gesamten Struktur und Lebensform der
menschlichen Gesellschaft.
V.1.3. Neolithikum und Bronzezeit:
Die Entwicklung sesshafter ackerbautreibender Kulturen verlief in Zentralasien nicht
zeitgleich. Im südlichen Turkmenisten, wo die besten natürlichen Bedingungen für
den Übergang von Jäger- und Sammlertum bestanden, konnten die ersten Belege
dafür aus der Zeit 6.000 bis 5.000 v.Chr. gefunden werden. Ihren Höhepunkt
erreichten diese sesshaften Ackerbauzivilisationen im 4. bis 3. Jahrtausend v.Chr. In
anderen Regionen Zentralasiens setzte diese Entwicklung rund 1.000 Jahre später ein
und verlief hier recht unterschiedlich (vgl. Abb.8 und Abb.9)
V.1.3.1. Das Neolithikum und die Bronzezeit im südlichen Turkmenistan:
Zu den bedeutendsten Funden dieser Periode in Süd-Turkmenistan zählen: (vgl.
Abb.7)
* Dschebel (8)
* Dscheitun (9) (bei Aschhabad)
* Anau (10)
* Namasga-Tepe (11)
* Altyn-Tepe (12) (nahe der iranischen Grenze)
Dscheitun (6) gilt heute als der älteste Beleg für ackerbautreibende Kulturen in
Zentralasien.
132
Hier wurde ein ganzes Dorf mit 35 einzelnen Wohnhäusern
ausgegraben, die aus runden Blöcken sonnengetrockneten Lehms erbaut waren.
Daneben wurden Handmühlen aus Stein, Keramikgefäße, die noch ohne
Töpferscheibe gefertigt waren, aber bereits ein einfaches Dekor aufwiesen, gefunden.
Die an bestimmten Stellen gehäuft ausgegrabenen Werkzeuge und Töpferwaren
lassen vermuten, dass deren Herstellung bereits von Spezialisten durchgeführt wurde.
132
) Ursprünglich galt Anau (10), südöstlich von Aschkhabad, als älteste Ackerbaukultur. Anau war auf
9000 v.Chr. datiert worden. Dies erwies sich jedoch als Fehldatierung.
52
Ausgegrabene Tierknochen belegen, dass der Prozess der Domestikation von Tieren,
insbesondere Schafen, bereits begonnen hatte. Allerdings spielte die Jagd noch eine
große Rolle.
V.1.3.2. Neolithische Funde in Tadschikistan: (vgl. Abb.7)
Die Funde von Tutkaul und Saj-Sajed (5) am Mittellauf des Wachsch, wo drei Gräber
ohne Grabbeigaben aus der Zeit 7.000 v.Chr. entdeckt wurden sowie die Fundstätten
im südlichen Tadschikistan (6), die mikrolithische Steingeräte mit geometrischen
Formen (Trapeze, Parallelogramme) aus dem 7.-5. Jahrtausend v.Chr. beinhalteten,
belegen, dass es auch in anderen Regionen des südlichen Zentralasien zu einer
jungsteinzeitlichen Besiedlung kam.
Neben der Dscheitun-Kultur (9) stellen die Funde von Namasga-Tepe (mehrere
Phasen I-VI) (11) die bedeutendsten Zeugnisse der frühen Ackerbaukulturen im
südlichen Zentralasien dar. Bei Namasga-Tepe handelt es sich um einen über 70 ha
großen Hügel (Tepe) südöstlich von Aschkhabad/Turkmenistan. Insgesamt weist
Namasga-Tepe sechs verschiedene Kulturschichten auf. Namasga-Tepe ist u.a. ein
interessantes Beispiel für die Anwendung der sogenannten Mündungs- oder Liman
(=Schlammflächen) Bewässerung: Unter Ausnutzung des jahreszeitlich bedingten
(und später künstlich regulierten, z.B. durch Dämme und Deiche) Hochwassers und
der damit verbundenen Schlammbildung wurde das Getreide im Bereich der weiten
Flussmündungen angebaut.
Während die frühen Stufen der Namasga-Kultur (Namazga I-III) noch Dorfkulturen
waren, die von Bodenbau (Weizen, Gerste) und Viehzucht (Schaf, Schwein, Rind)
geprägt waren und eine zunehmende technische Verbesserung aufwiesen (z.B.
Nachweis des Rades, Verwendung von Rindern als Zugtiere), handelt es sich bei den
späteren Phasen der Namasga-Kultur (IV-VI) bereits um großflächige Siedlungen,
deren technologischer Stand beachtlich war. Töpferei mit der Töpferscheibe,
Verwendung von 2- und 4 rädrigen Wägen, verfeinerte Bewässerungstechnologie. Die
zahlreichen Funde aus den verschiedenen Schichten gaben auch Aufschlüsse über die
religiösen Vorstellungen der BewohnerInnen (z.B. Muttergottheitsfiguren).
Namazga-Tepe, wie auch Geoksjur (14) und Kara-Tepe (13) sind charakteristisch für
die späteren Entwicklungsstufen der Ackerbaukulturen im südlichen Teil
Zentralasiens.
Altyn-Tepe (wichtigsten Funde aus der Zeit zwischen 2.100 - 1.800 v.Chr.) zeigt
deutlich die Entwicklung einer sesshaften, Ackerbau und Viehzucht treibenden
Gesellschaft hin zu einer städtischen Zivilisation, die auch Beziehungen zu den
benachbarten altorientalischen Zivilisationen (z.B. Mesopotamiens) hatte und große
Parallelen mit diesen aufweist (z.B. Fund eines Tempels, in welchem die Mondgöttin
verehrt wurde). Die ausgegrabenen Funde belegen, dass die Kultur von Altyn-Tepe
bereits eine starke gesellschaftliche Arbeitsteilung und ausgeprägte
Wohlstandsunterschiede aufwies; u.a. gesonderte Handwerksviertel, Kultzentrum etc.
Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild der kulturellen Entwicklung in
Süd-Turkmenistan:
Hier erfolgte der erste Höhepunkt sesshafter Siedlungsweise in Zentralasien.
Ackerbau (verbunden mit künstlicher Bewässerung durch ein ausgedehntes Netzwerk
von Wasserkanälen, Staustufen etc.) und Viehzucht (Rinder und Kleinvieh) wurden
zur Grundlage der Wirtschaft. Metall kam für die Herstellung von Werkzeugen,
53
Geräten, Waffen, Schmuck etc. in allgemeinen Gebrauch. Die entsprechenden
Bearbeitungstechniken nahmen mit Ende der Bronzezeit einen großen Aufschwung.
Die menschlichen Siedlungen wurden wesentlich größer und als Hauptbaumaterial
dienten stabile, gerade luftgetrocknete Ziegel aus Lehm und Strohbeimengung. Die
Häuser hatten mehrere Zimmer für verschiedene Zwecke. Sie waren entlang von
Straßen angelegt und die gesamte Siedlung war von Mauern aus Stampflehm
eingeschlossen (Anfänge erster Schutzwälle). Buntkeramik (Verwendung von
Töpferscheibe und Brennöfen) war weit verbreitet
Das gesamte bei den Ausgrabungen bisher gewonnene Material belegt, dass diese
Gesellschaften imstande waren, einen Überschuss an Nahrungsmitteln und anderen
Produkten zu erzeugen, wodurch die Entwicklung des Handels angeregt wurde. Die
vermehrten Handelskontakte führten ihrerseits zu verstärkten kulturellen Beziehungen
mit anderen Teilen des Nahen Ostens. Gleichzeitig gibt es Hinweise für eine erhöhte
Bevölkerungszuwachsrate, die wiederum erste Wanderbewegungen der Bevölkerung
bewirkten.
In den bronzezeitlichen Kulturen, die auf die Zeit zwischen 2.400 und 1.700 v.Chr.
datierten werden (Namazga-Tepe IV und V) erzielten der Ackerbau (künstliche
Bewässerung) und die Viehzucht beträchtliche Verbesserungen. Auch der Pflug sowie
zwei- und vierrädrige Fahrzeuge dürften in dieser Periode angefertigt worden sein.
Die Erfindung der Töpferscheibe, Fortschritte in der Brenntechnik, berufsmäßige
Erzeugung der Keramik mit Tendenz zur Massenproduktion, Ersetzen der
Buntkeramik durch Geschirrtypen aus Stein und Metall und eigene Siedlungsviertel
für verschiedene Gewerbe werden durch archäologische Funde belegt. Die
Metallbearbeitung und der Webbereich weisen Übergänge zum Berufshandwerk auf.
Auf die Entwicklung des Privateigentums und der ungleichen Güterverteilung weisen
insbesondere Gräberfunde (z.B. tönerne und steinerne Siegel) hin. Ansätze sozialer
Differenzierung der Gesellschaft werden deutlich, jedoch fehlt in Süd-Turmenistan
die Schreibkunst, die zu dieser Zeit für Indien, Ägypten oder Mesopotamien belegt ist.
In Südturkmenistan fand die Entstehung einer Stadtkultur mit Schrift und
ausgeprägter zentralstaatlicher Organisation erst zu einem späteren Zeitpunkt statt.
V.1.3.3. Das Neolithikum und die Bronzezeit in den anderen Regionen
Zentralasiens:
Während diese Kulturen im 4. und 3. Jahrtausend v.Chr. in Süd-Turkmenistan ihren
Höhepunkt fanden, setzte in die übrigen Teilen Zentralasiens die Entwicklung erst
rund 1.000 Jahre später ein und verlief recht unterschiedlich, zumal die lokalen
Bedingungen auch sehr verschieden waren (vgl. Abb.7)
Die neolithische Kultur Choresms ist als Kel´teminar Kultur
bekannt geworden, der
eigentliche Fundplatz ist jedoch Dschanbas-Kala (15). Die hier gefundenen
Tierüberreste belegen, dass die Hauptbeschäftigung der Bewohner Jagd und Fischfang
waren. (ad. Details vgl. Abb.7).
Die charakteristische bronzezeitliche Kultur ist die Tasabagjab-Kultur: Die
aufschlussreichste Grabungsstätte in Choresms ist die als Kokcha III (16) benannte
Siedlung. (Details vgl. Abb.7)
V.1.3.4. Zusammenfassung ad. Entwicklung Zentralasiens im Neolithikum und
in der Bronzezeit: (vgl. Abb.8 und Abb.9)
Während die Kulturen des Südwestgebietes (Südturkmenistan) ihren Gipfelpunkt im
4.bis 3.Jahrtausend v.Chr. erreichten, ist der Höhepunkt der anderen Kulturen, die sich
im Nordostteil Zentralasiens entwickelten, mindestens tausend Jahre später
54
anzusetzen, und in manchen Fällen war die Entwicklung noch langsamer. Die
Kulturen dieser beiden Gebiete wichen auch im Charakter erheblich von einander ab.
Entsprechende Unterschiede finden sich auch in den externen Beziehungen. Im
allgemeinen waren die Kulturen des Südwestens auf die alten Zivilisationen in Iran
und Mesopotamien ausgerichtet mit denen sie enge Verbindungen unterhielten,
während die Nordwestgebiete mit dem großen Steppengürtel, der sich von der unteren
Wolga bis zur Ostgrenze Kazakhstans erstreckt, in Verbindung waren. In diesem
Gebiet entwickelte sich die bronzezeitliche Andronovo-Kultur, die ihren
Gipfelpunkt im 2. Jahrtausend v.Chr. hatte. Diese Region sollte in der Folge
entscheidend für die spätere historische Entwicklung Zentralasiens werden, ist sie
doch gleichsam als die „Wiege des zentralasiatischen Reiternomadismus
anzusehen. (vgl. Abb.9)
V.2. Zur Entstehungsgeschichte des zentralasiatischen Reiternomadismus:
133
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass sich der zentralasiatische
Reiternomadismus aus einer sesshaften Ackerbau und Viehzucht treibenden Kultur
entwickelt hat, wobei einerseits Impulse von den Steppenbauernkulturen wie auch von
den südsibirischen Waldlandbewohnern vermutet werden. Ausgangspunkt für die
Überlegungen zur Entwicklung des Reiternomadismus sind die Afanas´evo-, die
Okunevo-, Andronovo- und die Karasuk-Kultur. (vgl. Abb.10)
V.2.1. Die Afanas´evo-Kultur (Ende des 3.Jahrtausends v.Chr.):
Zentrum dieser Kultur war das Yenisei-Minusa- und Altai Gebiet. Die lokalisierte
Afanas´evo-Kultur war verbunden mit einer europiden Bevölkerung von
Viehzüchtern, die auch die Metallbearbeitung kannten. Ihre Kultur zeigt Kontakte mit
dem westlichen Eurasien (z.B. den pontischen Steppen), wo sie möglicherweise ihren
Ursprung hatten.
V.2.2. Die Okunevo-Kultur (Beginn des 2.Jahrtausends v.Chr.):
Hier dominierte eine mongoloide Bevölkerung, die wahrscheinlich aus dem
sibirischen Waldgürtel stammte. Die Viehzucht (Nutzung auch als Arbeitstiere) und
die Metallurgie erlangten, neben dem Ackerbau, nun eine noch größere Bedeutung.
Die Gräber (Kurganen) weisen mehr und unterschiedliche Grabbeigaben auf.
V.2.3. Die Andronovo-Kultur (ca. Mitte des 2.Jahrtausends v.Chr.):
Sie war west-eurasischen Ursprungs, mit einer Verbreitung von den pontischen
Steppen bis zum Jenisei. In der Andronovo-Kultur dominierte eine wahrscheinlich
indo-iranische Bevölkerung, die stärker ackerbaulich und metallurgisch orientiert war.
Die späteren Phasen der Andronovo-Kultur waren mit den frühen Skythen-Saken
(iranischen Völkern) verbunden.
V.2.4. Die Karasuk-Kultur (1.300 bis 800 v.Chr.):
Um 1.300 v.Chr. wurde die Andronovo-Kultur, durch die Karasuk-Kultur abgelöst.
Die Karasuk-Kultur scheint einen transhumanten Charakter gehabt zu haben. Das
Hornvieh stand an erster Stelle, aber auch dem Pferd wird nun eine größere
Bedeutung beigemessen. Ebenso war die die Metallverarbeitung der Karasuk-
Stämme, die ethnisch gemischt gewesen sein dürften (indo-iranische und mongoloide
Elemente) bedeutsam. In der Karasuk-Periode verbesserte sich das Zaumzeug.
133
) vgl. im Detail GRJASNOW, Michail: Südsibirien. Stuttgart u.a. 1970 und GOLDEN, Peter B.: An
Introduction to the History of the Turkic Peoples. Wiesbaden 1992:40ff
55
V.2.5. Die Tagar-Kultur (ca. 800 v.Chr. bis 1.Jhdt. n.Chr.):
Die nomadische Lebensweise ist zwar noch nicht vollentwickelte, aber diese Kultur
wird bereits als „early nomad„ klassifiziert.
134
Dieses frühe Nomadentum, das auf
dem Pferd als wichtigem Faktor basiert, geht möglicherweise auf skythisch-sakischen
Ursprung zurück und war in Stammeskonföderationen organisiert. Der berühmteste
Grabfundplatz von Pazyryk im Altai ist ein gutes Beispiel für die frühe nomadische
Kultur. Diese Ära markiert auch den Beginn der Eisenzeit in der Region. Das Pferd
spielte auch im Kult eine große Rolle. Es wurde rituell geschlachtet und mit seinem
Besitzer bestattet. Diese Nomaden lebten in transportablen Hütten. Neben dem Pferd
wurden auch Rinder und Schafe gezüchtet.
V.2.6. Zusammenfassung ad. Entwicklung des Reiternomadismus
:
135
Bezüglich der Entstehungsgeschichte des zentralasiatischen Reiternomadismus
herrscht laut GOLDEN keine einheitliche wissenschaftliche Meinung vor.
Übereinstimmung besteht nur darin, dass er aus Viehzucht und Ackerbau treibenden
Kulturen entstanden ist. Vorbedingung für die Entstehung des Reiternomadismus war
die Domestikation des Pferdes, die für das 3. Jahrtausend v.Chr. (möglicherweise
schon im 4.Jahrtausend v.Chr.) in den ponto-kaspischen Steppen belegt ist. Aber erst
um ca. 1.500 v.Chr. hatte sich die Pferdetechnik so verbessert, dass sich eine
wirkliche Kultur von Reitern entfalten konnte. Insgesamt gibt es laut GOLDEN eine
Reihe von Faktoren, die zusammentrafen und gemeinsam zur Schaffung des
eurasischen Nomadismus beitrugen:
1) Die volle Beherrschung der Pferdetechnik (sie trat wahrscheinlich am frühesten in
der westlichen eurasischen Steppe auf und verbreitete sich nach Osten)
2) Das Wachstum der menschlichen und tierischen Populationen
3) verschiedene technische Fortschritte in der Metallurgie
4) Wandel im Klima, insbesondere wachsende Aridität ab Ende des 2.Jhdt. v.Chr.
5) Entstehung sesshafter Staaten oder ihrer Außenposten in den Peripherien der
euroasiatischen Steppen.
Der Übergang zum Nomadismus, der für Ende der Karasuk-Periode (ca. 800 v.Chr.)
angesetzt wird, führte zu einer Verschiebung von Stämmen, zu diversen
Migrationsbewegungen der in der Steppe um die Kontrolle des Weidelandes
kämpfenden Gruppen. Diese Migrationsbewegungen sollten in der Folgezeit zu einem
wesentlichen die Geschichte Zentralasiens, aber auch Europas, bestimmenden Faktor
werden. Der ethnische Ursprung dieser frühen Reiternomaden lässt sich nicht überall
mit Sicherheit festlegen. Bei den frühen Reiternomaden dürfte es sich primär um
indo-iranische Völker handeln, die der sogenannten „skythisch-sibirischen
Kulturgemeinschaft„ zugeordnet werden.
136
Insbesondere die Skythen (Saken)
wurden zu einem bedeutsamen Faktor, unternahmen sie doch im 8. bis 6. Jhdt. v.Chr.
zahlreiche Beutezüge in den Nahen Osten. Impulse zu seiner Weiterentwicklung hat
der Reiternomadismus sowohl aus den sesshaften Zivilisationen im Südwesten wie
auch aus den Waldland-Regionen Sibiriens erhalten. Einen entscheidenden Beitrag
zur militärischen und politischen Stärke der zentralasiatischen Reiternomaden lieferte
134
) GOLDEN (1992:41)
135
) vgl. GOLDEN (1992:42ff); vgl. auch KALTER (1983:32f) und URAY-KÖHALMI, Käthe: Das
zentralasiatische Kultursyndrom. in: Heissig, W. und Müller C. (Hrsg.): Die Mongolen. Innsbruck und
Frankfurt am Main 1989:47-52
136
) GOLDEN (1992:43)
56
die verbesserte Bewaffnung (Reflexbogen, Kurzschwert) und die Entwicklung der
Reittechniken (Steigbügel, Zaumzüge und Sättel). (vgl. dazu Abb.11). Dies erlaubte
es den Nomaden in den folgenden Jahrhunderten immer wieder als Eroberer und
Reichsgründer in Erscheinung zu treten. (vgl. z.B. die Skythen-Saken, Hunnen
(Hsiung-nu), Hephtaliten), Mongolen, Kirgisen, Uzbeken etc.
V.3. Die historische Entwicklung Zentralasiens (von ca. 500 v.Chr. bis zur
Gegenwart):
137
Mit der Etablierung des zentralasiatischen Reiternomadismus als einer eigenständigen
Kultur- und Wirtschaftsform gewannen die verschiedenen nomadisierenden Gruppen,
in denen zunächst die indo-iranischen Elemente und später die turko-mongolischen
Gruppen dominierten, verstärkt an politischer Bedeutung. Damit setzte jener Prozess
ein, der bis zur Annektion dieser Region durch Russland bzw. China, die Geschichte
wesentlich bestimmte; nämlich die permanente Rivalität zwischen nomadischen und
sesshaften Gruppen und zwischen den diversen nomadisierenden Stämmen.
V.3.1. Die Skythen (Saken):
Die Heimat der Skythen, die in den iranischen und indischen Quellen auch als Saken
bezeichnet wurden, lag im 1. Jahrtausend v.Chr. noch in der Gegend des Tienschan.
Etwa um die 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts v.Chr. wanderten die Skythen, die in
verschiedene Gruppen gegliedert waren, in das Gebiet der Kimmerer, die im
westlichen Eurasien siedelten, ein. Sowohl die Kimmerer wie die Skythen waren
indo-iranische Pferdenomaden. Zwischen dem 8. und dem 6.Jhdt. v.Chr. unternahmen
die Skythen zahlreiche Eroberungs- und Beutezüge, sowohl nach China wie auch
nach Iran und in andere Gebiete im Westen. Im 8. und 7. Jhdt. konnten sie ein eigenes
Reich, das sogenannte „Saken-Reich„ etablieren (vgl. Abb.12), dessen Zentrum sich
in Issyk-Kurgan (4) ca. 50km östlich von Alma-Ata befand. Im westlichen
euroasiatischen Steppenland verloren die Skythen um das. 5.-4. Jhdt. v.Chr. an
Einfluss. Zusammen mit den Massageten (Yüeh-chih), die südlich des Aral-Sees
lebten (vgl. Abb.12), leisteten sie erbitterten Widerstand gegen die in die Region
vordringenden Achämeniden und gegen die Heere Alexanders des Großen. Zu den
wichtigsten Dokumenten der Sakenkultur gehören ihre Kurgane, die laut PANDER
138
zu Stein gewordene Nachbildungen der Jurten darstellen. Wichtige Informationen
über die Skythen stammen u.a. von Herodot.
Diesen Nomadenreichen standen eine Reihe sesshafter politischer Einheiten
gegenüber, wie z.B. Choresm, Sogd, Baktrien etc. (vgl. Abb.12). Diese sesshaften
Zivilisationen gerieten insbesondere ab der Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. unter
einen zunehmenden politischen Druck, da sie im Norden von den nomadischen
Stammeskonföderationen (z.B. Saken und Massageten) und im Südwesten durch die
Achämeniden und Alexander d. Große bedroht wurden.
137
) Zusammengestellt aus GOLDEN (1992), HAMBLY, Gavin (Hrsg.): Zentralasien. (Fischer
Weltgeschichte, Band 16), Frankfurt am Main 1966, SCHARLIPP, Wolfgang Ekkehard: Die frühen
Türken in Zentralasien. Eine Einführung in ihre Geschichte und Kultur. Darmstadt 1992,
ALLWORTH, Edward: Central Asia. 120 Years of Russian Rule. Durham and London 1989,
BARFIELD, Thomas: The Perilous Frontier. Nomadic Empires and China, 221, B.C. to A.D. 1757.
Cambridge, Mass und Oxford. BARTHOLD, V.V.: Zwölf Vorlesungen über die Geschichte der Türken
Mittelasiens. Berlin 1935 (reprint), BARTHOLD, V.V. Four Studies on the History of Central Asia. 2
Vols. Leiden 1958 (reprint), BARTHOLD, V.V.: Turkestan Down to the Mongol Invasion. London
1977 (4.Auflage). (siehe auch ausführliche Literaturliste in Vorlesungsmappe in der Handbibliothek)
138
PANDER (1986:103)
57
V.3.2. Das Achämeniden-Reich (530 bis 330 v.Chr.):
Mitte des 6. Jhdt. v.Chr. drang Kyros II (559-530 v.Chr.), der Begründer des
Achämeniden-Reiches, in Zentralasien ein. Sein Nachfolger Darius I (550-486 v.Chr.)
konnte ganz Zentralasien erobern. Unter dem Einfluss der Achämeniden kam es zu
bedeutsamen Veränderungen in der Region, u.a. Impulse für den Ausbau der
Irrigationstechniken, der Stadtentwicklung, des Handels, Übertragung der persischen
Verwaltungsorganisation auf Zentralasien, wo die einzelnen Regionen in Satrapien
aufgeteilt und eine bestimmte politisch einflussreiche Schicht (die großen
Grundbesitzer) mit Verwaltungsaufgaben betraut wurde (dieses System wurde auch in
späterer Zeit, insbesondere unter den nomadischen Dynastien beibehalten) wie z.B.
Einhebung hoher Tribute aus Zentralasien (Gold, Türkis, Lapislazuli sowie von
wehrtüchtigen Männern für die persischen Truppen, die in den Feldzügen gegen
Ägypten und Griechenland eingesetzt wurden)
Unter den Kyros II, einem achämenidischen Herrscher wurde die Lehre Zarathustras,
vermutlich um 630 v.Chr. in Baktrien geboren, zur Staatsreligion erklärt. Diese Lehre
wurde jahrhundertelang mündlich in Zentralasien überliefert und erst im 1. Jhdt. vor
Chr. aufgezeichnet. Sie prägte mehr als tausend Jahre die kulturelle Entwicklung
Zentralasiens, bis zum Eindringen des Islams. (vgl. Detail, Ausführungen unten)
V.3.3. Das gräko-baktrische Reich (250-130 v.Chr.):
Dem makedonischen Eroberer Alexander dem Großen gelang es auch die nördlichen
Satrapien des achämenidischen Reiches zu erobern. Die Bevölkerung Zentralasiens
leistete den griechischen Truppen erbitterten Widerstand. Alexander konnte dennoch
den Oxus und Jaxartes überschreiten und u.a. die Sogdier besiegen. 329 v.Chr. zog
Alexander in der sogdischen Hauptstadt Marakanda ein. Alexander wollte alle Völker
in den vom ihm eroberten Regionen zu einer großen Einheit zusammenschmelzen.
Sein Tod 323 v.Chr. machten diesen Intentionen ein Ende. Im Kampf um seine
Nachfolge zerbrach das griechische Weltreich. Um ca. 250 v.Chr. konnten die
Parther, ein den Skythen verwandtes Volk, Transoxanien erobern und vernichteten in
ihrem ständigen Expansionsdrang die griechischen Satraphien des seleukidischen
Reiches. Nur Baktrien konnte für mehr als 100 Jahre unabhängig bleiben. Baktrien
vereinigte im gräko-baktrischen Reich, dem sogenannten „Land der tausend Städte“,
die Gebiete von Sogd und Taschkent, sowie den Südteil des heutigen Uzbekistan und
Tadschikistan. Hier konnte sich eine sehr hochstehende städtische Kultur entfalten,
wie z.B. der sogenannte „Oxus-Schatz“ illustriert, der heute im Britischen Museum in
London aufbewahrt wird.
V.3.4. Das Reich der Hsiung-nu:
Ende des 3.Jhdt. Anfang des 2.Jhdt. v.Chr. trat im Osten ein weiteres
reiternomadisches Volk in Erscheinung, die Hsiung-nu, die mit den Hunnen
identifiziert werden. Diese Hsiung-nu, konnten ihren Einfluss nicht nur gegen China
geltend machen, sondern griffen bald auch in die Geschichte des südlichen
Zentralasiens ein. Den Chinesen gelang es die Hsiung-nu von der Westgrenze ihres
Reichs abzudrängen (u.a. geht der Bau der 1.chinesischen Mauer auf diese
chinesischen Schutzmaßnahmen zurück). Die chinesische Verteidigungspolitik trug
aber dazu bei, dass sich die nomadischen Stämme zu einer starken politischen
Formation zusammenschlossen. Die Hsiung-nu wandten sich nun Richtung Westen
und lösten damit eine Westwanderung anderer nomadischer Völker aus, die vor dem
Druck der Hsiung-nu flohen (z.B. die Yüeh chih). Unter dem Druck der Hunnen/
58
Hsiung-nu eroberten die Yüeh-chih das Gebiet von Ferghana und konnten dort mit
Hilfe der einheimischen Bevölkerung die griechische Herrschaft über Zentralasien
abschütteln. Am Amu-Darja fanden die Yüeh-chih (Massageten) eine neue Heimat.
V.3.5. Das Kuschan-Reich (2.Jhdt. v.Chr. bis 3.Jhdt. n.Chr.):
Nach etwa 100 Jahren (ca. um Chr. Geburt) erhob sich der Stamm der Kuei-schuang
(ein Teilstamm der in der Region siedelnden Yüeh-chih) über die anderen Stämme
und gründete in den Oasen des Serafschan das Kuschan-Reich. Dieses wurde neben
China, dem römischen Reich und dem Reich der Parther zu einem der größten Reiche
der damaligen Zeit. Große Bedeutung hatte das Kuschan-Reich für den Handel, der
nun eine Aufwärtsentwicklung erlangte sowie für die Ausbreitung des Buddhismus.
Herausragend sind auch die Leistungen auf dem Gebiet der Kunst, aus der sich später
die Gandhara-Kunst entwickelte, die eine Symbiose aus gräko-römischen und
buddhistischen Stilelementen darstellt.
Durch den Angriff der Sassaniden und ein neuerliches Eindringen nomadischer
Stämme begann in der Mitte des 3.Jhdt. n.Chr. der Untergang des Kuschan-Reiches.
Zur gleichen Zeit brach auch das Reich der Parther zusammen, das durch interne
Auseinandersetzung so geschwächt war, dass es den Angriffen von außen nicht mehr
stand halten konnte.
V.3.6. Das Reich der Sassaniden (224-651 n.Chr.):
Als Herrscher über den Iran begründete Ardaschir I 224 n.Chr. das Reich der
Sassaniden (die Bezeichnung ist abgeleitet vom Namen seines Großvaters Sassan).
Das von Ardaschir I gegründete und von seinen Nachfolgern gefestigte Reich erlangte
trotz permanenter kriegerischer Auseinandersetzungen eine Ausdehnung, die die
Größe des Parther-Reiches bei weitem übertraf. Bereits zu Beginn des 3. Jhdt. wurden
Sogd und Baktrien, nicht jedoch Choresm, wieder persische Provinzen. Im Westen
konnten die Byzantiner der Ausdehnung des sassanidischen Reiches Einhalt gebieten.
Im Nordosten war das Reich der Sassaniden durch die Hephtaliten (= weißen
Hunnen), einem Volk altaischen Ursprungs bedroht. Dennoch gelang es den
Sassaniden über einen Zeitraum von mehr als 400 Jahren die uneingeschränkten
Herrscher über ein Gebiet zu sein, welches vom Oxus, Indus, Euphrat und dem
Indischen Oasen begrenzt war. Unter den Sassaniden wurde die Lehre Zarathustras
wieder zur Staatsreligion und es kam zu einer Vielzahl von Stadtgründungen in
Zentralasien sowie zur Herausbildung einer stratifizierten Gesellschaft.
V.3.7. Die Hephtaliten (die Weißen Hunnen):
Zum mächtigen Gegner der Sassaniden entwickelten sich die Hephtaliten, die in der
Mitte des 5.Jhdt. n.Chr. das Gebiet zwischen den Flüssen Ili und Talas im Osten und
dem Aralsee im Westen besetzten und in der Folge auch Transoxanien und Baktrien
erobern. Die Hephtaliten konnten zwar das Kuschan-Reich fast in seinem vollen
Umfang wieder herzustellen. Allerdings hatte ihr Reich keinen langen Bestand. Die
Hephtaliten waren einerseits mit dem Widerstand der einheimischen Bevölkerung
gegen ihre Herrschaft und andererseits mit Angriffen von außen konfrontiert. Aus den
nördlichen Steppen drangen nun die Türken in den zentralasiatischen Raum vor. In
den 60iger Jahren des 6. Jhdt. brach das Reich der Hephtaliten zusammen.
59
V.3.8. Das erste Reich der Türken:
552 n.Chr. traten die Türken erstmals als politischer Faktor auf.
139
Durch
verschiedene Eroberungszüge gelang es ihnen ein mächtiges Reich zu etablieren, das
von der Mongolei und der Nordgrenze Chinas bis zum Schwarzen Meer reichte. Unter
den Söhnen des 553 n.Chr. verstorbenen ersten türkischen Herrschers, der den Titel
I-li´k´o-han (Illig Qagan „the Qagan who has a realm„ il) trug, war das Reich in zwei
Hälften geteilt. In das westliche und das östliche Qaganat. (vgl. Abb.13). Die beiden
Reiche scheinen aber von allem Anfang an unabhängig voneinander gewesen zu sein.
581 kam es unter chinesischem Einfluss zum endgültigen Zerwürfnis zwischen den
beiden Reichen und die chinesische Tang-Dynastie (618-907) übernahm die
nominelle Herrschaft über beide Reiche. 682 n.Chr. können sich die Türken von der
chinesischen Fremdherrschaft befreien und erneut ein türkisches Reich (das Reich der
Kök-Türken) gründen.
V.3.8.1. Die Entwicklung des westtürkischen Reiches:
Der erste Herrscher des West-Türkenreiches Istami (552-575 Regentschaft) geriet um
562 n.Chr. in einen bewaffneten Konflikt mit den Hephtaliten, deren Zentrum in
Badakhschan/ NO-Afghanistan lag. Durch eine Allianz zwischen den Türken und dem
sassanidischen Persien wurden die Hephtaliten von verschiedenen Seiten angegriffen
und geschlagen und flohen aus dem Gebiet, das zwischen den Türken und den
Sassaniden aufgeteilt wurde. Die Türken versuchten den bislang von den Sassaniden
kontrollierten Ost-West-Handel auf ihr Gebiet zu ziehen und verbündeten sich zu
diesem Zweck mit Byzanz. Dieses Bündnis war aber nicht von Bestand. In einem
zwei Frontenkrieg fielen die Türken im Westen in byzantinische Gebiete ein und
entrissen im Osten den Sassaniden weite Teile des östlichen Irans. Schon bald war das
westtürkische Reich aber mit zwei gefährlichen Gegnern konfrontiert: den Arabern im
Südwesten und den Chinesen im Osten. Gegen Ende des 6.Jhdt kam es zu
Auseinandersetzungen zwischen den beiden türkischen Reichen, die durch
Bürgerkriege und Stammesfehden stark geschwächt wurden. 650 n.Chr. besetzten die
Chinesen das Siebenstromland (im heutigen Grenzgebiet zwischen Kirgistan und
Kazakhstan) und versuchten weite Gebiete Zentralasiens in das Verwaltungssystem
des chinesischen Reichs einzugliedern. Von Süden begann etwa zur gleichen Zeit der
Vorstoß der Araber und damit der erste Versuch der arabischen Eroberung
Zentralasiens. Schon kurz nach dem Tod Mohammad´s (632 n.Chr.) konnten seine
Nachfolger ihre politische Macht auf andere Regionen des Nahen Ostens ausdehnen
und begannen 636 n.Chr. mit der Eroberung Persiens, ab 651 n.Chr. auch
Zentralasiens. In der Folgezeit kam es zu einem Aufeinanderprallen arabischer und
chinesischer Machtansprüche auf dem Gebiet des sassanidischen Reiches. Im Kampf
139
) Laut GOLDEN (1992:115ff) ist die Ethnogenese der frühen Türken sehr unklar. Vielfach gilt der
Altai als ihre ursprüngliche Heimat. Es gibt aber auch die These, daß die Turkvölker ursprünglich
weiter im Nordosten beheimatet waren und in Zusammenhang mit der Wanderung der Hunnen weiter
nach Westen gezogen sind. Die unmittelbaren Vorfahren der frühen Türken müssen laut GOLDEN
auch nicht notwendigerweise Steppennomaden gewesen sein. Ihre nomadisierende Lebensform könnte
vielmehr ein relativ rezentes Phänomen sein. (vgl. GOLDEN 1992:40). Das Wort Türk (in der
chinesischen Wiedergabe T´u-chüeh) erscheint im 6.Jhdt. erstmals als Name für eine nomadisierende
Gruppe auf. Namen türkischer Stämme finden sich laut SCHARLIPP aber schon früher in den
chinesischen Quellen. SCHARLIPP (1992:13). Die chinesischen Quellen liefern auch Informationen
zur Abstammungsmythologie der Türken. vgl. SCHARLIPP (1992). Zum Ethnonym Türk im
allgemeinen vgl. GOLDEN (1992:115ff) und SCHARLIPP (1992:13ff). Laut GOLDEN (1992:117)
besteht über die Bedeutung des Wortes „türk„ keine Einigkeit. Bisweilen wird „türk„ mit Stärke, Macht
etc. in Verbindung gebracht.
60
um die Vorherrschaft gewannen zunächst die Chinesen die Oberhand. Der weitere
Vormarsch der Araber wurde durch interne Konflikte im arabischen Kernland
zunächst zum Stillstand gebracht. 659 n.Chr. konnten sich die Chinesen schließlich
auch das westtürkische Reich einzuverleiben. U.a. besetzten die Chinesen
Transoxanien und das Land zwischen Oxus und Indus. Kurze Zeit später wurden die
Chinesen ihrerseits von starken Verbänden tibetischer Nomaden angegriffen, die 670
n.Chr. in Ost-Turkestan einfielen, das Tarim-Becken besetzten und so die neuen
westlichen Provinzen des chinesischen Reiches vom chinesischen Kernland
abtrennten. Dadurch wurde der chinesische Einfluss im Westen unterbrochen.
Zentralasien verfiel nun in eine Vielzahl von Kleinstaaten, z.B. Buchara, Samarkand,
die nun schutzlos einer neuerlichen arabischen Invasionswelle ausgesetzt waren. Im
8.Jhdt. kam es schließlich zur umfassenden Eroberung Zentralasiens durch arabische
Truppen.
V.3.8.2. Die Entwicklungen auf dem Gebiet des ehemaligen osttürkischen
Reiches:
V.3.8.2.1. Das Reich der Kök-Türken (682-744 n.Chr.):
682 n.Chr. gelang den Türken die Etablierung einer neuen politischen selbstständigen
Herrschaft (dem Kök-Türken-Reich), die bis 744 bestand und deren Zentrum
wiederum im Gebiet von Altai und Jenisei lag. Aus dieser Zeit stammen die
sogenannten Orchon-Inschriften, die zu den ältesten Denkmälern in türkischer
Sprache gehören. Nach fast 30jährigem Konflikt mit den Arabern um die
Vorherrschaft in Zentralasien wurden die Kök-Türken, von den Uiguren, Karluken
und Basmil, ebenfalls türkischen Stämmen, besiegt. Im vormaligen
Herrschaftsbereich der Kök-Türken und den daran angrenzenden Gebieten entstanden
nun mehrere Reiche, die einander in rascher Folge ablösten.
V.3.8.2.2. Das Uiguren-Reich (744 bis ca. 840 n.Chr.):
Schon während des Kök-Türken-Reichs hatten die Uiguren einen beträchtlichen
politischen Einfluss entfalten können. 744 n.Chr. erklärte sich der Führer der Uiguren
schließlich zum obersten Herrscher (Groß-Kaghan) des Kök-Türken-Reiches. Die
Uiguren übernahmen damit die Führung im Gebiet der heutigen Mongolei und in den
angrenzenden Gebieten. Das uigurische Qaganat dauerte nur rund 100 Jahre.
Kulturhistorisch bedeutsam ist die Übernahme des manichäischen Glaubens durch die
Uiguren. Das uigurische Reich wurde durch die Kirgisen zerstört, die nun die
politische Führung in der mongolischen Steppe übernahmen. Nach der Zerstörung
ihres Reiches flohen die Uiguren in die Oasenstädte an der nördlichen Seidenstraße
und in die Oasen des nördlichen Tarim-Beckens, wo sie ebenfalls verschiedene
politische Herrschaften gründeten, z.B. den Staat der Ganzhou-Uiguren, der bis 1030
Bestand hatte, oder das Reich von Kocho. 1209 unterstellten sich die Kocho-Uiguren
der Schutzmacht Tschingis Khan´s.
V.3.8.2.3. Das Reich der Kirgisen (840-924 n.Chr.):
Die ursprüngliche Heimat der Kirgisen war das Jenisei-Gebiet, von wo sie durch die
mongolischen Kara-Kitai vertrieben wurden. Um die Mitte des 7.Jhdt. hatten die
Kirgisen ihre Wohnsitze im Westen von Hami und im Norden von Karashahr an den
Abhängen des Tienschan-Gebirges. Anfang des 9.Jahrhunderts erlangten sie eine
politische Macht und konnten die Uiguren besiegen. 924 wurde dem Reich der
61
Kirgisen von den Kara-Kitai ein Ende gesetzt. Die Kirgisen mussten sich mit kleinen
staatlichen Gebilden begnügen, die 1209 von den Mongolen beseitigt wurden.
V.3.8.2.4. Die Kara-Kitai (907-1213 n.Chr.):
Bereits Ende des 8.Jhdts. drangen sie nach Nordchina vor, wo sie sich 907 n.Chr. als
Herrscher über Nordchina bis nach Peking etablieren konnten. 924 verdrängten die
Kara-Kitai die Kirgisen von der politischen Macht. In der Folgezeit konnten die Kara-
Kitai weitere Eroberungen machen, sodass ihr Herrschaftsbereich zwischen 1129 und
1143 im Westen bis zum Amu-Darja und im Osten bis zum nördlichen Tarbagatay-
Gebirge und dem nördlichen Balkhsch-See reichte. Auch ihnen gelang es nicht ihr
Gebiet über einen längeren Zeitraum zusammenzuhalten.
V.3.8.2.5. Das Reich der Karluken (ab 744 n.Chr.):
Die Karluken, die mit zum Sturz der Kök-Türken beigetragen hatten, traten im
Westen die Nachfolge des Kök-Türken-Reiches an. Im Gebiet des Ili- und des Chu-
Flusses bis nach Ferghana errichteten die Karluken einen ausgedehnten Staat. U.a.
waren sie in machtpolitische Auseinandersetzungen mit den Uiguren verwickelt. Da
auf ihrem Herrschaftsbereich auch das Ötüken-Gebirge (ein heiliger Ort der Türken)
lag, fühlten sie sich ermächtigt als wahre Nachfolger des vormaligen Kök-Türken-
Reiches aufzutreten. Aus dem Karluken-Reich ging später das Karakhaniden-Reich
hervor.
V.3.9. Die weitere Entwicklung im westlichen Teil Zentralasiens - die
Etablierung islamischer Herrschaften:
Im 7. und 8. Jhdt. n.Chr. wurde der westliche Teil Zentralasiens zum Spielball
verschiedenster Mächte, die um die politische Vorherrschaft in der Region stritten. Ab
Mitte des 6.Jhdts. war es den West-Türken gelungen sich im südlichen Zentralasien
zu etablieren. Schon bald wurde ihnen die Vormachtstellung jedoch von zwei Seiten
her streitig gemacht. Von Südwesten marschierten die arabischen Heere Richtung
Zentralasien. Von Osten versuchten die Chinesen Eroberungen zu unternehmen.
Nachdem die Chinesen wegen der Angriffe der Tibeter auf Ost-Turkestan 674 n.Chr.
ihre Besitzungen im westlichen Zentralasien aufgeben mussten, versuchten die Araber
dieses Machtvakuum zu füllen. Die einheimische Bevölkerung, insbesondere die
verschiedenen türkischen Stämme leisteten mehr als 30 Jahre erbitterten Widerstand
gegen die arabische Okkupation. Erst 705 n.Chr. begann dann die zweite, nun
erfolgreiche arabische Eroberungswelle. Unter ihrem Heerführer Kutaiba ben muslim,
dem Statthalter von Chorasan, konnten die Araber nun große Erfolge verbuchen: 709
Eroberung Bucharas, 712 Eroberung Samarkands, 713 Eroberung des Ferghana-Tales,
714 Eroberung von Taschkent. Kutaiba ben muslim ging es nicht nur um Beutezüge,
sondern um die Eroberung Zentralasiens und die Bekehrung der dortigen Bevölkerung
zum Islam. Er bekämpfte die Anhänger des Buddhismus und der zoroastrischen Lehre
und ließ einen Großteil der Träger der choresmischen Kultur beseitigen. Kutabai hatte
zwar die Basis für den Aufbau eines islamischen Reiches in Zentralasien geschaffen,
eine dauerhafte arabische Herrschaft konnte er jedoch nicht etablieren. Seine
Ermordung 715
140
führte zu einer Reihe von Aufständen in den zentralasiatischen
Provinzen. 724 konnte den Arabern mit Unterstützung türkischer Stämme aus den
Gebieten nördlich des Syr Darja in Ferghana eine schwere Niederlage zugefügt
werden. Die Araber flüchteten daraufhin in die Gebiete südliche des Amu Darja.
140
) Kutaiba galt als Erzfeind des neuen Kalifen Suleiman (715-717) in Damaskus. Er wurde von
meuternden Soldaten umgebracht.
62
Nun waren es wieder die Chinesen, die mit den Türken um die Vorherrschaft im
südwestlichen Zentralasien kämpften. Angesichts der neuerlichen Bedrohung durch
die Chinesen, rief die einheimische Bevölkerung nun die Araber zu Hilfe, die mit
Unterstützung der Karluken 751 n.Chr. in der Schlacht am Talas im Siebenstromland
die Chinesen besiegen konnten. Während der nächsten 1000 Jahre wagten es die
Chinesen nicht mehr in den Bereich des westlichen Zentralasiens vorzudringen.
Für die nächsten 150 Jahre stand das südliche Zentralasien nun unter arabischer
Verwaltung, die allerdings geprägt war durch ständige Unruhen und Aufstände der
um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Bevölkerung.
141
Im 9.Jahrhundert kam es zur Entstehung einer Reihe islamischen Staaten, die zunächst
noch unter formeller Abhängigkeit des Kalifen standen, de facto aber bald
eigenständige politische Gebilde darstellten. Zu den wichtigsten Dynastien, denen es
gelang, sich gegen die Fremdherrschaft durchzusetzen, gehörten u.a. die Tahiriden
(820 bis 873) in Chorasan sowie die der Samaniden (874-999) in Transoxanien. (vgl.
die Abb.14 und Abb.15)
V.3.9.1. Das Reich der Samaniden (874-999 n.Chr.):
Das Reich der Samaniden (vgl. Abb.14) war kulturell wie wirtschaftlich der
bedeutendste Staat dieser Periode. Die Samaniden, in deren Herrschaftsbereich sich
der sunnitische Islam durchsetzte, errichteten nicht nur eine effiziente Verwaltung, die
zum Aufblühen des Handels (Fernhandel bis an nach Russland und an die Nordsee)
und der Landwirtschaft beitrug und schufen mit Hilfe türkischer Militärsklaven, die
bis in die höchsten Stellungen im Staat aufstiegen konnten (wie z.B. Sebüktegin, dem
späteren Begründer der Ghaznaviden-Dynastie (999-1183), ein straff geführtes Heer,
sondern bewirkten auch eine Entfaltung von Kunst und Wissenschaft. Unter ihrer
Herrschaft wurden Buchara, die Hauptstadt des Samaniden-Reiches, und Samarkand
zu bedeutenden islamischen Metropolen aus. Am Hof der Samaniden wirkten
Wissenschaftler und Dichter von Weltrang, wie der Philosoph und Arzt Ibn Sina (980-
1037 n.Chr.; im Westen als Avicenna bekannt), der Mathematiker und
Naturwissenschaftler al-Biruni (973-1048 n.Chr.) sowie die Dichter Rudaki (gestr.
940) und Firdausi (932-1020 n.Chr.), der Verfasser des Schahnameh.
Interne Auseinandersetzungen führten schließlich zum Untergang der Samaniden-
Dynastie.
V.3.9.2. Die Ghaznaviden-Dynastie (962-1187 n.Chr.) (Abb.15):
Unter ihrem Herrscher Sultan Mahmud (998-1030), einem Sohn Sebüktegin´s,
konnten die Ghaznaviden, deren Zentrum in Ghazni/ Afghanistan lag, ein Reich
beherrschen, das sich von Nordost-Iran, über Teile des südlichen Zentralasiens und
über Afghanistans bis nach Dehli/ Nordindien erstreckte. In ihrem Herrschaftsbereich
entfaltete sich eine durch den Islam geprägte Kultur. Als Gegenspieler um die
politische Macht traten bald die Seldschuken auf, denen es 1040 n.Chr. in der
Schlacht von Ghazna gelang die Ghaznaviden zu besiegen. Die Eroberungszüge der
Ghoriden veranlassten die Ghaznaviden bei den aufstrebenden Seldschuken Schutz zu
suchen, deren Vassallen sie nach 1172 wurden. Die Ermordung Malik Schah´s, des
letzten Ghaznaviden-Herrschers (1187 n.Chr.), führte zum endgültigen
Zusammenbruch der Ghaznaviden-Dynastie, deren Herrschaftsgebiete nun unter den
Ghoriden und den Seldschuken aufgeteilt wurden.
141
) Die Nachkommen der arabischen Eroberer wurden in fast völlig assimiliert.
63
V.3.9.3. Die Karakhaniden-Dynastie (999-1130 bzw. 1212 n.Chr.): (vgl. Abb.15)
Nachdem die Karakhaniden Buchara eingenommen hatten, kam es zu einer
Stabilisierung der Verhältnisse. Die Karakhaniden teilten ihr neu erworbenes Land
nach türkischem Vorbild in mehrere Gebiete auf, in denen Adelige und Minister mit
hierarchisch abgestuften Titeln die Macht ausübten. Dies führte allerdings bald zu
großen Auseinandersetzungen unter den einzelnen lokalen Machtträgern, sodass die
Einheit des Reiches nur bis 1030 n.Chr. aufrechterhalten werden konnte. Das
Karakhaniden-Reich zerfiel in zwei Teile, einen östlichen und einen westlichen. Die
Grenze zwischen beiden markierte das Tienschan-Gebirge. Insgesamt begann unter
den Karakhaniden ein zunehmender Prozess der Entiranisierung. Zahlreiche der
turkstämmigen Nomaden wurden nun sesshaft und mischten sich mit der
einheimischen, iranischen Bevölkerung und leisteten so u.a. einen Betrag zur
allmählichen Türkisierung von Transoxanien.
V.3.9.4. Die Seldschuken: (vgl. Abb.15)
Die Seldschuken, benannt nach ihrem Heerführer Seldschuk, waren Teil der
turkstämmigen Oghusen, deren ursprüngliche Heimat im Altai-Gebirge gelegen hatte.
Anfang des 10.Jhdt. n.Chr. verließen die Oghusen ihre Heimat und siedelten sich in
den Gebieten des Kaspischen Meeres bis zum Mittellauf des Syr Darja an. Unter dem
Einfluss der Samaniden fand der Islam immer mehr Anfänger unter den oghusischen
Stämmen, die hier eine eigene politische Einheit gründeten, welche jedoch nur von
kurzer Dauer war. Ein Teil der Seldschuken, deren Herrscher sich als Verteidiger des
orthodoxen Islam betrachteten, wanderte weiter nach Westen und begannen nun auch
die Byzantiner zu bekämpfen und sich in Anatolien zu etablieren, wo sie als
sogenannte Rum-Seldschuken bekannt wurden. Aus Teilen des Rum-
Seldschukenreiches (1077-1307 n.Chr.) entwickelte sich später das osmanische Reich.
Unter den Seldschuken, insbesondere den Rum-Seldschuken, die sich ihrer türkischen
Abkunft voll bewusst waren, wurde das Persische zunehmend zugunsten des
Türkischen zurückgedrängt und es begann sich eine in türkischer Sprache abgefasste
Literatur parallel bis zur dahin dominierenden persischsprachigen Literatur zu
entwickeln. 1141 n.Chr. wurde die Herrschaft der Seldschuken in Zentralasien durch
die Kara-Kitai, einem mongolischen Stamm plötzlich beendet, die ganz Transoxanien
besetzten und es nach chinesischem Muster verwalteten.
V.3.9.5. Die Herrschaft der Choresm-Schahs (4.Jhdt. bis 1219 n.Chr.): (vgl.
Abb.15)
Seit dem 4.Jhdt. war es der Region Choresm immer wieder gelungen entweder als
eigenständiges politisches Gebilde zu bestehen oder zumindest als Teil anderer großer
Reiche eine gewisse Eigenständigkeit zu behalten.
Der ständige Machtverlust der Kara-Kitai und die Zersplitterung des seldschukischen
Reiches ermöglichte den Choresm-Schahs schließlich für eine kurze Zeit die
Etablierung einer mächtigen Herrschaft in der Region. 1212 konnte der Choresm-
Schah Alauddin Muhammad II (1200-1220) nach langen Kämpfen um die
Vorherrschaft Samarkand erobern und es zur Hauptstadt eines Reiches machen, das
vom Tienschah im Osten über das Kaspische Meer, den Kaukasus und den Persischen
Golf bis zum Indus reichte. 1219 n.Chr. bewog die Ermordung von 450 muslimischen
Kaufleuten in Otrar sowie die Hinrichtung eines Gesandten Dschingis-Khan´s die
Mongolen schließlich zum Angriff auf Choresm, dessen Armee den Mongolen keinen
Widerstand entgegensetzten konnte. Mit der Niederlage der Choresm-Schahs fiel nun
auch das westliche Zentralasien in die Hände der Mongolen.
64
V.3.9.6. Die Herrschaft der Mongolen:
142
Überliefert ist, daß die Mongolen mit anderen Nomadenstämmen, den Türken und
Tungusen, das weite Gebiet zwischen den Steppen Sibiriens, dem Altai-Gebirge, der
Mandschurei und der Großen Chinesischen Mauer bewohnten. Der Name Mongolen
wurde ursprünglich nur für einen kleinen Stamm südöstlich des Baikalsees verwendet,
der ethnisch und sprachlich mit den Türken und Tungusen verwandt war. Führer der
Mongolen und ihrer Nachbarstämme waren Khane, die eine Art Steppenaristokratie
bildeten. Temüdschin (1155-1227), der spätere Dschingis Khan und Begründer des
mongolischen Weltreichs, war der verarmte Sohn eines Khans des Stammes der
Mongolen. Im Verlauf von zahlreichen Stammeskämpfen konnte sich Temüdschin an
die Spitze einer großen turko-mongolischen Föderation stellen. 1206 n.Chr. wurde er
auf der Versammlung der turko-mongolischen Stämme (Kurultai) zum Oberhaupt
dieser Konföderation gewählt. Er nahm den Titel „Khaqan“ (Oberster Khan, Khan
aller Khane) an und trug ab nun den Namen Dschingis Khan. Die gesamte von ihm
geeinigte Konföderation nahm daraufhin den Namen Mongolen an. Dschingis Khan
dekreditierte den strengen Gesetzeskodex („Yassa“) der Mongolen und schuf ein
straff gegliedertes Nomadenheer, das in Verbände von 10.000, 1000, 100 und 10
Krieger aufgeteilt war, mit je einem Führer an der spitze der entsprechenden
Einheiten. Bereits 1207 n.Chr. bestand das Heer Dschingis Khans aus 120.000
Reitern. Die Führer des Heeres waren meist Mongolen, während die Turkvölker das
Gros der Kämpfer bildeten. Dschingis Khan trat für einen ungehinderten Handel in
den Steppen ein Vor seinen Eroberungszügen im Westen hatte Dschingis Khan in
mehreren Feldzügen bereits das westliche China annektiert. 1218 n.Chr. eroberte er
Choresm, 1220 n.Chr. Buchara und Samarkand, 1221 n.Chr. Gurgandsch und 1223
n.Chr. Transoxanien. Der Erfolg der Mongolen im Kampf gegen die anderen Völker
basierte auf ihrer großen Mobilität und ihrem diszipliniertren Auftreten.
143
Vorteilhaft
war u.a. die für damaligen Verhältnisse ungeheuer schnelle Nachrichtenübermittlung,
das gut funktionierende Spionagenetz und die von den Mongolen angewandte
Kampftechnik. Nachdem Dschingis Khan ein gewaltiges Reich errichtet hatte, starb er
schließlich 1227 im Alter von 72 Jahren in Nord-China, wo er einen weiteren Vorstoß
gegen die Chinesen geplant hatte.
Nach dem Tod Dschingis Khans wurde das Reich unter seinen Nachkommen
aufgeteilt. (vgl. Abb.16 und Abb.17): Jochi, der älteste Sohn Dschingis Khan´s und
Eroberer von Choresm, war schon gestorben, daher erhielt Jochi´s Sohn Batu, der
Enkel Dschingis Khan´s, den westlichen Teil. Batu wurde zum Khan der Goldenen
Horde. Ordu, Batu´s Bruder, war Khan der Weißen Horde. Er erhielt die Ländereien
bis zum Aralsee. Tolui, ein weiterer Sohn Dschingis Khan´s, erhielt das alte Zentrum
des Mongolenreiches mit der Hauptstadt Karakorum in der Mongolei. Chagatai,
ebenfalls ein Sohn Dschingis Khan´s, bekam das Tarim-Becken und Transoxanien bis
zum Amu Darja. Seine Nachkommen konnten sich als sogenannte Chagataiden-
Khane über einen längeren Zeitraum behaupten. Ögedei trat die Nachfolge seines
Vaters Dschingis Khan als Groß-Khan an und erhielt Südsibirien und das Gebiet
östlich des Balchasch-Sees als Herrschaftsgebiet.
142
MORGAN, The Mongols. Cambridge, Mass und Oxford, HEISSIG, Walter (Hrsg.): Die geheime
Geschichte der Mongolen. Düsseldorf, Köln, HEISSIG, Walter und MÜLLER, Claudius, C. (Hrsg.):
Die Mongolen. Innsbruck und Frankfurt am Main (1989)
143
Dieses ist u.a. verarbeitet in der Novelle von Chengiz AITMATOV: Die weiße Wolke über
Dschingis Khan. Frankfurt am Main 1994
65
Dschingis Khan´s Söhne und Enkel setzten sein Werk fort. Sie eroberten Russland
und Ungarn. 1241 standen die mongolischen Heere in Schlesien. Auch im Nahen
Osten konnten sie umfangreiche Gebietsgewinne erzielen (vgl. Abb.17 und Abb.18).
Nun folgte eine Zeit des Friedens in der sich auch wieder ein gewisser Wohlstand
entwickeln konnte. Die Städte und Dörfer wurden wieder besiedelt und die alten
Handelsstraßen wurden reaktiviert. Sukzessive wurden die vor-mongolischen lokalen
Machthaber von den allmählich türkisierten Mongolenherrschen abgelöst. Die
einzelnen Teile (Ulus) des Reiches entwickelten sich nun eigenständig.
V.3.9.7. Der Ulus Chagatais’ (bis 1365 n.Chr.):
Unter Khan Tamaschirin wurde 1333 n.Chr. der Islam zur Staatsreligion erhoben.
Dies führte zur Spaltung des Chagataiden-Reiches. Das islamische Transoxanien
trennte sich von den mongolischen Nomadengebieten im Osten, dem sogenannten
„Mogulistan“, wo die Chagataiden noch bis in das 17. Jhdt. regieren konnten. 1360
n.Chr. gelang es Tughluq Timur, (einem Chagataiden-Khan aus Mogulistan)
Transoxanien zu erobern. 1365 n.Chr. konnte Timur Lenk (Tamerlane) Transoxanien
wieder von den Mogulen befreien.
V.3.10. Die Entwicklung im mongolischen Kernbereich und die Nachfolger
Dschingis Khan´s im mongolischen Großkhanat:
Auf Ögedei, der 1229 n.Chr. zum Großkhan der Mongolen ernannt worden war und
damit die Nachfolge seines Vaters Dschingis Khan angetreten hatte, folgte sein Sohn
Güyük. Güyük wurde kurze Zeit später von Möngke, dem Sohn Tolui´s, als
Großkhan abgelöst. Unter ihm konnte die mongolische Einflusssphäre bis nach
Kleinasien und an die Mittelmeerküste ausgedehnt werden. Möngke´s Bruder Hülegü,
dem Oberbefehlshaber der mongolischen Truppen, gelang die Eroberung Persiens
sowie die Vernichtung des Kalifats von Bagdad. Nach Möngke´s Tod wurde sein
Bruder Qubilai zum Großkhan der Mongolen ausgerufen. Ariq-Böke, der Bruder von
Möngke, Qubilai und Hülegü, wurde Khan in Karakorum. In der Folgezeit kam es zu
permanenten Streitigkeiten unter den Brüdern sowie zwischen ihnen und den anderen
Nachfahren Dschingis Khan´s.
Hülegü mußte sich schließlich wieder aus dem Irak zurückziehen und regierte bis zu
seinem Tod im Jahr 1265 n.Chr. in Aserbeidschan. Nach seinem Tod bildeten seine
Nachkommen die Dynastie der Ilkhane
. Unter ihrer Herrschaft wurde die Kultur
Persiens (Architektur, Malerei, Literatur und Wissenschaft) gefördert und
weiterentwickelt. 1335 n.Chr. starb die Dynastie der Ilkhane schließlich aus. In
Persien ergriffen verschiedene Fürsten unterschiedlicher Herkunft in den einzelnen
Provinzen die Macht, bis die Mongolen unter Timur Lenk ein zweites Mal das Land
eroberten.
V.3.10.1. Das Reich der Goldenen Horde:
Auf Batu folge als nächster Khan der Goldenen Horde Berke. Dieser residierte in
Serai, an der Wolga (vgl. Abb.18). Berke trat zum Islam über. Im Gebiet der
Goldenen Horde gab es wesentlich mehr Türken als Mongolen. Das Türkische
gewann auch als Umgangssprache an Bedeutung. Der Goldenen Horde gelang es
zunächst große Gebiete im Süden Russlands zu okkupieren und zu Vasallen zu
machen. Die Khane der Goldenen Horde verbündeten sich mit den Mamluken in
Ägypten gegen die Ilkhane im Iran. Unter Usbek Khan (1313-1341 n.Chr.) wurde der
Islam die offizielle Religion der Goldenen Horde. Bis Mitte des 14. Jahrhunderts
blieben die Khane der Goldenen Horde ein wichtiger Machtfaktor. Der Aufstieg
66
Litauens und Moskaus leitete nun den Niedergang der Goldenen Horde ein, der
kurzfristig von Tokhtamish (1376-1395), einem Khan der Weißen Horde und
Schützling Timur Lenks, aufgehalten wurde. Tokhtamish konnte zunächst das Gebiet
der Goldenen Horde und der Weißen Horde zu einem Herrschaftsbereich
zusammenfassen. 1380 gelang es den Moskowiter den Mongolen eine schwere
Niederlage zufügen. 1438 n.Chr. wurde das Gebiet der Goldenen Horde zweigeteilt,
in das Khanat von Kazan und in das Gebiet der Großen Horde. 1441 kam es zu
einer weiteren Teilung, die zur Schaffung des Krim-Khanats und des Khanats von
Astrakhan führte. 1502 zerstörte Mengli Girai von der Krim die Goldene Horde.
Kazan und Astrakhan wurden 1552 bzw. 1554 schließlich von Ivan dem
Schrecklichen erobert. Nur das Krim-Khanat konnte sich als letzter eurasiatischer
Vorposten der Mongolen bis zu seiner Annexion 1783 durch die russischen Zarin
Katharina die Große halten.
V.3.10.2. Timur Lenk (1336-1405) und die Timuriden:
Transoxanien und die daran angrenzenden Gebiete erlebten unter Timur Lenk
(Tamerlane) eine neue kulturelle Blütezeit. Timur Lenks war Kleinfürst eines
turkisierten Mongolenstammes gewesen. Mütterlicherseits war Timur mit den
einstigen Führern der mongolischen Föderation verwandt. Nach seinem Sieg über die
Mogulen 1365 konnte Timur ganz Transoxanien erobern. Auf dem Kuriltai in Balch
(1369) wurde er zum Emir von Transoxanien ausgerufen. Timur machte Samarkand
zur Hauptstadt und baute es zu einem Zentrum der islamischen Welt aus. Es gelang
ihm ein Reich vom Ganges bis zum Mittelmeer aufzubauen. Die zahlreichen
Kriegszüge (Iran, Aserbaidschan, Georgien, Ostanatolien, Indien, China, Reich der
goldenen Horde) (vgl. Abb.19) Timurs führten zu schweren Verwüstungen.
Allerdings stimulierte Timur und vor allem seine Nachkommen die Entfaltung von
Kunst und Wissenschaft in der Region. Insbesondere die unter den Timuriden
errichteten Bauwerke zählen zu den herausragenden Beispielen islamischer Baukunst.
Nach dem Tod Timur´s wurde das von ihm geschaffene Reich bald zum Spielball
fremder Mächte. Timur geriet noch zu Lebzeiten in einen Konflikt mit seinem Sohn
Miranschah, dem Herrscher über Aserbeidschan. Muhammad Sultan, der Sohn
Miranschahs, den Timur zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, starb noch vor
Timur´s Tod. Nachdem die Nachfolge Timur´s nicht geklärt war, kam es nach
Timur´s Tod zu heftigen Kämpfen um seine Nachfolge, aus denen schließlich sein
Sohn Schahruch (1407-1447 n.Chr.) als Sieger hervorging. Von Herat aus regierte
Schahruch über die Gebiete Chorasan und Afghanistan. Schahruch´s Sohn, Ulug Beg
(1409-1449) residierte als Gouverneur von Transoxanien in Samarkand. Während der
Regierungszeit von Schahruch und Ulug Beg blieb Zentralasien von kriegerischen
Auseinandersetzungen weitgehend verschont. Das Land erreichte einen gewissen
Wohlstand. Mit dem Tod Schahruchs 1447 fand dies ein jähes Ende. In blutigen
Auseinandersetzungen wurde die jahrzehntelange Aufbauarbeit vernichtet. Ulug Beg
bemühte sich um Streitbeilegung, wurde aber von seinem Sohn Abdul Latif
hingerichtet. Nach Ulug Beg´s Tod zerfiel das timuridische Reich in mehrere kleine
Fürstentümer.
V.3.10.3. Die Usbeken (1500-1868):
144
144
vgl. u.a. ALLWORTH, Edward: The Modern Usbeks. From the Fourteenth Century to the Present.
A Cultural History. Stanford 1990, BECKER, Seymour: Surria´s Protectorates in Central Asia. Buchara
and Khiva, 1865-1924. Cambridge, Mass. 1968, CARRERE, D´ENCAUSE, Helene: Islam and the
Russian Empire. Reform and Revolution in Central Asia. London 1988.
67
Der Name Usbeken scheint auf Khan Usbek (1282-1342) zurückzugehen. Durch ihn
trat die Goldene Horde zum Islam über. Auf seine Anhänger wurde der Begriff
Usbeken übertragen. Bei ihnen handelte es sich um türkische Stämme, die unter der
Führung mongolischer Heerführer standen. Die ursprüngliche Heimat der usbekischen
Konföderation lag nordöstliche des Kaspischen Meeres und des Aralsees.
145
In der
Folge wanderten die Usbeken weiter nach Süden vor und etablierten sich als
politische Macht, die jedoch zunehmend in eine Reihe sich bekämpfender politischer
Einheiten zerbrach und in der 2.Hälfte des 19.Jhdt. großteils unter die Kontrolle des
zaristischen Russlands kam.
V.3.10.4. Die Scheibaniden:
Bei der Aufteilung des Reiches unter den Erben Dschingis Khan´s war das Gebiet
zwischen dem Südende des Uralgebirges und dem Irtysch-Fluss Batu´s Brüdern Orda
und Scheiban, den Khanen der Weißen Horde, zugesprochen worden. Die Grundlage
für die usbekische Macht in Zentralasien wurde durch Abul Khayr (1428-1468
n.Chr.), einem Nachkommen von Scheiban, gelegt. Zum ersten Mal drangen Usbeken
bereits 1405 n.Chr. in Choresm ein. Sie kämpften dann unter ihrem Khan Abul Khayr
gegen Ulug Beg und konnten um 1431 n.Chr. Choresm erobern und einen großen Teil
der Dascht-i- Kipchak unterwerfen. Um 1447 n.Chr. war Abul Khayr fest etabliert am
Syr Darya. Die westmongolischen Oiraten jedoch hinderten ihn auch Transoxanien zu
erobern. Erst 70 Jahre später gelang es seinem Enkel Muhammad Scheibani, nach der
Besetzung von Buchara und Samarkand, seine Macht über ganz Transoxanien
auszudehnen und die Dynastie der Scheibaniden zu begründen. Der Sieg der Usbeken
war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Usbeken wurden bald von Babur, dem späteren
Mogul-Herrscher in Indien, vertrieben. Es gelang ihnen aber das Gebiet
zurückzuerobern. In den folgenden Jahren wechselte die Macht oft hin und her
zwischen den Usbeken, Babur und Schah Ismail, dem safavidischen Herrscher im
Iran. Die Usbeken versuchten unter der Führung Scheibani Khan´s auch die Safaviden
selbst anzugreifen. 1510 n.Chr. fiel Scheibani Khan schließlich in der Schlacht von
Merv gegen Schah Ismail Khan. Letztendlich konnten die Usbeken die Kontrolle über
Transoxanien erlangen. Diese blieb aber oft nur nominell. Mit der Etablierung der
Usbeken in Transoxanien und den angrenzenden Gebieten wurde der Name Usbek
nicht nur zur Bezeichnung der Konföderation der usbekischen Eroberer verwendet,
sondern auch auf die gesamte türkisch sprechende Bevölkerung der südlichen Oasen
Zentralasiens angewandt.
Nach Scheibani Khan´s Tod in der Schlacht von Merv entbrannten unter seinen
Nachfolgern zahlreiche Konflikte. Erst unter Khan Abdullah (1583-1598 n.Chr.), dem
bedeutendsten Herrscher der Scheibaniden-Dynastie, konnten mehrere Gebiete wieder
zu einer Einheit zusammengefasst werden. Khan Abdullah versuchte in seinem
Herrschaftsgebiet die staatliche Ordnung wieder herzustellen. Er ließ zahlreiche
öffentliche Gebäude sowie Bewässerungskanäle und Brücken errichten, bemühte sich
um die Intensivierung von Handel und Landwirtschaft. 1590 n.Chr. kam es zum
Konflikt zwischen Khan Abdullah und seinem Sohn. Dies schwächte die Dynastie
und ermöglichte es den von Moskau unterstützten Kazakhen Taschkent und
Samarkand anzugreifen. Der Scheibanidenstaat zerbrach. Nach dem Tod Khan
Abdullahs ging die Führung in seinem Gebiet an einen Prinzen des Khanats von
Astrakhan mit dem Abdullah durch Heiratsbeziehungen verwandt war über. Damit
wurde die Dynastie der Scheibaniden durch die Dynastie der Astrakhaniden abgelöst.
145
Vgl. ALLWORTH, Edward: The Modern Uzbeks. From the Fourteenth Century to the Present. A
Cultural History. Stanford 1990:7)
68
V.3.10.5. Die usbekischen Khanate bis zur russischen Eroberung:
Unter der nun herrschenden Dynastie der Astrakhaniden verstärkten sich die
Tendenzen zur lokalen Autonomie. Es gab kein geeintes usbekisches Khanat mehr,
sondern eine Vielzahl von kleinen mehr oder minder unabhängigen Gruppen.
Buchara, der Sitz der Astrakhaniden, blieb aber mächtig, da es nach wie vor ein
bedeutendes Handelszentrum war. Zwischen den einzelnen politischen Gebilden kam
es in der Folgezeit immer wieder zu Machtrivalitäten und militärischen
Auseinandersetzungen, die bis zum Ende des 19.Jhdt. andauerten und den Vormarsch
der Russen in der Region erleichterten. Die einzelnen nun entstehenden Khanate
waren nicht nur durch Rivalitäten untereinander betroffen, sondern auch durch interne
Zwistigkeiten geprägt. Zudem waren sie mit ständigen Einfällen nomadischer
Gruppierungen (Kazakhen, Kirgisen, Turkmenen) konfrontiert. Da in den
verschiedenen sich nun etablierenden Khanaten eine einheitliche politische Macht und
Führung fehlte, litt auch der Karawanenhandel. Es kam zu schweren Einbußen. Der
ehemals bedeutsame transkontinentale Handel verlor an Bedeutung, u.a. auch deshalb
weil die neu entdeckten Seewege eine Alternative zu den gefährlichen und unsichern
Überlandwegen Zentralasiens darstellten. Damit verlor Zentralasien seine
Schlüsselstellung im Handel. Der Rückgang des Handels bewirkte auch den Verlust
zusätzlicher Einnahmen, die für den Ausbau zentralstaatlicher Macht unentbehrlich
waren.
Unter den während der Herrschaft der Astrakhaniden einsetzenden
Dezentralisierungsbestrebungen bildeten sich nun drei Herrschaftsbereiche heraus
(vgl. Abb.20):
Das Khanat (später Emirat) von Buchara: Buchara beherrschte damals einen Großteil
des heutigen Usbekistan und Tadschikistan
Das Khanat von Chiwa: Chiwa kontrollierte die südliche Küste des Aralsees
Das Khanat von Kokand: Gebiete beidseitig des Syr Darja vom Aralsee bis zum
heutigen Kirgisistan und das Ferghana-Tal.
V.3.10.5.1. Das Khanat/Emirat von Buchara:
In Buchara übernahm Baki Mohammad die Regierung und gründete die Dynastie der
Astrakhaniden (1599-1747), die auch als Dschaniden bekannt wurden. Eine
Ausdehnung seines Machtbereichs gelang Baki Mohammad aber nur zeitweise. Die
Kazakhen konnten im Nordosten ihre Stellung ausbauen. Unter Imam Quli Khan
durchlebte das Khanat von Buchara eine verhältnismäßig ruhige Zeit. Unter
Abdulaziz Khan kam es zu schweren inneren Auseinandersetzungen in deren Verlauf
das Reich in mehrere Fürstentümer zerfiel. Dies war eine günstige Gelegenheit für die
Nachbarvölker das durch schwere Stammeskämpfe erschütterte Land anzugreifen.
1681 verwüsteten die Kazakhen das gesamte Serafschan-Tal. 1688 belagerten die
Truppen Chiwas Buchara. 1710 gründeten die im Ferghanatal siedelnden Usbeken ein
eigenes Khanat, das Khanat von Kokand. 1740 griff Nadir Schah von Persien Buchara
an. Er besetzte die Gebiete südlich des Amu Darja und unterwarf die untereinander
verfeindeten usbekischen Stämme. Ein Protegé Nadir Schahs, Muhammad Rahim Bi,
erlangte 1753 den Thron von Buchara. Damit endete die Herrschaft der
Astrakhaniden.
Muhammad Rahim Bi war der erste usbekische Herrscher der anstelle des
traditionellen Titels „Khan“, den Titel „Emir“ annahm. Nach seiner Etablierung in
Buchara wurde er zum Begründer einer neuen Dynastie, der Manghit-Dynastie (1747-
69
1868 bzw. 1920), die bis zur Gründung der Turkestan-Republik (1920) in Buchara
herrschte.
V.3.10.5.2. Das Khanat von Chiwa:
In Choresm, entwickelte sich ein unabhängiger Staat, das Khanat von Chiwa, das
ernsthaft die Gebietsansprüche Buchara´s bekämpfte. Choresm verfügte über eine
lange staatliche Tradition und konnte oftmals in der Geschichte Zentralasiens eine
mehr oder minder eigenständige Entwicklung nehmen. 1592 wurde Chiwa zur
Hauptstadt des Khanats und es bürgerte sich die Bezeichnung Khanat von Chiwa
anstelle der Bezeichnung Choresm ein. In den folgenden Jahren versuchten die Khane
von Chiwa immer wieder die Grenzen ihres Herrschaftsbereiches nach Norden und
Süden auszudehnen. Wiederholt besetzten sie Buchara und Samarkand. Chiwa wurde
auch zu einem der bedeutendsten Sklavenmärkte in ganz Zentralasien. Die ständigen
Angriffs- und Verteidigungskriege brachten Chiwa aber nicht die erhoffte
Konsolidierung. Die Bevölkerung litt schwer unter den mit der Militarisierung
verbundenen Besteuerungs- und sonstigen Maßnahmen. Die alles entscheidende Kraft
im Khanat von Chiwa war das Militär. 1804 wurde Muhammad Amin Herrscher in
Chiwa. Er begründete die Dynastie der Kungrat, die Chiwa bis zur Gründung der
Turkestan-Republik regierte. Chiwa war in permanente Konflikte mit Buchara
verwickelt. Zu Beginn des 19.Jhdt. kam es insbesondere in den von Chiwa eroberten
Gebieten, wiederholt zu Aufständen. Die Karakalpaken, die Kazakhen und
Turkmenen, sowie die Bevölkerung von Merv erhoben sich gegen Chiwa. Schließlich
hatten die Streitigkeiten zwischen den Aufständischen und das wiederholte Eingreifen
der Russen das Khanat so sehr geschwächt, dass es im Juni 1873 unter den gleichen
Bedingungen wie Buchara vor dem russischen Zaren kapitulierte.
V.3.10.5.3. Das Khanat von Kokand:
Bereits unter Muhammad Scheibani hatten die Usbeken das Ferghanatal erobert und
besiedelt. Ca. 100 Jahre später trennten sich die Usbeken von Ferghana von den
Buchara-Usbeken und gründeten das Khanat von Kokand. Die Bevölkerung im
Ferghana-Becken bildete zu Beginn des 17. Jhdt. ein echtes Völkergemisch. Im 18.
Jhdt. wuchs das Khanat von Kokand ständig an und wurde neben Chiwa zu einem
weiteren Rivalen Bucharas. Alim Khan eroberte Taschkent und baute es zu einem
bedeutsamen Handelszentrum aus. Auch die Stadt Turkestan und das Gebiet des
Siebenstromlandes wurden in das Khanat von Kokand einbezogen, das durch die
Errichtung von mehreren Bastionen geschützt werden sollte. Diese waren
Kristallisationspunkte für neue Siedlungen mit eigenen Moscheen und Medresen. Im
Lauf seiner kurzen Geschichte musste Kokand aber auch die Macht anderer
hinnehmen. 1758 erfolgte z.B. die Anerkennung Chinas, 1842 kam es zur Besetzung
Kokands durch die Streitkräfte Bucharas, 1858 zerstörten die Kipchaken die
Medresen Kokands. Während dieser Zeit rückten von Norden die Russen vor. Im
März 1878 wurde das Khanat von Kokand unter seinem alten Namen Ferghana von
Russland annektiert. Taschkent gehörte schon seit 1868 zum General-Gouvernement
Turkestan, das der russische General von Kaufmann im Namen des Zaren errichtet
hatte.
70
V.3.11. Die Entwicklung in den übrigen Regionen des westlichen Zentralasiens:
V.3.11.1. Die Turkmenen:
Seit dem 10.Jhdt. wurden die zwischen dem Kaspischen Meer und dem Aralsee
siedelnden Oghusen-Stämme als „Turkomanen“ bzw. „Turkmenen“ bezeichnet.
Diesen Turkmenen, die ebenfalls Muslime waren, gelang es, da sie ständig in interne
Kämpfe verwickelt waren, nie sich zu einer politischen Einheit zusammen
zuschließen. Zudem waren sie immer wieder in Kämpfe mit ihren Nachbarn
verwickelt, von denen sie aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben wurden. Im 12.Jhdt.
überfielen die Choresm-Schahs die Turkmenen und machten diese zu einer
unentbehrlichen Streitmacht in ihrem Reich. Im 13. Jhdt. wurde der Siedlungsraum
der Turkmenen unter den Erben Dschingis Khan´s aufgeteilt. Im 14. Jhdt. kämpften
turkmenische Reitertruppen an der Seite Timur´s. Seit dem 16. Jhdt. waren die
Turkmenen in ständige Konflikte mit Choresm, Buchara oder Persien verwickelt und
wurden deren Oberhoheit unterworfen. Tatsächlich behielten die Turkmenen, die bis
ins späte 19.Jhdt. Nomaden oder Halbnomaden waren, ihre Unabhängigkeit und
stellten für die sesshafte Bevölkerung Zentralasiens eine ständige Gefahr dar. Häufig
versuchten einzelne turkmenische Stämme aus ihrem Siedlungsraum östlich des
Kaspischen Meeres auszubrechen und in die fruchtbaren Oasen einzudringen, wo es
den Usbeken gelungen war, sich als Bauern oder als handeltreibende
Stadtbevölkerung anzusiedeln und dem sesshaften Leben anzupassen. Mit dem
Vordringen Russlands und Englands und den damit verbundenen Grenzziehungen
Ende des 19.Jhdt. wurde der Siedlungsraum der Turkmenen auf mehrere Staaten
aufgeteilt und ihre Wanderungsbewegungen zunehmend verhindert oder zumindest
eingeschränkt.
V.3.11.2. Die Kazakhen:
Die Kazakhen stammen von türkischen und mongolischen Stämmen ab, die sich in
dem Gebiet niederließen, das heute den Namen Kazakhstan trägt. Ausgangspunkt für
die rezenten Kazakhen ist die „Weiße Horde“, die auf Dschingis Khan´s Enkel Orda
zurückgeht, der Mitte des 13.Jhdt. eine von der Goldenen Horde quasi unabhängige
politische Einheit gründete, welche die Region am unteren Syr Darja und dem Alatau-
Gebirge beherrschte. Der Weißen Horde gelang es bald sich der Semirechye (dem
Siebenstromland) und eines großen Teils Ost-Turkestans zu bemächtigen. Auf die
Weiße Horde folgten zwei neue Kräfte: die Usbeken und die Nogaier. Die Usbeken
begannen mit der Eroberung der südlichen Regionen. Es kam zu vielfältigen
Auseinandersetzungen, die einen Teil der späteren Kazakhen dazu bewegte das Gebiet
zu verlassen. Sie wanderten nach Südosten in das Khanat von Mogolistan, das nun
eine selbstständige politische Einheit war, die von mongolischen Khanen regiert
wurde. Die Bevölkerung bestand aber auch hier mehrheitlich aus Turkvölkern, u.a.
einer großen Anzahl von Kirghisen. 1465 n.Chr. kamen auch zwei Prinzen der
Weißen Horde, Dschani Bek und Girey, nach Mogolistan. Sie brachten eine Vielzahl
ihrer Anhänger, meist Türken, mit. Der Khan von Mogolistan gab ihnen Land, am
Chu- und am Talass-Fluss. Dies wurde dann der Kern des Staates, der als
kazakhisches Khanat bekannt wurde und im späten 15.Jhdt. mächtig genug wurde um
seinen Herrschaftsbereich bis zur Dascht-i-Kipchak auszudehnen, die ursprünglich im
Besitz der Usbeken gewesen war. Anfang des 16. Jhdt. wurde die Mehrheit der
kazakhischen Stämme unter einem Herrscher vereinigt, Kasim. Nach Kasim Khan´s
71
Tod gab es aber wieder viele Konflikte. Der kazakhische Staat begann wieder
auseinander zu fallen. Nun kam es zu einem Influx von Stämmen aus der Nogai-
Horde, die sich selbst in Auflösung befand. Im 17. Jhdt. gab es eine ziemliche
Spaltung der Macht aus der drei unabhängige kazakhische Horden hervorgingen (vgl.
Abb.20):
1) Die Große Horde in der Semirecheye
2) Die Kleine Horde zwischen dem Aralsee und dem Kaspischen Meer
3) Die Mittlere Horde in der zentralen Steppenregion.
Während des 19.Jahrhunderts kam es zur endgültige Konversion der Kazakhen zum
Islam, wobei Russland einen Anteil hatte. Der Islam hatte sich unter den sesshaften
Gemeinden der Kazakhen im 7. bis 9. Jhdt. etabliert. Der kazakhische Stammesadel
wurde während des 16.Jhdt. muslimisch, großteils unter dem Einfluss der Nogaier, die
sich den Kazakhen in dieser Periode angeschlossen hatten. Das Gros der Nomaden
blieb aber unbeeinflusst von der neuen Religion. Erst unter dem Druck der russischen
Regierung und den energischen Missionierungen von Seiten der Tataren,
konvertierten sie schließlich zum Islam. Die Russen hofften, dass der Islam
zivilisatorisch auf die Nomaden wirken würde und die Stämme zu einer Einheit
führen wurde, was wiederum die russische Kontrolle über sie erleichtern würde.
Daher wurde der Bau von Moscheen aktiv unterstützt und jede tribale Einheit erhielt
einen eigenen Imam. Der Einfluss der Tataren wuchs entsprechend und Tatarisch
wurde die Amtssprache. Mitte des 19.Jhdt. wurde die offizielle Politik Russlands
umgedreht. Moscheen konnten nur mehr mit besonderer Erlaubnis errichtet werden,
die Zahl der Imame wurde stark beschränkt und die Aktivitäten der christlichen
Missionare verstärkt. Zu dieser Zeit war der Islam aber bereits stark verankert, und die
Kazakhen leisteten Widerstand gegen jeden Wandel der Religion.
Viele Angehörige der kazakhischen Stammesaristokratie erhielten eine exzellente
russische Erziehung und dies hatten einen großen Einfluss auf ihre Perspektiven. Als
dieser Einfluss sich verbreitete, begann die Popularität der Tataren zu schwinden.
Diese dominierten ursprünglich die Erziehung der Kazakhen, wurden aber wegen
ihrer zunehmend pan-turkistischen Ideale, von den Russen in ihren Aktivitäten
eingeschränkt. Die Tataren verloren damit ihre Rolle und Vormachtstellung als
Vermittler zwischen den Kolonisten und den Kolonisierten. Ende des 19. Jhdt. fand
die pro-russische Stimmung unter den Kazakhen schließlich ein Ende. Nun kamen
unzählige russische Kolonisten, die der autochthonen Bevölkerung das Land
wegnahmen. 1916 gab es eine große Rebellion gegen die russische Herrschaft, die
gewaltsam unterdrückt wurde. Nach der Oktoberrevolution gab es ebenfalls viel
Aufruhr. 1920 wurde schließlich die sowjetische Herrschaft etabliert. Am 26. August
1920 wurde die Kirgisische (d.h. „Kazakhische“) ASSR innerhalb der RSFSR
geschaffen, die dann später mit verschiedenen Gebietsveränderungen zur
kazakhischen SSR umgeformt wurde. Unter Stalin kam es zu einer umfassenden
Unterdrückungspolitik der Kazakhen, der eine große Zahl von Kazakhen zum Opfer
fiel.
V.3.11.3. Die Kirgisen:
Die kleinen staatlichen Gebilde der Kirgisen waren 1209 in das Reich der Mongolen
integriert worden. Ihr Gebiet wurde Teil des Ulus von Chagatai. Im 14.Jhdt. kam das
Gebiet unter die Herrschaft des Khanats von Mogolistan, das im 15.Jhdt. ein
unabhängiger Staat wurde, jedoch unter der Dominanz mongolischer Khane verblieb.
Mitte des 17. Jhdt. gab es eine kurzfristige Allianz zwischen den Kirgisen des
72
Tienschan und den kazakhischen Stämmen gegen die Chagataiiden. 1683 bis 1685
n.Chr. wurde das kirgisische Gebiet von den dzungarischen Oiraten (Kalmücken)
erobert. Dies führte zu einer Migration eines Teils der Kirgisen nach Ost-Turkestan.
1758 n.Chr. wurden die Oiraten von den Mandchus besiegt. Dies führte zu einer
Rückwanderung eines Teils der Kirgisen. Ab Mitte des 17. Jhdt. erfolgte die
Konversion der Kirgisen zum Islam. Nach 1758 n.Chr. wurden die Kirgisen nominell
chinesische Untertanen. De facto bleiben sie jedoch relativ unabhängig und wurden
von ihren eigenen Stammesführern regiert. Anfang des 18. Jhdt. wurden die Kirgisen
vom Khanat von Kokand angegriffen. Um 1839 waren sie dessen Vasallen geworden
und mussten nun Tribute an den Khan von Kokand entrichten. Unter dem Einfluss
von Kokand konnte der Islam nun stärker Fuß fassen. 1868 wurde das Khanat von
Kokand zum russischen Protektorat und 1876 formell in das russische Imperium als
Ferghana-Provinz integriert. Damit kamen auch die Kirgisen unter russische
Herrschaft. In Pishpek wurde 1862 eine russische Garnison eingerichtet. 1876 war die
Eroberung der kirgisischen Gebiete abgeschlossen. Der Vormarsch der Russen führte
zu Wanderbewegungen in den Pamir und nach Afghanistan. Die sowjetische Macht
wurde 1919 schließlich auch auf kirgisischem Territorium etabliert.
V.3.11.4. Die russische Eroberung des westlichen Zentralasiens:
146
Bis zur ersten Hälfte des 16. Jhdt. dominierten muslimische Türken bzw. turko-
mongolischen Dynastien das westliche Zentralasien, im 16.Jhdt. begann sich Russland
zu einer aufstrebenden Macht zu entwickeln. Den russischen Zaren gelang es nun die
während der mongolischen Herrschaft verloren gegangenen slawischen Gebiete
zurückzuerobern. Die russische Expansion nach Osten und Südosten begann unter Zar
Ivan IV (dem Schrecklichen). 1552 n.Chr. eroberten die von ihm angeführten
russischen Truppen die tatarische Festung von Kazan. Damit wurde die 300 Jahre
dauernde Umzingelung beendet, die im 13.Jhdt. mit der mongolischen Invasion
begonnen hatte. Nach der Eroberung von Kazan, drangen die Russen entlang der
Wolga vor. Sie eroberten die strategisch wichtige Stadt Astrakhan. Dann drangen die
Russen über den Ural vor, nach Sibirien bis an den Pazifik. Die rasche Ostexpansion
der Russen war stimuliert durch die Gier nach Fellen. Erleichtert wurde sie dadurch,
dass es kaum Widerstand gegen die Invasoren gab. Die zahlenmäßig geringe
einheimische Bevölkerung konnte durch die überlegene russische Militärmacht leicht
überwältigt werden. Während des 16. und 17. Jhdt. begann eine langsame, aber
fortschreitende russische Besiedlung der Steppengebiete westlich der Wolga, die nach
Süden und Südosten gerichtet war. Diese erfolgte durch die Errichtung einer
befestigten Grenzlinie durch welche die Nomaden der westlichen Steppen
niedergehalten werden konnten. Hinter dieser Verteidigungslinie wurde die
Kultivation vorangetrieben. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts hatten die Russen ihre
Verteidigungslinien östlich der Wolga verlegt und besaßen eine Reihe von Forts, die
durch Postverbindungen verbunden waren und durch Außenposten und Patrouillen
überwacht wurden.
147
V.3.11.5. Die russische Eroberung der Kazakhen-Steppe:
Hier war am Beginn des 18. Jahrhunderts die politisch-militärische Situation in sehr
instabil. Die zaristische Expansion im Trans-Wolgagebiet hatte eine Reihe von
146
) vgl. u.a. CLEM, R.S.: The Frontier and Colonialism in Russian and Soviet Central Asia. in: Lewis,
R. A.: (Ed.): (1992:19-37); ALLWORTH, E. (Ed.): Central Asia. 120 Years of Russian Rule. Durham
und London 1989 und HAMBLY, G. (Hrsg.) (1966)
147
vgl. z.B. die Abb.1.1. „Central Asian frontiers 1801, 1864“ in ALLWORTH (1989:12)
73
Bewegungen der nomadischen Völker ausgelöst, die sich vor der russischen
Aggression zurückzogen. Dies führte zu einer Neuordnung der Weidegebiete und
Wanderungsrouten. Kompliziert wurde diese sich permanent verändernde Situation
durch sich stetig wandelnde Allianzen und periodische Konflikte unter und innerhalb
der nicht-russischen Gruppen, die über die Steppen und Halbwüsten wanderten. Zur
gleichen Zeit befanden sich die einheimischen Völker der Steppe auch unter einem
starken Druck der Dzungaren im Osten. Zudem bestand ein recht ambivalentes
Verhältnis zwischen den Nomaden und den sesshaften Bewohnern, insbesondere im
südlichen Zentralasien.
Anfang des 19.Jhdt. kam es zu einem deutlichen Anstieg der zaristischen Aktivitäten
gegen den Kazakhen. Konflikte zwischen der Kleinen und Mittleren Horde boten den
Russen die Gelegenheiten diese internen Spannungen auszunutzen und das
Steppenterritorium direkt zu annektieren. Einen entscheidenden Beitrag zur
Eroberung bildeten die verschiedenen von den Russen angelegten Forts und
Außenposten.
148
Die Russen richteten eine neue Verwaltung in den kazakhischen
Gebieten ein. Unterstützt wurde der politische Wandel durch die Einführung einer
starken Militärmacht und der Errichtung neuer bewaffneter Grenzen. Zu diesem
Zeitpunkt gelang es den Russen auch nicht-russische Truppen zur Unterstützung ihrer
eigenen militärischen Kräfte heranzuziehen. Die traditionellen kazakhischen
Weidegebiete und Herdenrouten, wurden abgeschnitten und tausende russische und
ukrainische Siedler zogen von Sibirien nach Süden um die Steppen zu kultivieren.
Zusätzlich wurden den einheimischen Völkern zahlreiche Steuern aufgezwungen und
eine Reihe von Einschränkungen geschaffen um ihre Aktivitäten zu behindern. Dies
bewirkte wiederholte Rebellionen seitens der Kazakhen. Die russischen Repressalien
gegen den Widerstand waren sehr brutal und führten auf beiden Seiten zu viel
Blutvergießen. Mit der Zeit wurden die Kazakhen aber zurückgedrängt und zur
Unterwerfung gezwungen. Ende des 19. und Anfang des 20. Jhdt. kam es zu einem
starken Influx von Migranten. Dies führte dazu, dass in vielen Gebieten der Steppe die
Kazakhen zurückgedrängt wurden. Damit begann der lange Prozess, der dazu führte,
dass die Kazakhen schließlich zu einer Minorität in ihrem eigenen Land wurden.
V.3.11.6. Die russische Eroberung des südlichen Zentralasiens:
Nachdem die Kazakhensteppe dem russischen Reich einverleibt worden war, richteten
die Russen ihr Interesse in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die südlichen
Gebiete Zentralasiens. Zwischen den zentralasiatischen Staaten und Moskau hatte es
rege Handelsbeziehungen gegeben. Insbesondere Zar Peter der Große hatte ein aktives
Interesse an der Region und entsandte 1717 eine Expedition nach Khiva, die jedoch in
einem Desaster endete. Die daraus gewonnenen Kenntnisse erwiesen sich in späteren
Jahren als wertvoll. Im 18. Jahrhundert wuchs der Handel und andere Kontakte
zwischen Russland und dem südlichen Zentralasien an. Nach einer weiteren
erfolglosen Kampagne gegen Khiva 1839 unternahmen die Russen weniger
dramatische Vorstöße in die Region. Anfang der 50iger Jahre des 19. Jahrhunderts
umzingelte die zaristische Regierung das Gebiet der Kazakhen. Die Russen
attackierten nun: das Emirat von Buchara und die Khanate von Khiva und Kokand.
Nach der Eroberung von Taschkent führten weitere militärische Aktionen zum
Zusammenbruch von Kokand, das 1866 besiegt, 1876 annektiert wurde. Khiva wurde
1873 erobert und Buchara wurde zum Vasallen degradiert und teilweise annektiert.
1867 gründeten die Russen das Generalgouvernement Turkestan. Auch Transkaspien,
148
siehe Abb.2.1. „Russian Conquest of Central Asia“ in: CLEM (1992:29)
74
fiel 1885 an die Russen. 1895 wurden die internationalen Grenzen durch ein
Abkommen mit den Briten festgelegt.
149
Nachdem die politische Kontrolle über Zentralasien hergestellt worden war, begannen
die russischen Kolonialbehörden mit der Expansion der Agrarproduktion,
insbesondere der Anbau der Baumwolle wurde stark gefördert. Die ökonomische
Integration Zentralasiens in das russische Reich wurde durch den Bau von mehreren
bedeutsamen Eisenbahnlinien erleichtert. Diese ermöglichten auch den Transport von
Truppen und Materialien nach Zentralasien im Falle von lokalen Aufständen. Durch
die russische Annektion kam es nicht nur zu Veränderungen in der Wirtschaft und
Politik, sondern auch zu einem kulturellen und sozialen Wandel. Neue Ideen und neue
Wörter wurden rasch übernommen. Die russische Kultur begann vor allem unter der
städtischen Intelligenzia an Einfluss zu gewinnen. Als Folge kam es zu einem
Wiedererstarken der autochthonen Kultur und Identität. Diese Bewegung war
zunächst von Tataren getragen, die als erste in Kontakt mit den Russen gekommen
waren und erkannt hatten, dass die Entwicklung einer gemeinsamen von allen
Turkvölkern getragenen Bewegung die einzige Lösung sei dem russischen Vordringen
Einhalt zu gebieten. Daraus entwickelte sich die Bewegung der Panturkisten.
Angesichts der russischen Einflüsse erkannten Teile der autochthonen Elite, dass eine
Reform der gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten in Zentralasien
dringend erforderlich sei. So entstand z.B. die Bewegung der Jadidisten. Sie setzten
sich für eine Erziehungsreform ein und waren stark beeinflusst von den Ideen des
krimtatarischen Intellektuellen Ismail Gaspirali (bzw. Gasprinsky 1851-1914 n.Chr. ).
Ende des 19.Jhdt. und während des 1. Weltkriegs kam es in ganz Zentralasien zu einer
Reihe von Aufständen der lokalen Bevölkerung gegen die russische Herrschaft.
Angeführt wurden diese oft von den Führern der in Zentralasien weit verbreiteten
Sufiorden
V.3.11.7. Die sowjetische Machtergreifung in Zentralasien:
Im November 1917 n.Chr. wurde die sowjetische Macht erstmals in Taschkent
etabliert. Im April 1918 n.Chr. wurde die Turkestan ASSR als Teil der RSFSR
proklamiert. Bis zum Sommer 1918 n.Chr. war das Gebiet vom Rest der RSFSR
durch anti-bolschewistische Kräfte abgeschnitten und es gab eine starke
Oppositionsbewegung gegen die neue Republik, insbesondere von Seiten der Briten,
sowie von Seiten der Weißen Armee und der zentralasiatischen
Widerstandsbewegung. Im September 1919 n.Chr. konnte die sowjetische Kontrolle
über die Region hergestellte werden. 1920 n.Chr. wurden der Amir von Buchara und
der Khan von Khiva abgesetzt und ihre Staaten in die sowjetischen Volksrepubliken
von Buchara und Choresm umbenannt. Die Widerstandsbewegung der autochthonen
Bevölkerung konnte ihre Aktivitäten noch eine Zeit lang fortsetzten, insbesondere auf
dem Gebiet des heutigen Tadschikistans.
1924 n.Chr. kam es in der Sowjetunion unter Stalin zur Durchsetzung des
Nationalitätenprinzips, das zur Schaffung von unterschiedlichen, jeweils nach einer
sogenannten „Titularnation“ benannten Republiken führte (vgl. Abb.21).
150
Der
Terminus Turkestan wurde von den sowjetischen Behörden verboten. Das Gebiet
wurde in „Srednaja Azija-i Kazakhstan“ (Mittelasien und Kazakhstan) umbenannt.
Die Grenzen zwischen Kazakhen und Kirgisen, Karakalpaken, Uzbeken, Tadschiken
und Turkmenen wurden von Stalin willkürlich gezogen. Eng verwandte islamische
149
siehe Abb.2.1. „Russian Conquest of Central Asia“ in: CLEM (1992:.29)
150
Die jeweils zahlenmäßig größte Gruppe einer Republik gab derselben den Namen. Als Kriterium der
Zugehörigkeit diente dabei die Sprache.
75
Turkvölker wurden durch die nun geschaffenen Hochsprachen getrennt und das
cyrillische Alphabet eingeführt. Als die Grenzen der Republiken Zentralasiens
gezogen wurden, waren die Unterschiede zwischen den verschiedenen Völkern und
Sprachen unklar. Es gab sesshafte und nomadisierende Völker, welche die gleiche
Sprache sprachen, türkische und iranische Gruppen, die gemeinsam in den östlichen
Bergregionen lebten und eine Vielzahl von Stämmen, die grob als usbekisch oder
turkmenisch bezeichnet wurden.
In der Folgezeit gab es zahlreiche interne administrative Veränderungen, Z.B.
Verschiebung von Distriktgrenzen, Neuaufteilungen etc der Verwaltungseinheiten
etc.
151
Insgesamt kam es zu dem Versuch die zentralasiatischen Gesellschaften
entsprechend des sowjetischen Weltbildes umzuformen, u.a. Zwangskollektivisierung
der Landwirtschaft, Unterdrückung des Islams, soziale und kulturelle Veränderungen
etc.
Gegenwärtig ist, obwohl die einzelnen Republiken seit 1991 n.Chr. unabhängig sind,
weiterhin die aus der sowjetischen Zeit gültige Gliederung aufrecht.
152
Aufgrund der
Grenzziehung kam und kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den
einzelnen ethnischen Gruppen, die durch die rezenten ökonomischen und sozialen
Probleme noch verschärft werden oder durch sie verursacht werden.
V.4. Die historische Entwicklung in Ost-Turkestan:
Nachdem die Kirgisen die Uiguren, die im 8.Jhdt. n.Chr. in der Westmongolei ein
Reich gegründet hatten, besiegt hatten, flohen Teile der Uiguren in das Gebiet des
heutigen Sinkiang. Während des 11. und 16.Jhdt. konnten sie eine hochentwickelte
Gesellschaftsordnung entfalten. Zudem übernahmen sie in dieser Zeit den Islam.
China versuchte in der Folge immer wieder Sinkiang zu annektieren. 1755 n.Chr.
konnten die Mandchu-Herrscher Chinas schließlich Sinkiang erobern. Ab Beginn des
18.Jhdt. kam es zu zahlreichen Aufständen gegen die chinesische Besatzung. 1862 bis
1817 n.Chr. gab es z.B. einen großen muslimischen Aufstand. China begann nun eine
große Befriedungsaktion gegen die lokale Bevölkerung Sinkiangs, zu der neben den
Uighuren auch Kazakhen, Kirgisen und Hui (chinesische Muslime) zählten. 1884
n.Chr. konnte das Gebiet schließlich als Xinjiang „Neue Grenze“ vollständig in den
chinesischen Staat integriert werden. 1911 n.Chr. erfolgte der Sturz der Qing-Dynastie
In Sinkiang begann nun ein Zeitalter diverser „Warlords“. Die von den selbst
ernannten Herrscher geforderten hohe Steuern, die weitverbreitete Korruption und der
zunehmende sowjetische Einfluss führten zu verstärktem Aufruhr in der Region. Um
diese Unruhen, die in den 1930iger Jahren weiter zunahmen, bekämpfen zu können,
bat der letzte chinesische Kriegsherr Sheng Shicai um sowjetische Militärhilfe. Damit
erlangten die Sowjets noch größeren Einfluss. Mit dem Ausbruch des 2.Weltkrieges
wurden die sowjetischen Truppen jedoch abgezogen und Sheng Shicai konnte sich
nun lediglich auf chinesische Hilfe stützen. Die chinesische Regierung versuchte in
der Folge wieder direkten Einfluss zu gewinnen und entfernten 1944 n.Chr. Sheng
Shicai von der Macht in Sinkiang. Unter den Turkvölkern brachen neue Rebellionen
aus. Im November 1944 wurde die Republik Ost-Turkestan in den drei
nordwestlichsten an der sowjetischen Grenze gelegenen chinesischen Provinzen
gegründet. Die Regierung dieser Republik wurde aus Uighuren, Kazakhen,
151
) vgl. im Detail Ausführungen bei SCHWARTZ (1992:42, 58ff)
152
vgl. Abb.3.1. „Political-administrative structure of Soviet Central Asia“ in: SCHWARTZ (1992:43)
76
Weißrussen und Hui gebildet. Bis 1950 n.Chr. konnte diese Regierung die Region
herrschen, dann stimmte sie der Eingliederung in die VR Chinas zu. Seit der
Anbindung an die VR Chinas ist es in Sinkiang immer wieder zu Aufständen der
lokalen Bevölkerung gegen die chinesische Dominanz (u.a. große Zuwanderung von
Han-Chinesen) gekommen, die blutige niedergeschlagen wurden. Insgesamt verfolgt
die VR China in Sinkiang eine ähnliche Politik der Unterdrückung und Überfremdung
wie in Tibet.
V.5. Die historische Entwicklungen in der Mongolei:
Wie oben ausgeführt wurde, gelang es Dschingis Khan am Beginn des 13. Jhdt. die
verschiedenen mongolischen Stämme zu einigen und ein großes Reich zu gründen,
das sich im 13. und 14. Jhdt. von der pazifischen Küste bis zum Schwarzen Meer
erstreckte.
Unter seinen Nachfolgern kam es bald zu Fraktionierungen, aus denen
verschiedene Dynastien hervorgingen. Die Mongolen mussten ihre Vormachtstellung
an die Turkvölker abtreten unter denen sich insbesondere die Usbeken zu einer
politisch dominanten Kraft entwickelten.
Die Konföderation der mongolischen Stämme erwies sich im 15. bis 17. Jhdt. als sehr
uneinig, sodass es ihr trotz hegemonistischer Bestrebungen nur selten und kurzfristig
gelang größere staatliche Gebilde zu formen. Ende des 16.Jhdt. begann die
buddhistische Missionierung der davor schamanistischen Mongolen. Der tibetische
Buddhismus (Lamaismus) wurde zur Staatsreligion. Vom 17. bis zum Beginn des 20.
Jhdt unterstellten sich die Mongolen schließlich der Mandchu-Herrschaft, die als
Qing-Dynastie in China herrschte.
Die nördlichen Mongolenstämme erklärten 1911 schließlich ihre Unabhängigkeit.
Unter der Führung des Oberhauptes der mongolischen lamaistischen Religion, wurde
ein unabhängiger theokratischer mongolischer Staat errichtet. Die südmongolischen
Stämme blieben unter chinesischer Herrschaft. Im Gefolge der Auseinandersetzung in
Russland wurde im Juni 1920 die Mongolische Volkspartei gegründet. Im Oktober
1920 drang ein Teil der Weißen Armee in der Mongolei vor. Daraufhin marschierten
1921 mongolische und sowjetische Partisanentruppen in der mongolischen Hauptstadt
Urga ein und gründeten eine provisorische revolutionäre Volksregierung. Am
25.11.1924 wurde schließlich die Mongolische Volksrepublik (Äußere Mongolei)
proklamiert. Diese geriet zunehmend unter sowjetischen Einfluss. Spiegelbildlich zu
den Maßnahmen des sowjetischen Regimes wurde auch in der Mongolei versucht
ähnliche Programme durchzuführen (z.B. Kollektivisierung der nomadischen
Viehherden, politische Säuberungen, Zerstörung der buddhistischen Klöster etc.). Die
südmongolischen Stämme blieben unter chinesischer Herrschaft. 1947 wurde auf
ihrem Siedlungsgebiet die Autonome Region Innere Mongolei gegründet.
VI. DIE SPRACHEN UND ETHNIEN ZENTRALASIENS:
153
VI.1. Vorbemerkungen:
Die Steppen Eurasiens stellten eine wichtige Kontaktzone verschiedener
Zivilisationen dar. Die einzelnen hier lebenden Völkerschaften standen teils in einem
symbiotischen Verhältnis zueinander, teils waren sie im Laufe ihrer Geschichte in
153
vgl. GOLDEN (1992:16ff, SINOR (1987:21ff), BRAINBRIDGE, Margaret (Ed.): The Turkic
Peoples of the World. London und New York 1993, AKINER, Shirin: Islamic Peoples of the Soviet
Union. London, New York 1983 (reprint 1986; BENZING, in: DENY, Jean (Ed.): Philologiae Turcicae
Fundamenta, Vol.1, Wiesbaden 1959, MENGES, Karl M.: The Turkish Languages and Peoples: An
Introduction to Turkic Studies. Wiesbaden 1968
77
blutige Auseinandersetzungen verwickelt. Beeinflusst wurden die hier lebenden
Völker u.a. durch die diversen im Osten, Süden und Südwesten lokalisierten
Hochkulturen. Die rezenten in Zentralasien lebenden Völker sind das Ergebnis eines
langen vielschichtigen Prozesses, in dessen Verlauf bestehende Konfigurationen
immer wieder Transformationen durchliefen. Dies gilt insbesondere für die
verschiedenen Turkvölker, die zahlenmäßig die stärkste Gruppe darstellen. Die Frage
der Ethnizität und der Ethnogenese der zentralasiatischen Völker ist komplex und
schwierig.
154
Bezüglich der Definition ethnischer Gemeinschaften (Ethnien) kann u.a. mit
GOLDEN
155
von folgenden wesentlichen Bestimmungskriterien ausgegangen werden:
„named human population with shared ancestry myths, histories and cultures, having
an association with a specific territory and a sense of solidarity.“
Diese Kriterien treffen laut GOLDEN in Eurasien großteils auf das Türkische Qaganat
und in einer qualitativ verschiedenen Konfiguration auf das chingisidische
Herrschaftsgebiet zu. Nach dem Zusammenbruch des Türk-Staates und der
Verbreitung der türkischen Stämme, fanden eine Reihe von Transformationen statt. Es
entstanden getrennte und verschiedene ethnische Gemeinschaften und politische
Einheiten oder es tauchten solche wieder auf (z.B. die Oguzen, die Qipcaq), die
Elemente der alt-türkischen Kultur behielten, aber sie entfalteten sich auch in neue
Richtungen. Mit dem Zusammenbruch der chingisidischen Einheit und des
mongolischen Reiches, fand ein ähnlicher Prozess statt. Diesmal wurden lang-
etablierte tribale Einheiten, die oft komplexen und verschiedenen Ursprungs waren,
aufgebrochen um neue Konföderationen zu bilden, die mit der Zeit und oft unter dem
Druck von außen, zu den modernen Völkern wurden.
156
In Anbetracht der fehlenden Quellen ist es schwierig das Bewusstsein dieser Bande
zwischen den Stammesangehörigen der verschiedenen türkischen politischen
Einheiten zu festzustellen. Diese nahmen oft neue Elemente herein, türkische und
nicht-türkische. Fremde Quellen, wie z.B. die islamischen Geschichtsschreiber und
Geographen des Mittelalters, warfen sie alle zusammen und bezeichneten sie als
„Türken“ (al-Atrak), was einen gemeinsamen Ursprung implizierte und dem
Paradigma der arabischen Stämme folgte, das diesen Gelehrten bekannt war.
157
Gegenwärtige ethnogenetische Studien haben gezeigt, dass diese Gemeinschaften aber
immer polyethnisch und politisch im Charakter waren. Ihre Mitglieder bestanden aus
solchen, die tatsächlich in sie hineingeboren waren und aus solchen, die sich der
Gemeinschaft angeschlossen hatten. Es wurde dies eine Gemeinschaft (community of
„descent through tradition“) wie auch durch die Anerkennung der politischen
Führerschaft eines charismatischen Klans. Dieser Prozess fand überall in der
türkischen Welt statt. Die Kriegsführung half diese Bande weiter zu definieren und zu
verstärken.
158
Zusätzlich zu diesen politisch-militärischen und ökonomischen Banden, muss laut
GOLDEN auch die Rolle der Religion in Betracht gezogen werden. Dieses Element,
das wesentlich ist für jede Untersuchung der europäischen oder nahöstlichen „proto-
nationalen“ Gefühle wurde großteils vernachlässigt. Nicht nur der Islam, sondern
auch der vor der Islamisierung Zentralasiens vorherrschende Schamanismus waren
154
vgl .dazu z.B. die Ausführungen bei GOLDEN (1992:2ff, 380f)
155
GOLDEN (1992:1, FN1)
156
GOLDEN (1992:2)
157
GOLDEN (1992:2)
158
GOLDEN (1992:2)
78
hier bedeutsam. Bezüglich der Bedeutung des Schamanismus vermerkt GOLDEN:
Der Schamanismus, die „Graswurzel-Religion“ der Nomaden und der Waldbewohner
Zentral- und Inner-Asiens, deren Elemente auch in den später von den Turkvölkern
übernommenen Religionen bedeutsam blieben, bot eine andere Quelle der
Identifikation und spielte eine Rolle bei der Selbstidentifikation der Leute, aber auch
im politischen Bereich.
159
Der Tengri (Himmelsgott)-Kult war unter den Turkvölkern
weit verbreitet und diente als eine grundlegende Stütze für die Ideologie der Qagane.
Es ist deutlich ersichtlich, dass er eine wichtige politische Dimension aufwies. Die
folgende Annahme einer Vielfalt von universalistischen Religionen (Buddhismus,
Manichäismus, nestorianisches Christentum, Judentum und Islam) durch die
Turkvölker, die als Ergebnis einer komplexen Interaktion mit politischen, kulturellen
und ökonomischen Kräften erfolgte, diente ebenfalls als Identitätsmerkmal. Dieser
Aspekt des vorislamischen politischen Lebens der Türken ist laut GOLDEN aber noch
nicht ausreichend erfasst.
160
Einen wesentlichen Anteil an der Formung und Neustrukturierung der
zentralasiatischen Völker, insbesondere der Turkvölker, die ursprünglich großteils
nomadisierende Viehzüchter waren, hatte ihre sozialen und politische Struktur (siehe
auch später). So spielte z.B. auch die Verbundenheit mit dem Stamm eine gewisse
Rolle für die Identität der Zentralasiaten. Bezüglich der zentralasiatischen Stämme
vermerkt GOLDEN u.a., dass hier die genealogischen Beziehungen nicht so relevant
waren, sondern vor allem die Zugehörigkeit zu einem politischen Führer eine große
Bedeutung hatte.
161
Die Mobilität der Steppengesellschaft bot Individuen und
Gruppen die Freiheit der Residenz und daher bis zu einem gewissen Grad, Freiheit der
politischen Affiliation. Die unzufriedenen und unglücklichen, konnten die Gruppe
verlassen und sich einem neuen Führer anschließen. Individuen, Familien und Klans
konnten sich „für grünere Weiden“ trennen. Diese Mobilität verhinderte die
Entstehung von starken territorialen Bindungen und ermöglichte eine große Fluidität
in der sozialen Organisation. Als Konsequenz daraus wurden der Verwandtschaft und
der genealogischen Struktur, wie fiktiv und politisch motiviert diese auch war,
größere Bedeutung als Vehikel für den Ausdruck politischer Beziehungen gegeben.
162
Dies erlaubte auch eine große Flexibilität. Nomadische Gruppen konnten sich leicht
neu gruppieren und reformieren.
Bezüglich der Bedeutung der Sprache vermerkt GOLDEN, dass diese bis zur
Schaffung „moderner Nationen“ durch das sowjetische System kein wesentliches
Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe darstellte. In dieser Welt
der häufigen Veränderungen, in der Steppe und sogar in unmittelbarer Nähe zu den
sesshaften Gesellschaften, war die linguistische und kulturelle Einheit kein
notwendiges Erfordernis. Dies bedeutet nicht, dass die Leute sich dieser Beziehungen
nicht bewusst waren. Die „Reinheit der Sprache“, besonders in der Aussprache und
dem Fehlen von fremden Einflüssen war eine Quelle des Stolzes, wie u.a. schon
Mahmud al-Kasgari schrieb. Die Sprache war, laut GOLDEN aber nie eine Schranke.
Verschiedene türkische Gruppen lebten in intensiver Symbiose mit nicht-türkischen
Gruppen ohne sich voll zu assimilieren (z.B. die iranisch-sprechenden Alano-As
159
GOLDEN (1992:2f)
160
GOLDEN (1992:3)
161
vgl. diesbezüglich auch BARFIELD, Thomas J.: Tribe and State Relations. The Inner Asian
Perspective. in: Kostiner, J. and Khoury, Ph.S. (Eds.): Tribes and State Formation in the Middle East.
London, New York, 1991:153-182; vgl. auch GOLDEN (1992:4)
162
GOLDEN (1992:4f)
79
Gruppen unter den Qipcaqen).
163
Insgesamt waren viele der zentralasiatischen Völker
bi- oder sogar multilingual.
164
Im westlichen Zentralasien fand jedoch ein
allmählicher Türkisierungsprozess statt. Das Türkische war die Sprache der
militärischen und politischen Elite in Zentralasien und breitete sich weit über ihre
physischen Grenzen aus. Nicht-türkische Gruppen übernahmen die türkische Sprache
ohne dass es damit auch zu einer Vermischung mit den Türken kam, zumindest in der
Frühphase.
165
Bezüglich der Ethnonyme vermerkt GOLDEN: Der politisch dominante Stamm oder
Klan gab oft seinen Namen der tribalen Union oder Konföderation die er schuf. Wenn
dieses politische Gebilde zusammenbracht, kam der Name des neuen, dominanten
Klans oder Stammes in den Vordergrund oder die alten Klannamen tauchten wieder
auf. Eine Zerstreuung von Stämmen führte zum Erscheinen von tribalen Namen und
Klannamen unter einer Vielzahl von Gruppen. Manchmal verbanden sich diese
Fragmente, sie schufen einen Namen, der die Micro-Union dieser zwei Klans oder
Stämme reflektierte.
166
Die Ursprünge der türkischen Stammesnamen sind laut
GOLDEN nicht ganz klar. Es wurde lange Zeit angenommen, dass die
Stammesnamen sich aus Klannamen heraus entwickelt hätten, die ihrerseits auf
eponymische Ahnen zurückgehen. Dies war das Bild, das der Welt durch die tribalen
Genealogien vermittelt wurde. Dies scheint aber nicht das Muster zu sein für tribale
Konföderationen. Darüber hinaus finden wir laut GOLDEN in bezug auf die Stämme,
keine Beispiele für dieses eponymische System bis zu dem Zeitpunkt als die
türkischen Stämme unter starken und langen islamischen oder mongolischen
(chingisidischen) Einfluss gerieten. Erst dann traten solche Stammesnamen oder
politisch/dynastischen Namen auf, wie Selcuk, Nogay, Osmanli, Cagatay. Gleichfalls
gab es nur wenig Namen totemistischen Ursprungs. Es gab viele Namen, die sich
nicht etymologisieren lassen auf der Basis des Türkischen. Diese könnten auf einen
nicht-türkischen Ursprung hinweisen oder auf Termini, die längst vergessen worden
sind. Wie mit so vielen anderen Elementen im Leben der nomadischen Welt, haben
sich Namen rasch geändert und bewegten sich von einem Ort zum anderen. Unsere
Quellen bieten laut GOLDEN oft ein kaleidoskopisches Bild der ständigen
Veränderung der türkischen nomadischen Formationen.
167
Diese Veränderungen
fanden auf der politischen, der herrschenden Ebene statt. Aber bisweilen konnte eine
Konföderation eine lange Periode der ethnischen Stabilität haben mit einer Gruppe
von zentralen Stämmen, aber sich ändernden Eliten.
168
Bezüglich der Ethnogenese der zentralasiatischen Völker, insbesondere der
Turkvölker, sind laut GOLDEN eine Reihe von Dingen zu beachten: U.a. ist es häufig
schwierig und sogar problematische eine Kontinuität bestimmter ethnischer Gruppen
zu rekonstruieren. Oft spielten, z.B. bei der sowjetischen Nationalitäten-Politik,
politische Interessen eine Rolle. Sowjetische Forscher haben oft kleine Unterschiede
zwischen den verschiedenen Gruppen betont und daraus dann unterschiedliche
Ethnien konstruiert. Andere Forscher haben die Turkvölker wieder zu wenig
differenziert gesehen.
GOLDEN vermerkt daher bezüglich der Ethnogenese der Turkvölker folgendes: Jede
Diskussion der Ethnogenese und der Formierung der Turkvölker muss die
163
GOLDEN 1992:5)
164
vgl. GOLDEN (1992:5f)
165
GOLDEN (1992:12f)
166
vgl. ad. Details dazu GOLDEN (1992:6)
167
GOLDEN (1992:6)
168
GOLDEN (1992:6)
80
außergewöhnliche Mobilität der pastoralen Nomaden im Kopf behalten, die
Geschwindigkeit mit der sich ihre politischen Gebilde auflösten und neu bildeten,
oftmals mit einem Wandel in einigen ihrer ethnisch-tribalen Komponenten. Jede
Diskussion der Ethnogenese muss die Unterschiede zwischen Land und Leuten im
Kopf behalten. Die türkischen Gruppen selbst, die oft unterschiedlichen tribalen
Ursprungs und ethnischer Geschichte waren, wurden oft politische Herren in
Gebieten, die sehr komplexe ethnische Vorläufer hatten. Über die ursprüngliche Basis
einer nicht-türkischen Bevölkerung (in Zentralasien war diese meist iranischen
Ursprungs), die selbst das Produkt verschiedener ethnischer Strata waren, wurden
verschiedene Wellen türkischer Völker zu verschiedenen Zeiten aufgepfropft. Es fand
ein gewisser Grad der Amalgamation, der Assimilation, statt, der im wesentlichen
eine neue, aber oft weit von jeglicher Homogenität entfernte Gruppe entstehen ließ.
Die Diversität der Sattelbögen, die von ein und demselben türkischen Volk benutzt
werden, deutet auf die Vielfalt der ethnischen Gruppen und Subgruppen hin, die
dieses Volk bildeten. Die Usbeken bieten dafür ein gutes Beispiel eines Turkvolkes
der heutigen Zeit, das sich aus einer Reihe komplexer Schichten, aus einer Vielzahl
von türkischen und iranischen Ethnien. formierte. Die iranische Sprache ist in den
„usbekischen“ Städten noch immer weit verbreitet.
169
GOLDEN erhebt dann die Frage, was die Turkvölker eigentlich miteinander
verbindet. Hier besteht laut ihm eine großteils miteinander geteilte Geschichte und
daraus resultierende Kultur, wobei u.a. die Religion (z.B. der Tengri-Glaube, der
Schamanismus, der Islam) als integrierender Faktor wirkten. Die überwiegende Zahl
der Turkvölker war Teil der großen eurasiatischen nomadischen Reiche (z.B. Hsiung-
nu, Chingisiden und Timuriden). Die imperialen Institutionen und die Traditionen, die
in diesen Reichen entwickelt wurden, spielten eine Rolle nicht unähnlich jener des
römischen Reiches bei der Prägung der Kultur in Europa. Es gibt somit gemeinsame
politische und kulturelle Fäden, die die Osmanen mit den Tataren, Usbeken und den
noch weiter entfernten Cuvaschen verbinden.
170
Zusammenfassend meint GOLDEN bezüglich der Faktoren, die zur Ethnogenese der
Turkvölker beigetragen haben, folgendes: Diese war meist kein sauberer Prozess.
Viele der zentralasiatischen Türkvölker haben vielfältige Ursprungspunkte, mit
ethnischen Schichten die aufeinander geschichtet sind. Obwohl es viele ursprüngliche
Elemente gibt, die einer Anzahl der Turkvölker gemeinsam sind, (z.B. das
Qipcakische Element unter den Uzbeken, Qazaqen, Kirgizen, Qara Qalpagen,
Nogaiern, Baschkiren etc.), variieren die Proportionen zu denen dieses Element
Eingang gefunden hat, sehr stark. Darüber hinaus sind die verschiedenen Elemente
(z.B. das Qipcaqische) selbst kaum als homogen anzusehen. Zusätzlich hatten oder
entwickelten viele eine einzigartige Kombination von Elementen, die halfen die einen
von den anderen zu unterscheiden.
Versteckt hinter den ethnischen Elementen, die mehr oder minder deutlich dargelegt
sind in unseren Quellen, sind die substratalen Elemente. Insgesamt zeigen die
Turkvölker eine außergewöhnliche absorpative Kraft. Dies gilt nicht für andere
Steppeneroberer. Die Mongolen eroberten Eurasien, aber heute ist nur die Mongolei
mongolisch in der Sprache und sogar hier, ist die Innere Mongolei in Gefahr ihren
mongolischen Charakter zu verlieren. Es gibt nur wenige Plätze, wo die von den
169
GOLDEN (1992:12)
170
GOLDEN (1992:13f)
81
Türken unterworfene Bevölkerung nicht türkisiert wurde.
171
Anderswo aber, in
Anatolien, im NW Iran (wo die Stämme stärker konzentriert waren) bis zum östlichen
Transkaukasus, den Niederungen des N-Kaukasus und besonders dem iranischen
Zentralasien, turkisierten die Türken, die oft in der Minderheit waren mit der Zeit die
lokale Bevölkerung. Dies geschah nicht vorsätzlich. Es war keine Staatspolitik. Die
vor-modernen Staaten benötigten keine linguistische Homogenität.
172
Als entscheidenden Faktor betrachtet GOLDEN den politischen Prozess, der
schließlich zur Bildung von Nationen im heutigen Sinn führte. Bezüglich des „Nation-
Buildings“ argumentiert GOLDEN dabei folgendermaßen: In Anbetracht der großen
Fluidität der türkischen Steppe, hätte die heutige Konfiguration der Turvölker leicht
anders aussehen können. Ethnische Kräfte operieren nicht in einem Vakuum. Obwohl
bestimmte linguistische, tribale oder ethnische Elemente vorhanden waren, war es
letztendlich der politische Prozess, der ein Volk schafft. Daher sind nationale
Sprachen, so wesentlich sie für das moderne Nation-Building auch sein mögen, wie
HOBSBAWN notierte „almost always semi-artifical constructs.“
173
Das gleiche kann
laut GOLDEN auch von vielen Nationen und Nationalitäten gesagt werden. Der Staat,
ob er ausgedrückt wird in den umfangreichen Konföderationen der Hsiung-nu, der
Türken oder der Chingisiden oder im modernen mächtigen Staat, spielt oft eine
entscheidende Rolle. Zerstreute Gruppen können zusammengebracht werden und sich
zu einer „Nation“ zusammenschweißen, ob dies ihr Wille war oder nicht. Folgt man
HOBSBAWN „nations do not make states and nationalism but the other way
around“.
174
HOBSBAWN argumentiert weiter, dass eine Analyse des Nation-
Buildings nicht getrennt werden kann von einem spezifischen ökonomischen und
technologischen Kontext in Zeit und Raum. Die Schaffung einer Literatursprache
wird bedeutsam, wenn Massenmedien existieren, die das Ansprechen einer größeren
Bevölkerung zum Ziel haben.
175
Der Einfluss des neuen nationalen Geistes ist nicht
gleichmäßig regional verbreitet oder innerhalb verschiedener sozialer Gruppen. Es
gibt immer wettstreitende Kräfte der Identifikation (Regionalisms, Religion).
HOBSBAWN nennt 3 Stadien bei der Schaffung einer nationalen Identität:
176
1) Im ersten Stadium befasst sich eine kleine Gruppe von großteils apolitischen
Wissenschaftlern und Amateuren mit extensiven Literaturstudien und
Folklorestudien.
2) Im zweiten Stadium verwendet eine hochgradig politisierte Gruppe die
akkumulierten Untersuchungen, oft in einer sehr ideosynkretischen Art. Sie
konstruiert ein politisch-nationales Programm, eine nationalistische Ideologie oder
einen Mythos. Dieser wird zum Brennpunkt einer intensiven politischen Agitation.
3) Im letzten Stadium wird dieses nationalistische Programm in großem Stil
propagiert.
Ende des späten 19.Jhdt., Anfang des 20.Jhdts hatten einige türkische Völker dieses
letzte Stadium erreicht (z.B. die Osmanen, die Azeris, die Wolga-Tataren, die
Uzbeken), andere hatten noch nicht einmal mit diesem Prozess begonnen (z.B die
Yakuten, Xakas etc.) Die russischen Revolutionen und ihre Nachspiel spielten eine
171
GOLDEN (1992:379). In Teilen des Balkans oder Nord-Afrikas war die türkische politische
Dominanz nicht mit einer Türkisierung der Bevölkerung verbunden, wie dies z.B. in Anatolien der Fall
war.
172
GOLDEN (1992:380)
173
HOBSBAWN Eric: Nations and Nationalism since 1780. Cambridge 1990:54
174
HOBSBAWN (1990: S.10)
175
GOLDEN (1992:382)
176
HOBSBAWN (1990:10-12), vgl. auch GOLDEN (1992:382)
82
wichtige Rolle bei der Festlegung der Abgrenzung der verschiedenen Turkvölker
innerhalb der Sowjetunion.
177
In Zusammenhang mit der Festlegung moderner Nationalitäten weist GOLDEN
nochmals daraufhin, dass hier oft eine Verzerrung historischer Fakten stattfand, dass
kleine Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen oft stark betont wurden etc.
Laut GOLDEN liefern die linguistischen, archäologischen und ethnologischen
Quellen oft wenig Material für konkrete Aussagen. Oft lassen sich bestimmte Funde
keiner bestimmten Ethnie wirklich zuordnen. Rückschlüsse, die auf der
gegenwärtigen Situation einer bestimmten Gruppe basieren, bedeuten laut GOLDEN
nicht automatisch, dass deren Vorfahren oder Gruppen, die mit ihnen in Beziehung
gesetzt werden, notwendigerweise auf der gleichen Mentalität oder dem gleichen
Gedankengebäude aufgebaut haben.
178
Schließlich ist noch auf einen weiteren Faktor hinzuweisen. BACON
179
hat betont,
dass Zentralasien seit der Frühzeit zwar sehr heterogen war, kulturell wies es jedoch
eine relativ große Homogenität auf. Insbesondere zwei kulturelle Traditionen waren
hier bestimmend:
1) die Tradition der Steppe
2) die Tradition der Oasen
Generell gilt, dass beinahe alle Völker, welche die heutigen Ethnien Zentralasiens
darstellen, eine Mischung aus verschiedenen Elementen sind. Die ethnische Identität
war oft nicht sehr ausgeprägt (bis zur sowjetischen Nationalitätenpolitik).
Entsprechend dem jeweiligen Kontext (vgl. BARTH´s
180
Konzept der „ethnischen
Gruppen und ihrer Grenzen“) wurden unterschiedliche Aspekte unterstrichen. Es gab
u.a. unterschiedliche Bezugsrahmen, supra-nationale, sub-nationale etc.
181
.
BACON
182
vermerkt diesbezüglich folgendes: „Almost all represent a mixture of
elements which, largely through a common history, culture, and residence in
continuous territory, came to have enough feeling of ethnic identity to accept
classifications as Uzbek, Kazak, or other name group.“ Bis in die jüngste
Vergangenheit gab es laut BACON kein Gefühl der nationalen Solidarität.
Turkmenische Stämme zeigen untereinander oft genau soviel Feindschaft wie zu
Nicht-Turkmenen. Die Oasenbevölkerung identifizierte sich normalerweise als zu
einem bestimmten Dorf oder zu einem Ort gehörend und weniger als Uzbeken oder
Tadschiken. Nur in Beziehung zu Außenseiten waren sie sich bewusst Mitglieder
einer ethnischen Gruppe zu sein.
VI.2. Die Sprachen Zentralasiens:
Vor der russischen und chinesischen Eroberung Zentralasiens und der Einführung
neuer Sprachen (z.B. Russisch, Chinesisch) durch die Kolonisten, die staatliche
Politik etc. wurden in Zentralasien eine Reihe von Sprachen gesprochen, die primär
den beiden folgenden großen Sprachfamilien zuzuordnen sind, ihrerseits aber wieder
in eine Reihe von Untergruppen gegliedert sind. (im folgenden sind nur die modernen
Varianten dargestellt)
I) Altaische Sprachen
177
GOLDEN (1992:382)
178
GOLDEN (1992:14)
179
BACON (1966)
180
BARTH, Fredrik: Introduction. in: Barth, F. (Ed.): Ethnic Groups and Boundaries. Oslo 1969
181
vgl. z.B. LEMERCIER-QUELQUEJAY, Chantal: From Tribe to Umma. In: Central Asian Survey,
Vol.3, Nr.3, 1985:15-27 und SHAHRANI, Nazif. M.: From Tribe to Umma. Comments on the
Dynamics of Identity in Muslim Soviet Central Asia. in: Central Asian Survey, Vol.3, Nr.3, 1985:27-39
182
BACON (1968:14f)
83
1) die Turkgruppen
2) die mongolischen Gruppen
3) die manchu-tungusischen Gruppen (hier nicht näher aufgelistet)
II) Iranische Sprachen (sie gehören der indo-europäischen Sprachfamilie an)
Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Sprachen, die diversen Sprachgruppen
zuzuordnen sind, die entweder in der Region gesprochen werden oder die dortigen
Sprachen beeinflusst haben, wie u.a.: die paleo-sibirischen Sprachen, die sino-
tibetischen Sprachen, die uralischen Sprachen (bei letzteren wurde früher ein
Zusammenhang mit den altaischen Sprachen angenommen) und die semitischen
Sprachen.
VI.2.1. Die Altaischen Sprachen:
In der frühen Geschichte des Studiums der altaischen Sprachen wurde eine mögliche
Verbindung der altaischen Sprachen mit den uralischen Sprachen angenommen. Diese
Ural-Altaische-Theorie
wird heute laut GOLDEN
183
nicht mehr favorisiert.
VI.2.1.1. Die Turksprachen:
Laut GOLDEN ist die Klassifizierung der Turksprachen nicht ohne Probleme. Die
heutigen Turksprachen repräsentieren laut GOLDEN das Resultat einer komplexen
ethnogenetischen Geschichte. (siehe Ausführungen oben)
184
Für die Turksprachen existieren eine ganze Reihe von Klassifikationsschemata (vgl.
im Detail z.B. MENGES, GOLDEN, BASKAKOV, BENZING etc.). Weit verbreitet
ist die im folgenden angeführte Gliederung von BENZING aus den „Philologiae
Turcica Fundamenta“ (1959) bzw. die Gliederung nach GOLDEN (1992)
VI.2.1.1.1. Die Gliederung der zentralasiatischen Turksprachen nach GOLDEN
(1992):
185
1) zentralasiatische Ogusen: Turkmenen
2) aralo-kaspische Qipcaken: Qazaq, Qara Qalpak und Qirgiz
3) Turki
: Uzbeken, Uyguren und ihre Untergruppen (Salar, Dolans, Sera Yorgurs)
VI.2.1.1.2. Die Gliederung der Turksprachen nach BENZING (1959):
186
A) BOLGAR GROUP:
Chuvash (im Wolgagebiet)
B) SOUTHERN TURKIC (OGHUZ GROUP)
1) Osmanli: Türkei-Türkisch, verschied. anatolische u. rumelische Dialekte (z.B.
makedon. T.), Osmanli der Krim
2) Azerbaijani: (in Azerbaischan und NW-Persien), Kashkay (in Südpersien)
3) Turkmen: (in Turkmenistan, NO-Persien, N-Afghanistan)
C) WEST-TURKIC (KIPCHAK-KOMAN LANGUAGES)
1) Ponto-Caspian Group:
a) Karaim: (auf der Krim, in Polen und Lithauen)
b) Karachay und Balkar: (im NW-Kaukasus)
183
GOLDEN (1992:16); ad. Details zur Ural-Altaischen Frage vgl. u.a. SINOR (1987:20ff) sowie
GOLDEN (1992:16 ff)
184
GOLDEN (1992:19)
185
GOLDEN (1992:399)
186
zitiert nach BENZING in Deny, u.a. aus „Philologiae Turcicae Fundamenta (1959)
84
2) Ural Group:
a) Tatar: (im Wolgagebiet, in W-Sibirien) u.a. auch die Krimtataren
b) Bashkir: (im Süd-Ural-Gebiet)
3) Aralo-Caspian Group:
a) Kazak: (in der Kazakhensteppe)
dazu gehört u.a: Karakalpak (im Aralseegebiet), Nogay (auf d. Krim
u. im N-Kaukasus)
b) Kirgiz (in den Gebirgsregionen West-Zentralasiens)
D) EAST TURKIC (UIGUR GROUP):
1) Uzbek (in Uzbekistan, Tadschikistan, N-Afghanistan u. anderen
zentralasiatischen Republiken)
2) New Uighur (East Turkic, Taranchi, dialects of Kashgar and Khotan etc.)
Splittergruppen sind: Sary-Uighur (in West-China)
N) NORTH TURKIC:
1) Aral-Sayan Group:
a) Altaic (Oyrot, Teleut): (im Altai-Gebirge)
b) Shor (Abakan-Turkic) and Khakas
c) Tuva
2) North Siberian Group:
Yakut
VI.2.2. Die mongolischen Sprachen (nach GOLDEN 1992):
187
Die modernen mongolischen begannen sich im 16.Jhdt. auszubilden und lassen sich in
die folgenden Untergruppen gliedern.
1) West-Mongolisch:
Oirat: wird in der Inneren und Äußeren Mongolei gesprochen und ist eng verwandt
mit dem Kalmükischen (das aus ihm hervorgegangen ist). das in der
Kalmükischen ASSR (Sowjetunion) gesprochen wird
Mogol: wird in Afghanistan gesprochen, wo es im Verschwinden begriffen ist
2) Ost-Mongolic:
Dagur: in der Manchurei
Monguor
(in der Provinz Kansu, VR China); verwandt mit ihm sind: Santa/ Tung-
hsian [Dongxian], Pao´an und die mongolischen Dialekte, die von den
Sera Yogur gesprochen werden
Mongolisch
(Xalxa, Urdus/ Ordos, Dariganga, Caxar, Xarcin-Tumut, Xorcin,
Ujumcin etc.), in der Mongolischen VR und in der Inneren Mongolei
(autonome Region der VR China). Die Xalxa-Sprecher stellen die
Majorität dar.
Buriat und verwandte Dialekte: (in der buriatischen ASSR, und kleinere Gruppen
in anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion)
VI.2.3. Die Manchu-Tungusischen Sprachen:
Diese dritte Hauptgruppe der Altai-Sprachen ist in Zusammenhang mit Zentralasien
laut GOLDEN weniger wichtig. Auch sie ist eine Reihe von Untergruppen gegliedert.
(ad. Details siehe die Ausführungen bei GOLDEN).
188
187
GOLDEN (1992:26f)
188
GOLDEN (1992:27)
85
VI.2.2. Die iranischen Sprachen:
Neben den genannten altaischen Sprachen, kommt verschiedenen iranischen Sprachen
eine besondere Bedeutung zu. U.a. diente und dient das Persische als Lingua Franka
in weiten Teilen Zentralasiens und war die Kultur- und Literatursprache schlechthin.
Wie die modernen altaischen Sprachen, so haben auch die rezenten iranischen
Sprachen eine Reihe von Vorläufersprachen, unter denen das zum Mittelpersischen
gehörende Sogdische eine große Bedeutung in Zentralasien erlangte.
chingisidischen und chingisidischen Periode türkisiert.
Die modernen iranischen Sprachen können laut GOLDEN (1992) folgendermaßen
gegliedert werden:
189
1.Nord-West-Iranisch:
Kurdisch:
(in Türkei, Iran, Iraq, Syrien, vormaligen Sowjetunion, v.a. im
Transkaukasus)
Talys (Talus/ Talis): in Azerbaidschan und im Iran
Baluch (in Pakistan, Iran, Afghanistan, Indien, vormalige Sowjetunion, v.a. in
Turkmenistan, kleinere Gruppen verstreut in der arabischen Welt)
Gilaki /Gileki: im Iran
Mazandarani: im Iran
Ormuri/ Baraki (unbekannte Zahl in Afghanistan und Pakistan)
Paraci: (unbekannt Zahl in Afghanistan)
Dialekte des Zentralirans
2. Süd-West-Iranische Gruppe:
Persisch/ Farsi: eng verwandt mit dem Tadschikischen; Farsi ist eine
weitverbreitete Lingua Franka
Tadschik: (im vormals sowjet. Zentralasien, v.a. in Tadschikistan u. Uzbekistan)
Dari und seine Varianten: (in Afghanistan)
Tat: (im Kaukasus)
Luri
: (im Iran)
Baxtiyari
: (im Iran)
Dialekte von Fars/ Iran.
3. Nord-Ost-Iranische Gruppe:
Osetisch: Nachkommen der mittelalterlichen Alano-As; im ehemals sowjetischen
Kaukasus
Yagnobi: Nachfahre des Sogdischen (1972 über 2000 Personen in Tadschikistan)
4. Süd-Ost-Iranische Sprachen:
Paschto (in Afghanistan und in Pakistan)
Pamir Sprachen: im afghanischen Pamir, in der Region Sarikol der VR China und
in Tadschikistan; dazu gehört u.a. die Sugnan-Rusan-Gruppe, Yazgulam,
Iskasim, Waxi
189
GOLDEN (1992:32f) (laut GOLDEN gibt es hier Klassifikationsprobleme)
86
Auf die anderen in Eurasien verbreiteten Sprachen wird hier nicht näher
eingegangen.
190
Lediglich die semitischen Sprachen und die russische Sprache möchte
ich kurz erwähnen.
Die semitischen Sprachen (hier arabisch, syrisch und hebräisch) hatten einen großen
kulturellen Einfluss, vor allem im religiösen Bereich. Als Folge der Islamisierung
Zentralasiens erlangte das Arabisch eine besondere Bedeutung. Der semitische
Einfluss bezog sich laut GOLDEN
191
vor allem auf die kulturelle und religiöse Sphäre
und kam über dritte Gruppen (v.a. die Iraner) in die Region. Was den direkten
Kontakt mit semitischen Völkern anbelangt, so hatten diese nur eine sehr marginale
Rolle.
Russisch hatte einen beträchtlichen Einfluss auf die Turksprachen des russischen und
sowjetischen Reichs. Der Einfluss war hier eher auf die politische Sphäre bezogen
und weniger auf die ethnogenetische Sphäre.
192
VI.2.3. Die in Zentralasien verwendeten Schriften:
Laut SINOR
193
ist die Schrift der wichtigste vereinheitlichende Faktor in der
Zivilisation. Sie wird oft zur Definition einer gegebenen Zivilisation herangezogen.
Die Schrift scheint ein mächtigeres Bindeglied als die gesprochene Sprache zu sein.
Die Geschichte kennt viele multilinguale Nationen, aber nur wenige große politische
oder kulturelle Einheiten, mit mehr als einer Schrift, die eine längere Dauer gehabt
hätten.
In Zentralasien gibt es keine Schrift als vereinigendes Band. Die Völker
Zentralasiens haben nicht als Gesamtheit eine der Schriften der benachbarten
sesshaften Zivilisationen angenommen. Sie schufen keine integrierte oder mehr oder
weniger homogene Zivilisation, sondern behielten ihre kollektive Identität.
Mit Ausnahme des cyrillischen Alphabets, stammen die meisten in Zentralasien
verwendeten Schriften aus dem Nahen Osten, aus China und Indien.
194
Die ersten Schriftquellen:
Die ersten erhaltenen Texte sind in Türkisch geschrieben.
Diese können mit Sicherheit aus der Mitte des 8. Jahrhunderts n.Chr. datiert werden,
aber es ist auch möglich, dass sie noch älter sind.
195
Unter den türkisch sprechenden
Völkern an der östlichen Peripherie Zentralasiens waren in der zweiten Hälfte des
ersten Jahrtausends sieben verschiedene Schriften in Gebrauch: eine Runenschrift, die
uigurische Schrift, die sogdische Schrift, das Estrangelo, die manichäische Schrift, das
Brahmi und die tibetische Schrift.
Die Estrangelo-Schrift, die syrischen Ursprungs ist, wurde vor allem von den Christen
benutzt. Die eng damit verwandte manichäische Schrift wurde von den Manichäern
verwendet.
196
Die runische Schrift, die in Zentral-Eurasien verwendet wurde, wurde so bezeichnet,
weil sie stark der germanischen Runenschrift ähnelte, aber zwischen den beiden
190
vgl. GOLDEN (1992:28, 33f)
191
GOLDEN (1992:37)
192
GOLDEN (1992:37)
193
SINOR (1987:27)
194
SINOR (1987:27)
195
SINOR (1987:27)
196
SINOR (1987:28)
87
bestand keine Verbindung. Die türkische Runenschrift hat ihre Wurzeln in der
aramäischen Schrift und wurde vor allem für Inschriften verwendet.
197
Die sogenannte uigurische Schrift wurde viel länger benutzt und hatte eine weitere
Verbreitung. Sie sieht ähnlich aus, wie die sogdische Schrift, die von rechts nach links
in horizontalen Linien geschrieben wird. Mit der Annahme des Islams durch die große
Mehrheit der Türken wurde die arabische Schrift verbreitet, ansonsten wäre
wahrscheinlich die uigurische Schrift zur verbreitetsten Schrift in Zentral-Eurasien
geworden. Die Verwendung der uigurischen Schrift ist in türkischen buddhistischen
Texten bis ins 18. Jahrhundert belegt. Von großer Bedeutung war die Annahme dieser
Schrift durch die Mongolen im 13. Jahrhundert.
198
Die mongolische Schrift, wie sie vor der Einführung des cyrillischen Alphabets 1946,
bestand, war eine leicht modifizierte Form der uigurischen Schrift. Die Mongolen
machten die Schrift zu einer vertikalen Schrift, die in aufeinanderfolgenden Spalten
von links nach rechts geschrieben wird.
199
Mit dem Auftauchen des Islams kam es auch zur Verbreitung der arabischen Schrift.
Um das 11.Jahrhundert haben wir vielfältige Belege, für die Verwendung des
Arabischen zur Wiedergabe türkischer Texte. Unter den Türkvölkern war die
Verwendung des Arabischen bis ins 20. Jhdt. gleichbedeutend mit Schriftkundigkeit.
Die arabische Schrift eignet sich nur schlecht zur Wiedergabe türkischer Laute. Z.B.
kennt die arabische Schrift nur vier Vokale, während jede Turksprache mindestens 8
Vokale hat.
200
Die Verwestlichung der Türkei und die Schaffung einer neuen russisch-geprägten
Zivilisation in einem Großteil Zentralasiens hat zur Übernahme des Lateinalphabets
und der cyrillischen Schrift geführt. Die Verwendung der arabischen Schrift zur
Wiedergabe des Türkischen hat nur in Chinesisch-Turkestan überlebt.
Die cyrillische Schrift: Diese war nicht in der russischen Orthographie, sondern es
handelte sich um das cyrillische Alphabet, das den lokalen Bedürfnissen angepasst
wurde. Diese cyrillischen Alphabete wurden für die verschiedenen Völker der
Sowjetunion und für die Mongolen der Äußeren Mongolei entwickelt.
201
Neben den oben angeführten Schriften gab es laut SINOR in der Vergangenheit noch
eine Reihe von isolierten, kurzlebigen Versuchen für die diversen Sprachen Alphabete
zu schaffen.
202
Seit der Unabhängigkeit der vormals sowjetischen Republiken ist die cyrillische
Schrift durch modifizierte Lateinalphabete ersetzt worden. Lediglich Tadschikistan
hat die cyrillische Schrift durch die arabische Schrift ersetzt.
VI.2.4. Einige Bemerkungen zur ethnischen Identität und Sprache:
Wie bereits oben ausgeführt wurde, kam es in Zentralasien zu einem allmählichen
Türkisierungsprozess. Im Kontakt mit anderen Völkern behielt laut GOLDEN
203
das
Türkische meist die Oberhand. In der Ethnogenese der Turkvölker spielte die
197
SINOR (1987:28)
198
SINOR (1987:28)
199
SINOR (1987:29)
200
SINOR (1987:29)
201
vgl. SINOR (1987:31); ad. Details zur Schriftreform in sowjetisch Zentralasien siehe u.a.
BALDAUF, Ingeborg: Schriftreform und Schriftwechsel bei den Muslimen Rußlands und den
Sowjettürken, 1850-1935. Ein Symptom ideengeschichtlicher und kulturpolitischer Entwicklungen.
Budapest 1993.
202
SINOR (1987:31)
203
GOLDEN (1992:37)
88
linguistische Assimilation eine große Rolle. In allen ihren Siedlungsgebieten haben
die Turkvölker kleinere Gruppen linguistisch absorbiert und beeinflussten auch die
größeren Bevölkerungsgruppen stark.
Die umfangreiche Türkisierung der lokalen iranischen Bevölkerung, die sogdisch und
oder andere iranische Sprachen sprach, fand wahrscheinlich in der karakhanidischen
und seldschukischen Ära statt.
204
Türkische Einflüsse wurden in Choresm im
Jahrhundert vor der mongolischen Eroberung spürbar und noch stärker nachdem die
Chingisiden die Kontrolle erlangt hatten. Es folgten längere Perioden des
Bilingualismus, der in einigen Regionen, besonders in den Städten, bis heute
fortdauert.
Laut BACON
205
sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Turksprachen nicht
sehr groß. So konnten im 19.Jahrhundert z.B. die Kazan Tataren als Dolmetscher
zwischen den Russen und den zentralasiatischen Türken fungieren. Und bezüglich der
ethnischen Identität und Sprache betont BACON:
206
„In normal circumstances,
peoples were less conscious of speaking Uzbek, Tajik, or Turkoman than of speaking
a particular dialect. Most people thus identified themselves with their locality or tribe-
the dialectal unit- rather than as members of the larger ethnic group to which they
belonged.“
Die meisten Zentralasiaten, egal ob Türkisch- oder Persischsprecher waren
Analphabeten. Die Oasenstädte aber hatten eine lange Tradition der Gelehrsamkeit
und hatten Schriften entwickelt, die unter der kleinen gebildeten Elite Verwendung
fand. Bezüglich der Turksprachen ist hier das Chagataische zu nennen.
VI.3. Die Ethnien Zentralasiens:
In Zentralasien fanden vielfache Umschichtungsprozesse der diversen ethnischen
Gruppen statt. Die rezenten Ethnien der Region lassen sich entsprechend ihrer
Sprache den folgenden Hauptgruppen zuordnen:
207
1) Turkvölker
2) mongolische Gruppen
3) Ethnien, die verschiedene iranische Sprachen sprechen
4) diverse andere kleine Gruppen; z.B. Sprecher semitischer Sprachen (wie Juden und
Araber), Roma „Zigeuner“, diverse Gruppen, die unter Stalin nach
Zentralasien deportiert wurden (z.B. Wolgadeutsche), Zuwanderer aus
anderen Regionen der ehemaligen Sowjetunion (Russen, Ukrainer etc.)
Durch staatliche Maßnahmen versuchte man die Bezugsquellen der ethnischen
Identität aufzulösen, was teilweise auch gelang. („Titularnationen“ wurden in der
Sowjetunion z.B. geschaffen für die man eine gemeinsame Sprache und Geschichte
kreierte).
204
GOLDEN (1992:407)
205
BACON (1966:27)
206
BACON (1966:27f)
207
Details zu den ethnischen Gruppen vgl. umfassende Lit.verzeichnis in der Handbibliothek, u.a.
AKINER (1983), BACON (1966), BAINBRIDGE (1993), BENNIGSEN, A. and WIMBUSH, E.S.:
Muslims of the Soviet Empire. London 1985. GOLDEN (1992), KRADER (1966), LEWIS (1992),
VAMBERY, A.: Das Türkenvolk in seinen ethnologischen und ethnographischen Beziehungen.
Leipzig 1885. WEEKES, R. V. (Ed.): Muslim Peoples: a World Ethnographic Survey. Westport und
London 1978.
Auf die manchu-tungusischen Völker wird hier nicht näher bezug genommen.
89
Entsprechend unserer Definition von Zentralasien sind die heutigen zentralasiatischen
Völker auf die folgenden Staaten aufgeteilt.
208
1) Gebiete der ehemaligen Sowjetunion: Uzbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan,
Kirgistan, Kazakhstan sowie in diversen autonomen Regionen Russlands (vgl.
Abb.22 und Abb.23).
209
2) Republik Mongolei (vormals Volksrepublik Mongolei bzw. „Äußere Mongolei“)
(vgl. Abb.24)
3) in verschiedenen autonomen Regionen der VR China (vgl. Abb.25)
4) in den Nachbarländern Afghanistan, Iran (vgl. Abb.26)
5) als Flüchtlinge in verschiedenen vorwiegend islamischen Staaten, insbesondere
in der Türkei, Pakistan und Saudiarabien, sowie in den Nachfolgestaaten der
Sowjetunion.
Die einzelnen Ethnien siedeln dabei nicht homogen, sondern finden sich neben ihren
Hauptsiedlungsgebieten auch als „Minderheiten“ in einer Reihe benachbarter
Regionen (vgl. Abb.23).
210
VI.3.1. Die administrative Gliederung der Siedlungsgebiete der
zentralasiatischen Völker:
VI.3.1.1. in der vormaligen Sowjetunionunion:
211
Die vormalige Sowjetunion war in 15 Unionsrepubliken und eine große Zahl
autonomer Gebiete gegliedert um die Rechte der diversen Ethnien zu schützen und
ihnen eine gewisse Autonomie zu gewähren. Eine genauere Auflistung der einzelnen
Gebiete muss hier aus Platzgründen entfallen.
212
VI.3.1.2. In der Republik Mongolei:
Rund 90% der Bevölkerung sind Mongolen, daneben gibt es verschiedene
turkstämmige Gruppen, sowie Chinesen und Russen, für die jedoch keine eigenen
autonomen Siedlungsgebiete bestehen.
VI.3.1.3. In der VR China:
In den westlichen und nördlichen Grenzregionen Chinas leben verschiedene
zentralasiatische Ethnien. Innerhalb der VR China genießen eine Reihe von
ethnischen Gruppen einen gewissen Autonomiestatus. Zu den autonomen Regionen
der VR China zählen zum Beispiel
* Die Sinkiang-Uigurische Autonome Region und die
* Inneren Mongolischen Autonomen Region
208
bezüglich der zahlenmäßigen Verteilung ist anzumerken, dass hier die besten Daten zur vormaligen
Sowjetunion existieren. Zu den anderen Siedlungsgebieten liegen keine exakten Abgaben vor bzw.war
mir der Zugang zu denselben nicht möglich. Dies gilt insbesondere für die VR China. In einzelnen
Staaten, wie z.B. Afghanistan, wo die Turkvölker eine Minderheit darstellen, wurden bislang keine
Zensen durchgeführt, bzw.die Zahl der ethnischen Minderheitengruppen meist zu niedrig angesetzt.
209
Vgl. AKINER (1983), BAINBRIDGE (1993:216)
210
Vgl. im Detail z.B. AKINER (1983:268f)
211
Die Festlegung von autonomen Siedlungsgebieten in den einzelnen Republiken wurde von den nun
unabhängigen zentralasiatischen Republiken der GUS übernommen. In Russland gibt es in einzelnen
Siedlungsgebieten nun Unabhängigkeitsbestrebungen und einzelne Gruppen haben hier einseitig ihre
Unabhängigkeit von Moskau proklamiert, wie z.B. die Tataren, die „Tatarstan“ ausgerufen haben,
welches aber völkerrechtlich nicht anerkannt worden ist.
212
vgl. im Detail AKINER (1983), LEWIS (1992) und SINOR (1987:38ff)
90
Innerhalb der verschiedenen chinesischen Provinzen gibt es eine Reihe von turko-
mongolischen autonomen Einheiten, die ihrerseits ebenfalls weitere autonome
Regionen beinhalten können.
213
VI.3.2. Die Bevölkerung des westlichen Zentralasiens und ihre demographische
Entwicklung:
Zu den wesentlichsten „autochtonen“ ethnischen Gruppen des westlichen
Zentralasiens zählen die Tadschiken, Uzbeken, Turkmenen, Kazakhen, Kirghizen und
Karakalpaken.
214
Daneben gab und gibt es eine Anzahl kleinerer Gruppen, wie z.B.
der zentralasiatischen Juden und Roma/„Zigeuner“, denen es jahrhundertelang
gelungen war ihren Lebensstil und ihre ethnische Identität aufrechtzuerhalten und die
Absorption in die größeren sie umgebenden Gruppen zu vermeiden. Im 18. und
19.Jhdt. erschienen daneben einige neue ethnische Elemente, die vor allem aus ihrer
traditionellen Heimat im chinesischen Teil Zentralasiens und dem Iran nach Russisch-
Zentralasien kamen. Mit der russischen Eroberung ging auch ein Zustrom slawischer
Völker in das Gebiet einher. Unter dem sowjetischen Regime kamen noch weitere
Völker in die Region, z.B. die Wolgadeutschen, die Krimtataren und die Meskheten,
die von Stalin nach Zentralasien deportiert wurden.
215
Gegenwärtig findet ein
Abwanderungsprozess der slawischen Völker (Russen, Weißrussen und Ukrainer), der
Wolgadeutschen und teilweise der Krimtataren aus Zentralasien statt.
VI.3.3. Die ethno-linguistische Zusammensetzung der Bevölkerung der
vormaligen Republiken sowjetisch-Zentralasiens:
Keine der vormaligen sowjetischen Unionsrepubliken bzw. der heutigen
zentralasiatischen Staaten ist ethnisch und linguistisch homogen. Mit der Einführung
der stalinistischen Nationalitätenpolitik war die zahlenmäßig stärkste Gruppe, zur
sogenannten „Titularnation“ erhoben worden. Sie gab der jeweils geschaffenen
politischen Einheit ihren Namen, z.B. Uzbekistan, Tadschikistan. In einzelnen
Republiken wie z.B. Kazakhstan und Kirgisistan stellte die „Titularnation“ jedoch
nicht die Bevölkerungsmehrheit dar. In den beiden letzten Republiken war der Anteil
der Titularnation relativ gering (um die 30 %) und der Anteil der slawischen
Population relativ signifikant. Angehörige der „Titularnation“ leben auch in den
Nachbarstaaten, wo sie bisweilen einen relativ beträchtlichen Bevölkerungsanteil
ausmachen (vgl.Abb.23 und Abb.26).
216
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang
auch, dass die Zuordnung zu bestimmten Ethnien, insbesondere im Fall der Uzbeken
und Tadschiken, die in den Städten wohnten, willkürlich war. D.h. die als Uzbeken
klassifizierten Personen, hätten, da sie meist bilingual waren, genauso gut als
Tadschiken gezählt werden können.
213
vgl. im Detail u.a. SINOR (1987:47f), der u.a. die folgenden nennt: z.B. die Provinz Ch´ing-hai, das
Hsun-hua (Salar) autonome Hsien, das Hu-ch T´u Autonome Hsien, Die Provinz Kansu und die
Provinz Heil- lung-chiang.
214
Details siehe unten
215
BACON (1966:15)
216
vgl. u.a. die Zensusdaten von 1989, zitiert nach: GUS-Konferenz Flüchtlinge und Migranten: 30.bis
31.Mai 1996: 107f, (Hrsg. vom UNHCR, Internationale Organisation für Migranten, Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)
91
VI.3.4.Die demographische Entwicklung im vormaligen sowjetischen Teil
Zentralasiens:
Die demographische Entwicklung in den ehemaligen sowjetischen Republiken
Zentralasiens ist u.a. durch die folgenden Charakteristika geprägt gewesen.
* Die autochtone Bevölkerung weist ein sehr hohes Bevölkerungswachstum auf
* Den Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung ist
beträchtlich.
* Die Bevölkerung der Titularnation lebt großteils in der eigenen Republik bzw.
innerhalb Zentralasiens. Migrationsbewegungen der zentralasiatischen
Bevölkerung in andere Teile der vormaligen Sowjetunion waren gering.
* Die autochtone Bevölkerung lebte bzw. lebt großteils im ländlichen Raum.
Russen und andere nicht-autochtone Bevölkerungsgruppen lebten bzw. leben vor
allem in den Städten Zentralasiens.
* Die autochtone Bevölkerung war und ist großteils im Agrarsektor tätig.
Insgesamt dominiert in Zentralasien der Agrarsektor und die mit ihm in
Verbindung stehenden Industrien.
* Russifizierungsgrad war mit Ausnahme der autochtonen Eliten sehr begrenzt.
VI.4.1. Die zentralasiatischen Turkvölker:
Linguistisch können laut GOLDEN die zentralasiatischen Turkvölker in drei Gruppen
gegliedert werden:
217
1) zentralasiatische Oguzen: Turkmenen
2) aralo-kaspische Qipcaqen: Qazaq, Qara qalpak, Qirqiz.
Die qipcakische Konföderation spielte eine große Rolle bei der Formierung einer
Reihe von Turkvölkern (z.B. der Nogayer, Tataren, Baschkiren, Qazaqs, Usbeken,
Qirgizen und zu einem geringeren Grad bei der Ethnogenese der Turkmenen und
der sibirischen Turkvölker.)
218
3) Turki
: Usbeken, Uyguren und deren Untergruppen (Salar, Dolans, Sera/Sira Yogur)
VI.4.1.1.Die Turkmenen:
Eigenbezeichnung: Türkmen
Religion:
sunnitische Muslime hanafitischer Richtung
Siedlungsgebiet: die Mehrheit der Turkmenen lebt in der Republik Turkmenistan.
Minderheiten gibt es in Uzbekistan, Tadschikistan, Kazakhstan und in
Karakalpakien, außerdem im Nordosten des Iran, in Nord-Afghanistan, im
nördlichen Iraq, in der O-Türkei, in Jordanien, Syrien sowie in Pakistan.
Im Kaukasus, insbesondere im Nordkaukasus gibt es auch turkm. Immigranten,
die dort als Trukhmen bezeichnet werden.
219
Zahl: in der vormaligen Sowjetunion 2,67 Mill. (1989), in Afghanistan 270.000-
400.000, im Iraq 90.000-500.000 und im Iran 330.000-500.000.
Sprache: (ad. linguistische Zuordnung siehe oben, z.B. GOLDEN und BENZING).
Das Turkmenische besteht aus einer Anzahl von Dialekten die in zwei
217
GOLDEN (1992:399); vgl. im Detail GOLDEN (1992:399-410); vgl. in diesem Zusammenhang
auch die Gliederung der Turksprachen und –völker nach BENZING, siehe Ausführungen oben)
218
vgl. ad. Details GOLDEN (1992:401)
219
vgl. Abb. Zur Verbreitung der turkmenischen Stämmen, in: KALTER
(1983:o.S.)
92
Hauptgruppen fallen. Innerhalb dieser Hauptunterteilung unterscheiden sich die
tribalen Dialekte voneinander.
Die Trukhmen-Sprache, gesprochen von den Trukhmen des Nordkaukasus ist
im wesentlichen Turkmenisch, aber beeinflusst von der benachbarten
Turksprache der Nogayer
Ethnonym und Ethnogenese: Im 10.Jhdt. wanderten oghusische Stämme, die
ursprünglich in der Mongolei beheimatet gewesen waren, in das Gebiet
zwischen dem Ural und dem Aral-See ein. Ende des 10.Jhdt. hatten die am
rechten Ufer des Syr Darja lebenden ogusischen Gruppen den Islam
angenommen. MAKISI, ein arab. Historiker jener Zeit, bezeichnete die
Bevölkerung als „Turkmen“. Die Etymologie des Wortes ist unklar.
Die heutigen Turkmenen stammen von der ogusischen Konföderation ab, die
bereits sehr früh begann nicht-türkische zu absorbieren. Durch ständige
Raubzüge und Gefangennahme iranischer Gruppen wurden den Turkmenen
permanent iranische Bevölkerungselemente hinzugefügt. Die Turkmenen
nehmen auch eine Unterscheidung zwischen „ig“ reinblütigen Turkmenen und
solchen, die von iranischen Gefangenen geboren wurden vor.
Gegenwärtig absorbieren die Turkmenen andere muslimische Gruppen, die auf
ihrem Gebiet leben, die türk. Ursprungs (z.B. Qazaq, Qara Qalpaq) und nicht-
türk. Ursprungs (z.B. Baluchis, Hazara und Araber) sind.
Die Turkmenen bestehen aus 7 Hauptstämmen und 24 kleineren Stämme, die
zum Zeitpunkt der russ. Eroberung (in den 1880iger Jahren) großteils bereits
halbsesshaft waren.
Die sowjetischen Wissenschaftler datieren die Formation der Turkmenen in
ihrer modernen Form auf das 14.bis 15.Jhdt.
Ethnizität:
220
Die turkmenische Nation wurde 1924 von den sowjetischen Behörden
geschaffen. Dennoch ist unter den Turkmenen das Stammesbewusstsein noch
sehr stark verankert. Vor 1917, als es keinen geeinten turkmenischen Staat oder
eine große tribale Konföderation gab, war der Stamm die höchste Form der
territorialen Macht. Jeder Stamm war unabhängig und hatte seinen eigenen
gewählten Khan. Es gab keine zentrale Autorität außer in Krisenzeiten, wenn
ein einziger Khan gewählt wurde. Jeder Stamm hatte ein eigenes Territorium
und die einzelnen Stammesmitglieder waren durch ein starkes Gefühl der
Verwandtschaft miteinander verbunden. Teilweise gilt dies noch heute. Die
tribale Identität wird durch die Endogamie und das Fortbestehen der tribalen
Dialekte aufrechterhalten. Ihre ökonom. Autonomie haben die turkmenischen
Stämme aber seit 1924 zunehmend verloren. Die tribale Loyaltität spielt auch
heute noch eine große Rolle. Vielfach entspricht die Zusammensetzung der
Kolchosen den tribalen Strukturen. In Turkmenistan dominiert laut
BENNIGSEN/ WIMBUSH ein sub-nationales, tribales und klanorientieres
Bewusstsein. Die Turkmenen definieren sich in erster Linie nach ihrem tribalen
Ursprung. Ein wesentliches verbindendes Element ist der Islam und die
turkmenische orale Literatur (z.B. das Epos „Ker Oghlu“ und „Korkut Ata“), die
die Turkmenen mit anderen ogusischen Gruppen gemeinsam haben.
VI.4.1.2. Die Kazakhen:
Eigenbezeichnung: Kazakh, Kazak.
220
Laut BENNIGSEN/ WIMBUSH (1985) können drei Ebenen der ethnischen Identität
herauskristallisiert werden: 1) sub-nationale Identität, 2) nationale Identität, 3) supra-nationale Identität
93
Früher wurden sie als Kirghiz, Kirghiz-Kazakh, Kaisak-Kirghir oder Kazakh-
Kirghiz bezeichnet. Die Konfussion zwischen Kirghizen und Kazakhen findet
sich in den frühesten europäischen Quellen, da wurde der Name „Kirghiz“ auf
beide Völker angewendet. Die Kazakhen verwendeten nie den Begriff Kirghiz,
sondern nannten sich immer „Kazakh.“ Seit 1936 wurden sie in der Sowjetunion
als Kazakh bezeichnet.
Religion: sunnitische Muslime hanafitischer Richtung
Siedlungsgebiet:
Die Mehrzahl der Kazakhen lebt in der Republik Kazahkstan. Es
gibt aber auch kazakhische Gruppen in den anderen zentralasiatischen
Republiken insbesondere in Turkmenistan, in der Russischen Föderation, hier
vor allem in West-Sibirien. Daneben leben Kazakhen als Minderheiten in
Afghanistan, China und der Mongolei. Einzelne kazakhische Flüchtlinge kamen
in die Türkei und nach Pakistan.
Zahl:
In der ehemaligen Sowjetunion 7,47 Mill. (1989), in der VR China 600.000-
700.000, in der Mongolei 40.000. Innerhalb ihrer eigenen Republik stellen die
Kazakhen nicht die Bevölkerungsmehrheit dar.
Sprache: (ad. linguistische Zuordnung siehe oben, z.B. GOLDEN und BENZING).
Das Kazakhische ist am nächsten mit dem Nogai und dem Karakalpak
verwandt. Die Dialekte des Kazakhischen wurden laut AKINER noch nicht
ausführlich studiert, aber es gibt wenig Unterschiede zwischen ihnen, weswegen
das Kazakhische eine ziemlich einheitliche Sprache ist..
Ethnonym und Ethnogenese: Die Kazakhen sind aus verschiedenen Schichten
nomadischer Stämme unterschiedlichen Ursprungs zusammengesetzt, die
zwischen dem 10. und 16. Jhdt. in die Kazakhen-Steppe kamen. Sie bestehen
aus den folgenden Schichten:
* im 10. und 11. Jhdt. kamen die türkischen Stämme (Usun, Qipcaq, Qarluq)
* im 12. Jhdt. ein mongolischer Stamm (die Kara Kitay oder Ktay)
* im 13. Jhdt. weitere mongolische Stämme (Mayman, Ming, Mangyt, Tangut
und Dulat)
* im 15. und 16. Jhdt. türkisierte mongolische Stämme (Kanyly und Argyn)
Die heutigen Kazakhen, die ursprünglich Teil der von Abul Xair gebildeten
Konföderation gewesen waren, spalten sich unter dem Namen Kazakh im 15.
Jhdt. ab. Im Verlauf des 15. und 16. Jhdt. kam es zur Bildung dreier
kazakhischer Konföderationen:
1) die Ulu/ Uli Jüz/ Züz im östlichen und südöstlichen Kazakhstan (Semircheye)
2) die Orta Jüz: primär in Zentral-Kazakhstan
3) die Kici/ Kisi Jüz in W-Kazakhstan.
Die Bukey Horde, die Anfang des 19. Jhdt. entstand
Den drei kazakh. Horden (Jüz) gelang es nie eine politische Einheit zu bilden.
Auch heute sind die einzelnen Jüz nach wie vor in eine Reihe von Stämmen
gegliedert, wobei die Mittlere Horde die zahlenmäßig stärkste Gruppe darstellt.
Die einzelnen Stämme sind in Klans gegliedert, die wiederum in Untergruppen
gespalten sind. Auch heute sind die Klans und Subklans noch im Bewusstsein
der Kazakhen verankert. Vor des Oktober-Revolution waren die meisten
Kazakhen Nomaden. In den 1930iger Jahren wurden sie einer brutalen
Sesshaftmachung unterzogen
Ethnizität: Laut BENNIGSEN und WIMBUSCH existiert bei den Kazakhen der
ehemaligen Sowjetunion eine dreifache Identität:
94
1) eine starke sub-nationale Identität. Ein Kazakhe definiert sich zunächst durch
seine Zugehörigkeit zum Jüz und durch seinen Stamm. Die
verwandtschaftlichen Bande sind noch stark spürbar.
2) ein starkes nationales Bewusstsein: die Kazakhen waren die ersten zentral-
asiatischen Muslime, die ein nationales, rein kazakhisches Bewusstsein
entwickelten. Wesentlicher Faktor war dabei u.a. das Vorhandensein einer
verwestlichten, säkulären intellektuellen Elite.
3) ein wachsendes supra-nationales Bewusstsein. U.a. entwickelte sich vor der
Oktober-Revolution ein überregionales Zugehörigkeitsgefühl. Die Kazakhen
verstanden sich als Teil Turkestans. Auch der Islam wirkte als starke
identitätsstiftende Kraft.
VI.4.1.3. Die Karakalpaken:
Eigenbezeichnung:
Karakalpak, Karalpak, Kalpak
Religion: sunnitische Muslime hanafitischer Richtung
Siedlungsgebiet: Die Mehrzahl der Karakalpaken lebt in der vormaligen Karkalpak
ASSR (innerhalb in Republik Usbekistan). Daneben gibt es auch
karakalpakische Gemeinden in den Distrikten Usbekistans, Turkmenistan,
Kazakhstans und der Russischen Föderation sowie in Afghanistan.
Zahl: In der vormaligen Sowjetunion lebten 416.152 (1989) Karakalpaken, in
Afghanistan ca. 2.000.
Sprache: (ad. linguistische Zuordnung siehe oben, z.B. GOLDEN und BENZING)
Das Karakalpakische ist am nächsten mit dem Nogai und dem Kazakhischen
verwandt, es hat zwei Hauptdialekte und wurde erst in der sowjetischen Ära
verschriftlicht.
Ethnonym und Ethnogenese: Die Karakalpaken, werden in den schriftlichen Quellen
nicht vor dem späten 16.Jhdt. erwähnt. Sie scheinen in einem Dokument des
Saybanidischen Abdullah Xan (1588-1598) in der Liste der Völker der Unteren
Syr Darya Region auf. ABUL GAZI erwähnt sie dort im frühen 17.Jhdt.
Bezüglich des Ethnonyms „Karakalpak“ ist darauf hinzuweisen, dass Versuche
gemacht wurden sie mit den „Schwarz-Kappen“ (den sogenannten Chernyje
Klobuki), die in russischen Chroniken des 12. Jhdt. auftauchen, in Beziehung zu
setzten. Bei diesen handelte es sich um ein Volk, das mit den Kiewer Prinzen
eine Schutzallianz gegen verschiedene Qipcak-Stämme eingegangen war. Für
ihre Dienste erhielten sie Land am Dniepr-Fluss (in d. Ukraine). Ob es
tatsächlich Verbindungen zwischen diesen „Chernyje Klobuki“ und den Kara
Kalpak gibt, ist unklar, u.a. da über die frühe Geschichte der Karakalpak sehr
wenig bekannt ist.
221
Bis 1917 stellen die Karakalpaken eine lose Konföderation von
halbnomadischen Stämmen dar, die in 2 Föderationen (arip) gespalten waren
und bis heute besteht. Jede dieser Konföderationen ist in weitere Untergruppen
gespalten.
Vor 1917 hatte jeder dieser Stämme ein eigenes Territorium und stellte eine
eigene ökonomische Einheit dar. Im Bewusstsein der Karakalpaken ist die
Stammeszugehörigkeit und das Verwandtschaftsgefühl noch vorhanden. Die
einzelnen Stämme sind in Klans (uru) und diese in Untergruppen (kosche)
untergliedert, die Gruppen von Familien zusammenfassen, die über 4 oder 5
Generationen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Jede Kosche
221
vgl. im Detail Ausführungen bei GOLDEN (1992:403)
95
hatte früher ein gemeinsames Territorium. Heute korrespondiert ein Kolchose
meist mit einem Uru. Die exogamen Tabus (Heirat muss außerhalb des eigenen
Uru erfolgen) sind noch aufrecht.
Ethnizität: Laut BENNIGSEN/ WIMBUSH besitzen die Karakalpaken von allen
muslimischen Völkern Zentralasiens das geringste Bewusstsein einer Nation im
modernen Sinn anzugehören. Ihre Identität leiten sie vor allem von der
Zugehörigkeit zu ihrem Sub-Stamm (kosche) ab. Daneben besteht einer hoher
Identifikationsgrad mit der Umma, d.h. der Gemeinschaft aller Muslime. Laut
BENNIGSEN/ WIMBUSH fehlen bei den Karakalpaken großteils jene
Elemente, die zur Entfaltung eines eigenständigen Nationsbewusstseins nötig
sind. Die Karakalpaken teilen ihre historischen Traditionen mit anderen
türkischen Gruppen.
VI.4.1.4. Die Kirghisen:
Eigenbezeichnung: Kyrgyz.
Die Kirghisen wurden früher manchmal auch als „Schwarze Kirghiz“ (Kara-
Kyrgyz) oder „Kirghiz Dikokamennyje“ bezeichnet. Sie selbst nennen sich
manchmal Burut, dem Namen mit dem sie bei den Kalmyken bekannt waren.
Religion: sie sind sunnitische Muslime der hanafitischen Richtung
Siedlungsgebiet: Die Mehrzahl der Kirghizen lebt in der Kirghizischen Republik.
Gruppen von Kirghizen gibt es auch in den Distrikten Namangan, Andidzhan
und Ferghana in der Republik Uzbekistan, in den zu Tadschikistan gehörenden
Regionen Gorno-Badakhschan, Garn und Pamir und in den an Kirgisien
anschließenden Teilen Kazakhstans. Darüber hinaus gibt es kirghisische
Gruppen in der VR China, bis Anfang der 1980iger Jahre im Wakhan-Korridor
in NO-Afghanistan (diese Gruppe lebt heute mehrheitlich in der Ost-Türkei)
sowie zwei kleine Gruppen, die in der Mongolei siedeln.
Zahl: In der vormaligen Sowjetunion lebten 2,48 Mill. (1989), in der VR China ca.
80.000 und in der Türkei rund 1.000 Personen.
Sprache: (ad. linguistische Zuordnung siehe oben, z.B. GOLDEN und BENZING)
Das Khirgizische ist in 3 Dialektgruppen gegliedert. Die moderne Literatur-
sprache hat sich in der sowjetischen Periode entfaltet.
Ethnonym und Ethnogenese
: Ein Volk, das mit den Kirghisen identifiziert wurde,
wird erstmals in den alten chinesischen Quellen unter dem Namen Kien-kuen
genannt. Der Name Kyrgyz findet sich erstmals in den Orxon-Inschriften
(8.Jhdt. n.Chr.). Die Kirghizen siedelten zu dieser Zeit am Oberen Yenisei-Fluss
und werden daher als „Yenisei-Kirghisen“ bezeichnet. Die Ethnogenese der
Kirghisen bringt laut GOLDEN eine Reihe von Problemen, über die bislang in
der Wissenschaft keine einheitliche Meinung herrscht. Primär erhebt sich die
Frage ob ein Zusammenhang zwischen diesen „Yenisei-Kirghisen“ und den
rezenten Kirghisen besteht.
222
Die Kirghisen konnten bis heute viele Elemente ihrer traditionellen Gesellschaft
bewahren. Die Kernzelle der Gemeinschaft ist die „extended family“ (bir
atanyng baldary = „Kinder vom gleichen Vater“). Sie umfasst eine Gruppe von
5 bis 15 kleineren Familien, die vom gleichen Vorfahren 6 oder 7 Generationen
entfernt sind. Innerhalb dieser Einheit wird die Exogamie noch beachtet. Die
Mitglieder einer solchen Gruppe betrachten sich als nahe verwandt. Über der
extended family steht die Dorfgemeinschaft (jema´at), die aus fünf bis 7 großen
222
vgl. im Detail Ausführungen bei GOLDEN (1992:404f)
96
Familien besteht. Die Kolchosen in Kirgisien bestehen aus ein oder zwei solcher
Jema´at. Über der Dorfgemeinschaft steht der Stamm und Klan. Die rezenten
Kirghisen sind in zwei Konföderationen gespalten, die wiederum in eine Reihe
von Untergruppen gegliedert sind.
Ethnizität: Laut BENNIGSEN/ WIMBUSH haben die Kirghisen eine starke sub-
nationale Identität, die eher klanbezogen als stammesmäßig ist. Parallel dazu hat
sich in der sowjetischen Ära ein Bewusstsein zur kirghisischenen Nation zu
gehören herausgebildet. Die supra-nationale Identifikationsebene ist dagegen
wenig entwickelt.
VI.4.1.5. Die Usbeken:
Eigenbezeichnung: Ozbek
Religion:
sunnitische Muslime hanafitischer Richtung. In Samarkand, Buchara und
Taschkent gibt es kleine schiitische Gemeinden
Siedlungsgebiet:
Die Mehrheit der Usbeken lebt in der Republik Usbekistan. Daneben
gibt es usbekische Gruppen in den benachbarten Republiken Tadschikistan,
Turkmenistan, Kirgisien und Kazakhstan, sowie im westlichen Sinkiang und in
Nord-Afghanistan. Als Ergebnis diverser Fluchtbewegungen leben usbekische
Gruppen auch in Pakistan, der Türkei und in Saudiarabien.
Zahl: Die Usbeken stellten die größte muslimische Bevölkerungsgruppe innerhalb der
ehemaligen Sowjetunion dar und waren die drittgrößte Nation der Sowjetunion.
Nach den Türkei-Türken repräsentieren die Usbeken die zweitgrößte
turkstämmige Gruppe. In der vormaligen Sowjetunion lebten 16,5 Mill. (1989),
in Afghanistan ca. 1,3 Mill. in Sinkiang rund.
Sprache: (ad. linguistische Zuordnung siehe oben, z.B. GOLDEN und BENZING)
Das moderne Usbekisch ist am nächsten mit dem modernen Uigurisch und Salar
verwandt. Das Usbekische umfasst eine große Anzahl verschiedener Dialekte
und Subdialekte, die grob in zwei Hauptgruppen gegliedert werden können.
Innerhalb verschiedener usbekischer Gruppen sind auch Oipcaq und
Oguz/Turkmenischen Dialekte verbreitet.
Bis ins frühe 20.Jhdt. war insbesondere unter den sesshaften Usbeken das
Chagataische als Literatursprache weit verbreitet.
Ethnonym und Ethnogenese: Das Ethnonym Usbek geht wahrscheinlich auf Usbek
Khan (1282-1342) zurück (vgl. im Detail Ausführungen oben). Eine andere
Ableitung des Ethnonyms bezieht sich auf die Wortbedeutung „Öz“ und „Beg“,
was soviel wie wahrer, eigener Herr bedeutet. Diese Ableitung des Ethnonyms,
die früher weithin akzeptiert wurde, wird heute jedoch in Frage gestellt.
Die usbekische Nation ist laut BENNIGSEN/ WIMBUSH heute die stärkste und
dynamischste der zentralasiatischen Nationen. Ihre Konsolidierung war aber
sehr schwierig und kompliziert. In diesem Prozess der Ethnogenese der rezenten
Usbeken haben eine Reihe verschiedener ethnischer Gruppen ihre ethnischen,
sozialen und linguistischen Besonderheiten vollständig verloren. Die früheren
Usbeken waren aller Wahrscheinlichkeit nach Teil der turko-mongolischen
Goldenen Horde, die Russland und Westsibirien vom 13. bis zum 15. Jhdt.
dominierte. Ende des 15.Jhdt./ Anfang des 16. Jhdt. drang eine unter Führung
Mohammad Scheibani Khan stehende usbekische Konföderation, die sich aus
östlichen Qipcaken und qipcakisierten mongolischen Stämmen zusammensetzte
ins timuridische Transoxanien ein und erlangte dort die politische Herrschaft.
Mit der Zeit wurde ein Großteil der nomadisierenden Usbeken sesshaft. Heute
97
sind mit wenigen Ausnahmen alle usbekischen Gruppen sesshaft. Insgesamt
bestehen die rezenten Usbeken im wesentlichen aus drei Elementen:
1) Die türkisierte altiranische Bevölkerung, die in einigen Gebieten Sarten
genannt wurden (siehe unten). Diese war selbst eine zusammengesetzte
Bevölkerung, die Iraner (Saka, Sogdier, Chwaresmier, Kuschano-
Baktrier) und einige arabische Elemente umfasste. Bei dieser handelte es
sich um eine urbane Bevölkerung.
2) die vor-uzbekischen türkischen Nomaden
. Diese waren auch eine Mischung
verschiedener Elemente. Dazu gehörten Oguzen und Qangli-Qipcaks und
eine Vielzahl turkisierter mongolischer Stämmen, die während der
chingisidischen Eroberungen und der timuridischen Zeit in die Region
kamen. Sie wurden oft alle als Türk/ Türki oder Cagatay bezeichnet.
3) die östliche Qipcak-Uzbekische Union: Diese wurde manchmal auch „Taza
Özbek“ (Reine Uzbeken) genannt. Bei dieser Schicht handelt es sich um
die Nachkommen der schaibanidischen usbekischen Stämme, der letzten
großen Invasionswelle turko-mongolischer Gruppen, die im 16.Jhdt.
erfolgte. Vor 1917 waren diese häufig noch Nomaden und besaßen
tribalen Strukturen. Als diese verschwanden, wurden sie oft auch als Sart-
Usbek bezeichnet.
Einzelne der usbekischen Stämme haben ihre tribale Identität beibehalten und
besitzen bis heute ein starkes Gefühl der tribalen Verwandtschaft. Dies trifft u.a.
für die sogenannten Qattaghan-Usbeken zu, die im Nordosten Afghanistans
siedeln.
Der Terminus Usbek wurde im Lauf der Geschichte zur Bezeichnung
unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen herangezogen bzw. es wurden
zunehmend neue Termini geschaffen um Gruppen differenzieren zu können, wie
z.B. der Terminus Sarten.
223
ad. Verwendung des Begriffs Uzbek: Im wesentlichen setzte erst mit dem
Vordringen der Usbeken in Transoxanien eine Ausdehnung des Begriffs
auf immer größere Gruppen ein. U.a. wurde der Terminus Usbek seit dem
16.Jhdt. für die usbekischen Dynastien und ihre Anhänger verwendet,
nicht jedoch für die turkstämmigen Bewohner der Städte und Dörfer,
welche die Lebensweise der iranischen Bevölkerung angenommen hatten.
Der Begriff Usbeke inkludierte damit u.a. auch nomadische Lebensweise
und wurde daher auf eine Vielzahl turko-mongolischer Nomadengruppen
angewandt, und stand in Gegensatz zum Begriff Sart.
ad. Verwendung des Begriffs Sart: Der Begriff Sart (ursprünglich ein persisches
Wort mit der Wortbedeutung „Händler“), wurde früher von den türkischen
Nomaden verwendet um die sesshafte iranische Bevölkerung in den Oasen
zu bezeichnen. Später wurde der Terminus Sart von den nomadischen
Usbeken zur Bezeichnung der gesamten sesshaften Bevölkerung
einschließlich der türkischsprechenden Gruppen verwendet. Mit der Zeit
wurde der Begriff Sart verwendet um die sesshafte türkischsprechende
Bevölkerung von den iranischsprechenden Sesshaften zu unterscheiden.
Insgesamt hatte der Terminus Sart regional eine recht unterschiedliche
Bedeutung. Der Terminus Sart wurde v.a. in der Choresm-, Farghana- und
223
vgl. im Detail Artikel von BALDAUF, Ingeborg: Some Thoughts on the Making of the Uzbek
Nation. in: Roy, O. (Ed.): An Asie centrale soviétique. Ethnies, nations, états. (Sondernummer der
Zeitschrift: Cahiers du monde russe et soviétique, Vol.32, Nr.1, janvier-mars 1991:79-96 und
GOLDEN (1992:408)
98
Tashkent-Region verwendet und nur selten in der Buchara-Region. In
Choresm/ dem Khanat von Chiwa, bezeichnete der Terminus Sart die
Bevölkerung der südlichen Regionen des Khanats, die mehrheitlich von
alten iranischen Bevölkerungen abstammten. Diese Bevölkerung wurde
bis zum 16. Jhdt. turkisiert, obwohl es scheint, als ob der Bilingualismus
bis Mitte des 19.Jahrhunderts fortsetzt wurde. Es war erst nachdem die
uzbekische Bevölkerung des Nordens begann sesshaft zu werden, dass die
Türkisierung abgeschlossen war. Diese Sarten sprechen eine Form des
türkischen mit starken turkmenischen Elementen und unterscheiden sich
von den Qipcaqo-Uzbeken im Norden. Auch das zaristische Regime
übernahm die lokale Bezeichnungspraxis und unterschied zwischen
Sarten. In der Sowjetischen Zeit wurde der Begriff Sart schließlich nicht
mehr verwendet.
Ethnizität: Während die sub-nationale Zugehörigkeit zu einem Stamm bei einem
Großteil der Usbeken nicht mehr gegeben ist, ist ein nationales Identitätsgefühl
noch nicht überall an die Stelle der alten tribalen Identitäten getreten. Im
Gegensatz zum Großteil der Usbeken in Usbekistan, die sich heute mit dem
usbekischen Staat identifiziert, trifft dies für die Usbeken Nord-Afghanistans
nicht zu. Hier begann sich vor 1992 nur unter den Uzbeken Nordwest-
Afghanistans in gemeinsames „Wir-Gefühl“ herauszubilden. Bei den in NO-
Afghanistan siedelnden Gruppen war dies jedoch noch nicht gegeben.
224
Als
supra-nationale Identitätsebene wäre einerseits, vor allem unter manchen
usbekischen Intellektuellen, die Zugehörigkeit zu Turkestan bzw. unter der
übrigen usbekischen Bevölkerung zur islamischen Umma zu nennen.
VI.4.1.6. Die Uiguren:
Eigenbezeichnung: Uighur
Religion: sie sind sunnitische Muslime der hanafitischen Richtung
Siedlungsgebiet: Die Uiguren sind die Hauptbevölkerungsgruppe in den Oasen von
Sinkiang. Daneben gibt es uigurische Gruppen, die ab der 2. Hälfte des 18.Jhdt.
in mehreren Wellen in verschiedene Gebiete des heutigen Kazakhstan,
Kirgisistan und Usbekistan einwanderten. Kleinere Gruppen leben auch in
Tadschikistan und in Turkmenien.
Zahl:
Für die VR China liegen keine genauen Zahlenangaben vor, Schätzungen
variieren zwischen 4,2 bis 12 Mill.. In der vormaligen Sowjetunion betrug ihre
Zahl 258.000 Personen.
Sprache:
(ad. linguistische Zuordnung siehe oben, z.B. GOLDEN und BENZING)
Das Uigurischen ist am nächsten verwandt mit dem Usbekischen und ist vier
Hauptdialekte gegliedert.
Ethnonym und Ethnogenese: Die erste bekannte Erwähnung des Terminus Uigur
findet sich in den frühen türkischen Orchon-Inschriften (8. und 9. Jhdt. n.Chr.).
Der Name findet sich später in chinesischen Quellen. Der Terminus wurde
offensichtlich nach dem 15.Jhdt. nicht mehr erwähnt, bis er in der sowjetischen
Periode wieder als Bezeichnung für ein Volk auftaucht, dass sicherlich einige
Elemente der alten Uiguren umfasste. Es kann aber nicht als direkte Nachfahren
der alten Uiguren betrachtet werden. Der Name Uygur scheint um das 16. Jhdt.
außer Verwendung geraten sein. Das Ethnonym Uygur mit seiner reichen, un-
islamischen historischen, kulturellen und religiösen Vergangenheit, das solange
224
Die Einnahme Kabul´s durch Dostam wirkte jedoch insgesamt als eine Art Katalysator für die
Entfaltung eines usbekischen Nationalismus.
99
assoziiert war mit „Ungläubigen“ schien unangemessen. Neben der
Verwendung des Begriffs „Muslim“ wurde die Bevölkerung entweder nach
ihrem Herkunftsort (z.B. als „Turpanlig“ aus Turfan stammen, als „Kashgarliq“
aus Kashgar stammend) oder einfach als Yerlik (d.h. lokale Bevölkerung)
bezeichnet. Andere (z.B. die im Ili-Tal siedelnden Gruppen) wurde
entsprechend ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten Taranci (=farmer) genannt.
Das Ethnonym Uygur wurde 1921 durch Turkestanische Intellektuelle und
Politiker auf einem Kongress in Taschkent wiederbelebt. Es erlangte erst in den
40iger Jahres des 20.Jhdt.s weitere Akzeptanz.
Die heutigen Uiguren stammen von türkischen Stämmen des Orxon-Gebietes
und von Diaspora-Stämme der ehemaligen uigurischen Staaten ab. Zu ihrer
Formung trugen aber auch andere türkische Stämme bei. Zudem dürften auch
die türkisierten iranischen und tokharischen Bevölkerungselemente Ost-
Turkestans einen signifikanten Faktor in der Ethnogenese die Uiguren gespielt
haben.
In der vormaligen Sowjetunion gab es 2 Gruppen der rezenten Uiguren:
1) Die südliche Gruppe: Zu ihr gehören die Uiguren von Ferghana, die
ursprünglich aus Kashgar und Yarkand stammten und im 19.Jhdt.
eingewandert waren. Sie wurden entsprechend ihren Herkunftsorten als
bezeichnet, z.B. als Kashgarlik.
2) die nördliche Gruppe: Dies sind die Uiguren des Semirechie-Gebiets, die
sogenannten Taranchi. sie stammen ursprünglich aus dem Ili-Tal in
Sinkiang. und wanderten im späten 19.Jhdt. ein.
Ethnizität: Bei den Uiguren der vormaligen Sowjetunion hatte sich bisher kein
Nationalgefühl entwickelt. Teilweise sind die Verbindungen zur ursprünglichen
Heimat noch nicht abgerissen.
VI.4.1.7. Salar, Dolan und Sera Yogur:
Zu den zentralasiatischen Turki-Gruppen gehören laut GOLDEN vom linguistischen
Standpunkt aus neben den bereits genannten Usbeken und Uiguren auch die Salars,
Dolans und Sera Yogurs. Salar (Salir)
sind ein muslimisches Turkvolk, das großteils
in der östlichen Chinghai-Provinz (VR China) lebt und ca. 70.000 Personen umfasst.
Einige Forscher betrachten sie als isolierten neu-uigurischen Dialekt, andere als näher
mit den Sarig Yugur verbunden.
Neben den bereits genannten Turkgruppen, die als „indigene“ Gruppen Zentralasiens
zu betrachten sind, gibt es noch eine Vielzahl anderer kleiner Gruppen, auf die hier
nicht näher eingegangen werden kann. Dazu zählen z.B. die Kipcak, Kuramas, die
Türken von Ferghana und Samarkand etc.
225
Des weiteren sind noch die Vertreter diverser sibirischer Turkvölker sowie
verschiedener anderer Turkvölker zu nennen, die als Folge der stalinistischen
Deportationspolitik nach Zentralasien kamen.
VI.4.2. Die Turkvölker Sibiriens:
Wir wollen uns im Folgenden nur auf die laut BENZING zur Gruppe der Aral-
Sayanischen Völker gehörenden Gruppen beziehen.
Im südsibirischen Raum kam es ebenfalls zu vielfachen Überlagerungsprozessen aus
denen die rezenten Ethnien hervorgegangen sind.
226
225
vgl. im Detail AKINER (1983)
226
vgl. im Detail Ausführungen bei GOLDEN (1992:411)
100
VI.4.2.1. Altai-Türken/ Oirot:
Eigenbezeichnung: Altay kizhi,
Im Russischen heute Altajtsy, früher als „Oyrot“ (mongl. Oyirad) bezeichnet.
Religion: Sie sind großteils Christen oder Anhänger des lamaistischen Buddhismus.
Siedlungsgebiet: Sie leben im Gebiet des Altai-Bebirges und der Kuzneckij Alatau
Berge in Sibirien.
Zahl:
60.015 Personen (1979)
Sprache:
Laut BENZING sprechen sie eine nordtürkische Sprache, die zur aral-sayan-
Gruppe gehört.
Ethnonym und Ethnogenese: „Altais“ ist eine kollektive Bezeichnung für eine Anzahl
von türkischsprechenden Stämmen. Sie wurden unter zahlreichen Namen
bekann, z.B. Chevernevyje Tataren, Berg- oder Weiße Kalmücken etc. Sie
gliedern sich in 2 Gruppen:
Einige der Klannamen, die es unter diesem Volk gibt (z.B. Qipcaq, Nayman,
Sart, Soyon, Mongol etc.) verbinden sie klar mit anderen türkischen und turko-
mongolischen Völkern.
VI.4.2.2. Die Khakass:
Eigenbezeichnung: Khass
Sie wurden früher als Abakan oder Minusa-Tataren (Abakanskie, Minusinskie
Tatary) bezeichnet.
Religion: Sie sind Christen, haben aber viele ihrer animistischen Traditionen behalten
Siedlungsgebiet: Sie leben primär im Süden des Krasnojar Gebietes der Russischen
Föderation in einem eigenen autonomen Gebiet der Khakass Autonomen
Provinz
Zahl: 70.776 Personen (1979)
Sprache: Laut BENZING´s Gliederung gehört sie zur Gruppe der nordtürkischen
Sprachen. Gegenwärtig sind die Khakass Völker in 2 linguistische Gruppen
gegliedert:
Ethnonym und Ethnogenese:
Das Ethnonym Khakass wurde von der lokalen
Intelligenzia nach der Oktober-Revolution von 1917 bewusst ausgewählt. Zuvor
wurden die alten Klannamen verwendet.
Die Khakass stellen ein Konglomerat kleiner turksprachiger Stämme dar. Sie
stammen teilweise von den Yenisei-Kirgisen und teilweise von kettischen,
samoyedischen und türkischen Stammesgruppen ab. Sie vermischten sich mit
den Mongolen, die 1209 ihr Gebiet eroberten. im 17.Jhdt. kamen sie schließlich
unter russische Herrschaft.
VI.4.2.3. Die Shor:
Eigenbezeichnung: Shor-kizhi, Aba (-kizhi), Chysh-kizhi („Taiga-Leute“).
Im Russischen waren sie als Shory, Shortsy bekannt. Auch der Terminus Tatar
(z.B. Kondoma, Kuznetski oder Mrass Tatary) oder auch der Terminus Abintsy
wurde für sie verwendet.
Religion: Die Shor sind nominell Christen
Siedlungsgebiet:
Sie leben alle in einer Region die als Shorija bekannt ist und im
Kemerovo Distrikt im südlichen Sibirien der Russischen Förderation liegt.
Zahl
: 16.033 Personen (1979)
Sprache: Ihre Sprache gehört ebenfalls zur Gruppe der nordtürkischen Sprachen.
101
Ethnonym und Ethnogenese: Die Shor sind eine Gruppe von turksprachigen
Stämmen, die von kettischen, samoyedischen, türkischen und ugrischen Völkern
der Taiga abstammen. Die abschließende Türkisierung der Region geht
teilweise auf den Einfluss der Yenisei-Kirghisen zurück. Im frühen 17. Jhdt.
kamen die Shor unter russische Herrschaft.
VI.4.2.4. Die Tuviner:
Eigenbezeichnung:
Tuba, Tuwa, Tyva (-kizhi).
Im Russischen werden sie als Tuvinsky bezeichnet. Früher waren sie auch unter
den Namen Soyons, Soyots und Uriankhais bekannt.
Religion:
Ursprünglich waren die Tuviner Schamanisten. Im 18. Jhdt. nahmen sie den
lamaistischen Buddhismus an.
Siedlungsgebiet:
Fast alle Tuviner lebten in Süd-Sibirien in der Tannu-Tuvinischen
ASSR der Russischen Föderation.
Zahl
: 166.982 Personen (1979)
Sprache: Ihre Sprache gehört ebenfalls zur Gruppe der nordtürkischen Sprachen.
Ethnonym und Ethnogenese: Die Tuviner stammen, wie viele andere turksprachige
Völker Südsibiriens, von verschiedenen türkischen, turkisierten kettischen,
samoyedischen und mongolischen Stämmen ab.
VI.4.3. Diverse Turkvölker, die aus anderen Regionen nach Zentralasien kamen:
Diverse andere Turkvölker kamen im Verlauf der letzten Jahrhunderte nach
Zentralasien, so z.B. die Kazan-Tataren (während der zaristischen Zeit) oder die
Krim-Tataren und die Meskheten, die von Stalin nach Zentralasien deportiert
wurden.
227
VI.4.3.1. Die Meskheten: Bei den Meskhten handelt es sich um Georgier, die zum
Islam konvertierten und unter Stalin nach Zentralasien deportiert wurden, wo sie
großteils im heutigen Usbekistan angesiedelt wurden. In den letzten Jahren kam es
zwischen ihnen und den Usbeken zu blutigen Auseinandersetzungen. Die meisten
Meskheten haben mittlerweile Zentralasien verlassen.
VI.4.3.2. Die verschiedenen Tatarengruppen: Sie gehören BENZING zur Ural-
Gruppe der westtürkischen oder Kipchak-Komanischen Turksprachen. Die Tataren
zerfallen in eine Reihe von Untergruppen:
228
1) Krimtataren
2) Nogaytataren
3) Wolga-Ural-West-Sibrische Tataren:
a) Kazan-Tataren oder zentrale Tataren
b) Miser-Tataren oder westliche Tataren
c) Sibirische Tataren oder Östliche Tataren
VI.5. Die Vertreter iranischer Sprachen:
Auch hier ist wieder zwischen „autochtonen“ Gruppen und rezenteren Zuwanderern
(z.B. die Baluch) zu differenzieren. Von allen iranisch sprechenden Gruppen stellen
die heute als Tadschiken bezeichneten Gruppen zahlenmäßig die größte Gruppe dar.
VI.5.1. Die Tadschiken:
227
ad. Details vgl. z.B. AKINER (1983) und GOLDEN (1992)
228
vgl. im Detail AKINER (1983), GOLDEN (1992) und BENNIGSEN/ WIMBUSH (1985)
102
Eigenbezeichnung: Eigenname: Tadzhik
Der Name Tadschiken wird sowohl für die Tadschiken in der Ebene (die
„eigentlichen“ Tadschiken) wie auch für die Tadschiken in den Bergen (die
auch als Pamiri/ Bergtadschiken oder Galchah bezeichnet werden; siehe unten)
verwendet.
Religion: Die meisten Tadschiken sind sunnitische Muslime der hanafitischen
Richtung. Es gibt auch schiitische Gruppen (v.a. unter den Galchahs, siehe
unten)
Siedlungsgebiet: Der Großteil der Tadschiken lebt in Tadschikistan, beträchtliche
Gruppen gibt es in Uzbekistan und Kirghisien. Auch in Afghanistan gibt es
zahlreiche Tadschiken, wobei hier oft alle persisch-sprechenden Gruppen als
Tadschiken bezeichnet werden. Tadschiken gibt es darüber hinaus auch in
Sinkiang (VR China), sowie im Iran und in Pakistan.
Zahl: In der ehemaligen Sowjetunion 4,16 Mill. (1979). Für Afghanistan und Sinkiang
liegen keine exakten Angaben vor.
Sprache: Das Tadschikische gehört zur Gruppe der südwestiranischen Sprachen und
ist eng verwandt mit dem Persischen mit dem es eine gemeinsame Literatur und
ein gemeinsames linguistisches Erbe teilt. Unterschiede in der persischen und
tadschikischen Literatursprache sind vergleichsweise jungen Datums. Das
klassische Persisch wurde bis zur sowjetischen Zeit verwendet. Dann wurden
lokale Formen, die früher als Umgangssprache betrachtet wurden, in die
Literatursprache eingeführt. Es gibt 4 Hauptdialektgruppen. Die Unterschiede
zwischen ihnen sind nur phonetischer Art. Dort wo Tadschiken in enger
Nachbarschaft zu Uzbeken leben, weißt das Tadschike starke Einflüsse des
Uzbekischen auf.
Ethnonym und Ethnogenese: Der Namen Tadschik hat verschiedene
Bedeutungsveränderungen erfahren. Er stammt von dem arabischen
Stammesnamen „Taiy“ ab, dessen ursprüngliche Form Tazik/ Tezik war. Dieser
Terminus wurde zunächst zur Benennung der „Araber“ in Zentralasien
herangezogen. Später wurde der Begriff ausgedehnt und wurde für die
iranischen Untertanen der Araber, im Gegensatz zu den Türken, verwendet.
Eine weitere Ausdehnung führte dazu, dass der Begriff jeden inkludierte, der
den Islam akzeptiert hatte, d.h. der Begriff Tadschike bezog sich nun auf „einen
Muslim“. Für die Russen im 16. und 17. Jhdt. war die Bedeutung des Begriffs
noch umfassender. Tadschik bedeutete „ein Händler aus Zentralasien“. Die
Verbindung mit dem Handel und einer im wesentlichen städtischen
Lebensweise war so stark, dass bis ins frühe 20.Jhdt. die Tadschiken unter
einem alternativen Terminus, nämlich als „Sart“ bezeichnet wurden. Sart (vgl.
Ausführungen oben) bezog sich dabei nicht nur auf iranische
Bevölkerungsgruppen, sondern generell auf Sesshafte unabhängig von ihrer
ethnischen Zugehörigkeit (z.B. Usbeken).
Die Tadschiken selbst bezeichnen sich bisweilen nach ihrem Herkunftsgebiet.
Ethnizität: Die Geschichte Tadschikistans ist eng verbunden mit der Geschichte
Uzbekistans, denn die beiden wurden oft von den gleichen Herrschern regiert
und waren denselben Invasionen unterworfen. Es gab enge soziale Kontakte
zwischen den Tadschiken und den Usbeken (u.a. Zwischenheiraten). Oftmals
waren die jeweiligen Gruppen bilingual und hatten, was die sesshafte
Bevölkerung anbelangt, ein im wesentliches gleichartiges Brauchtum. Das
Hauptmerkmal war neben der Sprache vor allem die Sesshaftigkeit, welches die
Tadschiken von den nomadischen Turkvölkern und Mongolen unterschied.
103
Insgesamt kam es mit dem Vordringen der verschiedenen Turkvölker zu einer
zunehmenden Türkisierung der Bevölkerung. Diesem Türkisierungsprozess
konnten sich nur die Pamiri- (Galchah) Völker in den Hochtälern des westlichen
Pamirs, die Sprecher ost-iranischer Sprachen blieben, entziehen.
Vor der Oktober-Revolution waren sich die Tadschiken nicht bewusst, dass sie
eine andere Nation als die Usbeken sind oder dass sie zu einer spezifischen
Kultur gehörten. Damals war die Bevölkerung bilingual. Mit dem Entstehen der
verschiedenen Sowjetrepubliken und der Forcierung „nationaler Kulturen“ und
„nationaler Geschichten“ wurde auch eine „tadschikische Nation“ geschaffen.
Sowohl die Usbeken wie die Tadschiken begannen nun Teile des gemeinsamen
Erbes ausschließlich für sich zu reklamieren. Unter den Tadschiken der
Sowjetunion begann sich nun ein Zugehörigkeitsgefühl zu den iranischen
Völkern, insbesondere zu den Tadschiken in Afghanistan
herauszukristallisieren. Eine Art Iranismus wurde entwickelt und die Ansicht
vertreten, dass die Usbeken grundlegend verschieden seien von den Tadschiken.
VI.5.1.1. Die „Bergtadschiken“, Pamiris bzw. Galchahs:
Bezeichnung:
Die Bezeichnung bezieht sich auf eine Gruppe recht unterschiedlicher
Ethnien, die verschiedene Sprachen sprechen, aber mit einer Region- dem
Pamir- verbunden sind. Gemeinsam ist ihnen großteils auch der schiitische
Islam, durch den sie sich neben der unterschiedlichen Sprachen von den
Tadschiken unterschieden. Bei den Pamiris bzw. Galchas handelt es sich um
Gruppen, die zwar alle Sprachen sprechen, die dem südost-iranischen Zweig
angehören, dennoch sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachen
sehr groß, sodass sich die Leute untereinander nicht verstehen können. Kollektiv
werden diese Gruppen meist als Tadschik bezeichnet.
229
Religion: Die Mehrzahl der Pamiri bzw. Galchas sind Ismaili-Schiiten (d.h. Anhänger
des Agha Khan). Lediglich die Yazghulams und die Wakhis sind sunnitische
Muslime der hanafitischen Richtung. Zwischen den verschiedenen
muslimischen Gruppen gibt es kaum Beziehungen. Die Ismaili-Galchahs
isolieren sich sowohl von den sunnitischen Galchahs wie auch von anderen
tadschikischen Gruppen (z.B. gibt es keine gemischten Heiraten).
Siedlungsgebiet: Die Galchahs leben im westlichen Teil des Gorno-Badakhschan
Autonomen Oblast, der zur Republik Tadschikistan gehört, sowie in der
Nordost-Afghanistan Provinz Badakhschan.
Zahl: Die einzelnen Galchah-Gruppen weisen recht unterschiedliche Größe auf. (ad.
Details vgl. AKINER)
230
Sprache: Die verschiedenen Galchah-Sprachen gehören alle zur Gruppe der Südost-
Iranischen Sprachen.
Ethnizität: Das nationale Bewusstsein der Galchahs basiert vor allem auf der Religion.
Seit dem 11.Jhdt. gehörten sie mit Ausnahme der Yazghulams und der Wakhis
zur Ismaili-Sekte der schiitischen Muslime.
VI.5.2. Die Yagnobis:
Sie sind eine kleine Gruppe von ca. 3000 bis 5000 Personen, die im Tal von Aygnob
und dem oberen Tal des Varzah in Tadschikistan leben. Ihre Sprache ist völlig
verschieden von der Sprache der Tadschiken. Das Yagnobi gehört zur Gruppe der
nordost-iranischen Sprachen. Es wird angenommen, dass das Yagnobi von der alten
229
AKINER (1983:375)
230
vgl .AKINER (1983:377)
104
sogdischen Sprache abgeleitet ist. Die Yagnobis sind sunnitische Muslime und sind
einer starken Assimilation durch die Tadschiken ausgesetzt.
Zwei weiteren Gruppen, die in den sowjetischen Zensen nun den Tadschiken
zugerechnet werden, früher aber als eigenständige Gruppen in den Zensuserhebungen
angeführt wurden, sind die Chagatais und die Harduris.
VI.5.3. Die Chagatai sind türkischen Ursprungs oder Nachkommen turkisierter
Mongolen. Sie verlieren zunehmend ihre eigene Sprache und verwenden anstelle
derselben das Tadschikische. In den Zensen wurde dem Rechnung getragen indem
zwischen tadschik-Chagatai und usbek-Chagatai unterschieden wurde.
VI.5.4. Die Harduris sind eine iranischsprechende Gruppe im Gebiet des Surkhan
Darja in Usbekistan. Sie unterscheiden sich von den übrigen Tadschiken durch ihre
halbnomadische Lebensweise.
VI.5.5. Die Perser/ Iranis/ Ironi:
Eigenbezeichnung: Irani, Farsi
Religion: Sie sind wie der Großteil der iranischen Bevölkerung schiitische Muslime
des Jafaritischen Ritus („Zwölfer-Schiiten)
Siedlungsgebiet: Die Mehrzahl von ihnen lebt in Turkmenistan und in Usbekistan.
Zahl: hier liegen keine exakten Daten vor, u.a. da die Bezeichnung für diese Gruppen
in den sowjetischen Zensen mehrfach verändert wurde.
Sprache: Diese Perser sprechen teilweise Farsi (das wie das Tadschikische zur Gruppe
der südwest-iranischen Sprachen gehört) und teilweise Turksprachen
Ethnonym und Ethnogenese: Der Begriff Irani bezieht sich auf eine Gemeinschaft von
Leuten, die unterschiedlichen Ursprungs sind, aber geeint sind durch den
schiitischen Glauben. Es gibt zwei unterschiedliche Gruppen von Persern in
Zentralasien. jene, die sich selbst Irani nennen und andere, die bei weitem die
Mehrheit stellen, die sich selbst Farsi nennen. Der Zensus von 1926 unterschied
sorgfältig zwischen ihnen. Er nannte die ersten Irani und die letzteren Persy.
1970 wurden sie gemeinsam aufgelistet unter der Überschrift Irantsy (Persy),
1979 einfach nur als Persy.
Jahrhundertelang gab es Perser in Zentralasien. Abgesehen von den
verschiedenen safavidischen Einfällen und der Anziehungskraft der großen
Zentren islamischer Gelehrsamkeit, kamen die Perser wegen des Handels nach
Zentralasien. Viele wurden auch als Gefangene der Turkmenen gebracht um auf
den Sklavenmärkten verkauft zu werden. Es gab mindestens 5
Einwanderungswellen: Die Nachkommen der ersten beiden (Händler und
Sklaven) sind als Irani bekannt. Sie siedelten sich in Samarkand und Buchara
an. Im 19.Jhdt. strömten Juden aus Meschhed herein. Nach außen hin wurden
sie schiitische Muslime und wurden als Perser gezählt. Als nächstes kamen
Bahai´s aus dem Iran. Sie ließen sich vor allem in Aschkhabad nieder. Die
meisten dieser beiden Wellen kehrten in den 1930iger Jahres in die Heimat
zurück.
VI.5.6. Die Baluch:
Sie stellen in Zentralasien eine Zuwanderergruppe dar, die in mehreren Wellen
(Hauptwanderung 1923-1928) aus Afghanistan und Iran nach Zentralasien kam. Die
Baluches sind teilweise sunnitische Muslime und teilweise Schiiten des Jafaritischen
Ritus. In der ehemaligen Sowjetunion lebten sie fast ausnahmslos in der
Turkmenischen SSR in der Region Mary. Ihr Hauptsieldungsgebiet ist Iran, Pakistan
105
und einzelne Gebiete Afghanistans, wo sie überall große Bevölkerungsgruppen
stellen. In Zentralasien leben dagegen nur rund 20.000 Personen. Neben den Baluch,
deren Sprache zur Nordwest-Gruppe der iranischen Sprachen gehört, führen die
Zensen auch die Brahui an, ein indisches Volk dravidischen Ursprungs, die seit
langem mit den Baluch siedeln und offensichtlich mit diesen zugewandert sind. Das
Baluchi selbst gliedert sich wiederum in 2 Hauptdialekte: eine NO-Gruppe und seine
SW-Gruppe. Das in der vormaligen Sowjetunion gesprochene Baluchi gehört zur SW-
Gruppe.
VI.5.7. Afghanen/ Paschtunen:
Die Paschtunen kamen offenbar großteils Ende des 19. Jhdt. nach Zentralasien. Diese
1970 lediglich ca. 4.000 Personen umfassende Gruppe lebt vor allem in
Turkmenistan, kleinere Gruppen auch in Usbekistan und Tadschikistan. Die Mehrzahl
der Paschtunen lebt in Afghanistan und Pakistan, wo sie mehrere Millionen
Individuen umfassen. Die Paschtunen sind sunnitische Muslime hanafitischer
Richtung.
VI.6. Diverse andere ethnische Gruppen im westlichen Zentralasien:
VI.6.1. Die zentralasiatischen Araber:
Eigenbezeichnung: Arab. Sie sind sunnitische Muslime hanafitischer Richtung und
leben in kleinen Gruppen verstreut in Usbekistan und in Tadschikistan. Auch in
Nordafghanistan gibt es Araber. Wann sie genau nach Zentralasien kamen ist unklar.
Es scheint wahrscheinlich, dass sie in mehreren Wellen kam und sich zu
verschiedenen Perioden ansiedelten. Zur ältesten Schicht dürften die Nachkommen
der arabischen Eroberer des 8.Jhdt. gehören. Die jüngste Schicht besteht aus den
Nachkommen der arabischen Stämme die durch den scheibanidischen Herrscher
Ubaidullah Khan im 16.Jhdt. in Zentralasien angesiedelt wurden. Die
zentralasiatischen Araber leben in isolierten Dörfern und mischen sich nicht mit der
einheimischen Bevölkerung. Die Gruppenendogamie wird noch strikt befolgt. Ihre
Sprache, die dem Iraqi-Dialekt des Arabischen sehr nahe steht, gehört zur Gruppe der
semitischen Sprachen.
VI.6.2. Die zentralasiatischen Juden:
Die jüdischen Gemeinden Zentralasiens bestehen schon seit sehr langer Zeit. Im 10.
Jhdt. sollen hier die jüdischen Gemeinden viel zahlreicher als die christlichen
gewesen sein. In West-Europa sind diese jüdischen Gemeinden meist als „Buchara-
Juden“ bekannt. Die Juden ließen sich vor allem in den großen Oasenstädten, z.B.
Buchara, Kokand, Samarkand etc. nieder. Eine besondere Gruppen stellen die
Marranos oder Chalas (unvollkommen) dar. Als Chalas wurden jene Juden
bezeichnet, die zwar den Islam abgenommen hatten, jedoch weiterhin Kontakte zur
jüdischen Gemeinde pflegten und quasi ein „crypto-Judentum“ verkörperten. U.a.
heirateten diese Chalas nur innerhalb ihrer eigenen Gruppe. Der Terminus „Chalas“
wird auch im nicht-religiösen Sinn verwendet und bezieht sich hier auf Nachkommen
gemischter Paare.
VI.6.3. Die Dunganen:
Sie nennen sich selbst Lao hui hui oder Donggan ren. Sie sind sunnitische Muslime
hanafitischen Ritus und sind für ihre strikte Befolgung der religiösen Vorschriften
bekannt. Die Mehrzahl der Dunganen lebt in der VR China, wo sie seit 1958 ein
106
eigenes Autonomes Gebiet, das Ningsia-Hui Autonome Gebiet, besiedeln. Genaue
Zahlen liegen nicht vor. Zusammen mit anderen chinesischen Muslimen soll ihre Zahl
zw. 3 und 80 Mill liegen. In der ehemaligen Sowjetunion lebten rund 38.000
Dunganen, vorwiegend in geschlossenen, rein dunganischen Dörfern und
Stadtvierteln in Kirgisistan und Kazakhstan. Die Dunganen der ehemaligen
Sowjetunion kamen Ende des 19. Jhdt. nachdem der gegen die Mandchu-Herrscher in
China geführte islamische Aufstand zusammengebrochen war. Ihr Ursprung ist
unklar.
231
Die Dunganen sprechen Dungan, das zur nordchinesischen Sprachgruppe
dazugehört und in 2 Hauptdialekte gegliedert ist.
VI.6.4. Die zentralasiatischen „Zigeuner“:
Eigenbezeichnung „Mughat“. Im Tadschikischen werden sie auch als Dzhugi,
Mazang, im Usbekischen als Luli und im Russischen als Sredneaziatskije tsygany
bezeichnet. Sie sind im gesamten Gebiet Zentralasiens verbreitet. Es gibt, da sie in
den sowjetischen Zensen nicht von anderen Roma/Zigeunergruppen unterschieden
wurden, keine genauen Angaben zu den zentralasiatischen Gruppen. Ihre frühe
Geschichte ist unklar. Laut ihrer Oraltradition sollen sie in der Zeit von Timur nach
Zentralasien gekommen sein. Es wird angenommen, dass sie ursprünglich aus Indien
stammten. Über ihr Ursprungsgebiet wird in ihrer Oraltradition aber nichts ausgesagt.
Auch das bei anderen Romagruppen verbreitete Ethnonym „Roma“ findet sich bei
ihnen nicht. Die Mughat sind meist bilingual (tadschikisch und usbekisch). Daneben
verwenden sie eine Art Geheimsprache „lavz-i mughat“ mit einem besonderen,
hauptsächlich iranischen Vokabular. Sie sind meist sunnitische Muslime der
hanafitischen Richtung. Sie haben sich aber viele ihrer vorislamischen Bräuche, Riten
und Vorstellungen erhalten.
Neben den genannten Gruppen gibt es noch eine Reihe anderer auf die hier nicht
näher eingegangen werden kann, dazu gehören u.a.: die Inder, Koreaner, Kurden,
Wolgadeutschen, Russen, Weißrussen und Ukrainer.
VI.7.Die mongolischen Völker Zentralasiens:
Wie schon aus den Ausführungen zur mongolischen Sprache ersichtlich wurde, gibt
es heute eine Reihe von mongolischen Völkern, die entsprechend ihren linguistischen
Bezügen grob in 2 Gruppen gegliedert werden können.
1) westmongolische Gruppe: Oiraten, Kalmücken, Mogol
2) ostmongolische Gruppe: Dagur, Monguor, Khalka, Buriaten
Die Geschichte der Mongolen ist relativ gut dokumentiert, u.a. da uns in der
„Geheimen Geschichte der Mongolen“, die zwischen 1227-1264“ entstand, auch
Material aus der Sicht der Mongolen selbst zur Verfügung steht.
232
In der „Geheimen
Geschichte“ werden neben der Selbstbezeichnung „Mongqol“ (Mongol) auch
Verweise auf andere Gruppen, wie z.B. die Tataren, Merkit, Naiman, Kereit, Tangut
und Kitat, gegeben. Diese Gruppen, die aus mehreren Stämmen bestanden, wurden im
12. und 13.Jhdt. entweder von den Mongolen vernichtet oder ihre Reste in die
mongolische Gesellschaft integriert.
Angehörige dieser Stämme, deren ursprüngliches
Weidegebiet südlich des Baikalsees lag, errichteten unter der Führung der Chingisiden
231
vgl. im Detail AKINER (1983:352)
232
vgl. z.B. WEIERS, M.: Stämme und Verbreitungsgebiete, Sprache, Wesenszüge. in: Heissig/Müller
(Hrsg.) (1989:113-118)
107
ein großes Imperium. Nach dem Niedergang des Mongolenreiches im 14. Jhdt.
mussten sich diese Stämme auf geschlossene Stammesgebiete Zentralasiens
beschränkten und es setzte eine individuelle Entwicklung einzelner Stämme ein.
Im Westen stieg der Stamm der Oiraten zur herrschenden Gruppe auf. Die Oiraten,
die auch als Westmongolen bezeichnet werden und in eine Reihe von
Stammesverbänden gegliedert waren, herrschten zeitweilig bis nach Peking. Dann
zerfiel die Macht der Oiraten. Um 1636 erneuerten die Oiraten ihre Macht. Sie
nannten sich nun Dzungar. Auch die sich nun Dzungar nennende Gruppe bestand aus
einer Reihe von Stämmen, wobei Coros im Westen und Ögelet im Osten als
Gesamtbezeichnung der Dzungar verwendet wurde. Teile der Oiraten (darunter die
Torgut) begannen um 1616 nach Westen zu wandern und ließen sich 1632 an der
unteren Wolga nieder. Mit Ausnahme von Teilen der Torgut, die wieder nach Osten
zurückzogen und seit 1771/72 unter der Bezeichnung Ili-Torgut in Sinkiang siedeln,
blieben diese Oiraten im Westen, wo sie von den Russen als Kalmycy (Kalmücken)
bezeichnet wurden, eine Bezeichnung die sie selbst übernahmen. Bis 1943 siedelten
sie (unterteilt in eine Reihe von Stämmen) in der Kamückischen ASSR. Dann wurden
sie nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Später erfolgte ihre Rehabilitierung und
sie dürften in ihre vormaligen Siedlungsgebiete zurückkehren.
Nachdem die Macht der Westmongolen sank, reorganisierten sich die
ostmongolischen Stämme neu. Bis zur 1.Hälfte des 16. Jhdt. formierten sich auf dem
Gebiet der heutigen Republik die Khalka. Sie stellen heute die größte Gruppe der
Mongolen dar. Diese Khalka bestanden aus einer west- und ostmongolischen
Mischbevölkerung, die sich zunächst „Dologan Otog Qalqa“ (Sieben Stämme Khalka)
nannten. Bis zum Beginn des 18.Jhdt. entwickelten sich aus diesen Khalka vier
Fürstentümer, die „aimag“ genannt wurden. Im Süden und Südosten der Khalka
entstanden noch im 16.Jhdt. mehrere von südöstlichen Stämmen gegründetes
Khanate. In der Folgezeit kam es hier zu politischen Machtrivalitäten zwischen
verschiedenen mongolischen Stämmen, bis die südmongolischen Stämme 1636 unter
die Oberherrschaft der Mandchus gelangten.
Zusätzlich zu den Stämmen in den geschlossenen mongolischen Gebieten entstand
aus dem Stamm der Buryat ein eigenes mongolisches Staateswesen in Transbaikalien
(vormals buryat-mongolische ASSR). Diese Buryat sind ihrerseits in 2 Gruppen von
Stämmen, die westlichen und die östlichen untergliedert.
Auf dem Gebiet des heutigen Afghanistans blieben kleine Reste der ehemaligen
mongolischen Eroberer in isolierten Gruppen zurück, die dort als Moghol bezeichnet
werden.
Auch in der Inneren Mongolei (einem autonomen Gebiet in der VR China) leben eine
Reihe mongolischer Gruppen, unter ihnen die Daguren. Auch sie zerfallen in eine
Reihe von Untergruppen, die nach den jeweils von ihnen bewohnten Städten bzw.
dem Ili-Fluss und dem Tarbagatai-Bergen benannt sind. Teile dieser Daguren wurden
als Art Grenzschutzgruppe u.a. im heutigen Sinkiang angesiedelt. Auch in den
chinesischen Provinzen Gansu und Qinghai gibt es eine Reihe von mongolischen
Gruppen.
Die Mongolen sind lamaistische Buddhisten, wobei allerdings Elemente des
vormaligen Schamanismus teilweise noch stark zum Tragen kommen.
VII. DIE RELIGIÖSEN VORSTELLUNGEN DER VÖLKER
ZENTRALASIENS:
In Zentralasien bestanden und bestehen eine Reihe unterschiedlicher religiöser
Konzepte, die teils in der Region selbst entstanden bzw. durch Handel, militärische
108
Expansion aus anderen Regionen nach Zentralasien kamen. Obwohl seit dem 15. bzw.
16.Jhdt eine weitgehende Vereinheitlichung der religiösen Vorstellungen eingetreten
ist und sich der Islam (im westlichen Teil Zentralasiens) bzw. der Buddhismus (im
östlichen Teil) zur dominierenden Religion entfalteten, finden sich eine Reihe von
Survivals früherer Glaubensvorstellungen, insbesondere in der „Little Tradition“ (d.h.
der Volksreligion).
In der Zeit vor der Islamisierung Zentralasiens waren vor allem die folgenden
Religionen bedeutsam: Zoroastrismus, Manichäismus, nestorianisches Christentum,
Buddhismus, die Religion der frühen Türken und der Schamanismus der Mongolen.
VII.1. Der Zoroastrismus:
Bis zur arabischen Eroberung war er die Hauptreligion der Iraner. Bei den Sassaniden
war die Lehre Zoroaster´s z.B. Staatsreligion. Sie wurde um 600 v.Chr. von Zoroaster
(Zarathustra) gegründet. Nach dem Glauben der Zoroastrier wird die Welt von zwei in
Opposition zueinander stehenden Kräften beherrscht: dem Guten, personifiziert durch
Ahura Mazda, und dem Bösen, verkörpert durch Ahriman. Im Zentrum des
Zoroastrismus stand ein Sonnen- und Feuerkult. Die Feuerverehrung war Teil der
sozialen und politischen Organisation der alten Iraner. Es gab eine Verehrung des
Familienherdes und seines Feuers, eine Verehrung des Klan- oder Dorffeuers, eine
Verehrung des Feuers der Provinz und eine Verehrung des Feuers des Königs und des
Reiches. Dieses durfte nie mit dem Himmelsfeuer in Berührung kommen. Es wurde in
einem abgedunkelten Raum aufbewahrt. Die Zoroastrier glaubten auch an die
Unsterblichkeit der Seele, an die Belohnung für das Gute durch Erreichen des
Paradieses im späteren Leben und an die Bestrafung schlechter Menschen und
Ungläubiger. Tieropfer waren verboten. Der Körper der Toten durfte nicht mit dem
Boden in Berührung kommen, daher wurden die Toten auf Türmen und Bergen
bestattet und erst die Knochen später beigesetzt. Neben dem bereits erwähnten
oppositionellen Prinzip von Gut und Böse, gab es noch das ebenfalls oppositionell
gedachte Prinzip von Himmel und Erde sowie von Licht und Dunkel.
VII.2. Der manichäische Glaube:
Diese Religion geht auf Mani, einen Iraner zurück, der im 3 Jhdt. v.Chr. in Babylon
geboren wurde. Der manichäische Glaube war noch viel systematischer bei der
Arrangierung dieser Oppositionspaare. Auch hier gab es die Vorstellung von zwei in
Opposition zueinander stehenden Prinzipien (Gut und Böse). Das Gute wurde durch
den „Vater des Lichts“ verkörpert, das Böse durch den „Vater der Dunkelheit“. Jede
Gottheit besaß 5 Welten, in denen sie regierte, 5 Ewigkeiten, die sie durchschritt und
5 Kräfte, die sie befehligte. Die Prinzipien von Gut und Böse waren nicht nur
kosmische Kräfte, wie dies im Zoroastrismus der Fall war. Bei den Manichäern
herrschte die Ansicht, dass diese Prinzipien auch im Geist des Menschen
gegeneinander kämpfen und es Prinzipien sind, die um die Kontrolle des Universums
ringen. Letztendlich muss das Gute, das Licht und der Himmel im Menschen und in
der Welt siegen.
Der manichäische Glaube hatte einen großen Einfluss in Zentralasien und breitete sich
bis nach China aus. Im Gegensatz zum Römischen Reich, wo dieser Glaube im 6.Jhdt.
unterging, konnte er sich in Zentralasien viel länger halten, wobei insbesondere den
Sogdiern, die damals den transkontinentalen Handel dominierten, ein wesentlicher
Anteil an der Ausbreitung dieser Religion zukam.
109
VII.3. Die Buddhismus:
Er breitete sich in Zentralasien schon sehr früh aus, wobei er über Indien nach
Zentralasien kam. In weiten Teilen Zentralasiens, insbesondere entlang der
Seidenstraße, war der Buddhismus neben den beiden genannten Religionen weit
verbreitet. (vgl. u.a. die zahlreichen buddhist. Klöster in Ost-Turkestan). Insbesondere
im Kuschan-Reich (2.Jhdt.v.Chr. bis 3.Jhdt.n.Chr.) und hier vor allem unter
Kanischka (Ende des 1.Jhdt.) konnte der Buddhismus eine große Bedeutung erlangen.
VII.4. Das nestorianische Christentum:
Das nestorianische Christentum fußte auf den Lehren des Theodor von Mopsuestia
und seines Anhängers, Nestorius (Bischof von Konstantinopel im 5.Jhdt.). Die
nestorianische Kirche verwarf die Doktrin, dass Maria die Mutter Gottes gewesen sei.
Während die Nestorianer im Westen verfolgt wurden, konnten sich in Zentralasien
nestorianische Gemeinschaften etablieren, die bis zum Erscheinen der Araber
bestehen blieben. Bei einzelnen Turkvölkern hielt sich das nestorianische Christentum
sogar bis ins 14. Jhdt. Heute gibt es nestorianische Gruppen nur mehr im Südosten der
Türkei und im angrenzenden Persien.
VII.5. Judentum:
Bereits ab dem 1.Jahrtausend v.Chr. waren kleine städtische jüdische Gemeinschaften
gegründet worden, die sich bis heute behaupten konnten.
Mit dem Vormarsch der arabo-islamischen Heere kamen die oben genannten
Religionen, mit Ausnahme des Buddhismus, der sich im östlichen Zentralasien
behaupten konnte und im 16. Jhdt. zur offiziellen Religion der Mongolen wurde,
großteils zu einem Ende. Der Prozess der Islamisierung erfolgte nicht abrupt, sondern
in mehreren Phasen. Bis heute lassen sich vorislamische Elemente in der „Little
Tradition“ der Bevölkerung nachweisen.
VII.6. Die Religion der frühen Türken und Mongolen:
Die religiösen Vorstellungen der nomadisierenden turko-mongolischen Völker wiesen
eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf.
Zu den gemeinsamen religiösen Vorstellungen, welche die verschiedenen Ethnien
Zentralasiens ungeachtet ihrer Hinwendung zum Islam oder Buddhismus teilen,
gehören laut KRADER (1966) 3 Elemente:
233
1) Schamanismus
2) Kult um Heiligengräber und heilige Orte
3) Glaube an Dämonen und Geister
Viele dieser Elemente finden sich schon in der Zeit der frühen Türken und Mongolen.
VII.6.1. Die Religion der frühen Türken:
Hinweise auf die Religion der frühen Türken finden sich nur in wenigen
Grabeninschriften.
234
Diese hatten u.a. magische Funktionen, indem sie nicht nur den
Ruhm des Verstorbenen der Nachwelt kundtaten, sondern auch zur Absicherung eines
positiven Jenseitsgeschicks dienen sollten. Aus den Inschriften erfahren wir, dass der
Himmel (tängri/ tengri) als oberste Gottheit neben der Erde oder Erdmutter (umay)
verehrt wurde. Erwähnt werden auch Erd- und Wassergeister, die offenbar örtlich
gebunden waren und denen Macht über den Menschen gegeben war. Es scheint eine
233
KRADER (1966:132)
234
SCHARLIPP (1992:56
110
Vielzahl von Geistern im Himmel und auf der Erde gegeben zu haben. Die
Vorstellung war, dass der Himmel das Geschick des Volkes und seiner Herrscher
lenkt. Himmel und Erde garantierten den Bestand des türkischen Staates, solange sich
das Volk nicht falsch verhielt. Im Fall des Aufruhrs konnte sich der Himmel vom
türkischen Volk abwenden und es bestrafen. Der Himmel nahm auch die Seelen der
verstorbenen Fürsten auf, die sich als „himmelsgleich und vom Himmel geschaffen“
bezeichneten. Das Jenseits wurde als ein verlängertes Diesseits gedacht. Das Leben
nach dem Tod musste magisch abgesichert werden. Diese Vorstellung wurde u.a. in
den verschiedenen Bestattungs-, Toten- und Ahnenkulten deutlich. Es gab aber nicht
nur die dargelegte enge Beziehung zum Himmel, sondern ebenso eine starke
Bezugnahme zum Land, das als göttlich bezeichnet wurde. Dem Land wurde vielfach
die Bezeichnung „teure Frau Mutter“ (ögük qatun) verliehen. Damit war in erster
Linie das Ötükan-Gebirge, das Reichszentrum der frühen Türken gemeint. Aus
Inschriften geht hervor, dass das Reich vom Gebiet des Ötükan-Gebirges aus regiert
werden soll. Mit dem Verlust des alten Reichszentrums und damit dem Verlust des als
heilig gedachten Landes verlor der oben skizzierte Glaube viel von seiner Grundlage.
Teile der Turkvölker begannen nun andere Religionen, z.B. das nestorianische
Christentum, den Manichäismus, Buddhismus anzunehmen. Dabei kam es zu
synkretischen Ausformungen. Z.B. übernahmen nun nestorianische Heilige, wie der
Hl. Georg, manichäische Engel oder buddhistische Götter die Funktion der
vormaligen Schutzgötter und wurden um Hilfe angefleht.
Bezüglich der Religion der frühen Türken gibt es 2 konträre Auffassungen:
235
1) Die Türken hatten weder einen Schamanismus noch einen Totemismus, sondern
immer schon einen Monotheismus: Diese Auffassung wurde von der
Verehrung des “Tengri“ abgeleitet und vor allem von türkischen Historikern
vertreten.
2) Die Türken hatten Schamanismus und Totemismus: In den frühen Inschriften
kommt das Wort für Schamane nicht vor, es ist aber für spätere Jahrhunderte belegt
und findet sich noch in einer Reihe von nordtürkischen rezenten Sprachen. Als
Quelle für die Annahme dass die frühen Türken Schamanisten waren, dienen u.a.
chinesische Quellen.
236
Auch über den Totemismus der Türken ist wenig bekannt,
aber verschiedene Indizien deuten darauf hin. Das wichtigste ist laut SCHARLIPP
der türkische Abstammungsmythos: Nach diesem sollen die ersten Türken von
einem Wolf und einer Wölfin gezeugt worden sein. Auch im militärischen Bereich
kam der Wolf vor. An der Spitze der Standarten war ein goldener Wolfskopf
angebracht und „Böri“ (=Wolf) war die Bezeichnung der militärischen Führer der
frühen Türken.
237
VII.6.2. Die religiösen Vorstellungen der Mongolen:
238
Die vormalige Religion der Mongolen basierte im wesentlichen auf dem
Schamanismus. Nach der Ausdehnung des mongolischen Reiches kam es zur
Übernahme fremder religiöser Vorstellungen. Auf dem Gebiet der Goldenen Horde
und im Iran nahmen die Mongolen den Islam an, in China die tibetische Form des
Buddhismus. Im 16. Jhdt. wurde dieser schließlich die offizielle Religion der
235
SCHARLIPP (1992:56)
236
SCHARLIPP (1992:56)
237
„Böri“ wird laut SCHARLIPP (1992:57) in den Inschriften ausreichend belegt
238
vgl. im Detail MORGAN (1986), URAY-KÖHALMI (1989:118-124) und TAUBE, Erika:
Schamanismus, Geisterbeschwörung und Gesundbeter. in Heissig, W. und Müller C.C. (Hrsg.): (1989:
216-219)
111
Mongolen. Dies bedeutete aber nicht, dass die vormalige schamanistische Religion
verschwand. Die zuvor genannten 3 Hauptelemente der zentralasiatischen Religionen:
Schamanismus, Kult um heilige Gräber und/ oder Orte sowie der Glaube an Dämonen
und Geister blieb, wenn auch manchmal in abgewandelter Form und verbrämt mit
buddhistischen Elementen, erhalten.
Die Mongolen gingen von der Existenz verschiedener Welten aus, die von
verschiedenen Wesen bevölkert war. U.a. galt es sich gegenüber den Schutz und
Segen spendenden Geistern und Gottheiten ehrerbietig zu verhalten und überlieferte
Gebote zu beachten um diese Wesen nicht zu beleidigen oder in Zorn zu versetzen.
Durch Gebete und Opfergaben versuchten die Menschen das Wohlwollen dieser
Geister und Gottheiten zu sichern. Manche Zeremonien oblagen bestimmten
Familienmitgliedern. Daneben gab es Personen, die sich durch besondere Fähigkeiten
und Kenntnis bestimmter magischer Bräuche auszeichneten. Vor dem Einfluss
schädlicher Mächte suchten sich die Menschen durch eine Vielzahl von
Schutzbräuchen und die Einhaltung bestimmter Tabus durch das Individuum bzw. die
gesamte Gesellschaft zu schützen. Krankheit, Tod etc. von Mensch und Tier wurde
dem Wirken böser Geister und Dämonen, zugeschrieben. An der Spitze der
übernatürlichen Hierarchie stand der Blaue „köke“ oder ewige „möngke“ Himmel
„tengri“. Die Erd- und Fruchtbarkeitsgottheit war gewöhnlich eine weibliche Gottheit.
Daneben gab es Ahnengeister und diverse Ortsgottheiten. In der Vorstellungswelt der
Mongolen gab es auch eine Reihe übler Geister in vielfältiger Gestalt (z.B.
vogelähnliche Dämonen, Irrlichter, hässliche Gespenster), die häufig in der Luft
schwebend dem Menschen auflauern, Krankheit und Sehnsüchte hervorriefen. Gegen
sie waren die Aktivitäten des Schamanen gerichtet.
VII.6.2.1. Der Schamane, seine Aufgaben und seine gesellschaftliche Bedeutung:
In dieser von Geistern bedrohten Welt der Menschen kam dem Schamanen eine große
Bedeutung zu. Er agierte als Vermittler zwischen den Menschen und dem mysteriösen
Reich der Geister und Dämonen. Der Schamane war ein Seher, der mit den Geistern
kommunizierte, während er in Trance war. Er hatte eine herausgehobene Stellung in
der Gesellschaft. Er kleidete sich in Weiß und ritt ein weißes Pferd und trug als
Insignien eine Trommel und einen Stab. Seine Funktion bestand in der Vermittlung
mit den Geistern, verschiedenen Formen des Exorzismus, des Herabrufens des Segens
für Herden, Jäger, Kinder etc., der Wahrsagerei. Zudem musste er dem Bösen
vorbeugen und, wenn es bereits geschehen war, es wieder aus der Welt schaffen. Er
musste Empfehlungen geben und Krankheiten heilen. Er sollte den Tod verhindern
und musste, wenn dieser eingetreten war, dafür sorgen dass die Seele des Toten
wohlbehalten im Jenseits ankam, damit sie im Diesseits keinen Schaden anrichtete.
Der Schamane musste Feinde durch Fluch und Bann schädigen, die günstigen Tage
und Richtungen für bestimmte Anlässe ermitteln und Weissagungen vornehmen.
Dabei bediente er sich entweder des Schulterblattes eines Schafes oder der
Eingeweide von Opfertieren. Um den Kampf mit den Dämonen bestehen zu können,
verfügte der Schamane über eine Reihe von Hilfsgeistern, unter denen stets einer die
Vorrangstellung hatte. Die Stärke und damit auch das Ansehen des Schamanen
richtete sich nach der Anzahl jener Hilfsgeister, die er im Bedarfsfall mobilisieren
konnte. Diese Hilfsgeister rekrutierte der Schamanen v.a. aus dem Heer der
Ahnengeister, die auch bildlich oder figürlich aus verschiedenen Materialien geformt
dargestellt und als „onggod“ bezeichnet wurden. Diesen kleinen Figuren schrieb man
schützende und Böses abwehrende Kräfte zu. Diese „onggod“´s standen auch in den
Jurten oder hingen an den Dachstangen der Jurten. Der Schamane nahm seine
112
„onggod“-Figuren immer mit, wenn er irgendwohin zu Hilfe gerufen wurde.
Zusätzlich waren Repräsentationen seiner Hilfsgeister auch auf seinem
Schamanenkleid angebracht. Insgesamt scheint ein enger Zusammenhang zwischen
dem Schamanismus und der Ahnenverehrung gegeben gewesen zu sein.
239
Als
besonders starke Hilfsgeister galten die Seelen verstorbener Schamanen. Auch die
Ortsgottheiten, v.a. jene der Berge, die in enger Beziehung zu den Ahnengeistern
standen, vermutlich sogar auf diese zurückgingen, fungierten als Hilfsgeister. Ob
jemand Schamane wurde oder nicht, hing nicht von ihm selbst ab. Es waren, die
Geister, die einen Menschen zu diesem Amt beriefen. Diese Berufung geschah meist
in der Pubertät und wurde von den jungen Menschen (sowohl Burschen wie
Mädchen) als qualvoller Zustand empfunden, so dass man von einer „Erkrankung“
sprach. Symptome dieses Zustandes waren Unruhe, Alpträume, Halluzinationen,
Zuckungen, manisch-depressive Zustände, Geistesabwesenheit, Sprechen in Versen.
Auf diese Weise äußerte ein Geist, dass er jemanden auserwählt hatte. In der Folgezeit
wurde dieser Geist zum Hilfsgeist des Schamanen. In dieser Zeit der
Schamanenwerdung soll der Adept erfahren, worin er zu heilen und zu helfen vermag,
d.h. welche Art von Geistern er später bekämpfen kann.
240
Voraussetzung für die
Schamanentätigkeit war auch, dass nach dem Abklingen der „Schamanenkrankheit“
die Weihe des Adepten zum Schamanen durch einen älteren Schamanen erfolgte. Den
Göttern und Geistern wurden vom zukünftigen Schamanen Opfer dargebracht, damit
sie ihm später dienten. Zur Initiation des Schamanen gehörte auch seine Ausstattung
mit den Attributen des Schamanen (Kleidung, Trommel oder Stab) sowie das
Reinigen durch Feuer, durch das Blut von Opfertieren etc. Der Schamane musste
zudem eine Art Schwur ablegen, durch den er verpflichtet wurde, jedem ohne
Ansehen seiner Person unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Person
oder deren sozialem Status zu helfen.
Die Schamanen spielten auch im öffentlichen Leben eine große Rolle. Am Hof der
mongolischen Großkhane des 13.Jhdt. gab es Schamanen. Für das 16.Jhdt. ist belegt,
dass die Schamanen zur Beratung über wichtige Ereignisse zusammentraten. Bis ins
20. Jhdt. hielten sich die mongolischern Adeligen, obwohl auch sie formell
Buddhisten waren, einen Schamanen. Insgesamt konnten die Schamanen einen
gewissen Einfluss auf die Politik nehmen. Darüber berichtet z.B. auch die „Geheime
Geschichte der Mongolen“, in der ausgeführt wird, dass der mächtigste Schamane
jener Zeit, nach Dschingis Khan, die 2. Stelle im mongolischen Reich einnahm.
241
VII.7. Der Islam in Zentralasien:
Im folgenden soll zunächst kurz die Islamisierung Zentralasiens, auf die bereits in
den Ausführungen zur Geschichte Zentralasiens eingegangen wurde, erörtert werden
und dabei u.a. der Stellenwert des Islams für die russischen bzw. sowjetischen
Eroberer behandelt werden. Sodann wird nach einem Exkurs über die
Grundelemente des Islams auf die Besonderheiten der islamischen
Glaubenspraxis in Zentralasien eingegangen.
242
Laut BENNIGSEN/WIMBUSH kann die Expansion des Islams in den ehemaligen
sowjetischen Gebieten Zentralasiens in 5 Perioden gegliedert werden:
239
vgl. MORGAN (1986:40ff) und TAUBE (1989)
240
TAUBE (1989:217)
241
vgl. MORGAN (1986:43)
242
im Detail vgl. Literaturhinweise in der Literaturliste, insbesondere BENNIGSEN and WIMBUSH
(1985), WEEKES (1978), KRADER (1966)
113
1) Die arabische Eroberung (600 bis 800 n.Chr.): In Zentralasien erschienen die
muslimischen Heere erstmals Mitte des 7.Jhdt. Nach heftigem Widerstand der
lokalen Bevölkerung gelang es den Arabern schließlich Anfang des 8.Jhdt. den
südlichen Teil Zentralasiens zu unterwerfen. Bis zur Mitte des 10.Jhdt. wurde hier
der Islam mit wenigen Ausnahmen zur dominanten Religion.
2) Die Expansion des Islams entlang der zentralasiatischen Handelsrouten (800 bis
1200 v.Chr.): Zwischen dem 9. und 13.Jhdt. fand eine friedliche Ausbreitung
islamischer Glaubensvorstellungen entlang der wichtigsten Handelsrouten
(„Pelzroute“ und „Seidenstraße“) statt. Dabei spielten arabischen Kaufleute und
diplomatischen Missionen eine große Rolle.
3) Der Islam während der mongolischen Herrschaft (1200 bis 1300 n.Chr.):
243
Am
Beginn der mongolischen Herrschaft war diese, insbesondere in Zentralasien, stark
anti-islamisch ausgerichtet, denn unter den mongolischen Führern gab es viele
Buddhisten und nestorianische Christen. Der Islam konnte sich während dieser Zeit
bei damals schon existierenden Sufiorden halten und gelangte über diese zur
einfachen Bevölkerung. Der Islam hörte damit in Zentralasien auf eine Religion
der Herrschenden zu sein, sondern wurde über die sufistische Ausprägung
islamischer Glaubensvorstellungen fest im Volk verankert. Vom Ende des 13.Jhdt.
bis zum Beginn des 14.Jhdt. dienten Sufimissionare und Händler als wichtige
Vermittler des Islams und trugen zu seiner Verbreitung bei. Gegen Ende dieser
Periode wurden die mongolischen Herrscher der Goldenen Horde und des
Chagatai-Khanates Muslime.
4) Der Islam während der russischen Expansion (1500-1800): Mitte des 15.Jhdt.
begann der inzwischen konsolidierte moskovitische Staat sich gegen die Goldene
Horde zu wehren und die muslimische Bevölkerung unter russische Herrschaft zu
bringen. Wichtige muslimische Territorien wurden nun erobert und dem russischen
Reich einverleibt. Obwohl die Muslime in den eroberten Gebieten in den
russischen Staat integriert wurden, hörte die Ausbreitung des Islams nicht auf.
Vielmehr bedienten sich die russischen Herrscher des Islams um ihre
Herrschaftsansprüche geltend zu machen. Unter Katharina der Großen wurde die
Missionstätigkeit kazan-tatarischer Aktivisten unter den zentralasiatischen
Nomaden durch finanzielle Mittel und Verordnungen aktiv unterstützt. Man vertrat
russischerseits die Meinung, dass durch die Islamisierung die verstreuten
nomadischen Gruppen zentralisiert werden würden, was die russische
Administration über sie erleichtern wurde. Unter Katharina der Großen kam es im
18.Jhdt. auch erstmals zur Schaffung einer offiziellen Organisation der Muslime.
Sie wurden nun in 4 spirituelle Administrationen (3 sunnitische und 1 schiitische)
untergliedert.
244
Diese Organisationsform des Islams unter der zaristischen
Herrschaft schuf die Basis für die Organisation des Islams in der sowjetischen
Periode.
Während der Herrschaftszeit Katharina d. Großen fasste der Islam schließlich auch
unter den Nomaden und Semi-Nomaden (z.B. den Kazakhen, Baschkiren und
Nogaiern), die zuvor nur oberflächlich islamisiert worden waren, Fuß.
Im 19. Jhdt. kam es zu einer Umkehr in der russischen Politik gegenüber den
Muslimen. Nun wurde die Förderung des Islams nicht mehr als Mittel zur
Herrschaftsabsicherung gesehen, sondern vielmehr als gefährliche Kraft eingestuft,
die anti-russisch mobilisierend wirken könnte. Der islamische Klerus wurde
243
U.a. werden die mongolischen Einfälle in Bagdad und anderswo in der muslimischen Welt
verantwortlich gemacht für den Niedergang der islamischen Kultur
244
KRADER (1966:129)
114
zunehmend auszuschalten. Zudem wurde mit subtilen Mitteln versucht die
Assimilation der autochtonen Bevölkerung zu erreichen. Insgesamt kam es im 19.
Jhdt., insbesondere im Kaukasus, aber auch in Zentralasien, tatsächlich zu den von
den Russen befürchteten, Widerständen und Rebellionen der autochtonen
Bevölkerung, die häufig von Mitgliedern diverser Sufi-Orden angeführt wurden.
5) Die revolutionäre Periode und die sowjetische Machtergreifung (1905-1928): 1905
wurde in Russland ein Dekret erlassen, das die religiöse Freiheit in Russland
verkündete. Damit erreichte der Islam das letzte Stadium seiner Ausbreitung. In
dieser Periode kehrte die Mehrheit der muslimischen Tataren, die im 18. und
19.Jhdt. zum orthodoxen Glauben bekehrt worden waren, wieder zum Islam
zurück. Auch unter einzelnen animistischen Völkern und vormals christlichen
Gruppen (z.B. Mordvinern, Chuvaschen) fand der Islam eine langsame, aber
stetige Ausbreitung. Mit der sowjetischen anti-islamischen Politik, die ab 1928
begann, kam der Islam in der Sowjetunion zu einem Stillstand. Diverse Periode der
Unterdrückung (1917-1919, sowie 1919-1941, 1959-1964, ab 1982 bis zum Ende
der Sowjetunion) des Islams durch die Verfolgung des islamischen Klerus, der
Schließung islamischer Einrichtungen, Unterbindung ritueller Praktiken, wurden
abgelöst durch Phasen eines gewissen Liberalismus, während derer den Muslimen
verschiedene Zugeständnisse eingeräumt wurden (1941-1959, 1964-1982).
245
Ähnlich dem zaristischen Vorbild wurde eine offizielle Administration des Islams
etabliert. Alle anderen Aktivitäten wurden als illegal erklärt und in den Untergrund
gedrängt. Hier waren es oft die in Zentralasien weit verbreiteten Sufi-Orden,
welche die islamischen Traditionen am Leben erhielten. BENNIGSEN und
WIMBUSH haben letztere als „Parallel“-Islam bezeichnet.
Gegenwärtig ist in Zentralasien ein Wiedererstarken des Islams zu beobachten. Wobei
zu betonen ist, dass der Islam als ein wesentliches Element für die Identitätsfindung
der Ethnien Zentralasiens zu betrachten ist.
246
VII.7.1. Die Grundelemente des Islams und die Besonderheiten des Islams in
Zentralasien:
Wie der Buddhismus, Zoroastrismus, das Judentum, Christentum und der
Manichäismus, so ist auch der Islam eine prophetische Religion. Der Islam basiert auf
der Offenbarung des Wortes Gottes, das einem Sterblichen, d.h. dem Propheten
Gottes, nämlich Mohammad, mitgeteilt wurde, der es an seine Anhänger weitergab.
Islam bedeutet soviel wie Unterwerfung unter den Willen Gottes. Die Muslime
glauben, dass das Gesetz Gottes Mohammad, einem arabischen Händler in Mekka
geoffenbart wurde. Mohammad sagte, das Gott ihm, manchmal über Gabriel,
mitgeteilt hätte, dass er der letzte einer langen Reihe von Propheten sei, die mit Adam
beginnt, über Abraham, Noah, Moses, Jesus bis zu Mohammad reicht. Mohammad ist
im Glaubensverständnis der Muslime somit der letzte der Propheten. Im Zentrum des
muslimischen Glaubens steht der Glaube an einen Gott. Dies wird in der Shahada
(dem muslimischen Glaubensbekenntnis) ausgedrückt, wo es heißt „Es gibt keinen
Gott außer Allah und Mohammad ist der Bote Gottes“. Zur Zeit Mohammads war
Mekka eine Kultstätte der arabischen Stämme, die ein Pantheon von Göttern
verehrten. Es gab dort viele Unternehmer, die ihren Lebensunterhalt durch den
Verkauf religiöser Idole und anderer Devotionalien verdienten. Mohammad´s
Botschaft verkündete einen Monotheismus und brandmarkte den Götzendienst. Dies
schuf ihm viele Feinde unter den Bewohnern Mekkas, sodass sich Mohammad im
245
vgl. BENNIGSEN/ WIMBUSH (1985:11ff)
246
Vgl. z.B.Beiträge von LEMERCIER-QUELQUEJAY (1983:15-27) und SHAHRANI (1983)
115
Jahr 622 n.Chr. (Beginn der islamischen Zeitrechnung) zusammen mit seinen
Anhängern zur Flucht (Hijra) nach Medina gezwungen sah. In Medina wurde
Mohammad Gouverneur, Richter und General. Er konnte viele Anhänger unter der
Stadtbevölkerung und den ländlichen Stammesangehörigen gewinnen. Später kehrte
er nach Mekka zurück und eroberte es. Mohammad einigte erstmals die arabischen
Stämme, indem er die Verbundenheit zum Stamm umwandelte zu einer
Verbundenheit mit der neuen Religion, mit dem Islam. Seine Regierung basierte auf
den Gesetzen Gottes, die darauf abzielten eine islamische Gemeinschaft (umma)
zu
begründen, die nach den geoffenbarten Gesetzen organisiert sein sollte. An der Spitze
der islamischen Welt steht in der Theorie der Kalif
. Diese Kalifen waren religiöse wie
auch säkuläre Führer. Das islamische Recht ist gleichzeitig religiöses und säkuläres
Recht. Im Islam sollte eine enge Verbindung zwischen der weltlichen und der
religiösen Herrschaft hergestellt werden. Eine eigene Gesetzgebungsinstanz ist nach
Meinung der strenggläubigen Muslime nicht erforderlich, da das von Gott
geoffenbarte Gesetz bereits vollkommen ist und es der Mensch lediglich anwenden
muss.
Zum Zeitpunkt des Todes von Mohammad (632 n.Chr.) war die Form und Struktur
des Islams etabliert. Die Mohammad geoffenbarten göttlichen Worte wurden im
Koran niedergelegt, Auch das Verhalten Mohammads selbst wurde von seinen
Anhängern als Richtschnur für ihr Leben und die korrekte islamische Lebensführung
angesehen. Die Meinungen und Entscheidungen Mohammads werden als Hadith
(Traditionen) gezeichnet und stellen ebenfalls eine wesentliche Quelle des Islams dar.
VII.7.2. Die Elemente auf denen der Islam aufbaut:
Wie im Juden- und Christentum so basiert auch der Islam auf drei Elementen:
1) der Offenbarung
2) dem Glaubensbekenntnis
3) den von den Gläubigen zu befolgenden Pflichten
ad. 1) Die Offenbarung: Gotteswort wurde Mohammad geoffenbart und wird in den
114 Kapitels des Koran (den Suren) wiedergegeben. Diese Offenbarungen
enthalten u.a. Parabeln und Geschichten und haben Parallelen zu jenen des
Altern und des Neuen Testaments.
ad. 2) Das Glaubensbekenntnis (Shahada): Die Muslime gehen davon aus, dass es nur
einen Gott gibt. Für die Muslime ist die christliche Konzeption der
Dreifaltigkeit inakzeptabel. Die jungfräuliche Geburt Jesu durch Maria wird
jedoch anerkannt. Jesus wird lediglich als Prophet betrachtet. Neben Allah gibt
es auch eine Vielzahl übernatürlicher Wesen. Der Islam anerkennt Engel und
gute und böse Geister (Jinns), die guten Jinns sind Kreaturen Gottes, die bösen
solches des Teufels (Iblis)
ad. 3) Die Pflichten der Gläubigen: Die Muslime haben eine Reihe von Pflichten zu
befolgen um nach ihrem Ableben ins Paradies gelangen zu können. Nach
Ansicht der Muslime werden am Tag des Jüngsten Gerichtes von Gott die guten
und die schlechten Taten des Menschen beurteilt. Diese Taten des Menschen
werden zu seinen Lebzeiten im Buch der Taten notiert und entscheiden über das
spätere Schicksal des Menschen, somit zwischen Himmel und Hölle.
Der Islam kennt u.a. vier Hauptpflichten des Muslims:
* Beten
* Almosen
* Fasten
* Pilgerfahrt nach Mekka (wenn möglich)
116
Diese 4 Pflichten und das Glaubensbekenntnis (die Shahada) werden als die
fünf Säulen des Islams bezeichnet.
Alle Muslime, unabhängig von ihrer Sekte, ethnischen Gruppe, ihrem
Siedlungsort, akzeptieren diese grundlegenden Pflichten. Die Unterschiede
zwischen den einzelnen islamischen Gruppen liegen lediglich in Details bzw. im
unterschiedlichen Grad ihrer Ausführung.
Das Gebet (Salat): Fünfmal täglich soll der Muslim das Gebet, dem eine rituelle
Waschung vorangeht, Richtung Mekka gewandt, verrichten. Die Gebetszeiten
gliedern den Tagesablauf in verschiedene Phasen. Am Freitag, dem „heiligen
Tag“, erfolgt das Hauptgebet. Man betet ohne Vermittler, direkt zu Gott. Der
formelle Islam anerkennt die Rolle der Heiligen als Vermittler nicht. Im
Volksglauben spielen diese Heiligen jedoch eine große Rolle und man bittet bei
Besuchen ihrer Grabmähler etc. um ihre Fürsprache bei Gott.
Das Almosengeben (Zakat): einmal pro Jahr soll der Muslim eine
Almosensteuer an die Armen geben. Freiwillige Wohltätigkeiten erhöhen die
Chancen ins Paradies zu kommen.
Das Fasten (Oruc, Roza): ist das persönliche Opfer, das den Glauben
demonstrieren soll. Es dauert einen Monat lang und findet im 9. Monat des
islamischen Kalenders, dem Monat Ramadan, statt. Während des Fastenmonats
darf von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nichts gegessen oder getrunken
werden.
Die Pilgerfahrt (Haj): Die Pilgerfahrt nach Mekka ist der Traum jedes Muslims.
Der Pilger darf sich Hajj nennen und gewinnt Prestige in seiner
Herkunftsgesellschaft. Die Pilgerfahrt vermittelt dem Muslim auch das Gefühl
zu einer großen Gemeinschaft zu gehören.
Der Jihad: (wörtlich „Anstrengung“, im übertragenen Sinn „Hl. Krieg“):
Vielfach wird auch der Jihad als eine der Pflichten des Islams betrachtet. Der
Muslim ist verpflichtet seinen Glauben zu schützen, Ungläubige zu besiegen
und jene, die vom Islam abgefallen sind, zum rechten Weg zurückzuführen. Erst
in einem nachgeordneten Sinn ist mit „Jihad“ die Aufforderung zum heiligen
Krieg gemeint. Vielfach nutzen politische Führer aber den „Jihad“ dazu, zu
Kriegszügen aufzurufen und sich durch die Appellierung an die Pflicht der
Gläubigen ihren Glauben zu schützen, eine Anhängerschaft zu sichern.
Bezüglich der Gebote gibt es im Islam einen unterschiedlichen Grad ihrer
Befolgungspflicht: Der Islam kennt 5 Kategorien der Befolgung: obligatorisch
(z.B. die täglichen Gebete), wünschenswert (z.B. rituelle Schlachtung der
Tiere), anheim gestellt, anstößig (Essen von Schweinefleisch und Konsum von
Alkohol) und verboten (z.B. Inzest).
Schon bald nach der Etablierung des Islams kam es zu Spaltungstendenzen, aus denen
in der Folgezeit verschiedene islamische Gemeinschaften hervorgingen. Die
Hauptspaltung ist jene in die Sunniten und Schiiten. Innerhalb der schiitischen
Muslime existieren wiederum eine Reihe von Splittergruppen (Details siehe unten). In
Zentralasien dominiert die sunnitische Ausrichtung des Islams.
Wie das Judentum so ist auch der Islam eine Religion des Rechts.
VII.7.3. Das islamische Recht (Scharia; wörtlich „der gerade Weg“) schließt fast alle
menschlichen Aktivitäten ein. Es gibt Anleitungen für die Regierung, für den Krieg,
für die Konfliktbeilegung etc. Das islamische Recht legt fest wer geheiratet werden
kann, was nicht gegessen werden darf oder soll. In der Theorie besteht kein Platz für
117
eine getrennte säkuläre Rechtssprechung. Die Scharia basiert im wesentlichen auf vier
Quellen, die in den einzelnen islamischen Gruppen, z.B. Sunniten und Schiiten (vgl.
Ausführungen unten) eine unterschiedliche Bedeutung haben:
1) Koran
2) Sunna (Die Summe der Traditionen [Hadith])
3) Qiyas (Rechtsmeinungen von Juristen deren Entscheidungen auf dem
Analogieschluss zu Präzedenzfällen beruhen)
4) Ijma (Konsens einer Gruppe von Rechtsgelehrten)
Innerhalb des sunnitischen Islams haben sich im Lauf der Zeit vier verschiedenen
Rechtsschulen (auch als Riten bezeichnet) herausgebildet:
1) Die Hanafiten: sie ist u.a. in Zentralasien verbreitet
2) Die Schafiiten
3) Die Malikiten
4) Die Hanbaliten
Den Muslimen, sowohl Sunniten wie Schiiten, sind eine Reihe von Festen
gemeinsam: Sie dienen dazu die Hingabe an den Islam zu stärken. Zu den wichtigsten
religiösen Festen gehören die nachstehenden. Daneben sind auch eine Reihe anderer
Festlichkeiten (z.B. verschiedene Rites de Passage, Namensgebung, Beschneidung,
Hochzeit etc.) mit religiösen Zeremonien verbunden.
Id al Adha (od. Id al-Kabir) (Opferfest oder „Großes Fest“): Zur Erinnerung an das
Opfer Abrahams, der seinen Sohn Ismail (Isaak) Gott opfern wollte, findet am 10. Tag
des 12. muslimischen Monats, dieses Opferfest statt, bei dem Tiere geopfert und
öffentliche Gebete gesprochen werden.
Id al Fitre (od. Id i-Ramazan) (Fest des Fastenbrechens oder „Kleines Fest“): Es findet
in der ersten Nacht nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan statt. Die Leute ziehen
die beste Kleidung an, es gibt öffentliche Gebete und einen Geschenkaustausch
zwischen Verwandten und Bekannten.
Mulud (mevlud): Das Fest aus Anlass der Geburt Mohammads: Es findet am 12. Tag
des islamischen Monats Rabbia al Awwal statt.
Lailat al Qadr (Nacht der Macht): Es findet in der Nacht des 27.Tages des
Fastenmonats statt. Dabei handelt es sich um den Tag als Gott Mohammad zum ersten
Mal seine Botschaft offenbarte.
Lailat al Miraj: Die Nacht in der Mohammad starb und in den Himmel aufstieg
Muharram:
Von zentraler Bedeutung für die schiitischen Muslime ist auch der Monat
Muharram, wo die Gläubigen des gewaltsamen Todes von Hussein, eines der Söhne
Ali´s, in der Schlacht von Kerbala gedenken
Wie bereits oben erwähnt wurde, sind auch im Islam verschiedene
VII.7.4. unterschiedliche Gruppierungen
entstanden. Alle Muslime akzeptieren die
Shahada und die Offenbarung des Korans. Einige (mindestens 10% der muslimischen
Bevölkerung) stimmen mit der sunnitischen Mehrheit aber nicht überein in bezug auf
bestimmte Interpretationen und Praktiken. Aus diesen Unstimmigkeiten entstanden
eine Reihe von Abspaltungen und Schismen. Für Zentralasien ist vor allem die
Trennung in Sunniten und Schiiten relevant.
VII.7.4.1. Die Schia:
Sie ist die größte abweichende Sekte des Islams. Sie geht auf die „Shiat Ali“ (die
Anhänger Ali´s) zurück, die die Anwartschaft Ali´s und seiner Nachkommen auf das
Amt des Kalifen unterstützten. In seinem Ursprung ist der schiitische Islam eine
theokratische Doktrin der Herrschaft durch religiöse Führer. Eine wesentliche Doktrin
118
der Schiiten, die von den Sunniten nicht geteilt wird, ist der Glaube an einen Imam,
d.h. einen göttlich ernannten Führer, der der Nachfolger des Propheten ist. In jedem
Zeitalter würde ein Imam auftauchen, der unfehlbar ist und dessen Worte heilig sind.
Diese schiitischen Imame werden als Mittler zwischen Gott und den Menschen
betrachtet. Die Schia ist ihrerseits wiederum in unterschiedliche Gruppen
aufgespalten, wobei die Anerkennung der Kette der Imame eine gewisse Rolle spielt.
VII.7.4.2. Die Imamis oder Ithna Ashari oder „Zwölfer-Schiiten“:
Sie ist die größere der schiitischen Gruppen. Ihr gehört die Mehrzahl der Bevölkerung
des Irans an. Sie glauben, dass das „göttliche Licht“ das Gott gewährte, durch die
Nachfolge von 12 sündenlosen Imamen, beginnend mit Ali und dem letzten Imam,
der 878 n.Chr. verschwand, weitergegeben wird. Dieser 12. und letzte Imam, (daher
werden sie auch 12er Schiiten genannt bzw. Imamis), wird als Mahdi (Messiahs)
wiederkommen um die göttliche Herrschaft auf der Erde zu errichten. Die Schiiten
anerkennen den Koran, aber sie haben ihre eigene Sunna. Die Interpretation derselben
ist das exklusive und geheime Wissen einer ausgewählten Gruppe schiitischer
religiöser Führer. Die schiitische Lehre ist im wesentlichen esoterisch. Kerbala ist das
Zentrum der Schiiten und viele Schiiten machen eher die Pilgerreise nach Kerbala als
nach Mekka. In Kerbala wurde Hussein zum Märtyrer. (siehe die oben genannten
Muharram-Feiern)
VII.7.4.3. Die Ismailis:
Die Ismailis sind eine Abspaltung der Schia über die Identität des 7.Imams. Während
die „12er Schiiten“ den jüngsten Sohn des 6.Imams als Nachfolger akzeptierten,
wählte eine kleine Gruppe der Schiiten einen anderen Sohn des 6.Imams, nämlich
Ismail. Die Ismailis entstanden im 8. Jhdt. n.Chr. Im Unterschied zu den 12er Schiiten
endet bei ihnen die Kette der Imame mit dem 7.Imam, d.h. mit Ismail. Danach lebte
ihr Führer im Verborgenen.
Die Ismailis, die auch „7er Schiiten“ genannt werden, spalteten sich ihrerseits in
mehrere Zweige auf. Eine Gruppe folgte al-Mustali, eine andere Gruppe seinem
Bruder Nizari. Die Mustali-Ismailis (auch Bohras genannt) glauben, dass ihr Imam,
wie jener der 12er Schiiten, sich verborgen hat. Die Nizari-Ismailis glauben, dass der
Imam immer physisch in der Welt vorhanden sein muss. Der gegenwärtige lebende
Imam der Nizari-Ismailis ist der Agha Khan Karim, der als ihr spiritueller Führer gilt.
VII.7.5. Der Sufismus:
Neben den oben genannten Ausrichtungen des Islams, die häufig auch als „orthodoxer
Islam“ bezeichnet werden, spielte und spielt der Sufi-Islam (vgl. sogenannter Parallel-
Islam nach BENNIGSEN/ WIMBUSH) in Zentralasien eine große Rolle.
Im 7. und 8. Jhdt. entwickelte sich eine Tradition der islamischen Mystik, die als
Sufismus bezeichnet wurde. Die Sufis betonen mehr die Liebe als die Furcht vor
Allah und die strikte Befolgung von Regeln. Das Ziel der Sufis war es eine direkte
Verbindung zu Allah zu erreichen, wobei eine Reihe exstatischer Übungen dabei
behilflich sein sollten. Der Sufismus verfügt über eine große Literaturtradition. Am
Beginn hatte der Sufismus keine korporativen Gruppen oder eine formale
Organisation. Später wurde der Sufismus in organisierten Bruderschaften
institutionalisiert, die als missionierende Gruppen auftraten und Ungläubige zum
Islam bekehrten und es gab Gruppen von Bettelmönchen.
Der sufistische Islam verbreitete sich rasch, sowohl bei den Sunniten wie bei den
verschiedenen schiitischen Gruppen. Insbesondere Zentralasien wurde zu einem
119
Zentrum des sufistischen Islams. Hier entstanden eine Reihe von Sufi-“Orden“,
sogenannte Tariqa (wörtlich: Weg, Pfad) bzw. fanden verschiedene Orden eine breite
Anhängerschaft in der Bevölkerung, sowohl in den Oasen wie unter den nomadischen
Stämmen. In Zentralasien hatten die Sufis einen erheblichen Anteil an der
Islamisierung der breiten Bevölkerung (siehe Ausführungen oben). Die einzelnen
Tariqa (Sufi-Orden) entwickelten meist eine eigene Organisationsstruktur, die teils
starke hierarchische Züge aufwies bzw. aufweist und eine Art „halbgeheime
Gesellschaft“ darstellt. Die Tariqa basieren im wesentlichen auf einem Lehrer
(Murshid) - Schüler (Mürid) Verhältnis. Der Mürid kann ein weltliches Leben führen
und fallweise einen Murshid konsultieren oder er kann sich völlig dem Sufitum
hingeben, indem er sich einem Tariqa anschließt, der von einem Heiligen (Pir)
gegründet wurde und ein weltabgewandtes, asketisches Leben führen. Der Anhänger
(Mürid) wird durch eine Initiationszeremonie in den Tariqa aufgenommen und bleibt
unter der Anleitung des Murshid. Sein ganzes Leben lang, auch wenn er nur
Laienanhänger ist, muss er einem komplizierten und verpflichtenden spirituellen
Programm folgen. Dabei spielen Gebete (z.B. der laute Zikr), begleitet von
Atemübungen und speziellen Körperbewegungen eine Rolle. Sie sollen der
Konzentration des Mürid dienen. Der sufistische Islam betont die direkte Erfahrung
Gottes. Die Sufis gerieten vielfach in Konflikt mit den Ulema, die den Sufis
unislamische Praktiken vorwerfen. Die einzelnen Sufi-Orden waren nicht nur im
religiösen Leben stark verankert, sondern spielten auch im politischen Leben eine
große Rolle. Einzelne Herrscher waren eng mit bestimmten Tariqa´s verbunden
(Timur z.B. mit dem in Zentralasien entstandenen Naqshbandi-Orden). Es gab und
gibt eine Vielzahl von Tariqas, wobei die Naqschbandi, die Qadiryya und die Chistiya
die bedeutendsten Tariqa´s Zentralasiens repräsidentieren. Sie alle verfügen über eine
Reihe religiöser Zentren und heiliger Stätten. Die Sufis spielten bis in die jüngste
Vergangenheit eine politische Rolle, insbesondere bei der Führung und Organisierung
von Widerstandsbewegungen gegen einzelne Herrscher der Region bzw. gegen die
russische Expansion in Zentralasien.
VII.7.6. Der Volksislam:
247
Viele der islamischen Rituale sind in der religiösen Praxis der Bevölkerung
Zentralasiens mit vorislamischen Glaubensvorstellungen und Praktiken verknüpft. Oft
erhielten seit langem praktizierte Rituale lediglich einen „islamischen Touch“, z.B.
indem der/die Schamane/in „bakhshi“ islamische Gebete integriert und anstelle der
alten Hilfsgeister nun islamische Heilige um Hilfe herbeiruft. Auch die schon in der
zoroastrischen Religion üblichen Reinigungsrituale, bei denen der Feuerkult eine
wesentliche Rolle spielte, wurden im Volksislam übernommen und in verschiedene
Rites de Passage eingebaut (z.B. müssen Braut und Bräutigam bevor sie ihr neues
Heim betreten, über Feuer springen). Auch der Besuch von Heiligengräbern (mazar)
und anderen heiligen Orten spielt im Volksislam eine große Rolle, ebenso der Brauch,
sich durch eine Reihe von Abwehrzaubern vor Dämonen etc. zu schützen.
247
vgl. z.B. BASILOV, V.N. (Ed.): Premuslim Traditions in Central Asian Islam: Studies by Soviet
Ethnographers. Berlin 1988, BASILOV, V.N.: New Data on Uzbek Shamanism. in: International
Folklore Review (London), Vol.6, 1966, S.115-118, SNESAREV, Remnants of Pre-Islamic Beliefs and
Rituals Aong the Khorezm Uzbeks. in: Soviet Archaeology and Anthropology, mehrere Teile, 1970-
1977, G.P. SNESAREV, G.P.: Khorezmian Demonology and Remnants of Shamanism. in: Soviet
Anthropology and Archaeology, Vol.10, 1971, S.3-36, Poliakov, Sergei P. Ed.): Everyday Islam,
Religion and Tradition in Rural Central Asia. Armonk und London1992, Heissig, Walter und
Klimkeit, Hans-Joachim (Hrsg.): Synkretismus in den Religionen Zentralasiens. Wiesbaden 1987
120
Zusammenfassend kann daher angemerkt werden, dass sich die drei Hauptelemente
der religiösen Vorstellungen der Bevölkerungen Zentralasiens (Schamanismus, Kult
um Heiligengräber und heilige Orte sowie Glaube an Dämonen und Geister)
zumindest als Survivals in der religiösen Praxis erhalten hat. Bezüglich der religiösen
Praxis ist u.a. auch darauf hinzuweisen, dass die einzelnen Gebote und Pflichten bei
den verschiedenen Völkern unterschiedlich streng befolgt werden.
VII.7.7. Hauptströmungen der islamischen Glaubenspraxis
Grundsätzlich lassen sich drei Hauptströmungen der islamischen Glaubenspraxis
ausmachen:
1) orthodoxer Islam
2) Sufi-Islam
3) Volksislam
Diese drei Ausprägungen des Islams dürfen meines Erachtens aber nicht als isolierte,
einander in Opposition gegenüberstehende Phänomene betrachtet werden, sondern
sind vielfach miteinander verwoben. Entsprechend der jeweiligen Situation wird der
eine oder der andere Aspekt besonders betont. Diese Interdependenz wird z.B. schon
dadurch deutlich, dass z.B. „Heilige“ sowohl als Ulema fungieren wie auch als Pire
einem Tariqa vorstehen und eine Reihe von Ritualen des Volksislams (z.B.
Krankenheilungen, Amulettwesen etc.) durchführen.
VII.7.7.1. Orthodoxer Islam:
Die Mehrzahl der Muslime Zentralasiens sind
sunnitische Muslime der hanafitischen Richtung, wobei der Grad der strikten
Befolgung muslimischer Gebote sehr unterschiedlich ist. Im allgemeinen befolgt die
städtische und die ländliche Bevölkerung die religiösen Verpflichtungen viel stärker
als die nomadisierenden bzw. erst kürzlich sesshaften Gruppen.
In der sowjetischen Zeit kam es zu einer starken Beschränkung der islamischen
Religion. Zahlreiche Bildungseinrichtungen (Medressen, Mektebs) und Moscheen
wurden geschlossen, die religiösen Würdenträger verfolgt, der Islam insgesamt aus
dem öffentlichen Leben verbannt und eine umfassende anti-religiöse Propaganda
betrieben. Lediglich eine geringe Anzahl religiöser Einrichtungen (Moscheen und
Medresen), die unter strikter Kontrolle des sowjetischen Regimes standen, wurden
zugelassen. Zum Zwecke der besseren Kontrolle dieses „offiziellen Islams“ wurden
seitens der sowjetischen Behörden 4 religiöse Direktorien (drei sunnitische und ein
schiitisches) eingerichtet.
248
Alle anderen, außerhalb des „offiziellen Islams“
stattfindenden religiösen Aktivitäten und Einrichtungen wurden von den Behörden
kriminalisiert bzw. in den Untergrund gedrängt. Einzelne Autoren, wie z.B.
A.BENNIGSEN haben für diesen im Untergrund wirkenden Islam den Begriff
„Parallel-Islam“ geprägt. Dieser war laut BENNIGSEN primär von Sufis getragen.
249
Für diese außerhalb des „offiziellen Islams“
VII.7.7.2. Sufi-Islam: In der Sowjetzeit hat der Sufi-Islam eine Modifikation
erfahren. Um in der Sowjetunion überleben zu können, mussten die Sufi-Orden, die ja
vom Staat verboten waren und daher im Geheimen operierten, eine Veränderung ihrer
248
KRADER (1966:134); vgl. im Detail Ausführungen bei BENNIGSEN/ WIMBUSH (1985)
249
Neuere Studien, wie z.B. jene von TETT zur islamischen Praxis in Tadschikistan in den frühen
1990iger Jahren, haben jedoch belegt, dass es neben den Sufis auch die Frauen, vor allem die älteren
Frauen waren, die den Islam innerhalb der Familien am Leben erhalten haben. So haben z.B. diese
alten Frauen auch stellvertretenden für die gesamte Familie das Fasten im Fastenmonat Ramadan
übernommen. Persönl. Konversation mit Frau Gillian TETT, Juni 1991 in London.
121
Organisationsstruktur vornehmen. Laut BENNIGSEN
250
gehörten diesen Orden
Vertreter aller Bevölkerungsschichten an. Die einzelnen Orden rekrutierten ihre
Anhängerschaft aus bestimmten Klanen und akzeptierten nun auch Frauen als
Adepten und spirituelle Führer. Die Sufis versuchten die im Sowjetsystem nicht
befriedigten Bedürfnisse der zentralasiatischen Bevölkerung nach religiöser Bildung
und der Ausführung bestimmter Riten zu decken. (z.B. geheime Moscheen,
Religionsunterricht für die Kinder, etc.) Die Aktivitäten der Sufis konzentrierten sich
oft auf verschiedene heilige Orte, die vielfach als Substitute für die geschlossenen
Moscheen dienten. Die nicht-offiziellen Aktivitäten der zentralasiatischen Muslime
wurden von den sowjetischen Behörden als Aberglaube und als Überreste eines
rückständigen Zeitalters verurteilt.
VII.7.7.3. Volksislam:
Die religiöse Praxis der verschiedenen Ethnien Zentralasiens
ist sehr unterschiedlich. Bei grundsätzlicher Akzeptanz der oben genannten
wesentlichen Elemente des Islams, konnten viele Praktiken aus der Zeit vor dem
Islam in die islamische Zeit herübergerettet werden. In vielfältiger Weise ist das
religiöse Leben der Bevölkerung auch heute noch, trotz anti-religiöser Propaganda der
sowjetischen Behörden, durch den Islam geprägt Laut KRADER
251
stellen, wie zuvor
schon skizziert wurde, Schamanismus, Kult um Heiligengräber und heilige Orte sowie
Glaube an Dämonen und Geister die drei Hauptelemente der religiösen Vorstellungen
der Bevölkerungen Zentralasiens.
Schamanen existierten und existieren bei einer Reihe zentralasiatischer Gruppen, sowohl
nomadisierenden wie sesshaften, Ackerbau treibenden Gesellschaften. Ihre Hauptaufgabe ist das Heilen
von Kranken. Eine weiteres wesentliches Element der Volksreligion ist der Kult um heilige Gräber
(Mazare). Die Pilgerreise zu diesen Mazaren, deren es in Zentralasien eine große Zahl gibt, wird
durchgeführt um Frieden für die Seele und/oder Hilfe für Probleme zu finden. Auch der Glaube an
Dämonen und Geister ist weitverbreitet. Zum Schutz vor Geistern und Dämonen (deren es eine große
Vielzahl gibt) werden eine Reihe von Abwehrzaubern und Abwehrriten verwendet (z.B. blaue Perlen
zum Schutz vor dem „bösen Blick“, „Hand der Fatma“). Vielfach werden Amulette getragen, in deren
Inneren eine Inschrift aus dem Koran aufbewahrt wird, die von Sufis, Heiligen, oder einfachen Mullahs
geschrieben wurde, und den Träger des Amuletts vor negativen Einflüssen der Geister etc. schützen
soll.
Abschließend ist bezüglich des Islams noch darauf hinzuweisen, dass dieser für die
verschiedenen Bevölkerungsgruppen Zentralasiens auch ein wesentliches Element
ihrer Identität darstellt.
252
Der Islam ist nicht nur eine Religion, ein Sittenkodex und
eine Richtschnur für den richtigen Lebenswandel, sondern gleichzeitig eine kulturelle
Grundhaltung, die auch fester Bestandteil des seit der Etablierung des sowjetischen
Nationalitätensystems üblichen Zuordnungsschemas nach Nationen ist. D.h. Usbeke
kann man z.B. nur sein, wenn man gleichzeitig auch Muslim ist.
VIII. DIE SOZIALSTRUKTUR DER VÖLKER ZENTRALASIENS:
253
Zwischen den einzelnen Gruppen (z.B. nomadische und sesshafte Turkvölker) gibt es
eine Reihe von Unterschieden. In einzelnen Bereichen (z.B. Heiratspraktiken) dürfte
250
BENNIGSEN/ WIMBUSH (1985:22f)
251
KRADER (1966:132)
252
vgl. Ausführungen von SHAHRANI (1983) und LEMERCIER-QUELQUEJAY (1983)
253
vgl. u.a. KRADER, Lawrence: Principles and Structures in the Organization of the Asiatic Steppe-
Pastoralists. in: Southwestern Journal of Anthropology, Vol. 11, Nr.2 1955, KRADER (1966),
KRADER, Lawrence: Social Organization of the Mongol Turkic Pastoral Nomads. The Hague 1963,
BACON, Elizabeth: Obok. A Study of Social Structure in Eurasia. New York 1958, GOLDEN
(1992:1-15), vgl. VAMBERY (1885), URAY-KÖHALMI (1989:118-124), SZYNKIEWICZ, Slawoj:
Die Familie. in: in: Heissig, Walther und Müller, Claudius C.: (1989, S.124-134)
122
es durch die Übernahme fremder religiöser Konzepte ebenfalls zu Veränderungen
gekommen sein (z.B. Aufhebung der strikten Exogamieregel bei einzelnen Völkern).
Die Sesshaftmachung bzw. Sesshaftwerdung verschiedener Gruppen, hat ebenfalls zu
einer Reihe von Veränderungen geführt. Ebenso kam es im Zuge der Eingliederung
dieser Gesellschaften in zentralstaatliche Gebilde bzw. die Annektion Zentralasiens in
das zaristische Russland und die vormalige Sowjetunion durch verschiedene
politische Maßnahmen zu Wandelprozessen.
VIII.1. Die Sozialstruktur:
Gemeinsam ist allen zentralasiatischen Gesellschaften die strikte Patrilinearität und
die patrilokale Residenzform. Bei den turko-mongolischen Gruppen tritt dazu noch
eine starke Betonung des Senioritätsprinzips, das sowohl in der
Verwandtschaftsterminologie eine große Rolle spielt, wie auch in der Strukturierung
der Stammesgesellschaften einen entscheidenden Faktor darstellte. Ein weiteres
charakteristisches Element ist auch die zumindest bei einzelnen Gruppen noch
erhaltene Vorschrift zur exogamen Heirat.
In ihrem Kern waren die zentralasiatischen Gesellschaften laut KRADER
254
folgendermaßen aufgebaut: extended family
kin-village
lineage
clan
VIII.1.1.Die patrilineare extended family:
Sie stellte die kleinste soziale Einheit dar und bestand im Idealfall aus einem Mann
seiner Frau bzw. seinen Frauen, seinen verheirateten Söhnen, Schwiegertöchtern,
Enkelkindern, unverheirateten Söhnen und Töchtern. Dieser extended family konnten
noch andere Personen angehören, z.B. Verwandte, Dienstboten etc. Die patrilineare
extended family bildete in der Regel eine Produktions-, Konsumptions- und
Residenzeinheit. Dem ältesten Mann kam die absolute Autorität zu. Er verfügte über
die Produktionsmittel (Vieh, Grundbesitz etc.) und entschied über alle die Familie
betreffenden Angelegenheiten und vertrat die Familie nach außen hin. Üblicherweise
verfügte der Haushaltsvorstand, d.h. der älteste Mann, über die Ressourcen des
Haushaltes, die er nach seinem eigenen Gutdünken verwendete bzw. den einzelnen
Familienmitgliedern nach deren Stellung im Familienverband zuwies. Er war auch
verantwortlich für die Verheiratung der Kinder. Er zahlte den Brautpreis „kalym“ für
die Braut des Sohnes bzw. der Söhne und finanzierte die Aussteuer der
Tochter/Töchter. Innerhalb der Familie übertrug er einen Teil der
Verantwortlichkeiten und deren Organisation an seine Ehefrau, die ihrerseits die
absolute Autorität über alle weiblichen Familienangehörigen hatte. In polygynen Ehen
kam der ersten Ehefrau eine dominante Stellung zu. Nach dem Tod des
Haushaltsvorstandes bildeten die Söhne des Verstorbenen einzelne individuelle
Haushalte. Bisweilen blieben die Söhne auch zusammen und produzierten gemeinsam
als „fraternal joint family“ weiter.
Innerhalb der Familie (aber auch in der gesamten Gesellschaft) waren die sozialen
Beziehungen nach drei Kriterien geordnet:
1) nach dem Alter
2) nach dem Geschlecht
254
KRADER (1955)
123
3) nach dem sozialen Status
Diese drei Kriterien bestimmten das gesamte soziale Leben.
ad. 1) das Kriterium des Alters: Dieses war nicht nur zwischen den einzelnen
Generationen (z.B. Beziehung zwischen Vätern und Söhnen), sondern auch innerhalb
der Generationen relevant, indem den älteren Geschwistern, eine dominante Stellung
in der Familie zukam, die auch terminologisch zum Ausdruck kommt. (vgl.
Ausführungen unten ad. Verwandtschaftsterminologie) Generell standen die
Erstgeborenen innerhalb der Familie, wie auch auf der Lineage- und Klanebene über
den später Geborenen.
ad. 2) Das Kriterium des Geschlechts: Die Männer standen sowohl innerhalb der
Familie wie auch innerhalb der Gesellschaft als ganzes über den Frauen. Häufig wird
in Bezug auf die Position der Frauen darauf hingewiesen, dass diese bei den
nomadischen Völkern besser sei als bei den sesshaften und dass generell in der Zeit
vor der Islamisierung der Stellenwert der Frauen höher und ihre Befugnisse, auch im
öffentlichen Leben, weit größer gewesen seien.
ad.3) Das Kriterium des sozialen Status: Dieser war wiederum eng verknüpft mit dem
Status der Gruppe, in die man hineingeboren wurde. Entsprechend dem zuvor
genannten Kriterium des Alters wurde die Gesellschaft in verschiedene Schichten
gegliedert, wobei die zu den senior lineages gehörenden Gruppen vielfach als
„Adelige“ bezeichnet wurden und einen herausgehobenen Status hatten. Der Status
der Frauen war zudem eng verknüpft mit ihrem Stand. So hatten Schwiegertöchter
und Frauen ohne Kinder, insbesondere Söhne, einen niedrigeren Status als Frauen mit
vielen Söhnen. Der soziale Status bestimmte z.B. die Sitzordnung im Haus oder der
Jurte. Bei den stark islamisierten Gesellschaften erfolgte hiebei auch eine strikte
Geschlechtertrennung, d.h. Männer und Frauen saßen in der Regel in getrennten
Räumlichkeiten. Für die nicht-verwandten Männer gab es einen eigenen Gästeraum,
wo diese bewirtet wurden. Auch bei getrenntem Aufenthalt von Männern und Frauen
wird jeweils die Sitzordnung nach dem sozialen Status beibehalten und die mit dem
Status verbundene Etiquette aufrecht erhalten
VIII.2. Die Heiratsbeziehungen:
Eine Reihe von zentralasiatischen Ethnien kannte bzw. kennt Exogamiegebote. Die
Vorschrift zur Heirat mit exogamen Partnern bezog sich meist auf einzelne
Verwandtschaftsgrade. Insbesondere mit der Sesshaftwerdung und den Einflüssen des
Islams wurden die Exogamievorschriften bisweilen gelockert.
Bei verschiedenen zentralasiatischen Ethnien, z.B. den Usbeken, gibt es heute kein
Gebot zur Exogamie mehr. Hier kommt es häufig zu endogamen Heiraten, z.B.
innerhalb der Patrilinie. Auch die für den Nahen Osten oft als Idealtyp genannte
Heirat mit der Vater-Bruder-Tochter (VaBrTo-Heirat, bint-amm) kommt hier vor.
Generell gilt, dass bevorzugt in der eigenen ethnischen Gruppe geheiratet wird.
Lediglich zwischen sesshaften Usbeken und Tadschiken kam und kommt es häufig zu
Zwischenheiraten. Ähnliches gilt in neuerer Zeit auch für das nördliche Kazakhstan,
wo es bisweilen zu Zwischenheiraten von Kazakhen und Russen kam.
Daneben gibt es in einzelnen Ethnien noch besondere Heiratsformen, auf die kurz am
Beispiel der Usbeken eingegangen werden soll:
„Qarch Quda“: Hierbei handelt es sich um den Austausch von Frauen zwischen zwei
Haushalten. A gibt z.B. eine Frau an B und erhält von B eine Frau. Beim
124
Qarch Quda, das v.a. der Festigung von Beziehungen zwischen zwei
Haushalten oder Verwandtschaftsgruppen dient, müssen der Kalym und alle
mit der Heirat verbundenen Zeremonien gleichzeitig und in gleicher Höhe
und Ausstattung erfolgen.
„Jetek Tschirtisch“: Dabei handelt es sich um eine „Kinderverlobung“. Zwei kleine
Kinder unterschiedlichen Geschlechts werden einander versprochen. Bei
einer Zeremonie wird die Kleidung der beiden Kinder zerrissen, daher die
Bezeichnung. Diese Form der Verlobung wird meist von zwei
Schwägerinnen arrangiert.
Levirat: Das Levirat war (heute teilweise noch verbreitet) sowohl bei den Mongolen
wie bei den Turkvölkern üblich. Dabei wird eine verwitwete Frau vom
jüngeren Bruder ihres verstorbenen Ehemannes geheiratet.
Sororat:
Die Familie einer verstorbenen Frau stellt eine Schwester oder anderer
Verwandte der Verstorbenen als Substitut für die Verstorbene zur
Verfügung.
Die Kinderverlobung:
Kinderverlobungen und sogenannte „Wiegenheiraten“ waren in
Zentralasien früher weit verbreitet.
Die Heirat ist, wie erwähnt keine private Angelegenheit zwischen einem jungen Mann
und einer jungen Frau, sondern wird von den Eltern der beiden betroffenen arrangiert
und stellt eine Angelegenheit der gesamten beteiligten Verwandtschaftsgruppen dar.
Die Initiative zur Etablierung einer Heiratsbeziehungen geht üblicherweise von der
Familie des Burschen aus. In der Regel werden erste Sondierungsgespräche bezüglich
einer Heiratsanbahnung nicht von der betroffenen Familie selbst übernommen,
sondern dazu „Vermittler“ (üblicherweise ältere angesehene Männer) ausgeschickt.
Bestehen von Seiten der Familie des Mädchens keine Einwände, so treten die beiden
Familien in Verhandlungen über den Kalmy, die Mitgift, die Ausgestaltung des Festes
etc. Die Heirat selbst ist mit einer Reihe von Gütertransaktionen, kleinen
Geschenkaustauschen und Festlichkeiten verbunden.
Erwähnenswert ist auch, dass insbesondere die Verlobung und die Heirat mit einer
Reihe von Meidungsvorschriften und einem spezifischen Verhalten verbunden ist.
Z.B. darf die Braut vor ihrer Heirat ihre zukünftigen Schwiegereltern nicht sehen.
Nachdem die Braut in ihren neuen Haushalt gekommen ist, muss sie ebenfalls eine
Reihe von Meidungsvorschriften beachten, dazu gehört u.a. das Verbot den Namen
der Affinalverwandten zu nennen.
VIII.3. Die Verwandtschaftsterminologie:
255
Gemeinsames Merkmal der Verwandtschaftsterminologie der turko-mongolischen
Ethnien ist die terminologische Differenzierung nach dem relativen Alter sowie die
exakte terminologische Unterscheidung zwischen Ego´s paternalen und maternalen
Verwandten, wobei auch eine genaue Differenzierung der Kollateralen erfolgt. Zudem
bestehen getrennte Termini zur Kennzeichnung von Bluts- und Affinalverwandten.
Allgemein vermerkt KRADER
256
, dass es sich bei den turko-mongolischen
Verwandtschaftssystemen um eine kollaterale Rangreihung der Deszendenzlinien (in
der Sozialanthropologie wird dies meist als „conical clan system“ bezeichnet) handelt,
die auch terminologisch zum Tragen kommt, wobei er folgendes konstatiert. Die
kollaterale Rangreihung der Deszendenzlinien schuf die Möglichkeit für die Teilung
der Gesellschaften in soziale Klassen, in Adelige und Gewöhnliche. Auf der einen
Seite, waren alle Männer Brüder und Cousins. Auf der anderen Seite, war kein Mann
255
Vgl. z.B.die bei KRADER (1963) angeführten Beispiele
256
in: Southwestern Journal of Anthropology, Vol. 1, Nr. 2, 1955:84
125
dasselbe wie sein Bruder. Der Erstgeborene überragte seine jüngeren Brüder. Seine
Linie überragte die Linien der Jüngeren. Aus diesem System der kollateralen
Rangreihen entstand die soziale Spaltung innerhalb der allgemeinen agnatischen
Matrix. Die Kinship Terminologie ist ein Ausdruck dieser sozialen Teilung. In allen
diesen Gesellschaften gibt es einen Terminus für den älteren Bruder „axa“, einen
Terminus für die ältere Schwester „egeci“, einen Terminus für die jüngere
Geschwister „degü“, der bisweilen weiter nach dem Geschlecht differenziert ist. Auch
die Kinder des VaBr, die paternalen Parallelcousins, werden nach ihrem Alter
unterschieden. Der VaBrSo, der älter ist als Ego wird als „üye axa“ bezeichnet, der
VaBrSo, der jünger ist als Ego als „üye degü etc. Gleiches gilt für die paternalen
Onkeln, der Va ä.Br. ist abaga, der Va j.Br. ist axa (der gleiche Terminus für den
ä.Br.) Hier findet laut KRADER „..a generation up-grading...“ statt. Auch die Frauen
differenzieren die Brüder des Ehemanns und die Onkeln des Ehemanns entsprechend
der Seniorität derselben. Somit ist in der extended Familie und in der gesamten
Gesellschaft niemand gleich dem anderen. Die verheiraten Frauen werden
entsprechend dem Status ihrer Männer und deren Linien gerangreiht. Das System, das
auf diese Weise entsteht, ist das klassische mongolische System (13. bis 17.Jhdt.), das
sich in der einen oder anderen etymologisch verwandten Variante überall in der
Steppe findet.
257
Da die Deszendenzlinien kolleratal gerangreiht werden, ist es laut KRADER wichtig
ihre Mitglieder getrennt voneinander zu halten. Die Termini für die Geschwister der
Eltern sind vom „bifurcate collateral types“, d.h. die Onkeln werden terminologisch
unterschieden vom Vater und sind auch von einander unterschieden. Die väterlichen
Onkel werden differenziert als senior und junior in Beziehung zum Vater.
258
Ein wesentlicher Aspekt ist auch die Adoption: Die häufigste Form der Adoption ist
die eines BrSo oder FrBrSo. Der Hauptgrund für die Adoption ist der Mangel von
eigenen Söhnen. In der Verwandtschaftsterminologie werden beide der BrSo und
SoSo „aci“ im mongolischen genannt, bei den Kazakhen und Kirgisen nennt man
beide „nemere“. Wenn meine eigene Linie in Gefahr ist auszusterben, so gibt es laut
KRADER eine vorhandene Praxis mit einem terminologischen Korrelaten die
Fortsetzung der Linie zu sichern.
259
(vgl. Abb.27)
VIII.4. Verwandtschaft und Politik:
Laut KRADER bestand bei den Steppenvölkern Zentralasiens ein enger
Zusammenhang zwischen der Verwandtschaft und dem politischen System: Jede
Verwandtschaftseinheit war gleichzeitig Teil eines politischen Systems, sie übte
politische Funktionen aus, einschließlich der Steuerzahlung, der Rechtssprechung und
der Einhaltung der Ordnung, sie stellte eine Armee auf, kämpfte in Kriegen.
260
Die soziale Struktur basiert auf dem Prinzip der patrilinearen Deszendenz. Die
Genealogien machen die konstitutiven Elemente der Gesellschaft explizit. Innerhalb
der Genealogien werden Abstammungslinien skizziert und gerangreiht nach der
257
KRADER (1955:84). Dieses System der Reihung nach der Seniorität der Geburt und der „up-
grading by a generation“ jener die älter sind, findet sich laut KRADER auch bei den finno-ugrischen
Völkern. Bei einzelnen erfolgt z.B. auch eine terminologische Gleichsetzung der äSw. mit der VajSw.
(vgl. KRADER (1955:84f)
258
KRADER (1955:74)
259
(KRADER 1955:74); Als Beispiele für die Verwandtschaftsterminologie vgl. die nachstehenden
Termini für Blutsverwandte bei den Ordos-Mongolen und den Kazakhen nach KRADER (1963:393
und 401; vgl. im Detail weitere Beispiele im Anhang dieses Buches.
260
KRADER (1955:81)
126
Geburtsfolge vom Gründer her. Da die Genealogien den relativen Rang der
Deszendenzlinie zeigen, definieren sie den sozialen Status eines Menschen.
261
Den Türken und Mongolen der Steppe gelang es laut KRADER einen Ausdruck für
die Prinzipien ihrer sozialen Organisation zu finden. Dieser Ausdruck ist ein Set von
abstrakten Termini, die gleichzeitig eine konkrete Anwendung haben. Das Prinzip der
patrilinearen Abstammung und Mitgliedschaft in einer gemeinsamen Linie der
paternalen Deszendenzgruppe wird als „Knochen“ und als Mitgliedschaft in einem
„Knochen“ charakterisiert. Im mongolischen bedeutet der Begriff „yasun“ wörtlich
Knochen, Teil eines Skeletts und figurativ das Prinzip der patrilinearen
Deszendenz.
262
Auch die Gliederung der Gesellschaft in soziale Klassen (Schichten) kann mit dem
Konzept der „Knochen“ ausgedrückt werden: Diesbezüglich vermerkt KRADER u.a.
folgendes: Die Gesellschaft ist in zwei soziale Klassen (die Sklaven und Lamas
werden hier beiseits gelassen) gespalten.
263
Die Konsanguinen sind gegliedert in die
„weißen Knochen“ (cagan yasun), die die Adeligen darstellen, und die „schwarzen
Knochen“ (kara yasun), die in der Mongolei die Gewöhnlichen repräsentieren. Im
türkischen werden die Adeligen als „ak süök“ (weiße Knochen) nd die Gewöhnlichen
als „kara süök“ (Schwarze Knochen) bezeichnet. Der „Knochen“ ist das gemeinsame
patrilineare Prinzip, das alle Khalkhas oder Kazakhen, oder Buryaten oder Kalmücken
zu einer gemeinsamen sozialen Einheit zusammenfasst. Die Gesellschaft wird in 2
Knochen geteilt, die mit unterschiedlichen Farben versehen sind, jede Farbe entspricht
einer sozialen Klasse.
264
Zusammenfassend kann laut KRADER festgehalten werden, dass die
Steppennomadengesellschaft eine hyperrigide Struktur aufweist, die auf agnatischen
Banden und der patrilinearen Deszendenz basiert. Die Genealogien sind die einzige
Basis für die Festlegung der Mitgliedschaft und die relative Position in der
Gesellschaft. Die soziale Differenzierung basiert auf der Primogenitur. Hier führt die
gemeinsame Abstammung zu Unterschieden und nicht zu Gleichheit.
265
Das
patrilineare Prinzip dieser Völker, ausgedrückt im Konzept des „Knochen“, ist
verkörpert in einem System der unilinearen, korporativen Verwandtschaftsgruppen.
Diese Gruppen sind hierarchisiert in konzentrischen Kreisen der größeren Macht.
Innerhalb der Hierarchie der Verwandtschaftsgruppen nimmt die politische
Organisation ihre charakteristische Form an.
266
Diesen Annahmen von KRADER widersprechen MORGAN und URAY-
KÖHALMI
267
, die beide darauf hinweisen, dass es z.B. bei den Mongolen noch
andere Mechanismen gab, die das politische System prägten und die von KRADER
skizzierte Hierarchie zumindest teilweise aufhoben bzw. ergänzten. Hierbei handelt es
sich zum einem um die „Anda“ (die Schwurbruderschaft) und um das „Nöker-
Ssytem“ („Anhängerschaft):
261
KRADER (1955:70)
262
KRADER (1955:86)
263
KRADER´s (1955) Ausführungen beziehen sich auf die Mongolen
264
KRADER (1955:89)
265
KRADER (1955:75)
266
KRADER (1955:89f)
267
MORGAN (1986), URAY-KÖHALMI (1989:118-124). Ad. politisches System in Zentralasien vgl.
auch BARFIELD (1991:153-182) und BARFIELD (1993)
127
VIII.4.1. Die „Anda“:
268
Innerhalb des herrschenden Klans war laut MORGAN
sicherlich die Verwandtschaft das herrschende Prinzip, aber auch dieses
inkludierte die Vorkehrung der „freien Wahlen“ der Verwandtschaft, die
Einrichtung der Anda, d.h. der Schwurbruderschaft. In der „Geheimen
Geschichte der Mongolen“ wird Dschingiz Khan dargestellt als jemand, der eine
besonders enge Beziehung mit seinem Anda hatte (mit Jamuga, seinem späteren
Rivalen). Chingiz Khan war auch fähig politisch zu profitieren aus der Tatsache,
dass sein Vater der Anda von Toghril von der Gruppe der Kerait gewesen war.
Diese Kerait waren die mächtigsten Steppenherrscher. Die Anda-Ship war das
freiwillige Äquivalent zur Blutsverwandtschaft zwischen Gleichen.
VIII.4.2. Das Nöker-System: Noch stärkeren Freiwilligkeitscharakter hatte die
Anbindung eines Individuums an einen Führer seiner Wahl. Um dies zu tun,
musste er seiner Blutsloyalität zu seinem eigenen Klan abschwören. Er wurde
zum Nöker seines neuen Führers. Laut MORGAN ist es schwierig den
Terminus „Nöker“ zu übersetzen, vielleicht als „Assoziierter“ als „Kamerad“
oder besser als „Anhänger“.
269
Das Nöker-System wurde ein Mittel mit dem ein
begabter, aber politisch unbedeutender Krieger, sich eine Gefolgschaft aufbauen
konnte, wenn er die Qualitäten der Führerschaft und der persönlichen
Anziehungskraft besaß, die andere Krieger dazu bewegte sich ihm
anzuschließen. „Die Geheime Geschichte der Mongolen“ illustriert dies sehr
lebhaft und zeigt, dass der junge Chingiz Khan auf diese Art und Weise seine
Anhänger rekrutierte.
Auch MORGAN stimmt zu, dass die Abkunft eines politischen Führers wichtig war,
z.B. seine Deszendenz aus einer „Adeligen“ Familie. Aber die Position des Führers
war auch abhängig von seinen eigenen Verdiensten. Politische Führer wurden nicht
nur geboren, sondern auch gemacht. Sie mussten durch ihre Leistungen bestätigen,
dass sie als Führungspersonen agieren konnten. Inkompetenz bedeutete de facto
Disqualifikation. Wenn ein Chief starb, konnte sein Nachfolger der sein, dem es
innerhalb der Familie gelang alle anderen Anwärter auszuschalten und seine
Effektivität zu demonstrieren. Auch GOLDEN
270
hat anhand unzähliger Beispiele
gezeigt, dass sich den Mächtigen und Erfolgreichen viele anschlossen. Wenn sich die
Umrisse eines künftigen Machtzentrums zeigten, wenn eine starke Persönlichkeit
erschien, schlossen sich immer mehrere Sippen freiwillig an. Der Starke wurde noch
stärker und so war es ein leichtes, die Widerspenstigen zum Bündnis zu zwingen.
Ähnlich verlief es auch im Fall der Mongolen.
271
Abgesichert wurden solche
Bündnisse dann häufig durch
VIII.4.3. Verschwägerungen:
Manche Sippen entwickelten eine bemerkenswerte heiratspolitische Strategie, indem
sie ihre Töchter mit den mächtigsten Khanen der Steppe vermählten, um immer dem
Kreis der führenden Sippe der Steppe anzugehören. Solche Beziehungen waren laut
URAY-KÖHALMY bezeichnend für die Steppennomaden.
272
268
MORGAN (1986:37)
269
MORGAN (1986:38)
270
GOLDEN (1992)
271
URAY-KÖHALMI (1989:121)
272
URAY-KÖHALMI (1989:121)
128
IX. ÜBERSICHT ÜBER DIE ABBILDUNGEN zum Skriptum „Einführung in die
Ethnologie Zentralasiens – Wien Jänner 2003
Abb.1: Die naturräumliche Gliederung Zentralasiens:
aus: BARFIELD, Thomas J.: The Perilous Frontier: Nomadic Empires and China. Cambridge,
Mass. und Oxford 1989, o.S.
Abb.2: Darstellung der kulturhistorisch bedeutsamen Regionen im westlichen Teil
Zentralasiens:
aus: HAMBLY, Gavin: Die Schaibaniden. in: Hambly, G. (Hrsg.): Zentralasien. Fischer
Weltgeschichte, Band 16, Frankfurt am Main 1966, S.177
Abb.3: Darstellung der verschiedenen Naturräume Zentralasiens:
aus: TAAFFE, Robert N.: The geographic setting. in: Sinor, Denis (Ed.): The Cambridge
History of Early Inner Asia. Cambridge usw. 1990; S.29
Abb.4: Darstellung der naturräumlichen Gliederung im westlichen Teil Zentralasiens.
aus: BACON, Elizabeth E.: Central Asians unter Russian Rule: A Study in Culture Change.
Ithaca, New York 1968 (2.Auflage); o.S.
Abb.5: Darstellung des Karez-Systems:
aus: FRANZ, H.G. (Hrsg.): Die Seidenstraße. Graz 1986; S.22
Abb.6: Die Route der Seidenstraße von China in den Orient:
aus: KLIMKEIT, Hans-Joachim: Die Seidenstraße. Köln 1988, o.S.
Abb. 7: Zentralasien von der Urzeit bis 500 v.Chr.:
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S. 90
Abb. 8: Die Periodisierung der zentralasiatischen Kulturen:
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S.92
Abb. 9: Die Periodisierung der zentralasiatischen Kulturen:
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S. 97
Abb.10: Die Kulturen des südsibirischen Raumes:
aus: GRJASNOW, Michail: Südsibirien. Stuttgart u.a. 1970, S.247
Abb.11: Die Periodisierung der militärischen Ausrüstung der Steppennomaden:
aus: URAY-KÖHALMY, Käthe: Das zentralasiatische Kultursyndrom. in: Heissig, W. und
Müller, C. (Hrsg.): Die Mongolen. Innsbruck und Frankfurt am Main, 1989. S:47
Abb.12: Die zentralasiatischen Reiche in der Mitte des 1.Jt. v. Chr.:
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Köln 1986; S.21
Abb.13: Die Reiche der frühen Türken:
aus: GOLDEN, Peter A.: an Introduction to the History of the Turkic Peoples. Wiesbaden
1991; S.154
129
Abb.14: Zentralasien im 9. und 10.Jhdt.:
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S. 30
Abb.15: Zentralasien im 12.und 13.Jhdt. n.Chr.:
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S. 32
Abb.16: Dschingis Khan und seine Söhne:
aus: MORGAN, David: The Mongols.Oxford 1986, S. 222
Abb. 17: Die Eroberungen von Dschingis Khan und seinen Nachkommen:
aus: MORGAN, David: The Mongols.Oxford 1986:o.S.
Abb. 18: Dschingis Khan und die Chagataiden (1218-1365)
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S. 37
Abb. 19: Die Feldzüge Timur Lenks (1372-1405)
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S. 40)
Abb. 20: Die zentralasiatischen Khanate:
aus: PANDER, Klaus: Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der
Völker Mittelasiens. Köln 1986; S. 48
Abb. 21: Die administrative Gliederung Zentralasiens 1936:
aus: CARRERE D´ENCAUSSE, Helene: The National Republics Lose Their Independence.
in: Allworth, E.(Ed.): Central Asia. 120 Years of Russian Rule. Durham and London 1989;
S.258
Abb. 22: Die ethnischen Gruppen Zentralasiens:
aus: KAISER, Robert J.: Nations and Homelands in Soviet Central Asia. in: Lewis, Robert A.
(Ed.): Geographic Perspectives on Soviet Central Asia. London, New York 1992. S. 283
Abb. 23: Der Verbreitung der Usbeken im südlichen Zentralasien:
aus: ALLWORTH, Edward: The Modern Uzbeks. From the Fourteenth Century to the
Present. A Cultural History. Stanford 1990; S.258
Abb. 24: Die ethnischen Gruppen der Mongolei:
aus: BAINBRIDGE, Margaret (Ed.): The Turkic Peoples of the World. London und New
York 1993, S.180
Abb. 25: Die ethnischen Gruppen Ost-Turkestans im 19.Jhdt.:
aus: FRANZ, H.G. (Hrsg.): Die Seidenstraße. Graz 1986; S.123
Abb. 26: Die ethnischen Gruppen Afghanistans:
aus: GRÖTZBACH, Erwin: Afghanistan. Darmstadt 1990; S.68
Abb. 27: Die Verwandtschaftsterminologie der Kazakhen:
aus: KRADER, Lawrence: Locial Organisation of the Mongol turkic Pastoral Nomads. The
Hague 1963; S.401
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Backmatter: Around 800 BC, the Eurasian steppe underwent a profound cultural transformation that was to shape world history for the next 2,500 years: the nomadic herdsmen of Inner Asia invented cavalry which, with the use of the compound bow, gave them the means to terrorize first their neighbors and ultimately, under Chingis Khan and his descendants, the whole of Asia and Europe. Why and how they did so and to what effect are the themes of this history of the nomadic tribes of Inner Asia - the Mongols, Turks, Uighurs and others, collectively dubbed the Barbarians by the Chinese and the Europeans. This two-thousand year history of the nomadic tribes is drawn from a wide range of sources and told with unprecedented clarity and pace. The author shows that to describe the tribes as barbaric is seriously to underestimate their complexity and underlying social stability. He argues that their relationship with the Chinese was as much symbiotic as parasitic and that they understood their dependence on a strong and settled Chinese state. He makes sense of the apparently random rise and fall of these mysterious, obscure and fascinating nomad confederacies.
Expansion des Islams in den ehemaligen sowjetischen Gebieten Zentralasiens in 5 Perioden gegliedert werden: 239 vgl
  • Bennigsen Laut
  • Wimbush Kann Die
Laut BENNIGSEN/WIMBUSH kann die Expansion des Islams in den ehemaligen sowjetischen Gebieten Zentralasiens in 5 Perioden gegliedert werden: 239 vgl. MORGAN (1986:40ff) und TAUBE (1989)
KRADER (1966) zunehmend auszuschalten. Zudem wurde mit subtilen Mitteln versucht die Assimilation der autochtonen Bevölkerung zu erreichen
im Detail vgl. Literaturhinweise in der Literaturliste, insbesondere BENNIGSEN and WIMBUSH (1985), WEEKES (1978), KRADER (1966) zunehmend auszuschalten. Zudem wurde mit subtilen Mitteln versucht die Assimilation der autochtonen Bevölkerung zu erreichen. Insgesamt kam es im 19. Jhdt., insbesondere im Kaukasus, aber auch in Zentralasien, tatsächlich zu den von den Russen befürchteten, Widerständen und Rebellionen der autochtonen Bevölkerung, die häufig von Mitgliedern diverser Sufi-Orden angeführt wurden.
Der formelle Islam anerkennt die Rolle der Heiligen als Vermittler nicht. Im Volksglauben spielen diese Heiligen jedoch eine große Rolle und man bittet bei Besuchen ihrer Grabmähler etc
  • Das Gebet
Das Gebet (Salat): Fünfmal täglich soll der Muslim das Gebet, dem eine rituelle Waschung vorangeht, Richtung Mekka gewandt, verrichten. Die Gebetszeiten gliedern den Tagesablauf in verschiedene Phasen. Am Freitag, dem "heiligen Tag", erfolgt das Hauptgebet. Man betet ohne Vermittler, direkt zu Gott. Der formelle Islam anerkennt die Rolle der Heiligen als Vermittler nicht. Im Volksglauben spielen diese Heiligen jedoch eine große Rolle und man bittet bei Besuchen ihrer Grabmähler etc. um ihre Fürsprache bei Gott.
Zakat): einmal pro Jahr soll der Muslim eine Almosensteuer an die Armen geben. Freiwillige Wohltätigkeiten erhöhen die Chancen ins Paradies zu kommen
  • Das Almosengeben
Das Almosengeben (Zakat): einmal pro Jahr soll der Muslim eine Almosensteuer an die Armen geben. Freiwillige Wohltätigkeiten erhöhen die Chancen ins Paradies zu kommen.
ist das persönliche Opfer, das den Glauben demonstrieren soll. Es dauert einen Monat lang und findet im 9
  • Das Fasten
Das Fasten (Oruc, Roza): ist das persönliche Opfer, das den Glauben demonstrieren soll. Es dauert einen Monat lang und findet im 9. Monat des islamischen Kalenders, dem Monat Ramadan, statt. Während des Fastenmonats darf von Sonnenauf-bis Sonnenuntergang nichts gegessen oder getrunken werden. Die Pilgerfahrt (Haj): Die Pilgerfahrt nach Mekka ist der Traum jedes Muslims.
Auch der Glaube an Dämonen und Geister ist weitverbreitet. Zum Schutz vor Geistern und Dämonen (deren es eine große Vielzahl gibt) werden eine Reihe von Abwehrzaubern und Abwehrriten verwendet (z.B. blaue Perlen zum Schutz vor dem "bösen Blick
  • Schamanen Existierten Und Existieren Bei Einer Reihe Zentralasiatischer Gruppen
  • Nomadisierenden Wie Sesshaften
  • Ackerbau Treibenden Gesellschaften
Schamanen existierten und existieren bei einer Reihe zentralasiatischer Gruppen, sowohl nomadisierenden wie sesshaften, Ackerbau treibenden Gesellschaften. Ihre Hauptaufgabe ist das Heilen von Kranken. Eine weiteres wesentliches Element der Volksreligion ist der Kult um heilige Gräber (Mazare). Die Pilgerreise zu diesen Mazaren, deren es in Zentralasien eine große Zahl gibt, wird durchgeführt um Frieden für die Seele und/oder Hilfe für Probleme zu finden. Auch der Glaube an Dämonen und Geister ist weitverbreitet. Zum Schutz vor Geistern und Dämonen (deren es eine große Vielzahl gibt) werden eine Reihe von Abwehrzaubern und Abwehrriten verwendet (z.B. blaue Perlen zum Schutz vor dem "bösen Blick", "Hand der Fatma"). Vielfach werden Amulette getragen, in deren Inneren eine Inschrift aus dem Koran aufbewahrt wird, die von Sufis, Heiligen, oder einfachen Mullahs geschrieben wurde, und den Träger des Amuletts vor negativen Einflüssen der Geister etc. schützen soll.
KRADER, Lawrence: Social Organization of the Mongol Turkic Pastoral Nomads. The Hague 1963, BACON, Elizabeth: Obok. A Study of Social Structure in Eurasia
vgl. u.a. KRADER, Lawrence: Principles and Structures in the Organization of the Asiatic Steppe-Pastoralists. in: Southwestern Journal of Anthropology, Vol. 11, Nr.2 1955, KRADER (1966), KRADER, Lawrence: Social Organization of the Mongol Turkic Pastoral Nomads. The Hague 1963, BACON, Elizabeth: Obok. A Study of Social Structure in Eurasia. New York 1958, GOLDEN (1992:1-15), vgl. VAMBERY (1885), URAY-KÖHALMI (1989:118-124), SZYNKIEWICZ, Slawoj: Die Familie. in: in: Heissig, Walther und Müller, Claudius C.: (1989, S.124-134)
  • Abb
Abb.2: Darstellung der kulturhistorisch bedeutsamen Regionen im westlichen Teil Zentralasiens: aus: HAMBLY, Gavin: Die Schaibaniden. in: Hambly, G. (Hrsg.): Zentralasien. Fischer Weltgeschichte, Band 16, Frankfurt am Main 1966, S.177
  • Abb
Abb.4: Darstellung der naturräumlichen Gliederung im westlichen Teil Zentralasiens. aus: BACON, Elizabeth E.: Central Asians unter Russian Rule: A Study in Culture Change. Ithaca, New York 1968 (2.Auflage);