28 | frühe Kindheit | 0322 | Thema Entwicklungskrisen im Angesicht der Katastrophe Auswirkungen der gegenwärtigen existenziellen Bedrohungen durch Pandemie, Krieg und Klimakatastrophe auf die frühe Entwicklung und Beziehung von Babys, Kleinkindern und ihren Eltern | Von Susanne Hommel Menschen gehen mit Krisen sehr unterschiedlich um. Während die einen psychisch belastet sind, unter Ängsten und Depressionen leiden, sind die anderen kurz niedergeschlagen, passen sich an die neuen Bedingungen dann scheinbar leicht an und gehen aus der Krise unbeschadet hervor. Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Materialkunde, wo der englische Ausdruck "resilience" die Eigen-schaft eines Materials beschreibt, nach starker Verformung wieder die ursprüngliche Gestalt anzuneh-men. Auf den Menschen übertragen, bezeichnet Resilienz die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende psychische Beeinträchtigung zu überstehen (Kalisch 2017). Wie Resilienz entsteht, ist eine Frage, die die Wissenschaft seit Längerem interessiert. Der Pionier der Resilienzforschung, Viktor Frankl, ein jüdischer Psychiater, hat in seinem Buch " …trotzdem Ja zum Leben sagen" (1946) eindrück-lich geschildert, dass Menschen trotz schlimm-ster Bedrohung psychisch gesund bleiben können. Seine Lebensgeschichte dient häufig als Beispiel, dass Menschen auch anhaltende existenzielle Bedrohung durch Vernichtung und Tod physisch wie psychisch überleben können. Philosophisch gesehen beruht ein konstruktiver Umgang der Menschen und der Menschheit mit individueller und kollektiver Bedrohung, Trauma, Belastung, Beschädigung, massivem Stress, Defiziten und Risi-kolagen auf dem Grundsatz der Veränderbarkeit, dem Potenzial von Entwicklungsspielräumen und in diesem Sinne sowohl auf dem Prinzip Hoffnung (Bloch 1985) als auch dem Prinzip Verantwortung (Jonas 1998). Basierend auf einem positiven Men-schenbild, welches die Bedeutung von sozialen Verhältnissen, mental-kognitiven Strukturen, Handlungsfähigkeit sowie Gen-Umwelt-Interakti-onen betont. Im weiteren medizinischen und psychologischen Diskurs der 1950er Jahre über den Begriff Resilienz ist die Forschung der US-amerikanischen Entwick-lungspsychologin Emmy Werner bedeutsam, die zeigen konnte, dass jedes dritte Kind trotz Armut, elterlichem Alkoholismus, häuslicher Gewalt und Misshandlung widererwartend psychisch gesund und sozial gut integriert war und sich zu einem psychisch stabilen, erfolgreichen Erwachsenen entwickelte (Werner 2011, 2012): "Vulnerable but invincible" (verletzlich, doch unbesiegbar) nannte Werner diese Kinder. Entscheidende Faktoren für diese positive Entwicklung waren Humor, die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, Optimismus sowie eine gewisse Form von Spiritualität. Und von erheb-licher Bedeutung war zudem die Bindung an eine konstante Bezugsperson, egal ob Mutter, Vater, Großmutter, Onkel oder Lehrerin. Entscheidend war, dass es eine Person gab, die an das Kind glaubte und ihm vermittelte, dass es so, wie es ist, gut, richtig und angenommen ist. Kinder reagieren unterschiedlich auf existenzielle Krisen wie Krieg. So beobachtete Anna Freud 1944, dass Babys und Klein-kinder in Kriegszeiten wenig Angst zeigten, wenn es ihrer Mutter gelang, ihre eigenen Gefühle soweit zu regulieren, dass sie ihrem Kind ausreichend Sicherheit vermitteln konnte. Und dass sie im Falle der Trennung von der Mutter, im Kontext der "war nurseries" von Anna Freud und ihren Kolleg:innen betreut, sich im Kontakt mit einer fremden Bezugsperson schnell beruhi-gen konnten, wenn diese Bezugsperson emotional verfügbar und bezogen war (Freud 1944, 1973; Pretorius 2019). Die Säuglingsforschung gibt uns seit den 1970er Jahren einen umfassenden Einblick in die Zusammenhänge elterlicher psy-chischer Belastung, kindlicher Regulationsfähigkeiten und der Qualität der Eltern-Kind-Interaktion und Beziehung in unserem kulturellen Raum.