Hintergrund und Ziele: Intoxikationen mit Ionenkanalblockern wie Lokalanästhetika, beispielsweise durch akzidentielle intravenöse Applikation, können zu schwerwiegenden kardiovaskulären Nebenwirkungen bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand führen. Lipophile Lokalanästhetika wie Bupivacain weisen eine besonders hohe Kardiotoxizität auf, was die Behandlung von Intoxikationen mit der Substanz erschwert. Es existieren erfolgsversprechende Berichte über den Einsatz von intravenöser Lipidemulsion bei Reanimationen nach Intoxikationen mit Lokalanästhetika, ein Therapieansatz, der in Fachkreisen als Lipid Rescue bezeichnet wird. Die Lipid Sink Theorie ist eine Hypothese, die eine Reduktion der freien Lokalanästhetikakonzentration als Mechanismus annimmt. Daneben werden unter anderem metabolische Effekte als Ursache diskutiert. Jedoch wird der zugrunde liegende Mechanismus bislang nicht vollständig verstanden. Das Ziel dieser Arbeit ist, den Mechanismus von Lipid Rescue auf Ionenkanalebene zu untersuchen. Methoden: Die vorliegende Arbeit untersucht die Effekte einer klinisch verwendeten Lipidemulsion (Lipovenös MCT 20%; Fresenius Kabi AG, Bad Homburg, Deutschland) auf Aktionspotentiale und auf den Block des schnellen Na+ Kanals (INa) durch das lipophile Lokalanästhetikum Bupivacain in Kardiomyozyten der Ratte mit Hilfe der whole-cell Patch-Clamp Technik. Analog werden die Effekte der Lipidemulsion auf Aktionspotentiale und den Block von INa durch das weniger lipophile Mepivacain untersucht. Da abhängig von der Lokalisation von Kardiomyozyten im linken Ventrikel bezüglich Aktionspotentialdauer große Unterschiede bestehen, erfolgte eine regionspezifische Isolation von Kardiomyozyten und die getrennte Betrachtung epi- und endokardialer Zellen. Um herauszufinden, ob der Wirkmechanismus auf eine Reduktion der freien Konzentration der Lokalanästhetika, einen sogenannten Lipid Sink Effekt, zurückzuführen ist, erfolgte in einem Teil der Experimente die Ultrazentrifugation der Lipidemulsionen. Die effektive Reduktion der freien Lokalanästhetikakonzentration durch die Lipidemulsion wurde durch die Klinik für Anästhesie des Universitätsklinikums Regensburg mittels Gaschromatographie mit Massenspektroskopie-Kopplung bestimmt. Ergebnisse und Beobachtungen: 10 μM Bupivacain verursachte in epikardialen Kardiomyozyten eine Reduktion der maximalen Aufstrichgeschwindigkeit von Aktionspotentialen (dV/dtmax) um 56% (P < 0.001). Der Overshoot wurde um 43% (P < 0.001) reduziert. Nach Applikation einer 10 μM Bupivacainlösung, die zusätzlich 10% einer klinisch verwendeten Lipidemulsion enthielt, nahmen dV/dtmax und der Overshoot jeweils um 31% zu (P < 0.001). In endokardialen Zellen fanden sich vergleichbare Effekte. Das hydrophile Lokalanästhetikum Mepivacain (40 μM) führte ebenfalls sowohl in epi- als auch endokardialen Zellen zu einer signifikanten Reduktion von dV/dtmax (P < 0.001) und Overshoot (P < 0.001). Applikation einer 40 μM Mepivacainlösung, die zusätzlich 10% Lipidemulsion enthielt, hatte keine Auswirkungen auf diese Effekte, im Gegensatz zu denen des lipophilen Bupivacains. Bei der Untersuchung des schnellen spannungsgesteuerten Na+ Stromes reduzierte 10 μM Bupivacain INa um 54% (-19.3 ± 1.9 pApF-1 gegen -42.3 ± 4.3 pApF-1; n = 17; P < 0.001; VPip = -40mV). Der Zusatz von 10% Lipidemulsion zusätzlich zu Bupivacain führte zu einer Zunahme von INa um 37% (-26.4 ± 2.8 pApF-1; n = 17; P < 0.001 gegen Bupivacain allein). Um zu testen, ob die Ergebnisse durch eine Reduktion der freien Bupivacainkonzentration bedingt wird (Lipid Sink Effekt), wurde die Lipidphase durch Ultrazentrifugation entfernt. Die übrigbleibende Wasserphase führte zu einer Zunahme von INa (+19%; n = 17; P < 0.001 gegen Bupivacain), was zeigt, dass ein Teil der Lipidwirkung durch eine Verminderung der Bupivacainkonzentration in der wässrigen Phase der Lösung zustande kommt. Vergleiche der Versuche mit zentrifugierter und unzentrifugierter Emulsion sowie Versuche mit Lipidemulsion ohne Lokalanästhetika zeigten, dass neben der Reduktion der freien Lokalanästhetikakonzentration ein spezifischer Lipid Effekt auftrat, der unabhängig von der Anwesenheit von Lokalanästhetika war. Bei der Untersuchung des weniger lipophilen Mepivacains zeigte sich durch 40 μM Mepivacain eine Reduktion von INa um 27% (n = 24; P <0.001). Zusatz von Lipidemulsion führte zu einer Zunahme von INa um 17% (n = 24; P <0.001). Nach Ultrazentrifugation fand sich nur ein kleiner Effekt mit einer Zunahme von INa um 8% (n = 23; P < 0.01). Schlussfolgerungen: Die Experimente dieser Arbeit zeigen auf zellulärer Ebene, dass die Effekte von Lokalanästhetika auf den Na+ Strom und auf Aktionspotentiale durch Lipidemulsion vermindert werden können. Das Ausmaß der Reduktion des Effekts war bei lipophilen im Vergleich zu hydrophilen Lokalanästhetika größer. Der Mechanismus hierfür besteht aus einer Reduktion der freien Lokalanästhetikakonzentration, dem Lipid Sink Effekt, sowie aus einem spezifischen Lipid Effekt, der unabhängig von der Anwesenheit von Lokalanästhetika auftritt. Die Ergebnisse legen außerdem nahe, dass Lipid Rescue auch zur Behandlung von Intoxikationen mit weiteren lipophilen Substanzen mit ionenkanalinhibitorischer Wirkung, wie zum Beispiel trizyklischen Antidepressiva, geeignet ist. Teilergebnisse dieser Arbeit wurden veröffentlicht (Wagner et al., 2014).