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HochschulenundFachhochschulen 313
JürgenEnders
HochschulenundFachhochschulen
Einleitung
1.DifferenzierungundEntdifferenzierungvonHochschultypen
2.HistorischeundquantitativeEntwicklungderUniversitätenundFachhochschulen
3.AusdifferenzierungundStratifizierung
Ausblick
Einleitung
IndenletztenJahrzehntensind Fragen derinstitutionellenStrukturdesHochschulsystems
immer wieder Gegenstand der politischen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gewe‐
sen. Im Vordergrund steht die Frage, welches Ausmaß an Einheitlichkeit und Vielfalt der
institutionellen Landschaft einem modernen und leistungsfähigen Hochschulsystem ange‐
messen ist. Wie viel Differenzierung ist nützlich oder schädlich
für die Leistungsfähigkeit
einzelner Hochschulen und des Hochschulsystems insgesamt? Welche Rolle kommt der
horizontalenDifferenzierung(etwanachGröße,AufgabenoderfachlichemProfilderHoch‐
schulen) und der vertikalen Differenzierung (etwa nach Aufgaben in der Forschung oder
derLehre,derQualitätundReputation derHochschulen)zu? Wie stabiloderinstabilsind
einmal
geschaffeneinstitutionelleOrdnungen,welcheEigendynamikderAngleichungoder
DifferenzierungentwickeltsichimHochschulsystemselbst,undwasistdieRollestaatlicher
Steuerung?UndlässtsichdieFragenachderangemesseneninstitutionellenOrdnungüber‐
hauptnochnationalbeantworten,wennProzessedereuropäischenundglobalenKoopera‐
tionundKonkurrenzanBedeutunggewinnen?
In
der Forschung zur Stabilität und zum Wandel der institutionellen Struktur des
Hochschulsystems wird auf verschiedene Aspekte hingewiesen, die für die institutionelle
DynamikderHochschulentwicklungeinebesondereRollespielen(Meeketal.1996;Meeket
al.2000).GenanntwerdendiespannungsreicheKoppelungderAufgabenderHochschulen
imBildungssystemundimWissenschaftssystemsowie
diezunehmendeBeobachtungihrer
Rolle im Innovationssystem, die Expansion des Hochschulsystems im Übergang von der
Elite‐ zur Massenuniversität, die zunehmende Forderung nach einer stärker praxis‐ und
berufsrelevanten Ausbildung an den Universitäten, der Bedeutungsgewinn grundlagen‐
orientierter und anwendungsorientierter Forschung und ihrer Koppelung sowie die Rolle
der Hochschulen in der regionalen und
nationalen Entwicklung und im internationalen
Wettbewerb.
314 JürgenEnders
Zugleich werden international unterschiedliche Ansätze darüber vertreten, welche
Entwicklungsdynamik der institutionellen Ordnung der Hochschulsysteme zu beobachten
ist(Krücken/Meier2006;Scott1995; Teichler1985,2005).VertreterdesKontinuitätsansatzes
weisen darauf hin, dass sich nationale Hochschulsysteme trotz gleichartiger Herausforde‐
rungenstrukturell sehr unterschiedlichentwickelthabenunddass die vielfältigenModelle
der nationalen Hochschulsysteme erstaunliches Beharrungsvermögen besitzen. Vertreter
des Stratifizierungsansatzes beziehen sichauf Evidenzen eines zunehmenden internationa‐
lenTrendsderprofilbildendenArbeitsteilungundvertikalenDifferenzierungzwischenden
Hochschulen. Vertreter des Konvergenzansatzes beobachten internationale Angleichungs‐
tendenzenderHochschulen,wobeidieImitationderbestenUniversitätenMaßstabundZiel
füralleanderenInstitutionenist.
DieEntwicklungdeswestdeutschenHochschulsystemsliefertempirischesMaterialfür
alle drei Ansätze. Bis Mitte der 1960er Jahre stand die Restauration und Wahrung des tra‐
dierten Universitätsmodells humboldtscher Prägung im Vordergrund. Ende der 1960er
Jahre traten im Zuge der Bildungsexpansion die Fachhochschulen als Hochschulen neuen
Typus hinzu, deren Aufgaben durch staatliche Rahmensetzungen
deutlich von denen der
Universitäten abgesetzt wurden. Dies führte zu einer stärkeren Differenzierung der Hoch‐
schullandschaft entlang zweier Typen, wobei an der Vorstellung der Gleichwertigkeit der
Universitätenfestgehalten wurde. In denletzten15 Jahren ist diese institutionelle Struktur
durch Prozesse der Ausdifferenzierung innerhalb der jeweiligen Hochschultypen und der
Entdifferenzierung zwischen
den beiden Hochschultypen erheblich in Unordnung geraten
(Wissenschaftsrat 2006). Gleichzeitig mehren sich die Stimmen derjenigen, die vor einer
einseitigen vertikalen Differenzierung entlang des internationalen Wettbewerbs um For‐
schungsexzellenzwarnen und einen ruinösen Reputationswettbewerb befürchten (Teichler
2005).
1 HistorischeundquantitativeEntwicklungderUniversitätenund
Fachhochschulen
Für die Entwicklung und das Selbstverständnis der Universitäten im 20. Jahrhundert war
langeeinLeitbildprägend,dassichaufdieTraditionderHumboldtschenReformende s19.
Jahrhunderts berief und soeinen weitgehend ungebrochenen Wiederaufbauder westdeut‐
schenUniversitätennachdemZweitenWeltkriegentlangdieserTraditionermöglichte.Bis
indie1950er
JahrehineinexpandiertedasHochschulsystemdurchVergrößerungderbeste‐
henden Einrichtungen unter Wahrung des herkömmlichen Universitätsmodells, wobei der
BegriffUniversitätinWestdeutschlandnur für bestimmte multi‐disziplinäreEinrichtungen
derLehreundForschungverwendetwurde.Nebenden18Universitätenbestanden13spe‐
zialisierte Hochschulen mit Programmen in den Bereichen Ingenieurwesen, Medizin, Ag‐
rarwissenschaften und Betriebswissenschaften sowie mehr als 100−zumeist kleine−Ein‐
richtungen der Lehrerausbildung, Kunst und Musik sowie der Theologie. In den 1960er
Jahren bis Mitte der 1970er Jahre wurde eine Reihe neuer Universitäten gegründet, den
spezialisiertenHochschulenwurdeUniversitätsstatuszuerkanntunddieEinrichtungender
Lehrerausbildung wurden nach und nach in
die Universitäten integriert. Diese Expansion
HochschulenundFachhochschulen 315
undAusweitungderUniversitätenstellteaberdasLeitbildweitgehendgleichwertigerUni‐
versitäten und eine entsprechende Praxis staatlicher Steuerung und Finanzierung kaum in
Frage.
Nach dem 1964 ausgerufenen Bildungsnotstand standen in Deutschland die gesell‐
schafts‐ und wissenschaftspolitischen Zeichen auf Bildung für alle und den Ausbau des
Hochschulsystemsin
derFläche. Neben demAusbauderUniversitätenwurde in Reaktion
aufdieExpansionderBildungsnachfrageEndeder1960erJahredurchstaatlichenBeschluss
ein neuer Hochschultyp geschaffen – die Fachhochschulen. Nunmehr ging es um einen
AusbauundeineNeugestaltungdesHochschulsystems,diezueinerstärkerenDifferenzie‐
rungdesHochschulsystemsentlangzweierTypenführte.AufBeschlussderKonferenzder
Ministerpräsidenten vom Oktober 1968 wurde der Fachhochschulsektor eingeführt, um
Einrichtungen des tertiären Bereichs zusammenzufassen, in denen die Studierende stärker
praxis‐ und berufsorientiert ausgebildet werden sollten. Fachhochschulen sollten sich des‐
halb insbesondere durch einen intensiven Anwendungsbezug in der Ausbildung und kür‐
zere Studienzeiten von den
Universitäten unterscheiden. Das von staatlicher Seite festge‐
schriebenen Profil der Fachhochschulen sah zunächst Forschung nicht vor. Offenkundig
war mit der Etablierung der Fachhochschulen von staatlicher Seite auch die Absicht ver‐
bunden, Hochschulen zu schaffen, die die wachsende Bildungsnachfrage kostengünstiger
befriedigen konnten als die lehr‐ und forschungsbezogenen Universitäten. 1975 bestanden
in
Westdeutschland bereits97 Fachhochschulen (einschl.Verwaltungsfachhochschulen),an
denen aber nur etwa 18 % der Studierenden eingeschrieben waren sowie 90 Universitäten
(einschl. Gesamthochschulen, Pädagogische Hochschulen, Theologische Hochschulen) und
26Kunsthochschulen.
Der Öffnungsbeschluss von 1977 läutete eine weitere Phase der Hochschulexpansion
ein,dieaberkaummehrzurEtablierungneuerInstitutionenführte.Bundund
Länderver‐
einbarten in diesem Beschluss, die Hochschulen angesichts demographisch bedingter Zu‐
wächse trotz unzureichender räumlicher und personeller Kapazitäten p rinzipiell offen zu
halten und dafür zeitweise Überlastbedingungen in Kauf zu nehmen. Die resultierende
Überlastmusstevon denHochschulen,insbesonderedenUniversitäten,aus dervorhande‐
nen Substanz getragen werden – mit
den bis heute sichtbaren Konsequenzen für die Be‐
treuungsverhältnisse und die Forschung. So zählte das westdeutsche Hochschulsystem in
1990 94 Universitäten, 31 Kunsthochschulen sowie 122 Fachhochschulen, an denen etwa
23%derStudierendeneingeschriebenwaren.DiesteigendeZahlderFachhochschulenund
dersteigendeAnteilvonStudierendenanFachhochschulenwardabeivorallemderIntegra‐
tionundNeugründungvonVerwaltungsfachhochschulenzuzuschreiben.
NachderWiedervereinigungentstandenindererstenHälfteder1990erJahreimZuge
derTransformationdesostdeutschenHochschul‐undWissenschaftssystems19Universitä‐
ten, 11 Kunsthochschulen sowie 32 Fachhochschulen (Kehm 1999). Das Hochschulsystem
der Bundesrepublik umfasste 2007/2008 somit 120 Universitäten, 52 Kunsthochschulen so‐
wie215Fachhochschulen,andenenetwa29%derStudierendeneingeschriebensind, deren
AnteilanallenStudierendenindenneuenBundesländerndeutlichhöherausfälltals inden
altenBundesländern.
ZweifelloshabendieFachhochschulendamiteinewichtigeFunktioninderAbsorption
dersteigendenNachfrageanHochschulausbildungübernommen.IhreKapazitätenbleiben
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aber begrenzt und hinter den etwa vom Wissenschaftsrat bereits Anfang der 1990er Jahre
geforderten Ausbauplänen mit einem Studierendenanteil von 40 Prozent zurück. Bislang
warendiepolitischenKräfte,dieeineErweiterungdesFächerspektrumsderFachhochschu‐
lenauchgegendenWillenderUniversitätenforderten,nichterfolgreich.Gleichzeitigistdas
Profil
derStudierendenanUniversitätenundFachhochschuleninmancherleiHinsichtähn‐
licher geworden. Mehr Studierende an Fachhochschulen besitzen die Zugangsvorrauset‐
zungen für ein Universitätsstudium und stammen aus einem Akademikerelternhaus; zu‐
gleichbildendieUniversitätenwachsendeZahlenvonStudierendenaus,derenStudienmo‐
tivation primär berufs‐ und karrierebezogen ist. Der begrenzte Ausbau der
Fachhochschu‐
lenimZugederHochschulexpansionerwiessichfürdieUniversitätendennauchalszwei‐
schneidig. Einerseits konnten die Universitäten traditionelle Besitzstände verteidigen. An‐
dererseits waren und sind sie zunehmend genötigt, praxisorientierte Studiengänge zu ent‐
wickelnundgerietenmitihreForschungsfunktionunterBedingungenderMassenuniversi‐
tät zunehmend in den „Schatten der
Lehre“ (Schimank 1995). Parallel hierzu haben die
Fachhochschulen zunehmend Aufgaben in der anwendungsorientierten Forschung über‐
nommen, die durch Änderungen des Hochschulrechts und der staatliche Programmförde‐
rungwachsendeAnerkennunggefundenhaben.
2 DifferenzierungundEntdifferenzierungvonHochschultypen
BisindieMitteder1980ererJahrehineinwurdevonstaatlicherSeitedurchrechtliche Rah‐
menregelungen und Finanzierungssysteme der Versuch unternommen, die Unterschiede
zwischendenFachhochschulenundUniversitätenzuzementieren.AufgabenundProfilder
Fachhochschulen sollten sich deutlich von dem der Universitäten abheben. So hatten (und
haben) die Fachhochschulen keinerlei
Aufgaben in der Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses und im Gegensatz zu den Universitäten und ihnen gleichgestellten Hoch‐
schulen kein Promotions‐ und Habilitationsrecht. Die Forschung zählte zunächst ebenfalls
nichtzudenProfilmerkmalenderFachhochschulen.ImVordergrundstand(undsteht)die
Lehre, und Fachhochschulprofessoren haben mit 18 Semesterwochenstunden ein deutlich
höheres Lehrdeputat als
ihre Kollegen an den Universitäten und eine längere Vorlesungs‐
zeit innerhalb des Semesters. Wenngleich die politische Rhetorik immer wieder betonte,
dass mit den Fachhochschulen Institutionen geschaffen wurden, die im Vergleich zu den
Universitäten andersartig aber gleichwertig sind, war vielen Akteuren klar, dass die Fach‐
hochschulen den Universitäten faktisch nicht gleichgestellt
waren. Dies hat zu Anglei‐
chungsbestrebungen der Fachhochschulen an die Universitäten geführt, wie sie internatio‐
nal unter dem Begriff des academic drift (Burgess 1972, Neave 1989) nicht‐universitärer
Hochschuleinrichtungendiskutiertwerden.
DieanwendungsorientierteForschungundEntwicklunghatsichimZugederweiteren
Entwicklung der Fachhochschulen thematisch wie auch inhaltlich deutlich verbreitert.
Die
FachhochschulenhabensichdamitdenUniversitätenangenähert,trotzderimVergleichzu
UniversitätenwesentlichgeringerenfinanziellenundpersonellenAusstattung.Dazuhaben
zum einen Bestrebungen der Fachhochschulen selbst beigetragen, die durch eine Hoch‐
schullehrerschaft unterstützt werden, die sich zum größten Teil aus ehemaligen Nach‐
HochschulenundFachhochschulen 317
wuchswissenschaftlern der Universitäten und dem Personal der außerhochschulischen
ForschungundEntwicklungrekrutiert(Enders/Teichler1995).ZumanderenhabenVerbes‐
serungen im strukturellen Umfeld wie auch im Angebot an Förderprogrammen für die
Forschung, die auf Fachhochschulen zugeschnitten sind oder die solchen Einrichtungen
offenstehen,eineRollegespielt.
Bis in
die 1980er Jahre hinein waren die Hochschulgesetze eher zurückhaltend darin,
Forschung und Entwicklung als Aufgaben der Fachhochschulen festzuschreiben. Mit der
Novellierung des Hochschulrahmengesetzes in 1985 gehört die anwendungsorientierte
Forschung und Entwicklung zu den Aufgaben der Fachhochschulen. Die in den letzten
Jahren erfolgten Novellierungen der Landeshochschulgesetze messen der anwendungs‐
orientierten Forschung
an Fachhochschulen ein immer größeres Gewicht zu. Mittlerweile
machen die Länder mehrheitlich anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung per
Gesetz zur Pflichtaufgabe von Fachhochschulen. Viele Bundesländer und der Bund haben
Förderprogramme aufgelegt, um anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung an
Fachhochschulenzuunterstützen.AlsneueLeistungenderFachhochschulensindindiesem
Zusammenhang insbesondere auch Aktivitäten
im Technologie‐ und Wissenstransfer hin‐
zugekommen,diedieBedeutung derFachhochschulenfürdieregionaleWirtschaftstärken
sollen.SohatderBundeineSchwerpunktverlagerungseinerFördertätigkeithinzurUnters‐
tützung wirtschaftsnaher regionaler Forschungsverbünde an Fachhochschulen vorgenom‐
men. Diese Neuausrichtung der förderpolitischen Zielsetzungen zielt auf eine stärkere
interdisziplinäre und hochschulübergreifende Zusammenarbeit von
Fachhochschulen, bei
derdiesemitPartnernausderregionalenWirtschaft,derWissenschaft(Forschungseinrich‐
tungen,Universitäten)undPartnernausanderenBereichenkooperieren.
Zwar limitieren nach wie vor die finanzielle Ausstattung und ein kaum vorhandener
akademischer Mittelbau die Anstrengungen der Fachhochschulen in der Forschung. Von
Seiten der Fachhochschulen gibt es aber Bestrebungen, die
Beschränkung auf die anwen‐
dungsbezogene Forschung aufzuheben und die Personalstruktur und Ausstattung der
Fachhochschulenzuverbessern.
EinekomplementäreAngleichungsbewegungfindetaufSeitender Universitätenstatt,
derenForschungskapazitäteninZeitenderMassenuniversitätunterDruckgerietenunddie
sichgleichzeitigeinerwachsendenNachfrageanpraxis‐undberufsorientierterAusbildung
gegenübersehen(Wissenschaftsrat2006).
Derprofessional drift(Harmen1977)der Universi‐
täten zur praxisorientierten Lehre und Forschung steht in unmittelbarem Zusammenhang
mit dem beschränkten Ausbau der Fachhochschulenundden permanenten Überlastbedin‐
gungenandenUniversitäten.
Der Ausbau der Fachhochschulen ist zwar von Land zu Land unterschiedlichverlau‐
fen, in der Summe jedoch hinter den ursprünglich
angestrebten Zielen deutlich zurückge‐
blieben. Eine systematische Verlagerung einzelner Fächer von den Universitäten an die
Fachhochschulenhat ebenfallsnichtstattgefunden,sodassauchdieUniversitätenimZuge
derExpansionderHochschulenerheblichmehrStudierendeaufnehmenmussten.Zugleich
kumulierenandenUniversitätendieFolgenstaatlicherFinanzverknappungbeigleichzeiti‐
ger Expansion der
Studierendenzahlen für die Forschung: „Aufgrund des mit der Grund‐
ausstattung der Hochschulen gegebenen gemeinsamen Ressourcenpools von Forschung
und Lehre kann erstere immer wieder durch letztere unter Verdrängungsdruck gesetzt
318 JürgenEnders
werden.DieLehrebeanspruchtimmerdann,wenndieLehrnachfrage zunimmt,ohnedass
die dafür nötigen Ressourcen der Grundausstattung entsprechend wachsen, einen immer
größeren Anteil dieser Ressourcen und schmälert dadurch die Ressourcenbasis der For‐
schung. Eben dies geschah seit Mitte der 1970er Jahre an den deutschen Hochschulen.“
(Schimank1995:
96). Schließlichfand eine typenbezogene AufteilungderStudierendenauf
Universitäten und Fachhochschulen nach Neigung und Ausbildungsziel nur zum kleinen
Teilstatt.Umfragenzeigen,dasssichunter den UniversitätsstudenteneineMehrheiteinen
starkeAnwendungs‐und Praxisbezug ihres Studiumswünscht.
InderPraxis bedienen die
Universitätenalso in erheblichem Umfang eine Nachfrage, die zu bedienennach der binä‐
renTypendifferenzierungauchAufgabederFachhochschulenseinkönnte(Wissenschaftsrat
2006). Dieser Trend wird seit einiger Zeit durch Bestrebungen der Universitäten selbst un‐
terstützt,durchpraxisbezogeneStudiengängeimWettbewerbumStudierendezupunkten.
Es
istwiederholtversuchtworden,diesenAngleichungstendenzenzwischenUniversi‐
täten und Fachhochschulen entgegenzuwirken und zu einer eindeutigeren Typenunter‐
scheidungzurückzukehren.StattdessenhatdieEinführunggestufterBachelor‐undMaster‐
studiengänge im Rahmen des Bologna‐Prozesses eine erhebliche Beschleunigung dieser
Angleichungstendenzenausgelöst.AnfangsbeinahunbemerktrütteltederBologna‐Prozess
aneinerderGrundfesten
jedertypenbezogenenDifferenzierungimHochschulsystem,näm‐
lich der Frage, welche Abschlüsse und Titel Hochschulen des jeweiligen Typs verleihen
können – und dem damit verbundenen Status der Institution (Teichler 1996; Witte et al.
2008).WennsichdieStrukturvonStudiengängenundAbschlüssenverändert,dannschafft
dieseinEinfallstorfüreineRestrukturierungvon
RolleundStatusderHochschultypen.Wie
wir gesehen haben, war ein Prozess informeller Angleichung zwischen Universitäten und
Fachhochschulen bereits vor der Einführung von Bachelor‐/Masterstudiengängen zu beo‐
bachten. Dies hat vermutlich mit dazu beigetragen, dass die Umsetzung des Bologna‐
Prozesses ohne erfolgreichen Widerstand gegen die Harmonisierung der Abschlüsse an
Universitäten
undFachhochschulenverlief(Witte2007).
DiemaßgeblichenStrukturvorgabenderKultusministerkonferenzlegenjedenfallsfest,
dass der Bachelorabschluss – unabhängig vom Hochschultyp – ein eigenständiger berufs‐
qualifizierender Abschluss sein und
für die Mehrzahl der Studierenden zu einem ersten
Berufseintritt führen
soll. Erst auf der Masterstufe wird die Basis für eine Unterscheidung
zwischenstärkeranwendungsbezogenen und stärker forschungsbezogenen Studiengängen
gelegt (KMK 1999). In 2003 entschied die Kultusministerkonferenz, dassStudiengänge bei‐
derProfiltypenentsprechendden unterschiedlichenAufgabenderHochschulensowohl an
Universitätenals auchanFachhochschulenangebotenwerdenkönnen.
Bachelor‐undMas‐
terstudiengänge sollen an unterschiedlichen Hochschulen, auch unterschiedlichen Hoch‐
schulartenkonsekutivstudiertwerdenkönnen(KMK 2003).AuchhinsichtlichderStudien‐
dauer gibt es Vorgaben für die Bachelor‐ und für die Masterphase, die nicht nach Hoch‐
schultypen unterscheiden. Damit entfallen−abgesehen von der Promotion – Merkmale
unterschiedlicher Studienabschlüsse, an denen sich eine institutionelle Typenunterschei‐
dung im deutschen Hochschulsystem festmachen könnte. Zugleich haben
sich die Fach‐
hochschulenfrühzeitiginderEinführungvonBachelor‐undMasterstudiengängensowiein
der europäischen und auch in der außereuropäischen Zusammenarbeit im Hochschulbe‐
reich engagiert. Durch Ausweitung und Intensivierung ihrer Auslandsbeziehungen haben
HochschulenundFachhochschulen 319
sie eine merkliche Internationalisierung ihres Studienangebotes erreicht. Dies verdeutlicht,
dass das Profil nicht‐universitärer Hochschulen keineswegs auf eine regionale Rolle be‐
grenztseinmuss.SchließlichbegünstigenderBologna‐Prozessunddiedamiteinhergehen‐
de Reform der Studienangebote Prozesse der Differenzierung auch innerhalb einzelner
Hochschulen, insbesondere dann, wenn
nicht alle Bereiche einer Hochschule Bachelorstu‐
diengänge sowie praxisbezogene und forschungsbezogene Masterstudiengänge anbieten.
Hierdurch wird ein Prozess unterstützt, in dem die typenbezogene Differenzierung von
Profilen ganzer Hochschulen mehr und mehr durch Binnendifferenzierungen innerhalb
einzelnerHochschulenüberlagertwird.
3 AusdifferenzierungundStratifizierung
InnerhalbdesUniversitätssektorswarenstaatlicheSteuerungundFinanzierungbisAnfang
der 1990er Jahre von der Vorstellung beherrscht, dass Universitäten zwar unterschiedliche
fachliche Schwerpunkte aufweisen mögen, in ihrer Qualität im Wesentlichen aber unterei‐
nandergleichwertigseien.Inden1990erJahrennahmenForderungen nach einerstärkeren
Differenzierung im deutschen Hochschulsystem immer mehr
zu und wurden vielfältige
Maßnahmenergriffen,umAutonomie,WettbewerbundProfilbildungimHochschulsystem
zu stärken. Verschiedene Argumente für eine solche Reform des deutschen Hochschulsys‐
tems sind seither ins Feld geführt worden, die nicht zuletzt durch international wirkungs‐
mächtigeLeitbilderderReformdesöffentlichenSektorsimAllgemeinenundderHochschu‐
lenim
Besondereninspiriertwurden.Sowird eine Abkehrvoneinereinheitlichenund flä‐
chendeckenden staatlichen Feinsteuerung und Input‐Kontrolle der Hochschulen gefordert,
um Raum für eine stärkere Selbststeuerung des Systems durch teilautonome Hochschulen
im Wettbewerb um Studierende, Forschungsmittel und wissenschaftliches Personal zu
schaffen.Voraussetzunghierfüristeinerseits,dasssichderStaatzurückziehtundanderer‐
seits die Hochschulen in die Lage versetzt werden, als strategische Akteure tatsächlich
handlungsfähigzuwerden.StaatlicheSteuerungausderDistanzbeigleichzeitigerStärkung
der Selbststeuerungskräfte der Hochschulen soll nicht nur die Steuerungsprobleme des
Staateslösen,sondernauchEffizienz‐undEffektivitätssteigerungenermöglichen(deBoeret
al. 2007; Krücken/Meier 2006).
Bislang ist allerdings empirisch kaum untersucht, ob die
StärkungderRollederHochschulen tatsächlichzusubstantiellenLeistungsverbesserungen
inLehre,ForschungundWissenstransferführt(Enders2008).Zugleichwirdangenommen,
dassdie funktionale Überforderungder Hochschulen in Lehre, Forschung, Nachwuchsför‐
derung,Wissenstransfer,regionalerEntwicklung,internationalemWettbewerbetc.unddas
hierausresultierende„Zielwirrwarr“
(Schimank2001)nurdurchfunktionale Arbeitsteilun‐
gen und daraus resultierenden Profilbildungen zu bewältigen ist. Schließlich spielen auch
finanzpolitischeErwägungeneineRolle,dainZeitenknapperKassenderöffentlichenHand
eineflächendeckendeFinanzierungallerBereicheinallenHochschulennichtzugewährleis‐
tensei.
Die Lockerung rechtlicher Rahmensetzungen, die Umstellung kameralistischer Finan‐
zierung auf Globalhaushalte, die Umverteilung staatlicher Mittel von der Grundfinanzie‐
rung hin zu mehr Wettbewerb um Projekte und Programme, die Stärkung der Rolle von
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Hochschulleitungund‐management sind besonderssichtbare Maßnahmen, durch die von
staatlicher Seite die Voraussetzungen geschaffen werden sollten, um solche Autonomisie‐
rungs‐ und Differenzierungsprozesse zu ermöglichen. Zahlreiche Hochschulkonzepte in
denverschiedenenBundesländerntreffenheute Aussagen zu Profilbildungsprozessenund
auchdieBundesregierungsetztaufdieProfilbildungderHochschulen.Wiederumsind
also
staatlicheSteuerungundFinanzierungfürdieGestaltungderinstitutionellenOrdnungdes
deutschenHochschulsystemsvonzentralerBedeutung.DiesesMalsollenallerdingsProzes‐
sederDifferenzierungundProfilbildungunterstütztwerden,dieanvielenHochschulenin
derTatauchzubeobachtensind.
FüreinProfilistcharakteristisch,dassdieHochschulebesondereMerkmale−
fachliche
Stärkenund spezifischePotenziale – hervorhebt und entwickelt, die besonderswichtig für
ihre Leistung sind. Die unterschiedlichen Profile können sich in der Lehre, der Forschung,
dem Wissens‐ und Technologietransfer, den internationalen Hochschulbeziehungen, der
Ausbildungdes wissenschaftlichen Nachwuchses und auch in Hochschulorganisation und
im‐managementzeigen.DieGrundlagenfüreinspezifisches
ProfilbildeninderRegelaber
Prioritätensetzungen für Forschungsschwerpunkte und spezifische Lehrangebote. Die Ent‐
scheidung für ein bestimmtes Profil hat dabei möglicherweise weitreichende hochschulin‐
terneAuswirkungen.DurchPrioritätensetzungwirdnichtmehrdie möglichstkonfliktfreie
interneVerteilung der Mittel gefördert, sondern die profilstärkende strategischeSteuerung
mit Betonung von zentralen und weniger
zentralen Disziplinen, Fakultäten oder For‐
schungsbereichen.
Um Prozesse der Schwerpunktbildung innerhalb der Hochschulen zu unterstützen,
werdeninvielenLänderngezielthochschulübergreifendeVerbünde−sowohlvonUniversi‐
tätenoderFachhochschulen untereinanderalsauchzwischenUniversitätenundFachhoch‐
schulenund/oderaußeruniversitärenForschungseinrichtungen−gefördertundinmanchen
LändernHochschulenfusioniert(sieheBeitragvonHans‐WillyHohnindiesemBand).Eini‐
geHochschulenhabensichzuBenchmarking‐Clubszusammengeschlossenodersindinter‐
nationalen Konsortien von Hochschulen beigetreten. Als Folge der Profilbildung gehen
Hochschulenalsomitunterschiedlichen odersichergänzendenProfilenverstärktKoopera‐
tionen auf verschiedensten Ebenen ein. Solche Verbünde haben in zunehmendem Maße
auchEinflussauf
dieorganisatorischeBinnendifferenzierungderUniversitäten.
„DieneueFreiheit derHochschulen“(Brinckmann 1998)istaberkeineswegsgrenzen‐
los. Die Bindung der Haushaltsmittel an den Hochschulen schränkt die finanziellen Spiel‐
räume der Unterstützung von Schwerpunktbildungen deutlich ein. Staatliche Instanzen
steuern durch Profil‐, Ziel‐ und Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen sowie die
Einführungvon
EvaluationenundAkkreditierungenkräftigmit,wennesumProfilbildung
geht.InterneUmverteilungenführenzuerheblichenKonfliktenundGegenbewegungender
Besitzstandswahrung innerhalb der Hochschulen selbst. Schließlich sind die Kosten der
Positionierung der Hochschulen auf staatlich induzierten Quasi‐Märkten um output‐
gesteuerte Grundfinanzierungen, wettbewerblich vergebene Forschungsmittel und Prog‐
rammtöpfe aller Art nicht
zu unterschätzen. Offen ist derzeit denn auch, welches Ausmaß
an Profilbildung tatsächlich erreicht werden kann, und wie viel Differenzierung wün‐
schenswert ist. Ob Autonomie, Profilbildung und Wettbewerb, wie vielfach vermutet, in
jedem Fall zu größerer Vielfalt führen, ist aus organisationstheoretischer Perspektive bez‐
HochschulenundFachhochschulen 321
weifelt worden (Krücken 2004; Schimank 2001). Der Wissenschaftsrat stellte unlängst fest,
dass sich Hochschulen gerade unter hohem Wettbewerbsdruck risikoavers verhalten kön‐
nen,„undeineFormderRisikoaversionist,andereOrganisationen,diemanfürerfolgreich
hält, zu imitieren. Wenn mehr Differenzierung gewünscht ist, genügt es demnach nicht,
wettbewerbliche Elemente zu stärken; Wettbewerb im Hochschulwesen muss auch unter
geeigneten Ra hmenbedingungen und nach Regeln stattfinden, die die gesellschaftlichen
Kontextbedingungenberücksichtigen“(Wissenschaftsrat2006:19).
Unlängst hat jedoch die Wünschbarkeit einer stärkeren vertikalen Differenzierung in ‐
nerhalbdesforschungsintensivenBereichsdesHochschulsystemsunddamiteinerImitation
der Besten einen deutlichen Schub durch die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern
erhalten. Beschlossen wurde die Bewilligungvon insgesamt 1,9 MilliardenEuro Förderge‐
ldern(75ProzentdavonvomBundund25ProzentvomjeweiligenSitzlanddergeförderten
Einrichtung)fürdenZeitraumvon2006bis 2011zurFinanzierungvonca.40Graduierten‐
schulen,ca.30ExzellenzclusternsowiebiszuzehnZukunftskonzeptenzumprojektbezoge‐
nen Ausbau der univers itären Spitzenforschung. Verschiedene ausländische Rankings na‐
tionalerHochschulsysteme undinsbesondereRankingsderweltweitinderForschung
füh‐
renden Universitäten haben dabei erheblich mit dazu beigetragen, Fragen der Differenzie‐
rung des Hochschulsystems nicht mehr allein als nationalstaatliche Angelegenheit zu be‐
greifen,sondernalsglobalenWettbewerbumQualitätundSichtbarkeit.SolcheRankings–
wiedas Times HigherEducationRankingoderdasShanghaiRanking– sind ausmethodi‐
scherSicht
zwarerheblicherKritikausgesetzt,habenabereineenormepolitischeAufmerk‐
samkeitgefunden.
Nachdem in den 1980er und 1990ger Jahren relativ wenig getan worden war, um die
Auswirkungen der Massenuniversität auf die Forschung zumindest zu kompensieren, ist
mit der Exzellenzinitiative eine beachtliche hochschul‐ und wissenschaftspolitische Kehr‐
twende der Selektion und Förderung
der Spitzenforschung an den Universitäten eingetre‐
ten. Betrachtet man die hierfür bereit gestellten Mittel und vergleicht sie mit den Etats
weltweit führender Universitäten, dannhandelt es sich zwar um einen vergleichsweise
bescheidenenSchritt. Für dasdeutscheSystem,indem dievertikaleDifferenzierunginner‐
halbdesforschungsintensivenHochschulbereichstraditionellbesondersgeringgewesen
ist,
bedeutet die Exzellenzinitiative jedoch einen beachtlichen Paradigmenwechsel. So hat die
ExzellenzinitiativeeinebisherunbekannteDebatteinnerhalbderUniversitätenumdiePro‐
filbildunginderForschung und diestrategische Positionierung im Wettbewerb um Exzel‐
lenz freigesetzt. Zweifellos nimmt mit wac hsender Bedeutung von vertikaler Differenzie‐
rung, die nicht durch Abgrenzungen von
Hochschularten (Universitäten und Fachhoch‐
schulen)undvonEbenenderStudienabschlüsse(Bachelor,Master,Promotion)formalsich‐
tbar ist, die informelle Herausbildung von Profilen in einem stärker stratifizierten Hoch‐
schulsystemzu.EinenwichtigenImpulshatdieExzellenzinitiativeebenfallsfürdiestärkere
strategische Nutzung und Institutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen Universitä‐
tenund außeruniversitärenöffentlichen
Forschungseinrichtungen und damit für die Über‐
windungder vielfach beklagten Versäulung des deutschen Wissenschaftssystems gegeben.
Umstrittenist dagegen, wieExzellenzeigentlichgemessenbzw.bewertetwerdenkann, ob
mitderExzellenzinitiativewirklichdieinderForschungführendenBereicheundUniversi‐
tätenausgewähltwurden(Münch2006,2007)undobdiebegrenztenMittel
nichtnotwendi‐
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gerweise zu einer Enttäuschung hochgesteckter Ziele führen müssen. Die DFG und der
Wissenschaftsrat gehen jedenfalls davon aus, dass „dieses Programm entscheidend dazu
beitragenwird,dieinternationaleSichtbarkeitdeutscherUniversitätendeutlichzuerhöhen“
(DFG 2007) und dass die Förderung bereits Wirkung zeigt: „Der Wissenschaftsstandort
DeutschlandwirdimInlandwie
imAuslandsehrvielstärkerwahrgenommen“(DFG2008).
Sondermann et al. (2008) haben kürzlich vorgeschlagen, das Times Higher EducationRan‐
king als eine Art fachunspezifische Sichtbarkeitsmessung für ganze Hochschulen zu nutzen,
um–wohlwissendum derenmethodischeDefizite– möglichekurzfristigeEffektederEx‐
zellenzinitiativeinderglobalenAufmerksamkeit
zuerfassen. Danach„ergebensichderzeit
nochkeineIndiziendafür,dassdiedritteFörderliniederExzellenzinitiative,dieinbesonde‐
remMaße die internationale Sichtbarkeit der geförderten Einrichtungen voranbringensoll,
bereitsmessbareEffektehervorgerufenhat“(Sondermannetal.2008:113).
Sobleibtabzuwarten,welchemittelfristigenWirkungendieExzellenzinitiativeaufdie
Leistungsfähigkeitund
internationaleReputationdergefördertenUniversitätenhabenwird.
Unklar ist zudem noch, ob und in welcher Form sie eine Fortsetzung erfahren wird, und
welche Auswirkungen eine stärkere vertikale Differenzierung der deutschen Universitäten
entlang der Spitzenforschung auf die Leistungsfähigkeit und institutionelle Ordnung des
Gesamtsystemshabenwird.
Ausblick
DieinstitutionelleLandschaftdesHochschulsystems inDeutschlandistinBewegunggera‐
ten.LangeZeitdominiertenrelativfesteundstabileZuschreibungenderRollenundAufga‐
benvonUniversitäteneinerseits und Fachhochschulen andererseits. DieUniversitätensoll‐
teninihremKernwissenschaftsbasierteLehreundgrundlagenorientierte Forschung sowie
dieFörderungdeswissenschaftlichenNachwuchsesbetreiben,
währenddieFachhochschu‐
lensichauf diestärkerpraxisbezogeneLehreundeinedeutlichanwendungsbezogeneFor‐
schungallenfallsalsZusatzkonzentrierensollten.Gleichzeitigwurdeinderhochschulpoli‐
tischen Praxis unterstellt, dass die jeweiligen Profile und Leistungen von Universitäten
einerseitsundFachhochschulenandererseitsgleichwertigseien.
Diese wirkungsmächtige Akteursfiktion einer weitgehend stabilen Arbeitsteilung in
‐
nerhalb eines binären Hochschulsystems bei gleichzeitiger geringer Binnendifferenzierung
innerhalbderbeidenTeilsystemelässtsichheutenichtmehrhalten.DasStrebenderFach‐
hochschulen, sich auch in der Forschung zu profilieren, hat zunehmende politische Aner‐
kennung und Unterstützung erfahren. Die Universitäten haben im Gegenzugzunehmende
Anstrengungen unternommen, die Praxisorientierung ihrer Studiengänge
zu verstärken.
DieUmsetzungdesBologna‐ProzessesunddieExzellenzinitiativehabenbesondersdeutlich
zu einem Paradigmenwechsel in der Gestaltung der institutionellen Ordnung des Hoch‐
schulsystems beigetragen. Die Profilbildung einzelner Universitäten und Fachhochschulen
tragenebensozueiner–jedenfallsfürdeutscheVerhältnisse – bisher unbekanntenUnord‐
nungbei,wiezunehmendeKooperationenzwischen
UniversitätenundFachhochschulenin
derLehresowievermehrteKooperationenmitdenaußeruniversitärenEinrichtungeninder
Forschung.
HochschulenundFachhochschulen 323
Diese neue Unübersichtlichkeit geht mit durchaus widerstreitenden Anforderungen
undhochschulpolitischenTrendseinher,diekeineswegseineinheitlichesBildderzukünfti‐
gen institutionellen Ordnung des Hochschulsystems ergeben. Jede Prognose der weiteren
Entwicklungwirdhierdurcheherschwierigeralsleichter.
MankannsichzumBeispieldurchausvorstellen,dasses sowohlunter
denUniversitä‐
ten wie auch unter den Fachhochschulen dauerhaft Gewinner und Verlierer geben wird,
dass einige Einrichtungen schlicht verschwinden, in neuen Zusammenschlüssen aufgehen
oderdenSprungineineandereLigaschaffen.KeineÜberraschungistauch,wenndieFach‐
hochschulensehrvielstärkerausgebautwerden,umdieUniversitätenodereinen Teil
von
ihnen für die Forschung zu entlasten. Innerhalb einer formalisierten binären Struktur wir
sich dann eine praktisch viel bedeutendere vielschichtige horizontale und vertikale Diffe‐
renzierungetabliertmitderdieZweiteilunginUniversitätenundFachhochschulenfaktisch
obsolet wird. Vorstellbar ist aber auch, dass die binäre Zweiteilung des Hochschulsystems
formal abgeschafft wird, in
der Praxis aber erhalten bleibt. Es ist auch denkbar, dass jeder
Versuch einer horizontalen Profilbildung durch die überwältigende Anziehungskraft des
neuen Leitbilds der weltweit führenden Forschungsuniversitäten konterkariert wird und das
Ringen um die Mitgliedschaft in der Champions League der Universitäten alle anderen
Dynamikenüberschattet.
In jedem Fall wird der Bedarf
an staatlichem Monitoring der Entwicklung und Leis‐
tungsfähigkeit des Hochschulsystems im Zuge der Differenzierung teilautonomer Hoch‐
schulen im Wettbewerb zunehmen. Es ist keineswegs gesagt, dass die Summe der staatli‐
chenRegelungenundProgrammeineinemföderalenSystemsowiederstrategischenPosi‐
tionierungeneinzelnerHochschuleninsgesamteinleistungsfähigesHochschulsystem erge‐
ben. Für
die Forschung bedeutet dies, dass sie sich stärker als in der Vergangenheit der
Frage stellen muss, ob und inwieweit die institutionelle Ordnung eines Hochschulsystems
dennüberhaupteineDeterminanteihrerPerformanzbildet.
Schließlich stehen einige alte und neue Themen auf der aktuellen politischen Tages‐
ordnung,diefürdieweitereEntwicklungund
LeistungsfähigkeitdesdeutschenHochschul‐
systems von großer Bedeutung sind.Zweifellos hat die Exzellenzinitiative die Aufmerk‐
samkeit für die Lage der Forschung an den Hochschulen erhöht. Unklar ist aber nach wie
vor,obesimföderalenSystemgelingt,denpolitischenWillenzumobilisieren,umdieUn‐
terstützungfürdieForschungan den
Hochschulenflächendeckendundnachhaltigzuver‐
bessern. Manches spricht momentan dafür, dass auch zukünftig einige Leuchttürme der
Forschung besondere Förderung erhalten, in der Fläche aber kaum Verbesserungen gelin‐
gen. Der Bologna‐Prozess hat eine Fülle von Strukturreformen in der Ausbildung an den
Universitäten und Fachhochschulen angestoßen. Unklar ist aber, ob
diese Strukturreform
unter Bedingungen permanenter Überlast bei allem guten Willen überhaupt die erhofften
substantiellen Effekte erzielen kann, und ob es gelingt, eine zweite Stufe der Reform zu
implementieren, mit der sich Verbesserungen der Lehr‐ und Lernkultur an den Hochschu‐
lenverbinden.
324 JürgenEnders
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