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Die Psychologie menschlichen Handelns

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Abstract

In einer Kleinstadt kommt es gegen 2 Uhr morgens zu einer Verkehrskontrolle, bei der ein PKW-Fahrer ohne Vorwarnung mehrere Schüsse auf die kontrollierende Polizistin abgibt. Das Feuer wird von dem zweiten Streifenbeamten sofort erwidert, der den Täter mit Schüssen in den Brustkorb und den Bauch trifft. Über die Rettungsleitstelle werden ein NEF, ein RTW und ein KTW alarmiert. Der 8 Minuten später eintreffende Notarzt findet eine 28-jährige bewusstseinsklare Polizeibeamtin vor, die nach einem Durchschuss des Oberarms aus der A. brachialis blutet und über eine komplette Gefühllosigkeit des Arms klagt. Weitere Verletzungen sind nicht vorhanden, da die Beamtin eine kugelsichere Weste trägt. Mit Hilfe eines Druckverbands kommt die Blutung zum Stillstand. Zu diesem Zeitpunkt liegt der nichtinvasiv gemessene Blutdruck bei 90/50 mmHg und die Herzfrequenz bei 95/min. Der Notarzt legt bei der Patientin einen periphervenösen Zugang und beauftragt einen Rettungsassistenten, sich um den verletzten Fahrer zu kümmern. Dieser findet einen bewusstseinsgetrübten, tachypnoeischen Patienten mit schwach tastbaren Pulsen neben dem PKW am Boden liegend vor.
gesine.hofinger@team-hf.de
Human Factors
und Patienten-
sicherheit in der
Akutmedizin
4. Auflage
Michael St.Pierre · Gesine Hofinger
gesine.hofinger@team-hf.de
65
Die Psychologie
menschlichen Handelns
Schußwechsel mit zwei Verletzten
Während einer nächtlichen Verkehrs-
kontrolle gibt ein PKW-Fahrer ohne
Vorwarnung mehrere Schüsse auf die kon-
trollierende Polizistin ab. Das Feuer wird
von dem zweiten Streifenbeamten sofort
erwidert, er trifft den Täter mit Schüssen
in den Brustkorb und den Bauch. Über
die Rettungsleitstelle werden ein NEF, ein
RTW und ein KTW alarmiert. Acht Minu-
ten später trifft der Notarzt ein und findet
eine 28-jährige bewusstseinsklare Polizei-
beamtin vor, die nach einem Durchschuss
des Oberarms aus der A. brachialis blutet
und über eine komplette Gefühllosigkeit
des Arms klagt. Weitere Verletzungen sind
offenbar nicht vorhanden, da die Beamtin
eine kugelsichere Weste trägt. Mithilfe
eines Druckverbands kommt die Blutung
zum Stillstand. Zu diesem Zeitpunkt liegt
der nicht-invasiv gemessene Blutdruck bei
90/50 mmHg und die Herzfrequenz bei
95/min. Der Notarzt legt bei der Patien-
tin einen periphervenösen Zugang und
beauftragt den Notfallsanitäter, sich um
den verletzten Fahrer zu kümmern. Der
Notfallsanitäter findet einen bewusstseins-
getrübten, tachypnoeischen Patienten mit
schwach tastbaren Pulsen am Boden lie-
gend vor.
Da sich die Venenpunktion bei der Poli-
zistin schwieriger gestaltet, beauftragt der
Notarzt die Besatzung des KTW, bei dem
Täter einen i. v.-Zugang zu legen und mit
der Infusion von Kolloidallösungen zu
beginnen. Außerdem soll er 6 l Sauer-
stoff über eine Gesichtsmaske erhalten.
Der Notarzt begleitet die Patientin in den
RTW, wo er ihr einen zweiten peripher-
venösen Zugang legt und die klinische
Untersuchung komplettiert. Diese ergibt
außer einer Zerreißung der A. brachialis
und einer Instabilität des Humerus keine
weiteren Verletzungen. Erst jetzt, 15 min
nach Eintreffen am Einsatzort, widmet
er sich der Behandlung des Täters, der
inzwischen vollständig eingetrübt ist.
Auf dem entkleideten Brustkorb und über
dem Epigastrium sind mehrere Einschuss-
wunden zu sehen, aus denen es blutet. Der
Patient hat nur schwach tastbare Pulse der
A. carotis. Der Notarzt legt zwei weitere
periphervenöse Zugänge und intubiert den
Patienten. Bei der Auskultation der Lunge
stellt er ein deutlich abgeschwächtes
Atemgeräusch rechts fest. Aufgrund eines
beginnenden Hautemphysems legt er auf
der rechten Seite eine Thoraxdrainage ein,
aus der sich Luft und 600 ml Blut ent-
leeren.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020
M. St.Pierre und G. Hofinger, Human Factors und Patientensicherheit in der Akutmedizin,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-60485-4_4
4
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66 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
Volumenmangelschock aufgrund perforierender
Verletzungen des Thorax und Abdomens. Ent-
gegen der medizinischen Dringlichkeit beginnt
der Notarzt mit der Versorgung der leichter
verletzten Person. Er belegt das wirksamere
Rettungsmittel (RTW) mit der leichter verletzten
Patientin und widmet sich anschließend ausführ-
lich ihrer Versorgung. Dies geschieht zu einem
Zeitpunkt, an dem der Akutmediziner über das
Verletzungsmuster des Täters und die damit ver-
bundene vitale Bedrohung informiert ist. Die
notärztliche Behandlung des polytraumatisierten
Patienten beginnt sehr spät und wird durch die
notwendige Umbelegung der Rettungsfahrzeuge
weiter verzögert. Erst mit deutlicher zeitlicher
Verzögerung wird der kreislaufinstabile Patient
im Schockraum abgegeben; eine sofortige chir-
urgische Intervention kann ihn nicht mehr retten.
Die zeitliche Verzögerung war möglicherweise
prognoseentscheidend, da perforierende Thorax-
verletzungen aufgrund der Notwendigkeit einer
sofortigen Thorakotomie eines der wenigen
Verletzungsmuster sind, bei denen ein rascher
Transport in die nächste geeignete Klinik
(scoop-and-run) möglicherweise eine bessere
Prognose für Patienten erbringt als eine längere
Versorgung vor Ort (stay-and-play).
4.1 Die „Psycho-Logik“ von
Denken, Wollen und Fühlen
Beim Lesen des Fallbeispielsgewinnt man den
Eindruck, dass der Notarzt gleich eine Reihe an
Entscheidungen traf, die in ihrer Gesamtheit zu
einer suboptimalen Behandlung des Trauma-
patienten und möglicherweise auch zu dessen
Tode führten. Einige dieser Entscheidungen
erscheinen dem Betrachter als „unlogisch“ und
„irrational“ und man fragt sich, was in dem
Arzt vorgegangen sein mag, als er sich auf die
geschilderte Vorgehensweise festlegte. Diese
„irrationale“ Vorgehensweise steht im Kontrast
zu dem Anspruch, den die moderne Medizin
an Diagnose und Therapie stellt. Die moderne
Medizin nimmt für sich in Anspruch, jeder-
zeit eine rational begründbare Therapie durch-
führen zu können, die frei ist von emotionalen
oder anderweitigen psychischen Einflüssen.
Der Notarzt entscheidet, die Patientin
aus dem RTW in den KTW zu verladen
und den Patienten mit der Diagnose eines
perforierten Thorax- und Abdominal-
traumas mit dem RTW in das 20 min
entfernte Krankenhaus der Maximalver-
sorgung zu transportieren. Der Patient hat
während des gesamten Transports einen
instabilen Kreislauf und verliert laufend
Blut über die Thoraxdrainagen, sodass der
Notarzt beginnt, unter den erschwerten
Bedingungen des Transports weitere peri-
phervenöse Zugänge zu legen. Da der
arterielle Blutdruck auch unter massiver
Volumensubstitution nicht stabilisiert wer-
den kann, entschließt sich der Notarzt zur
Bolusgabe von verdünntem Suprarenin.
Da ihn die Patientenbehandlung ganz
in Beschlag nehmen, fällt dem Notarzt
erst kurz vor dem Eintreffen im Schock-
raum ein, dass er die Zielklinik eigent-
lich vorab hatte informieren wollen, dass
der Patient perforierende Thoraxver-
letzungen hat und ein Thoraxchirurg im
Schockraum anwesend sein sollte. Da
diese Information erst verspätet weiter-
gegeben wird, kann die Thoraxchirurgin
erst einige Minuten nach Eintreffen im
Schockraum das Behandlungsteam ver-
stärken. Der Erstbefund im Schockraum
bestätigt die klinische Verdachtsdiagnose
eines Hämatopneumothorax und einer
massiven Ansammlung von freier Flüssig-
keit im Bauchraum. Trotz sofortiger ope-
rativer Intervention verstirbt der Patient
wenig später noch auf dem Operations-
tisch an unstillbaren Blutungen. Die Poli-
zistin wird ebenfalls in der gleichen Nacht
operiert und behält eine Restschwäche des
rechten Arms.
Ein Notarzt hat nach einem Schusswechsel eine
leicht- und eine schwerverletzte Person zu ver-
sorgen: Auf der einen Seite eine kreislaufstabile
weibliche Polizeibeamtin mit einer arteriellen
Blutung nach perforierender Gefäßverletzung,
auf der anderen Seite einen männlichen Täter im
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Ein solches, grob vereinfachendes Modell einer
Logik des Handelns impliziert, dass mensch-
liches Handeln seinen Ursprung ausschließlich
in sachlogisch begründeten kognitiven Pro-
zessen hat, die als Reaktion auf Umweltreize
entstehen und die nach klar nachvollziehbaren
Kriterien operieren. Medizinische Diagnostik,
Entscheidungen und therapeutisches Handeln,
so die Logik dieses Modells, können allein
durch die Vernunft reguliert werden und sollen
dies auch (Abb. 4.1a). Ganz offensichtlich folgt
aber das Handeln des Notarztes nicht diesem
Modell: Entgegen der medizinischen Dringlich-
keit widmet er zunächst seine ganze Aufmerk-
samkeit der leicht verletzten Person. Über die
Gründe für dieses Verhalten kann man speku-
lieren: Möglicherweise hat es für ihn eine Rolle
gespielt, dass die Patientin Opfer eines Gewalt-
verbrechens ist, dass sie eine Uniform trägt und
von einem besorgten Polizeibeamten begleitet
wird oder dass es sich um eine junge Frau han-
delt. Welcher Grund auch immer zutreffen mag,
als unbeteiligter Beobachter gewinnt man den
Eindruck, dass eine Reihe „un-logischer“ Fakto-
ren seine Prioritäten bestimmt und sein Handeln
geleitet haben. Dieser Eindruck deckt sich in der
Tat mit den Ergebnissen der psychologischen
Forschung:
u Es gibt kein Handeln, das ausschließlich
durch Vernunft gesteuert wird; Handeln ent-
springt immer einer komplexen Interaktion
von Denken, Wollen und Fühlen.
Daher ist es angemessen, von einer Psycho-Lo-
gik menschlichen Handelns zu sprechen
(Abb. 4.1b).
Diese „Psycho-Logik“, in der Denken,
Motive und Gefühle gemeinsam dazu bei-
tragen, zu welcher Handlung sich ein Mensch
entschließt, betrifft alltägliche Situationen und
Notfälle gleichermaßen. Im Alltag bestimmen
Persönlichkeit, aktuelle Gefühlslage, Bedürf-
nisse und die Situation selbst, welche der drei
Faktoren am stärksten in die Begründung von
Handlungen eingehen. In den komplexen und
dynamischen Anforderungen der Akutme-
dizin ist es vor allem eine Verschiebung der
Gewichtung innerhalb dieser „Psycho-Logik“,
die hilft, Notfallsituation zu bewältigen.
Angesichts von Stress und Zeitdruck sind es
weniger das zeitaufwendige und ressourcen-
verbrauchende bewusste Denken, als vielmehr
die emotionale Einschätzung der Situation und
persönliche Motive, die in die Gesamtbewertung
eingehen. Durch die emotionale, ganzheitliche
Bewertung können Entscheidungen schnel-
ler gefällt werden. Die Kehrseite dieser „Psy-
cho-Logik“ ist allerdings, dass eine emotionale
Bewertung so stark werden kann, dass Handeln
nicht mehr an medizinischen Standards und
Leitlinien ausgerichtet wird. Dies trifft auch
auf den Notarzt im einleitenden Beispiel zu: Er
war – unbewusst – von Gefühlen und Bedürf-
nissen mehr als vom Denken geleitet. Die Ent-
scheidungen des Notarztes im Nachhinein als
„unlogisch“ und „irrational“ zu bewerten, trifft
deshalb nicht den Kern.
4.2 Grundlagen menschlichen
Handelns
Um die in diesem Kapitel skizzierte „Psy-
cho-Logik“ besser verstehen zu können, werden
einige grundlegende Annahmen und Definitio-
nen vorausgeschickt. Diese orientieren sich an
den handlungspsychologischen Modellen von
Hacker (1986) und Dörner (1999, 2008; Dörner
und Güss 2013).
Abb. 4.1 Logik des Handelns. Anstelle des oft
angenommenen, rein rationalen Handelns in Antwort auf
Probleme der Umwelt (a) spielen bei der Antwort auf
Umwelteinflüsse Denken, Wollen und Fühlen eine Rolle
(b)
4.2 Grundlagen menschlichen Handelns
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68 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
als Handlungsinstrumente zur Verfügung
stehen. Sprache ist hierbei von besonderer
Bedeutung, da sie den Inhalt des Denkens
vorgibt als auch das wichtigste Instrument
ist, um in Beziehung zu anderen zu treten und
diese Beziehungen zu regulieren. Denken ist
zudem, wie eingangs erwähnt, untrennbar mit
Gefühlen und Motiven verbunden.
3. Wie sich ein Mensch als psychisches Indi-
viduum entwickelt, ist untrennbar mit sei-
ner sozialen Entwicklung innerhalb seiner
Bezugsgruppen verbunden. Diese beein-
flusst die Individualentwicklung deswegen
so stark, weil Menschen Gruppenwesen sind,
die biologisch auf Fürsorge und Kooperation,
psychologisch auf sprachlichen Austausch
von Gedanken und Ideen mit Mitmenschen
und sozial auf das Gefühl, Teil einer stabilen
sozialen Gemeinschaft zu sein, angewiesen
sind.
4.2.2 Handeln
Handeln ist durch Umweltanforderungen
und psychische Prozesse bedingt
Keine Notfallsituation gleicht einer anderen.
Welche Möglichkeiten zum Handeln man hat,
wird daher durch die Eigenschaften der Not-
fallsituation mitbestimmt: Wo sich der Notfall
ereignet hat, mit welcher Art der Schädigung
man es zu tun hat, wie der klinische Zustand
des Patienten ist und welche technischen und
personellen Ressourcen zur Verfügung stehen.
Pläne machen nur dann Sinn, wenn sie auf die
Situation zugeschnitten sind und damit umsetz-
bar sind, und mit Ressourcen die man nicht
hat, kann man auch nicht arbeiten. Wissen und
Erfahrung sind die nächste Einflussgröße auf
notfallmedizinisches Handeln. Je vertrauter eine
Situation ist, desto sicherer wird der Umgang
mit dem Notfall. Zuletzt wird Handeln aber auch
von der genannten „Psycho-Logik“ des Han-
delns bestimmt, also jener Trias aus Gedanken,
Gefühlen und Absichten. Da die Interaktion
von Denken, Wollen und Fühlen mit einer Situ-
ation immer in menschliches Handeln mündet,
4.2.1 Bio-psycho-soziale
Voraussetzungen des Handelns
Menschen sind biologische Wesen, die zur
Befriedigung biologischer Bedürfnisse sowohl
ihren Geist als auch ihren Körper einsetzen.
Durch ihre geistigen Kapazitäten, die Menschen
vor anderen Säugetieren auszeichnen, sind sie
vor allem aber „psychologische Wesen“. Sie
nehmen ihre Welt subjektiv wahr und wollen
subjektive psychische Bedürfnisse befriedigen.
Darüber hinaus leben Menschen in Gemein-
schaften und sind somit „soziale Wesen“, die
zum Überleben auf Kooperation angewiesen
sind. Die genannten biologischen, psycho-
logischen und sozialen Prozesse haben sich
entwicklungsgeschichtlich in unterschied-
licher Geschwindigkeit parallel entwickelt. Die
Parallelität der Entwicklung und die Abhängig-
keit voneinander sind die Begründung dafür,
dass wir beim Menschen auch von einer
„bio-psycho-sozialen Einheit“ reden können
(Kleinhempel et al. 1996; Brenner 2002). Sie
erklären auch die charakteristische Art und
Weise, wie Denken und Handeln des Menschen
bestimmt wird. Ein anderer, in der Psychologie
bevorzugter Begriff dafür, ist der der „Hand-
lungsregulation“.
1. Biologisch sind es das menschliche Gehirn,
das periphere Nervensystem und der mensch-
liche Körper, die für Handlungen verantwort-
lich sind und diese ausführen. Die Grenzen,
innerhalb derer sich menschliches Handeln
abspielen kann, sind durch die phylogenetisch
geprägte Struktur neuronaler Prozesse und
die funktionelle Anatomie des Menschen
vorgegeben. Nicht alles, was biologischen
Organismen möglich ist, steht auch uns Men-
schen zur Verfügung. Dies wird beispiels-
weise daran deutlich, welche Sinnesreize
Menschen in ihrer Umgebung wahrnehmen
(Kap. 5) und welche Begrenzungen die
Stressreaktion (Kap. 9) für sie darstellt.
2. Psychologisch gesehen sind es vor allem
Denken und Sprache, die dem Menschen
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Handeln ist Informationsverarbeitung
Die Art und Weise, wie verschiedene Fakto-
ren das Handeln des Menschen bestimmen
(Handlungsregulation), kann als eine Form
der Informationsverarbeitung verstanden wer-
den (Klix 1971; Dörner 1976). In diesem Ver-
ständnis sind alle Motive, Gefühle und das
Denken eines Menschen verschiedene Formen
der Informationsverarbeitung. Ein wichtiges
Ziel dieser Informationsverarbeitung ist es, die
Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt
aufrechtzuerhalten, sodass er oder sie seine
Bedürfnisse befriedigen kann. Wie Wollen,
Fühlen und Denken das Handeln bestimmen,
ist dem Bewusstsein nicht vollständig zugäng-
lich. Ohne dass sich der Notarzt dessen bewusst
ist, beeinflussen sein Wollen, Fühlen und Den-
ken die Beziehungen zwischen ihm selbst und
seiner Umwelt. Weil dieser Einfluss auf das
eigene Handeln für ihn verborgen geschieht,
spricht man auch von autonomer Handlungs-
regulation.
Handeln ist in einen sozialen Zusammenhang
eingebettet
Für den psychologischen Handlungsbegriff ist
wichtig, dass individuelles Handeln immer in
einem sozialen Umfeld geschieht. Die Ziele
individueller Tätigkeiten stehen immer in
Zusammenhang mit Zielen dieser sozialen
Gemeinschaft. Denken und Tun dienen daher
immer sowohl der individuellen Bedürfnis-
befriedigung als auch der Aufrechterhaltung von
produktiven Gruppenbeziehungen. Man möchte
sowohl „auf seine eigenen Kosten kommen“
als auch anerkanntes Mitglied der jeweiligen
Gruppe sein. Der Wunsch, Beziehungen inner-
halb der Gruppen aufrecht und stabil zu halten,
ist ein starkes soziales Bedürfnis. Möglicher-
weise entspringt die bevorzugende Behandlung
der Polizistin eben diesem Wunsch, eine pro-
duktive Gruppenbeziehung zu staatlich aus-
führenden Organen aufrecht zu erhalten.
Handeln lässt sich nur auf der Ebene
beobachtbaren Tuns beschreiben
Wie der Notarzt gehandelt und was er in welcher
Reihenfolge getan hat, lässt sich beobachten
heißt der Begriff ganz bewusst Psycho-Logik
„des Handelns“.
Handeln ist bewusst und zielgerichtet
In der Psychologie versteht man unter Handeln
eine Abfolge von Aktionen, die auf ein Ziel hin
ausgerichtet sind. Eine Handlung im psycho-
logischen Sinne ist „die kleinste abgrenzbare
Einheit bewusst gesteuerter Tätigkeit“ (Hacker
1986). Handlungen sind zielgerichtete geistige
Prozesse, die durch Bedürfnisse veranlasst und
aufrechterhalten werden. Handeln ist nach dieser
Definition nicht zwingend darauf angewiesen,
dass Menschen die Umwelt durch körperliche
Tätigkeit oder durch den Gebrauch der Spra-
che in ihrem Sinne beeinflussen oder verändern.
Bereits rein gedankliche Operationen, wie das
Planen oder die Erzeugung einer Vorstellung
von Objekten, wären aus psychologischer Sicht
Handlungen, vorausgesetzt, dass sie mit einem
Ziel verbunden sind.
Handeln als Regelkreis
Theoretische Modelle des Handelns gehen
davon aus, dass man geistige Prozesse als
Regelkreise beschreiben kann (Miller et al.
1960; Neisser 1976). Was getan werden muss
und welche Handlungen dafür notwendig sind,
wird durch die Erfüllung von gedanklich vor-
weggenommenen Ziel- oder Soll-Zuständen
bestimmt: Man tut etwas so lange, bis ein
jeweils übergeordnetes Ziel erreicht ist. Um ein
übergeordnetes Ziel zu erreichen, ist es i. d. R.
notwendig, dieses Ziel auf viele kleine prakti-
sche Unterziele (und damit Einzelhandlungen)
herunterzubrechen. Während man diese gedank-
liche Struktur abarbeitet, laufen die Denk-
prozesse zwischen den hierarchisch geordneten
Zielen (Kap. 7) „auf und ab“. Im Fallbeispiel
bestand die gedankliche Struktur des Notarztes
aus einem Oberziel (den Patienten am Leben
zu erhalten), das in etliche Teil- und Zwischen-
ziele (Anlegen venöser Zugänge, Intubation,
Einbringen einer Thoraxdrainage) zerfiel.
Unbewusst stellt man also eine gedankliche Ord-
nung auf, in der die Unterziele der Dringlichkeit
entsprechend hintereinander abgearbeitet wer-
den, bis das Oberziel erreicht ist (Hacker 1986).
4.2 Grundlagen menschlichen Handelns
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70 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
entscheiden musste. Neben offensichtlichen,
externen Kriterien für diese Entscheidung (das
Verletzungsmuster beider Patienten) gab es für
ihn noch weitere, interne Bedürfnisse (nett zu
einer verletzten jungen Frau zu sein?), die um
den Rang der stärksten Absicht konkurrierten.
Existieren konkurrierende Absichten, so muss
sich das autonome System für eine entscheiden,
und im geschilderten Fall war es nicht die Ver-
sorgung des schwerverletzten Patienten. Da die
Entscheidung jedoch autonom erfolgte, war dem
Arzt die Gewichtung seiner Absichten mög-
licherweise nicht bewusst.
Aus medizinischer Sicht war das Handeln
des Notarztes falsch. Der Weg zu dieser falschen
Entscheidung wurde jedoch nicht durch einen
pathologischen Denkmechanismus („mensch-
liches Versagen“) welcher parallel zu richtigem
Denken existiert, sondern durch reguläre psy-
chische Prozesse gebahnt – der Wahl zwischen
zwei konkurrierenden Absichten.
Ganz allgemein lässt sich sagen, dass
Handlungsfehler nicht irrationalen oder
anpassungsgestörten psychischen Mechanis-
men entspringen. Vielmehr nehmen sie ihren
Ursprung in normalen psychologischen Prozes-
sen und folgen daher, genau wie Handlungen
mit richtigem Ergebnis, der Psycho-Logik des
menschlichen Handelns. Die Beweggründe für
das Handeln fühlen sich für den Handelnden
stimmig an; sie sind „lokal rational“ (Woods und
Cook 1999).
Handlungsfehler sind nicht schicksalhaft
Obwohl Handlungsfehler normalen psychischen
Prozessen entspringen, sind sie kein unvermeid-
bares und damit „schicksalhaftes“ Ereignis, das
man machtlos hinnehmen müsste. Umstände,
die Handlungsfehler begünstigen („latente
Faktoren“, Reason 1997) können im Vorfeld
analysiert und entschärft werden (Kap. 3);
Arbeitsplätze sowie Organisationsstrukturen
können langfristig so umgestaltet werden, dass
sie Fehler vermeiden helfen. Und selbst Feh-
ler, die der Psycho-Logik des Handelns ent-
springen, können dadurch entschärft werden,
und beschreiben. Anhand dieser Beobachtungen
können wir uns eine persönliche Meinung dar-
über bilden, ob wir seine Maßnahmen für
angemessen halten oder nicht. Was allerdings
in ihm vorgegangen ist, welche internen Kräfte
sein Handeln gesteuert haben, was ihn letzt-
lich bewogen hat, so und nicht anders zu han-
deln, das hingegen bleibt uns verborgen. Weil
wir nicht in den Arzt hineinsehen können, blei-
ben einige der wirklich interessanten Fragen
ungeklärt: Warum hat er angesichts der beiden
Trauma-Patienten dieses Verhalten gewählt? War
ihm klar, was er tat, oder war er so im Augen-
blick gefangen, dass er mit seinen Gedanken
ausschließlich bei seiner Patientin war? War ihm
bewusst, dass die aktuellen medizinischen Emp-
fehlungen zur Versorgung von Patienten mit per-
forierender Thoraxverletzung ihm ein anderes
Vorgehen nahegelegt hätten?
Um einer Antwort näherzukommen, müssen
wir auf Theorien der menschlichen Handlungs-
regulation zurückgreifen, deren Bestandteile
bereits ausgeführt wurden. Da aus ihr ersicht-
lich wird, wie Kognition, Motivation und
Emotion in die Kontrolle menschlichen Ver-
haltens in komplexen und dynamischen Situ-
ationen integriert sind (Dörner 1999, 2008),
lassen sich einige Postulate ableiten, die für das
Verständnis von Fehlern in der Akutmedizin
bedeutsam sind. Manche Handlungsweisen des
Notarztes werden dadurch möglicherweise ver-
ständlich.
Handeln, das im Rückblick fehlerhaft war,
wird mit einer ganz konkreten Absicht
begangen.
Medizinisch gesehen hat der Notarzt einen Feh-
ler begangen, als er die leicht verletzte Polizistin
und nicht den schwerer verletzten PKW-Fah-
rer zuerst versorgt hat. Daraus lässt sich jedoch
nicht der Umkehrschluss ziehen, dass der Not-
arzt den polytraumatisierten Patienten bewusst
schädigen wollte. Vielmehr war der späte Ver-
sorgungsbeginn dadurch verursacht, dass sich
der Notarzt beim Eintreffen am Unfallort zwi-
schen mehreren konkurrierenden Absichten
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71
4.3 Motivation
4.3.1 Vom Bedarf zur Absicht
Bedarf, Bedürfnis, Motiv
Jeder menschliche Organismus ist beständig
damit beschäftigt, den Unterschied zwischen
dem, was er hat, und dem, was er benötigt, aus-
zugleichen (physiologische Ist-Soll-Differenz).
Kann der Körper diese Differenz nicht mehr
durch Rückgriff auf eigene Reserven decken, so
wird der physiologische Bedarf vom Menschen
als Bedürfnis wahrgenommen (Bischof 1985).
Hunger ist ein solches Bedürfnis, das auf einem
Bedarf an Nährstoffen beruht, der nicht mehr
aus den Körperspeichern gedeckt werden kann.
Sobald ein Bedürfnis wahrgenommen wird, ver-
anlasst dies zum Handeln. In der Psychologie
sind in den vergangen 100 Jahren etliche Lis-
ten möglicher Grundbedürfnisse erstellt worden
(z. B. Reiss 2004). Letzten Endes können sie auf
wenige Klassen von Grundbedürfnissen zurück-
geführt werden: Existenzielle Bedürfnisse,
Sexualität, soziale Bedürfnisse (z. B. Nähe/Affi-
liation, Status, Legitimität) und informationelle
Bedürfnisse (z. B. Wissen, Sicherheit, Neugier,
Kompetenz; Dörner 1999; Dörner und Güss
2013). Die nicht-physiologischen Bedürfnisse
beruhen auf einem Bedarf an Informationen
über die unmittelbare Umwelt, an Beziehungs-
signalen aus dem sozialen Umfeld und an dem
Gefühl, unter den momentanen Anforderungen
handlungsfähig zu sein.
Während Bedürfnis vom wahrgenommenen
Bedarf her definiert ist, bezeichnet ein Motiv ein
Bedürfnis, das mit einem Zielzustand verbunden
ist. Das Ziel eines Motivs ist geeignet, das
Bedürfnis zu befriedigen (Bischof 1985). Für
ein Bedürfnis gibt es aber nicht nur einen, son-
dern meistens mehrere mögliche Zielzustände,
unter denen je nach situativen Umständen aus-
gewählt wird. Hunger kann durch den Gang
in die Kantine oder durch einen Apfel aus der
Kitteltasche befriedigt werden. Deshalb unter-
scheiden sich Menschen trotz gleicher Grund-
bedürfnisse in dem, was sie im Leben anstreben
dass Individuen aufmerksam für ihre eigenen
Denkprozesse werden und dass Teammitglieder
ermächtigt sind, das Agieren der anderen zu
hinterfragen.
Bevor im Folgenden die für die Handlungs-
regulation bedeutsamen psychischen Prozesse
beschrieben werden, fassen wir die Voraus-
setzungen zusammen, die Handeln bestimmen:
Handeln
…ist nur aus der „Psycho-Logik“ der
Handlungsregulation zu verstehen.
…vereint biologische, psychologische
und soziale Prozesse.
…ist von der Entwicklungsgeschichte
des Menschen (Phylogenese), der indi-
viduellen Geschichte (Ontogenese) und
dem „kulturellen Erbe“ beeinflusst.
…ist bewusst und zielgerichtet.
…ist als Tun beobachtbar, wohingegen
die zugrunde liegenden „autonomen“
Prozesse (Motivation, Emotion, Kogni-
tion) dies nicht sind.
…ist als Informationsverarbeitung
erklärbar.
…dient individuellen und sozialen
Bedürfnissen.
…dient auch dann der Befriedigung
von Bedürfnissen, wenn es zu sach-
lichen Fehlentscheidungen führt; diese
entspringen somit normalen und nicht
irrationalen psychischen Prozessen.
u Auch Handeln, das zu Fehlern führt,
wird mit einer ganz konkreten Absicht
(absichtsvoll) begangen. Allgemein lässt
sich sagen, dass Handlungsfehler nicht
irrationalen oder anpassungsgestörten psy-
chischen Mechanismen entspringen. Viel-
mehr nehmen sie ihren Ursprung in normalen
psychologischen Prozessen. Handlungsfehler
folgen eben auch, genau wie richtige Hand-
lungen, der Psycho-Logik des menschlichen
Handelns.
4.3 Motivation
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72 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
u Menschen haben physiologische und
psychologische Bedürfnisse.
Bedürfnisse, die ein geeignetes Ziel
kennen, nennen wir Motive.
Handlungsziele, die durch mehrere
Motive gekennzeichnet sind, nennen
wir Absichten.
Lösung der Absichtskonkurrenz
Abraham Maslow (1943) vertrat die bekannt
gewordene Theorie, dass Bedürfnisse hierar-
chisch gegliedert seien. Innerhalb dieser als
Pyramide darstellbaren Hierarchie unterschied
er fünf aufeinander aufbauende Arten von
Bedürfnissen. Die Basis der Pyramide bil-
den grundlegende physiologische Bedürfnisse,
während psychologische Bedürfnisse (Selbst-
verwirklichung) an der Spitze zu finden sind.
„Höhere“ Bedürfnisse können nach Maslow
(jedenfalls langfristig) erst gestillt werden,
wenn die der jeweils darunterliegenden Stufe
befriedigt wurden. Diese Theorie nach wie
vor sehr weit verbreitet, obwohl sie seitens der
Psychologie breit kritisiert (z. B. Zimbardo
und Gerrig 2008; Heckhausen 2010) und in
und wie sie diese Bedürfnisse befriedigen. Bei
der Ausbildung von Motiven spielen Kultur,
Lerngeschichte und Angebote der Umwelt eine
wichtige Rolle.
Absichten als „Motivamalgame“
Unter den möglichen Zielzuständen wird jedoch
nicht nur ausgewählt. Häufig wird eine ganze
Reihe davon gleichzeitig angegangen. Wenn
mehrere Bedürfnisse zugleich befriedigt wer-
den, sind entsprechend mehrere Motive aktiv.
Geht man beispielsweise in die Kantine, anstatt
für sich alleine einen Apfel zu essen, so tut
man das sowohl zur Befriedigung des Hungers
als auch, um möglicherweise Kollegen zu tref-
fen, Neuigkeiten zu hören oder Informationen
miteinander auszutauschen. Solche mehrfach
determinierten Handlungsziele wie „in die Kan-
tine essen gehen“ bezeichnet man als Absichten:
Eine Absicht ist ein „Motivamalgam“, das aus
verschiedenen Motiven gebildet wird (Abb. 4.2).
Absichten entstehen permanent neu – je nach
Veränderungen der physiologischen und psycho-
logischen Bedarfslage des Organismus – und
treten in Konkurrenz zu anderen Absichten
(Dörner 1999).
Abb. 4.2 Vom Bedarf zur Absicht
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73
mit Vergessen als mit der Absichtsdynamik zu
tun: Es gibt eben ständig wichtigere Absichten.
Sind die Konsequenzen der unbewussten
Absichtskonkurrenz im Alltag oftmals nur ärger-
lich (indem man beispielsweise Mahnungen
über unbezahlte Rechnungen erhält), können
sie sich in kritischen Situationen verhängnisvoll
auswirken. Wie im Folgenden ersichtlich wird,
können nicht sachbezogene Absichten wie die
Aufrechterhaltung des Kompetenzempfindens
statt der Absicht, ein akutes medizinisches Prob-
lem zu lösen, handlungsleitend werden.
4.3.2 Kompetenzempfinden und
Kontrollmotivation
Bei jeder Erledigung von Absichten werden
spezifische Motive befriedigt. Parallel dazu,
quasi in jede Absicht amalgamiert, findet sich bei
Menschen ein sehr starkes und unabhängiges
Bedürfnis nach Kompetenz. Damit ist gemeint,
dass jeder Mensch ein existenzielles Bedürfnis
danach hat, seine Umwelt im Sinne der eigenen
Ziele beeinflussen zu können (z. B. Bandura
1977; Flammer 1990; Flammer und Nakamura
2002; Dörner 1999). Psychologen sprechen hier
auch von der „Kontrollmotivation“. Menschen
wollen mit Bestimmtheit wissen, was um sie
herum geschieht, sie wollen Klarheit über Fakten
und Gewissheit über zukünftige Entwicklungen
haben. Das Kompetenzempfinden erscheint sub-
jektiv entweder als Gefühl, den Anforderungen
einer Situation gewachsen zu sein, oder als
Gefühl der Hilflosigkeit und Angst. Hat eine Per-
son angesichts einer bedrohlichen Situation das
Gefühl, den weiteren Verlauf der Dinge in keiner
Weise beeinflussen zu können, so kann das Maß
an empfundener Hilflosigkeit weit über alltäglich
erlebte Gefühle hinausgehen und für die mensch-
liche Psyche existenziell bedrohlich werden
(Seligman 2000).
Der jeweilige Zustand der Kompetenz wird
als Kompetenzgefühl wahrgenommen. Sinkt
es ab, weil man sich inkompetent, unsicher
und nicht mehr handlungsfähig fühlt, wird das
empirischen Studien (z. B. Wahba und Bridwell
1976) schon früh widerlegt wurde. Dass sie so
nicht stimmen kann weiß jede und jeder in der
Akutmedizin aus eigenem Erleben, wo man sich
in Situationen befand, in denen man über Stun-
den weder essen noch auf die Toilette gehen
muss, weil ein Patient die volle Aufmerksamkeit
beansprucht. Wenn Bedürfnisse in Konkurrenz
zueinander stehen können, es aber keine ein-
deutige Hierarchie gibt, anhand derer dieser
Konflikt gelöst werden kann, muss auf einen
anderen Auswahlmechanismus zurückgegriffen
werden. Hier wird
die Auswahl nach Wichtigkeit und Erfolgs-
erwartung und
die Idee der Abschirmung der aktuellen
Absicht
vertreten (Dörner 1999; Kuhl 1983). In die-
sem Auswahlmechanismus erhält jede Absicht
ein „Aktualitätsgewicht“, das sich (multi-
plikativ) aus der aktuellen Wichtigkeit und
der Erfolgserwartung bestimmt. Wenn etwas
komplett unwichtig ist oder wenn man keine
Hoffnung auf Erfolg hat, wird es nicht getan
(Gewicht = 0). Ist eine Absicht hingegen wichtig
und der Erfolg bei der Durchführung so gut wie
sicher, wird es getan. Die Aussicht auf Erfolg
wird dabei wesentlich von der Einschätzung der
eigenen Kompetenz (s. u.) beeinflusst und ist
nichts, was objektiv gegeben wäre (Dörner und
Güss 2013). Sind mehrere Absichten gleichzeitig
vorhanden, wird diejenige mit dem höchsten
Gewicht ausgeführt. Somit gewinnt jeweils eine
Absicht die Oberhand und verdrängt weniger
wichtige Absichten. Besteht nur ein bestimmtes
Zeitfenster zur Erledigung einer Absicht, nimmt
mit der Zeit – wenn sie dringlich wird – das
Gewicht dieser Absicht zu. Dringlichkeit setzt
den Wichtigkeitsfaktor hoch. Weniger wich-
tige Absichten erhalten dadurch zu bestimmten
Zeiten eine Chance auf Erledigung, wenn eben
gerade „nichts Wichtigeres ansteht“; sie können
aber auch permanent ins Hintertreffen geraten
(Dörner 1999). Dass scheinbar unwichtige Vor-
haben wie Telefonanrufe, Dokumentation und
andere „Kleinigkeiten“ entfallen, hat weniger
4.3 Motivation
gesine.hofinger@team-hf.de
74 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
Fehleinschätzungen der Kompetenz
Das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten unter-
liegt jedoch Fehleinschätzungen, sodass die
Einschätzung der eigenen Kompetenz und die
tatsächlichen Handlungsfähigkeiten deutlich
voneinander abweichen können.
Im Falle der Überschätzung fühlt man
sich in der Lage, etwas zu tun, obwohl die
tatsächlichen Fähigkeiten hinter der Ein-
schätzung zurück bleiben und plant daher
tendenziell riskantere Handlungen.
Im Falle einer Unterschätzung der eigenen
Kompetenz agiert man defensiv und unter-
lässt möglicherweise hilfreiche Handlungen.
Kompetenzschutzbezogene Rationalität
Undurchsichtige Notfallsituationen in Ver-
bindung mit geringen Erfolgsaussichten des
eigenen Handelns können zum Absinken des
Kompetenzgefühls und zur Aktivierung des
Kontrollmotivs führen. Es wird dann (kurz-
fristig) das Ziel priorisiert, das Gefühl der Kom-
petenz wiederzuerlangen (Abb. 4.3). Man tut
dann das, was man sicher kann und was unter
vergleichbaren Bedingungen früher erfolg-
reich war. Um einer weiteren Bedrohung des
Kompetenzgefühls vorzubeugen, suchen Men-
schen nur noch nach Information, die ihre
momentane Vorstellung über die Realität und
über das zugrunde liegende Problem bestätigen
(confirmation bias, Kap. 6), und blenden sol-
che Informationen aus, die diese Vorstellung
in Frage stellen könnten. Somit wird aber das
Gefühl der Handlungskompetenz und nicht mehr
das Problem des Patienten Ziel des Handelns.
Kommen im weiteren Verlauf der Patienten-
versorgung zur hohen Unbestimmtheit noch
Misserfolge und Bedrohungserlebnisse dazu,
kann die Sicherung des Kompetenzempfindens
zum alles bestimmenden Motiv werden. Eine
sachbezogene Auseinandersetzung mit der kri-
tischen Situation wird dann unmöglich, weil
Handlungen nicht mehr zum Wohle des Patien-
ten, sondern nur noch zur eigenen Verteidigung
ausgewählt werden. Die dabei entstehenden
Handlungsfehler finden ihre psychologische
Begründung in der kompetenzschutzbezogenen
Rationalität (Strohschneider 1999, 2002).
Kontrollmotiv aktiv. Aufgrund seiner existen-
ziellen Bedeutung „gewinnt“ das Kontrollmotiv
häufig gegen andere Motive – das konkrete
Handeln wird dann (unbewusst) durch das Ziel
der Wiedererlangung des Kompetenzgefühls
bestimmt und nicht mehr von den (bewussten)
Sachzielen.
Kompetenz und Kontrolle
Kontrollmotivation und Kompetenz-
bedürfnis beschreiben das existenzielle
Bedürfnis jedes Menschen, Sicherheit
über den Zustand der gegenwärtigen
Situation, Gewissheit über zukünftige
Entwicklungen und Einflussmöglich-
keiten auf die Umwelt im Sinne der
eigenen Ziele zu haben.
Das Kompetenzgefühl ist die Wahr-
nehmung der eigenen Kontrollmöglich-
keiten.
Das Kompetenzbedürfnis wird hand-
lungsleitend, wenn das Kompetenz-
gefühl bedroht ist.
Notfälle in der Akutmedizin sind ein Beispiel für
schlecht durchschaubare Situationen, in denen
es für Menschen schwer sein kann, ihre Umwelt
erfolgreich zu beeinflussen. Die Möglichkeit,
den weiteren Verlauf zu kontrollieren, ist oft-
mals gering. Weil geringe Kontrollierbarkeit
einer Situation das Kompetenzgefühl stark
beeinträchtigt, gilt für das Handeln unter kom-
plexen und dynamischen Umweltbedingungen
grundsätzlich, dass man (unbewusst) die
Undurchsichtigkeit und Unbestimmtheit einer
Situation nicht zuletzt auch deswegen reduzie-
ren möchte, damit die Bedrohung für das eigene
Gefühl der Kompetenz verschwindet. Wie
erfolgreich jemand darin ist, hängt von Wissen,
Fähigkeiten und Fertigkeiten und dem Zutrauen
in die eigenen Fähigkeiten ab.
u Handeln unter komplexen und dynamischen
Umweltbedingungen ist immer auch auf eine
Verringerung von Unbestimmtheit durch die
Kontrolle der Handlungsumwelt gerichtet.
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75
Störung des Denkens. Man kann Emotionen aber
auch als eine andere Art von Informations-
verarbeitung auffassen, ein „Denken neben
dem bewussten Denken“ („System 1 Prozesse“;
Kap. 6). In dieser Perspektive sind Emotio-
nen eine unbewusste, schnelle, ganzheitliche
Bewertung der aktuellen Situation oder eines
Ereignisses (z. B. Cochran et al. 2006; Evans
2008). Diese Bewertung verläuft augenblicklich
und automatisch ab und verarbeitet wesentlich
mehr Informationen, als der bewussten Wahr-
nehmung zugänglich sind (Kap. 5).
u Emotionen stellen eine unbewusste, schnelle
und ganzheitliche Bewertung der aktuel-
len Situation dar, ein „Denken neben dem
bewussten Denken“.
Diese „zusammenfassende Situationsbewertung“
wird immer entweder von Lust oder Unlust
begleitet und führt zu einer physiologischen
Aktivierung (z. B. Scherer und Ekman 1984;
Dörner 1999). Die Gesamtheit der Situations-
bewertung mit Aktivierung und Lust/Unlust
bezeichnet man als Gefühl. Wenn sich die
gefühlsmäßige Bewertung einer Situation
und die Bewertung durch das bewusste Den-
ken unterscheiden, so liegt dies häufig daran,
dass beide unterschiedliche Informationen
verwenden und daher auch zu unterschiedlichen
u Kompetenzschutzbezogene Rationalität:
Menschen versuchen, durch Handeln das
Gefühl der Handlungskompetenz zurückzu-
gewinnen, wenn die Sachprobleme unlösbar
scheinen. Sie nehmen beispielsweise selektiv
diejenige Information wahr, die sie in ihrem
Bild der Situation bestätigt.
4.4 Emotionen
Neben dem Denken und den Motiven spielen
Emotionen eine wichtige Rolle in der Regu-
lation des menschlichen Handelns. Während
Motive bestimmen, was wir tun, beeinflussen
Emotionen die Art und Weise wie wir es tun
(Dörner und Güss 2013). Sie dienen dazu, das
Handeln an die jeweilige Situation anzupassen
(Güss und Dörner 2017).
4.4.1 Was sind Emotionen und
Gefühle?
Gefühle werden oft als etwas Eigenständiges
erlebt, etwas vom Denken Getrenntes, das aus
dem „Bauch“ heraus entsteht und sich in den
Vordergrund drängen will. Da Gefühle ungefragt
erscheinen und gelegentlich sehr heftig werden
können, wirken sie wie eine unwillkommene
Abb. 4.3 Kompetenzschutzbezogene Rationalität
4.4 Emotionen
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76 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
darin begründet, dass die gefühlte Einschätzung
der Lage vor allem zwei Beurteilungsgrößen
verändert hat: Die Frage, ob eine Situation als
unvorhersehbar und undurchsichtig erlebt wird,
und die Einschätzung, wie kompetent man sich
angesichts der Anforderungen fühlt (Belavkin
und Ritter 2003). Das Ergebnis beider gefühls-
bedingten Einschätzungen hat einen Einfluss
darauf, welche Handlungen ausgewählt und
wie diese dann durchgeführt werden (Dörner
1999; Dörner und Güss 2013). Sieht man sich
die geänderte Einschätzung der Fremdheit einer
Situation und der eigenen Kompetenz darauf
hin an, welche Parameter der Wahrnehmung,
des Denkens und Handelns (psychische
Einstellgrößen) durch Emotionen verändert wer-
den, so sind es
Aktivierung,
Auflösungsgrad,
Selektionsschwelle und
Externalisierung.
Aktivierung
Manche Gefühle (z. B. Ärger, Freude, Angst)
verleihen Menschen einen „Energieschub“.
Dieses als allgemeines unspezifisches
Sympathikussyndrom (AUSS) bekannte Phä-
nomen führt zu einer erhöhten Wahrnehmungs-
und Handlungsbereitschaft, Sensibilisierung
der Sinnesorgane, muskulärer Vorspannung und
zu höherer Herz- und Atemfrequenz (Kap. 9).
Andere Gefühle wie Trauer verringern die Akti-
vierung. Die Aufregung einer Notfallsituation ist
meistens mit erhöhter Aktivierung verbunden.
Auflösungsgrad
Je nach emotionaler Situation wird ein Wahr-
nehmungs- oder Denkprozess mit einem ande-
ren Auflösungsgrad und folglich unterschiedlich
genau ablaufen. Mit dem Begriff „Auflösungs-
grad“ ist der Grad an Differenzierung und Dis-
kriminierung von Wahrnehmung und Kognition
gemeint (Dörner 1999). Die „Bewertung der
Fakten“ kann detailliert und unter eingehender
Prüfung ablaufen (hoher Auflösungsgrad), oder
indem einfach einige wenige, besonders hervor-
stechende Eigenschaften der Situation in die
Ergebnissen kommen. Sobald sie erlebt werden,
können Gefühle wie andere Wahrnehmungs-
inhalte auch weiter verarbeitet werden. Der
Ursprung eines Gefühls kann analysiert und die
Intensität des Erlebens durch Metakognition und
Selbstinstruktionen verändert werden (Güss und
Dörner 2017).
Gefühle begleiten nicht nur das Handeln,
sie können auch das Ziel von Handlungen wer-
den. So kann man Entscheidungen verzögern,
weil man die Unlustgefühle eines erwarteten
Misserfolgs vermeiden möchte oder Hand-
lungen herbeiführen, weil man sich durch die
erwarteten Erfolgsgefühle beflügelt fühlt.
In Situationen, in denen die kognitiven
Ressourcen überlastet sind, kommt es, wie
bereits ausgeführt, zu einer Verschiebung der
Gewichtung innerhalb der „Psycho-Logik des
Handelns“. Menschen führen eine kognitive
Analyse der Sachlage nur noch ansatzweise
durch und schalten stattdessen auf einen emotio-
nalen Handlungsstil um (z. B. Lantermann 1985;
Spering et al. 2005). Es werden dann schnelle
und einfache Lösungen bevorzugt, die danach
beurteilt werden, ob sie „emotional stimmig“
sind. Dies führt besonders dann zu sachlich
inadäquaten Entscheidungen, wenn das Hand-
lungsziel (unbewusst) vor allem die Aufrecht-
erhaltung des eigenen Kompetenzgefühls ist
oder in der Vermeidung weiterer negativer Emo-
tionen liegt.
4.4.2 Emotionen und
Handlungsregulation
Es ist eine alltägliche Erfahrung, dass der emo-
tionale Zustand einer Person großen Einfluss
darauf hat, wie an eine Aufgabe herangegangen
wird. Ist ein Mensch verärgert, so wird sich
seine Planung durch eine starke „Macher-Ten-
denz“, geringe Vorausschau und großzügige
Annahmen bezüglich der Ausführbarkeit des
Plans auszeichnen. Bei einem „ärgerlichen“
Planer beeinflussen Emotionen die Art und
Weise des Planens in anderer Weise, als es bei
einem ruhig-konzentriert vorgehenden Men-
schen der Fall sein wird. Der Unterschied liegt
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77
konzentrieren (und wie man ihn los wird),
anstatt ihr Denken auf ein Problem zu richten:
Teammitglieder anzuschreien, anstatt konstruk-
tive Fragen zu stellen, kann ein Resultat von
Externalisierung sein.
Eine Veränderung dieser vier Parameter wird
immer von Empfindungen der Lust oder Unlust
begleitet sein.
4.5 Wissen, Gedächtnis und Lernen
4.5.1 Wissen und Schemata
Unser Wissen besteht aus den Dingen, die
wir gelernt und im Laufe unseres Lebens
erfahren haben. Wissen ist nicht in Form von
ungeordneten Einzelinformationen, sondern in
kleinen sinnvollen Einheiten, sog. Schemata
(Selz 1913; Bartlett 1932) gespeichert. Schemata
sind in neuronalen Netzen vorliegende Daten-
strukturen, in denen die Regelmäßigkeiten in
der Welt und persönliche Erfahrungen mit der
Umwelt abgespeichert sind (Cohen 1989). Sche-
mata liegen allen Aspekten des menschlichen
Wissens und Könnens zugrunde und verleihen
aller Wahrnehmung ihre Struktur (Kap. 6): Sie
beinhalten die Bedeutung sensorischer Eindrücke
(sensorisches Wissen), das Wissen darüber, wie
etwas gemacht wird („Know-how“, Prozess-
wissen), und das Wissen, mit welchen Begriffen
Objekte, Tätigkeiten und Fakten beschrieben
werden können („Know-what“; Begriffswissen).
Darüber hinaus können Schemata auch
Erwartungen bezüglich der Umwelt beinhalten
(Erwartungsschema): Das kognitive System
des Menschen reagiert auf jede Situation mit
Wissensstrukturen, die vieles von dem, was wohl
erscheinen wird, vorwegnehmen (Erwartungs-
horizont, Kap. 8). Manchmal „sehen“ oder
„hören“ wir sogar Dinge, wie die Bestätigung
einer Anweisung, einfach deswegen, weil wir sie
erwartet haben. Dadurch haben Schemata auch
eine interpretative und schlussfolgernde Funk-
tion, die aus den zugrunde liegenden Informatio-
nen mehr macht als „eigentlich“ vorhanden ist.
Fehlende Daten werden durch Erwartungswerte
Bewertung einbezogen werden (niedriger Auf-
lösungsgrad). Wie gründlich man sich mit einer
Situation auseinandersetzt, hängt neben den
Emotionen auch noch von der Wichtigkeit der
Situation und dem subjektiv empfundenen Zeit-
druck ab. Für die Akutmedizin bedeutet dies,
dass der Einfluss der Gefühle ein unterschied-
lich grobes oder detailreiches Bild der Situation
liefern kann. Nimmt man sich einer Aufgabe
nur widerwillig an, so werden Wahrnehmung
und Denken von einem geringeren Auflösungs-
grad begleitet sein, als wenn man sich seiner
Lieblingsbeschäftigung widmen darf. Die wider-
willige Beschäftigung mit einer Aufgabe ist
dann eher oberflächlich und „grobkörnig“.
Selektionsschwelle: Konzentration
Gefühle beeinflussen die Wahrscheinlichkeit,
mit der von außen kommende Information die
Aufmerksamkeit einer Person auf sich zie-
hen und sie zu einer Änderung ihres Handelns
bewegen können (Häufigkeit von Absichts-
wechsel): Eine starke Aktivierung erhöht die
Auswahlschwelle (Selektionsschwelle), ab der
ein neues Motiv das handlungsleitende „ver-
drängen“ kann. Wenn die Auswahlschwelle hoch
ist, ist man ganz und gar bei einer Sache, ohne
ständig abgelenkt zu sein. Ist sie zu hoch, ist
man nicht mehr fähig, auf externe Auslöser zu
reagieren: Weder Monitoralarme noch Anfragen
von Teammitgliedern können diese „Mauer
der Aufmerksamkeit“ durchbrechen (Kap. 8).
Solange die Sorge um die verletzte Beamtin
groß war, hat der Notarzt möglicherweise nur
an ihre Versorgung und nicht an den zweiten
Patienten gedacht. Hilflosigkeit hingegen senkt
die Auswahlschwelle, man tut alles, was einem
gerade in den Sinn kommt, in der Hoffnung,
irgendetwas zu bewirken: Man beginnt „herum-
zuwurschteln“.
Externalisierung des Handelns
Gefühle beeinflussen das Ausmaß, mit dem sich
die Aufmerksamkeit nach außen auf die Situ-
ation oder nach innen auf Denken, Planen und
Reflexion richtet. Dies wiederum entscheidet
darüber, wie sehr man von einer Situation
„getrieben“ wird. Ärgerliche Personen beispiels-
weise werden sich auf den Auslöser ihres Ärgers
4.5 Wissen, Gedächtnis und Lernen
gesine.hofinger@team-hf.de
78 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
und Motivation in Verhaltensprogrammen wirk-
sam. Die einzelnen Inhalte des Gedächtnisses
sind assoziativ miteinander verknüpft, was einen
ungemein schnellen Aufruf relevanter Informa-
tion erlaubt.
Das Gedächtnis ist aufgrund dieser Struktur
aktiv und damit kein Computer, bei dem Infor-
mation als Wissen auf eine Festplatte kopiert
wurde, welches bei Bedarf nur abgelesen wer-
den muss. Die im Gedächtnis „abgelegten“
Inhalte werden vielmehr kontinuierlich ver-
ändert und umorganisiert, so wie es den aktu-
ellen Bedürfnissen und der Lebenssituation am
besten entspricht. Erinnerungen sind somit eher
Rekonstruktionen als Datenabrufe. Gedächt-
nisinhalte werden also verändert, aber auch neu
hinzugefügt und auch wieder vergessen. Wel-
che Informationen wann und in welcher Form
ins Gedächtnis übernommen und ob und wie sie
wieder abgerufen werden, ist abhängig von Vor-
erfahrungen, Gefühlen, der Situation oder der
Tagesform. Auch Gewohnheiten beeinflussen
das Gedächtnis: Schemata, die häufig aktiviert
werden, können leichter und schneller wieder
aufgerufen werden.
u Das Gedächtnis ist kein Computer, bei
dem Information als Wissen auf eine Fest-
platte kopiert und bei Bedarf abgelesen
wird. Vielmehr werden die im Gedächtnis
„abgelegten“ Inhalte kontinuierlich verändert
und umorganisiert, sodass Erinnerungen eher
Rekonstruktionen als Datenabrufe sind.
Das menschliche Gedächtnis ist keine homo-
gene Funktionseinheit, die im Gehirn lokalisiert
werden könnte. Die meisten Wissenschaftler
stimmen aber darin überein, dass es ver-
schiedene Gedächtnisfunktionen gibt (Überblick
in Anderson 2014; Wickens 1992): Sensorischer
Input wird nur für sehr kurze Zeit gespeichert
(„sensorisches Gedächtnis“) Der Inhalt dieses
Inputs kann weiter verarbeitet werden und wird
so zu bedeutsamen Wahrnehmungen, die in das
Arbeitsgedächtnis oder ins Langzeitgedächtnis
transferiert werden können. Die Struktur des
Gedächtnisses wird in Kap. 5 ausführlicher dar-
gestellt.
aufgefüllt. Diese Eigenschaften der Schemata
spielen bei der Wahrnehmung (Kap. 5) eine ent-
scheidende Rolle.
u Unter Schema fasst man das allgemeine Wis-
sen über ein Ereignis oder einen Gegenstand,
das auf der Grundlage vorausgegangener
Erfahrung entstanden ist.
Das in Schemata gespeicherte Prozesswissen
bildet die Grundlage für menschliches Han-
deln. Es besteht aus „Wenn-Dann“-Abläufen,
die anhand von Erwartungen und dem Ergeb-
nis einer Handlung überprüft werden (Aktions-
schema): Ist ein bestimmter Sachverhalt
gegeben, dann soll etwas Bestimmtes getan
werden, und sobald dies getan ist, wird etwas
Erwartetes eintreten.
Werden mehrere Aktionsschemata aneinan-
dergereiht, so erhält man ein Verhaltens-
programm oder Skript (Schank und Abelson
1977). Verhaltensprogramme sind die Folge von
Wahrnehmungs-, Klassifizierungs-, Bewertungs-
und Entscheidungsschritten, in denen Menschen
für ähnliche Umweltanforderungen eine Reihe
von erfolgreichen Denk- und Handlungsroutinen
abgelegt haben. Verhaltensprogramme können
einerseits ohne großen Aufwand in den ent-
sprechenden Situationen „abgefeuert“, anderer-
seits aber auch situativ angepasst und verändert
werden. Verhaltensprogramme von Akutme-
dizinern sind die Auskultation, das Blutdruck-
messen, das Legen peripher-venöser Zugänge
oder die Intubation. Beide Skripten bestehen
aus vielen Einzelschritten und können je nach
den Besonderheiten des Patienten modifiziert
werden.
4.5.2 Gedächtnis
Mit dem Gesagten ist auch schon eine ein-
fache Struktur des menschlichen Gedächt-
nisses beschrieben (Überblick in Anderson
2014; Dörner und van der Meer 1994; Dörner
1999): Wissen liegt in neuronalen Netzwerken
aus Schemata zusammengesetzt vor und wird
durch die Verbindung von Sensorik mit Motorik
gesine.hofinger@team-hf.de
79
4.5.3 Absichten und Gedächtnis:
Prospektives Gedächtnis
Da ihn die Therapie des kreislaufinstabilen
Patienten ganz in Beschlag nimmt, fällt dem
Notarzt erst kurz vor dem Eintreffen im Schock-
raum ein, dass er die Zielklinik eigentlich vorab
hatte informieren wollen, dass ein Thoraxchirurg
im Schockraum anwesend sein sollte: Er hatte
sich etwas vorgenommen, dann aber seine Inten-
tion wieder „vergessen“. Erst die Vorstellung des
ihn erwartenden Schockraumteams lässt ihm
wieder „einfallen“, dass da noch etwas gewesen
war, was er hatte tun wollen. Sein prospektives
Gedächtnis hatte ihn im Stich gelassen.
Als prospektives (vorausschauendes)
Gedächtnis (Absichtsgedächtnis) bezeichnet
man die Fähigkeit, sich zur richtigen Zeit
an eine zuvor gefasste Handlungsabsicht zu
erinnern, gewissermaßen eine Erinnerung an die
Zukunft zu behalten. (Brandimonte et al. 1996).
Streng genommen ist die Bezeichnung prospek-
tives „Gedächtnis“ etwas irreführend, da das
prospektive Gedächtnis auf vielen kognitiven
Funktionen beruht, die über die reine Gedächt-
nisfunktion hinausgehen:
Zielbildung,
Planen,
das Management der Aufgabe und
Aufmerksamkeitssteuerung
spielen hierbei eine wichtige Rolle. Viele Aktivi-
täten des alltäglichen Lebens erfordern pros-
pektive Gedächtnisleistungen, angefangen von
der Frage, wo man sich mit einem Freund tref-
fen wollte bis hin zur regelmäßigen Einnahme
von Medikamenten. Weil dieses verzögerte
Realisieren von Intentionen eine der im All-
tag am häufigsten in Anspruch genommenen
Gedächtnisfunktionen ist, verwundert es nicht,
dass prospektive Gedächtnisfehler (landläufig
als „Vergesslichkeit“ bezeichnet) mehr als die
Hälfte der alltäglichen Gedächtnisprobleme aus-
machen (Kliegel und Martin 2010): Wir neh-
men uns etwas vor, aber vergessen dann, es zum
Da Denken nur dann funktionieren kann,
wenn Menschen ihr momentanes Erleben mit
vorhergehender Erfahrung vergleichen können,
müssen sie in der Lage sein, sowohl auf die
überdauernden Informationen im „Langzeit-
gedächtnis“ als auch auf die kurzfristig ver-
fügbaren Gedächtnisinhalte der Wahrnehmung
zuzugreifen. Die Gedächtnisinhalte, die in
einem Moment aktiviert sind, und mit denen das
Denken arbeitet, werden als „Arbeitsgedächt-
nis“ bezeichnet (früher Kurzzeitgedächtnis).
Das Arbeitsgedächtnis ist kein eigener Speicher,
sondern eine Benennung der aktuell aktiven
Schemata. Es gibt viele komplexe Interaktionen
auf dem Weg von einem situativen Hinweis
(oder Reiz) zu einer Reaktion. In Kap. 5 wird
auf die vereinfachten Interaktionen zwischen
Wissen (z. B. Langzeitgedächtnis), Wahr-
nehmung (z. B. sensorische Reize) und Denken
(z. B. Arbeitsgedächtnis) näher eingegangen.
Um das eben Erlebte in das Gedächtnis auf-
nehmen zu können, verfügen Menschen über
eine Art „Protokoll“ des Geschehens. Dieses
„Protokollgedächtnis“ (Dörner 1999) hält die
aktuellen gedanklichen Operationen fest und fil-
tert Einheiten heraus, die wichtig und relevant
sind. Wichtig und relevant ist, was zielführend
und lustvoll oder im Gegenteil erfolglos und
schmerzhaft war. Damit funktioniert auch das
Gedächtnis nicht logisch, sondern „psycho-lo-
gisch“: Es werden diejenigen Geschehnisse aus
dem Protokollgedächtnis langfristig gespeichert,
die etwas mit der erfolgreichen Befriedigung
oder dem starken Ansteigen von Bedürfnissen
zu tun haben. Der Auswahlprozess anhand die-
ser wenigen Kriterien genügt, um das mensch-
liche Erfahrungs- und Handlungsrepertoire
erheblich auszuweiten. Der irrelevante Rest fällt
schnell dem Vergessen anheim.
u Auch das Gedächtnis arbeitet „psycho-lo-
gisch“: Es werden vor allem diejenigen Infor-
mationen langfristig gespeichert, die etwas
mit der erfolgreichen Befriedigung oder dem
starken Ansteigen von Bedürfnissen zu tun
haben.
4.5 Wissen, Gedächtnis und Lernen
gesine.hofinger@team-hf.de
80 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
spektiven Gedächtnisfehlern schon frühzeitig
festgestellt werden konnte (Übersicht bei Dis-
mukes 2008), ist die Relevanz des prospektiven
Gedächtnisses für die Patientensicherheit in der
Akutmedizin erst in den letzten Jahren in den
Fokus gerückt (z. B. Dieckmann et al. 2009;
Glavin 2011; Grundgeiger et al. 2013). Diese
Studien zeigen, dass es eine ganze Reihe an Fak-
toren gibt, die momentan Wesensbestandteil des
Gesundheitswesens sind, aber zugleich einen
negativen Einfluss auf das prospektive Gedächt-
nis haben: hohe Intensität der augenblicklichen
Aufgabe, Ablenkung, parallele Aufgaben, Ver-
spätungen und der Einfluss von Müdigkeit,
Unterbrechungen. Am Beispiel der Unter-
brechungen wird die nicht sicherheitsförderliche
Organisation der Arbeit besonders deutlich: bei-
spielsweise kann es in einem Operationssaal im
Durchschnitt zu mehr als 4 Unterbrechungen
je OP bzw. fast 10 Unterbrechungen je Stunde
kommen (Antoniadis et al. 2014). Dass Unter-
brechungen die Fehlerhäufigkeit erhöhen, wurde
inzwischen vielfach gezeigt (z. B. aktuell Sand-
erson et al. 2019). Auch wenn die Auswirkungen
je nach Art und Anlass der Unterbrechung unter-
schiedlich sind (für ICU: Drews et al 2019),
erhöhen Unterbrechungen die Risiken für
Patienten. Hinzu kommt: Wenn zwei Aufgaben
gleichzeitig ausgeführt werden, werden diese
nach einer Unterbrechung langsamer und mit
Fehlern wieder aufgenommen (Sasangohar et al
2017).
4.5.4 Lernen
Lernen ist untrennbar mit dem Gedächtnis ver-
bunden. Umgangssprachlich kann unter Lernen
der Erwerb von Wissen, Fertigkeiten und Kön-
nen verstanden werden. In der Lernpsychologie
gibt es zwei grundlegende Herangehensweisen
an Lernen: Lernen wird untersucht als Ver-
haltensänderung oder als Informationsver-
arbeitungsprozess. Die erste Lesart fasst Lernen
als relativ überdauernde Veränderung von Ver-
halten oder Verhaltensmöglichkeiten auf, die
durch Erfahrung und Übung erfolgt (also nicht
gegebenen Zeitpunkt in die Tat umzusetzen; wir
wissen noch, dass wir jetzt irgendetwas machen
wollten, aber haben keinen Schimmer mehr, was
genau das eigentlich war. Typischerweise ist der
Zeitraum zwischen unserem Entschluss und dem
kurzen Zeitfenster, innerhalb dessen das Vor-
haben ausgeführt werden soll, mit Tätigkeiten
angefüllt, die in keiner Beziehung zu dem Vor-
haben stehen. Ein wesentlicher Aspekt des pros-
pektiven Gedächtnisses besteht somit darin, dass
niemand anderes uns explizit daran erinnert,
dass es Zeit ist, die momentane Handlung zu
unterbrechen und die gespeicherte Intention aus
dem Gedächtnis abzurufen. Wir müssen „daran
denken, an etwas zu denken“.
u Als prospektives (vorausschauendes)
Gedächtnis bezeichnet man die Fähigkeit,
sich zur richtigen Zeit an eine zuvor gefasste
Handlungsabsicht zu erinnern, gewisserma-
ßen „daran zu denken, an etwas zu denken“.
Prospektive Gedächtnisfehler (landläufig als
„Vergesslichkeit“ bezeichnet) machen mehr
als die Hälfte der alltäglichen Gedächtnis-
probleme aus.
Patientenversorgung in der Akutmedizin fordert
häufig, sich etwas vorzunehmen, das man nach
anderen Tätigkeiten zu einem bestimmten Zeit-
punkt tun will: Rechtzeitig an die perioperative
Antibiose vor dem Hautschnitt denken, wieder-
holt den Serumkaliumspiegel überprüfen, wenn
ein Kaliumperfusor läuft oder die Heparinisie-
rung am Ende einer gefäßchirurgischen Ope-
ration zu antagonisieren. In jedem dieser Fälle
muss eine Absicht trotz der Konkurrenz anderer
Motive aufrechterhalten werden und es muss
Information im Arbeitsgedächtnis aktiv bereit-
gehalten oder wieder bereitgestellt werden, die
jetzt im Moment nicht relevant ist. Manchmal
wird eine Handlung unterbrochen, weil sich eine
gute Gelegenheit bietet, zwischendurch etwas
anders zu erledigen – und dann vergisst man, zur
ersten Handlung zurückzukehren (Dörner und
Güss 2013).
Während für die zivile Luftfahrt ein
Zusammenhang zwischen Unfällen und pro-
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81
Kompetenz und nach Sicherheit Lernen motivie-
ren.
Haben Handlungen nicht den gewünschten
Erfolg, kann dies zu zwei Arten von Lernen
führen: Die Handlung, die nicht erfolgreich
oder fehlerhaft war, wird verändert. Oder die
mentalen Modelle oder auch die Ziele, die der
Handlung zugrunde lagen, werden verändert.
Die beiden Prozesse, die auch single-loop- und
double-loop-Lernen genannt werden (Argyris
und Schön 1999), werden in Kap. 16, wenn es
um das Lernen in Organisationen geht, genauer
besprochen.
Lernen ist keinesfalls auf das individuelle
Verhaltensrepertoire beschränkt. Da Menschen
soziale Geschöpfe sind, lernen sie viel durch
die Beobachtung anderer. Was diese erleben
und berichten, kann im eigenen Gedächtnis
hinzugefügt werden. Nicht nur in der Medi-
zin lernen Anfänger nicht zuletzt dadurch, dass
sie erfahrenere Kollegen beobachten sowie
Teammitgliedern und anderen Mitarbeitenden
zuhören. Neben dem offensichtlichen Fakten-
und Erfahrungswissen eignen sie sich dabei
unbewusst auch Wissen über die Kultur, in der
sie arbeiten, an. Zu lernen „wie die Dinge hier
laufen“ hilft Menschen dabei, mit der Kultur
ihrer Organisation vertraut zu werden (Kap. 15).
Was muss gelernt werden, um in kritischen
Situationen in der Akutmedizin angemessen zu
handeln? Relevant sind:
Wissen z. B. über die Wirkung eines Medika-
ments oder Risiken eines Eingriffs,
Fertigkeiten, wie z. B. delegieren zu können
oder sicher zu intubieren,
Metakognition, die es dem Handelnden
erlaubt, sein Urteilen und Entscheiden auf
unbewusste Einflüsse durch die „Psycho-Lo-
gik“ des Handelns, Heurismen und kogniti-
ven Verzerrungen hin zu überprüfen,
persönliche Einstellungen und Werte wie
die Bereitschaft um Rat zu fragen oder aus
Fehlern lernen zu wollen.
Der oben erwähnte Unterschied von Verhalten
und Verhaltensmöglichkeit ist dabei auch in
durch Krankheit, Drogen, Ermüdung, Reifung
etc.; z. B. Zimbardo und Gerrig 2008). Aus einer
kognitionspsychologischen Sicht ist Lernen ein
Informationsverarbeitungsprozess und bedeutet,
Denken oder Handeln zu verändern. Dies
geschieht durch Erweiterung oder Anpassung
kognitiver Schemata, der Organisations-
einheiten unseres Wissens und unserer Hand-
lungsprogramme (z. B. Piaget 1976; Anderson
2009). Schemata werden ausdifferenziert oder
verändert. Etwas ist gelernt worden, wenn es
im Gedächtnis gespeichert und (willentlich oder
unwillkürlich) abrufbar ist. Lernen bedeutet also
zusammenfassend, unser Repertoire an Sche-
mata, also unsere Verhaltensoptionen und unser
Wissen über die Umwelt, zu vergrößern.
u Wir lernen immer – jede Handlung,
jede Beobachtung, die „relevant“ oder
„angenehm“ ist, wird in unserem Gedächtnis
abgespeichert, verfeinert die Qualität unse-
rer Schemata und vergrößert die Menge an
Schemata, die uns zu Verfügung stehen.
Es gibt eine Fülle an Lerntheorien, die teil-
weise zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen
kommen (Überblick in Lefrancois 2005). Im
Hinblick auf den Erwerb neuer Verhaltens-
weisen scheint ein Sachverhalt jedoch von
nahezu allen Forschungsgruppen akzeptiert:
Erfahrungen bestimmen unsere Motivation
und unser Verhalten, und die Konsequenzen
unseres Tuns beeinflussen die nächste Hand-
lung: Ist ein Verhalten erfolgreich oder ruft es
angenehme Gefühle hervor, so werden wir bei
nächster Gelegenheit versuchen, es zu wieder-
holen. Psychologen nennen diese positive Rück-
meldung „Verstärkung“. Handlungen, die nicht
zum erwünschten oder einem unangenehmen
Ergebnis führten, werden hingegen in Zukunft
vermieden. Positive und negative Verstärkung
veranschaulichen die oben erwähnte enge Ver-
bindung zwischen Motivation und kognitiven
Prozessen. Motivation ist notwendig, um Ver-
halten zu ändern. Neben Vergnügen (Lust)
und der Vermeidung von Unbehagen (Unlust)
kann das Bedürfnis nach Aufrechterhaltung der
4.5 Wissen, Gedächtnis und Lernen
gesine.hofinger@team-hf.de
82 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
4.6 Denken
Denken im engeren Sinne bezeichnet alle höhe-
ren kognitiven Funktionen, die menschliches
Handeln beim Planen, bei der Erwartungs-
bildung und beim Entscheiden steuern. Denken
ist eine begrenzte Ressource, weil es i. d. R. an
Sprache gebunden ist und sequenziell abläuft:
Es kann immer nur ein Gedanke auf einmal
gedacht werden.
4.6.1 Denken als Prozess
Denken ist die interpretierende und ordnungs-
stiftende Verarbeitung von Informationen (z. B.
Selz 1913/22; Guilford 1967; Klix 1971; Dörner
1976, 1999). Das zeigt sich in basalen Funktio-
nen wie Erkennen und Identifizieren (Kap. 5),
Bewertung oder Begriffsbildung ebenso wie
beim Schlussfolgern, Planen und Entscheiden
oder allgemeiner: Problemlösen. Diese Denk-
operationen werden über Gedächtnisschemata
ausgeführt, die gebildet, umorganisiert, ergänzt
und in Zusammenhang gebracht werden.
Nicht-sprachliches Denken kann in assozia-
tivem Verknüpfen von Schemata nach gefühls-
mäßiger Zusammengehörigkeit bestehen.
Analytisches Denken hingegen ist an Sprache
gebunden. Da nur ein Gedanke zur selben Zeit
sprachlich gedacht werden kann, ist das Denken
relativ langsam (Kap. 6). Es erfordert außer-
dem Aufmerksamkeit (Kap. 8), eine Ressource,
die in einem medizinischen Notfall ebenfalls
knapp ist. Häufig wirken assoziatives und ana-
lytisches Denken zusammen, wie beispielsweise
beim Finden von Analogieschlüssen. Eine Idee
entspringt aus Assoziationen und wird dann
analysiert. Sprachliches Denken operiert mit
Begriffen. Die Ordnung von Wissen in Ober-
begriffe, Unterbegriffe und Nebenordnung (Klix
1971) ist für die Organisation des Wissens wich-
tig.
Selbstreflexion: Denken über das Denken
Denken muss sich nicht notwendigerweise auf
externe Gegenstände oder Situationen beziehen.
der Akutmedizin relevant: In Teamtrainings
könnte z. B. ein Teilnehmer erfahren, dass früh-
zeitiges um Hilfe bitten die Patientensicher-
heit erhöht. „Frühzeitig Hilfe rufen“ kann als
Wissen gespeichert werden (Erweiterung von
Schemata), eine Einstellung kann geändert
werden. Durch Übungen kann konkretes Ver-
halten, z. B. eine gewünschte Formulierung,
gelernt werden. Ob diese Person dann in einer
kritischen Situation auch um Hilfe bittet, hängt
aber von vielen Faktoren ab, z. B. von dem
erlebten Stress, der aktuelle Risikoeinschätzung,
den erwarteten Folgen und auch von der
Organisationskultur (Kap. 15).
Es gibt einige Humanfaktoren, die nicht dem
Lernen zugänglich sind und nicht in gezielten
Lehr-Lernprozessen verändert werden können.
Dazu gehören
basale Funktionsweise der Wahrnehmung
(Kap. 5),
Prinzipien der Informationsverarbeitung
(Kap. 6),
die Funktionsweise unseres Gedächtnisses
und
etliche Aspekte der Aufmerksamkeit (Kap. 8),
Grundmotive und
unsere Physiologie.
Allerdings ändern sich manche dieser Prozesse
über die Lebensspanne (z. B. verändern sich
Wahrnehmungsschwellen, Aufmerksamkeits-
spanne und Schlafbedürfnis mit höherem Alter).
Will man Sicherheit in der Akutmedizin
erhöhen, muss man unveränderbare Faktoren
bei den Mitarbeitendern berücksichtigen, indem
beispielsweise Arbeitsplätze und -prozesse
angepasst werden (Hofinger und Knigge 2010).
Für veränderbare Human Factors gilt es, gezielt
Lernprozesse anzustoßen und die Umsetzung
des Gelernten dann auch zu ermöglichen. Dabei
sollte bedacht werden, dass etwas Neues zu ler-
nen stets einfacher ist als bereits Vorhandenes
umzulernen. Gewohnheiten können derart ver-
festigt sein, dass sie kaum noch verändert oder
völlig vergessen werden können (Quinn et al.
2010).
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83
Handlungsmuster identifizieren. Diese Art der
Selbstreflexion ist als Lernmöglichkeit für kom-
plexe Arbeitsbereiche, in denen Lernen über
Versuch und Irrtum zu riskant ist, sehr wichtig.
Metakognition hilft, schlechte und gute Ent-
scheidungen zu verstehen und Ansatzpunkte
für Veränderungen zu finden. Sie ist eines der
hervorstechendsten Kennzeichen mensch-
licher Intelligenz. Diese Fähigkeit unterscheidet
nicht nur das Denken eines Erwachsenen von
dem eines Kindes, sondern auch das Denken
von Experten und Anfängern. Tab. 4.1 fasst die
wesentlichen Komponenten der Metakognition
zusammen, die einen Experten ausmachen.
4.6.2 Sicherheitsgefährdende
Einstellungen
Auch wenn jemand „eigentlich“ Patientensicher-
heit (oder auch Arbeitssicherheit) wichtig fin-
det, kann er oder sie bestimmte Einstellungen
haben, die dazu führen, dass in kritischen Situ-
ationen nicht sicher gehandelt wir. Solche Ein-
stellungen können als fehlerbegünstigende
„latente Bedingung“ angesehen werden.
Sicherheitsgefährdende Einstellungen stellen
eine Mischung aus situationsunangemessenen
Bewertungen (Denken), starken Gefühlen und
Handlungsimpulsen (Motiven) dar und illust-
rieren somit als klassisches Beispiel die „Psy-
cho-logik des Handelns“: Die Bewertungen der
Situation sind stark gefühlsbetont, häufig schwer
in Worte zu fassen und damit dem Bewusstsein
und der Reflexion schwer zugänglich. Sie wer-
den von charakteristischen Motiven geleitet, die
dazu beitragen, dass nicht Sicherheit, sondern
Aspekte der eigenen Person das handlungs-
leitende Motiv werden (Hovland und Rosenberg
1960).
Eine weit verbreitete Unterscheidung benennt
fünf riskante Haltungen, bei denen jeweils ein
anderes Motiv im Vordergrund steht (Jensen
1995):
Die Macho-Haltung: bravouröse Hand-
lungen, die von anderen wahrgenommen
werden, sollen das Kompetenzgefühl stärken.
Denken kann auch auf sich selber angewendet
werden, indem man die eigenen Denkprozesse
analysiert und bewertet. Diese Fähigkeit, einen
Blick auf die eigenen Denkprozesse werfen
zu können, innerlich „einen Schritt zurück-
zutreten“ und „über das Denken zu denken“,
wird als „Metakognition“ oder Selbstreflexion
bezeichnet. Das Konzept der Metakognition ent-
stammt der pädagogischen Psychologie (Flavell
1979) und bezieht sich auf höher organisiertes
Denken, mit dem eine Person zu erfassen sucht,
wie sie gerade lernt, welche Einflussgrößen Ler-
nen erleichtern oder behindern und dann auf
diese Prozesse aktiv Einfluss nehmen. Diese
Lernprozesse sind jedoch nicht auf den päda-
gogischen Kontext beschränkt, sondern finden
ganz allgemein da statt, wo man in einer Situ-
ation mit neuen Eindrücken konfrontiert wird:
Sobald der Notarzt am Ort des Geschehens ein-
getroffen ist und einen Eindruck von der Situa-
tion bekommen hat, beginnt er sich sinngemäß
zu fragen: „Weiß ich bereits alles über die Situ-
ation und den Patienten oder gibt es etwas, das
ich noch wissen muss, um zu einer guten Ent-
scheidung zu kommen?“ Metakognition spielt
somit eine wesentliche Rolle bei der Bildung
und Aufrechterhaltung von Situationsbewusst-
sein (Kap. 8).
u Denken kann auf sich selber angewendet
werden, indem man die eigenen Denk-
prozesse analysiert und bewertet. Diese
Fähigkeit, einen Blick auf die eigenen Denk-
prozesse werfen zu können, innerlich „einen
Schritt zurückzutreten“ und „über das Den-
ken zu denken“, wird als „Metakognition“
bezeichnet.
Aber auch wenn der Notarzt sich nach dem Ein-
satz fragt: „Wie habe ich meine Entscheidungen
getroffen? Warum habe ich den Patienten so und
nicht anders behandelt? Warum habe ich mich
nicht früher um das perforierende Thoraxtrauma
gekümmert?“, ist er auf der metakognitiven
Ebene aktiv. In diesem Fall hat er die Chance,
einen Teil seiner Beweggründe aufzuklären.
Darüber hinaus kann er überlegen, mit wel-
cher Strategie er die Notfallsituation eigent-
lich strukturiert hat und somit erfolgreiche
4.6 Denken
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84 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
Diese Einstellungen sind in allen Bran-
chen sicherheitsgefährdend. Bei der Arbeit
mit Patienten können noch abwertende Ein-
stellungen gegenüber diesen und deren
Angehörige hinzukommen. Werden Patientinnen
und Patienten oder deren Angehörige nicht ernst
genommen, so kann deren Kompetenz für sich
selbst und ihre Aufmerksamkeit für Fehler nicht
wirksam werden. „Das ist normal, dass man sich
ein paar Tage nach einer großen Bauchoperation
nicht so gut fühlt, machen Sie sich mal keine
Sorgen!“ als lapidare Antwort auf einen Ange-
hörigenhinweis bezüglich des schlechten All-
gemeinzustandes ihres Mannes mag dann
dazu führen, dass klinische Hinweise auf eine
Anastomoseninsuffizienz erst spät bemerkt wer-
den. Gleiches gilt für den Umgang mit jüngeren
oder unerfahrenen Teammitgliedern (Kap. 11):
„Ich operiere hier seit 25 Jahren, Sie sollen
hier nur den Mund und die Haken halten!“
Das eigene Selbstbild ist das eines Menschen,
dem alles gelingt und dem keinen Schwierig-
keiten begegnen.
Wer eine anti-autoritäre Haltung einnimmt,
setzt sich über Regularien hinweg, da er das
Gefühl vermeiden möchte, von anderen Men-
schen kontrolliert zu werden.
Impulsivität als Haltung bedeutet, dass es
schwerfällt, mehrere Handlungsoptionen
zu generieren, bevor man zur Tat schrei-
tet. Jemand meint, dass „schnell etwas tun“
immer besser ist als erst einmal nichts zu tun
und nachzudenken.
Wer sich mangels Unfallerfahrung für unver-
letzlich hält, zeigt eine ausgeprägte Tendenz
zum risikoreichen Handeln.
Eine resignierte Haltung bedeutet, bei
Schwierigkeiten rasch aufzugeben. Das
Kompetenzgefühl ist so niedrig, dass man nur
noch auf Hilfe von anderen wartet.
Tab. 4.1 Wesentliche Eigenschaften der Metakognition. (In Anlehnung an Klein 1992)
Metakognition versetzt
Menschen in die Lage …
…das große Bild zu haben Experten zeichnen sich durch ihr Situationsbewusstsein aus. Sie bemerken frühzeitig,
wenn ihr Situationsbewusstsein erlischt, sie dabei sind, das große Bild zu verlieren,
und nehmen entsprechend Anpassungen vor. Sie sind in der Lage, vom unmittelbaren
Problem gedanklich zurückzutreten und über die Gesamtsituation mit all ihren
Verzweigungen nachzudenken
…sich eine angemessene
Strategie auszusuchen
Kliniker werden mit einer großen Bandbreite an klinischen Problemen konfrontiert
und haben entsprechend eine Fülle an Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Experten
sind in der Lage, über ihre Denkprozesse nachzudenken und dadurch neuartige
Strategien zu wählen. Die gewählten Strategien beinhalten dabei auch die Aspekte,
wie Entscheidungen gefällt werden, worauf sich die Aufmerksamkeit richten soll,
wie Teamarbeit verbessert werden kann, und wie sich die Arbeitsbelastung reduzieren
lässt. Darüber hinaus sind Experten ständig bemüht, ihre Erwartungen und Vorurteile
zu hinterfragen
…sich der Grenzen des
eigenen Gedächtnisses
bewusst zu sein
Experten wissen um die Leistungsgrenze ihres Gedächtnisses (Arbeits-und
Langzeitgedächtnis), welche entscheidend dafür ist, welche gedankliche Last in
einem bestimmten Moment verarbeitet werden kann. Experten können sowohl das
Ausmaß ihrer augenblicklichen Wachheit als auch ihre Fähigkeit, aufmerksam
zu sein, einschätzen. Beide sind starke Einflussfaktoren auf das Gedächtnis. Die
Limitationen ihres Gedächtnisses versuchen Experten mithilfe von Gedächtnishilfen
(z. B. geschrieben, digital) auszugleichen, die die gedankliche Last reduzieren helfen
…selbstkritisch zu sein Experten wissen um die Gefahr zu großen Selbstvertrauens. Sie pflegen ihre
Fähigkeit, über Entscheidungen nachzudenken, und zeigen große Bereitschaft,
Entscheidungen im Lichte neuer Informationen oder von Input durch
Teammitglieder zu überprüfen. Das Handeln von Experten ist beständiger als das
von Berufsanfängern; deshalb bemerken sie sehr schnell, wenn sie keine gute Arbeit
leisten, und haben eine Vorstellung davon, warum dies so ist. Darüber hinaus erlaubt
Erfahrung dem Experten, zu beurteilen, wo ein Plan unangemessen oder falsch ist
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85
ebenen des Handelns unterschieden, welche
auf unterschiedliche Arten von Information
antworten: „Fertigkeiten – Regeln – Wissen“
(Abb. 4.4). Diese Unterscheidung hat sich bei
der Einordnung der kognitiven Mechanismen
hinter verschiedenen Fehlerkategorien als hilf-
reich erwiesen (Kap. 3). Bekannte Aufgaben
in bekannten Situationen werden weitgehend
ohne bewusste Steuerung durch Automatis-
men, mittels „eingeschliffener“ Fertigkeiten
erledigt. Dazu gehören fast alle Tätigkeiten im
Alltag. Auf dieser Stufe wird Information als
kontinuierliche biophysikalische Signale (sig-
nals) wahrgenommen, die keine „Bedeutung“
haben, sondern als kontinuierliches Feedback
dienen, um Handeln mit der Umwelt zu syn-
chronisieren. Auf der Ebene des regelbasierten
Handelns wird Information als Zeichen (signs)
wahrgenommen, welche sich auf vorherige
Erfahrungen oder erlernte Konventionen
beziehen: Sobald eine Situation bestimmte
Merkmale (signs) aufweist, werden vorgefertigte
Handlungen aktiviert oder modifiziert.
Werden Menschen mit Situationen konfron-
tiert, die für sie unbekannt sind und in denen
sie auf keine vorgefertigten Handlungspläne
zurückgreifen können, müssen sie problem-
lösendes Denken anwenden. Um dies tun zu
können muss die Information der Umwelt dem
wischt den Hinweis einer Famulantin auf den
OP-Plan hinweg, auf dem sie eine andere Seite
als die gerade abgestrichene gelesen hatte.
Wäre ihr Einwand ernst genommen worden,
hätte man eine Seitenverwechslung verhindern
können. Insbesondere bei Ärztinnen und Ärz-
ten kommen oft gefährliche Einschätzungen
der eigenen Verantwortung bzw. des eigenen
Handlungsspielraums hinzu, die auch als Ver-
antwortungshochmut („Es liegt nur an mir“)
und Verantwortungskleinmut („Es liegt nur
an den anderen“) bezeichnet wurden (Wehner
2014).
4.7 Fertigkeiten – Regeln – Wissen:
Handlungsformen in kritischen
Situationen
Kritische Situationen erfordern Handeln. Men-
schen handeln jedoch nicht immer auf die
gleiche Art – die Bekanntheit der Situation ist
entscheidend dafür, ob man auf gespeicherte
Handlungsmuster zurückgreifen kann, oder ob
ein Problem erst definiert und Lösungen aus
dem vorhandenen Wissen neu entwickelt werden
müssen.
Nach Rasmussen (1983, 1987) werden drei
aufeinander aufbauende kognitive Kontroll-
Abb. 4.4 Kontrollebenen des Handelns. (Nach Rasmussen 1983)
4.7 Fertigkeiten – Regeln – Wissen: Handlungsformen in kritischen Situationen
gesine.hofinger@team-hf.de
86 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
zumindest vorhersehbar durchgeführt. Sie wer-
den in kritischen Situationen erst als wichtig
bewusst, wenn die erforderlichen Fertigkeiten
fehlen, falsch ausgeführt werden oder aus sons-
tigen Gründen nicht anwendbar sind. Es ist
dennoch klar, was getan werden müsste. Dann
steigen die Anforderungen: Das Problem muss
erkannt und eingestanden werden, Alternativen
müssen gefunden und eventuell neu aufgetretene
Probleme mit bearbeitet werden. Sind die Hand-
lungen ausführbar, ist die Anforderung vor allem
das sorgfältige Ausführen und die stete Kont-
rolle auf Abweichungen.
4.7.2 Regelbasiertes Handeln
Es gibt Probleme, von denen man zwar weiß,
dass sie prinzipiell auftreten können, aber nicht,
ob und wann dies der Fall sein wird. Für solche
Situationen versucht man, regelbasierte Hand-
lungsfolgen vorherzuplanen. In der Situation
selbst muss diese Regelfolge, ein Algorithmus,
nur noch abgerufen und umgesetzt werden.
Für viele Probleme sind daher von den Fach-
gesellschaften Algorithmen offiziell festgelegt
worden, die dann nur noch abgearbeitet werden
müssen (z. B. Algorithmus für den schwierigen
Atemweg); andere Algorithmen (z. B. rasche
Anwendung des intraossären Zugangswegs bei
frustraner Venenpunktion beim Säugling) haben
eher den Charakter von Empfehlungen.
Erfahrene Mediziner bilden für eine Viel-
zahl von Problemen ihre persönlichen Algo-
rithmen. Im Gegensatz zu fertigkeitsbasiertem
Handeln können diese Regeln verbalisiert
werden. Das Problem an Situationen, die vor-
rangig Regelwissen verlangen, ist dabei primär
nicht, die richtige Handlung zu finden. Pläne für
diese Handlungen sind i. d. R. abgespeichert,
„warten“ geradezu nur darauf, abgerufen und
angewendet zu werden. Problematisch ist viel-
mehr die Diagnose des Problems. Die Situation
muss identifiziert werden (was bei selten auf-
tretenden Ereignissen schwierig sein kann und
wo der Übergang zu wissensbasiertem Handeln
fliessend ist) und eine Entscheidung über das
weitere Vorgehen muss rasch getroffen werden.
Problemlöser in irgend einer Form verständlich
sein (symbols), damit er die in der Umwelt prä-
sentierten Informationen als Konzepte identi-
fizieren, mit vorhandenem Wissen abgleichen
und problemlösendem Denken zuführen kann:
Nur wenn sich dem Handelnden erschließt,
mit welchem Problem er oder sie es zu tun hat,
können in einem nächsten Schritt neue Lösun-
gen erdacht, gedanklich geprüft und dann
angewendet werden.
In einer kritischen Situation wendet man sel-
ten nur Fertigkeiten, nur Regeln oder nur Wissen
an. Notfallmanagement besteht vielmehr aus
einem beständigen Wechsel zwischen den ver-
schiedenen Handlungsformen.
Berufsanfänger unterscheiden sich von
erfahrenen Klinikern hinsichtlich:
„eingeschliffener“ Fertigkeiten,
dem Abstraktionslevel, auf dem Probleme
gelöst werden,
der zur Verfügung stehenden erlernten Regeln
sowie
Wissen und Problemlösestrategien.
Erfahrene Kliniker bilden den Problemraum
auf abstrakterem Niveau ab als Anfänger, deren
Aufmerksamkeit sich mehr auf die Ober-
flächenmerkmale einer Notfallsituation rich-
tet. Darüber hinaus verfügen Experten über
eine weitaus größere Sammlung von Problem-
löseregeln, die ebenfalls auf einem abstrakteren
Repräsentationsniveau formuliert wurden.
4.7.1 Fertigkeitsbasiertes Handeln
In kritischen Situationen werden wie beim
Routinehandeln Fertigkeiten gebraucht, die so
überlernt sind, dass sie mehr oder weniger auto-
matisiert ausgeführt werden. Diese Verhaltens-
weisen müssen kaum bewusst überdacht oder
verbalisiert werden (und sie können auch kaum
noch verbalisiert werden). In der Akutmedizin
gehören dazu Handlungen wie die Intubation,
das Legen peripher- und zentralvenöser Zugänge
oder das Einlegen einer Thoraxdrainage. Sol-
che Handlungen werden meist geplant oder
gesine.hofinger@team-hf.de
87
(Tversky und Kahnemann 1974; Kahne-
mann et al. 1982), ihren unvollständigen oder
unzutreffenden mentalen Modellen der Situ-
ation und einer starken emotionalen Kompo-
nente: Die Gefährlichkeit einer Situation, in der
einerseits ein schnelles Eingreifen erforderlich
ist, andererseits aber keine bekannten sicheren
Handlungsmöglichkeiten vorhanden sind, ist
stark emotional belastend. In den vergangenen
Jahren haben die mit diesem Überraschungs-
effekt verbundenen Veränderungen der somati-
schen und mentalen Antwort unter dem Konzept
des ‚startle and surprise‘ (engl.: Erschrecken
und Überraschung) verstärkt Aufmerksamkeit
erhalten (Kap. 9).
Notfälle bestehen meist aus etlichen einzel-
nen kritischen Situationen, sodass alle Hand-
lungsebenen benötigt werden. Das Management
von Notfällen kann erleichtert werden, wenn
möglichst viele Handlungen auf den Ebenen
der Fertigkeiten und Regeln ausgeführt werden.
Durch gut eingeübtes Fachwissen, automatisierte
Handgriffe, Pläne für verschiedene vorstellbare
Zwischenfälle, Anwendung von Leitlinien etc.
wird der Kopf frei zum Problemlösen.
u Bekannte Aufgaben in bekannten Situationen
werden weitgehend ohne bewusste Steue-
rung durch Automatismen, „eingeschliffene“
Fertigkeiten, erledigt. Reichen Automatismen
nicht aus, werden „wenn-dann“-Regeln
angewendet, die eine Situation mit gelernten
Handlungsplänen verknüpfen. Nur wenn eine
Problemsituation neu ist, wird durch Wissen
und problemlösendes Denken eine neue
Lösung gefunden.
4.8 Grundlagen des Handelns –
Auf einen Blick
Überblick
Handeln folgt nicht allein sachlogischen
Argumenten, sondern einer „Psycho-
Logik“.
Psycho-Logik bedeutet, dass die Inter-
aktion eines Menschen mit seiner
Umwelt nur aus dem Zusammenspiel von
Ein gutes Beispiel für eine solche kritische
Situation ist das Auftreten eines Spannungs-
pneumothorax. Sowohl das Krankheitsbild als
auch die Therapie sind jedem Akutmediziner
bekannt. Es gilt daher lediglich, unspezifische
Parameter wie ein Sättigungsabfall, ein Anstieg
der Beatmungsdrucke und einen Blutdruckabfall
als Symptome dieser Pathophysiologie zu diag-
nostizieren. Die Therapie mittels Einlage einer
Thoraxdrainage wird als Regelsatz abgerufen
und auf der Fertigkeitsebene ausgeführt.
4.7.3 Wissensbasiertes Handeln und
Problemlösen
Es gibt kritische Situationen, auf die man so
nicht vorbereitet ist. Die Ursache dafür kann im
klinischen Ausbildungsstand einer Person liegen.
Sie kann auch durch die Ökonomie des mensch-
lichen Gedächtnisses mit seinem Hang zum
Vergessen selten gebrauchten Wissens bedingt
sein. Wesentlich häufiger liegt sie jedoch in der
Komplexität des Geschehens – vor allem in
Intransparenz, Vernetztheit und Zeitverzögerung.
Durch eine unerwartete und unbekannte Kom-
bination von Faktoren wird dem Akutmediziner
eine „unangenehme Überraschung“ mit vitaler
Bedrohlichkeit beschert. Selbst wenn im Rah-
men der Berufsausbildung verschiedene Typen
von Notfällen und ein möglicher Umgang damit
gelernt wurden, sind Situationen dieser Art im
Voraus „so“ nicht bekannt oder zumindest nicht
im Detail vorhersehbar gewesen. Es sind also
immer Ereignisse, auf die man nicht mit dem
Abruf von eingeübten Routinen antworten kann.
Weil der Problemraum für den Handelnden weit-
gehend unbekannt ist, muss er, anstatt Regeln
abzurufen oder Fertigkeiten anzuwenden, Prob-
leme lösen. Problemlösendes Denken ist jedoch
ein langsamer, mühsamer und in seinen Ressour-
cen begrenzter Verarbeitungsprozess, der unter
Zeitdruck nicht optimal abläuft.
Da die Situationen darüber hinaus unerwartet
eintreten, ist der Überraschungseffekt bedeut-
sam. Fehler im Management ergeben sich aus
einer komplizierten Wechselwirkung zwischen
der begrenzten Rationalität von Entscheidern
4.8 Grundlagen des Handelns
gesine.hofinger@team-hf.de
88 4 Die Psychologie menschlichen Handelns
Kognition, Motivation und Emotion zu
erklären ist.
Die äußere, beobachtbare Ordnung des
Handelns bezeichnet man in der Psycho-
logie als Handlungsorganisation; die
innere, für Außenstehende nicht erkenntli-
che Ordnung des Handelns hingegen, wird
Handlungsregulation genannt.
Diese Handlungsregulation erfolgt teil-
weise autonom, d. h. der Einfluss von
Denken, Fühlen und Handeln auf das
eigene Verhalten ist für den Betreffenden
oft verborgen.
Jedes Handeln ist motiviert, es dient der
Befriedigung von Bedürfnissen; neben den
existenzsichernden Bedürfnissen (physio-
logische, Sicherheit) gibt es soziale (Nähe,
Legitimität) und informationelle Bedürf-
nisse (Kompetenz, Neugier, Ästhetik).
Emotionen sind ganzheitliche, schnelle
Situationsbewertungen, sie werden
als Gefühl bewusst; Emotionen sind
als Veränderung der Parameter der
Handlungsregulation (Auflösungs-
grad, Auswahlschwelle, Aktivierung,
Externalisierung) beschreibbar.
Denken ist das sprachliche Operieren mit
Gedächtnisinhalten, die in Schemata orga-
nisiert sind.
Das Gedächtnis ist mehr als ein passiver
Informationsspeicher, es ist vielmehr eine
mentale „Werkbank“, die Stelle, an der
unsere bewusste Wahrnehmung erwacht;
es spielt eine wichtige Rolle für die
bewusste Interaktion mit unserer Umwelt.
Als prospektives (vorausschauendes)
Gedächtnis bezeichnet man die Fähig-
keit, sich zur richtigen Zeit an eine zuvor
gefasste Handlungsabsicht zu erinnern.
Die Intensität der augenblicklichen Auf-
gabe, Unterbrechungen, Ablenkung,
parallele Aufgaben, Verspätungen und
Müdigkeit haben einen negativen Einfluss
auf das prospektive Gedächtnis.
Lernen bedeutet die Vergrößerung der
prozeduralen und deklarativen Schemata
und damit der Verhaltensoptionen und des
Wissens eines Menschen.
Das wichtigste Prinzip des Lernens ist:
Fühlt sich das Resultat einer Handlung gut
an, wird die Handlung in Zukunft wieder-
holt; tut sie das nicht, werden Menschen
versuchen, die Handlung von nun an zu
vermeiden.
Metakognition oder Selbstreflexion
beschreibt die Fähigkeit von Indivi-
duen, in ihren eigenen Denkprozess
hineinzusehen, gedanklich einen Schritt
zurückzutreten und „über das Denken
nachzudenken“.
Die Fähigkeit zur Metakognition kenn-
zeichnet menschliche Intelligenz
und unterscheidet das Denken von
Erwachsenen und Kindern sowie von
Experten und Anfängern.
Sicherheitsrelevante Einstellungen ent-
stehen aus der Interaktion von Denken,
Motivation und Emotion.
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Article
Objective We address the problem of how researchers investigate the actual or potential causal connection between interruptions and medical errors, and whether interventions might reduce the potential for harm. Background It is widely assumed that interruptions lead to errors and patient harm. However, many reviewers and authors have commented that there is not strong evidence for a causal connection. Method We introduce a framework of criteria for assessing how strongly evidence implies causality: the so-called Bradford Hill criteria. We then examine four key “metanarratives” of research into interruptions in health care—applied cognitive psychology, epidemiology, quality improvement, and cognitive systems engineering—and assess how each tradition has addressed the causal connection between interruptions and error. Results Outcomes of applying the Bradford Hill criteria are that the applied cognitive psychology and epidemiology metanarratives address the causal connection relatively directly, whereas the quality improvement metanarrative merely assumes causality, and the cognitive systems engineering metanarrative either implicitly or explicitly questions the feasibility of finding a direct causal connection with harm. Conclusion The Bradford Hill criteria are useful for evaluating the existing literature on the relationship between interruptions in health care, clinical errors, and the potential for patient harm. In the future, more attention is needed to the issue of why interruptions usually do not lead to harm, and the implications for how we approach patient safety.
Article
Objective: This study samples interruption frequency in intensive care unit (ICU) settings to assess the relationship between interruptions and common patient hazards. Background: Task interruptions are accident contributors in numerous industries. Recently, studies on health care interruptions and their impact on patient hazards have received attention. Method: Seven ICUs in four hospitals participated in a 24-month study. Experienced ICU nurses directly observed nursing tasks, interruptions, and patient hazards (delays in care, breaks in device task protocols, and patient safety hazards). Results: During 1,148 hours of observation, 175 nurses performed 74,733 nursing tasks. Interruptions occurred at a rate of 4.95 per hour, and 8.4% of tasks were interrupted. Interruptions originated mostly from humans (65.9%), alarms (24.1%), and others (10%). A total of 774 patient hazards were observed, with a hazard occurring on average every 89 minutes. Relative to noninterrupted tasks, device alarm interrupted nonstructured tasks were associated with increased rates of delays in care and safety hazards (rate ratio [RR] = 3.19). In contrast, rate of delays in care and safety hazards did not increase during human interrupted tasks (RR = 1.13). Rates of protocol nonadherence varied by device type and were highest during artificial airway, medication administration, chest tube, and supplemental oxygen management. Conclusion: Interruptions in the ICU are frequent and contribute to patient hazards, especially when caused by device alarms during nonstructured tasks. Nonadherence to protocols is common and contributed to patient hazards. Application: The findings suggest a need for improvement in task and device design to reduce patient hazards.
Book
Crew (or Cockpit) Resource Management training originated from a NASA workshop in 1979 that focused on improving air safety. The NASA research at that time found the primary cause of the majority of aviation accidents to be human error, and further showed the main problems to be failures of interpersonal communication, leadership, and decision making in the cockpit. By the time of publication of our first editon of CRM, was celebrated as the convergence of a concept, an attitude and a very practical approach to pilot training. Equally important was the convergence and enthusiastic support of the research community, aviation regulators, transport operators and the pilot unions. CRM was maturing, implementing and developing all at the same time. Cockpit Resource Management (CRM) has gained increased attention from the airline industry in recent years due to the growing number of accidents and near misses in airline traffic. This book, authored by the first generation of CRM experts, is the first comprehensive work on CRM. Cockpit Resource Management is a far-reaching discussion of crew coordination, communication, and resources from both within and without the cockpit. A valuable resource for commercialand military airline training curriculum, the book is also a valuable reference for business professionals who are interested in effective communication among interactive personnel. Fifteen years later, CRM concepts have endured by not only integrating themselves into the fabric of training, but also expanding the team concept, evolving into new applications, and possibly most important to the original operators, inspiring development and integration of CRM into safety and quality assurance goals at the corporate level. A variety of CRM models have been successfully adapted to different types of industries and organizations, all based on the same basic concepts and principles. It has been adopted by the fire service to help improve situational awareness on the fireground. The new edition of Crew Resource Management continues to focus on CRM in the cockpit, but also emphasizes that the concepts and training applications provide generic guidance and lessons learned for a wide variety of 'crews' in the aviation system as well as in the complex and high-risk operations of many non-aviation settings. Long considered the ?bible? in this field, much of the basic style and structure of CRM 1e will be retained in the new edition. Textbooks are often heavily supplemented with or replaced entirely by course packs in advanced courses in the aviation field, as it is essential to provide students with cutting edge information from academic researchers, government agencies (FAA), pilot associations, and technology (Boeing, ALION). Our edited textbook will offer ideal coverage with first hand information from each of these perspectives. Case examples, which are particularly important given the dangers inherent in real world aviation scenarios, are liberally supplied. An image collection and testbank will be offered, making us the only text on the market with ancillary support Material from the first edition remains relevant today and will be fully updated, often by new authors now at the fore of the field. New material - to the tune of an additional 50% - will focuses on the challenges facing aviation specialists today. New topics will include: international and cultural aspects of CRM, design and implementation of Line-Oriented Flight Training (LOFT), airline applications beyond the cockpit, spaceflight resource management, non-aviation applications, AQP, LOSA and special issues pertaining to low-cost airline carriers. The second edition editors offer essential breath of experience in aviation human factors from multiple perspectives (academia, government, and private enterprise) and the proposed contributors have all been chosen as experts in their fields who represent the diversity of the research.